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„He, ihr sollt machen, dass ihr zum Fahnenappell kommt!“ Paul steht da mit dem Hund. Wohin mit ihm? Paul steckt ihn vorn in sein Blauhemd und setzt sich in Trab. Die schnelle Bewegung missfällt Arko. Für einen so kleinen Hund bellt er sehr laut. „Schschsch“, macht Paul und tätschelt ihn. Es nützt nichts. Direktor Schönkopps Gesicht rötet sich immer mehr. Nicht nur, dass sein neuer Pionierleiter in würdeloser Eile und schon wieder zu spät kommt, nein, von ihm geht auch Gebell aus. „Sie!“, faucht Direktor Schönkopp Paul an. „Wollen Sie etwa mit Hund ...?“ Paul Pommert, der neue Pionierleiter in Gamensee, hat den Kopf voller Pläne. Er will ein richtiges dolles Pionierleben auf die Beine stellen. Doch ehe alles im richtigen Topf kocht, passiert so allerlei. INHALT: Ohne was an sind alle Menschen gleich, sagte Paul, aber da hatte er sich geirrt. Morgenstund hat Gold im Mund, sagte Paul, da musste er blechen. Hunde, die bellen, beißen nicht, sagte Paul und wischte die Pfütze auf. Mit Speck fängt man Mäuse, sagte Paul, als er das frohe Jugendleben anschob. Wo die Liebe hinfällt, da bleibt sie liegen, sagte Paul, oder auch nicht. Der Tag hat nur vierundzwanzig Stunden, sagte Paul, gib Gas, alter Junge! Feste muss man feste feiern, sagte Paul und polierte seine Gitarre. Alte Liebe braucht Rostschutz, sagte Paul, je öller, je döller. Lehrer sind auch Menschen, sagte Paul, kochte den Kaffee extrastark und küsste seine Ina.
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Seitenzahl: 223
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Hildegard und Siegfried Schumacher
Pfeif auf ‘ne Perücke
ISBN 978-3-95655-229-8 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1978 im Kinderbuchverlag, Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Der da auf schmalem, festgetretenem Sandweg neben der alten Kopfsteinpflasterstraße auf seinem Rad durch die Felder fährt, hinten auf dem Gepäckständer zwei handliche Koffer und obenauf eine rotbraune Leinwandhülle, in der der Form nach nur eine Gitarre stecken kann, mit Kartentasche links und Feldflasche rechts, das ist Paul. Genauer Paul Pommert, zwanzigeinhalb, knapp eins achtzig groß, sportlich-besinnlicher Typ, darauf lassen Rad und Gitarre schließen, und Pionierleiter o. Ä. Noch ohne Amt, aber unterwegs dahin, unterwegs nach Gamensee, seinem künftigen und ersten Wirkungsort, ausgestattet mit einer Zentralschule für zehn Dörfer, das weiß Paul schon; auf der Landkarte jedoch nicht größer als ein Fliegenfleck.
Aber warum ausgerechnet mit dem Fahrrad? Heute im Zeitalter der Motorisierten!
Natürlich mit dem Fahrrad. Paul liebt sein Rad. Er liebt die flotte Fahrt, die er selbst macht, und das leise Sirren der Reifen, das sich in die sanften Töne der Landschaft einfügt, jetzt in das Summen des sonnenwarmen Kiefernwaldes, den er gerade erreicht hat. Auf einem Moped oder Motorrad hörst du das nicht.
Ganz abgesehen davon: Woher soll Paul auch einen motorisierten Untersatz haben? Als Student am Lehrerbildungsinstitut ist er mit seinem Stipendium gerade so über die Runden gekommen, und die Mutter mit ihrem Verkäuferinnengehalt kann ihren Sohn keine großen Motorradsprünge machen lassen. Paul hätte natürlich die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können. Doch bei den siebzig Bahnkilometern zweimal umsteigen, für die letzte Strecke noch den Bus, zwei Stunden Fahrzeit und reichlich vier Stunden Warten zwischendurch? Das ist gegen Pauls praktisch-organisatorische Ader. Er fährt querdurch, kürzt ab, und ohne Rad fühlte er sich wie ein Vogel ohne Flügel, besonders in Gamensee mit den Dörfern ringsumher, er wäre ein Pionierleiter ohne Aktionsradius. Das ist ihm nichts. Paul ist ein Entdecker, neugierig, wie es alle Entdecker sind, und gespannt auf das, was kommt: neue Menschen, neue Gegend, alles neu.
Vorsicht, eine Sandstelle! Paul umsteuert sie kühn. Ein Entdecker hat kühn zu sein, wenn er auf schwer beladenem Kamel durch den Wüstensand reitet, seinem ersten Löwen Auge in Auge gegenübersteht, ein Krokodil streicheln, mit dem Nashorn um die Wette rennen muss oder etwa, während hierzulande heißer August wie an diesem Tage brütet, das ewige Eis der Polkappen erforscht. Trotzdem ist Nansen die Arktis bestimmt nicht wie Moskauer Sahneeis vorgekommen. Genauso ist Paul zumute. In die Entdeckerkühnheit mischt sich das Gefühl der Gefahr. Nicht vor Löwe, Krokodil, Nashorn. Die Gefahr lauert in Paul selbst, in seinem Namen, und das ist sein Problem.
Wer will heutzutage schon Paul heißen? Paul wird als Paulchen zum Witz, und Paul Pommert ist abgekürzt P. P. Paul zieht die Nasenflügel zusammen. Das ist keine günstige Voraussetzung, wenn man ernst genommen werden und ein richtig dolles Pionierleben in Gamensee entwickeln will. Paul hat Pläne. Obenan steht der Singeklub. Oder ist es das Touristikzentrum, die Radfahr-AG, irgendein unerhört wichtiges Pionierobjekt? Zum letzten Punkt muss Paul erst die örtlichen Gegebenheiten studieren. Jedenfalls wird er was losmachen, die Massen mitreißen, sodass jeder sagt, er ist ’ne Wucht, unser Pionierpaule.
Erschrocken bremst Paul, das Rad schlingert gefährlich, und er hat zu tun, es wieder in Gewalt zu bekommen. Was hat er da gedacht: Pionierpaule? Sofort verbannt er den Namen. Dafür steigt ein anderer hoch. Er sieht sich wieder mit der alten Tabakspfeife in der Sandkute sitzen, zweite Klasse oder so muss er gewesen sein, und seinen staunenden Kumpels gewaltige Qualmwolken vorrauchen. Gerade noch bis hinter die ersten Kusseln ist er gekommen, ihm war zum Sterben elend, und er hatte seinen Namen weg: Piepenpaule. Die Mädchen setzten damals allenfalls Paulchen dazu, doch das war auch nicht schöner. Bis nach der Zehnten hing ihm der verfluchte Name an. Sogar seine ersten Eroberungen hatten darunter gelitten: Was, du gehst mit Piepenpaule? Mit Jens, Ronald oder Andreas wäre niemand auf eine derart blöde Idee gekommen. Was Eltern in ihrer Ahnungslosigkeit anrichten können! Der Vater hieß Paul, Gustav und Fritz die Großväter. Drei Namen, und nicht einer ist zu gebrauchen.
Als Paul zum Institut ging, griff er zur Selbsthilfe. Dort kannte ihn niemand. Er fügte einen vierten Namen dazu und nannte sich schlicht und anspruchslos Klaus, bis ihn eines Tages der Direktor zu sich bat, ihn sonderbar betrachtete und fragte, wie er hieße. Unter diesen Augen konnte er nicht anders, er musste mit seinem Paul Gustav Fritz herausrücken. Soso, sagte der Direktor und hielt ihm ein Stück Papier unter die Nase, die Quittung einer Prämie, der ersten, die Paul in seinem Leben erhalten hatte, dann sind Sie das also gar nicht? Doch, doch, sagte Paul schnell, und er fragte, möchten Sie Paul heißen? Ich heiße Otto, sagte der Direktor, der höchstens Ende Dreißig war. Sie sahen sich an, und Bitterkeit lag in ihrem Blick. Kollege Pommert, jawohl, richtig Kollege hatte der Direktor gesagt, so frei können Sie nicht mit Ihrem Namen umgehen. Das hier stellt eine Urkunde und Ihre Unterschrift eine Fälschung dar, eine Urkundenfälschung, und die ist strafbar. Paul zuckte zusammen, unterschrieb noch einmal und mit seinem richtigen Namen, und sie sahen sich wieder an, und der Direktor seufzte.
Zu frei, das war es also. Das Rad rollt, und Paul überlegt, wie er weniger frei zu einem vernünftigen Namen kommt. Güstáv kann er sich nennen, mit Betonung auf der letzten Silbe, französisch, das klingt nach weiter Welt, doch er ist nicht sicher, ob die Mitwelt sich bereit finden wird, aus dem einheimischen Gustav einen fremden Güstáv zu machen. Vielleicht die Abkürzung Güs? Es hört sich etwas verrückt an, und verrückt ist modern. In diesem Augenblick wird es Paul schmerzlich bewusst, dass Gamensee auf dem Lande liegt, wo aus Gösseln Gänse für die Bratpfanne großgezogen werden. Gut, dass er den Braten noch rechtzeitig gerochen hat! Da braucht ihm bloß einer was anzuhängen, schließlich ist er ein ganz junger Pionierleiter, sozusagen gerade aus dem Ei geschlüpft, und er wird als Gössel verkauft. Ihm bleibt nur der Fritz. Fred! schießt es ihm plötzlich durch den Kopf. Das ist frei, aber nicht zu frei, es fängt genauso an. Paul sagt laut Fred, mehrmals, und mit jedem Tritt in die Pedale wird ihm freier, leichter, wohler. Er flitzt durch das Lichtgeflimmer, das die Sonne auf den Waldboden malt, und schickt seinen Blick voraus.
Paul hat sich die Abkürzung auf der Karte genau angesehen. Nun müsste der Wald bald zu Ende sein, doch nur Bäume, Bäume, Bäume. Natürlich ist seine Mutter gegen Rad und Abkürzung gewesen. Junge, hat sie gesagt, die kröpligen Wege, bergauf, bergab, dazu das Gepäck! Und deine Gitarre. Wenn du stürzt!
Die Gitarre war Mutters Trumpf, die behandelt Paul liebevoll wie eine Freundin, und so hatte er einen Moment gezögert, dann aber gesagt, dass er querdurch höchstens ein Drittel der Zeit brauche, die Gerade sei noch immer die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten. Hoppla, ein Wurzelknorren! Paul stürzt nicht. Er balanciert den Schlenker aus. Die Gitarre ist sicher, Mutter! Ihm ist nach Singen und Musik. Unser Pionierleiter Fred, gut klingt das.
Der Weg mündet in eine traktorenbreite Betonstraße. Statt Forst nun Landwirtschaft und typische LPG-Straße. Laut Karte führt sie nach Ellernbrück. Mähhäcksler bei der Arbeit, Silos, eine Tausender-Rinderanlage, nur zu kahl ringsherum. Das müsste begrünt werden. Aber sonst? Auf der Niederung steht das Futter in Saft und Kraft, ’ne fette Gegend, und Paul ist schon mit seinem Trupp beim Bäume- und Sträucherpflanzen, und er sieht die Pionierkasse anschwellen für künftige Unternehmungen, denn Ellernbrück, er fährt gerade am Ortsschild vorüber, muss bereits im Zentralschulbereich liegen. Um die Eigenheime und auch mitten im Dorf vor den alten Häusern grünt und blüht es, sogar beim LPG-Büro. Sind die Leute blind, wenn sie an ihrer Tausender-Anlage vorbeikommen?
Eine Chaussee biegt von der Dorfstraße ab. Briestow 22 km. Das ist die Kreisstadt, in der Paul seinen Antrittsbesuch bei der FDJ-Kreisleitung gemacht hat. Der Pionierchef heißt Helga Binder. Sie hat ihm die langen, äußerst sauberen und klar gegliederten Berichte mit rot unterstrichenen Überschriften von seiner Vorgängerin gezeigt und gesagt, schade, dass sie im neuen Schuljahr hier in der Stadt als Unterstufenlehrerin anfängt, solch ein Kader! Dabei hatte sie auf die dicke Akte geklopft und ihn so aufmunternd angeguckt, dass Paul eine Gänsehaut überlief vor dem papiernen Himalaja. Er sieht den Pionierleiter als Ankurbler, Mitreißer, Durchsteher. Taten zählen! Und als er sich Helga Binder genauer anschaute, war das Zimmer mit Schreibtisch, Aktenschrank und Telefon irgendwie zu klein für sie. Vielleicht fühlt sie sich doch mit ’nem Haufen Pioniere im Gelände wohler, hat er gedacht und sich von dem Papierkram nicht länger beeindrucken lassen.
Ellernbrück liegt hinter Paul. Wieder fährt er auf schmalem Pfad neben Holperpflaster. Es geht bergauf. Paul legt sich in die Pedale und tritt mit aller Kraft. Er schwitzt und denkt an den blauen Seetupfer, der neben den Fliegenfleck Gamensee auf die Karte gedruckt ist. Dann taucht Paul in den Wald, und vor ihm liegt eine Kreuzung, und das Pflaster neben dem Weg hört auf.
Paul steigt vom Rad. An die Kreuzung kann er sich nicht erinnern. Als er sich auf der Karte vergewissert, ist sie tatsächlich nicht eingezeichnet. Die Kreuzung ist auch keine richtige Kreuzung. Das Ende der Pflasterstraße spaltet sich wie Strahlen von einem Punkt in drei gleich breite Schneisen auf. Jede mit Traktorengleisen und einem schmalen Radweg daneben. Da ist guter Rat teuer. Paul angelt sich die Feldflasche, trinkt, sieht sich die drei Schneisen noch einmal an, blickt wieder auf die Karte. Rechts vor Gamensee liegt ein Landschaftsschutzgebiet. Soll er den mittleren Weg wählen? Paul ist gegen faule goldne Mittelwege. Er zieht die Gitarre aus ihrer Hülle und setzt sich auf einen Baumstubben. „Links, links, links“, singt Paul, „wo dein Platz, Genosse, ist ...“ Und er denkt an Gamensee und was ihn dort erwarten wird und einen Herzschlag lang: Wozu eigentlich Fred? Aber wenn seine Pioniere ihn nicht für voll nehmen ... Es bleibt bei Fred.
Paul steht auf. Die Gitarre schiebt er, ohne sie einzupacken, unter den Riemen, der die Koffer festhält. Er nimmt die linke Schneise. Ein Stück weiter ist jemand dabei, Knüppelholz auf einen Handwagen zu laden. Paul fährt langsamer und fragt: „Geht es hier nach Gamensee?“
„Immer der Nase nach, junger Mann, ein Katzensprung!“
Ohne Zweifel, einer aus Gamenseee. „Gut Holz!“, ruft Paul. Ein freundlicher Mensch, der Alte. Wenn die alle hier so sind ... Ungeduld auf sein Ziel packt Paul. Er drückt auf die Tube, bergab geht es, er tritt zu, schreit: „Holla, jetzt komm ich!“ Ein Schatten, ein Stoß, ein Krach, Paul schießt über den Lenker in den Sand. Hohl wie schmerzerfüllt jammert die Gitarre auf.
Was Paul nicht weiß und zurzeit noch nicht mitkriegt, ist die Tatsache, dass kein Wildschwein oder ein ähnliches Naturereignis seinen Sturz herbeigeführt hat. Ulli ist ihm in die Quere gekommen, plötzlich aus dem Gebüsch springend und von dem Anprall wieder dorthin zurückgeflogen. Ulli sieht in der kurzen Lederhose voller Harz- und Teerflecken und mit dem Strubbelhaar verwegen wie ein Räuber aus, doch ist Ulli nicht das, was man wahrzunehmen meint. Vorerst beschäftigt sich Ulli damit, alle Glieder einzusammeln, die eben erworbenen Schrammen von den bereits vorhandenen zu sondern und sich mit dem Turnhemd das Gesicht abzuwischen. Die Nase blutet. Der Ärger über den idiotischen Rennfahrer wächst mit dem Quadrat der Sicherheit, dass nichts ernstlich kaputt ist. „Dusselkopp!“ zischt Ulli und durchbricht das Gesträuch.
Auch Paul fängt gerade an, sich von seinem Schreck zu erholen, als sich jemand vor ihm aufbaut. Ulli spricht nicht fein in der Empörung und gebraucht das, was man Ausdrücke nennt. Paul regt das nicht auf. Er ist noch nicht ganz beieinander, betastet die Abschürfungen, seine rechte Seite. Die muss am meisten abgekriegt haben. Der Drahtesel streckt anklagend seine Räder in die Luft, ein Koffer ist aufgeplatzt, und die Gitarre... Wo ist die Gitarre? Sie liegt neben ihm, den Hals ins Gestrüpp gebohrt. Paul befreit sie. Mitten auf dem Weg sitzend, lässt er seine Finger über die Saiten gleiten. Die Gitarre singt, zwar im Straßenstaub, aber sie singt. Das macht Paul munter für die Mitwelt. Er blickt auf und wird noch munterer. Einen Jungen sieht er vor sich. „Du blutest!“, ruft Paul und springt auf. Das heißt, er will aufspringen, aber es wird mehr ein mühsames Hochschrauben.
„Vorbei“, sagte der Blutverschmierte, „und bloß aus der Nase.“ Mit einem Finger schlenkert er gekonnt den letzten dicken Tropfen beiseite. Da liegt er nun rot im grünen Gras.
Paul starrt entsetzt darauf hernieder. Der Schatten, der Anprall, den Jungen muss er überfahren haben. Schön hat er sich in Gamensee eingeführt und fast einen seiner Pioniere umgebracht! „Bist du sonst völlig in Ordnung?“, fragt Paul. „Wie ist das bloß gekommen?“
„Weil du wie’n blinder Büffel durch den Verkehr rast.“
Verkehr? Paul kann weit und breit keinen Verkehr entdecken.
„Und gedroht hast du mir auch!“
Der Bengel spinnt. Paul erinnert sich an nichts dergleichen.
„Jawohl, gebrüllt hast du, jetzt komm ich.“
„Ach“, sagt Paul, „ein Missverständnis.“ Er macht einen Schritt, um seine Sachen aufzuheben, doch er stöhnt auf. Sein rechtes Bein ist nicht richtig intakt. Die Zähne zusammengebissen, humpelt er auf sein Rad zu.
„Stütz dich auf mich“, sagt der Junge. „Ich glaube, ich bin dir ins Rad gerannt.“ Und er sagt tatsächlich: „Entschuldige.“ Und gleich darauf: „Ach, du dickes Ei.“
Damit hat er nicht unrecht. Das Vorderrad hat sich verformt. Es ist nicht mehr rund, sondern oval. Das Rad eiert, wie man so schön sagt, aber schieben lässt es sich noch. Der Junge hilft beim Beladen. Den aufgeplatzten Koffer umschnürt er mit Strippe, die er aus der Hosentasche zieht. Paul denkt, dass dieser Eifer nun wenig nützt. Zum Gespött der Massen wird er in Gamensee einziehen. Hoppelhoppel im Eiergang, strippenumwickelt, abgeledert und humpelnd. Ganz anders hat er es sich geträumt. Die Ferienspielkinder strömen auf dem Schulhof zusammen, bilden wie von selbst Spalier, der Direktor schreitet ihm an der Spitze einer Lehrerdelegation entgegen. Endlich, Sie haben uns noch gefehlt, Kollege Pommert! Mechanisch zieht Paul den Riemen fest. Aus der Traum! „Das Ei kloppen wir mit ’nem Stein raus.“
Paul sieht nirgendwo einen liegen.
„Am See gibt es jede Menge.“ Der Junge tippt auf die Werkzeugtasche. „Ein Schlüssel schafft das nicht.“
Den Rat des Erfahrenen soll man achten. Paul hält außerdem auch Wasser für unbedingt erforderlich. Das Blut ist zu Goldlack getrocknet, der Junge gleicht einem Indianer in Kriegsfarben, der harmlose Bürger, vor allem seine Eltern, erschrecken wird. Paul schiebt los. Im rechten Bein scheinen tausend Teufel die Muskeln mit Zangen zu zwicken, aber er merkt, er läuft sich ein. Auf einmal schiebt sich das Rad leichter. Der Junge hat zugefasst. Er sagt: „Noch durch die Schonung.“ Irgendwie findet Paul es rührend, wie der sich ins Zeug legt. Da plagt der sich, denkt er, und dabei bin ich schuld mit meiner Raserei. „Bist ’n Kumpel“, sagt er.
Der Junge zeigt auf die Gitarre. „Wozu brauchst du die? Singeklub?“
„Auch“, sagt Paul.
„Willst du noch weit?“
Paul schüttelt den Kopf. Der sandige Weg hat es in sich.
„Gamensee?“
Paul nickt.
„Aha“, sagt der Junge.
„Was heißt aha?“
„Ich heiße Ulli.“
Paul will gerade sagen, kannst mich Fred nennen, als der Junge ihn mit der Feststellung überrascht: „Dann bist du unser neuer Pionierleiter.“
„Bist du Hellseher?“, fragt Paul.
„Kombination“, sagt der Junge. „Der Gurkenhobel“, er klopft auf die Gitarre, „und überhaupt. So ... so, wie du dich anstellst.“ Es hört sich an, als hätte er im letzten Moment das Wort dusselig hinuntergeschluckt. Paul hält an und mustert den Bengel, der ihn freundlich angrinst, und fragt: „Du bist Paul Pommert, nicht?“
Sehr intelligent sieht Paul in diesem Augenblick nicht aus. Da hat er sich abgemüht, um einen brauchbaren Namen zu finden, und nun steht er vor einem Trümmerhaufen. Aber was, wenn er sich als Fred vorgestellt hätte? Der Bengel wäre vor Lachen aus den Latschen gekippt, und spätestens am Abend hätte sich ganz Gamensee gekringelt. So traurig es ist, Paul kann nur sagen: „Wir haben noch mal Glück gehabt.“
„Hätt schlimmer kommen können.“
Das findet Paul auch, obwohl er nicht wie Ulli den Zusammenstoß meint. Sie schieben gemeinsam weiter. Paul heißt wieder Paul, und daran hat er zu knabbern. Was beschließt ein Pädagoge in kitzliger Situation? Nicht an den Wagen fahren lassen, konsequent, doch freundlich sein. Vorbildwirkung! Und das ist ja alles ganz richtig. Paul stellt also, obwohl er sich schon in nächster Sekunde dafür die Zunge abbeißen möchte, die freundliche, trotzdem ausgesprochen dumme Frage: „Du gehst zur Schule?“
„Außer an Sonn- und Feiertagen und in den Ferien täglich“, sagt Ulli. „Pflichtübung für jedermann.“
Paul verzichtet auf eine Fortführung des freundlichen Gesprächs. Wenn die alle so sind, besten Dank! Aber hilfsbereit ist der Bengel wenigstens. Das heißt Paul hoffen. Wie bereits gesagt, er hat viele Pläne zur Entfaltung eines frohen Pionierlebens, in das er auch diesen Ulli zu integrieren gedenkt.
Die Schonung öffnet sich. Vor ihnen glitzert der See aus tausend Wellenspiegeln. Am gegenüberliegenden Ufer ziehen sich Wiesen und Buschstreifen hin, über die eine Kirchturmspitze und die Dächer eines Dorfes gucken. „Gamensee.“ Ulli deutet hinüber. „Schön, nicht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, rennt der Junge den sandigen Hang hinab, schlenkert die Turnschuhe von den Füßen und watet ins Wasser, um Gesicht und Hände abzuspülen.
„Am besten, du springst mal fix rein“, sagt Paul, während er sein Rad abstellt. „Oder bist du wasserscheu?“
„Nee, nichts mit.“
Typisch Dorf, denkt Paul, als ob das was ausmacht unter Männern. Er sieht sich um, kein Mensch weit und breit, und beginnt sich auszuziehen. Obwohl er die Badehose obenauf im Koffer hat, verzichtet er auf sie. Hier ist Vorbildwirkung am Platze, das gute Beispiel. Von einem umgestürzten Baumstamm, der sich schräg über die Badestelle schiebt, schießt er mit gekonntem Hechtsprung ins Wasser. Es ist noch zu flach. Paul schrammt mit dem Bauch über die Steine, die es tatsächlich, wie Ulli gesagt hat, in rauen Mengen gibt. Paul tut, als hätte er nichts gespürt, schwimmt einfach weiter und dreht sich ein Stück vom Ufer entfernt um. „Komm rein!“
Ulli antwortet mit keiner Silbe. Dann nicht! Paul wendet. Die gleichmäßige Bewegung im Wasser bekommt seinem Bein so gut wie Massage. Er schwimmt eine große Runde. Helle Schläge wie auf Metall hämmern zu ihm herüber. Paul dreht bei und sieht, dass Ulli das Vorderrad in Form bringt. Da beeilt er sich, ans Ufer zu kommen. Als er aus dem Wasser steigt, ist nichts mehr zu tun. Das Rad ist fast rund. „Hast du prima hingekriegt“, sagt Paul, aber Ulli guckt weg in die Büsche.
„Ohne was an sind alle Menschen gleich. Bist du zimperlich?“
Wortlos schüttelt Ulli den Kopf.
Ein komischer Bengel, der starrt noch das ganze Grün aus den Blättern! „Versteh ich nicht“, sagt Paul.
„Wirst du schon noch verstehen.“
Das glaubt Paul nicht. Die müssen hier noch ganz und gar hinterm Mond leben. „Los“, sagt er, als er sich angezogen hat, „ich nehm dich vorn aufs Rad.“
„Geht nicht, es fehlen vier Speichen.“
Irgendwie sind sie sich eigenartig fremd.
„Kannst fahren“, sagt Ulli, „denk an dein Bein.“
Der Bengel scheint ihn loswerden zu wollen. Paul steigt auf, doch er fährt so langsam, dass er neben Ulli bleibt. Die Konsequenz siegt. Der Junge setzt sich schließlich in Zuckeltrab. Diesmal hat Paul mit der Pädagogik Glück gehabt. Das Rad eiert kaum, sein Bein funktioniert wieder, er fühlt sich frisch und froh, da rollt das Rad fast von allein auf Gamensee zu.
Am ersten Haus stoppt Ulli. „Zur Hauptstraße vor, dort rechts abbiegen und immer geradeaus, dann links zur Schule. Bis nachher!“ Damit verschwindet der Junge hinter einem Hoftor.
„Bis nachher“, antwortet Paul rein automatisch und wundert sich schon darüber. Bis nachher?
Noch ahnt Direktor Schönkopp nicht, welches Glück ihm über‘n kurzen Weg ins Haus steht. Er ist dabei, den Schuljahresarbeitsplan durchzusehen und sich für den pädagogischen Rat vorzubereiten. Am nächsten Tag findet die Generalprobe statt. Dienstbesprechung, damit die Kollegen Lehrer allen Kleinkram vorher abladen und gut eingestimmt sind. Direktor Schönkopp ist ein Pädagoge mit jahrzehntelanger Erfahrung, der sich den Rat nicht vermasseln lassen wird. Zu dem kommt so sicher wie beim Zwiebelschneiden die Träne jemand von der Abteilung Volksbildung.
Im Zimmer ist es warm, das Ferienessen aus der Schulküche war gut wie immer, der Direktor fühlt sich leicht müde. Kein Wunder, er ist reichlich fünfzig. Der Mittagsschlaf, den er sich im Urlaub gegönnt hat, fehlt ihm, und so geht er ins Sekretariat und bittet Frau Blümchen, dass sie ihm einen Kaffee kochen möge. „Extra dick“, sagt Direktor Schönkopp und setzt sich wieder an die Arbeit. Da ist noch der Punkt Pionierarbeit zu überdenken. Er guckt auf die Uhr und seufzt. Seinen Pionierleiter erwartet er erst mit dem Bus am späten Nachmittag. So eilig wie ich damals haben es die jungen Leute heutzutage mit dem Dienstantritt nicht, denkt er und irrt sich. Paul wird ihm in Kürze gegenübersitzen.
Zurzeit schiebt Paul noch. Ja, er schiebt sein Rad wieder, und zwar im schönsten Hoppelgang.
Paul hatte die Kurve in der Hauptstraße zu kurz genommen, er ging zu Boden. Zwei weitere Speichen sind futsch, das angeknackte Vorderrad verformte sich erneut zum O, dazu klapperte die Karre nun jammervoll. Paul warf kein Auge auf die ländliche City. Er schwitzte nicht nur der Augustsonne wegen, sondern vor allem, weil die Leute so guckten. „Eierschese! Eierschese!“, rief ihm ein Knirps nach. Gamensee war entschieden zu lang.
Als Paul den Ortsausgang fast erreicht hat, sagt eine ältere Frau über‘n Gartenzaun: „Gehen Sie mal zum Stützpunkt, junger Mann, die reparieren Ihnen das. Die reparieren überhaupt alles. Als mein Schwiegersohn hier war, der kommt aus Düsseldorf, müssen Sie wissen, und fährt einen Audi, den haben sie auch repariert, der hatte was an der Achse, Kurbelwellenbruch oder so.“
Paul bedankt sich für den Hinweis. Als er aber links zur Schule abbiegen will, ruft die Frau: „Rechts, junger Mann, rechts!“
„Jaja!“ Paul bleibt bei links.
„Herrjemine, rechts, du Dötel!“
Dötel, was ist das? Paul hat das Gefühl, es bedeutet nichts Positives. Auf dem Schulhof spielt eine Horde Jungen Fußball. Vierte Klasse, schätzt Paul, wohl ein Ferienspielrest. Auf der Flucht vor dem rasanten Spiel saust Paul quer von links nach rechts eine schwarze Katze über den Weg, sodass er vor Schreck stehen bleibt.
An sich ist Paul nicht abergläubisch. Schwarze Katzen jedoch mag er nicht. Das ist ein Erbteil von seiner Großmutter. Sie hatte laufend Ärger mit schwarzen Katzen, die ihr über den Weg liefen. Die Milch wurde sauer, ihr Lieblingshuhn Emma bekam einen Pips, oder Wolf, der Hofhund, fuhr dem Briefträger in die Hosen. Nachdem der Kanarienvogel Emil an den schwarzen Katzen gestorben war, ging Großmutter zurück, begegnete sie solch einem Teufelsvieh. Trotzdem nützte es nichts. Als nämlich Großmutters Erbtante auf den Tod lag, war Großmutter ebenfalls einer schwarzen Katze wegen umgekehrt, damit die Tante gerettet wurde. Sie erholte sich tatsächlich, enterbte aber Großmutter, die sich in der Not nicht um sie gekümmert hatte. Paul überlegt noch, ob er nicht auch umdrehen soll. Da knallt schon der Ball gegen sein Rad.
„Tor!“, schreit ein Bengel.
„Mist!“, schimpft Paul. „Kannst du nicht aufpassen?“
Inzwischen sind die anderen heran, als wollten sie durch massiertes Auftreten den Schützen beschützen. Schließlich ist es ihr Schulhof! Man weiß jedoch nie, was hinter einem Fremden steckt, der zielgerichtet die Schule ansteuert, also ist es geraten, Ärger mit Höflichkeit zu neutralisieren. „Spielen Sie auch Fußball?“
„Ich bin mehr für Friedensfahrt.“ Paul zieht die Gitarre unter dem Riemen hervor, denn sicher ist sicher, und geht in die Schule hinein.
Die Schule ist neu. Paul kennt den Typ und deshalb die Lage des Sekretariats. Er übt gerade, was er zum Direktor sagen will, als eine Frau mit Kaffeetablett aufkreuzt, sein ramponiertes Aussehen mustert, das ihr fehl an diesem Platze erscheint, und fragt: „Sie wünschen?“
Zu trinken, würde Paul am liebsten antworten, aber er sagt: „Zum Direktor bitte.“
„In welcher Angelegenheit?“
„Ich heiße Pommert.“
Weil Paul ihr die Sekretariatstür öffnet, was für Frau Blümchen mit dem Tablett schwierig wäre, wird sie entgegenkommender. Sie klopft beim Direktor, Paul ist ihr auch an dieser Tür behilflich und sagt: „Herr Schönkopp, der Kaffee und der neue Pionierleiter.“
Wenn auch kein großer Bahnhof erfolgt, der Direktor zeigt sich erfreut. „Ich dachte, Sie kommen mit dem Bus“, sagt er, als sie sich gegenübersitzen.
„Mit dem Rad.“
„Soso.“ Direktor Schönkopp guckt Paul genauer an. „Schwere Fahrt gehabt?“ Ehe Paul jedoch antworten kann, redet er schon weiter und deutet auf die Gitarre. „Die Musen und der Sport halten uns jung und geschmeidig, Kollege. Als ich in Ihren Jahren war ...“ Er unterbricht sich, lässt von Frau Blümchen noch eine Tasse bringen und gießt für Paul und sich ein. „Also damals, da hab ich hier mit einer Fußballmannschaft angefangen, und unser Chor hat den ganzen Kreis bereist.“
Die Mittagsmüdigkeit ist verflogen. Selten tritt bei Direktor Schönkopp jemand ein, der seine Geschichten aus dem Pionierzeitalter unserer neuen Schule noch nicht kennt. Er öffnet das Holzkästchen mit den Besucherzigaretten und bietet an. Paul greift zu, obwohl er Nichtraucher ist. Auch der Direktor, der seit zehn Jahren nicht mehr raucht, doch das weiß Paul nicht, bedient sich, und so raucht der eine aus Höflichkeit und der andere, weil ihn der Strom der Erinnerungen mitgerissen hat. Allmählich nähern sich Direktor Schönkopps Geschichten der Gegenwart, und er spricht von dem guten Ruf, den seine Schule zu verteidigen hat, und dass von jedem Lorbeerkranz im Kreis einige Blätter für sie abfallen, Pauls Vorgängerin habe dazu beigetragen. „Sehr saubere Berichte, umfassend und pünktlich, vor allem pünktlich“, sagt er, „und Kaffee kochen konnte sie einmalig.“ Er tippt wie bedauernd auf Frau Blümchens Kaffeekanne. Dann schaltet er um auf Sorge um den Menschen. Für Paul hat er ein sehr ordentliches Zimmer bei sehr ordentlichen Leuten, wo er sich garantiert wohlfühlen werde. „Familie Krug, Wiesenstraße 24, erwartet Sie.“ Damit schließt er die Schleusen.
„Vielen Dank“, sagt Paul. Nun wird er dran sein.
Aber Direktor Schönkopp steht auf. „Ich bin sicher, wir werden gut zusammen arbeiten, Kollege Pommert. Bis morgen um neun zur Dienstbesprechung. Sie erläutern uns als Punkt drei den Pionierauftrag für das kommende Schuljahr.“
Alles in allem hat Paul dem Direktor nur eine mündliche Information geben können: Mit dem Rad. Vor dem steht er wieder und schiebt los zur Wiesenstraße, einer Querstraße am entgegengesetzten Ortsende, wie er von Frau Blümchen erfahren hat. So wird der Mensch im Leben hin und her gehetzt.
Die ältere Frau guckt noch immer über den Gartenzaun. „Sie haben das ja gar nicht reparieren lassen! Nun beeilen Sie sich man, sonst machen die Schluss. Feierabend machen die nämlich ganz pünktlich.“
Paul winkt ab, sagt: „Gleich, gleich.“ Zur Wiesenstraße will er und sonst nichts und alle Viere von sich strecken. Er klappert den ganzen langen Weg zurück. Die Gitarre schlenkert in ihrer Hülle an der Lenkstange und behindert Paul. Sport und Muse erhalten jung. Von wegen!
Als Paul das Schild Wiesenstraße ausmacht, kommt ihm die Gegend merkwürdig bekannt vor. Im letzten Haus muss der komische Ulli wohnen. Nachdem Paul Nummer für Nummer die Häuser abgesucht hat, ist die 24 eben dieses letzte Haus. Familie Krug erwartet Sie! Hätte der verdammte Bengel nicht den Mund aufmachen können?
Paul verzichtet auf die vordere Haustür. Auf dem Dorf, das weiß er von seiner Großmutter, geht man hintenherum über den Hof.
Frau Krug ist in der Glasveranda beim Bügeln. Es geht ihr flott von der Hand wie alle Arbeit. Als Paul in Sicht kommt, zieht sie die Plättschnur aus der Steckdose und geht ihm entgegen. „Ach, der Herr Pommert, die Ulli hat mir schon von Ihnen erzählt.“ Sie geben sich die Hand, und Paul denkt, dass sie sich entweder versprochen oder er es an den Ohren hat. Noch misst er dem keine Bedeutung bei. Er entschuldigt sich, dass er Ulli umgefahren hat.
„Daran wird sie nicht unschuldig sein“, sagt Frau Krug, „ein wildes Mädel, unsere Ulli.“
Länger ist kein Zweifel möglich, um so weniger, weil Ulli auftaucht. Oben herum ist sie nach wie vor platt. Sie hat aber tatsächlich ein Kleid an. Frau Krug wundert sich darüber. Sie ahnt nicht, dass Ulli ihren Auftritt geplant hat. „Tag , sagt sie zu Paul und grinst. Dem beginnen die Ohren zu glühen. „Mächtig heiß heute“, sagt er. Daraufhin führt Frau Krug ihn die Treppe hinauf in sein Zimmer, ein sehr schönes und geräumiges Giebelzimmer, zeigt ihm auch das Bad, damit er sich erfrischen kann, und geht hinunter, um das Abendbrot zu richten, zu dem sie Paul eingeladen hat. „Du bringst Herrn Pommert das Gepäck hoch, Ulli“, ordnet sie an.
Die tut es ohne Widerrede, sanft wie ein Lamm. Nachdem sie Paul die Koffer genau vor die Füße gestellt hat, sagt sie: „Da staunst du, was?“
„Hast du etwa jemand was erzählt?“
„Meinen Eltern?“ Sie tippt sich an die Stirn. „Und den andern schon gar nicht. Ich bin doch nicht blöd! Denkst du, die lachen bloß über dich?“
So hat Paul die Sache noch nicht gesehen. „Gut“, sagt er, „wir schweigen beide.“
„Bist in Ordnung, Paule.“