Die Geldwäscher - Peter Beutler - E-Book

Die Geldwäscher E-Book

Peter Beutler

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Ein Whistleblower entblößt das Schweizer Bankgeheimnis Konrad Kloter, Chef-Buchhalter einer Zürcher Bank, wird auf den Cayman Islands von einem Wagen angefahren und schwer verletzt liegen gelassen. Der Unfallverursacher begeht Fahrerflucht und wird später erschossen aufgefunden. Doch das ist bloß der Auftakt einer beispiellosen Mord- und Verbrechensserie, deren Drahtzieher nur ein Ziel haben: das Schweizer Bankgeheimnis und damit die größte Geldwäscherei der Welt zu schützen . . .

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Seitenzahl: 456

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Dieses Buch ist ein Roman. Dennoch sind einige Personen nicht frei erfunden, sondern existierten wirklich. Ihre Handlungen beruhen auf einem historischen Hintergrund. Im Anhang befinden sich ein Personenverzeichnis und ein Glossar.

© 2021 Emons Verlag GmbH

© 2021 Peter Beutler

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Picture-Alliance/KEYSTONE/MARTIN RUETSCHI

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-768-2

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Agentur Altas, Bern.

Die das Nest schmutzig machen,

zeigen empört auf einen, der ihren Schmutz

bemerkt, und nennen ihn Nestbeschmutzer.

1

Konrad Kloter pedalte mit seinem Rennvelo über die Strandstrasse. Er fühlte sich aus einem unerfindlichen Grund müde. Zwar gab es gewisse Probleme an seinem Arbeitsplatz, aber geschlafen hatte er eigentlich gut. Es war der erste Arbeitstag nach den Neujahrstagen. Er war leitender Angestellter der Zweigniederlassung des Schweizer Finanzkonzerns Cäsar Bieder auf den Cayman Islands.

In seiner Funktion konnte nie alles rundlaufen, aber zu Hause ging es gut. Seit einigen Jahren war er glücklich verheiratet und Vater von Jenny, er genoss das Leben in der Karibik, fern von seiner Heimat. Ein Leben nicht ganz ohne Hektik, doch im Vergleich zur Tätigkeit in Zürich etwas geruhsamer.

Heute war er mit Christoph Rüfenacht unterwegs. Rüfenacht arbeitete für eine andere Firma. Was für Geschäfte diese betrieb, wusste Kloter einigermassen, es interessierte ihn aber wenig. Auf den Cayman Islands waren gegen hunderttausend Firmen registriert, und das bei rund vierzigtausend Einwohnern. Keine davon produzierte etwas, das man mit Händen fassen konnte. Alle überwiesen oder hoben Geld ab, das Letztere in grösserem Umfang als das Erstere – meistens jedenfalls.

«Christoph», sagte Konrad Kloter zu Rüfenacht, «du bist heute besser in Form als ich. Ich vermag dir nicht zu folgen.»

«Nun ja, wenn’s dir nichts ausmacht, fahre ich voraus. Beim Pub … dort vor George Town, steige ich ab, trinke ein Bier und warte auf dich.»

Kloter öffnete die Augen. Er war festgezurrt auf einer Bahre und lag neben einem Ambulanzfahrzeug.

Ein Sanitäter blickte ihm direkt in die Augen und sagte lächelnd: «Hallo. Sie waren zusammengebrochen, und ein Jogger hat uns alarmiert.»

Zwei uniformierte Polizisten traten hinzu. «Sind Sie gestürzt? Wie heissen Sie?», fragte der eine.

«Mein Name ist Konrad Kloter, ich weiss nicht, was mit mir geschehen ist.» Kloter wollte einen Blick auf die Uhr werfen, doch das ging nicht, da der Arm festgebunden war. «Wie viel Uhr ist jetzt?»

«Halb fünf. Können Sie sich an die Zeit vor dem Unfall erinnern?», fragte der Ordnungshüter mit den Rangabzeichen eines Sergeanten.

Kloter dachte nach. «Ich radelte mit einem Kollegen über diese Strasse. Er war mir zu schnell. Schliesslich machte er den Vorschlag, allein weiterzuziehen. Ich stimmte zu. Das war circa um halb vier Uhr am Nachmittag.»

Dann fragte der Sergeant Kloter nach seinen Personalien und denen seines Begleiters. Kloter war nicht in der Lage, diese rasch und präzis anzugeben. Er könne kaum sprechen, der Kiefer schmerze ihn dabei.

«Ein gutes Zeichen, dass Sie sich an all das erinnern können. Wir nehmen jetzt die Spurensicherung vor. Morgen werden wir Sie besuchen.»

Kloter wurde in die Notfallabteilung des Krankenhauses in George Town eingeliefert. Die Ärzte stellten gravierende, aber nicht lebensgefährliche Verletzungen fest. Eine grössere Wunde am Hinterkopf, eine Gehirnerschütterung, Verdacht auf Frakturen an der Wirbelsäule, mehrere Brüche im Kieferbereich.

Am folgenden Tag, Donnerstag, den 4. Januar 2001, bekam Kloter Besuch von den beiden Polizisten, die zur Unfallstelle gerufen worden waren. Der Sergeant berichtete ihm vom Augenschein an der Unfallstelle. «Das Fahrrad war nur leicht beschädigt, zeigte aber am Rahmen blaue Lackspuren. Waren die schon vor dem Unfall vorhanden?»

Just als Kloter zu sprechen begann, trat der Stationsarzt ins Zimmer und wies die Polizisten an, den Patienten nicht zu strapazieren. Das Sprechen sei für ihn schmerzhaft.

Kloter antwortete leise: «Nein, von solchen Farbflecken ist mir nichts bekannt.»

«Es macht den Anschein, dass Sie von einem Auto angefahren wurden. Wir haben die Spuren sichergestellt. Vielleicht finden wir heraus, von wo sie stammen.» Das sei allerdings nicht sehr wahrscheinlich. Denn die Garagisten, die Reparaturen an den Fahrzeugen vornähmen, seien verschwiegen, räumte der Polizeimann ein. «Haben Sie Feinde, die Ihnen nach dem Leben trachten könnten?»

Kloter schluckte leer. «Als Banker setzt man sich immer Gefahren aus, einige Geschäftspartner sind einem nicht wohlgesinnt. Doch dass sie physische Gewalt anwenden, kann ich mir schwer vorstellen.»

«Ich stelle diese Frage, weil wir in letzter Zeit kriminelle Aktivitäten im Sektor der Finanzdienstleistungen feststellen. Und das geht leider bis zu Tötungsdelikten.»

Kloter lächelte erschöpft. «Kriminelle Aktivitäten, wie wahr.»

«Eben, und bei Ihrem Unfall könnte das auch der Fall gewesen sein. Um halb vier Uhr mussten wir in der Nähe Ihres Unfallorts ebenfalls ausrücken. Es lag eine Leiche mit Kopfschuss im Strassengraben. Einige Dutzend Meter davon entfernt, in einer Ausbuchtung, stand der Wagen des Opfers. Auf der linken Seite leicht beschädigt. Der Wagen hatte einen blauen Anstrich. Die Lackspuren an Ihrem Fahrrad dürften von diesem Fahrzeug stammen. Es wurde gestern Vormittag in George Town als gestohlen gemeldet. Der Dieb hatte das Kontrollschild ausgewechselt, wir haben eine Menge Zeit gebraucht, um es ausfindig zu machen.»

«Haben Sie die Identität des Opfers herausgefunden?»

«Ein Puerto Ricaner, W. S., Angestellter einer britischen Sicherheitsfirma. Sagt Ihnen die Bezeichnung ‹Global Security› etwas?»

Kloter wurde noch blasser, als er schon war. «Und ob mir das etwas sagt. Auch wir haben diese Firma engagiert.»

«Wir?»

«Cäsar Bieder Trust Company, Cayman Islands. Ich bin dort der Chief Operating Officer.»

«Ich nehme an, es handelt sich um eine Filiale, deren Hauptsitz sich in einem anderen Land befindet?»

«Da raten Sie richtig, es ist eine Zweigniederlassung der Privatbank Bieder an der Zürcher Bahnhofstrasse in der Schweiz.»

Der Sergeant nickte kaum merklich, sah Kloter vielsagend an. «Da ist mit Sicherheit viel Geld im Spiel. Um in diesem Fall zu ermitteln, bin ich nicht der richtige Mann, dafür sind meine Schuhe zu klein. Ich wende mich an meinen Vorgesetzten, Kriminalinspektor Riva.» Der Sergeant entschuldigte sich für die Belästigung, drückte Kloter mit liebenswürdiger Miene die Hand und ging.

Am Freitagvormittag erschien Riva am Krankenbett Kloters. Er war nicht allein, ein Polizist begleitete ihn.

«Das ist eine Vernehmung. Alles, was gesprochen wird, halten wir fest», sagte Riva freundlich zu Kloter.

Der Polizist zog ein kleines Aufnahmegerät aus der Tasche und hob es in die Höhe.

«Es geht weniger nur um Sie, mehr um den erschossenen Fahrer des Wagens, mit dem Sie angefahren wurden. Aber auch da wissen wir nicht, wie alles abgelaufen ist, vielleicht war er ein Opfer wie Sie», begann Riva.

Er konfrontierte Kloter mit den Angaben, die er gegenüber dem Sergeanten gemacht hatte. Das stimme so, bestätigte Kloter.

«Damit wir mit den Ermittlungen beginnen können, benötige ich weitere Informationen von Ihnen. Sind Sie derzeit in der Lage, darüber zu berichten?»

Kloter nickte schwach. «Sie müssen einfach Geduld haben, Reden ist für mich eine Qual.»

«Ich weiss», sagte Riva verständnisvoll. «Zuerst zum Kollegen, Christoph Rüfenacht, der Sie anfänglich auf der Velotour begleitet hat. Er heisst doch Rüfenacht?»

«Ja. Er ist ein Landsmann von mir.»

«Wie lange kennen Sie ihn schon?»

«Ich muss nachdenken … Seit Sommer 1999. Bei einer Party, die unsere Firma gab, sind wir uns zum ersten Mal begegnet.»

«Arbeitet er in Ihrer Firma?»

«Nein, in einem Partnerunternehmen. Der Chef dieses Unternehmens, Vinzenz Albot senior, war ursprünglich als leitender Angestellter im Bankhaus Bieder in Mexiko tätig. Er gründete dann eine eigene Firma mit dem Einverständnis und der Unterstützung des Seniorchefs Dr. Cäsar Bieder in Zürich.»

«Unter welchem Namen ist diese Firma auf den Cayman Islands eingetragen?»

«Albot Global Invest, Cayman Islands.»

«Ist das der Stammsitz dieses Unternehmens?»

«Nein, sicher nicht. Der ist in Zürich an der Bahnhofstrasse. Im selben Gebäude wie der Hauptsitz des Finanzkonzerns Cäsar Bieder.»

«Dann arbeiten beide Institutionen zusammen?»

«Das kann man wohl sagen. Es sind sozusagen siamesische Zwillinge. Wobei ich zur Ansicht neige, dass Vinzenz Albot senior, der Direktor der Albot Global Invest Zürich, wahrscheinlich der Dominantere der beiden ist. Er ist US-Bürger, besitzt aber auch die mexikanische Staatsangehörigkeit und neuerdings die der Schweiz, was ihn vor einer drohenden Auslieferung in die Vereinigten Staaten schützen wird. In New York sollen mehrere Prozesse gegen ihn laufen.»

Kloter unterbrach seinen mühsamen Redefluss kurz, hob die rechte Hand und sagte: «Zur Zusammenarbeit von Albot und Bieder wäre noch etwas nachzutragen. Beide Seniorchefs wohnen im Zürcher Nobelort Erlenbach, in zwei ungefähr gleich grossen und luxuriösen Villen. Beide Grundstücke grenzen aneinander.»

«Dann sind es Freunde, die sich schon seit Langem kennen?»

«Freunde? Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich weiss von einem bösen Streit, den sie miteinander austrugen. Dass sie nahe zusammenleben, dürfte der gegenseitigen Abhängigkeit geschuldet sein.»

«Genauer bitte?»

«Dazu möchte ich mich nicht äussern.»

«Wie viele Mitarbeiter beschäftigt die Albot Global Invest, Cayman Islands?»

«Das kann ich nur schätzen. Etwa ein Dutzend. Das spielt aber eine untergeordnete Rolle, wenn es um das Verschieben von grossen Geldbeträgen geht.»

Riva schmunzelte. «Ich weiss.» Er zog einen kleinen Notizblock aus seiner Jackentasche, las etwas mit gerunzelter Stirn. Dann stellte er die nächste Frage. «Wie oft trafen Sie Rüfenacht, um mit ihm Rad zu fahren?»

«Das war erst das zweite Mal.»

«Wann war es das erste Mal?»

«Vor einem Monat.»

«Waren Sie damals besser in Form als bei der Begegnung vorgestern?»

«Das schon. Aber wir fuhren damals auch gemütlich die Strandstrasse entlang, es war Rüfenacht, der das vorgeschlagen hatte. ‹Ich möchte mal die Gegend erkunden. Ich bin hier noch nie mit dem Velo unterwegs gewesen›, rechtfertigte er sich. Einige Male stieg er sogar vom Rad und machte Fotos mit dem Handy.»

«Aha», sagte Riva, die Augenbrauen hochziehend. Er hielt einige Momente inne, konsultierte erneut seinen Notizblock und fragte: «Hat Ihnen Rüfenacht von seiner Arbeit erzählt?»

Kloter zögerte mit der Antwort. «Nicht sehr viel. Er ist Buchhalter in der Albot Global Invest. Buchhaltern ist es streng untersagt, mit Aussenstehenden über ihre Tätigkeit in der Firma zu sprechen. Das gilt umso mehr, wenn sie gegen Steuergesetze verstösst, Geld wäscht oder von kriminellen Organisationen solches verwaltet. Ich vermute, dass die Albot Global Invest genau das praktiziert.»

«Haben Sie wirklich diesen Verdacht?»

«Ich schliesse es nicht aus.»

«Ist Rüfenacht verheiratet, lebt er in einer Partnerschaft, oder ist er Single?»

«Er ist verheiratet mit einer Mexikanerin. Ich habe seine Gattin noch nie gesehen.»

«Hatten Sie seit dem Unfall Kontakt zu Rüfenacht?»

«Er hat mich heute Morgen im Spital angerufen. Ich erzählte ihm, was ich wusste von meinem Unfall.»

«Wie hat er darauf reagiert?»

«Was sollte er auch dazu sagen? Er entschuldigte sich, dass er nicht auf mich gewartet hatte.»

«Können Sie sich das Formtief erklären, das Sie bei der Radtour vorgestern befallen hat?»

«Eigentlich nicht. So etwas passiert mir eher selten. Wenn eine Grippe im Anzug ist, vielleicht. Aber dagegen lasse ich mich neuerdings impfen. Ich bin auch nicht besonders wetterfühlig.»

«Wo waren Sie, bevor Sie mit dem Velo wegfuhren?»

«In der Firma.»

«Haben Sie vorher etwas gegessen und getrunken?»

«Einen Kaffee.»

«Haben Sie ihn selbst zubereitet?»

«Nein. Er wurde mir gebracht von der kleinen Kantine, die in unserem Haus betrieben wird.»

«Wissen Sie, wer ihn zubereitet hat?»

«Nein. Es gibt immer wieder neue Leute in diesem Ausschank.»

«Wusste jemand in Ihrer Firma von Ihrem Vorhaben, auf der Küstenstrasse zu radeln?»

«Ich denke schon. Mittwochs steige ich, wenn immer möglich, nach der Arbeit auf das Velo.»

«Wusste jemand, dass Sie die Tour zusammen mit Rüfenacht machen wollten?»

«Könnte sein. Er fuhr vorgestern mit seinem Rennrad in unseren Vorhof und wartete auf mich.»

Riva sah Kloter einige Augenblicke unschlüssig an. Dann kam gepresst über seine Lippen: «Könnten Sie sich vorstellen, dass Rüfenacht etwas mit dem Unfall, den Sie erlitten haben, zu tun hatte? Dass er von Ihrer Wegstrecke bereits zuvor wusste und mithalf, Sie in eine Falle zu locken?»

«Ich kann das nicht ausschliessen.»

«Sind Sie verheiratet?»

«Ja, seit 1995, also seit sechs Jahren, meine Frau ist Schweizerin.» Kloter sah Riva mit zusammengekniffenen Augen an. «Sie wollen auch alles wissen.»

«Das ist so. Ein Inspektor muss neugierig bis zum Überdruss sein. Bei Kriminalfällen spielen oft Menschen im Umfeld des Opfers oder des Täters eine Rolle.»

«Möglich, aber in meinem Fall begeben Sie sich auf den Holzweg, sollten Sie annehmen, meine Gattin hätte etwas mit dieser Sache zu tun. Wir leben eng zusammen, ich treibe mit ihr Sport, wir haben keine Geheimnisse voreinander. Meine Frau besitzt seit einigen Jahren das Schweizer Bürgerrecht, ursprünglich war sie deutsche Staatsangehörige.»

«Was treiben Sie neben dem Radfahren für einen Sport?»

«Wir tauchen, und das macht man üblicherweise nicht ohne Begleitung.»

«Und Sie, Herr Kloter, reisen Sie oft nach Zürich?»

«Nicht so oft, mindestens einmal jährlich.»

«Wie ist derzeit das Arbeitsklima in Ihrer Firma?»

«Es war schon besser, aber ich komme gut zurecht. Mehr möchte ich diesbezüglich nicht preisgeben.»

«Schade», sagte Riva. «Das ist vorerst alles, was ich von Ihnen wissen wollte. Es kann sein, dass ich Sie später erneut aufsuchen werde. Bei uns nimmt man diesen Fall ernst. Es geht in diesem Zusammenhang auch um einen Mord. Ein eher seltenes Ereignis auf den Cayman Islands. Noch seltener, wenn das Opfer in einer Sicherheitsfirma angestellt war, die für international tätige Finanzinstitute Dienstleistungen erbringt. Dass in diesem Sektor auch Gewaltverbrechen verübt werden, vermuteten wir schon immer. Doch diese werden sozusagen ausgelagert. Die Menschen, einige haben auch auf den Cayman Islands gearbeitet, werden in anderen Ländern umgebracht: in Mexiko, Panama, auf den Bahamas, auf Barbados, Grenada, Haiti, Jamaika und was es noch so gibt.»

***

Inspektor Riva schrieb einen Bericht und leitete ihn seinem Vorgesetzten, Chef-Inspektor Metzger, weiter. Richard Metzger war im Gegensatz zum ziemlich dunkelhäutigen und feingliedrigen Manuel Riva ein bulliger weisser Riese, an die ein Meter neunzig gross. Metzger zitierte Riva zu sich. Sein Büro war im gleichen Haus wie das von Riva, aber in der Teppichetage, das von Riva ein Stockwerk tiefer.

«Manuel, ist dir bewusst, auf was du dich hier einlässt?», fragte Metzger aufgebracht. «Ich kann dir jetzt schon sagen. Gegen die beiden Finanzdienstleistungsfirmen werden wir nicht ermitteln.»

«Dann haben wir wohl keine Chancen, diesen Mordversuch aufzuklären.»

«Wir klären ihn nach unserer Fasson auf.»

«Fasson?»

«Meine Vorfahren waren Deutsche. Sie wanderten um die Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA aus. Nach dem Bürgerkrieg, sie lebten in Mississippi, emigrierten sie auf die grosse Insel der Cayman Islands. Weil ich deutsche Wurzeln habe, weiss ich, was Fasson bedeutet. Der Alte Fritz hat gesagt: ‹Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.› Fritz war der preussische König Friedrich II. Er lebte im 18. Jahrhundert. Die Deutschen sind eben eine Kulturnation.»

Riva setzte eine säuerliche Miene auf. «Ich stamme auch von Vorfahren aus Kulturnationen ab. Von Indios und von Afrikanern. Und sei dir bewusst, unser Premierminister hat dieselbe Abstammung wie ich.»

«Sei nicht beleidigt, Manuel. Der Premierminister ist schon recht, er ist ein guter Freund von mir. Und es ist genau seine Fasson, sich nicht in die Geschäfte der Finanzbranche einzumischen. Wegen denen brauchen unsere Bürger sozusagen keine Steuern zu bezahlen. Die Geldinstitute sollen ihre Unstimmigkeiten unter sich austragen, das hat er mir eingeschärft. Und das respektiere ich.»

«Aber verrate mir jetzt, was meinst du mit Fasson?»

«Fasson ist … ist … die Art und Weise, wie wir bei der Polizei strategisch vorgehen. Wenn wir einen Mörder suchen, finden wir ihn. Darin unterscheiden sich die Cayman Islands von den meisten anderen Ländern. Wir finden ihn dort, wo er sein darf. Er darf unter keinen Umständen in der Belegschaft der Albot Global Invest oder der der Trust Company Cäsar Bieder sein. Verstehst du?»

«Nein.»

«Stell dich nicht dumm. Wir müssen den Mörder anderswo finden. Zum Beispiel bei einer kriminellen Gang. Oder besser noch, wir holen uns den Nächsten, der seine Frau umbringt. Kommt immer wieder vor auf unseren Inseln. Wir jubeln ihm einen weiteren Mord unter. Gesteht er den, versprechen wir ihm Hafterleichterung. Es spielt in der Strafzumessung ohnehin keine Rolle, ob er einen Menschen oder mehrere umgebracht hat. Fazit: Werter Manuel, deine verdammte Pflicht ist es, mir einen Mörder herbeizuschaffen. Gelingt dir das, bekommst du eine Lohnerhöhung.»

***

Die Verletzungen Kloters waren noch gravierender, als es anfangs schien. Seine Frau Helga wandte sich an seinen Arbeitgeber und forderte eine Verlegung in ein anderes Spital. Man einigte sich auf eines in Miami: University of Miami Hospital and Clinics.

Sie erbat sich, ihren Mann zu begleiten. Für ihre Reisekosten würde sie selber, für die von Konrad die Krankenversicherung aufkommen.

Der Direktor hatte offensichtlich Probleme mit diesem Vorschlag. «Warum verlassen Sie sich nicht darauf, dass wir Ihren Gatten auch ohne Sie wieder heil aus Miami zurückbringen?»

«Darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig.»

Mitte Januar flogen die Kloters mit einer Maschine der Cayman Airways nach Miami.

***

Zwei Männer in blauen Overalls, der eine nahezu ein Riese mit einer beträchtlichen Körperfülle, der andere spindeldürr, kaum einen Meter sechzig hoch, läuteten bei Kloters Haus. Der Dürre hielt einen schwarzen Koffer, wie ihn Handwerker üblicherweise mitführen, und beide trugen dünne Gummihandschuhe. Sie warteten einige Augenblicke, bis sich die Türe wie von selbst öffnete, weil der eine einen Schlüssel in das Schloss geschoben hatte.

Vom Telefon im Eingangskorridor montierte einer der beiden den Hörer ab, legte ihn behutsam auf das Tischchen darunter und schraubte das Mikrofon ab. Der andere zog einen winzigen Baustein, der so aussah wie eine Zwanzig-Rappen-Münze, aus der Tasche, bestrich einen Teil der Hohlraumwand mit einem Sekundenkleber und drückte den kleinen Gegenstand darauf. Sekunden später hielt der Kleber, danach schraubte er das Mikrofon zu und befestigte den Hörer wieder am Telefon an der Korridorwand.

«Den ersten Sender hätten wir platziert», sagte der Riese. «Die Gespräche, alle Geräusche sollen von diesem eher schwachen Sender zu einem kleinen Empfänger auf den obersten Stock, dessen drei kleine Räume als Abstellkammern dienen, übertragen werden. Diese Miniwanze ist stark genug, auch Geflüster bis auf den Dachboden zu leiten. Wir müssen noch einen grösseren Sender, verbunden mit dem Empfänger, installieren. Dieser wird die Signale zur zwei Kilometer entfernten Antenne auf dem Bieder-Gebäude weiterleiten.»

«Verstehe», sagte der Dürre.

«Das System, Festnetzgespräche so anzuzapfen, ist übrigens genial. Der schwache Strom, mit dem die Telefone gespeist werden, ist als Energiequelle längst ausreichend. Es wird so lange funktionieren, bis der Hörer ausgetauscht wird. – Du kannst noch vieles lernen. Den nächsten Einsatz wirst du übrigens leiten. Auf meiner Liste sind noch andere Kunden. Für die nächsten drei Wochen fliege ich in den Urlaub – nach Miami.»

Der Dürre nickte andächtig, und der Riese fuhr fort: «Als nächster kommt der Apparat im Arbeitszimmer dran, ein Tischtelefon im ersten Stock. Mit ihm verfahren wir gleich wie bei dem im Korridor. Das andere wird allerdings komplizierter. Wir müssen mehrere Sender in der Wand anbringen. Dort wird es schwieriger. Das geht so, ich mache es dir vor, für das nächste Mal.»

Der Riese schlug einen Nagel in eine Fuge der Täfelung und zog ihn wieder heraus. Dann schob er einen holzfarbenen, anderthalb Zentimeter langen Zylinder von der Dicke des Nagels in das Loch, dem er kurz zuvor einen Tropfen Epoxidharz beigefügt hatte. Der Zylinder, in dem sich die Wanze befand, steckte sofort fest. Einen Draht so dick wie ein Menschenhaar, der im Zylinder aufgewickelt war, drückte er in die Fuge der Täfelung und führte ihn zur Decke hoch. Dort schob er den hauchdünnen Draht durch eine Ritze zum Dachboden.

«Wir montieren auf diese Weise drei Minisender an den Wänden des Arbeitszimmers. Sicher ist sicher», sagte der Riese.

Da der Dürre auch Hand anlegte, war das in zehn Minuten gemacht.

Auf die gleiche Weise verfuhren sie mit den übrigen Räumen.

«Jedes Zimmer wird so verwanzt, auch die drei im Parterre: Küche, Esszimmer, Vorratskammer», sagte der Riese.

«Wie kommen wir durch die Decke über dem Erdgeschoss?», fragte der Dürre.

Der Riese entnahm dem Werkzeugkoffer eine Bohrmaschine. «Damit stossen wir ein ganz dünnes Loch durch den Zwischenboden und können so den Draht durch die Fuge nach oben ziehen.»

Eine halbe Stunde später war das ganze Haus der Kloters verwanzt. Der Riese machte mit dem Dürren einen Rundgang durchs Haus.

«Grossartig», bemerkte der Dürre. «Alle Mikrofone sind unsichtbar. Der grössere Sender im Dachgeschoss fällt auch niemandem auf.»

«So muss es sein. Ich habe Übung in dieser Sache. Und denk daran, Kleiner, darüber von jetzt an kein Wort.»

«Dann können wir nun endlich abhauen?»

«Nein, du Einfaltspinsel. Jetzt kommt noch die Funktionskontrolle.» Der Riese tippte eine Nummer in sein Handy. Er hatte es so eingestellt, dass der Dürre mithören konnte.

«Hallo, wer ist da?»

«Sperber. Wir sind fertig mit Installieren. Nun gilt es zu überprüfen, ob alles funktioniert.»

«Gut, ich bin gespannt.» Das Telefonat wurde grusslos abgebrochen.

«Wer war das?»

«Das geht dich nichts an. Ich schreibe dir die Nummer auf.»

Die beiden gingen durch alle Räume, sprachen miteinander. Immer kam ein Signalton aus dem Handy, der eine SMS ankündigte. Jede Nachricht enthielt ein «Okay».

«Und die Telefone?», erkundigte sich der Dürre.

«Sieh einer an! Wie schön, dass du auch mitdenkst.»

Der Riese rief von beiden Festnetzgeräten sein Handy an. Auch das funktionierte einwandfrei.

***

Ende Januar, zwei Wochen nachdem die Kloters nach Miami abgeflogen waren, hatte Inspektor Riva die ihm auferlegte Aufgabe gelöst. Er «fand» den Mörder des Puerto Ricaners W. S., der Konrad Kloter angefahren und verletzt hatte: ein Einheimischer mit den Initialen J. Z., mit brauner Hautfarbe, der in einem Quartier in George Town zu Hause war, das vorwiegend von der nicht wohlhabenden Bevölkerung bewohnt wird. Er hatte einen Nachbarn, der in sein Haus eingebrochen war, niedergeschossen und mittelschwer verletzt. Der Schütze wurde festgenommen, aber nicht des Mordversuchs angeklagt. Auf den Cayman Islands wird häufig gestohlen und eingebrochen, das wird, sollte der Täter gefasst werden, immer geahndet, meist mit Gefängnis.

Riva schlug dem in Haft Genommenen einen Deal vor. «Wenn du zugibst, mit deiner Flinte auf den Mann, der ein Auto gestohlen hat, gezielt und abgedrückt zu haben, verspreche ich dir ein faires Gerichtsverfahren.»

«Da müsste ich schon mehr wissen über diesen Mann.»

Riva erzählte ihm die Geschichte vom Unfall Kloters.

«Dieser Mann hat also nicht nur ein Auto geklaut, sondern danach noch einen Mann angefahren und schwer verletzt?»

«So ist es. Und du hast sein Tun beobachtet. Du warst einfach empört über diesen Autorowdy und hast ihn in der ersten Wut umgelegt. So etwas gehört sich ja nicht. Das Temperament ist dir wieder mal durchgegangen. Du bist halt ein impulsiver Typ. Das Gesetz erlaubt so was nicht. Doch ein Krimineller bist du deswegen nicht.»

«Welche Strafe habe ich zu erwarten?»

«Gefängnis auf Bewährung und sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft.»

Der festgenommene J. Z. streckte Riva die Hand entgegen. «Danke vielmals, das ist grosszügig, ich nehme das Angebot an.»

«Warte noch einen Moment, ich muss die Sache zuerst noch meinem Chef unterbreiten.»

Riva ging gleich zu Metzger und unterbreitete ihm seinen Vorschlag. Metzger klopfte ihm auf die Schultern. «Du bist ein Teufelskerl und mein bester Inspektor. Gut gemacht.»

***

Metzger war am selben Abend zu einer Party, die Nathan Kupperman, der Direktor der Cäsar Bieder Trust Company, in seiner Villa gab, eingeladen. Eine private Party, nur handverlesene Leute waren dazu eingeladen. Weniger als ein halbes Dutzend aus der Firma durften daran teilnehmen. Darunter der Sicherheitschef Henry Johnson, der Anwalt Jorge Luis Rhodriguez, beides enge Vertraute von Kupperman, und Christoph Rüfenacht, Buchhalter der Albot Global Invest. Rhodriguez war ein Prozessanwalt, der die Bieder Trust Company vor Gericht vertrat, nicht nur auf den Cayman Islands, sondern auch und vorwiegend in den USA.

Kurz nach Beginn bat Kupperman Metzger in sein Arbeitszimmer. Er habe mit ihm etwas Wichtiges zu besprechen. Metzger bemerkte lässig, er wisse sehr wohl, um was es gehe.

«Wie steht es mit dem Mord an der Strandstrasse?», fragte Kupperman, der auf einem bequemen Ledersessel Platz genommen und Metzger die gleichartige Sitzgelegenheit angeboten hatte.

«Ich muss überlegen …»

«Du machst es spannend.»

«Es ist auch spannend.» Metzger schilderte wortreich den Auftrag, den er Riva gegeben hatte und was dieser daraus gemacht hatte.

Kupperman verfiel in ein schallendes Lachen, das er fast nicht mehr abbrechen konnte. Immer wieder klopfte er sich auf die Schenkel. «Ich glaube es nicht. Auf diese Idee muss man schon kommen.» Dann warf er einen halbwegs ernsten Blick auf Metzger. «Du, sag mal, wie steht es mit der Rückzahlung deiner Hypothek bei der Bank … bei der Bank …»

«Banco Popular de George Town. Ich werde es schaffen.»

«Wie viel noch?»

«Fünfzehntausend Pfund.»

Kupperman verzog seinen Mund zu einem süffisanten Lächeln. «Komm schon, das geht bei uns über die Portokasse …»

«Du willst damit nicht sagen, dass …»

«Doch, unsere Firma übernimmt das.»

«Wie habe ich das verdient?»

«Zum Teil bereits … den anderen werden wir später einfordern. Wie ich dich einschätze, wirst du kooperieren.»

«Darauf kannst du dich verlassen.»

«Daran zweifle ich keinen Moment. Weiss ich doch, dass du von guten Eltern abstammst. Moment mal. Und Riva? Muss der auch Hypotheken abstottern?»

«Ja, schon … er ächzt immer wieder über seine geldgierige Bank.»

«Wie viel etwa?»

«Weiss ich nicht genau. Aber sicher weniger als bei mir.»

«Schlag ihm morgen diesen Handel vor. Denkst du, er wird darauf einsteigen?»

«Sicher. Der wäre schön blöd, täte er das nicht.»

«Was für ein Tag, so wunderschön … Das wollen wir begiessen.» Wieder klopfte sich Kupperman auf die Schenkel.

«Als Polizeichef von George Town kann ich es mir nicht leisten, besoffen herumzufahren.»

«Oje, mach jetzt kein Theater. Ich besorge dir einen Chauffeur, der dich mit deinem Wagen nach Hause bringt.»

Nach dem feuchtfröhlichen Abend hatte Richard Metzger drei neue Duzfreunde: Henry Johnson, Jorge Luis Rhodriguez und Christoph Rüfenacht.

Am nächsten Morgen war auch Riva seine finanziellen Sorgen los.

Am folgenden Montagmorgen erhielt Metzger einen Anruf von Kupperman. «Könntest du mir heute Nachmittag in meinem Büro einen Besuch abzustatten?»

«Darf ich jemanden mitbringen, meine Sekretärin, die mir bei Schreibarbeiten und anderem zur Verfügung steht?»

«… und anderem ist gut. Nein, das ist nicht nötig. Wir möchten dich allein sprechen. Die Sache ist höchst vertraulich.»

Als Metzger in Kuppermans geräumiges Büro geführt wurde, staunte er nicht schlecht. Am Besuchertisch sassen bereits Johnson, Rhodriguez und Rüfenacht. Die Sekretärin brachte Kaffee und Süssigkeiten.

«Die Besprechung wird nicht lange dauern, eine halbe, höchstens eine Stunde», sagte Kupperman. Er begann mit der Bitte, sich an die Gesetze zu halten. Das habe beim Konzern Cäsar Bieder Priorität. Natürlich schätze diese Bank die wirtschaftlichen Verhältnisse auf den Cayman Islands. «Die Hauptstadt George Town hat sich in den letzten Jahren zu einer internationalen Steueroase entwickelt. Die Banken sind verschwiegen, sogar verschwiegener als die in der Schweiz. Es herrscht das perfekte Bankgeheimnis. Und all das kommt auch der Bevölkerung auf dieser Insel zugute. Es gibt weder eine Einkommensteuer noch eine Körperschaftsteuer. Keine Grundstücksteuer, keine Kapitalertragsteuer, keine Erbschaftsteuer. Trotzdem geben wir dem Fiskus Geld ab. Niemand fragt danach, von wo wir es haben. So können wir unbefangen investieren und daraus Gewinn erzielen. Allen ist damit geholfen.»

Er schaute in die Runde, bevor er weiterfuhr. «Die Cayman Islands sind ein mit der britischen Krone verbundenes Territorium, kein unabhängiger Staat und trotzdem freier als eine eigenständige Nation. Die Cayman Islands haben eine ungewöhnlich stabile Regierung, man redet ihr aus London nicht drein. Sie ist autonom und kann schalten und walten, wie sie will. Auf der Insel kennt man weder Kriminalität noch Arbeitslosigkeit.»

Von den Gesichtern der Zuhörer konnte Kupperman es unschwer ablesen: Jetzt übertreibt er mit seinem Zynismus. Es fühlte sich für ihn und sie an wie ein Kaffeelöffel voll Honig auf der Zunge.

«Kommen wir zur Sache», sagte Kupperman schliesslich. «Es geht um den zweiten Mann in der Cäsar Bieder Trust Company, Cayman Islands, Chief Operating Officer Konrad Kloter. Der Mann schert aus. Ihm gehen die Gesetze der Cayman Islands zu wenig weit. Er mutiert immer mehr zum Moralapostel. Er beginnt das Bankgeheimnis zu hinterfragen. Er vermutet hinter jedem finanzstarken Kunden, Kreditnehmer oder Investor einen Drogenhändler oder einen Steuerhinterzieher. Er ist auf dem besten Weg dazu, unsere Bank an die Wand zu fahren. Das können wir nicht zulassen.»

«Warum setzt du ihn nicht an die frische Luft?», fragte Metzger.

Kupperman seufzte. «Der Konzern Cäsar Bieder ist ein Schweizer Finanzunternehmen. Stellen wie die von Kloter werden vom Mutterhaus in Zürich besetzt. Dort gelten ein bisschen andere Regeln als hierzulande. Die Angestellten sind zum Teil in Gewerkschaften organisiert. Die mischen sich zwar nicht in unser Geschäftsgebaren ein, doch geht es um Anstellungsverträge, liegt der Fall anders, da spielen die Gepflogenheiten in der Schweiz eine Rolle. Man ist verpflichtet, Kündigungsfristen einzuhalten. Wenn mir als Direktor ein Mitarbeiter überdrüssig zu werden beginnt, muss ich es mit Zürich absprechen und das aufs Sorgfältigste begründen. Das dürfte dauern, für mein Dafürhalten zu lange. Ich möchte den Kerl loswerden, und zwar lieber heute als morgen. Um das zu bewerkstelligen, bin ich auf eure Hilfe angewiesen.»

«Warum ihn nicht liquidieren?», warf Metzger ein.

«Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Diese Sache ist verdammt heiss. Da war die Geschichte mit dem Fahrradunfall. Denen von Zürich kam das ungelegen. Es gibt Anzeichen, dass Kloter das als Versuch auslegt, ihn zu beseitigen, und deswegen bei seinen Schweizer Freunden vorstellig werden könnte. Das würde für die Bank einen nicht wiedergutzumachenden Imageschaden bedeuten. Wie ihr seht, sind mir ein Stück weit die Hände gebunden. Wir müssen mehr erfahren über ihn. Mit wem er telefoniert, wem er Briefe schreibt, von wem er solche erhält, mit wem er sich trifft, was er für Freizeitgewohnheiten hat. Aber auch über die Aktivitäten seiner Frau sollten wir Bescheid wissen. Vieles davon ist uns bekannt, doch längst nicht alles. Beginnen wir mit den Telefonen.»

Kupperman zog einen Notizblock aus seiner Jackentasche, blätterte kurz darin und fand die Stelle, die er suchte. «Um das Belauschen der Gespräche der beiden Festnetztelefone braucht sich hier niemand mehr zu kümmern. Auf sein Handy haben sie aber keinen Zugriff.» Kupperman sah Metzger an. «Meines Wissens hat die Polizei durchaus Möglichkeiten, Handys abzuhören.»

«Kein Problem. Das könnte ich in die Wege leiten. Allerdings dürfte das mindestens zwei Wochen dauern, wenn nicht sogar länger. Aber spätestens in einem Monat wären wir so weit.»

«Danke, abgehakt», erwiderte Kupperman.

«Wanzen in seinem Haus?», schickte Metzger nach.

«Auch dieser Bereich ist abgedeckt. Wir hören jedes Schnarchen und Stöhnen in seinem Schlafzimmer. Da gibt es auf Cayman Firmen, die darauf spezialisiert sind. Wir sind nicht das erste Finanzinstitut, das deren Dienste beansprucht.» Wieder flog ein Blick Kuppermans zum Chef-Inspektor. «Doch an einer anderen Dienstleistung wären wir interessiert. Kloters Porsche ist verwanzt. Gut wäre es, wenn die Polizei ihn überwachen könnte. Wir haben einen Empfänger auf dem Dach unseres Hauses. Doch Signale kann er lediglich in George Town und Umgebung erfassen. Die Empfangsgeräte der Polizei decken dagegen die ganze Hauptinsel ab.»

«Wird erledigt», versprach Metzger. «Ich benötige lediglich die Koordinaten der Wanzen.»

Kupperman nickte mit einem zufriedenen Lächeln. «Das ist noch nicht alles», beschied er fordernd. «Uns wäre geholfen, wenn Kloter rund um die Uhr überwacht würde. Möglichst jede Ortsveränderung von ihm sollte zeitlich aufgezeichnet werden. Geht das?» Er sah Metzger fragend an.

Dieser überlegte einige Augenblicke. «Dafür gibt es auf den Cayman Islands jede Menge Schnüffler, die sich Detektive nennen. Einen Polizeimann allein dafür freistellen reicht nicht. Es müssten mindestens vier sein. Und das schaff ich kaum ohne gerichtliche Genehmigung.»

«Kann man diese Genehmigung irgendwie umgehen?»

Metzger gluckste. «Nathan, das ist doch kein Problem für uns. Ich kann das in die Wege leiten. Es kostet natürlich etwas, aber in Anbetracht des Schadens, den euch Kloter zufügen könnte, lohnt sich das allemal.»

Kupperman stimmte leicht widerstrebend zu. Wieder blickte er zu Metzger. «Wäre nett von dir, wenn die Polizei diesen Kerl ein wenig piesacken würde. Uns ist bekannt, dass Kloter mit seinem Porsche häufig die Geschwindigkeitslimits nicht beachtet. Gibt es diesbezüglich nicht eine Möglichkeit einzugreifen?»

«Ist die Überschreitung massiv, könnten wir ihn sogar verhaften und einen Tag in Untersuchungshaft setzen. Das wäre zu machen. Und wenn er nicht so schnell fährt, könnten wir uns vielleicht auch mal bei der Messung irren.» Metzger lachte lauthals.

«Harren wir der Dinge, die da kommen werden. Richard, herzlichen Dank für deine Mithilfe, jetzt lasse ich dich springen. Es könnte sein, dass ich dich erneut bitten muss, mich aufzusuchen.»

2

Konrad Kloter war nun schon zwei Wochen im Spital von Miami. Seine Gattin Helga hatte zusammen mit Jenny in der Nähe eine kleine, bescheidene Zwei-Zimmer-Wohnung gemietet. Konrads Genesung machte Fortschritte, bald würde er wieder auf die Cayman Islands zurückkehren können. Er stand über sein Mobiltelefon in regem Kontakt mit der Firma. Man wünschte ihm von dort gute Besserung – jeden Tag. Gab ihm zu verstehen, dass man sich nach dem Tag sehnen würde, an dem er wieder in seinem Büro auf der Teppichetage der Cäsar Bieder Trust Company tätig sein werde.

Konrad sprach mit Helga darüber. Sie glaubte nicht so recht an diese Sympathiebezeugung. «Nimm dich in Acht vor Bieder. Mir schwant, sie führen etwas Ungutes im Schilde.»

«Wem sagst du das? Die ganze Sache stinkt zum Himmel. Doch was soll ich tun? Mich nochmals an die Zentrale in der Zürcher Bahnhofstrasse wenden? Das Schreiben, das sie mir nach dem Unfall über ihre Niederlassung auf den Cayman Islands zustellte, war zumindest zwiespältig.»

Kloter zog die Schublade des kleinen Tisches in seinem Spitalzimmer heraus und entnahm ihr ein schwarzes, grossformatiges Wachstuchheft. Er schlug die erste Seite auf. Da war er, der erste Brief, den er in das Heft geklebt hatte.

Kloter las ihn laut vor.

Zürich, Montag, 8. Januar 2001

Lieber Herr Kloter,

Ihr Unfall hat uns in Zürich betroffen gemacht. Wir wünschen Ihnen eine baldige Genesung. Nach unseren Informationen wurden Sie von einem Wagen, der gestohlen worden war, angefahren. Dessen Fahrer wurde in der Nähe des Fahrzeuges wenige Kilometer vom Unfallort tot aufgefunden. Die Polizei in George Town arbeitet fieberhaft an der Aufklärung des Vorfalls. Wie uns Herr Kupperman mitteilte, geht der zuständige Polizeiinspektor nicht davon aus, dass die Tötung des Fahrers etwas mit Ihrem Unfall zu tun hat.

Wir bitten Sie, allfälligen anderslautenden Gerüchten – wir wissen, dass solche im Umlauf sind – keine Beachtung zu schenken. Wir haben volles Vertrauen in die Arbeitsweise der Kriminalpolizei auf den Cayman Islands.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Cäsar Bieder jun.

Unter dem Brief stand noch eine handschriftliche Bemerkung Kloters, die er später, im Krankenhaus von Miami, hinzugefügt hatte:

Wie konnte Herr Bieder am 8. Januar spätnachmittags in Zürich wissen, dann hatte er den Brief wohl geschrieben, dass «anderslautende Gerüchte» in George Town über meinen Unfall herumgeboten wurden? Das ist doch nur damit zu erklären, dass Kupperman Kenntnis von meinen Aussagen im Verhör mit Riva hatte. Ganz offensichtlich liefen damals die Drähte zwischen der Zürcher Bahnhofstrasse, der Bieder auf Cayman und der Cayman-Polizei heiss. Es geht um die beiden Sätze im Gesprächsprotokoll:

Frage von Riva:«Könnten Sie sich vorstellen, dass Rüfenacht mit dem Unfall, den Sie erlitten haben, etwas zu tun hatte? Dass er von der Wegstrecke bereits zuvor wusste und mithalf, Sie in eine Falle zu locken?»

Meine Antwort:«Ich kann es nicht ausschliessen.»

Beizufügen an dieser Stelle ist, dass Rüfenacht, Kupperman und Metzger schon Monate zuvor miteinander kurzgeschlossen waren.

Es folgte der zweite Brief.

Zürich, Dienstag, 30. Januar 2001

Sehr geehrter Herr Kloter,

eben haben wir von Herrn Kupperman erfahren, dass das Tötungsdelikt an W. S., der am Steuer des Wagens gesessen hatte, der Sie am Nachmittag des 3. Januar 2001 angefahren hat und schwer verletzte, aufgeklärt ist.

Weder der Schütze J. Z. noch der Unfallfahrer W. S. standen, wie offenbar fälschlich suggeriert wurde, in Verbindung mit Christoph Rüfenacht. J. Z. hat aus Empörung über die Fahrweise von W. S. gehandelt.

Wir bitten Sie eindringlich, diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Cäsar Bieder jun.

Handschriftliche Bemerkung Kloters unter dem Brief:

Die Botschaft zwischen den Zeilen ist unschwer auszumachen. Der eingeschobene Satzteil «wie offenbar fälschlich suggeriert wurde» bezieht sich auf mich.

Man unterstellt mir, Rüfenacht unterschwellig zu beschuldigen, den Fahrradunfall in Auftrag gegeben zu haben. Das habe ich so nicht getan.

Helga lachte, als Kloter mit Vorlesen zu Ende war. «Das hört sich an wie ein freudscher Versprecher.»

«Genau. Das rückt es fast in die Nähe eines Beweises. Doch im Moment bin ich unschlüssig, wie ich darauf reagieren soll. Die Kommunikation fand seit dem Unfall lediglich zwischen Nathan Kupperman und Cäsar Bieder statt. Ich hatte keine Gelegenheit, meinen Standpunkt einzubringen. Ich müsste zunächst versuchen, bei Cäsar Bieder direkt vorstellig zu werden. Es ist für mich schwer nachzuvollziehen, dass der Generaldirektor in Zürich zu Methoden wie der des Eliminierens eines seiner Untergebenen greifen würde. Das hätte er auch nicht nötig. Es gäbe andere Wege, sich von einem Mitarbeiter zu trennen. Auf eine transparente, faire Art.»

«Wäre das überhaupt möglich? Du hast in dieser Firma eine Spitzenposition. Mit deinem Wissen über ihre Geschäftspraktiken scheint es mir ein Ding der Unmöglichkeit, bei einem Konkurrenzunternehmen anzudocken.»

Auf Kloters Gesicht bildeten sich tiefe Sorgenfalten. «Darüber müsste ich mich mit Cäsar Bieder junior unterhalten. Nicht alle Privatbanken funktionieren gleich. Ich denke, wir würden eine Möglichkeit der Ablösung finden.»

«Vielleicht geht es weniger um die Konkurrenz, vielleicht geht es mehr darum, welche krummen Sachen die Bieders in der Vergangenheit gedreht haben. Du bist ein Geheimnisträger, du hättest die Möglichkeit, als oberster Kontrolleur der Bieder-Filiale auf den Cayman Islands einiges davon herauszufinden. Vielleicht haben solche Machenschaften seit deiner Ernennung zum Chief Operating Officer – das ist etwas mehr als ein Jahr her – gar nicht stattgefunden. Oder doch?»

Kloter seufzte. «Darauf dürfte ich eigentlich keine Antwort geben. Die Arbeit des Chief Operating Officer ist eine Gratwanderung. Unregelmässigkeiten sind mir schon aufgefallen. Doch waren sie für mein Dafürhalten Grenzfälle. An den Akten, an denen ich gearbeitet habe, ist mir nichts wirklich Kriminelles aufgefallen. Vielleicht ein paar riskante Steuererklärungen, wenig präzise Angaben über die Herkunft von Geldern, die auf unsere Bank verschoben wurden. Zudem blieben einige Fragen offen, was die Kontoauszüge betraf. Ich habe diese Regelwidrigkeiten mit meinen Untergebenen besprochen und natürlich auch mit dem Direktor. Das kam allerdings schlecht an. Ich solle mich da raushalten. Das sei eine Angelegenheit der Klienten. Die würden sich dem Risiko aussetzen, für strafbare Handlungen zur Verantwortung gezogen zu werden. Zudem könnten wegen einer solchen Nörgelei einträgliche Geschäfte an andere Geldinstitute verloren gehen.»

«Was für Geschäfte?»

«Du weisst, ich habe mich verpflichtet, auch mit den Menschen, die mir am nächsten stehen, nicht darüber zu reden. Daran habe ich mich bis zum Unfall gehalten. Nun hat sich die Situation geändert … Ich werde mich durchringen, dir einiges zu verraten. Ich wage das, weil ich sicher bin, dass meine Firma keine Wanzen in diesem Raum angebracht hat. Ich habe mich auch in die Akten meines Vorgängers vertieft, der auf eine eigenartige Weise ums Leben gekommen ist. Und da kam Verdächtiges zum Vorschein. Es ging um Gelder aus Medellín.»

Helga horchte auf. «Nicht doch!»

«Du denkst jetzt unwillkürlich an Drogengelder. Das kann man nicht ausschliessen, aber es muss nicht sein. Die Stadt beherbergt über zwei Millionen Einwohner. Medellín ist eines der bedeutendsten Industriezentren Lateinamerikas. Betriebe der Textil-, der Konfektions-, der Nahrungsmittel- und der Tabakbranche sind dort angesiedelt, aber auch mehrere chemische Fabriken, solche der Metallverarbeitung, der Zement-, Maschinen- und Möbelherstellung sowie weitere Produktionsstätten. Dafür sind Finanzdienstleistungen in grossem Umfang erforderlich. Und selbstredend mischen da die Bieder mit. Allerdings spielen sich der Drogenhandel und andere illegale Händel in Medellín und anderswo über ‹unverdächtige› Firmen ab. Dass sich etwa ein Möbelhaus mit Drogengeldern finanziert oder in einer grossen Pizzeria Geld gewaschen wird, wäre nichts Ungewöhnliches. Ich werde diese Akten gründlicher begutachten und gehe davon aus, dass darunter noch einige tote Hunde begraben sind.»

«Warum bist du diesbezüglich so zuversichtlich?»

«Die Cayman Islands liegen an der Drogenstrasse Kolumbien–USA. Auch der Umschlagplatz Mexiko, und dieser ist gewaltig, wird hauptsächlich über die Cayman Islands abgewickelt. Das hört man immer wieder hinter vorgehaltener Hand. Massenhaft Dollarscheine sollen aus der Luft und zur See nach George Town gebracht und dort auf ‹sorgfältig ausgewählte› Finanzunternehmen ‹verteilt› werden.»

«Und du glaubst, darunter sei auch die Bieder Cayman?»

«Das ist die Frage. Ich tippe eher auf die Albot Global Invest oder die Diaz Global Invest.»

«Die Diaz Global Invest? Die ist mir neu.»

«Tja, diesen Namen habe ich dir gegenüber noch nie erwähnt. Ich habe immer versucht, nicht daran zu denken. Die Diaz Global Invest war eine Tochterfirma des Hauses Bieder. Über sie zu reden ist in unserer Firma tabu.»

«Warum eigentlich? Und du hast dich daran gehalten? Was weisst du überhaupt von der Diaz Global Invest?»

Konrad Kloter errötete leicht. «Das ist es ja. So gut wie nichts. In den Büchern, die ich bislang begutachtet habe, sucht man vergeblich nach Akten über die Diaz Global Invest. Warum? Der Direktor dieser nun aufgelösten Firma, Alvaro Héctor Diaz, sitzt derzeit in Mexiko-Stadt in Untersuchungshaft. Diaz war Brigadegeneral der mexikanischen Armee mit dem Ruf eines Hardliners. Er war wesentlich an der Niederschlagung des Aufstandes in der Provinz Chiapas beteiligt und hatte dabei grässliche Massaker zu verantworten. Es waren nicht diese Menschenrechtsverletzungen, weswegen man ihm jetzt den Prozess macht, sondern seine Verwicklung in Drogengeschäfte, die natürlich auch das Waschen von kriminellen Geldern nach sich ziehen.»

«Mich schaudert. Und du hattest Kenntnis von Diaz’ Verbrechen?»

«Sagen wir es so. Ich hätte Kenntnis davon haben können. Doch ich kümmerte mich nicht darum. Ich machte mir nie Gedanken über die Aktivitäten von Diaz, weil er in unserer Firma nie ein Thema war. Ich hatte zu viel zu tun, um mich auch noch um die Machenschaften von Direktor Diaz’ erloschenem Unternehmen zu befassen.»

«Für mich heisst das im Klartext, deine Firma verwaltet kriminelle Gelder.»

«Damit könntest du recht haben. Die Albot Global Invest und die Diaz Global Invest übernehmen die Wäsche der Drogengelder. Solches Geld läuft bekanntlich über verschiedene Waschgänge. Sind die Moneten sauber, werden sie der Bieder Trust Company, Cayman Islands überwiesen. Deshalb findet man bei Bieder keine ‹schmutzigen› Akten.»

«Denkst du, es wird dir gelingen, die Geldflüsse auf die Filialen des Bieder-Konzerns bis zu ihrer Quelle zurückzuverfolgen?»

«Da bin ich mir nicht so sicher. Das könnte auch gefährlich werden. Entscheidend ist, dass mir niemand beim Recherchieren über die Schultern schaut.»

Helga machte sich bereit zum Gehen, als es an der Zimmertür klopfte. Eine Krankenschwester trat ein, hinter ihr ein mittelgrosser, drahtiger Mann, bekleidet mit einem dunkelblauen Anzug, einer dunkelblauen Krawatte, polierten glänzenden schwarzen Schuhen. Er trug einen dunkelblauen Schlapphut.

«Dieser Herr möchte Sie sprechen, Herr Kloter», sagte die Krankenschwester.

Der Mann ging zu Kloter, der immer noch am Tisch sass – in einem Morgenrock. Er streckte Kloter die Rechte entgegen. Kloter zuckte leicht, da der Händedruck seines Besuchers überaus kräftig war.

«McArthur.»

Kloter sah ihn fragend an.

McArthur griff in die Innentasche seiner Jacke und zog eine messingfarbene Marke heraus. «McArthur Bob, Special Agent, FBI.»

Kloter fuhr zusammen und fand im Moment keine Worte.

«Keine Sorge. Ich bin nicht da, um Sie zu verhaften. Ich möchte Ihnen lediglich einige Fragen stellen. Doch das ist nur möglich, wenn uns niemand zuhört.»

Die Schwester war bereits gegangen. Helga sah ihren Mann an und sagte: «Verstehe, dann verabschiede ich mich.»

McArthur würdigte sie keines Blicks.

«Sie sind Chief Operating Officer der Cäsar Bieder Trust Company, Cayman Islands. Diese Firma macht uns Probleme beziehungsweise ihre mittlerweile aufgelöste Tochterfirma, die Diaz Global Invest. Was wissen Sie über diese?», begann McArthur.

«Dass sie eine Tochter unserer Firma war, kaum mehr.»

«‹Kaum› ist mir zu wenig. Wie hiess ihr Direktor?»

«Alvaro Héctor Diaz.»

«Kennen Sie Diaz?» Die kalten blauen Augen McArthurs fixierten Kloter.

Kloter hielt eine Weile inne, was McArthur sichtlich nervös machte.

«Ich bin Diaz tatsächlich einmal begegnet – an einer Party in Zürich, zu der Cäsar Bieder junior eingeladen hatte. Das war, glaube ich, in den Weihnachtstagen 1994, wenige Monate nachdem ich die Stelle eines Revisors auf Cayman angetreten hatte. Zuerst konnte ich mir keinen Reim darauf machen, warum der Mann an diesem Anlass teilnahm. Ein bisschen unbeholfen fragte ich ihn danach. Er reagierte ziemlich gekränkt. ‹Hey, wissen Sie das denn nicht? Mein Büro befindet sich rund hundert Meter entfernt von Ihrem in George Town. Auf der Teppichetage der Firma Diaz Global Invest. Ich bin deren Direktor. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich dort monatlich nur wenige Tage sein kann. In meinem Hauptberuf bin ich Brigadegeneral der mexikanischen Armee.› Danach fiel der Groschen. Ich hatte mit der Diaz Global Invest nichts zu tun, aber wusste natürlich, dass sie eine Tochter des Finanzkonzerns Cäsar Bieder war. Diaz wandte sich dann von mir ab.»

McArthur runzelte die Stirn, was Kloter so auslegte, als ob er ihm nicht glaubte. «Ich fühle mich ein bisschen unbehaglich», bemerkte Kloter. «Auch wenn die Diaz Global Invest teils den Bieders gehörte, war sie eigenständig, mit einer eigenen Buchhaltung, in die ich als Revisor keinen Einblick hatte.»

«Mir ist bekannt, dass Sie damals Revisor waren und Ihnen erst im September 1999 Ihre derzeitige Funktion übertragen wurde. Nach dem Zusammentreffen in Zürich musste Ihnen dann aber klar geworden sein, was es mit Alvaro Héctor Diaz auf sich hatte. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass dieser Name in der Bieder-Filiale auf Cayman Islands nicht hin und wieder gefallen ist.»

«Da irren Sie sich. Diaz war wirklich kein Thema. Erst als die Firma aufgelöst wurde, hat uns das Mutterhaus mit einem Schreiben informiert.»

«Auch warum das geschehen ist?»

«Dr. Cäsar Bieder junior begründete seine Bekanntmachungen nie.»

«Aber Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass Diaz kurz zuvor in Mexiko verhaftet wurde. Danach wurde seine Firma aufgelöst. Das, obwohl eigentlich Diaz’ Frau Sonja das Unternehmen leitete.»

Kloter stierte McArthur mit offenem Mund an. «Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie mir Fragen stellen, deren Antworten Sie zum Voraus kennen.»

McArthur lachte laut heraus. «Wüssten wir alles, hätte ich Ihnen kaum einen Besuch abgestattet. Nur so nebenbei: Wir wissen nicht alles, aber viel.»

McArthur schob seine Hand abermals in die Innentasche seiner Jacke und zog einen dünnen Notizblock heraus. Er blätterte darin. «Jetzt habe ich gefunden, über was ich noch mit Ihnen reden wollte. Ist Ihnen bewusst, dass es Leute in Ihrem beruflichen Umfeld gibt, die Ihnen nach dem Leben trachten?»

Kloter sah resigniert auf. «Ich muss mich wohl daran gewöhnen. Der Unfall scheint mein Leben verändert zu haben. Was wissen Sie eigentlich von diesem Unfall?»

«Ich denke, so ziemlich alles.»

«Warum haben Sie mich überhaupt besucht?»

«Wir möchten mit Ihnen ins Geschäft kommen.»

«Was das auch immer heissen mag. Ich erwarte Ihre Vorschläge.»

«Wir brauchen die Akten der Cäsar Bieder Trust Company und der Albot Global Invest für den Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis heute und die der Diaz Global Invest und Trust Company vom 1. Januar 1994 bis zu ihrer Auflösung.»

«Mit Akten meinen Sie die Bücher?»

Erneut lachte McArthur. «Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Sie wissen sehr wohl, was ich meine. Die Dokumente, die Diaz Global Invest betreffend, dürften im Gebäude sein, in dem sich Ihr Arbeitsplatz befindet. Diejenige der Albot Global wohl an deren Adresse unweit der Ihrer Firma.»

«Den ersten Wunsch könnte ich Ihnen erfüllen, das mit der Albot Global dürfte schwierig werden.»

«Wir könnten Ihnen behilflich sein. Wir bräuchten den Zugang zu den Akten, die Schlüssel und den genauen Standort, wo sie gelagert sind.»

«Die Schlüssel?»

«Hören Sie, Kloter, stellen Sie sich nicht so dumm. Sie können diese Schlüssel problemlos beschaffen. Ihre Gattin hilft dort bei der Einrichtung von Computern. Sie hat damit Zugang zu allen Räumen. Aber nicht zu den Tresoren.»

«Ich bin baff. Sie wissen fast alles.»

«Die Tresore können wir knacken.»

«Verstehe ich Sie richtig, McArthur? Haben Sie vor, die gewünschten Unterlagen selbst zu holen?»

«Wir werden das in zwei, drei Nächten tun, wenn sich niemand der Belegschaft im Gebäude befindet.»

«Und der Nachtwächter?»

«Den bestechen wir.»

«Aber wenn die von Albot Global am Morgen nach dem Einbruch kommen und keine Akten mehr vorfinden, wird das einen riesigen Radau geben. Ganz abgesehen davon, dass gestohlene Akten als Beweismittel für einen Prozess nicht zugelassen werden.»

«Der Prozess wird natürlich nicht in der Schweiz stattfinden. Auf den Cayman Islands, in Mexiko und allenfalls in den USA. Wenn das FBI Beweise vorlegt, wird niemand danach fragen, wer sie hergeschafft hat.»

«Das gilt auch für die Cayman Islands und Mexiko?»

«An beiden Orten dürfte man sich schwerlich mit uns anlegen. Abgesehen davon, dass wir nicht beabsichtigen, die ganze Büchersammlung mit Lieferwagen abzutransportieren. Wir werden sie uns ansehen und kopieren, was wir brauchen. Die Originale bleiben dort, wo wir sie gesichtet haben. Die Kopien werden wir scannen und CDs daraus machen.»

«Befürchten Sie nicht, dass Sie bei dieser Aktion von der Cayman-Polizei gestört werden könnten?»

«Die Polizei der Cayman Islands wird keinen Finger rühren.»

«Warum sind die Akten der Albot Global so wichtig für Sie?»

«Sie bekommen eine Antwort auf diese Frage, wenn Sie sich verpflichten, mit uns zusammenzuarbeiten.» McArthur zog ein Formular aus der Innenseite seiner Jackentasche und gab es Kloter, der es durchlas.

«Kreuzen Sie an, wo es vorgesehen ist, und unterschreiben Sie.» McArthur reichte Kloter einen Kugelschreiber, als er mit der Lektüre zu Ende war.

Kloter seufzte. «Habe ich eine andere Wahl?»

«Nein, haben Sie nicht. Weigern Sie sich, mit uns zu kooperieren, suchen wir uns einen anderen hochkarätigen Mitarbeiter bei Ihrer Firma. Und wenn wir im Besitz der von uns gewünschten Unterlagen sind, werden auch Sie Probleme bekommen. Dann könnte es sein, dass wir die ganze Bieder-Gruppe hochgehen lassen. So weit dürfte es für Sie gar nie kommen. Man hat offensichtlich den Verdacht geschöpft, Sie könnten brisante Dokumente nach aussen weiterleiten und damit der Firma unermesslichen Schaden zufügen. Ob dieser Verdacht berechtigt ist, steht auf einem anderen Blatt. Doch der Verdacht allein reicht aus, um Sie zu liquidieren. Der erste Versuch dazu ist misslungen, der zweite würde erfolgreich sein. Nur wir, die Agenten des FBI, sind in der Lage, das zu verhindern. Wir werden Sie beschützen, das garantiere ich Ihnen.»

Kloter kreuzte an und unterschrieb.

«Danke, gleich werde ich Ihnen erklären, weshalb wir so sehr an den Akten der Bieder-Gruppe interessiert sind.»

McArthur streckte den rechten Daumen hoch. «Erstens Diaz. Dass er schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hat, ist nicht unser Problem. Er soll zahlreiche Guerilleros eigenhändig erschossen haben. Ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen ist Sache der Mexikaner oder des Gerichtshofs für Menschenrechte in Den Haag. Das FBI ermittelt seit 1992 gegen Diaz wegen Geldwäsche und Drogenschmuggel. Das betrifft in hohem Masse die USA. Die Einkünfte aus beiden Delikten wurden von den beiden Geldinstituten Albot Global und Diaz Global Invest gewaschen, die beiden Unternehmen legten auch Hand an beim Schmuggel von Drogen. Sie stellten dafür ihren gemeinsamen Learjet zur Verfügung, der von Bieder Global gemietet wurde. Übrigens ist das mit ein Grund, weswegen wir auch einen Blick in die Unterlagen des Cäsar Bieder Trusts auf den Cayman Islands werfen möchten.»

McArthur streckte den Zeigefinger zum Daumen. «Zweitens Albot. Er war Direktor einer Zweigniederlassung der Bieders in Mexiko. Er hat diese auch aufgebaut und mutmasslich ebenfalls einen Drogenumschlagplatz unterhalten – mit allem Drum und Dran. Zudem sind Cäsar Bieder senior und Vinzenz Albot senior miteinander liiert, was man nicht unbedingt als Freundschaft auslegen kann. Ihre beiden prächtigen Grundstücke am Zürichsee grenzen aneinander –»

Kloter konnte sich kaum mehr auf dem Stuhl halten, er unterbrach McArthur. «Verdammt, Sie wissen tatsächlich auch das.»

Ein schwaches Lächeln glitt über McArthurs Gesicht. Er kommentierte Kloters Bemerkung nicht.

«Eine geballte Ladung, die Sie mir heute beschert haben, McArthur. Damit ich das alles nachvollziehen kann, ich meine, das, was sie mir eben über meine Firma preisgegeben haben, müssen Sie allerdings konkreter werden. Mir einfach in Aussicht zu stellen, mich zu beschützen, genügt mir nicht.»

«Das kann ich verstehen. Wir haben durchaus ein Konzept, was Ihren Schutz und den Ihrer Frau und Tochter betrifft. Darüber werden wir uns aber nicht heute unterhalten. Zum Schutz einen Hinweis. Er gilt auf den Cayman Islands und in den USA, allenfalls noch in einigen anderen Gebieten, die wir unter Kontrolle haben.»

«Dass Sie in der Schweiz nicht für meine Sicherheit sorgen können, verstehe ich.»

McArthur gab Kloter seine Visitenkarte. «Wenn nur das Kleinste vorfällt, das im Zusammenhang mit Ihrem Arbeitgeber steht, lassen Sie es mich bitte wissen. Sie können jederzeit, Tag und Nacht, mit mir Kontakt aufnehmen.» McArthur streckte Kloter die Hand entgegen. «Das war für uns und ganz bestimmt auch für Sie ein erfolgreiches Treffen. Ich bin zuversichtlich, dass alles gut kommt.»

Als McArthur gegangen war, rief Kloter seine Frau an und bat sie, gleich nochmals zu ihm zu kommen.

***

Am Dienstag, 6. Februar 2001, kurz nach Arbeitsbeginn wurde Kuppermans Bildschirm in seinem Büro bei der Cäsar Bieder Trust Company schwarz. Auch das Licht war erloschen. Kupperman stürmte auf den Flur, auch die Mitarbeiter sahen sich um.

Er sah aus dem Fenster und stellte fest, dass in den benachbarten Gebäuden die Lichter brannten. Er rief über das Haustelefon, dieses funktionierte zum Glück noch, den Hausmeister an, der im Erdgeschoss nahe dem Eingang sein Büro hatte. «Lopez, verdammt, was ist plötzlich los? Wir haben auf unserer Etage keinen Strom.»

«Es sind bei mir aus allen Stockwerken entsprechende Meldungen eingegangen. Ich werde mich auf den Weg zum Sicherungskasten im Kellergeschoss machen, suche gerade meine Taschenlampe –»

«Beeilen Sie sich. Jede verlorene Minute kostet uns eine Stange Geld. Ich erwarte, dass die Panne in spätestens einer Viertelstunde behoben ist.»

«Das kann ich leider nicht versprechen. Ich werde mein Möglichstes tun.»

Kupperman fluchte und warf den Hörer auf die Gabel. Danach sagte Lopez zu sich: «Dieser Kupperman ist ein Arschloch. Ich könnte ihn erwürgen.»

Lopez fand die Taschenlampe und schlurfte die Treppe hinunter zum Sicherungskasten, der sich einige Meter neben der letzten Stufe befand. Er beleuchtete das Brett mit den zahlreichen Sicherungen und stellte fest, dass die grösste, an der alle anderen hingen, durchgeschmort sein musste. Er schraubte die defekte heraus, ersetzte sie durch eine neue, die er nach einigem Suchen in einem kleinen Behälter neben dem Kasten fand. Beim Einschrauben erhellte sich der Kellerraum für wenige Sekunden, dann fiel die Beleuchtung wieder aus. Lopez ging zum Wandtelefon ganz zuhinterst im Hauptkorridor des Kellers. Von dort aus rief er Kupperman an.

«Tut mir leid, es könnte länger dauern. Ich habe die Hauptsicherung ersetzt, dann verstrichen wenige Sekunden, und die neue war wieder hin. Ich werde gleich die Firma anrufen, die für unsere Elektroinstallationen zuständig ist. Sie muss jemanden schicken. Irgendwo tritt ein Kurzschluss auf, der das ganze Stromnetz im Haus lahmlegt.»

Kupperman murrte zwar, aber musste sich mit dem Betriebsunterbruch abfinden.

***

Eine Viertelstunde später vernahm Lopez quietschende Reifen auf dem Parkplatz vor dem Gebäude. Ein weisser Lieferwagen war forsch auf einem weiss eingerahmten Feld zum Stehen gekommen. Vier Arbeiter in blauer Arbeitskleidung stürzten aus dem Fahrzeug und rannten auf den Eingang zu, wo Lopez sie in Empfang nahm. Er schilderte ihnen, was er bislang unternommen hatte.

Der eine Arbeiter sagte: «Wir sind von der Firma, die für die Strompanne zuständig ist. Die Sache scheint komplizierter zu sein. Das Problem muss irgendwo in den beiden Untergeschossen liegen. Herr Kupperman hat uns eingeschärft, den Schaden möglichst schnell zu beheben. Um das zu bewerkstelligen, benötigen wir die Schlüssel für alle Räume des Kellers.»