Die Geschichte einer deutschen Familie von Mitte 1800 bis zum Jahr 2022 - Holger Bork - E-Book

Die Geschichte einer deutschen Familie von Mitte 1800 bis zum Jahr 2022 E-Book

Holger Bork

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Beschreibung

Die Geschichte einer deutschen Familie über mehrere Generationen hinweg - von Mitte 1800 bis heute - anhand von Tagebuchaufzeichnungen und persönlichen Lebenserinnerungen, kann dazu beitragen, ein besseres Verständnis für politische und kulturelle Veränderungen aufzuzeigen. Es geht hierbei um die Dokumentation individueller Schicksale und Erfahrungen innerhalb einer Familie. Beginnend mit C. Homann über E. Stoffers und G. Strassenburg über I. Bork und H. Bork

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Liebe Leser,

In unserer Familie wurde schon seit jeher über die Vorfahren und ihrer Geschichte gesprochen. Schon in jungen Jahren „durfte“ ich mir Geschichten der Familie anhören. Damals war es natürlich nicht so interessant für mich; heute bin ich froh darüber. Geschichten über Flucht, Vertreibung, Krieg. Allerdings fand wohl auch hier eine Verdrängung der Geschehnisse statt, da diese Thematik selten angesprochen wurde. Trotz der Wirrnissen der verschiedenen Zeitepochen gelang es der Familie originale Aufzeichnungen, bzw. Tagebücher zu retten. Die ersten Aufzeichnungen stammen aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und waren noch in Plattdeutsch, Schreibschrift und Sütterlin geschrieben. Dank sei meiner Ahnin Greta Strassenburg sind die Niederschriften meinerseits noch lesbar, da sie alles in unsere heutige Normschrift übersetzt hat. Mir wäre es nicht mehr möglich gewesen, die originalen Aufzeichnungen zu entziffern. Der vorliegende Band der Familiengeschichte bezieht sich auf original Quellen, entweder aus Tagebüchern oder Lebenserinnerungen (Ingrid Bork geb. Strassenburg). Meinerseits habe ich auch schon Geschehnisse des bisherigen Lebens zusammengefasst.

Die Erfassung des vorhandenen Materials begann vor ca. 20 Jahren und war ursprünglich nur für die Familie gedacht. Nunmehr habe ich mich entschlossen, diese jedoch zu veröffentlichen da sie einen Teil der deutschen Geschichte aus dem Blickwinkel der Betroffenen darstellt. Viele Einzelheiten sind vermerkt. Sie spiegeln das Leben über nunmehr ca. 150 Jahren wieder. Das Leben vom

Kienspan über Telefon bis zur Erforschung des Weltraumes. Von der Pferdekutsche bis zum Hochgeschwindigkeitszug; von den ersten Telegrafen bis zum Internet.

Welch ein Wandel hat die Welt erfahren!!

Nicht enthalten sind hier mündliche Überlieferungen. Wie die Geschichte „Gold gab ich für Eisen“. Eine meiner Ahninnen soll eine Schürze voller Goldtalern abgeliefert haben, um den Kaiser und seinen Krieg zu finanzieren. (So war eben damals die Zeit)

Eine weitere Vorfahrin soll „Das zweite Gesicht“ gehabt haben und konnte dadurch angeblich sehen, wenn jemand sterben musste.

Bei einer Erbschaft sollen sich Brüder mit einer Mistgabel über den Hof gejagt haben.

Da diese Geschichten nicht belegbar sind, habe ich sie im weiteren Text nicht erwähnt.

Würde ich nochmals in meiner Erinnerung nachforschen, kämen sicherlich noch einige dieser Geschichten/Anekdoten zum Vorschein.

Dem geneigten Leser wünsche ich eventuell noch neue Erkenntnisse unserer Geschichte, ansonsten eine entspannende Lektüre.

Boddin 2024 Holger Bork

Inhalt

Tagebuch von Catharina Stoffers geb. Homann

Teil 1

Erinnerungen an die Großeltern und Eltern

Teil 2

Erinnerungen an die Jugend

Teil 3

Die Hamburger Reise

Tagebuch von Elise Horstmann geb. Stoffers

Teil 1

Erinnerungen an die Kindheit und Jugend

Teil 2

Erinnerungen an die Kinder

Tagebuch von Greta Straßenburg geb. Horstmann

Teil 1

1915 bis 1924

1917

1918

1919

1920

1921

1922

1923

1924

Teil 2

Rückerinnerung

1944

Teil 3

Erinnerungen

1971

Teil 4

Erinnerungen von Ingrid Bork

Erinnerungen Holger Bork

Die Jahre 1953 bis 1959

Die Jahre 1960 bis 1969

Die Jahre 1970 bis 1979

Die Jahre 1980 – 1989

Die Jahre 1990 – 1999

Die Jahre 2000 bis 2009

Die Jahre 2010 bis 2019

Die Jahre 2020 – 2022

Nachwort

Anhang

Aus ihrem LebenDie Tagebücher undErinnerungenVonCatharina Stoffers. Geb.HomannElise Horstmann geb.StoffersGreta Straßenburg geb.Horstmann

Scheerenschnitt von Elise Horstmann geb. Stoffers

Tagebuch von Catharina Stoffers geb. Homann geb. 10.06.1835 in Rümpel gest. 18.08.1924 in Rümpel

Katharina Stoffers

Teil 1

Erinnerungen an die Großeltern und Eltern

Schreiber dieses, Catharina Elisabeth Stoffers, geb. Homann, geb. den 10ten Juni 1835, verheiratet den 19ten März 1835 mit Karl Hinrich Stoffers von hier (Rümpel bei Oldesloe) geb. den 24ten Juni 1836, gestorben den 10ten September 1875. Beim Fahren verunglückt (seine Pferde scheuten, wie er ein Fuder Lein (Flachs) nach Oldesloe bringen wollte). Damals hatte ich sieben Kinder. Vier Wochen später wurde das achte Kind geboren. Johanna Caroline, geb. den 12ten Oktober. Sie war verheiratet mit Lehrer Meins aus Rethwischdorf. Den 30. Okt. 1904 starb sie an Typhus mit 29 Jahren. Sie hinterließ zwei Töchter, Gretchen und Lissi von sechs und vier Jahren.

Meine anderen Kinder heißen: Anna Maria geb. 11 Januar 1864Ernst Karl geb. 2. Juni 1865Sophie Katharina geb. 12. April 1867Dorothea Elisabeth geb. 25 Januar 1869Anna Margaretha geb. 16 Juni 1870Elise Wilhelmine geb. 28 Juli 1872Bertha Machtalena geb. 31. März 1874

Meinen Großvater väterlicherseits habe ich nie gesehen. Es wurde viel von ihm erzählt, denn er ist ein Sonderling ohnegleichen gewesen, und zwar so, daß er zuletzt unter Kuratel gestellt, gerichtlich nach der Kate aufs Altenteil gebracht, und meinem Vater die Landstelle überwiesen wurde.

Mein Vater mußte alle Schulden übernehmen, seinem Vater Altenteil und seinen drei Schwestern je 500 kur geben. Diese waren nicht zufrieden, fingen an zu prozessen, wurden aber gerichtlich zur Ruhe verwiesen.

Als meines Großvaters Kinder noch klein waren, und klagten, daß ihnen nicht wohl wäre, dann schnitt er ihnen ein Stück Schwarzbrot ab, beschmierte es mit Teer, das mußten die Kinder essen. Neben dem Haus stand eine sehr große Linde. Darin hatte sich mein Großvater eine Stube gemacht, ungefähr 16 Fuß von der Erde. Die Leute kamen und wollten die Merkwürdigkeit sehen, nicht allein aus Oldesloe, es kamen auch schon Hamburger. Als mein Vater Bauer geworden, hat er sie rausgehauen, denn er war bange, daß jemand dabei verunglücke, denn es kletterten auch viele Kinder hinauf. Die Treppe war schlecht, es war eine eichene Bohle, worin mein Großvater selbst Stufen gehauen hatte.

In Rümpel ist früher ein Gerechtsamer gewesen, jeder Bauer hat von der Regierung jährlich sogenanntes Holzgeld bekommen. Mit einem Mal behält die Regierung es zurück, ohne mit den Bauern zu verhandeln. Von da an bezahlte mein Großvater kein Herrengeld wieder. Wenn er dazu aufgefordert wird, dann sagt er: „Gebt mir was mein ist, dann gebe ich Euch was Euer ist.“

Damit lassen die Beamten ihn durch und hatten sich dadurch vergangen, denn sie dürften nicht stunden. Nun häufen sich die Amtsschulden Jahr zu Jahr, und die Beamten sind machtlos, weil sie sich vergangen haben. Einmal waren es schon 1100 Thaler, da schreiben sie alles auf, Korn, Pferde und Kühe, und lassen bekanntmachen, daß es in der Gastwirtschaft Linau verkauft werden sollte. Damals war mein Großvater schwer krank, ist auch gestorben. Da geht mein Vater nach Linau und bittet ihn, er möchte die Beamten fragen, ob es nicht ginge, daß Holz im Felde verkauft würde, denn wenn sie das Inventar verkauften, wäre es doch zu hart für seine kranke Mutter.

„Ich dachte meines Vaters Stelle auch noch mal zu kriegen, aber jetzt sind wohl keine Aussichten mehr“. Als der Hausvogt kommt, sagt Linau es ihm. Da sagt er, wenn alle Käufer damit einverstanden sind, sonst geht es nicht. Die Käufer sind ja fast nur Bauern aus Rümpel und alle mit den Verhältnissen bekannt und sagen alle ja, und so wird denn Holz verkauft. Dabei wird noch allerlei über meines Großvaters Verhältnisse gesprochen, da sagt D. Peemöllers Großvater: „Ich wüßte was Recht wäre, wenn es Recht sein sollte. Der Alte müßte aufs Altenteil, und der Sohn müßte die Stelle haben, der scheint besser zu werden!“ „Ja“, sagt der Hausvogt, „Der Alte kommt einem auch ganz merkwürdig vor, wir wollen mal sehen, was sich dabei machen läßt.“ Darauf machen die Bekannten meinen Großvater unmündig und schreiben meinem Vater die Stelle zu. Es vergehen wieder Jahre, mein Großvater bezahlt nicht und geht auch nicht. Da kommen die Beamten und wollen ihn mit Gewalt nach der Kate bringen. Als er sie sieht, läuft er weg, läuft über Ernst Wagners, damals Linaus, Hauskoppel. Dort pflügt Linaus Halbknecht, Frau Vagts Vater. Da rufen die Beamten, halt ihn mal fest. Er läßt die Pferde stehen und faßt ihn an. Dann faßt der eine von den Beamten meinen Großvater an den einen Arm, und der andere an den anderen Arm und ziehen ihn nach der Kate und setzen ihn auf einen Stuhl. Da fragt er: „Ist es jetzt genug?“

Sie sagen: „Ja, jetzt können sie gehen wohin sie wollen.“ Er steht auf und geht nach Segeberg und ist nie wiedergekommen. Zuerst geht er zu seiner Schwägerin, einer Frau Dankers, Frau Lehrer Höppners Urgroßmutter.

Dann hat er sich selber eine Wohnung gemietet. Mein Vater hat ihm sein Altenteil hingeschickt. Essen, hat er sich selber gekocht, und seine jüngste Tochter, Margarethe, die damals in Segeberg diente und später dort verheiratet war, sorgte für Reinlichkeit, und nach 15 Jahren ist er gestorben. 1827 übernahm mein Vater die Landstelle, Hans Hinrich Homann, geb. 19 März 1800, gestorben den

24. März 1895.

Bald nach der Übernahme verheiratete mein Vater sich mit Margaretha Catharina Elsabe Barkmann von Rohlfshage, geb. den 28. Januar 1804. Beide Eltern waren fleißig, sparsam und rechtschaffen und brachten durch Fleiß und Entbehrung die ganze verwahrloste Hufe wieder empor. Es war nicht leicht, denn mein Großvater hatte die Fracht gefahren, zwischen Hamburg, Lübeck und Oldesloe und sich um seine Landwirtschaft wenig gekümmert. Das Land war fast alles Sumpf, mit Busch und Baum bewachsen. Die Kühe wurden im Frühjahr rausgetrieben; wenn sie gemolken werden sollten, wurde so lange gesucht, bis sie gefunden wurden.

Ein H Butter kostete damals 4 Schilling. 48 ß machten einen Taler damals. Das wenige Korn, und fette Schweine, mußte fast alles nach Hamburg verkauft und gefahren werden. Die Preise waren so niedrig. Gewöhnlich kostete die Tonne einen Drittel dänisches Geld. Die Wege waren so schlecht, kaum passierbar. Die Chaussee von Hamburg nacht Lübeck war noch nicht da. Viel Geld wurde auf der Reise nach Hamburg nicht ausgegeben. Der Fuhrmann nahm sich einen Sack mit, mit Brot, Fleisch oder Wurst und eine hölzerne Dose mit Butter. Wenn sie in einer Wirtschaft auf dem Schweinemarkt ankamen, wurde der Sack mit in die Gaststube genommen, die Lebensmittel auf den Tisch gebreitet, kleinen Korn und Bier dazu gekauft und das war die Mahlzeit. Damit war der Fuhrmann und auch der Wirt zufrieden. Unterwegs wurde auch einmal in einer Wirtschaft eingekehrt und auf diese Weise gevespert. Geld mochten sie damals überhaupt nicht gerne ausgeben.

Jeder Bauer hielt sich mehrere Schafe. Ein alter Mann war von der Dorfschaft angestellt, der mußte sie hüten. Die Wolle zu Strümpfen färbte jede Hausfrau selbst, blau. Sie wurden selbst gesponnen und die Strümpfe selbst gestrickt. Die Mädchen und Frauen trugen eigen gemachte Röcke und Kleider. Die Männer trugen bei der Arbeit schwarze leinene Kittel und blaue Leinenhosen. Das mußte freilich beim Färber gefärbt werden, doch wer es nicht bezahlen wollte oder konnte, der trug die Hose weiß. Ich kann mich noch erinnern, daß mein Bruder auch eine weiße Hose trug. Das Eigengemachte kostete freilich auch etwas, doch es war sehr dauerhaft.

Sonntags zur Kirche und zu Festlichkeiten wurde auch gekaufter Stoff getragen. Das Essen war damals auch sehr einfach, es wurde immer so berechnet, daß es nicht so viele Schillinge kostete. Kompott kannten sie nicht weiter als getrocknetes Obst. Ich ging schon zur Schule, als mein Bruder unseren ersten Johannisbeerstrauch geschenkt bekam, von seinem Lehrer Prien. Frau Prien unterrichtete dann meine Mutter wie Saft einzukochen und zu verwenden wäre.

Beide Eltern konnten sich noch an die Kriegsjahre erinnern (1813/1815). Sie erzählten uns manchmal von aller Not und Gefahr und von den kalten Russenwintern. Mein Vater hatte sich mehrere Tage und Nächte als 18jähriger Knabe mit zwei Pferden und Wagen in einem kleinen Gehölz verborgen gehalten. Wie er es mir bezeichnete, ist es ungefähr da gewesen, wo jetzt das Bahnwärterhaus steht, bei der Ruhmwiesch. Die anderen Rümpler sind fast alle in dem Langenrögers Berg gewesen. Einige Beherzte sind dann nachts ins Dorf gegangen und haben Lebensmittel gesucht. - Mein Vater konnte sich aus seiner Kindheit erinnern, daß er mit vier Jahren im Sand gespielt, als der Moorsteg gemacht wurde. Als 7 jähriger Knabe hatte er seine erste größere Reise gemacht. Da war er mit seinem Vater nach Segeberg gefahren und hatte den schwarzen Ofen geholt, der 1900 in der Kate mit verbrannt ist, in I. Stoffers Stube. Oben in dem Gesims standen die Buchstaben F.R.. Darüber zerbrachen wir uns als Kind manchmal den Kopf. Später kam ein Mann bei uns, der sagte, da ist noch ein Ofen von meinem Lehrmeister. Die beiden Buchstaben bedeuteten Friedrich Riesbeck, da war das Rätsel gelöst.

Die ersten Schuljahre ging mein Vater bei Lehrer Hempel zur Schule in Stellmacher Pums Werkstelle, das ist damals hier die Schulstube gewesen. Die letzten vier Jahre ging er nach Rektor Rode in Oldesloe zur Schule. Lehrer Hempel war Schneidergeselle, kam in Oldesloe zugereist und fand bei keinem Menschen Arbeit. Da verdingte er sich bei einem Landbürger als Knecht. Weil damals noch der Pastor Hansen den 10ten bekam, wurde er mit diesem bekannt. Pastor Hansen schickte ihn nach Rümpel als Lehrer. Hempel soll ein tüchtiger Lehrer gewesen sein. Jeden Sonntagabend hat er Bibelstunden gehalten, wo Alt und Jung gerne hingegangen sind.

Meine Mutter hat ja ihre Kindheit auf Rohlfshagen verlebt. Dort war noch keine Schule, nur eine Webersfrau unterrichtete in Lesen und Beten. Schreiben konnte sie nicht lehren, weil sie keine Tische hatte. Da kommt eines Abends der Weber betrunken nach Hause und zerschlägt alle Bänke. Da war das Schulehalten aus. Meine Mutter ist noch ihr letztes Jahr nach Barkhorst zur Schule gegangen, dort hat sie noch so viel Schreiben gelernt, daß sie ihren Namen schreiben konnte.

Meine Mutter hat hier in Rümpel viel Gutes getan, hauptsächlich bei den Kranken. Unsere Lehrersfrau Prien sagte manchmal, Frau Homann ist wie meine Mutter. Einmal hatten meine Eltern vier Waisenkinder aufgenommen, zwei von meiner Mutters Verwandten und zwei von meines Vaters Verwandten. Der eine Knabe war freilich nur Halbwaise, aber er hatte einen Stiefvater, der ihm kein Stück Brot gönnte.

Als damals die Regierung das Holzgeld zurückbehalten hat, fangen die Rümpler Bauern an zu prozessen. Kommen auch bei meinem Großvater und fragen ihn, willst du nicht auch mit unterschreiben? Er aber sagte, nein, auf ein weißes Stück Papier schreibe ich meinen Namen nicht auf, dann könnt ihr da einen Galgen dran machen, und dann hänge ich da drin.

Als aber mein Vater Bauer wird, schließt er sich den anderen Bauern an und bezahlt von da an alles, was zu bezahlen kommt. Nach einigen

Jahren gewinnen die Bauern und bekommen ziemlich viel Geld nachbezahlt auf Trittau. Damals gehörte Rümpel noch zum Amt Trittau. Als mein Vater aus der Amtsstube kommt, sagt Hinrich Dabelsteins Großvater: „Hast auch wohl nicht viel gekriegt? Will ich Dir zeigen“. Und nimmt 5ß aus der Westentasche und zeigt sie ihm. So waren die Amtsschulden meines Großvaters getilgt.

Wir waren vier Geschwister. Mein Bruder Hans Hinrich war der Älteste. In der Schule war er sehr begabt und fleißig. Sein Lehrer hielt viel von ihm. Einmal hatte er ihn im Felde überrascht, als er als 8jähriger Knabe die Kühe hüten mußte, daß er seinen Katechismus mitgenommen und laut daraus gelernt. Als er konfirmiert war, mußte er tüchtig arbeiten, mein Vater war mit ihm sehr streng. Doch er war gewand, und kräftig, und so brachte er es fertig.

Im Kriegsjahr 1849 mußte er Soldat werden. Er mußte sich den 12. März in Rendsburg stellen, um ausgebildet zu werden. Den 1. Mai erkrankte er an Typhus und kam ins Lazarett, wo er den 31. Mai starb.

Von den feindlichen Kugeln, wovor meine Eltern so viel Angst gehabt hatten, blieb er verschont. Wie gerne hätte meine Mutter ihn gepflegt, aber es konnte nicht sein. Einmal waren beide Eltern hin, er hatte sie kaum gekannt. Ganz Rendsburg wimmelte von Militär, so daß sie nur mit Mühe unter Dach kamen. Und so mußten sie ihren einzigen Sohn der damaligen mangelhaften Pflege überlassen.

Auf seinem Grabe auf dem Rendsburger Kirchhof ließen sie ein eisernes Kreuz setzen mit der Inschrift: Wir haben Dich ziehen lassen mit Trauern und Weinen, Gott aber wird Dich uns wiedergeben Freude und Wonne, ewiglich.

I Mein Herz, warum betrübst du dich?

und willst in mir so ängstlich,

voll Gram und Unruh sein?

Ach stille dich, und denk doch,

es lebt ja unser Herrgott noch.

II Er lebt und stirbt auch nimmermehr

drum ist keine Trauer nicht so schwer

was er nicht ändern kann.

Er prüfet aber in der Zeit

die Hoffnung und Gelassenheit.

III O, wie verirrt sich unser Sinn,

wir betten uns auf Sorgen hin

wenn wir voll Sorgen sind,

und können, wenn wir wollen tun

bei Gott auf lauter Rosen ruh`n.

IV Kein Mensch, er sei auch, wer er sei,

ist von Verdruß und Kummer frei,

ein jeder hat sein Teil,

doch hängt ein großer Trost daran,

wenn man in Unschuld leiden kann.

V geht’s nicht wie wir uns vorgestellt,

so geht’s doch wie es Gott gefällt,

und so geht’s immer gut,

denn endlich spürt man in der Tat

wie herrlich er`s gemeinet hat.

VI doch glaube mir, kein Zährlein ist,

der aus den trüben Augen fließt,

er sieht und zählet ihn

und macht, das aus der Träne Guß

das Licht der Freude scheinen muß.

VII Es tut zwar weh, doch gib dich drein,

geduldig wie die Balsam sein,

der alle Wunden heilt

Gedult und unverzagter Mut

macht endlich alles Böse gut.

Dieses war der Lieblingsgesang meines Vaters. Um ihn zu verewigen, hatte er ihn auf die Schultafel meines Bruders geschrieben und ihn in der Kate an die Wand auf dem Boden gehängt, wo ich ihn zufällig fand.

Teil 2

Erinnerungen an die Jugend

Als ich noch jung war, da war es noch alles ganz anders in der Welt. Viel geschuert und geputzt wurde da dort noch nicht. Die Fußböden in den Stuben waren nicht geölt und gemalt, die wurden morgens mit einem Reiserbesen ausgefegt, und dann wurde da weißer Sand hingestreut, das sah schön aus. Jeden Sonntagmorgen gab es einen neuen Reiserbesen, den mußte die Kleinmagd binden, das war so eine Art Ordnung (Gesetz). Das Feuer, anmachen morgens, das hatte damals manchmal so was an sich. Abends mußte die Großmagd acht Soden Torf in die Ecke raken und da Asche aufschaufeln. Und wenn das auch noch so sorgsam gemacht wurde, so kam es doch oft vor, daß es morgens ausgebrannt war. Streichhölzer gab es da noch nicht, sie hielten sich eine „Feuerlade“, da war Feuerstahl und Feuerstein drin. In einem Fach war Asche drin von ausgebrannten Lumpen. Wenn nun die drei Soden Torf ausgebrannt waren, dann schlugen sie so lange mit dem Feuerstahl, an den Feuerstein ran bis ein Funke in die Asche flog. Dann fing die Asche an zu schwelen, dann hielten sie dann ein Schwefelholz an, der fing dann an zu brennen. Mit dem Schwefelholz steckten sie dann eine Handvoll Stroh an, legten da trockenes Holz drauf, und dann war das Feuer im Gange.

An das Essenkochen wurde damals auch noch nicht so viel Zeit und Fleiß angewendet als nun. Im Herbst, wenn er es eben machen konnte, schlachtete jeder Bauer eine Kuh und im Winter dann noch 2 große Speckschweine.

Sonntag gab es dicken Reis mit Streuzucker und Rauchfleisch mit Stippklößen und Backäpfeln dabei. Zweimal in der Woche wurde dann noch Fleisch gekocht, aus der Lake oder aus dem Rauch aber nicht solch kleines Stück, daß auch etwas nach blieb für die Pfanne. Zweimal in der Woche wurden dann Klöße und Kartoffeln gekocht. Da gab es im Sommer Speck zu und im Winter Schwarzsauer. Mittwoch und Sonnabend war Pfannkuchentag.

Das war alles leicht zu kochen und viel Kopfzerbrechen hatte die Frau auch nicht. Das alte Wort, was soll ich heute kochen?, das hört man da noch nicht oft.

Eine Lampe hatten wir damals, das nannten sie den Krüsel, da wurden Dochte hineingelegt und Tran aufgegossen. Abends wenn es dunkel war, dann wurde der „Laternenpfahl“ mitten auf der Diele etwas weiter nach oben hingestellt und da wurde der Krüsel angehängt. Da sahen dann die Knechte beim Häckelschneiden (Hächseln), die Mägde beim Kuhstall beim Melken und unsere Mutter beim Essenkochen. Die Knechte konnten wohl was sehn, die hatten das Licht ja vor sich stehen und unsere Mutter, die half sich auch wohl, die konnte auch ja noch vom Feuer sehn aber die Mägde im Kuhstall das war schlecht. Die schalten dann, die Knechte sollten doch die Lampe mal „anpurren“ (den Docht sauber machen), die brenne ja so schlecht, sie könnten gar nichts sehn, sie melken das alles vorbei. Nun war da so ein „Lampenpurrer“ ähnlich wie eine Stopfnadel, mit einer feinen Kette an dem Krüsel festgemacht, damit zogen die Knechte den Wattedocht mit hoch, dann brannte sie so hell. Talglichter hatten sie damals auch schon, da waren sie noch recht sparsam mit, das wäre teueres Brennen sagten sie.

Im Herbst, wenn die Kuh geschlachtet war, dann mußten wir Kinder mit einem Korb voll Talg nach Oldesloe, nach Liechtgießer Harms, der wohnte da, wo nun Goldschmied Möller und mußten ihn umtauschen gegen Lichter. Für das Gewöhnliche mußten wir auf ein Pfund einen Schilling zugeben. Ein Pfund mußten wir mitbringen, das wurde in Form gegossen, die wurde angesteckt, wenn Besuch kam.

Wenn da welche saßen, zum Karten spielen, da ging ihnen so leicht die Pfeife aus, Zigarren rauchten sie nicht, die waren ihnen zu teuer, dann holte meine Mutter das messing Feuerfass rein, paar Feuerkohlen und ein Bund Schwefelhölzer dabei, damit steckten sie die Pfeife wieder an.

In den 40er Jahren kaufte meine Mutter eine Scheinlampe, da wurde Brennoel drin gebrannt. Eine Kuppel war da drauf aber kein Gas, das tat nicht nötig.

1863 kaufte ich meine Aussteuer. Die Lampe holte ich mir von Oswald. Da sagte Frau Oswald „Nehmen Sie doch gleich eine Petroleumlampe die brennt viel heller“. Ich sagte: „Das soll doch so feuergefährlich sein“. „Ach“, sagte sie, „das ist gar nicht so schlimm, unsere Tonne die leckte, bei dem Spundloch, da hat mein Mann gelötet mit einem glühenden Kolben, und es ist nichts passiert“. Da kaufte ich so eine.

Damals hatten die Bauern noch viel mehr Arbeit als heute. Maschinen gab es da noch nicht. Damals wurde noch viel Flachs gebaut, dabei war viel Arbeit. Die Milch wurde alle selbst gebuttert und verarbeitet. Die Mägde fuhren nicht zum Melken, sie mußten die Milch alle tragen. Viel Lohn bekamen sie gar nicht. Die Großmagd bekam pro Jahr 14 Taler, 32 Ellen Leinen, einen eigengemachten Rock und ein Spind Leinsamen wurde für sie ausgesät. Die Kleinmagd bekam 8 Taler, 16 Ellen Leinen, einen eigengemachten Rock und 1 Pfund Wolle.

Teil 3

Die Hamburger Reise

Als wir 3 Schwestern groß waren, mußten wir im Sommer den ganzen Tag in Feld und Garten arbeiten und im Winter beinahe den ganzen Tag in der Stube sitzen und spinnen bis abends um 9 Uhr. Das war auch langweilig, aber da konnte doch schön bei erzählt werden. Wir 3 Schwestern wußten noch nicht viel zu erzählen, wir hatten uns ja noch nicht versucht, aber unsere Mutter konnte den ganzen Tag erzählen. Sie war als Kind oft mit ihrem Vater nach Hamburg gewesen, der hatte sie gerne auf dem Kornwagen mitgenommen, damit ihm unterwegs die Zeit nicht so lang wurde. In Hamburg hatten sie Bekannte gehabt, das war ein Zuckerbäcker, da hatten sie dann Eier und schönen Rahm mit hingenommen. In der Kruke, wo der Rahm drin gewesen war, hatte die Frau dann schönen Sirup getan, den sollte sie ihrer Mutter mitnehmen. Einmal war die Frau mit meiner Mutter auch zur Stadt gegangen und hatte

ihr allerlei gezeigt. Davon erzählte dann meine Mutter beim Spinnen. Da bekamen wir 3 Schwestern dann auch viel Lust, Hamburg zu besehen, aber es wollte immer nicht passen. In Oldesloe waren 2, die fuhren den Wochenwagen 2mal in der Woche nach Hamburg. Da sollten wir aber nicht mitfahren. Unsere Mutter die sagte, allein sollt ihr da nicht hin, Hamburg ist so groß, da kann man sich verlaufen, und so blieb es immer wieder nach. Als ich dann 19 Jahre alt war, verheiratete meine älteste Schwester sich mit unserem Nachbarn Linau. Bei dessen Hofstelle war auch ein Kaufladen dabei, der einzigste im Dorf. Sie hielten sich 6 Teile im Laden; Essig, Salz, Tabak, Zichoreien, Schwefelhölzer und „Streek“, wo die Sense mit gestrichen wurde, wenn sie nicht mehr schneiden wollte (das war ein etwa 50 cm langes etwa 5 cm breites Stück Holz, das mit Schmirgelpapier oder ähnlichem beklebt war). Das sind etwa die nötigsten Teile im Haushalt. Das andere, das noch nötig war, konnten die Kinder ja leicht aus Oldesloe holen, Sonnabend nachmittags war ja doch keine Schule.

Dann wurde es schon in der Schule beraten, wer alles hinwollte; dann gingen ganze Trupps zusammen los. Einige holten ihren Kram von Klamer, wo nun Busse drauf ist, die anderen mußten nach Valentiner, wo nun Kaufmann Lüth wohnt in der Langenstraße. Die Klamerschen warteten so lange, bis die Valentinschen kamen und dann gingen wir alle zusammen nach Hause. Eine Kleine hatten wir mal bei uns, deren Vater war ein Spaßvogel. Einmal sollte sie für ihre Mutter für einen Schilling Stecknadeln mitbringen, da sagte ihr Vater zu ihr, mußt sie aber an der Apotheke holen, da sind sie besser. Da sagte sie unterwegs: „Nun muß ich noch zur Apotheke“. Da sind da noch ein paar Kleine, die sagten: „Wir gehen mit dir lang, wir haben nicht viel bei Valentiner“. Da wäre aber der Provisor Lohmeier böse geworden und hatte gesagt, man raus mit euch nach dem Krämer gehen, man raus, man raus mit euch. Einmal hatte ihr Vater zu ihr gesagt: „Geh´ malbei Bäcker Wohlheere vor, der wohnt da, wo nun Bäcker Handorf wohnt, und frag mal, wieviel ein Doppelschilling Franzbrot kostet“. Da sagten die großen Jungs zu ihr: „Lena geh da nicht hin, Du bekommst wieder Ausschelte, sieh´ das kostet man einen Doppelschilling“.

Wir hatten immer unsere Plage mit der Trankruke, da gingen man 2 Liter hinein und die waren immer gleich wieder alle. Einmal kamen wir den Goldberg runter, bei mir ging L.St. die hatte eine Flasche in ein Tuch gebunden, da hatte sie einen Liter Sirup drin geholt. Nun wollte ich auch mal ein Wort mit den Hinteren sprechen und drehte mich ein bißchen kurz um und schlage mit meiner Trankruke an ihren Sirupbuddel an. O. sagten alle, es hat gutgegangen, aber im Augenblick ging der Sirup durch das Tuch, da lief sie, daß sie nach Hause kam. Die Schande hat mir lange auf dem Herzen gelegen, ich mochte an dem Haus nicht wieder vorbeigehen.

Na, nun wieder auf die Hamburger Reise zurückzukommen. Als meine Schwester da nun ist, in dem Laden mit den 6 Teilen, hatte sie das gleich raus, wenn im Herbst das Schwarzsauerkochen losging, dann mußte jemand hin nach Hamburg und eine Tonne Essig holen, vom Rödingsmarkt, der eignete sich am besten dazu. Da kam sie bei uns an und sagte, nun weiß ich Gelegenheit nach Hamburg, nun wollen wir zum Herbst alle drei auf dem Essigwagen mit nach Hamburg. O, wie freuten wir uns dazu, und den ganzen Sommer wurde nichts anderes gesprochen als von der Hamburger Reise. Das hatte sich auch schon im ganzen Dorf rumgesprochen. Nun war da jemand, der hieß J. D.. Der kaufte hier umher Butter auf und verkaufte sie dann in Hamburg an Kundschaft. Im Sommer fuhr er jede Woche hin und im Winter alle 14 Tage. Der hatte es auch schon zu hören bekommen und sagte zu meinem Schwager: „Mensch fahr den Tag drauf wenn ich drauf bin, sieh, dann bekommen sie ja viel mehr zu sehen, ich weiß da ja viel besser Bescheid als Du“. „Du kannst Recht haben“, sagt mein Schwager. Und einer war hier im Dorf, der hieß N., der kaufte hier Schweine auf und verkaufte sie in Hamburg, der hatte es auch schon zu hören bekommen, der sagte zu meinem Schwager: „Und fährst Du leer hinauf, dann nimm mein Fuder Schweine mit rauf“. Mein Schwager sagt: „Ja das kann angehen“. Endlich kam auch der Tag heran, daß die Reise losging. Wir drei Schwestern mußten bei D. auf den Butterwagen, wir voraus und die beiden anderen mit dem Schweinewagen hinterher. Der konnte aber lange nicht mit uns überwegkommen. Das ist aber doch eine lange Tour von Rümpel nach Hamburg. Er erzählte uns auch von der Wirtschaft, wo er immer ankehrte, die war so eben Altona. Da müßten wir nun auch die Nacht bleiben. Da wäre er so bekannt, als wenn er da zu Hause gehörte. Dann erzählte er uns auch, in Altona gäbe es Leute die äßen Pferdefleisch. Nein, sagten wir, wie kann das solche Menschen geben. Er sagte, das ist ganz gewiß wahr, es gibt Schlachter, die wohnen da nach der Elbe runter, die schlachten nichts anderes als Pferde. Und endlich fahren wir dann auch ja auf solchen Hofplatz rauf. D. mußte ja nun noch erst sein Pferd in den Stall bringen, so lange standen wir drei bei ihm, dann ging er mit uns in die Wirtschaft rein. Nun machte er erstmal eine Tür auf und sagte zu uns: „Dieses ist nun noch so was besseres, hier müßt ihr nun wohl schlafen“. Wir sahen uns das an, da waren zwei große Betten drin. Sehr sauber waren sie gerade nicht, aber da dachten wir uns nichts bei, wir waren ja nun in Hamburg, das gehörte sich wohl so. Da ging er mit uns in die Gaststube hinein, das war eine große geräumige Stube. Der Wirt und die Wirtin ließen sich da nicht viel sehen, aber da war eine Köchin, die hatte da alles unter der Hand. Die brachte uns den Kaffee und dabei bestellten wir uns auch Abendbrot. Aber nicht zu spät, wir wollen heute Abend noch zum Theater. Wir hatten in Oldesloe, im Badehaus schon genug Theater gesehen aber was war das, nun waren wir in Hamburg, nun wollten wir noch mal was Besonderes sehen.

Nun brachte die Köchin das Essen auch zur rechten Zeit. Wir bekamen Kartoffeln und jeder ein Stück Fleisch, das hatte ungefähr die Form wie ein Karbonadestück aber es war viel länger und auf jeder Seite ein Knochen, gebraten war das nicht und sauer war das auch nicht, das kam uns ganz verdächtig vor. Als die Köchin raus war, sagten wir zu D.: „Du das ist doch wohl kein Pferdefleisch“? „Nein“, sagte er, „Pferdefleisch ist das nicht, Pferdefleisch gibt es in dieser Wirtschaft nicht; ich weiß auch gerade nicht wo das bei dem Ochsen, hier gibt es jeden Abend sowas, aber Pferdefleisch ist es nicht“. Da hauten wir rein und es schmeckte uns auch ganz gut. Als wir satt waren, wurde es auch Zeit fürs Theater. Unser Schwager ging mit uns, die anderen sagten, sie wollten die 8 Schilling da nicht für ausgeben. Da hatten wir aber Glück, da wurde ein Stück gespielt von Gutenberg, der die Buchdruckerkunst erfunden hat. Davon hatten wir ja in der Schule gehört, und das war in Oldesloe noch nicht ein mal gespielt. Das Stück hatte nun doch noch keiner in Rümpel gesehen. Was hatte der Mensch aber auszustehen, einmal hatten die Leute ja schon gemeint, das wäre gar nichts Gutes. Als es nun aus ist, gehen wir wieder nach Altona zurück. „Was nun?“, sagt mein Schwager, „Ja, was nun?“ sagen wir. Da regt sich was, da mußten wir einem Hamburger Schilling geben und da ließ er uns durch und wir kamen glücklich wieder in unserer Wirtschaft an. Die Köchin war noch auf. Die hatte ein Talglicht in der Hand und sagt: „Nun kommt man mit rauf.“ „Nein“, sagen wir, „wir sollten hier unten ja schlafen“. „Nein“, sagt sie, „das geht nicht, das ist besetzt“.

Da gehen wir dann hinter ihr her die Treppe rauf. Da macht sie eine Tür auf und sagt: „Hier gehen sie man die Treppe runter“. Nun sehen wir uns das Lokal an, das war eine große Dachkammer, kein Fenster, kein Tisch und kein Stuhl, bloß 4 Betten. Und die waren so schmutzig, daß wir bloß an den Ecken noch sehen konnten, daß das rote Kattun mit schwarzen Ranken gewesen war. „Was nun“, sagten wir alle drei, „reingehen können wir da ja nicht“. Nun hatten wir drei so einen großenWattemantel um, da wickelten wir uns ein, setzten uns auf den Fußboden, legten den Kopf aneinander und duselten ein bißchen, waren aber froh, als am anderen Morgen der Tag in die Tür einschien. Die Tür hatten wir halb offen gelassen, damit wir in der Nacht nicht ersticken, so schlechte Luft war da. Beklagen taten wir uns nicht, wir meinte ja, das gehöre wohl so, wir wären ja in Hamburg. Am anderen Morgen beim Kaffeetrinken wird es ja nun beraten, was wir noch alles sehen sollten. Wir sollten sagen können, daß wir in Hamburg gewesen wären. D. hatte noch bis zum Mittag Butter auszutragen. N. hatte auch noch was mit seinem „Swinkram“ (Schweinekram) zu tun aber unser Schwager der hatte weiter nichts, als den Essig zu bestellen, der sollte uns mitnehmen, um uns Hamburg zu zeigen. Wenn N. dann fertig war, sollte er anspannen und den Essig holen und damit zum Schweinemarkt fahren. In der und der Wirtschaft da wollten wir uns alle dann versammeln. So um 1 Uhr würden wir wohl alle da sein. Nun geht unser Schwager mit uns nach Hamburg, bringt uns nach dem alten Steinweg rein und sagt zu uns, „Hier in dem Weg geht man immer rauf und runter bis ich wiederkomme. Geht aber da nicht raus, dann kann ich euch nicht wiederfinden. Ich muß nun erst hin und den Essig bestellen, sonst ist er nicht eingefüllt, wenn N. kommt“.

Nun gehen wir ja immer rauf und runter. Wir meinen schon, die Leute kennen uns schon alle. Zuletzt kam er wieder. Da ging er mit uns zum Jungfernstieg und in dem Glashaus waren wir. In einigen Straßen waren wir noch, sahen die großen Läden, die großen Häuser und die vielen Menschen. Da sagt mein Schwager: „So, nun wird es wohl Zeit, daß wir zum Schweinemarkt gehen, wir können da eher warten, als sie mit Pferd und Wagen“. Als wir zum Schweinemarkt kommen, ist da nichts zu sehen. Wir gehen in die Wirtschaft, wo wir uns versammeln wollten, und fragen den Wirt. N. ist hier gewesen, hat sich einen Kaffee gekauft und ist weggefahren. Dann kam D. und fragt: „Ist N. schon weg“. Ich sag: „Ja“. Da fuhr der auch nach, der ist eben um die Ecke. Was bekamen wir einen Schreck.

Meine Schwester fing an zu weinen und dicht dabei war es mit uns auch. Wir dachten an unsere Mutter, was die für eine Angst bekäme, wenn wir nicht mit heimkämen. Sie hatte so viele Sorgen um uns gehabt, und nun ging es schon los. Als wir aber den ersten Schrecken überstanden hatten, da mußten wir uns in unser Schicksal finden. Wir fragten den Wirt, ob wir die Nacht dort bleiben könnten, und bestellten uns Kaffee und Abendbrot. Eben vor dem Abendbrot kommt der Wirt und sagt: „Da hält noch ein Frachtwagen vor der Tür. Das ist Heuer von Kalkgraben, der kommt durch Oldesloe, und er will die Nacht durchfahren. Wollt ihr da auch mit? „Frachtwagen?“ sagten wir alle zugleich. „Ja“, sagt er, „Frachtwagen“. Wir gehen raus und sehen uns das Spielwerk mal an. Wir hatten alle noch keinen Frachtwagen von drinnen gesehen. Ein Boden wie in anderen Wagen war da nicht drin, da waren bloß zwei starke Balken und da lagen viele leere Säcke drauf. 4 dicke, große Pferde hatte er da vor. Die sollten uns wohl hinbringen. Ein großes Laken war über den Wagen gespannt, darunter war es ja am Ende besser als auf einem offenen Wagen. Denn die klugen Leute prophezeiten schon Schnee. Wir bezahlten unsere Zeche, verhandelten mit dem Fuhrmann und fuhren mit ihm los. Als wir in Ahrensburg ankommen bei der Wirtschaft an der Chaussee, wo damals die Witwe Wagner wohnte, hielt er still und sagt, ich muß hier die Nacht bleiben, mein Pferd ist krank. Nun, da mußten wir ja auch da bleiben. Die Witwe Wagner war noch auf, sie und ihre Schwester stopften noch Mettwurst. Sie sagte, das täten sie immer Abends, tags hätten sie keine Ruhe dazu. Das war aber eine noble Wirtschaft. Als Frau Wagner uns am anderen Morgen den Kaffee hereinbrachte, sagte sie, Heuer sein Pferd ist über Nacht totgeblieben. Er ist schon hinein nach Ahrensburg und holt sich Hilfe, er muß das erst an die Seite bringen, er darf nicht so davonfahren. Eben vor Mittag war alles in Ordnung und wir fuhren wieder los. Als wir aber in Elmshoss ankamen, stiegen wir aus. Da hatten wir genug vom Scheuern. Da gingen wir zu Fuß nach Rümpel und kamen abends in noch so nassem Schneegestöber wieder in unserem Dorf an. O, wie freute unsere Mutter sich, daß sie uns wiederhatte. Die drei Herren von der Hamburger Reise sind lange tot. Wir drei Schwestern leben noch alle drei und erzählen uns noch manchmal von unserer ersten Hamburger Reise.

Dieses Jahr sind es 50 Jahre her.

Deine Mutter

Tagebuch von Elise Horstmann geb. Stoffers

Geb. 28.07.1872 in Rümpel Gest. 09.03.1965 in Achim

1917

Eugenius

Gretha

Kurt

Elise

Aus den Aufzeichnungen von Elise Horstmann

Teil 1

Erinnerungen an die Kindheit und Jugend

geschrieben ca. 1930

Meinen lieben Kindern zu Gefallen will ich versuchen, nach dem Beispiel meiner guten Mutter, Erinnerungen aus meinem Leben zu Papier zu bringen.

Unser liebes Mütterchen ist mit 90 Jahren 1925 von uns gegangen. Sie war eine von den Frauen, die nicht viel Aufhebens von sich machen, und darum eine der Besten. Ihr Lebensweg war schwer. Mein Vater ist früh gestorben, und Mutter blieb mit acht kleinen Kindern allein, wovon das Älteste 12 Jahre war und das Jüngste ungeboren.

Unser Vater, den ich mir nicht mehr entsinnen kann, ist mit seinem Fuhrwerk verunglückt. Morgens gesund aus dem Haus gefahren und nachmittags haben sie ihn tot wiedergebracht. Vater ist äußerst fleißig und strebsam gewesen. Er ist so auch den letzten Morgen in Eile aus dem Hause gekommen, hilf mir man, daß ich wegkomme, ich muß heute Nachmittag noch Roggen säen. Den hat ein anderer für ihn säen müssen.

Als Mutter sich einigermaßen von dem furchtbaren Schlag erholt, und die Hände wieder regen konnte, hat sie ihr Kind auf der Nachbarschaft, wo zufällig Kindtaufe war, mit taufen lassen und dann hat sie das Leben gepackt, mit ihren, ach so schwachen Händen. Mit einem Mädchen und Kindermädchen hat sie die viele Arbeit geschafft, bis sie zusammenbrach.

Es wurde damals noch alle Milch im Hause verarbeitet, und das war schwer. Da hat sie dann Jahre lang gekränkelt, sie meinte, die Lunge wäre angegriffen gewesen. Ich entsinne mich noch so gut, wie sie sich damals pflegen mußte. Mit Vorliebe aß sie süße Milchgrütze, zum Frühstück, zu Mittag und gern abends noch mal. Sie konnte manchmal kaum abwarten, daß sie gar wurde. Dann trank sie immer Malzextrakt und mußte später, als sie einigermaßen wieder hergestellt war, in Oldesloe baden. Dann gingen wir Kinder ihr manchmal entgegen. Ich sehe sie noch wie sie dann müde, mit ihrem „echten Tuch“ umgeschlagen, auf dem Stein am Wege saß. Sich fahren zu lassen, dazu war sie zu bescheiden, sie konnte doch den Betrieb nicht stören. Schließlich hat sie sich aber doch erholt, konnte sich dann auch etwas schonen, weil doch die ältesten Töchter mittlerweile konfirmiert waren. Sie dachte aber nicht, daß sie alt würde. Hatte sie Leinen weben lassen, dann wurde es in sieben Teile geteilt, für die sieben Mädchen. Sonst kommen die Kleinen zu kurz, wenn ich sterben sollte, das war immer ihr Wort. Jedes Kind hatte seinen Koffer, und so war immer alles in Ordnung, und es hätten keine fremden Hände dazwischen brauchen. Es war ein Charakterzug von Mutter, allen gerecht zu werden. Deshalb ist auch nie der geringste Streit in der großen Familie gewesen.

Mutter war äußerst sparsam und genügsam und sehr gottesfürchtig, wenn sie es auch nicht zeigte. In späteren Jahren hat sie mir mal erzählt, daß sie immer wieder Kraft und Trost im Gebet gefunden hätte. Ihre Bitte wäre immer gewesen, Herr gib mir Kraft und Licht in dem Verstande, daß ich meine Kinder recht erziehe. Und ich glaube, sie war zufrieden. Im Alter hat sie manchmal gesagt: „Womit habe ich das verdient, daß es mir so gut gehen muß.“ All ihren Kindern ging es gut. So schwer ihr Leben war, so ruhig und sonnig war ihr Alter. Als sie sich nicht mehr allein helfen konnte, nahm Dora sie zu sich. Obgleich Ernst ihr das Altenteil zu geben hatte. In seinem Hause war es etwas unruhig, bei 7 Kindern ist das nicht anders und wenn sie noch so niedlich und nett erzogen sind. Auch mit meiner Schwägerin Mile wäre Mutter wohl ausgekommen, sie sagte manchmal, „Ich kann gar keine bessere Schwiegertochter kriegen“. Bei Dabelsteins hatte Mutter ein schönes, sonniges Zimmer und die liebevollste Pflege. Auch Schwager Hinrichs gleichmäßig freundliches Wesen trug viel zu Mutters Wohlbehagen bei. Es ist eins von Dabelsteins guten Werken, was die beiden lieben Leute in den schweren Kriegsjahren an uns getan haben, das können wir nie wieder gutmachen. Mutter war immer bange, daß sie lästig würde. Hatte sie morgens die Kartoffeln, Obst geschält, so ging sie nach oben und beschäftigte sich auf ihre Art. Solange sie stricken konnte, hatte es ja keine Not. Als das eines Gichtknotens wegen nicht mehr ging, suchte sie sich andere Beschäftigung. Proben ihrer Schnitte sind vorn in diesem Buch eingeklebt. Auch machte sie Körbchen, Kästchen, Ankleidepuppen usw. für ihre Enkelkinder, die sie immer gern besuchten. Großmutter hatte immer etwas für sie und wenn es nur eine Erdbeere war. Sie hatte nämlich immer Monatserdbeeren im Blumentopf. Diese Papierschnitzerei hatte sie erst in späteren Jahren wieder angefangen. Als wir zur Schule gingen, schnitt sie uns auch wohl mal eine.

Aber später hatte sie es zu einer Fertigkeit gebracht, die jeden in Erstaunen setzte, und sie konnte es noch in ihren letzten Lebensjahren. Und sie wurde doch 90 Jahre alt!

Wir Kinder wurden sehr einfach und bescheiden erzogen. Den Stock hat sie ganz selten gebraucht. Einmal entsinne ich mich, daß mein Bruder Schläge bekam. Mutter war schon zu Bett, da stieg denn der Junge noch auf das Strohdach, bis an den Giebel, um die Starennester auszunehmen. Durch unser, der Schwestern Warnung vorsichtig zu sein, war Mutter aufmerksam geworden. Sie kam raus und forderte Ernst in aller Ruhe auf, herunterzukommen und als er glücklich unten war, hat sie ihn sich dann mal ordentlich vorgenommen. Das wirkte, sonst hätte er wo möglich dem Storchennest auf dem anderen Giebel auch noch einen Besuch angestattet. Störche gab es damals in Rümpel genug, auf manchen Häusern waren zwei Nester. Bis in Vaters Heimat Sarau war Rümpel als das Storchendorf bekannt. Also deshalb dann auch ja die vielen Kinder. In den meisten Familien waren doch 6 - 8 Kinder.

Bei aller Sparsamkeit schickte Mutter uns doch nach Oldesloe zum Handarbeitsunterricht und Sophie und Berta haben auch Klavierstunden gehabt. Sie dachte es sich eben als späteren Erwerbszweck. Auch haben nachher alle Mädchen das Schneidern gelernt.

Für Kleidung wurde damals nicht viel Geld ausgegeben. Das gute Kleid erbte als Kinder immer eine von den anderen. Bei sieben Mädchen geht das prachtvoll. So konnten wir 3 - 4 Jahre unsere guten Kleider tragen, zumal wir sie nur 2–3-mal anzogen im Jahr. Einmal zum Vogelschießen, einmal im Sommer nach Fischbek zu den einzigen Verwandten wo Kinder in unserem Alter waren, und im glücklichsten Fall noch 1–2-mal nach Oldesloe zum Markt. Zu Markt zogen wir dann schon vormittags mit den Cousinen Stoffers zusammen los. 30 Pf. In der Tasche.

Aber ich glaube kaum, daß heute ein Kind mit dem 4fachen Gelde glücklicher ist, wie wir es damals waren. Wochenlang vorher wurden schon Pläne gemacht, wie wir unser Kapital am Vorteilhaftesten anlegen. Karusselfahren war zu verschwenderisch, das konnten wir uns nicht leisten. Es wurde in Süßigkeiten angelegt, ein Luxus, der uns nur an Markttagen geboten wurde. Wir bekamen sonst nie Näschereien, ich habe es sehr entbehrt, hatte manchmal eine förmliche Gier darauf. Ich halte es nicht für richtig. Dann und wann muß einem Kinde auch mal etwas gereicht werden. Ich fürchte, so ein Kind kann auch mal entgleisen, wenn sich Gelegenheit böte. Ich weiß, daß ich mich manchmal anderen Dorfkindern anschloß, wenn sie nach dem Krog (Krämer) gingen nur aus Spekulation, ob ich denn nicht auch mal ein paar Bonbon in die Hand gesteckt bekam, wie die. Tante und Onkel Wagner gaben uns nie welche, weil wir ihrer Meinung nach verpflichtet waren, bei ihnen zu kaufen. Nur Weihnachten bekamen wir alle einen Braunkuchen und einige Walnüsse, das war immer ein Glück. Unser Weihnachtsfest fiel immer recht mau aus zu Hause. Bei einer großen Reihe Kinder, zu damaliger Zeit, war das selbstverständlich. Man war damals auch noch recht bescheiden. Ein Nähkasten, Handarbeitstasche, Album, Schablone, das waren die Geschenke, natürlich ein Stück. Die Sachen wurden als Heiligtümer geschont, ich habe noch einige davon.

Kamen wir vom Markt zurück, zum Melken mußten wir zu Hause sein, weil die großen Schwestern nachmittags auch schon hingingen, mußten wir erst in Kate (Altenteilshaus) vorgehen und die Mötschen (ein Marktstuten) abliefern. Für Großvater und Großmutter bekamen wir ein paar Groschen mit. Für sich selber aber nicht, ich glaube nicht, daß wir Mutter einen Kuchen mitgebracht haben, als Kind ist man ja so gedankenlos. Mutters Bescheidenheit ging manchmal ein bißchen weit, das ist auch nicht richtig.

Schlimm war es für mich, wenn die Puppe kaputt war, dann mußte ich ganze 10 Pf. Dafür spendieren, denn ohne Puppe konnte ich nicht sein. Es gab damals so kleine etwa 5 - 6 cm groß, die konnten Arme und Beine bewegen, damit ließ sich prachtvoll spielen. Aus jedem kleinen Flicken war ein Kleid zu machen. Meine beiden Getreuen, Cousine Emma und Grete Relling machten mit. Da konnten wir dann den ganzen Sonntagnachmittag sitzen und Puppenzeug machen. Auch Alltags, wenn wir unsere kleinen Arbeiten verrichtet hatten, durften wir spielen. Unsere Arbeit war, das Kaffeegeschirr spülen oder Feuerung, Torf und Holz reinholen. Manchmal war ich dann noch nicht fertig, wenn Emma kam, die wurde nämlich etwas lockerer gehalten und Grete etwas strammer, dann half sie schnell mit und los zu Grete. Es kam dann auch öfter vor, daß ich abends die Zeit verspielte. Dann nahm Mutter mich mit einem .... in Empfang. Viel sagte sie nicht, denn sie wußte ja selbst, daß unsere Spielzeit kurz bemessen war. Bei gutem Wetter wurde natürlich draußen gespielt. Gewöhnlich Ballschlagen, Marmelspiel und Kriegen und Haschenspiel. Wagen und Grabenkriegen, Backstein und Kohlstrunk, alles Spiele, wobei wir uns tüchtig austoben konnten. Dafür brauchten wir dann auch keine Sportvereine. Knie und Knöchel waren natürlich immer kaputte, aber das heilte bald wieder. Für gewöhnlich trugen wir doch Holzpantoffeln. Darauf ließ es sich wunderbar glitschen auf dem Eis. D.h. bis Großvater uns ein P davor setzte und uns Leder unternagelte. Ernst war die Tracht noch zu kostbar.

Sonntags spielten wir auch mal bei uns. Das wurde dann sonnabends schon vorbereitet. Stuben gebaut in der Scheune im Wagenschauer oder in passenden Winkeln. Dann brachte jedes Kind etwas mit zum Essenkochen. Oder wir spielten mit „Kleidern“, hieß das dann. Dann wurden Relling´s schönen blühenden Büsche bös gerupft, damit putzten wir uns, aus Meerrettich und Klettenblättern wurden Hüte und Schirme gemacht. Spitze und Stiel des Blattes wurden zusammengesteckt mit Dornen, dann war der Hut fertig, fehlte nur noch der Putz. Da wußten wir aber auch Rat, die verschiedenen Blüten oder Hühnerfedern wurden mit Dornen darauf befestigt, fertig! Der Schirm war ein langstieliges Blatt, am besten eignete sich die Klette dazu, wurde natürlich ebenso geschmückt wie der Hut. Aus einem Flieder- oder Lindenblatt machten wir uns Broschen. Da wurden Namen, Sterne oder Blumen hinein gezinkt mit einer Dornennadel. So wurde die Phantasie in jeder Weise angeregt, es lag doch Sinn in dem Spiel. Auch takelten wir uns in anderer Weise an. Da wurde der meistens rote Unterrock heruntergelassen bis zur Kniehöhe und da ziemlich fest zusammengehalten, daß wir ganz kleine Schritte machen mußten. Dann hatten wir ein Schleppkleid, das der damaligen Mode so ziemlich entsprach. Die Schürze wurde als Mantille umgehängt, und fein waren wir. Ein Räuberspiel hatten wir auch, das ging aber nur in unserem Heufach zu spielen. Die weiße Sonntagsschürze wurde erst fein säuberlich abgenommen, wenn das Wollkleid auch ein bißchen mitgenommen wurde, das sah man doch nicht gleich. Also es wurden Räuber ausgewählt und die anderen legten sich schlafen im Heu. Wenn dann die Räuber im Heu raschelten, fragte die Mutter „Tina, haß du de Katten nicks geben?“ „Ja Fru de hebbt wat kregen.“ Darauf allgemeine Ruhe. Aber o, weh, den anderen Morgen hatten die Räuber ein Kind geholt. Dann ging die Jagd los, auf der einen Seite rauf auf den Heublock, auf der anderen runter, durch das Fach und die Diele gejagt, u.s.w., bis man den Räubern das Kind wieder abgenommen hatte. Waren wir müde vom Spielen, wurde das Zeug fein wieder abgeschlagen, die weiße Schürze wieder umgebunden, und jeder ging nach Haus zum Kaffee, damit auch ja das Sonntagsbrötchen nicht verpaßt wurde. Kuchen gab es ganz selten mal. Nach dem Kaffee wurde dann bei schlechtem Wetter auch oft getanzt. Viele Jungen konnten Harmonika spielen, die große Diele war sonntags immer sauber gefegt. Da fand sich bald die ganze Jugend zusammen. Das ging dann bis 7 Uhr höchstens, dann mußten alle Kinder nach Hause.

Bei uns war gewöhnlich der Sammelplatz, da war ja jeder Jahrgang vertreten, jedes Mädchen fand eine Altersgenossin.

Im Sommer und Frühling gingen wir denn auch viel „na de Hoss“. Es war ein kleines Gehölz, wunderschön für unsere Begriffe. Ein kleines Bächlein floß dadurch, ein Hügel, wo man prachtvoll runtertrüdeln konnte, eine Rasenbank unter einem Baume, und dann die beiden wunderschönen Pappeln. Ich möchte die kleine „Hoss“ wohl mal wiedersehen, aber mit den Pappeln, sonst nicht. Ob die auch wohl dem Krieg zum Opfer gefallen sind?

Hier holten wir uns die ersten Frühlingsblumen, Anemonen, Schlüsselblumen, gelbe Sternblumen gabs hier in Hülle und Fülle. Auch waren hier die kleinen Walderdbeeren zu finden. Zum Erdbeeren pflücken, gingen wir oft. Wir wußten ganz genau, wo welche zu finden waren. An den Wällen oder an der Bahnböschung. Die kleinen duftenden, süßen Beeren wurden dann auf lange Grashalme gezogen, so ließen sie sich am besten nach Hause schaffen. Die meisten wurden natürlich gleich an Ort und Stelle verzehrt. Dasselbe Vergnügen hatten wir im Herbst am Haselnüsse pflücken. Mit einem großen Nußhaken, einem langen Schacht mit einem Haken daran, zogen wir los. Damit wurden die Büsche heruntergezogen. Haselnüsse gab es in der Rümpeler Feldmark genug, da pflückte sich dann jedes Kind seine Weihnachtsnüsse selbst.

So haben wir eine frohe Kindheit erlebt.

Die Schule machte uns keine besondere Not. Der Lehrer war recht strenge, und er verlangte auch allerlei, mußten wir doch jede Woche unseren Aufsatz liefern. Nach dem Prädikat wurden wir gesetzt, um einen Fehler kamen wir runter. Zu Hause gab es dann noch für jede 1, die beste Note, eine Mark. Das war ein guter Ansporn. Unser alter Lehrer Böttger hat ein schweres Lebenswerk vollbracht. Vom ersten Tage seines Wirkens bis zur Pensionierung hat er die Schule allein geführt. Manchmal waren wir über 80 Kinder. Die waren in vier Abteilungen geteilt, die alle zu beschäftigen und zu unterweisen, das ist nicht leicht. Ich glaube, er hat wenig Dank geerntet. Herr Böttger oder vielmehr seine Frau verstanden sich nie so recht mit den Rümplern. Er hat sich auch öfter wegbeworben, hatte aber kein Glück damit. Ihm fehlte nämlich der rechte Arm, sollte so geboren sein. Deshalb war er linkshändig so geschickt.

Nun muß ich doch noch unser Vogelschießen schildern. Es ging von der Schule aus. Vor allen Dingen mußten wir Geld haben. Da mußten dann die 5 größten Mädchen von Haus zu Haus ziehen, ihre Gedichte hersagen und Geld zusammen bitten. Die Jungen machten es natürlich ebenso, die durften aber die Fahne mitnehmen. Das war ja ein Hauptspaß. Für das Geld wurden Gewinne gekauft, der Vogel, die Musik bezahlt, u.s.w.. Endlich waren alle Vorbereitungen getroffen und die Staatskleider in Ordnung, was bei uns immer allerlei Unruhe mit sich brachte. Gewöhnlich waren wir fünfe, die mitmachten, und die „Geerbten“ paßten dann nicht. Die weiße Hose durfte wohl unterrauskucken, der Rock aber nicht. Morgens um 8 mußten wir auf dem Schulplatz sein. Da stand dann der schön bemalte Vogel auf einer hohen Stange und die Jungen mußten ihn stückweise mit dem Flitzebogen runterschießen. Wir großen Mädchen mußten nach der Scheibe schießen und die Kleinen hatten Topfschlagen. Das machte auch schon viel Spaß. Zu Mittag waren dann die Würfel gefallen. Dann wurden wir erst fein angezogen, die Mädchen hatten Kränze im Haar, und je 2 gingen unter einem Blumenbogen. So ging es mit der Musik und der Fahne durchs Dorf, zum König und von da zur Königin. Da hatten die beiden einen Ehrentag. Die ganze Gesellschaft bekam Limonade, und weiter ging es zum Krog. Da wurde dann feste das Tanzbein geschwungen, im Tanzen hatten wir ja Übung. Um 9 Uhr war Schluß. Dann hatte die Herrlichkeit ein Ende.

Nun denkt ihr wohl, unsere ganze Jugend war ein Spielen und Tanzen, das war aber nicht so. In einem solchen Betrieb finden sich auch kleine Arbeiten, die auch Kinder verrichten können. Da wurden wir auch früh mit herangezogen. Das Gänsehüten war eine unserer ersten Ferienarbeiten. Mutter Stoffers mußte ja für viele Betten sorgen, bei sieben Mädchen. Da hatten wir dann gewöhnlich 40 bis 45 Gänse, und dann mußten wir die Roggenfelder abhüten. Natürlich unsere eigenen. War dann nicht recht Wasser auf der Koppel, dann flog die ganze Schar nach Hause, und wir rannten weinend hinterher. Noch mehr Verantwortung brachte das Kühehüten mit sich, wie leicht geriet mal eine Kuh in den Moorgraben, da mußte dann oft mein Bruder mit den Knechten kommen und sie wieder rausgraben. Das war immer eine aufregende Sache, zumal für mein Hasenherz. Auch traf man manchmal unterwegs mit einer anderen Schar Kühe zusammen, dann gab es Kampf, daß manchmal ein Horn geopfert wurde.

Mutter hielt uns auch früh zum Stricken und Stopfen an. Ich glaube, da hab ich ihr manchmal Sorgen gemacht. Anna, etwas älter wie ich, und Bertha, etwas jünger, waren beide so emsig. Von Zeit zu Zeit mußten sie mir dann mal ihre Häkelherrlichkeiten vorführen. Mit den besten Vorsätzen wurde dann meine Häkelei wieder flott gemacht, aber nach kurzer Zeit lag sie wieder schmuddlich und verschuchert in der Ecke, daß Mutter ganz unglücklich sagte: „Du kriegst ja woll ken Spitzen an din Hemm“.

Wenn wir konfirmiert wurden, hatten wir nämlich 6 Hemden in der Nähschule gemacht mit gehäkelten Spitzen. Einmal hatten sie mir ein Wunderknäuel gewickelt von Wolle, einen kleinen Fingerhut in der Mitte. Das Paar Strümpfe hab ich fertig geschafft, stricken mochte ich, aber häkeln war nicht mein Fall. Ich habe nachher ebenso gut handarbeiten können wie die Schwestern und geschneidert hab ich wohl mehr wie alle anderen. Die Schneiderei wäre mein Fach gewesen, es hätte mir viel Befriedigung geben können, wenn ich perfekt gewesen wäre. Trotz meiner Unfertigkeit hat es mir viel Freude gemacht. Es müßte viel mehr auf die Eigenarten eines Kindes eingegangen werden, ich nähte doch immer so gern Puppenzeug.

Als Dora die Schule verlassen hatte und feste mit an die Arbeit mußte, sollte ich sie dann ablösen bei den Großeltern. Eine von uns Mädchen war immer in der Kate, die schlief dann mit in Großmutters Bett. Diesmal sollte ich es denn sein, aber da packte mich das Heimweh, daß ich mich jeden Abend in den Schlaf weinte. Eines Sonntag abends hatten wir noch draußen gespielt, schließlich mußte ich ja runter nach der Kate. Da hatte ich Unglückswurm meine Pantoffeln zu Hause vergessen, es gab natürlich Schelte und ich mußte wieder um. Inzwischen waren sie aber alle zu Bett gegangen, da klopfte ich denn weinend ans Fenster: „ Ick heff min Tüffeln vergeten“. Sie lachten natürlich alle. Mit diesem Vorfall bin ich noch lange gehänselt worden. „Du kannst ja nicht von Haus kommen, du kriegst ja Heimweh“, hieß es dann. Es ist mir nachher auch recht schwer geworden, habs aber doch geschafft. Bin 5 Jahre bei anderen Leuten gewesen. Ich bin die einzige von den Geschwistern, die die Heimat ganz hat hergeben müssen. Die anderen sind alle in Holstein geblieben und können sich oft mal sehn, um diese kleinen Klöhnvisiten beneide ich sie ja manchmal. In den ersten Jahren hab ich oft versucht, Vater zu bereden, wieder nach Holstein zu ziehen, aber umsonst. Jetzt möchte ich gar nicht mehr zurück.

Als größeres Mädchen konnte ich nicht in der Kate aushalten und als kleines Kind bin ich da viel gewesen. Wenn ich dann wiederkam, hat mein Vater mich dann gefragt. „Wo du hinwest“? „Iggo Kats hinwest“. Und als Vater tot war, und Lina schon mit 8/9 Jahren laufen konnte, bin ich, die 4jährige, Kindermädchen geworden. Dann hab ich morgens meine beiden „Lütten“ an die Hand genommen und bin mit ihnen nach der Kate gegangen, da haben wir dann gespielt. Unterm Ofen war ein Hohlraum, darin wurde der weiße Sand aufbewahrt und damit durften wir spielen. Die Großeltern hatten noch einen weiß gescheuerten Fußboden. Darauf wurde jeden Morgen nach dem Fegen weißer Sand gestreut. Das war damals noch viel Sitte. Mein Vaterhaus war neu, da waren schon gestrichene Fußböden. Dann nahm Großvater die Kleinen auf den Arm und ließ sie tanzen und sang dabei, draudideldum draudideldum. Ich soll es sehr ernst genommen haben mit meinen Pflichten, daß Großmutter manchmal zu Mutter gesagt hat: „Du kannst garken better Kinnerkern kriegen“.

Das war meine Kindheit, ich denke oft und gern daran zurück. Ich habe es vielleicht etwas kleinlich beschrieben, aber ich denke, auch meine Kinder wird es interessieren, wie sich die Zeiten geändert haben.

Ich weiß nicht, ob die Kinder heute noch richtig spielen können. Mit 10 - 11 Jahren spazieren die kleinen Dämchen schon auf der Straße und poussieren. In unserer schnelllebigen Zeit muß es wohl so sein.

Teil 2

Erinnerungen an die Kinder

Mit achtzehn Jahren kam ich von zu Hause. Ich wußte, daß ich nicht für längere Zeit zurückkommen konnte. Es war jüngerer und älterer Ersatz genügend da. Und über kurz oder lang wollte der gute Bruder Ernst doch auch mal heiraten. Er ist ein gute Seele, und hat viel mit seinen Schwestern rumgezockelt. Die eine kam, die andere ging, und immer war uns auch später ein freundlicher Empfang gewiß. Er heiratete recht spät, mußten doch wenigstens die meisten Schwestern erst unter der Haube sein. Als sich dann drei auf einmal Verlobten, da schaffte es. Wenn Mutter früher mit all ihren Mädchen all den Hochzeiten geneckt wurde hat sie wohl manchmal in ihrer drastischen Weise gesagt: „Och, da kümmt drei mit einmal“. Das ist nun allerdings nicht eingetroffen, doch drei Verlobungen sind doch auf einmal gefeiert worden.

Meine erste Stellung übernahm ich in Hamburg Uhlenhorst, wo Schwester Sophie schon einige Jahre als Köchin war. Es wurde mir sehr schwer; eine gewisse Befangenheit wurde ich nie los. Nicht nur im Anfang, auch in den späteren Jahren wurde ich die nicht los. Dann war ich immer unfrei und nervös. Auf meiner ersten Stelle hatte ich viel Pech, die Dame stand immer hinter mir her, die glaubte ja, die Bauern sind ja so dumm. Das war für meine Unglücksnatur ganz verkehrt. Dann auf meiner zweiten Stelle konnte ich selbständig arbeiten, da lebte ich ordentlich auf und die Dame war sehr zufrieden. Das war die Gräfin Baudissin. Im ersten Jahr waren wir in Berlin, der Graf war an der Kriegsakademie. Das zweite Jahr waren wir in Wandsbeck und das 3. Jahr auf dem Gut Borstel bei Sülfeld, nachdem der Graf seinen Abschied genommen hatte. Er war Husarenleutnant. Bei der Gräfin ist mir das Dienen nicht schwer geworden, sie war wirklich ein feiner Mensch. Es kam nie ein heftiges oder auch nur ein unfreundliches Wort über ihre Lippen aber, dabei ging alles am Schnürchen, jeder tat gerne seine Pflicht. Sie sagte: „Schelten mag ich nicht, wen ich nicht mit Freundlichkeit regieren kann, der muß gehen.“ Sie hat nach und nach 5 Schwestern von uns geholt, darauf war auch sie stolz. Die Mamsell aus meiner Zeit ist heute noch da. Ich habe sie manchmal bedauert im Stillen, daß sie ihr ganzes Leben in abhängiger Stellung verbringen mußte. Aber mein Besuch vor einigen Jahren hat mich eines Besseren belehrt. Im Laufe der Zeit hat sich ein Verhältnis gebildet zu der Gräfin und ihrer Familie, daß ihr Mamsells Schicksal gar nicht so inhaltslos ist. Sie ist über alles informiert, erlebt alles mit. (Anmerkung: 1945 mußte die Gräfin ihr Haus für die Engländer räumen. Da sind die Gräfin, mit der Mamsell zu ihrem langjährigen Gärtner ins Gärtnerhaus gezogen. Die drei Menschen sind dann bis zu ihrem Lebensende zusammen dort geblieben, und waren froh und zufrieden miteinander).