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Bath, 1816: Die 28-jährige Abby Wendover ist entsetzt. Als sie nach einer mehrwöchigen Reise nach Hause zurückkehrt, muss sie feststellen, dass ihre reizende junge Nichte Fanny von dem attraktiven Taugenichts Stacy Calverleigh umworben wird. Offenbar hat dieser es auf die beträchtliche Mitgift des 17-jährigen Mädchens abgesehen. Abby setzt alles daran, die verliebte Fanny vor Unheil zu bewahren.
Doch dann taucht Stacys skandalumwitterter Onkel auf, der einst von seiner Familie gezwungen wurde, England zu verlassen. Miles Cavanaugh ist inzwischen zu Geld gekommen - allerdings hält er nicht viel von den feinen Sitten der gehobenen Gesellschaft. Trotzdem kann Abby sich nur schwer seiner geheimnisvollen Aura entziehen und schon bald wird ihr geruhsamer Alltag gehörig durcheinandergebracht ...
"Die galante Entführung" (im Original: Black Sheep) besticht durch spritzige Dialoge, liebenswerte Charaktere und die amüsante Erzählweise Georgette Heyers. Jetzt als eBook bei beHEARTBEAT.
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Seitenzahl: 445
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Bath, 1816: Die 28-jährige Abby Wendover ist entsetzt. Als sie nach einer mehrwöchigen Reise nach Hause zurückkehrt, muss sie feststellen, dass ihre reizende junge Nichte Fanny von dem attraktiven Taugenichts Stacy Calverleigh umworben wird. Offenbar hat dieser es auf die beträchtliche Mitgift des 17-jährigen Mädchens abgesehen. Abby setzt alles daran, die verliebte Fanny vor Unheil zu bewahren.
Doch dann taucht Stacys skandalumwitterter Onkel auf, der einst von seiner Familie gezwungen wurde, England zu verlassen. Miles Cavanaugh ist inzwischen zu Geld gekommen – allerdings hält er nicht viel von den feinen Sitten der gehobenen Gesellschaft. Trotzdem kann Abby sich nur schwer seiner geheimnisvollen Aura entziehen und schon bald wird ihr geruhsamer Alltag gehörig durcheinandergebracht …
Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.
Georgette Heyer
Die galante Entführung
Aus dem Englischen von Emi Ehm
beHEARTBEAT
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Copyright © Georgette Heyer, 1966
Die Originalausgabe BLACK SHEEP erschien 1966 bei Bodley Head.
Copyright der deutschen Erstausgabe
© Paul Zsolnay Verlag GmbH, Hamburg/Wien, 1967.
Textredaktion: Laura Bünning
Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer
Umschlaggestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung eines Motives © Richard Jenkins Photography, London
eBook-Produktion: 3w+p GmbH, Ochsenfurt
ISBN 978-3-7325-3175-2
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Am Ende eines feuchten Herbsttages fuhr kurz vor acht Uhr eine Postkutsche auf der Londoner Straße in Bath ein und hielt bald darauf vor einem Haus am Sydney Place. Es war ein Mietfahrzeug, jedoch vierspännig. Die Erscheinung der Dame, die darin saß, ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich eine Privatkutsche mit ihren eigenen Gespannführer sehr wohl leisten konnte. Sie wurde von einer Dienerin mittleren Alters begleitet. Der olivgrüne Mantel aus Köperseide, die sie trug, umschmeichelte ihre bewundernswerte Figur. Jede andere Frau hätte bei dem Anblick des Kleidungsstückes sofort erkannt, dass es von einer erstklassigen Schneiderin stammte.
Der Einfachheit und Eleganz des Reisekleides entsprach das Hütchen, das Miss Abigail Wendovers Gesicht kleidsam umrahmte. Gekräuselte Federn oder Blumenbüschel fehlten an dieser Kreation. Sie war aus Taft gefertigt und unter dem Kinn mit einem Seidenband gebunden.
Das Gesicht unter dem Hut war weder das eines Mädchens in seiner ersten Blüte noch das einer anerkannten Schönheit. Es besaß jedoch einen undefinierbaren Zauber, der vor allem in den Augen und dem scheuen Lachen lag, das in ihnen lauerte. Sie waren grau und sehr klug. Die Gesichtszüge waren nicht bemerkenswert, denn der Mund war zu groß, um schön zu sein, die Nase vom klassischen Ideal weit entfernt und das Kinn fast etwas zu energisch. Das Haar war weder dunkel, wie es zur Zeit gefragt war, noch engelhaft blond, sondern von einem sanften Braun. Es war auch nicht nach der herrschenden Mode kurz geschnitten; die Dame trug es entweder um den Kopf geflochten oder in einem Knoten, aus dem Locken über die Ohren fielen.
Gelegentlich, und der heftig geäußerten Missbilligung ihrer Nichte zum Trotz, band sie ein Spitzenhäubchen darüber. Fanny behauptete, sie sähe damit wie eine alte Jungfer aus. Doch Abigail entgegnete mit ihrer hübschen, melodischen Stimme bloß: «Aber ich bin doch eine alte Jungfer!»
Anscheinend hatte man ihr Eintreffen voll Ungeduld erwartet. Kaum war die Kutsche vorgefahren, wurde die Haustür aufgerissen und ein Lakai stürzte heraus, um die Stufen der Kutsche herunterzulassen. Ihm folgte ein älterer Butler, der seiner Herrin beim Aussteigen half. Er strahlte sie an und sagte: «Guten Abend, Miss Abby! Und es ist ja wirklich ein guter Abend, denn er bringt Sie zurück! Ich bin sehr glücklich, Sie wiederzusehen!»
«Und wie ich erst glücklich bin, Mitton!», antwortete sie. «Ich glaube nicht, dass ich jemals so viele Wochen fort war. Geht es meiner Schwester gut?»
«Sehr gut, Ma’am – mit Ausnahme einer Spur Rheumatismus. Als Sie abreisten, war sie zunächst ein bisschen bettlägerig und bildete sich ein, sie sei schwindsüchtig –»
«Nein, doch nicht das!», rief Abby in gespielter Bestürzung.
«Nein, wirklich nicht, Ma’am», sagte Mitton zustimmend. «Es war nichts als eine Erkältung, von der ein leichter Husten zurückblieb, wie sie ihr neuer Arzt zu überzeugen vermochte.»
Er brachte das im Ton höflicher Ehrerbietung vor, in seinen Augen saß jedoch ein Zwinkern, das Abby unwillkürlich ein Kichern entlockte. Das Zwinkern verstärkte sich, aber Mitton sagte nur: «Und wie froh sie sein wird, Sie wiederzusehen, Miss Abby! Sie ist schon seit Stunden nervös vor Angst, dass es einen neuerlichen Aufschub hätte geben können.»
«Dann muss ich sofort zu ihr hinaufgehen», sagte Abby und ging leichten Schrittes ins Haus. Mitton blieb zurück und ließ ihrer Dienerin eine übertrieben höfliche Begrüßung zuteil werden.
Da zwischen dem in den Diensten der Familie ergrauten Butler und der ehemaligen Kinderfrau der drei jüngeren Töchter ein ununterbrochener Kampf um den Vorrang herrschte, fasste Mrs. Grimston die Begrüßung, in der sie einen gönnerhaften Ton entdeckte, schlecht auf. Sie wies ihn an, sich keine Gedanken darum zu machen, wie es ihr gehe, sondern sich bloß um Miss Abbys Schmuckköfferchen zu kümmern.
Inzwischen war Abby die Treppe hinaufgelaufen und sah, dass ihre Schwester sie schon auf dem obersten Treppenabsatz erwartete. Miss Selina umarmte Abby zärtlich, vergoss Freudentränen und bat sie in einem Atemzug, sich nach der ermüdenden Reise sofort hinzulegen, in den Salon zu kommen, nicht ein einziges Wort zu äußern, solange sie sich nicht völlig ausgeruht habe, und ihr sofort alles über die liebe Jane und die liebe Mary und das süße Neugeborene der lieben Jane zu erzählen.
Zwischen den Schwestern lag ein Altersunterschied von sechzehn Jahren, denn Selina war das älteste und Abby das jüngste Mitglied einer zahlreichen Kinderschar. Drei ihrer Geschwister waren im zarten Säuglingsalter gestorben, und der älteste Bruder wurde dahingerafft, als sein einziges Kind, Fanny, gerade erst Laufen gelernt hatte.
Zwischen Selina, die über vierzig, und Abigail, die achtundzwanzig Jahre alt war, wurden James, Mary und Jane geboren. Bei Jane, die mit dem Besitzer ansehnlicher Ländereien im Huntingdonshire verheiratet war, hatte Abigail den Großteil der letzten sechs Wochen verbracht. Sie war herbeigerufen worden, um ihrer Schwester in einigen Katastrophen beizustehen: Die Kinder hatten die Masern bekommen und zwar gerade, als das Kindermädchen sich bei einem Sturz über die Hintertreppe das Bein gebrochen hatte. Jane war hochschwanger und wartete stündlich darauf, Sir Francis mit einem vierten Sprössling zu beschenken.
In einem Brief, der von Unterstreichungen strotzte, hatte Lady Chesham ihre liebste Abby angefleht, sofort zu ihr zu kommen und Grimston mitzubringen, denn nichts würde sie dazu bewegen, ihre geliebten Kinder der Obhut eines fremden Frauenzimmers anzuvertrauen.
Deshalb also war Abigail mit der Postkutsche ins Huntingdonshire gefahren, wo sie fünf Wochen lang unter misslichen Umständen weilte. Vor ihrer Ankunft waren, wie gesagt, alle drei Kinder den Masern anheimgefallen, und zwei Tage später kam ihre Schwester ins Kindbett.
Ihr Schwager, der sich noch nie durch Liebenswürdigkeit ausgezeichnet hatte, litt anscheinend an der Überzeugung, diese unglückliche Verkettung von Umständen sei eigens dazu ersonnen worden, ihm das Höchstmaß an unverdienten Schwierigkeiten aufzuerlegen.
«Du musst ja völlig erledigt sein!», sagte Selina, als sie ihre Schwester in den Salon führte. «Und dann noch nach London fahren zu müssen, bei all der Aufregung und dem Trubel! Mary hätte das, meiner Meinung nach, nicht von dir verlangen dürfen!»
«Hat sie ja gar nicht! Ich habe mich selbst bei ihr eingeladen, als Belohnung dafür, dass ich mit Sir Francis nicht in Streit geraten bin. Einen mürrischeren und unangenehmeren Menschen habe ich noch nie erlebt! Jane tut mir aufrichtig leid und ich verzeihe ihr all ihre Verdrießlichkeit. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich war, das gutmütige Gesicht von George wiederzusehen, als ich in der Brook Street eintraf und von ihm und Mary so herzlich aufgenommen wurde! Ich habe mich prächtig amüsiert und Unmengen eingekauft. Warte nur, bis du den Hut siehst, den ich dir mitgebracht habe: Du wirst entzückend darin aussehen! Dann habe ich dutzende Ellen des hübschesten Stoffes, einem Musselin, für Fanny gekauft. Außerdem einigen Plunder für mich – aber wo ist Fanny?»
«Sie wird sich ja so ärgern, dass sie zu deiner Begrüßung nicht da war!»
«Unsinn, warum denn? Es ist doch Donnerstag, nicht? Ich nehme also an, dass sie beim Kotillonball der Debütantinnen ist?»
«Ich dachte, dagegen sei nichts einzuwenden», sagte Selina etwas defensiv.
«Lady Weaversham hat sie zum Abendessen und nachher in ihrer Gesellschaft in die Upper Rooms eingeladen. Ich habe zugestimmt, da ich nicht erwartet habe, dass du schon heute wieder daheim sein würdest.»
«Aber natürlich!», sagte Abby. «Es wäre von Fanny sehr unhöflich gewesen, abzusagen!»
«Eben!», erwiderte Selina eifrig. «Noch dazu mit Lady Weaversham – einer so liebenswürdigen Frau, wie du sicher zugeben wirst. Überdies hat sie zwei Töchter, und daher ist es besonders freundlich von ihr, Fanny einzuladen! Denn es ist nicht zu leugnen, dass unsere Liebste das hübscheste Mädchen von Bath ist.»
«Oh, außer Frage! Was Lady Weaversham betrifft, so gibt es niemand Liebenswürdigeren, aber auch Zerfahreneren. Ich wollte – nein, nichts. Ich bin sogar froh, dass sie Fanny zu dem Ball mitgenommen hat, denn ich muss mit dir über Fanny sprechen.»
«Ja, Liebes, natürlich. Aber du bist müde und musst dich ja nach deinem Bett sehnen! Einen Teller Brühe –»
«Nein, nein, nur ein wenig Hafergrütze genügt», sagte Abby und lachte. «Ich habe zum Abendessen in Chippenham haltgemacht und ich bin nicht im Geringsten müde. Wir trinken Tee, sowie ich meinen Hut abgelegt habe, und genießen einen gemütlichen Plausch.»
Spitzbübisch fügte sie hinzu: «Du bist das Schuldbewusstsein in Person – als hättest du Angst vor Schelte! Aber ich würde meine älteste Schwester doch nicht ausschimpfen! So unverschämt bin ich nicht.»
Während Selina nach dem Tee läutete, verließ Abby den Salon und stieg die Treppe zu ihrem Schlafzimmer empor, wo sie Mrs. Grimston beim Auspacken antraf. Auf dem Gesicht dieser furchterregenden Dame hatte sich ein missbilligender Ausdruck eingenistet. Sie begrüßte Miss Wendover mit der Mitteilung, dass sie ja immer schon gewusst hätte, wie es ausgehen würde, wenn Miss Fanny allein mit Miss Selina bleiben würde. Betty Conner, die sich dann um Fanny kümmert, hätte mehr Haare als Verstand und sei dazu noch fahrig. «Sie treibt sich schon wieder überall herum!», sagte sie düster. «Konzerte, Bälle, Theater und Picknicks und ich weiß nicht, was noch alles!»
Abby hatte selbst Grund zu der Annahme, dass sich ihre Nichte viel mehr Freiheiten herausnahm, als ihr zustanden. Da sie jedoch nicht die Absicht hatte, die Sache mit Mrs. Grimston zu erörtern, antwortete sie bloß: «Nun ja, wie solltest du es auch wissen.»
Wie beabsichtigt, versank ihr altes Kindermädchen sofort in beleidigtes Schweigen.
Die Damen Wendover hatten ihre verwaiste Nichte faktisch seit deren zweitem Lebensjahr in ihrer Obhut. Damals starb Fannys Mutter, die einen totgeborenen Sohn entbunden hatte, und Fannys Papa vertraute das Töchterchen der Fürsorge ihrer Großmutter an. Als er selbst drei Jahre später starb, blieb Fanny wo sie war. In ihrem zwölften Lebensjahr fiel ihr Großpapa einem Jagdunfall zum Opfer. Seine Witwe hatte sich nach Bath zurückgezogen, statt an ihrem Witwensitz ein Klima zu ertragen, das ihrer zarten Konstitution nie gut getan hatte. Ihr verbleibender Onkel James, Fannys Vormund, war nur zu froh gewesen, das kleine Mädchen in der Obhut ihrer Großmutter zu lassen. Er war selbst Vater einer großen Familie, aber seine Frau, eine Dame starken Charakters, hegte nicht den Wunsch, seine Nichte aufzunehmen. Als Mrs. Wendover drei Jahre später starb, war bereits zu erkennen, dass Fanny ein ungewöhnlich schönes Mädchen werden würde. Mrs. James Wendover hegte weniger denn je den Wunsch, sie in ihren Haushalt aufzunehmen, wo sie nicht nur ihre Kusinen überstrahlen würde, sondern diese sogar lehren konnte, ebenso leichtherzig zu werden, wie sie selbst es war. Daher teilte James, Testamentsvollstrecker und Verwalter von Fannys Vermögen, seinen Schwestern gnädig mit, sie dürften – vorläufig – auch weiterhin auf das liebe Kind aufpassen. Es wäre zu schade (wie seine Cornelia ihm nahegelegt hatte), ihren Bildungsgang in einem der exklusiven Institute von Bath zu unterbrechen. Dem Brauch seiner Familie folgend, war James entschlossen, für Fanny eine vorteilhafte Partie zustande zu bringen. Er meinte jedoch, es sei noch Zeit genug, bis Cornelia die Pflicht hatte, Fanny in die Gesellschaft einzuführen. Freilich sah er nicht voraus, dass Cornelia, sobald Fanny dazu reif war, mehr denn je entschlossen sein würde, sie bei ihren Tanten zu lassen. Cornelia gestand, dass sie Fanny einfach nicht gern haben konnte, da sie an ihr eine traurige Ähnlichkeit mit deren armer Mutter entdeckte. Man durfte nur hoffen, dass sie nicht zu einem dieser modernen wirren Frauenzimmer heranwachsen würde. Cornelia war der Ansicht, dass Fannys Lebhaftigkeit sie nur dazu verführe, viel zu entgegenkommend zu sein. Aber was konnte man schließlich schon von einem Mädchen erwarten, das von zwei in sie vernarrten alten Jungfern erzogen wurde?
Die jüngere dieser vernarrten alten Jungfern ging wieder in den Salon hinunter, wo ihre Schwester bereits am Teetisch saß. Nach einem einzigen Blick auf ihr Reisekleid mit den weiten Ärmeln und dem kleinen Eckenkragen aus gestärktem Musselin begrüßte sie Selina sofort anerkennend mit dem Ausruf: «Du warst noch nie so hübsch! London, natürlich?»
«Ja, Mary war so nett, mich zu ihrer Thérèse zu bringen, was ich außerordentlich zuvorkommend von ihr fand.»
«Thérèse! Dann war es bestimmt entsetzlich teuer, denn Cornelia hat mir einmal gesagt – so boshaft von ihr! –, es sei nur zu hoffen, dass Mary mit ihrem Luxus George nicht ruiniere. Sie könne es sich nicht leisten, bei Thérèse arbeiten zu lassen.»
«Sie könnte, aber sie will nicht», sagte Abby und nippte an ihrem Tee. «Wie glücklich James sein muss, dass er eine Frau gefunden hat, die genauso ein Pfennigfuchser ist wie er!»
«Oh, Abby, wie kannst du nur! Denke doch daran, dass er dein Bruder ist!»
«Das tue ich ohnehin und ich habe noch nie aufgehört, es zu bedauern!», erwiderte Abby. «Jetzt zähle mir nur ja nicht die Liste seiner Tugenden auf, denn die machen ihn durchaus nicht liebenswerter – im Gegenteil. Außerdem ist er ein unverbesserlicher Wichtigtuer und ich bin ganz böse auf ihn.»
Selina hatte leise murmelnd protestiert, nun aber brach sie ab und fragte ziemlich scharf: «Hat James auch dir geschrieben?»
«Mir geschrieben?! Er ist doch tatsächlich persönlich nach London gekommen, um mir eine seiner schwülstigen Lektionen zu verpassen! Meine Liebe, was habt ihr bloß angestellt? Wer ist dieser windige Jüngling, der Fanny den Hof macht?»
«Das stimmt nicht!», ereiferte sich Selina, deren Gesicht rot anlief. «Es war Liebe auf den ersten Blick! Und es ist ein junger Mann mit wirklich netten Manieren! Stell dir vor, er lief ohne Schirm aus der Trinkhalle, um eine Sänfte für mich zu holen, und wurde triefnass. Du weißt, wie das in Bath ist, wenn es plötzlich zu regnen anfängt ist nie eine Sänfte oder Droschke zu haben. Ich war überzeugt, dass er sich erkältet oder vielleicht sogar eine Lungenentzündung bekommt, aber er tat es trotzdem – äußerst liebenswürdig, dieser Mr. Calverleigh! Und er hatte damals noch kein Wort mit Fanny gewechselt, denn sie begleitete mich nicht. Ich erinnerte mich, dass ich ihn zwei – nein, drei Tage vorher in den Upper Rooms gesehen hatte, er aber sah uns nicht, und bei dieser Gelegenheit war Fanny bei mir. Also wenn du glaubst, dass er mir die Sänfte nur holte, weil er mit ihr bekannt werden wollte, dann irrst du dich gewaltig, Abby! Wenn er das vorgehabt hätte, dann hätte er von Mr. King verlangt, dass er uns in den Upper Rooms vorgestellt wird. Und außerdem», schloss sie mit siegessicherer Miene, «– er ist kein Jüngling! Er dürfte meiner Meinung nach so alt wie du sein, sehr wahrscheinlich sogar älter!»
Wider Willen musste Abby über dieses verwirrte Gerede lachen, schüttelte jedoch gleichzeitig den Kopf und seufzte: «Oh, Selina, du Dummerchen!»
«Ich nehme an, du beabsichtigst, mir Vorwürfe zu machen», sagte Selina, die sehr aufrecht auf ihrem Stuhl saß. «Ich habe aber nicht die leiseste Ahnung, weshalb. Fanny hatte schon vor deiner Abreise sehr viele Verehrer und wenn ich gesagt habe, sie sei zu jung, um auf Bälle zu gehen, hast du erwidert, ich sei altmodisch. Du hast auch gesagt, dass sie ihr Londoner Debüt viel mehr genießen wird, wenn sie schon vorher ein paar Gesellschaften mitgemacht hat. Das ist völlig richtig, denn es gibt nichts so – so Tödliches, als vom Schulzimmer weg losgelassen zu werden, gleichgültig wie viel Tanzstunden und Anstandsunterricht man gehabt hat. Besonders, wenn man ein bisschen schüchtern ist – nicht, dass ich sagen will, Fanny sei schüchtern –, ja ich frage mich manchmal, ob sie nicht allzu – obwohl sie ist niemals ungehörig! Und wenn James dir etwas vorgeschwatzt hat, dann verlass dich darauf, dass es dieses abscheuliche Frauenzimmer war, Cornelias Busenfreundin! Man kann von Cornelia nichts anderes erwarten, als dass sie sich mit einem so verleumderischen Geschöpf wie dieser Mrs. Ruscombe befreundet. Also du kannst dich darauf verlassen, dass sie es war, die James aufgehetzt hat. Mr. Calverleigh grüßt nämlich Mrs. Ruscombes bleiche Tochter gerade nur mit der üblichen Höflichkeit, obwohl er regelrecht vorgestellt wurde und alle Ermutigung erfährt, um hinter diesem Mädchen herzulaufen!»
«Ja, sehr wahrscheinlich!», stimmte Abby zu.
«Na bitte!», sagte Selina triumphierend.
Darauf antwortete Abigail nicht sofort, sagte jedoch nach einer Weile: «Wenn das alles wäre – aber das ist es nicht, Selina! George ist kein Verleumder, und er sprach von Calverleigh doch mit größter Verachtung. Er hielt es für richtig, mich zu warnen, dass der junge Mann ganz und gar nicht das Richtige sei. Abgesehen davon, dass er ein Spieler ist, scheint er auch ein stadtbekannter Mitgiftjäger zu sein. Ja, es geht das Gerücht, Fanny sei nicht die erste Erbin, um die er sich bemüht. Da hat es irgendein dummes Mädchen gegeben, das bereit war, mit ihm durchzubrennen – das war erst im vergangenen Jahr! Zum Glück wurde der Plan vereitelt und die ganze Sache vertuscht.»
«Das glaube ich einfach nicht», erklärte Selina, zitternd vor Empörung. «Nein, und ich staune, dass George einen solchen – solchen Klatsch aus der Dienstbotenstube wiederholt! Das kann wirklich nicht wahr sein. Ich halte Calverleigh für einen feinen Gentlemen und das ist auch die Meinung aller Übrigen in Bath.»
«Oh, Selina, welch eine Übertreibung! Du weißt sehr gut, dass Lady Trevisian ihn nicht sehr schätzt. Sie erzählte Mary, dass sie dir, knapp bevor sie Bath verließ, geraten hat, du solltest klug sein und Calverleigh zurückweisen. So hat ja George überhaupt erst von der Sache erfahren.»
Sehr aufgebracht sagte Selina: «Ich staune, dass ihr nichts Besseres eingefallen ist, als in ganz London Klatsch zu verbreiten! Und außerdem aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, wie ich sehr bald entdeckte – nicht, dass ich sagen will, dass es von Fanny nicht sehr unrecht war. Ich versichere dir, ich habe es ihr auch gesagt! Und alles nur, weil Lady Trevisian sah, wie Fanny mit Calverleigh in den Sydney Gardens spazieren ging. Sie hat ihn ganz zufällig getroffen, will ich hinzufügen. Betty war natürlich dabei – zumindest am Anfang. Ich habe also Fanny streng ausgescholten und ihr gesagt, wie grässlich es wäre, wenn die Leute sie für leichtfertig hielten. Ja, und ich sagte, ich sei erstaunt über Mr. Calverleigh. Das erzählte sie ihm vermutlich, denn er hat mir sofort am nächsten Tag einen morgendlichen Besuch abgestattet, um sich zu entschuldigen. Er hat mir erklärt, er sei zum ersten Mal in Bath, deshalb habe er nicht gewusst, dass es sich für ein junges Mädchen von Stand nicht schicke, in den Anlagen – vom Irrgarten nicht zu reden – ohne die Spur einer Anstandsdame spazieren zu gehen, nicht einmal mit ihrer Zofe. Denn Fanny hatte Betty heimgeschickt, was sehr schlimm von ihr war – höchst gedankenlos. Nur ist sie eben noch so unerfahren, dass ich überzeugt bin, sie hatte keine Ahnung – und ich versichere dir, Calverleigh hat genau das Gefühl dafür, was sich gehört!»
«Wirklich?», sagte die jüngere Miss Wendover trocken. «Nun, du wirst wohl nicht annehmen, dass ich aus einer Mücke einen Elefanten machen will! Aber es ist nun einmal so, Selina, dass Calverleigh, so einnehmend er auch sein mag, für Fanny nicht der Richtige ist. Wenn auch George, der viel zu gutmütig ist, um über Leute zu schimpfen, bloß weil er sie nicht mag, ihn einen lockeren Vogel nennt, was vermutlich Wüstling bedeutet –»
«Abby! Oh, nicht doch!», rief Selina verletzt aus.
«Na ja, irgendetwas höchst Unerwünschtes muss wohl an ihm sein, wenn James in größter Aufregung mit der Post nach London rast!»
«Ja, weil er will, dass die arme Fanny eine glänzende Partie macht. Ich schätze meinen Bruder, wie das meine Pflicht ist, aber ich muss schon sagen, dass er meiner Meinung nach diesbezüglich einen Vogel im Hirn hat!»
«Es war mehr als das», sagte Abby langsam, und auf ihrer Stirn stand eine Falte. «Er schien mir fast überwältigt zu sein. Ja, er konnte den Namen nicht ohne Schaudern aussprechen. Ich hätte ja lachen mögen, wenn er mich nicht so erzürnt hätte. Denn als ich ihn fragte, warum er eigentlich Calverleigh so heftig verabscheut – musste er natürlich den Mund so affektiert verziehen und sagen, das sei nichts für meine Ohren. Ich müsse mich damit zufriedengeben, mich an sein Urteil zu halten. Falls ich die Sache nicht im Keim erstickte, würde nichts übrigbleiben, als Fanny aus unserer Obhut zu entfernen.»
«Was?!», keuchte Selina.
«Sei nur ja nicht gleich verzweifelt, meine Liebe!», sagte Abby lächelnd. «Er kann ja davon reden, Fanny in sein Haus – oder eigentlich Fannys Haus – zu übersiedeln, aber ich denke, dass er dabei auf allerhand heftigen Widerstand bei Cornelia stoßen würde. Sollte er sich darin ihr gegenüber behaupten, dann wäre das bestimmt zum ersten Mal in seinem Leben!»
«Das wäre der denkbar schlechteste Ausgang. Fanny würde elendig eingehen!», brachte Selina stammelnd heraus.
«Oh, sie würde davonlaufen!», antwortete Abby heiter. «Das habe ich ihm gesagt, was ihm Gelegenheit bot, ihre Erziehung zu beklagen. Aber bevor wir uns wirklich in die Haare gerieten –»
«Das darfst du nicht! Um Himmels Willen wie oft hat dich die liebe Mama gebeten, nicht so – so ungestüm zu sein!»
«Nein, natürlich sollte ich es nicht sein, aber es ist ja nichts passiert. Mary war ja da und den möchte ich sehen, der angesichts ihrer vernünftigen Gelassenheit zu toben beginnt. Sie sagte in ihrer wohltuenden, gemütlichen Art – du kennst sie ja –, was denn das für ein Getue sei wegen einer Tändelei, die doch niemals ernsthafte Ausmaße annehmen würde, wenn James davon absehen könnte, sie zu einer großartigen Tragödie zu machen. Fanny werde dadurch nur auf die Idee gebracht, sie sei eine moderne Julia. Das hat bei James ziemlichen Eindruck gemacht, und bei mir auch!»
Abby schwieg, als sie merkte, dass ihre Schwester diese Gefühle nicht teilte. «Bist du nicht auch der Meinung?»
Selinas sanfte Augen füllten sich gefühlvoll mit Tränen und sie sagte mit bebender Stimme: «Wie kannst du nur so herzlos sein? Du hast doch selbst, ich weiß nicht wie oft, gesagt, unser Liebling solle niemals so geopfert werden, wie man das mit dir getan hat! Wenn ich mich erinnere, wie du gelitten hast – wenn ich an dich denke – an dein vernichtetes Leben –»
«Selina, bist du verrückt geworden?», unterbrach Abby sie und betrachtete ihre Schwester entgeistert. «Wieso soll ich denn gelitten haben?»
«Du kannst ja versuchen, mich zu anzuschwindeln, aber du wirst mich nie überzeugen, dass du deine Qualen vergessen hast, als Papa dem armen Mr. Thornaby verboten hat, sich dir je wieder zu nähern! Ich jedenfalls vergesse es nicht!», erklärte Selina.
«Ach, du lieber Himmel!» Der besorgte Blick in Abbys Augen wich einer nicht zu unterdrückenden Erheiterung. «Mein liebstes Gänschen, versuch doch, es zu vergessen! Ich habe es getan. Das versichere ich dir! Ja, ich weiß nicht einmal mehr genau, wie er überhaupt aussah. Obwohl ich mich erinnere, dass ich damals glaubte, das Herz würde mir brechen. Mit siebzehn ist das so, nur entdeckt man später, dass man die Sache völlig missverstanden hat.»
Dieser traurige Mangel an Empfindsamkeit entmutigte Selina einen Augenblick. Sie fasste sich jedoch schnell wieder und sagte mit der Miene grenzenlosen Verständnisses: «Meine Liebste, du warst ja immer so tapfer! Aber wenn du Mr. Thornaby vergessen hast, warum hast du dann den Heiratsantrag Lord Broxbournes abgelehnt? Der Antrag war wirklich schmeichelhaft. Und der Lord war ein so vortrefflicher Mann mit einem höchst überlegenen Geist und einfach allen Eigenschaften, die ihn zu einem annehmbaren Gemahl machten!»
«Mit Ausnahme der einen: Er war todlangweilig.» Wieder begannen Abbys Augen zu tanzen. «Hast du dir etwa vorgestellt, dass ich all diese Jahre hindurch ein gebrochenes Herz hätschle? Meine Liebe, verzeih, aber es ist völlig sinnlos, mich zur Heldin einer tragischen Romanze zu machen. Diesbezüglich werde ich dich immer enttäuschen müssen.»
«Als nächstes wirst du mir noch erzählen, dass auch du entschlossen seist, eine glänzende Partie für die arme kleine Fanny zustande zu bringen. Ich hoffe, dazu kenne ich dich dann doch zu gut, um dir das zu glauben.»
«Das hoffe ich auch. Ich gebe ja zu, dass Papa vielleicht zufällig Recht hatte, als er Thornaby wegjagte. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass seine Entschlossenheit – und die unseres Großvaters vor ihm und unseres Bruders James nach ihm! –, für jedes seiner Kinder nur die vorteilhafteste Partie einzufädeln, an Besessenheit grenzte! Und du kannst sicher sein: Ich werde es nicht zulassen, dass Fanny so wie du und Jane geopfert wird! Mary war so entgegenkommend, sich in George zu verlieben, aber denke nur an Jane, die zu der Ehe mit diesem grässlichen Kerl praktisch gezwungen wurde, der außer seinem Reichtum und seinem Titel nichts hat, das für ihn spricht!»
Selina, die aus dem ihr eingeimpften Glauben, ihr Vater müsse es am besten wissen, ihr ganzes Leben lang Trost bezogen hatte, erwiderte schwach: «O nein! Wie kannst du so etwas sagen, Abby? Man würde meinen – nicht, dass er – vielleicht war er manchmal ein bisschen ... Aber ich bin überzeugt, er tat nur, was er für richtig hielt!»
«Wenn Papa nicht gewesen wäre», sagte Abby unerbittlich, «hättest du den gewissen Kuraten geheiratet – seinen Namen habe ich vergessen, aber ich bin überzeugt, du wärst sehr glücklich geworden, mit einem ganzen Stall voller Kinder und ... O Liebste, verzeih! Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen!»
Selina war tatsächlich in Tränen ausgebrochen, aber sie wischte sie ab und sagte: «Nein, nein! Es war nur die Erinnerung. Selbst die liebe Mama, die alle meine Gefühle teilte, konnte mir ihre Besorgnis nicht verhehlen, dass er noch vor seinem vierzigsten Lebensjahr eine Glatze bekommen würde. Du bist diejenige, die zu bemitleiden ist!»
«Kein bisschen! Ich trauere Thornaby nicht nach und wurde nicht geopfert, wie Jane! Nein, und ich lasse nicht zu, dass James auch aus Fanny ein Opfer macht. Darauf kannst du dich verlassen! Andererseits jedoch, meine Liebe, lasse ich es auch nicht zu, dass sie sich auf den erstbesten Mitgiftjäger einlässt, der ihr den Hof macht.»
«Aber das ist er bestimmt nicht!», protestierte Selina. «Er besitzt sehr beträchtliche Güter im Berkshire und stammt aus einer höchst vornehmen Familie. Ich glaube, er kann seinen Stammbaum Hunderte von Jahren zurückverfolgen!»
«Nun, über seine Ahnen weiß ich nichts, aber nach allem, was ich erfahren habe, zeichnet sich die derzeitige Familie einzig durch Liederlichkeit aus. Der Ruf dieses Mannes ist schlecht und James zufolge war sein Vater weit davon entfernt, achtbar zu sein. Was seinen Onkel betrifft: Der scheint, nachdem man ihn in Eton hinausgeworfen hat, jede überspannte Torheit ausgekostet zu haben. Schließlich hat ihn seine Familie nach Indien verfrachtet und deutlich gemacht, dass er ihr nie wieder unter die Augen kommen soll. Die Besitzungen sind, wie George sagt, schwer belastet. Und wenn du glaubst, dass alle diese Umstände Stacy Calverleigh zu einem passenden Bewerber machen –»
«O nein, nein, nein!», rief Selina verzweifelt aus. «Nur kann ich einfach nicht glauben, dass der arme Calverleigh –es dünkt mich, dass die Sünden der Väter immer an den Kindern gerächt werden. Und hier ist es auch noch ein ausgesprochen verdorbener Onkel! Calverleigh hat so einnehmende Manieren und immer genau das richtige Auftreten, außerdem ist er taktvoll und – oh, ich glaube es nicht!»
«Nun, das alles hat George gesagt und du musst zugeben, er ist überhaupt nicht prüde im Unterschied zu James.»
Abby schwieg und überlegte stirnrunzelnd: «Und dabei würde ich annehmen, dass ein Wüstling eigentlich ein gewinnendes Wesen haben muss – du nicht auch?»
«Abby!» Selina stockte der Atem. «Ich muss dich doch sehr bitten, deine Zunge zu hüten! Wenn dich jemand hört!»
«Aber es kann mich ja niemand außer dir hören», erklärte Abby. «Und alles, was ich gesagt habe, war nur –»
«Ich weiß nichts über diese Sorte von Menschen!», unterbrach sie Selina hastig.
«Nein, ich auch nicht», sagte Abby mit leichtem Bedauern. «Außer natürlich dem, was ich gelesen habe. Und einmal bin ich auf einem Ball bei den Ashendens einem solchen Mann begegnet – er war unterhaltsam. Das war vor Jahren! Papa sagte, er würde keiner seiner Töchter erlauben, dass sie auch nur ein einziges Mal mit einem solchen Burschen tanzt. Nur hatte ich es bereits getan und es war sehr angenehm gewesen! Ich weiß nicht, ob er ein Wüstling war, aber ich weiß, dass er ernsthaft geflirtet hat – und nicht etwa, weil Rowland es mir erzählte! In seiner überheblichen Art, ganz wie Papa – du weißt ja!»
Es war offenkundig, dass Miss Selina Wendover entschlossen war, was immer sie wissen mochte, zu vergessen. Unter Aufbietung aller Autorität ihrer Jahre sagte sie im Ton ernstesten Tadels: «Muss ich dich erst daran erinnern, Abigail, dass der liebe Rowland tot ist?»
«Nein, und du brauchst mich auch nicht daran zu erinnern, dass er unser ältester Bruder war. Oder mich bei diesem abscheulichen Namen nennen! Was immer ich Papa verzeihen könnte, den niemals! Abigail! Die Bezeichnung für Zofen!»
«Einige Leute halten es für einen reizenden Namen», sagte Selina und warf Abby einen listigen Blick zu. «Einer von ihnen ist Kanonikus Pinfold, der außerdem auch dich für reizend hält. Er sagt, der Name komme aus dem Hebräischen und bedeute ‹der Vater frohlockte›.»
Nach kurzer Verblüffung brach ihre unverbesserliche Schwester in lautes Gelächter aus. Es dauerte eine Zeitlang, bis sie hervorbrachte: «D-das k-kann P-papa einfach nicht gewusst haben! Er w-wollte d-doch noch einen Sohn!» Als sie endlich zu lachen aufhören konnte, raubte ihr Selinas schmerzlich vorwurfsvoller Blick fast wieder die Fassung. Sie biss sich auf die Lippen und sagte mit zitternder Stimme: «Kümmere dich nicht um mich. Du weißt ja, wie ich bin. Und was in aller Welt hat das alles mit Fanny zu tun? Selina, ich merke, dass du eine Schwäche für Calverleigh hast, aber selbst wenn er die begehrenswerteste Beute auf dem Heiratsmarkt wäre, gefiele es mir trotzdem nicht. Guter Gott, willst du wirklich, dass sie mit dem ersten ihr bekannten Mann, der weder mittleren Alters noch ein Jüngling ist, den sie seit ihrer Schulzeit kennt, in die Ehe rennt? Mit siebzehn!»
«Ich habe ihr gesagt, sie sei zu jung, um von ernsten Gefühlen zu reden», rechtfertigte Selina ihr Verhalten. «Ja, und ich sagte auch, ihr Onkel würde es nie dulden. Sie müsse es sich aus dem Kopf schlagen.»
Das freilich verbannte augenblicklich jede Heiterkeit aus Abbys Gedanken. Entsetzt rief sie: «Nein! Das hast du ihr gesagt? O Selina, wenn du bloß das nicht getan hättest!»
«Das nicht getan?», wiederholte Selina und die Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben. «Aber du hast doch gerade gesagt ...»
«Ja, ja, aber siehst du denn nicht –» begann Abby, brach jedoch mitten im Satz ab, als sie erkannte, wie töricht es gewesen wäre, von Selina das zu erwarten, was ihrem eigenen Verstand so klar war. Etwas sanfter fuhr sie fort: «Ich fürchte, sie wird sich auflehnen – es hat die Unabhängigkeit ihres Geistes geweckt, die du so oft beklagst. Ja, ich weiß, du glaubst, sie sollte sich sanftmütig den Anordnungen ihres Vormundes beugen. Aber erinnere dich, dass sie nicht so wie wir dazu erzogen wurde, den unbedeutendsten Ausspruch eines Elternteils – oder einer Tante! – so zu betrachten, als sei es ein Sakrileg, ihn in Frage zu ziehen, und einfach undenkbar, ihm nicht zu gehorchen.»
Selina erwiderte empört: «Also, ich muss schon sagen, Abby, ausgerechnet du sagst so etwas, die du nie auch nur den geringsten Respekt für Papas Urteil an den Tag gelegt hast! Und wenn ich daran denke, wie oft ihr aneinandergeraten seid und die liebe Mama und mich in Todesqualen der Angst versetzt habt – also! Liebste», fügte sie hastig hinzu, «nicht, dass ich damit sagen will, dass du Papa wirklich je ungehorsam gewesen wärst. Denn das warst du keineswegs!»
«Nein», stimmte ihr Abby gedämpft zu, «ein recht armseliges Ding war ich, nicht?»
Der traurige Ton erschreckte Miss Wendover, aber gleich darauf machte sie sich klar, dass er aus Ermüdung und Besorgnis kam. Es war ihre Pflicht, die arme Abby abzulenken. Mit dieser liebenswürdigen Absicht sagte sie ihr zunächst mit einem milden Auflachen, sie sei ein schlimmes Kätzchen. Dann erging sie sich in einem Bericht über die verschiedenen Ereignisse, die in letzter Zeit in Bath vorgefallen waren. Ihr ausschweifendes Geplauder umfasste Themen wie das, was ihr neuer Arzt ihr über russische Dampfbäder erzählt hatte, wie sehnsüchtig die liebe Mrs. Grayshott die Rückkehr ihres Sohns aus Indien erwarte – falls der arme junge Mann die Reise überleben würde, so krank wie er in dem grässlichen Land geworden war - und wie sehr sie der armen Laura Butterbank verpflichtet war. Die hatte keine Mühe gescheut, sie während Abbys Abwesenheit aufzuheitern und zu stützen. Miss Butterbank hatte täglich bei ihr gesessen und mit ihr geschwatzt und war begeistert gewesen, jede kleine Besorgung für Selina in der Stadt auszuführen. Aber hier unterbrach sie sich und beschuldigte die Schwester, keinem Wort zuzuhören, das sie sagte.
Abby hatte tatsächlich das sanfte Geplätscher des leeren Geredes an sich vorbeifließen lassen, bei diesem Vorwurf rief sie jedoch ihre Gedanken zur Ordnung und sagte: «Doch, doch, ich höre zu. Mrs. Grayshott – Miss Butterbank! Ich freue mich, dass sie dir während meiner Abwesenheit Gesellschaft geleistet hat – da Fanny es anscheinend nicht getan hat!»
«Um Himmels Willen, Abby, wie du alles missverstehst! Kein Mensch hätte aufmerksamer sein können als dieses süße Kind! Aber da so viel von ihrer Zeit für den Musikunterricht und die Italienisch-Stunden in Anspruch genommen wird und so viele ihrer Freundinnen hier leben, die sie ständig auf einen Spaziergang in die Umgebung oder zu einem Picknick einladen – wirklich völlig einwandfrei! –, bin ich überzeugt, dass es nicht verwunderlich ist – ich meine, da Laura mir täglich das Vergnügen ihrer Gesellschaft gönnte, gab es keinen Grund, warum Fanny hätte daheim bleiben sollen. Es wäre wirklich sehr egoistisch von mir gewesen, es von ihr zu verlangen. Ja, und es wäre höchst unnatürlich, wenn sie nicht gern mit Mädchen ihres Alters beisammen wäre.»
«Stimmt. Oder selbst mit dem faszinierenden Calverleigh!»
«Also, Abby!»
«Aber sicher wäre es unnatürlich», sagte Abby aufrichtig. «Jedes Mädchen zieht die Gesellschaft eines fesselnden jungen Mannes der ihrer Tante vor. Aber es geht nicht, Selina.»
«Ich bin überzeugt, wenn du einmal seine Bekanntschaft gemacht hast – nicht dass ich sie auch nur einen Augenblick lang ermutigen würde – oh, wie rührend das Ganze ist! Aber sagen wirst du es ihr müssen, denn ich weiß, ich könnte es nie übers Herz bringen.»
«Liebste, so schrecklich ist es nicht, dass du dir Kummer machen müsstest. Sicherlich ist es eine unglückliche Affäre und ich wünschte von ganzem Herzen, dass ihr eine so schmerzliche Enttäuschung erspart bliebe, aber sie wird es überwinden. Und ihr verbieten Calverleigh zu sehen oder ihr das zu erzählen, was man von ihm spricht – so eine Gans bin ich nicht! Sie würde mit fliegenden Fahnen zu seiner Verteidigung eilen! Aber was wäre, wenn er sich zurückzieht? Nicht aus Zwang, sondern weil er entdeckt, dass sie nicht so ein reiches Prachtexemplar ist, wie er annimmt? Sie wird vielleicht etwas unglücklich sein, aber nicht lange. Die Sorte Mädchen ist sie nicht, die um eines bloßen Flirts Willen schwermütig wird!»
Nachdenklich fügte sie hinzu: «Und unter diesen Umständen kann sie sich doch nicht einbilden, dass sie eine unglückliche Liebende sei, oder? Ich habe wirklich das Gefühl, das müsste um jeden Preis vermieden werden. Wenn ich auch selbst nie blind verliebt war, so kann ich doch ohne Weiteres begreifen, wie romantisch es sein kann. Selina, ich habe Fannys Mutter nie richtig kennengelernt, aber du müsstest sie doch eigentlich gekannt haben. War sie so ein Feuergeist wie Fanny? War sie vielleicht zu stürmisch, um den Vorstellungen der Wendovers von Anständigkeit zu entsprechen?»
«Celia? Du lieber Himmel, nein!», antwortete Selina. «Sie war sehr hübsch – wirklich lieblich als Mädchen, aber später hat sie verloren. Ich hoffe und bete, dass es bei Fanny nicht so wird, denn im Gesicht sieht sie ihr sehr ähnlich. Und Mama pflegte immer zu sagen, blonde Schönheiten halten sich nur selten. Aber im Wesen ist Fanny ihr nicht im Geringsten ähnlich. Sie ist so lebhaft, die arme Celia war ein sehr stilles, schüchternes Mädchen und höchst beeinflussbar. Warum fragst du mich nach ihr?»
«Da war etwas, das James gesagt hat. Ich habe es nicht sehr beachtet, aber es bezog sich auf Fannys zu große Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Und dann schwieg er ganz plötzlich. Als ich ihn fragte, was er meine, speiste er mich damit ab, dass er sagte, Fanny sei genauso töricht wie ihre Mutter. Aber ich glaube nicht, dass es das war, was er in Wirklichkeit gemeint hat. Mary ist auch meiner Meinung. Sie erinnert sich natürlich an mehr als ich und sie erzählte mir, dass ihr Älteren immer der Meinung wart, es hätte sich irgendetwas abgespielt – vielleicht irgendeine Unbesonnenheit –»
«So etwas habe ich nie geglaubt!», unterbrach sie Selina energisch. «Selbst wenn, dann hätte ich es für höchst unanständig gehalten, herumzuschnüffeln. Hätte Mama gewünscht, dass ich etwas darüber erfahre, dann hätte sie es mir erzählt.»
«Also war doch irgendetwas los!», sagte Abby. «Ein Skelett in unserem ehrbaren Familienschrank! Wenn ich bloß erfahren könnte, was es war. Aber bestimmt würde sich dann herausstellen, dass es nur das Skelett einer Maus war.»
Kurz nach elf ertönte leises Klopfen an Abbys Schlafzimmertür und gleich darauf trat Miss Fanny Wendover ein. Sie lugte zuerst vorsichtig ins Zimmer, als sie ihre Tante vor dem Toilettentisch sitzen sah, quietschte sie freudig auf, lief zu ihr, warf sich in Abbys Arme und rief aus: «Du bist noch nicht im Bett und schläfst! Ich habe es der Grimston doch gleich gesagt! Wie ich mich freue, dich wiederzusehen! Ich hab dich so vermisst, liebe, liebe Abby!»
Es hätte Abby nicht überrascht, wenn sie mit Zurückhaltung begrüßt worden wäre. Auch nicht, wenn Fanny ihr in der vorsichtigen, halb trotzigen Art eines Mädchens begegnet wäre, das Kritik erwartet und bereit ist, sich zu verteidigen. Aber in dieser Begrüßung war keine Spur von Verlegenheit. Nichts als Liebe stand in den schönen Augen, die sich so unschuldig zu den ihren erhoben, als sich Fanny zu Abbys Füßen niederließ und ihre Hände ergriff.
«Ohne dich ist es grässlich!», sagte Fanny und drückte Abbys Hände. «Das kannst du dir nicht vorstellen!»
Abby beugte sich runter und küsste Fanny auf die Wange, sagte aber mit spöttischem Mitleid: «Mein armer Liebling! So streng und unfreundlich wie Tante Selina war! Ich habe ja gefürchtet, dass es so sein würde.»
«Genau deshalb hab ich dich ja so vermisst!», sagte Fanny und lachte fröhlich. «Ich habe Tante Selina wirklich gern, aber – aber ein großer Witzbold ist sie nicht. Und kein bisschen flott!»
«Das glaube ich kaum», erwiderte Abby vorsichtig. «Nicht, dass ich wüsste, was flott bedeutet, aber es klingt wirklich nicht nach Selina. Wenn ich hinzufügen darf, klingt es außerdem nicht nach der Sprache, die man von einem Mädchen mit vornehmer Erziehung erwarten würde!»
Das ließ Fannys Augen tanzen. «Stimmt. Es ist Umgangssprache und bedeutet – hm, gescheit und lebendig! Wie du eben bist!»
«Aber nein, wirklich? Vermutlich willst du mir damit ein nettes Kompliment machen. Aber wenn du es je wagst, mich wieder so zu nennen, Fanny, werde ich – werde ich – nun ja, ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Aber du kannst dich darauf verlassen, dass es etwas Schreckliches sein wird. Flott! Du lieber Himmel!»
«Werde ich nicht mehr», versprach Fanny. «Aber jetzt, bitte, bitte, sei ernst, geliebte Tante! Ich habe dir so viel zu erzählen! Etwas von – von allerhöchster Wichtigkeit.» Abby verspürte einen starken Drang, Fanny abzuwimmeln, unterdrückte ihn jedoch und sagte mit einer, wie sie hoffte, nicht allzu abweisenden Stimme: «Nein, wirklich? Dann will ich mich bemühen, völlig ernst zu sein. Worum handelt es sich denn?»
Fanny sah ihre Tante prüfenden an. «Hat dir nicht schon Tante Selina oder vielleicht Onkel James von – von Mr. Calverleigh erzählt?»
«Von Mr. –? Oh! Ist das der elegante Londoner, dessen Herz du mit einem einzigen Pfeil aus deinen Augen tödlich durchbohrt hast? Aber natürlich haben sie das und ich fand es sehr unterhaltsam! Das heißt», korrigierte sie sich in einem vorgetäuscht strengen Ton, «dass sie natürlich sehr Recht mit ihrer Meinung haben, du seist viel zu jung, um schon einen Flirt anzufangen. Das ist höchst frühreif von dir, mein Liebes – völlig ungehörig!»
Das erwartete Lächeln von Fanny blieb aus. «So ist es gar nicht», sagte sie. «Gleich im ersten Augenblick unserer Begegnung…», Fanny schwieg und holte tief Luft, «liebten wir einander!», sprudelte es aus ihr heraus. Ein so offenes Eingeständnis hatte Abby nicht erwartet. Es fiel ihr als Antwort nichts anderes ein, als dass es wie ein Märchen klänge. Das hätte sie jedoch nicht sagen sollen, wie sie gleich darauf erkannte.
Fanny sah sie mit einem glühenden Blick an und sagte schlicht: «Ja, genau das ist es! Oh, ich wusste doch, du würdest es verstehen, liebste Tante! Obwohl du ihn noch nicht kennengelernt hast. Aber wenn du ihm begegnest – oh, du wirst vernarrt sein in ihn! Hoffentlich stichst du mich bei ihm nicht aus!»
Abby gönnte dieser Schmeichelei ein Lächeln, empfahl ihrer ekstatischen Nichte jedoch, keine dumme Gans zu sein.
«Oh, ich habe nur Spaß gemacht!», versicherte ihr Fanny. «Die Sache ist nämlich die, dass er kein dummer Junge ist wie Jack Weaversham oder Charlie Ruscombe oder – oder Peter Trevisian. Er ist ein Mann von Welt und viel älter als ich. Das macht es so besonders erfreulich – nein, so meine ich es nicht – so wunderbar, denn er hat, obwohl er Jahre lang ein Lebemann war, noch nie eine Frau getroffen, mit der ihm eine dauernde Verbindung erstrebenswert schien, bis er nach Bath kam und mich kennenlernte!» Überwältigt von dieser Betrachtung verbarg sie ihr Gesicht in Abbys Schoß und sagte erstickt: «Und er muss doch viel hübschere Mädchen kennengelernt haben, als ich es bin – glaubst du nicht?»
Miss Wendover war sich bewusst, dass es eine schlechte Angewohnheit von ihr war, das Erste, das ihr durch den Kopf schoss, sofort laut auszusprechen. Sie schluckte daher die Erwiderung: «Aber wenige mit so einer guten Mitgift!», hinunter und antwortete stattdessen: «Nun, da ich die neuesten Schönheiten der Gesellschaft nicht kenne, kann ich nichts dazu sagen. Aber dass dein erstes Opfer ein Londoner Geck wurde, ist sicherlich ein Triumph. Natürlich dürfte ich dir das nicht sagen – Tante Cornelia würde mir vorwerfen, ich unterstütze nur deine Eitelkeit –, also bitte ich dich, liefere mich nicht ihrer Kritik aus, indem du aufgeblasen wirst, mein Liebling!»
Fanny sah auf. «Ach, du verstehst es also doch nicht! Abby, es ist eine – eine Liebe für immer! Du musst mir das glauben! Hat dir Onkel James erzählt, dass er ein haltloser Schürzenjäger sei? Er hat ja einen so schlimmen Ruf! Das hat er mir selbst gesagt! Aber ich kümmere mich keinen Deut darum, denn wenn er sich auch schon oft eingebildet hat, dass er verliebt sei, hat er doch nie den Wunsch verspürt, zu heiraten, bis er mich kennenlernte! Und wenn Onkel James sagt, er sei ein bisschen vergnügungssüchtig, dann hätte er sich den Atem sparen können, denn auch das hat mir Stacy schon erzählt. Er sagte – oh, Abby, er sagte, er sei es nicht wert, meine Hand zu berühren und niemand könne meinem Onkel einen Vorwurf daraus machen, wenn er es ablehne, unserer Heirat zuzustimmen!»
Noch einmal verbarg sie ihr Gesicht in Abbys Schoß, hob es dann wieder und fügte hinzu: «Also verstehst du es doch bestimmt!»
Abby war der Meinung, dass sie sehr wohl verstand. Während sie den goldenen Schopf an ihrem Knie streichelte, sagte sie jedoch: «Aber was ist denn an der ganzen Geschichte dran, dass du dich so aufregst? Man würde meinen, dass dein Onkel seine Zustimmung bereits verweigert und euch beiden noch dazu grässliche Strafen angedroht habe!»
«Oh!», hauchte Fanny und blickte hoffnungsvoll zu ihr auf. «Willst du damit sagen, dass du glaubst, er würde sie nicht verweigern?»
«O nein!», sagte Abby. «Ich bin ganz sicher, dass er es tun wird! Und wenn ich auch keine hohe Meinung von seinem Urteil habe, so muss ich ihm doch zugestehen, dass er kein solcher Schwachkopf ist, die erste Bewerbung um deine Hand anzunehmen, die man ihm vorträgt. Da wäre er ja ein schöner Vormund, wenn er zuließe, dass du noch vor deiner ersten Saison in der Gesellschaft festgenagelt wirst. Ja, ich weiß, dass du die Haare sträubst, mein Liebling, und drauf und dran bist, ein Hühnchen mit mir zu rupfen, aber bitte tu’s nicht! Dein Onkel mag ja vielleicht von einer fabelhaften Partie für dich träumen, aber du weißt, dass ich das nicht tue. Ich träume nur von einer glücklichen Ehe für dich.»
«Ich weiß – oh, ich weiß!», versicherte Fanny inbrünstig. «Und deshalb wirst du mich unterstützen. Meine allerbeste Tante, sag, dass du es tun wirst!»
«Aber natürlich, wenn du mich überzeugen kannst, dass deine erste Liebe auch deine endgültige sein wird!»
«Aber das hab ich dir doch schon gesagt!», rief Fanny, hockte sich auf die Fersen und starrte Abby in steigender Empörung an. «Ich könnte nie mehr jemanden so lieben, wie ich Stacy liebe! Guter Gott, wie kannst du – ausgerechnet du! – so mit mir reden! Tante Selina hat mir erzählt, wie mein Großvater den Mann abgelehnt hat, den du geliebt hast! Und du hast nie wieder einen anderen geliebt und – und dein Leben wurde ruiniert!»
«Na ja, das habe ich damals geglaubt», gab Abby zu. Ein Lächeln zuckte in ihren Mundwinkeln. «Ich muss jedoch zugeben, dass ich, wann immer man mich an jenen ersten Bewerber erinnert, nur dankbar sein kann, dass ihn dein Großvater abgelehnt hat. Weißt du, Fanny, es ist eine traurige Wahrheit, dass die erste Liebe kaum jemals der endgültigen Liebe ähnlich sieht. Die jedoch ist der Mensch, den man heiratet und mit dem man bis zu seinem Lebensende glücklich ist!»
«Aber du hast doch nicht geheiratet!», murmelte Fanny rebellisch.
«Stimmt, aber nicht deshalb, weil ich ein gebrochenes Herz in meiner Brust trage. Ich muss gestehen, dass ich mich dutzende Male verliebt und wieder entliebt habe. Und was deine Tante Mary betrifft – sie hat man immer für die Schönheit der Familie gehalten und die Jungesellen lagen ihr zu Dutzenden zu Füßen. Der erste von ihnen war deinem Onkel George so unähnlich, wie man nur sein kann.»
«Ich dachte, mein Großvater habe diese Heirat arrangiert?», warf Fanny ein.
«O nein!», antwortete Abby. «Er stimmte ihr zu, aber George war nur einer von drei passenden Bewerbern! Er war weder der schönste noch der auffälligste von ihnen und er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit irgendeiner der ersten Lieben deiner Tante. Aber ich versichere dir, sie führen eine sehr glückliche Ehe.»
«Ja, aber ich bin nicht so wie Tante Mary», erwiderte Fanny. «Ich bin überzeugt, sie wäre mit jedem anderen liebenswerten Mann genauso glücklich geworden, weil sie eine glückliche Natur hat, abgesehen davon, dass sie sehr anpassungsfähig ist.» Sie zwinkerte Abby spitzbübisch zu. «Das bin ich jedoch ganz und gar nicht! Tante Mary ist wie ein herrlich weiches Kissen, das man in jede gewünschte Form zurechtdrücken kann. Aber ich – ich weiß sehr gut, was ich will und außerdem bin ich sehr resolut.»
«Also ein Dickkopf», stellte Abby mit einem Anflug von Güte fest, auch wenn sie diese keineswegs empfand.
Fanny lachte: «Ja, wenn du es so ausdrücken willst – allerschlimmste Tante! Jedenfalls habe ich vor, Stacy Calverleigh zu heiraten. Und mir ist egal, was Onkel James sagen oder tun wird!»
Abby wusste sehr gut, dass sich feurige junge Menschen durch nichts so sehr bestärkt sahen wie durch Widerspruch. Deshalb antwortete sie sofort: «O sicher! Aber lass mich dir einen Rat geben: Dein Vater war ein vorzüglicher Vorreiter bei der Fuchsjagd und er pflegte zu sagen, dass man über schweren Boden immer so leicht wie möglich reiten soll. Ich bin davon überzeugt, dass ihr – du und Mr. Calverleigh – damit warten solltet, Onkel James eure Absicht zu erklären, bis du ihm einen Beweis der Dauerhaftigkeit deiner Zuneigung liefern kannst.»
«Das wäre ihm gleichgültig, das musst du doch wissen! Und wenn du damit sagen willst, ich müsse warten, bis ich volljährig bin – o nein, so herzlos kannst du nicht sein! Vier ganze Jahre! Sobald du Stacy kennengelernt hast, wirst du es verstehen!»
«Ich würde mich freuen, ihn bald kennenzulernen.»
«Ich mich auch!», rief Fanny begeistert. «Du kannst dir nicht vorstellen, wie er mir fehlt! Er musste nämlich für ein paar Tage nach London fahren. Vielleicht ist er Ende der Woche wieder in Bath. Ganz bestimmt aber nächste Woche – darauf kannst du dich verlassen!»
Fannys Augen strahlten. Scheu berichtete sie von ihre erste Begegnung mit Mr. Calverleigh und schwärmte von seinen zahlreichen Reize. Abby lauschte und machte die passenden Bemerkungen, ergriff jedoch die erste sich bietende Gelegenheit, das Thema zu wechseln. Sie lenkte Fannys Aufmerksamkeit auf den Berg aus Stoffen, die sie in London erstanden hatte, und wollte wissen, ob sie ihr gefielen. Das klappte sehr gut. Begeistert stürzte Fanny sich auf eine halbdurchsichtige Gaze, deren einzelne Fäden so fein gewoben waren wie ein Spinnweben. Gemeinsam vertieften sie sich schnell in Fragen der Mode. Es wurde erörtert, ob ein krauser, himmelblauer Krepp mit einem Band oder lieber Musselin verziert werden sollte oder ob bei einem Tageskleid zirkassische oder bäuerliche Ärmel vorzuziehen seien. Dabei vergaß Fanny vorübergehend Mr. Calverleigh und ging gleich darauf zu Bett, um – wie Abby hoffte – von Mode zu träumen.
Am folgenden Morgen schien es, als sei dies der Fall gewesen war. Fanny besuchte ihre Lieblingstante noch bevor diese aufgestanden war, um ihr mehrere Modebilder in der neuesten Ausgabe des Ladies’ Home Journal zu zeigen. Stürmisch wollte sie Abby überreden, noch vor dem Frühstück zu einem Besuch des Ateliers an der South Parade aufzubrechen. Doch Abby wies sie darauf hin, dass Tante Selina, die keine Frühaufsteherin war, sehr verletzt wäre, wenn sie von dem Ausflug ausgeschlossen würde. Außerdem erinnerte sie Fanny daran, dass Selina in allen Geschmacks- und Modefragen unfehlbar war.
Fanny schmollte zwar, gab jedoch nach, weil sie wusste, dass Abby recht hatte. Sie mochte ja viele Ideen ihrer Tante als altmodisch abtun, Selinas Blick für das Elegante und Kleidsame hatte sie jedoch noch nie in Zweifel gezogen. In ihrer Jugend war Selina zwar die am wenigsten hübsche, wohl aber die modischste der Wendover-Töchter gewesen. Mittlerweile erfreute sie sich des Rufes, die bestangezogenste Dame von Bath zu sein. Auch wenn Fanny nicht Selinas Rat suchte, so war sie doch klug genug, ihr Urteil zu respektieren. Als sie kurz darauf Selina die Skizze eines viel zu überladenen Straßenkleides zeigte, das sie gerne tragen würde, erstickte Selinas verheerende Kritik diesen Wunsch im Keim.
«Aber Liebes!», sagte Selina mit gerümpfter Nase. «All diese Rüschen und Falten und Bänder – so kitschig!»
Also ward von diesem Modebild nichts mehr gesehen. Zu gegebener Zeit begaben sich alle drei Damen in Miss Wendovers neuer Kutsche, einem Landauer, zur South Parade, wo Madame Lisettes elegante Schauräume lagen.