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Pianistin – Komponistin – Liebende: Eine Frau, die dem Klang ihres Herzens folgt Salzburg 1766: Die junge Maria Anna, liebevoll Nannerl genannt, kann sich vor Verehrern kaum retten und hat doch nur die Musik im Sinn. Gemeinsam mit ihrem Bruder Wolfgang Amadeus spielt sie an den vornehmsten Höfen Europas Klavier, bis sie die Bühne für ihren kleinen Bruder räumen muss. Enttäuscht versucht sie sich mit eigenen Kompositionen und zahlreichen Bällen abzulenken. Eines Abends lernt sie den charmanten Franz Armand d'Ippold kennen und fühlt sich dem klugen Mann gleich verbunden. Nur ist Franz mitnichten eine gute Partie und die Schulden der Familie lassen keine Liebesheirat zu. Doch Nannerl Mozart lässt sich nicht beirren und wird weder ihre Musik noch ihre große Liebe aufgeben.
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Seitenzahl: 416
Fräulein Mozart und der Klang der Liebe
BEATE MALY, geboren in Wien, ist Bestsellerautorin zahlreicher Kinderbücher, Krimis und historischer Romane. Ihr Herz schlägt neben Büchern für Frauen, die entgegen aller Widerstände um ihr Glück kämpfen.
Von Beate Maly sind in unserem Hause bereits erschienen:
Die Hebamme von WienDie Hebamme und der GauklerDer Fluch des SündenbuchsDie DonauprinzessinDer Raub der StephanskroneDie SalzpiratinDie KräuterhändlerinFräulein Mozart und der Klang der LiebeDie Frauen von SchönbrunnDie Kinder von Schönbrunn Die Bildweberin
Pianistin – Komponistin – Liebende: Eine Frau, die dem Klang ihres Herzens folgt
Salzburg 1766: Die junge Maria Anna, liebevoll Nannerl genannt, kann sich vor Verehrern kaum retten und hat doch nur die Musik im Sinn. Gemeinsam mit ihrem Bruder Wolfgang Amadeus spielt sie an den vornehmsten Höfen Europas Klavier, bis sie die Bühne für ihren kleinen Bruder räumen muss. Enttäuscht versucht sie sich mit eigenen Kompositionen und zahlreichen Bällen abzulenken. Eines Abends lernt sie den charmanten Franz Armand d’Ippold kennen und fühlt sich dem klugen Mann gleich verbunden. Nur ist Franz mitnichten eine gute Partie und die Schulden der Familie lassen keine Liebesheirat zu. Doch Nannerl Mozart lässt sich nicht beirren und wird weder ihre Musik noch ihre große Liebe aufgeben.
Beate Maly
Roman
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Juni 2021 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021 Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH Titelabbildung: © Richard Jenkins Photography / RJ-Georgian (Frau); akg-images / © arkivi (Stadt); © www.buerosued.de Autorenfoto: © Fabian KasperE-Book-Konvertierung powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.ISBN 978-3-8437-2508-8
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Titelei
Das Buch
Titelseite
Impressum
Prolog
Teil I
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Teil II
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
Teil III
28
29
30
31
Epilog
Anhang
Nachwort
Leseprobe: Die Bildweberin
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Prolog
Seit den frühen Morgenstunden hielt sich die Hebamme Hilde Pfeiffer in der Schlafkammer von Anna Maria Mozart auf. Die ersten Gewitterwolken waren über der Stadt aufgezogen, als die Geburt begonnen hatte, und Hilde hatte die Kammer seither nur ein einziges Mal verlassen. Sie hatte Sopherl, die neue Magd der Familie Mozart, angewiesen, ein Schmerzmittel aus Wacholder, Kamille, Beifuß und Mohn zu mischen. Wie gern hätte Leopold diese Aufgabe übernommen.
Stattdessen war er seit Stunden zur Tatenlosigkeit verdammt. Nervös marschierte er in der niedrigen Stube auf und ab. Drei Schritte zum Fenster, zwei weitere zum Esstisch, vier zu seinem Klavier und dann wieder zurück zum Tisch. Bei jedem Schritt knarrten die Holzbretter unter seinen Füßen, und die Absätze der neuen Schuhe mit den hübschen Schnallen schlugen hart auf dem Boden auf. Zuvor hatten Donnergrollen und das Rauschen der Blätter in den knorrigen Ästen des alten Nussbaums die Geräusche seiner Schritte übertönt. Doch das Gewitter war inzwischen über Salzburg hinweggezogen, und bis auf ein paar helle Blitze in der Ferne war es ruhig geworden in der Stadt. Sicher hatte der Wind die drückende Hitze mitgenommen, unter der seine Frau Anna Maria seit Wochen litt. Leider war davon in der Stube, deren Fenster nicht auf die Getreidegasse, sondern in den geschützten Innenhof des Wohnhauses führten, noch nichts zu merken. Obwohl Leopold die hölzernen Fensterläden weit geöffnet hatte, hing immer noch die stickige Luft im Raum.
Wieder drang ein lauter Schmerzensschrei aus der Schlafkammer, gefolgt von leisem Wimmern. Die Stimme seiner Frau war so entstellt, dass Leopold sie kaum wiedererkannte. Nervös knetete er seine Hände. Er hasste es, wartend auszuharren, ohne selbst mit anpacken zu können. Dabei kannte er die Situation. Anna Maria hatte bereits drei Kinder geboren: vor drei Jahren den kleinen Johann Joachim Leopold. Nach nur wenigen Stunden hatte Leopold den entzückendsten Säugling der Welt, mit rosigen Backen und einem winzigen kirschroten Mund, in den Armen gehalten. Wie unglaublich groß waren die Freude und der Stolz über das erste Kind, einen gesunden Sohn, gewesen. Und wie unendlich die Trauer, als er schon sechs Monate später verstarb. Anna Maria war zu diesem Zeitpunkt wieder schwanger gewesen, mit Maria Anna Kordula, die nur sechs Tage lebte, bevor Gott sie zu sich holte. Letztes Jahr kam dann Maria Anna Nepomuzena Walburga zur Welt. Zwei Monate lang durften Leopold und Anna Maria sich an ihr erfreuen, bevor sie ihren Geschwistern folgte. Und jetzt? Was hatte Gott in dieser Nacht mit ihnen vor?
Die rasch aufeinanderfolgenden Schwangerschaften hatten Anna Marias Körper geschwächt. Leopold hatte in den letzten Wochen gesehen, wie müde und erschöpft sie war. Trotzdem hatte sie sich kein einziges Mal beschwert und bis zuletzt den Haushalt geführt. Sie war eine tapfere Ehefrau, die schon in frühen Jahren gelernt hatte, sich auch in schwierigen Zeiten nicht unterkriegen zu lassen.
Warum dauerte es nur heute so lange? Was unternahm die Hebamme, um Anna Maria zu helfen? Leopold zahlte der Frau bei jedem Besuch einen großen Batzen Geld. Nicht viele Männer waren bereit, so tief in die Tasche zu greifen. Noch vor ein paar Jahren wäre auch Leopold nicht dazu in der Lage gewesen. Auf seinen Posten als Kammerdiener und Violinist im Dienste Sigismund III. Christoph von Schrattenbach, Fürsterzbischof von Salzburg, hatte er lange warten und ehrgeizig hinarbeiten müssen. Es war nicht leicht gewesen, das ansehnliche Gehalt zu erkämpfen, das ihm die Gründung einer Familie erlaubte.
Müsste er nicht längst das Schreien seines Kindes hören? Angestrengt lauschte Leopold auf die Geräusche hinter der niedrigen Holztür zur Schlafkammer. Jetzt war es beinahe gespenstisch still. Was ging da drinnen vor? Er hielt es kaum noch aus und hätte am liebsten die Tür mit einem Schwung aufgerissen. Hätte er lieber nach einer anderen Hebamme rufen sollen? Hilde Pfeiffer war eine seltsame Frau, die allein außerhalb der Stadtmauern lebte. Wiederholt war sie mit dem Stadtrichter in Konflikt geraten, weil sie auch unverheirateten Frauen half. Angeblich war ihr in all den Jahren noch nie eine Gebärende unter den Fingern weggestorben. Was, wenn Anna Maria … Leopold schloss die Augen und presste sie so fest zusammen, dass er helle Blitze sah. Er versuchte, sich zu beruhigen, indem er langsam ein- und ausatmete und sich selbst einzählte, wie er es sonst mit seinen Klavierschülern tat:
»Eins, zwei, drei, vier, eins …«
Sein Zählen wurde mit dem Aufreißen der niedrigen Tür jäh unterbrochen. Sopherl trat kreidebleich in den Raum. Leopold versuchte, an der zierlichen Person vorbeizuschauen, doch sie schloss die Tür hastig hinter sich.
»Bittschön, ich muss vorbei«, rief sie hektisch und durchquerte die Stube.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Leopold. Die Angst in seiner Stimme erschreckte ihn selbst.
»Das Kind kommt gleich.« Sopherls letzte Worte konnte er nur erahnen, denn sie lief mit eiligen Schritten aus der Wohnung und polterte die drei Stockwerke hinunter in den Hof. Leopold hörte, wie sie sich unten am Brunnen zu schaffen machte. Kurz darauf stapfte sie die Holztreppe wieder hinauf. Die Köchin wartete bereits an der Tür auf sie und nahm den Eimer entgegen, um das Wasser in der Küche über dem Feuer zu wärmen.
Leopold hielt die Magd zurück. »Wie geht es meiner Frau?«
»Wie soll es ihr schon gehen?«, erwiderte Sopherl schnippisch. »Sie liegt seit Stunden in den Wehen. Das Kind steckt fest.«
Leopold hätte Sopherl niemals eingestellt. Es war nicht gut, wenn Dienstboten so frech auftraten. Doch Anna Maria hatte ihn dazu überredet: »Sie ist viel intelligenter als alle Mädchen, die wir bisher hatten.«
Leopold hatte schließlich nachgegeben und bereute diesen Schritt fast täglich.
»Ist sie bei Bewusstsein?«
Ein lauter Schrei aus der Schlafkammer beantwortete seine Frage. Leopold zuckte zusammen.
»Lassen S’ mich jetzt bitte wieder vorbei«, forderte Sopherl ungeduldig. »Plaudern können wir später noch.«
Widerwillig machte er einen Schritt zur Seite. Als die Magd die Tür öffnete, erhaschte er nur einen kurzen Blick in sein Schlafgemach, bevor ihm die Hebamme in den Weg trat. Doch er konnte seine Frau wimmern hören. Was hatte Gott sich dabei gedacht, Frauen derart leiden zu lassen?
Die nächsten Minuten erschienen Leopold wie die längsten seines Lebens. Margot, die alte Köchin, schleppte den Eimer mit dem erhitzten Wasser herbei. Der Behälter war so voll, dass bei jedem Schritt ein paar Tropfen auf den Fußboden schwappten. Ohne anzuklopfen, riss sie die niedrige Tür auf und verschwand ebenfalls in der winzigen Kammer. Im nächsten Moment schrie Anna Maria erneut auf. Diesmal war es ein hoher, greller Schrei, in dem nicht nur Schmerz, sondern auch Verzweiflung lag. Leopold hörte aufgeregte Stimmen. Die Frauen sprachen schnell und wild durcheinander. Die Köchin betete laut ein Ave-Maria und übertönte damit die beiden anderen Frauen. Leopold trat näher, wollte sein Ohr an die Tür legen, als er einen weiteren Schrei vernahm. Der Laut stammte nicht von seiner Frau. Es war der kräftige Schrei eines Säuglings, der das Licht der Welt erblickte. Erleichtert stieß Leopold die Luft aus, die er eben noch angehalten hatte. Doch die Tür blieb noch immer geschlossen. Warum verrieten ihm die Frauen nicht, ob er soeben Vater von einem Mädchen oder einem Jungen geworden war? Und was war mit Anna Maria? War sie wohlauf?
Er vernahm leises, aber freudiges Lachen hinter der Tür, Gemurmel und wieder den Schrei des Kindes. Es dauerte schier eine Ewigkeit, bis sich schnelle Schritte näherten. Leopold machte einen Satz rückwärts. Es gehörte sich schließlich nicht zu lauschen. Als die Tür sich öffnete, wirkte er beinahe verlegen.
»Herr Mozart, Sie haben eine gesunde Tochter bekommen«, verkündete die Hebamme müde, aber zufrieden. Sie hielt einen in saubere Tücher gewickelten Säugling im Arm und wirkte so erschöpft, als hätte sie selbst das Kind geboren.
»Und meine Frau?«
»Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Sie können bald zu ihr. Wir warten noch die Nachgeburt ab.«
Die Angst, die bis eben noch schwer auf seinen Schultern gelastet hatte, fiel mit einem Mal von ihm ab.
»Wollen Sie Ihre Tochter sehen?«
Ohne auf Leopolds Antwort zu warten, trat die Hebamme auf ihn zu und streckte ihm das Bündel entgegen, so als wollte sie ihm die Tochter in den Arm drücken. Wie kam sie auf diese befremdliche Idee? Noch nie hatte ein Vater seinen Säugling nach der Geburt gehalten. Dazu waren die Frauen da.
In dem Moment rief Sopherl aus der Kammer: »Die Nachgeburt kommt.«
Die Hebamme schaute über ihre Schulter. Anna Marias Jammern wurde lauter.
»Nun strecken Sie schon Ihre Arme aus«, forderte Hilde Pfeiffer Leopold ungehalten auf.
»Wie bitte?« Er musste sich verhört haben. Wie kam die Frau dazu, ihm Anweisungen zu erteilen?
»Es ist Ihr Kind, nun nehmen Sie es schon.«
Die Hebamme ignorierte Leopolds Zögern und legte ihm behutsam das Bündel in seinen Arm. Dann eilte sie zurück zu Anna Maria. Als die Tür sich schloss, war Leopold mit seiner Tochter allein in der Stube. Sein Ärger über Hilde Pfeiffer verpuffte wie eine Seifenblase, als er das winzig kleine Mädchen genauer betrachtete. Ein blonder Flaum bedeckte seinen perfekten Kopf. Die Wangen waren rosig und weich. Sie schmatzte mit einem kleinen herzförmigen Mund und verzog dabei die hübsche Nase.
»Du bist wunderschön«, flüsterte Leopold ergriffen und bestaunte das schutzbedürftige, zarte Wesen, das völlig auf seine Fürsorge angewiesen war.
Kurz darauf kam Sopherl zurück in die Stube, um den Säugling wieder an sich zu nehmen. »Das Mädchen ist kerngesund. Ich hab noch nie ein kleines Ding gesehen, das nach einer schwierigen Geburt so kräftig am Busen der Mutter getrunken hat. Da haben Sie allen Grund, stolz zu sein, Herr Mozart.«
Er konnte sich nicht sattsehen an dem kleinen Menschen. Natürlich hatte er sich einen Sohn gewünscht. Aber dieses Mädchen war etwas ganz Besonderes, das spürte er mit jeder Faser seines Körpers. Seine Tochter streckte ihm die kleine Hand entgegen. Sie hatte außergewöhnlich lange, schlanke Finger, genau wie er selbst.
»Das sind die Hände einer Pianistin«, bemerkte Sopherl.
»Was sagst du da?«, fragte Leopold unwirsch.
»Die langen Finger. Sie behaupten doch immer, dass man die zum Klavierspielen braucht.«
Leopold strich behutsam über die weichen Fingerkuppen des Säuglings. Sopherl hatte recht. Seine Tochter hatte lange Klavierfinger. Aber ein Mädchen konnte doch keine Musikerin werden. Oder doch?
»Haben Sie schon einen Namen für die Kleine?«
»Sie soll Maria Anna heißen.«, antwortete Leopold bestimmt. Er wusste, dass der Name dem Mädchen Glück bringen würde.
»Und rufen werden wir sie Nannerl.«
Nannerl beobachtete ihren Vater dabei, wie er die Brückenmaut entrichtete. Kaum hatte der uniformierte Wachmann das Geld entgegengenommen, ratterte die Kutsche schon über die hölzerne Konstruktion und überquerte die Salzach. Dunkelgrau, wie der nasskalte Herbsttag, schoss das Wasser zwischen den massiven Brückenpfeilern das breite Flussbett entlang. Nannerl hielt ihren Kopf aufgeregt aus der Kutsche und spähte über die Stadtmauer hinweg, hinter der die Festung des Fürsterzbischofs auf dem Mönchsberg lag. Noch weiter dahinter ragte der Untersberg in den grauen Himmel. Sein Gipfel verschwand in den Wolken. Zahlreiche Sagen und Mythen rankten sich um den Hausberg der Salzburger. Nannerl kannte sie alle, und es war ihr, als begegnete sie einem alten Freund wieder. Der eisige Fahrtwind zerzauste ihr Haar und löste ein paar der streng nach hinten gesteckten Haarsträhnen.
»Kommt zurück in die Kutsche«, mahnte ihre Mutter sie streng. Während Nannerl sich seufzend, aber sittsam auf der gepolsterten Bank zurücklehnte, schaute ihr kleiner Bruder Wolfgang auf der anderen Seite immer noch aus dem Fenster.
»Wolferl«, tadelte Anna Maria ihren Sohn, doch er reagierte erst, als sie ihn am Zipfel seiner Jacke zog und dazu zwang, sich wieder zu setzen. Mürrisch verzog er den Mund und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Die Bänder seiner Kniehosen waren offen. Er hatte es wieder einmal versäumt, sie ordentlich zu binden.
»Ihr werdet noch genug Gelegenheit haben, die Stadt zu sehen«, versicherte Leopold seinen Kindern. »Es wäre doch schade, wenn sich einer von euch so kurz vor unserem Ziel erkälten würde.«
Dreieinhalb Jahre waren vergangen, seit die Familie Mozart zu einer langen aufregenden Reise quer durch Europa aufgebrochen war. Wolfgang war damals noch ein kleiner Junge gewesen, jetzt war er zehn Jahre alt, und Nannerl mit ihren fünfzehn Jahren war beinahe schon eine junge Frau. Die beiden Kinder waren gemeinsam mit ihrem Vater vor den bedeutendsten Herrschern des Kontinents aufgetreten, hatten Monarchen und Fürsten mit ihrer Musik verzaubert und Stürme der Begeisterung ausgelöst. Der englische König Georg III. war ebenso entzückt gewesen wie der Kurfürst Maximilian von Bayern und der französische König Ludwig XV.
Auf ihrer Reise hatte Nannerl den Ärmelkanal überquert und dabei das Meer nicht nur gerochen, sondern auch die salzige Luft auf den Lippen geschmeckt. Später hatte sie vom Strand aus beobachtet, wie die Wassermassen im Stundentakt anschwollen und sich wieder zurückzogen. Bis jetzt hatte ihr niemand eine plausible Erklärung für dieses Naturphänomen geben können. Ihr Vater hatte es versucht und von der Anziehungskraft des Mondes erzählt. Aber damit hatte Nannerl nichts anfangen können. Die Reise hatte die Familie in so viele verschiedene Städte geführt, dass Nannerl einen Teil der Namen schon wieder vergessen hatte. Wie gut, dass sie alle Orte akribisch genau in einem Reisetagebuch festgehalten hatte. Nannerl hatte Versailles bestaunt, Westminster Abbey in London besucht und die Grachten in Amsterdam mit einem Schiff befahren. Aber nichts hatte sie so sehr begeistern können wie die unendliche Weite des Ozeans. Schade, dass es in Salzburg bloß Flüsse gab.
Die dreieinhalb Jahre waren nicht nur kulturell ein Gewinn gewesen, sondern hatten sich auch finanziell ausgezahlt. Die Familie war für ihre Auftritte reichlich entlohnt worden. Der kleine Wolfgang war als Wunderkind gepriesen und Nannerl als begnadete Pianistin gefeiert worden. Gleich zu Beginn der Reise in Wien war sie für ihr Klavierspiel mit dem Hofkleid einer Prinzessin belohnt worden. Das kostbare Geschenk lang nun sorgsam zusammengefaltet in einer der riesigen Reisetruhen. Mit dem Geld, das ihr Vater eingenommen hatte, hatte er ihr in Lyon, der Stadt, die für die feinsten Seidenstoffe berühmt war, außerdem noch ein prächtiges Kleid anfertigen lassen. Damit würde Nannerl in Salzburg während der Ballsaison für Aufsehen sorgen.
Aufgeregt rutschte sie auf der Sitzbank hin und her. Sie konnte es kaum erwarten, endlich wieder die Wohnung in der Getreidegasse zu betreten, in der sie unbeschwerte, glückliche Kindheitstage verbracht hatte. Wie viele Stunden hatte Nannerl im Hinterhof mit den Nachbarskindern gespielt? Sobald sie ihr Pensum an Klavierübungen absolviert hatte, war sie jeden Nachmittag die hölzerne Treppe zu den anderen hinuntergelaufen. Sie hatten sich gegenseitig gefangen, Schatzkarten gezeichnet oder waren in Säcken um die Wette gehüpft. Hoffentlich hatte niemand die Schaukel am alten Nussbaum entfernt. Zu gerne würde Nannerl noch einmal darauf Platz nehmen. Ob ihre Freundin Katharina ihren letzten Brief aus Zürich erhalten hatte und gekommen war, um sie zu begrüßen?
Geschickt lenkte der Kutscher das Gefährt durch das enge Stadttor. Auf beiden Seiten blieb je nur eine Handbreit Platz. Trotz der Prellsteine legten zahlreiche Kratzer an der Fassade Zeugnis davon ab, dass nicht alle Männer so routiniert mit ihren Fuhrwerken unterwegs waren.
Kaum hatten sie die Stadtgrenze passiert, drangen Straßenlärm und Gestank in die Kutsche, die in fast allen Städten Europas ähnlich waren, egal, ob sie am Meer oder an einem Fluss lagen. Es roch nach einer Mischung aus Pferdeäpfeln, Unrat, gekochtem Gemüse und gebratenem Fleisch, süßem Schmalzgebäck und Fisch. Hausfrauen und Dienstmägde liefen gehetzt über die Straße. Sie trugen volle Einkaufskörbe vom Markt nach Hause. Lehrlinge und Botenjungen schlängelten sich geschickt durch die Menschenmenge. Ein Straßenmusikant zupfte ungeschickt auf seiner Laute. Das verstimmte Instrument entlockte Nannerl ein missbilligendes Kopfschütteln. Als der Bursche die Stadtwache sah, die auf ihn zukam, verschwand er schnell im nächsten Durchgang.
Salzburg war bekannt für seine unzähligen Verbindungsgänge zwischen parallel verlaufenden Straßen. Einige waren so breit, dass ein Fuhrwerk hindurchpasste, andere reichten gerade für eine Person. Hier und dort stolzierten Geschäftsmänner mit hohen Perücken eiligen Schrittes die Straße entlang, um in einem der Gänge zu verschwinden. In den letzten Jahren hatte sich Salzburg in eine riesige Baustelle verwandelt. Leopold, der seine Kinder zu Hause unterrichtete, hatte Nannerl erzählt, dass der Salzhandel und der Bergbau in den umliegenden Regionen dem fürstlichen Erzbistum jahrhundertelang zu Reichtum und Wohlstand verholfen hatten. Überall wurde gehämmert und renoviert. Düstere Hausfassaden waren frisch gestrichen worden und erstrahlten nun in fröhlichen bunten Farben. Der Fürsterzbischof war dabei, seinen Regierungssitz in ein wahres Schmuckkästchen zu verwandeln. Er setzte damit das Bestreben seines Vorgängers fort, der dazu bedeutende Baumeister wie Johann Bernhard Fischer von Erlach von Wien nach Salzburg geholt hatte. Der Name war Nannerl nur deshalb im Gedächtnis geblieben, weil sie sich den Mann immer mit einer Angelrute in der Hand vorgestellt hatte, bis sie begriffen hatte, dass er Gebäude plante und nicht etwa fischte. Wofür man noch keine passende Lösung gefunden hatte, war der Unrat. Überall lagen Dreckhaufen herum, Pferdeäpfel, Hausratsabfälle und anderer Mist. Die Männer und Frauen, die unterwegs waren, mussten darauf achten, nicht in einen der unappetitlichen Haufen zu steigen. Ein Junge mühte sich mit einem Handkarren voller Kohlköpfe ab. Er beachtete die Kutsche nicht, was ihm eine derbe Beschimpfung des Kutschers einbrachte. Der Junge zuckte zusammen, duckte sich und zog den Karren mit einem kräftigen Ruck weiter.
Nannerl konnte sich nicht sattsehen an dem Treiben, das trotz aller Geschäftigkeit provinziell wirkte. Ihr Herz klopfte schneller, und sie fühlte sich ebenso aufgeregt, als würde sie gleich vor einem gefüllten Konzertsaal auftreten. Doch es war nicht ein erwartungsvolles Publikum, das ihren Atem unregelmäßig werden ließ, sondern die Aussicht, endlich wieder zu Hause zu sein. So aufregend das Reisen auch sein mochte, freute sie sich darauf, nun für eine Zeit zur Ruhe zu kommen.
Mit einem lauten »Brr« hielt der Kutscher die Pferde an. Kaum dass die Kutsche stand, öffnete Leopold Mozart die Tür und trat auf die Getreidegasse. Nannerl sprang mit einem Satz hinterher. Noch bevor sie auf dem Kopfsteinpflaster gelandet war, hörte sie auch schon die wohlvertraute Stimme der Freundin. Niemand sonst rollte das r in ihrem Namen wie Katharina.
»Nannerl!«
Gleich darauf wurde sie so stürmisch umarmt, dass die beiden Mädchen beinahe auf dem Boden landeten.
»Um Himmels willen, nicht so wild«, forderte Anna Maria streng.
Diesmal ignorierte Nannerl die Worte ihrer Mutter. Die Freude über das Wiedersehen war einfach zu groß. Sie erwiderte die innige Begrüßung der Freundin.
»Ich bin schon seit Stunden da und warte«, erzählte Katharina. »Gleich nach dem Frühstück bin ich losgelaufen, weil ich dich nicht verpassen wollte.«
»Du hast also meinen Brief bekommen?«
»Ja natürlich. Ich habe alle Briefe bekommen und mich jedes Mal riesig darüber gefreut. Sie hängen auf einer Schnur, die ich quer durch meine Schlafkammer gespannt habe, wie Strümpfe auf einer Wäscheleine.«
Nannerl trat einen Schritt zurück und löste sich aus der Umarmung. Katharina war gewachsen, genau wie sie selbst. Doch während Nannerls Körper immer noch knabenhaft kindlich wirkte und trotz der weiten Röcke wenig Weiblichkeit ausstrahlte, hatte Katharina, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, an üppigen Rundungen gewonnen. Ein modernes Dekolleté erlaubte einen freizügigen Blick auf ihren stattlichen Busen. Die Taille war fest zusammengeschnürt und ließ erahnen, dass das Hinterteil ebenso gut geformt war wie die Oberweite. Katharina trug ihr Haar zu einer aufwendigen Frisur hochgesteckt, in die zahlreiche Federn eingearbeitet waren. Nannerl vermutete, dass auch kleine Pölsterchen darin steckten, damit das Volumen die richtige Größe erreichte. Mit ihrem Aussehen hätte sie selbst in Städten wie Paris oder Amsterdam eine gute Figur gemacht.
»Katherl, du bist ja richtig erwachsen geworden«, rief Wolfgang und pfiff anzüglich durch die Zähne, während er der Freundin seiner Schwester frech aufs Hinterteil klopfte.
»Und du bist immer noch so unanständig wie am Tag eurer Abreise. Wann wirst du bloß Manieren lernen?« Mit gespielter Empörung schlug sie Nannerls Bruder auf die Finger.
»Hoffentlich niemals«, rief Wolfgang. »Manieren sind langweilig.«
»Ihr steht im Weg«, schimpfte Leopold vorwurfsvoll. Er hatte noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er Nannerls Umgang mit der Tochter des Barbiers und Perückenmachers der Stadt nicht sonderlich schätzte. Eigentlich war Herr Gilowsky Rechtsbeistand. Doch als er herausgefunden hatte, dass er mit der Herstellung von Perücken mehr Geld verdienen konnte als mit der Vertretung unbedeutender Menschen des niederen Adels vor Gericht, hatte er die Profession gewechselt. Seine Frau, eine Barbiertochter, hatte ihn darauf gebracht. Selbst die erlauchtesten Herrschaften gaben sich inzwischen in Herrn Gilowskys Frisiersalon die Klinke in die Hand. Das Geschäft war eine wahre Goldgrube. Trotzdem fand Leopold, dass der Umgang mit einer Barbierfamilie für seine Kinder nicht standesgemäß sei.
Jetzt schob er die beiden Mädchen unwirsch zur Seite.
»Wir können beim Hochtragen des Gepäcks helfen«, bot Katharina freundlich an.
»Das ist sehr lieb von dir.« Anna Maria Mozart ging um die Kutsche. Nachdem sie ihr Kleid sorgfältig glatt gestrichen hatte, begrüßte sie Nannerls Freundin herzlich. Im Unterschied zu ihrem Mann mochte sie die ganze Familie Gilowsky und ganz besonders die kleine Katharina, die mittlerweile einen Kopf größer war als sie selbst.
»Nannerl, ihr könnt gemeinsam eine der kleineren Truhen nehmen, die sind nicht so schwer.« Der Kutscher hatte bereits einen Teil des Gepäcks abgeladen und auf die Straße gestellt, wo die Kisten den vorbeigehenden Menschen im Weg standen. Kopfschüttelnd und fluchend wichen sie aus.
»Wir nehmen das Reise-Klavichord«, bestimmte Nannerl. Sie liebte das Instrument, das ihr Vater eigens für die Reise bei Johann Andreas Stein hatte anfertigen lassen. Auf dem handlichen Klavichord hatten Wolfgang und sie jeden Tag üben können, ganz egal, ob sie in einer winzigen Kammer oder einem fürstlichen Palais gewohnt hatten.
Während die Mädchen kräftig zupackten, hatte Wolfgang sich rasch aus dem Staub gemacht und war in den Innenhof des Wohnhauses gelaufen, wo zu jeder Tageszeit ein paar Kinder spielten. Diesmal sah Nannerl ihm die Flucht vor dem Kistenschleppen nach. Sie war es gewohnt, dass er sich vor unangenehmen Arbeiten drückte.
»Ich bin ja so gespannt, was du alles erzählen wirst«, sagte Katharina mit vor Aufregung geröteten Wangen. »Seit ich deinen letzten Brief bekommen habe, habe ich nicht mehr schlafen können, so sehr habe ich mich auf dich gefreut.«
Nannerls Herz machte einen kleinen Sprung. »Ich habe es auch kaum erwarten können«, gab sie zu. »Die Reise war aufregend, aber du hast mir gefehlt.«
Nun grinste Katharina zufrieden. Offenbar waren das genau die Worte, die sie hatte hören wollen. Gemeinsam trugen die Mädchen das Klavichord zum Torbogen, durch den man zum Stiegenaufgang des Wohnhauses gelangte. Alles sah noch genauso aus, wie Nannerl es in Erinnerung gehabt hatte, als wäre die Zeit in ihrem Geburtshaus für dreieinhalb Jahre stehen geblieben. In der Ecke zum Innenhof lehnte der Reisigbesen, mit dem Frau Bogner aus der Wohnung im ersten Stock den Boden fegte, sobald die Blätter im Herbst von den Bäumen fielen. Auf der niedrigen Bank unterhalb der Briefkästen befanden sich drei Milchkannen, die jeden zweiten Tag vom Knecht eines Bauern aus dem Umland aufgefüllt wurden. Nannerl liebte den Geschmack von Rahm, Heu und Heimat der süßen Milch. Nirgendwo, nicht einmal in München, hatte sie so gute und frische Milch getrunken wie in Salzburg.
Auch die Gerüche im Haus hatten sich nicht verändert. Über der Tür zum Stiegenaufgang hingen Kräuterbüschel, die einen herb-süßlichen Duft verströmten, aber gegen den starken Dunst gebratener Zwiebeln, der aus der Küche der Nachbarin im Erdgeschoss wehte, keine Chance hatten. Frau Hafner schien immer noch eine Vorliebe für deftige Linseneintöpfe mit Speck zu haben.
Fröhlich stiegen die Mädchen die enge Holztreppe hoch in den dritten Stock. Die Wohnungstür der Familie Mozart stand weit offen. Sophie, das Dienstmädchen, das seit ein paar Wochen wieder hier wohnte und dafür gesorgt hatte, dass die Wohnung nach der langen Zeit des Leerstands sauber und ordentlich war, empfing Nannerl herzlich. Auch sie hatte sich kaum verändert. Nur ihre Wangen waren ein bisschen voller als noch vor der Abreise der Mozarts. Sie hatte die dreißig Jahre bereits überschritten, was sie in Nannerls Augen zu einer alten Frau machte. Trotzdem war sie immer noch außergewöhnlich attraktiv. Sophie machte kein Geheimnis daraus, dass sie Nannerl ganz besonders gerne mochte. Immer wieder erzählte sie stolz, dass sie bei ihrer Geburt dabei gewesen war.
»Nein, so was«, rief sie und schlug die Hände vor der Brust zusammen. »Das Fräulein Mozart. Fesch sind S’ geworden, a richtige kleine Dame.« Sobald Nannerl und Katharina das Instrument abgestellt hatten, trat Sophie auf Nannerl zu und umarmte sie, bevor Leopold oder Anna Maria etwas dagegen einwenden konnten. Nannerl liebte Sophie, die sie früher vor so mancher Strafe bewahrt hatte, sei es, weil sie einen zerbrochenen Krug, ein schmutziges Spitzentuch oder eine verlorene Haarspange auf ihre Kappe genommen hatte.
»Danke, Sopherl, du schaust auch gut aus«, meinte Nannerl ehrlich. Sie zog ein rotes Haarband aus ihrer Rocktasche und reichte es dem Dienstmädchen. »Das habe ich dir aus Antwerpen mitgebracht. Dort tragen alle Frauen diese Bänder in den Haaren. Es ist sehr modern.«
Sopherl schoss das Blut in die Wangen vor Freude.
»Du musst das Band schnell wegstecken, der Papa kommt gleich herauf«, drängte Nannerl. Sie spähte über ihre Schulter, weil sie schwere Schritte hörte.
»Danke, Fräulein Nannerl.« Sophie drückte ihr einen Kuss auf die Wange und strich behutsam mit den Fingerkuppen über den Stoff, dessen Ränder mit feiner Spitze verziert waren. »So was Wertvolles habe ich noch nie besessen.«
Gerade rechtzeitig ließ sie das Geschenk unter ihrer sauberen Schürze verschwinden. Leopold Mozart schleppte eine schwere Truhe allein die letzten Stufen hoch. Schnaufend stellte er sie auf dem Holzboden ab und wischte sich erschöpft mit dem Handrücken über die schwitzende Stirn.
»Es war höchste Zeit, dass die Reise endet. Wären wir noch weitere Monate unterwegs, hätten wir die Truhen niemals tragen können, so schwer wären sie bei all dem Kram geworden, den ihr eingekauft habt.« Er sah seine Frau vorwurfsvoll an, die hinter ihm die Treppe hochstieg.
»Unsinn, Leopold«, widersprach Anna Maria. »Die meisten Dinge hast du erstanden.«
Sophie nahm ihrer Dienstherrin den Koffer ab und trug ihn für sie in die Wohnung.
»Was für ein Glück, dass Johann die Wohnung für uns frei gehalten hat«, wechselte Leopold das Thema.
Sein Freund, der Spezereiwarenhändler Johann Lorenz Hagenauer, dem das Haus gehörte, hatte Leopold nicht nur das Geld für die Reise vorgestreckt, sondern auch dafür gesorgt, dass die Wohnung bei seiner Ankunft in Salzburg wieder für die Mozarts zur Verfügung stand. Es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass auch Sophie ausgerechnet jetzt eine neue Anstellung gesucht hatte.
»Wie schön, wieder zu Hause zu sein«, meinte Anna Maria zufrieden. Sie seufzte schwer und ließ sich auf das Kanapee sinken, das neben dem Ofen in der Stube stand. Der hellblaue Stoffüberzug mit dem feinen weißen Blumenmuster war ordentlich ausgebürstet worden.
»Nach all den Gasthäusern, den beengten Kammern und verlausten Betten ist es eine Wohltat, wieder in den eigenen vier Wänden zu sein.«
Ihr Blick richtete sich auf die Schüssel mit parfümierten Blütenblättern, die auf einer Anrichte an der Wand stand. Ein angenehm frischer Duft ging davon aus.
»Mädchen, wollt ihr nicht spazieren gehen? Ihr steht hier nur im Weg herum«, brummte Leopold ärgerlich. Er drängte sich mit einem schweren Koffer zwischen Nannerl und Katharina durch.
»Oh, gerne!«, rief Nannerl.
Ihre Freundin wirkte nicht ganz so begeistert. »Es nieselt«, erklärte sie. »Sobald mein Haar feucht wird, kräuselt es sich, und die ganze Arbeit ist umsonst gewesen. Die Anna hat erst gestern den Turm hochgesteckt. Zwei Drahtgestelle hat sie eingeflochten. Die Frisur sollte mindestens drei Wochen halten. Es ist furchtbar langweilig, so lange ruhig zu sitzen, und das Kämmen ziept.«
Nannerl hatte also richtig vermutet, dass das Volumen der Frisur nicht allein Katharinas vollem Haar zu verdanken war. Sie bewunderte die prachtvolle Frisur erneut. Sie selbst hatte ihr kastanienbraunes Haar heute Morgen nur nachlässig zusammengebunden. Sobald sich die Gelegenheit bot, würde sie sich auch ihr Haar auftürmen lassen, beschloss sie.
Katharinas Gesicht hellte sich auf. »Wir können zu mir nach Hause gehen. Mama hat gestern Chocolade gekauft. Vielleicht bereitet uns Luise eine Tasse zu.«
»Habt ihr eine neue Köchin?«, erkundigte sich Nannerl enttäuscht. Sie hatte die alte Elsa sehr gemocht, weil sie den Mädchen oft heimlich Pfefferkuchen und Marzipan zugesteckt hatte.
»Elsa ist letzten Winter am rheumatischen Fieber gestorben«, erzählte Katherl traurig. »Aber die Luise ist auch sehr nett. Sie versteht sich auf die Zubereitung von Chocolade und verquirlt das Getränk so lange, bis es richtig cremig ist. Außerdem würzt sie die Chocolade mit Vanille, Zimt und Nelken. Mmh!« Beim Gedanken an den himmlischen Geschmack fuhr sich Katharina undamenhaft mit der Hand über den Bauch.
»Das klingt sehr gut.« Nannerl hatte Chocolade in Paris, Amsterdam und Den Haag getrunken. Überall hatte das kostbare Getränk anders geschmeckt, aber jedes Mal war es ein Genuss gewesen.
»Am frühen Nachmittag bist du wieder hier für deine täglichen Klavierübungen«, forderte Leopold.
»Ach, Leopold!« Seine Frau machte eine nachlässige Handbewegung. »Wir sind eben erst nach Hause gekommen. Lass den Kindern ein bisschen Zeit zur Erholung.«
Doch Leopold blieb unnachgiebig. »Die Übungsstunden sind bereits gestern und vorgestern ausgefallen. Wer zu den besten Musikern zählen will, muss an sich arbeiten. Talent ist ein Geschenk des Herrn, das man nicht einfach verfaulen lassen darf wie eine angeschlagene Birne. Zu schnell verdirbt sie vollständig.«
Anna Maria schüttelte missbilligend den Kopf. »Genieß die Chocolade«, flüsterte sie ihrer Tochter zu. »Am frühen Abend bleibt noch genügend Zeit zum Üben.« Sie sprach so leise, dass Leopold, der bereits die Truhe mit den Notenbögen ausräumte, sie nicht hören konnte.
Einen Gruß winkend, verließen die Mädchen die Wohnung und hasteten die Holztreppen mit lautem Poltern hinunter ins Erdgeschoss. Nannerl hob ihre Röcke und nahm übermütig die letzten drei Stufen auf einmal. Dabei stieß sie beinahe mit ihrem Bruder zusammen.
»Wo geht ihr hin?«, wollte Wolfgang wissen. Trotz seiner bald elf Jahre war er klein und schmächtig, weshalb er noch jünger wirkte, als er tatsächlich war. Seine gepuderte Frisur war verrutscht. Einzelne Strähnen hingen ihm schmutzig in die Stirn. Hatte er die Kinder von Frau Bogner bereits im Hof getroffen und mit ihnen gespielt?
»Spazieren«, log Katharina, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie wollte wohl nicht riskieren, dass Nannerl ihrem kleinen Bruder von der Chocolade erzählte.
»Ach, das ist langweilig«, rief Wolfgang enttäuscht.
»Servus, Wolferl!« Katharina winkte ihm zu, hakte sich bei der Freundin unter und zog sie mit sich, bevor Nannerl die kleine Notlüge aufklären konnte.
Kaum dass sie außer Hörweite waren, flüsterte Katharina: »Wenn wir deinem Bruder verraten, dass wir Chocolade trinken, will er unbedingt mitkommen und nervt uns den ganzen Nachmittag.«
Nannerl wollte widersprechen, doch dann fiel ihr wieder ein, dass Wolfgang gestern ungefragt ihr Notenheft genommen und zwei Seiten herausgerissen hatte, weil er selbst keine Blätter mehr hatte. Weder ihre Mutter noch ihr Vater hatte sein Handeln tadelnswert gefunden, und Nannerl, der Unordnung ein Dorn im Auge war, musste jetzt mit einem zerfledderten Heft üben.
»Ich finde es auch schöner, wenn wir zu zweit plaudern«, bekräftigte sie.
Kurz darauf saßen die Freundinnen am Holztisch in der Küche über dem Barbiersalon der Familie Gilowsky. Natürlich hätten sie auch auf den gepolsterten Möbelstücken in der Stube Platz nehmen können, aber dort hätten sie mit Katharinas Mutter und deren Schwägerin Konversation betreiben müssen. Hier im Eck zwischen Pfannen, Töpfen, Lebensmittelsäcken und dem Herd waren sie ungestört und konnten sich alles erzählen, was sie in den langen dreieinhalb Jahren nur in Briefen aufgeschrieben hatten. Nannerl berichtete von ihrem Klavierauftritt vor der Kaiserin Maria Theresia in Schönbrunn, von den Konzerten in Versailles und dem in London, von Sehenswürdigkeiten und fremden Kulturen, von Mode und landesüblichen Spezialitäten wie gekochten Aalen oder gefüllten Weinblättern.
Katharina unterbrach sie immer wieder. »Ist die österreichische Kaiserin wirklich so freundlich, wie alle sagen?« »Wie schaut der englische König aus?« »Warst du im Spiegelsaal in Versailles?« »Stimmt es, dass die Franzosen Frösche und Schnecken essen?«
Nannerl beantwortete jede ihrer Fragen und eröffnete ihrer Freundin einen Blick auf eine völlig fremde, exotische Welt. Mit großer Wehmut beschrieb Nannerl auch das Meer, das sie so sehr vermisste. Doch Katharina interessierten die Steilklippen von Dover nicht.
»Wie schaut denn der Tower von London aus?«, unterbrach sie Nannerls Erzählung.
»Wie eine große alte Burg.«
»Und warst du in Konzerten, auf Bällen oder im Theater?«
»In London war ich in Blackfriars im Theater. Stell dir vor, dort gibt es gleich mehrere Sprechtheater nebeneinander! Mama und ich haben eine Vorstellung besucht. Leider habe ich nicht verstanden, was die Schauspieler gesagt haben. Aber es war trotzdem sehr lustig, und ich konnte der Handlung weitgehend folgen. Die Stimmung im Zuschauerraum war so ausgelassen wie auf einem Jahrmarkt. Die Leute haben gegessen und getrunken und sehr viel gelacht, ganz anders als im Theater in Mainz.«
»Und es gab keine Musik in dem ganzen Stück?«, fragte Katharina irritiert.
»Bloß einen Mann, der auf einer Flöte eine Melodie zum Besten gab, doch die war sehr einfach und erinnerte mich an ein Kinderlied. Sonst wurde nur gesprochen.«
»Das ist seltsam.«
»Es war bei Weitem nicht das Seltsamste in England«, meinte Nannerl schmunzelnd. »In einem Park sah ich einen lebenden Elefanten und einen Esel, der hatte weiße und kaffeebraune Streifen.«
»Wirklich?« Katharina staunte und wollte noch mehr erfahren.
Schließlich war Nannerl vom Erzählen erschöpft. Sie erkundigte sich ihrerseits bei Katharina, was sich während ihrer Abwesenheit in Salzburg ereignet hatte.
»Die Poldi hat letzten Monat geheiratet.« Katharina nahm den letzten Schluck aus ihrem hohen schmalen Chocoladenbecher aus feinstem weißen Porzellan und wischte mit dem Handrücken über ihre Lippen. Dabei hinterließ sie einen Fleck auf den weißen Rüschen ihres Unterkleides.
»Verdammt«, fluchte sie.
Nannerl, die für gewöhnlich Schimpfwörter nicht ausstehen konnte, war von der Nachricht über die Heirat so entsetzt, dass sie den Fluch unkommentiert ließ.
»Das kann doch nicht sein«, platzte sie heraus. »Poldi ist genauso alt wie wir zwei.«
Katharina zuckte mit den Schultern und rieb an dem braunen Fleck, der etwas heller wurde. »Die Augustine ist schon letztes Jahr vor den Traualtar getreten. Sie ist im achten Monat schwanger.«
»Nicht wahr«, flüsterte Nannerl entsetzt. Augustine und Poldi waren Freundinnen, mit denen sie gemeinsam jeden Sonntag nach der Messe von Bruder Ignatius im Lesen und Schreiben sowie in der Bibelkunde unterrichtet worden waren.
»Doch«, widersprach Katharina. »Sie hat einem Kammerdiener des Fürsterzbischofs das Jawort gegeben. Angeblich bekommt er bloß vierhundert Gulden im Jahr. Damit kann sich die Augustine nicht einmal ordentliches Hauspersonal leisten. Man sieht sie jeden Tag selbst mit einem schweren Einkaufskorb auf den Fischmarkt gehen.«
Nannerl konnte die Worte der Freundin nicht glauben. In ihrer Erinnerung war Augustine ein kleines, dürres Mädchen gewesen, das ständig gejammert hatte, wenn einer der Buben sie beim Spiel im Kirchengarten an den Haaren gezogen hatte.
»Liebt sie ihren Ehemann?«
Katharina lachte amüsiert. »Seit wann hat die Ehe etwas mit Liebe zu tun? Ihr Mann ist um vierzig Jahre älter als sie selbst.«
»Ach, du meine Güte!« Nannerl stöhnte. Dann fügte sie hinzu: »Meine Eltern haben aus Liebe geheiratet.« Ihre Mutter hatte ihr schon oft die Geschichte vom jahrelangen Werben ihres Vaters erzählt. Da Anna Maria nach dem frühen Tod ihres Vaters verarmt war, hatte Leopold sich um eine Anstellung mit einem fixen Einkommen bemüht, um eine Familie gründen zu können. Erst als er über genügend Einkünfte verfügt hatte, hatte er um die Hand von Nannerls Mutter angehalten. Die beiden hatten ganze zehn Jahre aufeinander gewartet.
»Dann waren die zwei eine Ausnahme. Ich habe noch nie von einer Ehe gehört, die nicht wegen Geld oder eines Titels geschlossen wurde. Mein älterer Bruder hat eine langweilige Frau aus dem niederen Landadel genommen, damit wir endlich einen Titel in der Familie haben. Die Ottilia schaut aus wie ein Pferd und benimmt sich wie eine Kuh.«
»Katherl, das kannst du so nicht sagen«, mahnte Nannerl entrüstet.
»Warum nicht?« Katharina zuckte mit den Schultern. »Wenn es doch stimmt?«
Nannerl ließ das Thema fallen. »Wie kommt es, dass Augustines Vater sie an einen mittellosen Kammerdiener vergeben hat?«
»Es war ihre Mutter«, verbesserte Katharina. »Der Vater ist am Lungenfieber gestorben. Die Familie hat sich hoch verschuldet. Und nach seinem Tod stand Augustines Mutter mit drei unverheirateten Töchtern da. Am Ende war es ganz egal, wen Augustine heiratete, Hauptsache, sie war versorgt.«
»Das ist ja schrecklich!«
»Ich werde niemals freiwillig heiraten«, erklärte Katharina mit fester Überzeugung. »Wenn mein Vater mich zwingen will, dann lauf ich davon.«
»Und was willst du dann machen?«
Trotzig verzog Katharina die Lippen. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Ich bin geschickt im Sticken und Handarbeiten. Lieber häkle ich bis an mein Lebensende Spitzenkragen und Tischdecken, oder ich lerne das Perückenmachen von meinem Vater. Aber ich werde niemals einen Mann heiraten, den ich nicht mag, ihm ein Kind nach dem anderen gebären und dabei irgendwann elendig sterben wie die Frau meines Bruders. Die hat kurz vor Weihnachten gemeinsam mit ihren Zwillingen im Kindbett das Leben gelassen.« Über Katharinas Gesicht legte sich ein Schatten. Das Schicksal ihrer Schwägerin schien ihr näherzugehen, als sie zugeben wollte.
Nannerl hatte die traurige Nachricht bereits aus Katharinas Briefen erfahren und drückte der Freundin nun liebevoll die Hand.
Katharina hatte sich nicht verändert. Sie war noch immer das rebellische und aufmüpfige Mädchen, von dem Nannerl sich damals in der Getreidegasse verabschiedet hatte. Sie war mit vier älteren Brüdern aufgewachsen, die nicht zimperlich mit ihr umgegangen waren, und so nahm auch sie kein Blatt vor den Mund und eckte aus diesem Grund immer wieder an.
»Und wenn du dich in einen Mann verliebst?«, wollte Nannerl wissen. »Willst du auch dann nicht heiraten?«
»Niemals!«, sagte Katharina voller Inbrunst. »Ich werde bestenfalls seine Geliebte, die er reich beschenkt, aber ich will weder Windeln wechseln noch Einkaufslisten schreiben und schon gar nicht Vorratskammern auffüllen.« Sie verzog angewidert die Nase und schüttelte sich. »Igitt!«
Nannerl lachte nun laut. Die Aufgaben, die Katharina hasste, waren ihr nicht fremd. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, einen Haushalt zu führen. Während ihr Vater sie in der Musik und in Fremdsprachen unterrichtet hatte, war es Anna Maria gewesen, die ihrer Tochter beigebracht hatte, wie man verschiedenste Lebensmittel haltbar machte, einen Waschtag organisierte, die Spitze von Kleidern trennte, separat reinigte und hinterher wieder annähte. Nannerl wusste, wie wichtig es war, ein offenes Ohr fürs Personal zu haben, und konnte Haushaltsabrechnungen nicht nur zusammenzählen, sondern auch kontrollieren.
»Mein Vorbild ist Madame de Pompadour«, fuhr Katharina mit glühenden Wangen fort. »Hast du die Mätresse von Ludwig XV. gesehen?«
Nannerl nickte. »Ich habe vor ihr Klavier gespielt. Sie war sehr angetan von meiner Musik.«
Katharina richtete sich auf und rückte näher. Ihre Augen glänzten vor Begeisterung. »Wie hat sie ausgesehen? Ist sie wirklich so atemberaubend schön, wie man sich erzählt?«
Nannerl neigte den Kopf. Sie wollte die Freundin nicht enttäuschen.
»Ich war sehr aufgeregt«, wich sie aus. »Deshalb kann ich mich nicht so gut an sie erinnern. Das Schloss und der ganze Prunk haben mich eingeschüchtert.« Nannerl war eine lausige Lügnerin. Die Mätresse des französischen Königs hatte an diesem Nachmittag in Versailles nicht sonderlich vorteilhaft ausgesehen. Sie schien mitgenommen von den feuchtfröhlichen Abenteuern des Vorabends und hatte laut schnarchend die Vorstellung verschlafen.
»Pah«, stieß Katharina empört hervor. »Du und eingeschüchtert? Du würdest selbst vor dem Papst und dem lieben Gott fehlerfrei Klavier spielen. Du bist einfach die allerbeste Pianistin, die diese Welt je gesehen hat.«
Trotz der blasphemischen Worte durchströmte Nannerl ein warmes Gefühl der Dankbarkeit. »Ach, Katherl, du kannst dir nicht vorstellen, wie du mir gefehlt hast.«
»Und du mir erst«, versicherte die Freundin aufrichtig. Sie ergriff Nannerls Hand. »Ab jetzt machen die Maskenbälle und das Bölzelschießen in Salzburg wieder richtig Spaß.«
Luise, die ihnen bis dahin den Rücken zugekehrt und am Ofen hantiert hatte, drehte sich zu ihnen um. »Wollen die Damen noch eine Tasse Chocolade?«
Dabei hielt sie einladend ein Metallkännchen mit Holzgriff hoch.
»Wer kann dieser Versuchung widerstehen?« Katharina hielt der Köchin beide Porzellanbecher entgegen. »Wir feiern heute Nannerls Rückkehr.«
Nannerl saß mit ihrer Mutter bei offenem Fenster in der Stube und bestickte einen Kissenbezug. Draußen plätscherte unaufhörlich feiner Schnürlregen aus den tief liegenden grauen Wolken auf die Straßen und Dächer der Stadt. Das kühle Nass hatte die unangenehmen Gerüche in den engen Gassen weitgehend vertrieben. Frische Septemberluft drang in die Stube.
Während Anna Marias Arbeit fast fertig war, quälte sich Nannerl immer noch mit einer kleinen Rose auf dem weißen Leinen ab. Die Blüte wollte einfach nicht wachsen. Handarbeit gehörte nicht zu Nannerls Lieblingsbeschäftigungen. Sie beneidete Wolfgang, der seit Stunden am Klavier saß und nicht die vom Vater geforderten Stücke spielte, sondern sich eigenen Kompositionen widmete. Die beschwingten Klänge einer fröhlichen Melodie machten es Nannerl nicht leichter, sich auf das Rosenblatt zu konzentrieren. Im Gegenteil, sie wünschte, sie dürfte aufstehen und den Bruder begleiten. Stattdessen summte sie leise mit, wippte mit dem Fuß, zählte den Takt und ärgerte sich über einen Knoten in ihrem Stickgarn.
»Ach, Nannerl.« Anna Maria seufzte. »So wird das nichts. Du musst einen kürzeren Faden nehmen.« Sie reichte ihrer Tochter eine kleine Schere.
Nannerl wusste, dass ein kurzes Stück Stickgarn sich nicht so oft verknoten würde, aber je kürzer der Faden war, umso öfter musste man ihn durch das winzig kleine Loch der Nadel fädeln. Eine Geduldsprobe, die Nannerl möglichst vermied, schließlich wollte sie schnell mit der unerfreulichen Arbeit fertig werden und sich wie Wolfgang der Musik widmen. Sobald ihre Finger über die Tasten des Klaviers wanderten, vergaß sie alles andere. Dann gab es keine unangenehmen Arbeiten, keine zu langen Fäden, keine Aufgaben oder Pflichten mehr, die ihr zuwider waren. Dann ging sie ausschließlich in der Musik auf und wurde eins mit ihr.
Mit zusammengepressten Lippen nahm Nannerl die Schere entgegen und durchtrennte den Knoten. Ihre Mutter beobachtete sie dabei.
»Komm, gib mir das Kissen«, forderte sie schließlich. Anna Maria hatte ihr Motiv beendet. »Ich sticke die Rose fertig, bevor sie ausschaut wie ein zu dick geratener Apfel.«
»Wirklich, Mama?«
Ihre Mutter nickte nachsichtig. Erleichtert sprang Nannerl auf, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und lief hinüber zu ihrem Bruder.
»Die Melodie klingt wunderschön«, sagte sie bewundernd. »Wie ein Vogel im Frühling, der sich freut, dass ein langer, kalter Winter zu Ende geht. Ich frag mich, wie das Stück auf der Flöte klingt.«