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Ulli und Jane sind beleidigt. Niemand will ihre Hilfe: nicht auf dem Kartoffelacker und nicht im Rinderstall. Das ist nichts für Knirpse aus der dritten Klasse, meinen die Erwachsenen. Wenn die Meier-Line die beiden nicht auf eine gute Idee gebracht und Opa Annersrüm nicht ein bisschen mitgeholfen hätte, dann wäre es sicherlich schiefgegangen mit dem Geburtstagsgeschenk. Flüssig, spannend und humorvoll erzählen die Autoren die Geschichte aus dem Dorf Schwalbitz. LESEPROBE: Ulli und Jane suchen darunter wie alle anderen. Sie haben es nicht so schrecklich eilig, Opa in der Werkstatt zu besuchen. Sie brauchen Holz, wollen aber nicht danach fragen, denn die Großen sind komische Leute. Genau weiß man nie, was sie tun werden. Ganz langsam drückt Ulli die Nusshäuser zwischen den Handflächen kaputt. Und ebenso langsam pult Jane die gelben Knabberkerne heraus. Bis zur Straße ist das Kreischen der Kreissäge zu hören. Als Ulli und Jane endlich in die Werkstatttür gucken, besäumt Opa Annersrüm Bretter. Er ist mit feinen Sägeflocken beschneit. Auf seiner blauen Schirmmütze liegt eine dicke Schicht. Er bemerkt Ulli und Jane nicht. Die Säge schreit zu laut. Außerdem passt Opa scharf auf. Er peilt durch die Brille, die ihm auf der Nasenspitze sitzt, die Schnittkante entlang. Er will kein Brett verschneiden. Und seine Augen sind nicht mehr die jüngsten. Nur gut, dass Opa so in der Arbeit steckt! Ulli kann alles ungestört mustern. Seine Blicke gehen spazieren. Wo ist ein brauchbares Brett? Da am Schrank, dieses rechteckige! Ja, nicht zu groß und nicht zu klein. Ulli stupst Jane an und deutet darauf. Sogar blank gehobelt ist es. Aber um dahin zu kommen, muss er an Opa Annersrüm vorbei. Sechs Bretter hat der noch zu besäumen. Dann arbeitet er sicher an der Hobelmaschine, und Ulli hat hinter Opas Rücken freie Bahn. Er hat also Zeit, aber das Herz bubbert ihm schon mächtig. Soll er nicht lieber fragen? Und wenn Opa ihn auslacht? Nein, nein, er muss es so besorgen. Das letzte Mal frisst sich die Säge durch das Holz. „Du musst ihn ablenken“, flüstert Ulli. Jane nickt. Opa tritt von der Maschine zurück und schaltet sie aus. Die Säge hört auf, ihr schrilles Lied zu singen. Er freut sich, als er Ulli und Jane sieht. „Guck einer an, Besuch! Was bringt ihr Schönes?“ „Och, nichts, nein, wirklich nichts. Wir wollten nur mal sehen, wie’s dir geht, Opa.“ „Na, es geht so. Und jetzt wird gehobelt.“
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Seitenzahl: 64
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Hildegard und Siegfried Schumacher
Die Geburtstagsstraße
ISBN 978-3-95655-225-0 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1967 im Kinderbuchverlag, Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Die Sonne schickt ihre wärmsten Strahlen, den Rest vom Sommer. Es sind nicht mehr die heißen, die die Haut braun sengen. Doch sie treiben Jane und Ulli blanke Schweißtropfen aufs Gesicht. Mit wieselflinken Beinen laufen die beiden den sandigen Feldweg entlang. Zwischen ihnen pendelt ein dickbauchiger Kartoffelkorb. Staubwölkchen wirbeln unter ihren Füßen auf.
„Halt!“ Jane bleibt stehen und wischt sich mit der Schürze übers Gesicht. Dann streicht sie sich die Plusterhaare aus der Stirn und will wieder nach dem Henkel greifen. Aber Ulli nimmt den großen Rubbelkorb jetzt allein. Sie haben ihn ausgesucht, weil er sicher genauso viel fasst wie eine Kiepe. Nur rundet er sich breit und flach unter dem hohen Weidenbügel.
Jane und Ulli wollen bei der Kartoffelernte helfen, denn heute Mittag haben die Oktoberferien begonnen.
Schnell den gepflasterten Anberg zur Bollerbrücke hinauf! Unter ihnen gleitet die Breke silbern zwischen Wiesen und Feldern dahin.
Von hier aus sehen Ulli und Jane schon den riesigen Kartoffelschlag. Sie hören den Traktor bottern. Die Kopftücher der Sammelfrauen leuchten. Wieder setzen sich die beiden in Trab. Nun ist es nicht mehr weit.
Reihe um Reihe knabbert der Kartoffelgräber vom Feld ab. Mit seinen Schaufelarmen schleudert er Erdpakete zur Seite. Er deckt die braungelben Knollen auf, und viele fleißige Hände lesen sie in Kiepen.
„Vatis Motorrad“, brummelt Ulli, kraust die Nase und bleibt wie angewurzelt stehen. Als Agronom muss sich der Vater um so viele Felder kümmern. Aber ausgerechnet hier krebst er herum! Sollen sie sich nicht lieber verstecken, bis er fort ist? Und dann schummeln sie sich einfach unter die Sammler.
Doch Jane zerrt schon den Korb und Ulli, der daranhängt, hinter sich her. „Onkel Beck, Onkel Beck“, schreit sie, „wir sind hier!“
Ullis Vater spricht mit dem Traktoristen und hört es nicht. Der Traktor tuckert. Er tuckert lauter, als Jane schreien kann. Sie zieht Ullis Vater an der Jacke. Er dreht sich um. „Wir sind da! Wo sollen wir anfangen?“
„Ihr Knirpse wollt helfen?“ Der Traktorist lacht.
Da fährt Jane auf: „Knirpse! Wir sind dritte Klasse. Bald neun Jahre alt. Nicht wahr, Onkel Beck?“
„Ja, das stimmt. Aber helfen, Kinder, das geht nicht. Ihr könntet euch verheben. Euer Korb ist viel zu groß.“
„Vati, wir sammeln ihn nicht voll.“
„Nur halb.“
„Noch weniger, wenn du willst.“
„Nein, es kommt nicht infrage!“
Ulli und Jane lassen den Kopf hängen.„Onkel Beck, du kannst uns doch nicht nach Hause schicken“, sagt Jane traurig, und in ihren Augen schwimmen Tränen, weil man sie nicht haben will.
Oma Annersrüm mischt sich ein. Das blaue Kopftuch trägt sie tief in die runzlige Stirn gebunden. Die Zipfel hängen ihr links und rechts wie zwei Rattenschwänze auf den Rücken. „Spielt lieber, Kinder! Als ich so alt war wie ihr, musste ich schon rackern, mehr, als mir lieb war. Geht spielen, Jane, das ist viel gesünder.“
„Da hört ihr’s. Ab mit euch!“
Jane zieht die Tränen hoch, die ihr durch die Nase rutschen wollen. Ulli muss an dem Kloß schlucken, der im Hals drückt. „Immer spielen!“ mault er. Aber da fällt ihm etwas ein. „Vati, unsere Republik hat doch bald Geburtstag. Bis dahin sollen die Kartoffeln raus. Das schenkt unser Dorf der Republik, nicht wahr?“
Der Vater nickt.
„Siehst du, Jane und ich sind auch Dorf!“
„Aber nur das kleine. Und das muss noch wachsen! Ab morgen helfen außerdem die beiden neunten Klassen aus Lindenau. Unsere Susi ist auch dabei. Passt auf, am Siebenten können wir beruhigt feiern. Und nun marsch nach Hause, spielen!“
„Unsere Suse kann helfen“, knurrt Ulli, als sie am Feldrain stehen. „Spielen, ph! Da pfeif ich drauf!“
„Und ich erst“, schnieft Jane.
Sie schaut nicht auf die brennroten Hagebutten am Wegrand, Ulli hat keinen Blick für die blauen Schlehenkugeln. Der Weg ins Dorf wird ihnen lang, endlos lang. Schließlich liegt es doch dicht vor ihnen mit seinen niedrigen Einstockhäusern. Nur auf der „Blauen Schwalbe“, dem Dorfkrug, sitzt ein zweiter Stock. Seine Fenster gucken klein und blank auf das Katzenkopfpflaster.
Zwischen den Kastanienbäumen lugen Schule und Kirche hervor. Wie auf einer Insel stehen sie mitten in Schwalbitz. Die Straße windet sich um sie herum.
Ulli und Jane wohnen abseits vom Dorf in den Wiesen. Ihr Haus ist nagelneu wie frisch aus dem Baukasten. Links und rechts davon erheben sich die beiden Nachbarhäuser ebenso hell und neu und stattlich. Ihre roten Ziegeldächer leuchten vor dem mattblauen Herbsthimmel. Es sind die höchsten und größten Wohnhäuser von ganz Schwalbitz. Vier Familien passen in eines hinein, und jede hat ein Badezimmer. „Ganz neumodsch“, meint Opa Annersrüm. Er hat mitgebaut. Er ist der Genossenschaftstischler und Stellmacher in einer Person. Seitlich von den Neubauten zur Breke hin schimmern weiß sechs Rinderställe. Sie sind auch nicht alt. Das ist das Reich von Ullis Mutter. Sie arbeitet als Zootechnikerin in der Schwalbitzer LPG „Frohe Zukunft“.
„Ulli, ich weiß etwas. Wir helfen deiner Mutti.“
Janes Vorschlag verscheucht Ullis Trübsal. „Das ist eine gute Idee. Erst zu den Kälbchen.“
Sie laufen durch das Wiesengras, springen über schmale Gräben und schlüpfen durch stachlige Koppelzäune. „Halt!“
Ulli und Jane stoppen, drehen sich um. Im Tor vom Mastbullenstall steht Ullis Mutter.
„Wo wollt ihr hin? Könnt ihr nicht lesen?“
Natürlich können sie das. In der dritten Klasse kann jeder lesen. Wie geölt sogar.„Guckt mal!“ Ullis Mutter zeigt auf eine weiße Tafel mit schwarzer Schrift.
„Betreten für Unbefugte verboten!“, lesen Ulli und Jane. „Das heißt, ihr dürft hier nicht herumschnüffeln wie neugierige Igel.“
„Wir wollen mitarbeiten, Mutti. Können wir nicht die Kälbchen füttern?“
„Nein, das geht nicht, dazu seid ihr noch zu klein. Ein andermal zeige ich euch wieder die Kälber. Aber heute habe ich keine Zeit. Allein dürft ihr nicht in die Ställe. Das ist verboten.“
Jane und Ulli sehen zu Boden. Keiner will sie haben, und sie würden so gern helfen.
„Lauft nach Hause und schaukelt! Die Sonne lacht nicht mehr lange.“ Sie gibt ihnen einen leichten Klaps auf die Schulter und eilt ins Futterhaus.
Ulli und Jane starren ihr nach. Sie tut gerade, als wenn sie in den Kindergarten gehören. Der Rubbelkorb steht zwischen ihnen. Ulli stülpt ihn um und setzt sich rauf. Er räuspert sich die Kehle frei. „Wir sind Unbefugte.“
„Aber es ist doch auch unsere Genossenschaft“, flüstert Jane mit belegter Stimme.
„Schöne Ferien!“ Ulli trompetet in sein Taschentuch. „Hast du sie dir so vorgestellt?“
Ulli und sein Kater Kasimir sitzen auf der Betonstufe vor der Haustür. Die Vormittagssonne wärmt. Mit seinem Taschenmesser schnitzelt Ulli an einer dicken braunen Kugelkastanie herum. Von Zeit zu Zeit blinzelt Kasimir auf Ullis Finger. Mal mit dem einen, mal mit dem anderen Auge. Der merkt nichts. Er hat nur Augen für seine Schnitzerei.
Auf die Dauer wird das einem Kater wie Kasimir langweilig. Er steht auf und streckt sich ganz weit. Er buckelt seinen Rücken und reckt den Schwanz wie einen Fernsehmast hoch in die Luft. Mit dem Kopf schmiegt sich Kasimir an Ullis Beine und lässt sein weiches schwarzes Fell bis zur Schwanzspitze darüber hingleiten. „Urrrrrrr, urrrrrrr“, schnurrt Kasimir.
Ulli lässt sich nicht stören. Er baut sich eine Pfeife. Fein säuberlich höhlt er die Kastanie aus. Der Rand ist noch zu dick. Ulli schabt und schabt. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält er den fertigen Pfeifenkopf, dreht ihn nach oben und unten, beguckt ihn von allen Seiten. Viel schöner als Vaters schwarz geräucherte Schmurgelpfeife! Ein ganzes Fuder Tabak passt hinein. Ein Pfeifenrohr braucht Ulli noch, schlank und gerade. Er greift nach einem Holunderstock. Ritsch, ratsch schneidet er ein handlanges Stück ab. Zur Probe steckt er es in den Mund, lässt es auf und nieder wippen. Dann pult er das weiße Wattemark mit einer Stricknadel heraus.
Eine Zauberpfeife müsste es werden! Ein Zug, den Rauch mit spitzen Lippen weggepustet, und schon geht jeder Wunsch in Erfüllung ... Eine Tüte rote Kirschen bitte!
Paff! — Gleich kann Ulli zugreifen ... Weihnachten frische Kirschen und Erdbeeren, im Sommer brutzelnde Bratäpfel, ganz wie Ulli will ... Gestern wäre auch alles anders ausgegangen. Ein Zug! Paff! — Und Vater hätte gesagt: Fein, dass ihr kommt! Natürlich dürft ihr helfen. Reiht euch nur ein!