Die Heilung der Mitte - Georg Weidinger - E-Book

Die Heilung der Mitte E-Book

Georg Weidinger

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Beschreibung

Chinesische Medizin ist 80 Prozent Lebensführung, 10 Prozent Akupunktur, 10 Prozent Kräutermedizin Lebensführung bedeutet die Art, wie wir täglich leben, wie wir in der Früh aufstehen, was wir essen, wie wir uns bewegen, wie wir mit unserer Arbeit umgehen, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen, mit unseren Partnern, mit unseren Kindern, unseren Tieren, woran wir glauben, wovor wir Angst haben, unsere Einstellung zu Krankheit und Tod und wie wir am Abend schlafen gehen. Ich bin praktischer Arzt mit einer kleinen Allgemeinpraxis für Traditionelle Chinesische Medizin in einem typischen Arbeiter- und Einwandererbezirk in Wien-Favoriten. In diesem Buch erzähle ich Ihnen von meinem Leben, von den Erfahrungen, die ich machen durfte, von meinen Erkenntnissen aus diesen Erfahrungen, den Erfahrungen eines praktischen Arztes, eines Allgemeinmediziners, der als westlicher Schulmediziner den Weg zur Chinesischen Medizin gefunden hat. Ich möchte Ihnen in diesem Buch viele viele Anregungen für ein achtsameres, glücklicheres, gesünderes und vielleicht längeres Leben geben. Dieses Buch ist kein TCM-Lehrbuch und soll auch keines sein. Der Anspruch eines Lehrbuches wäre der, alle möglichen Aspekte einer Störung oder Erkrankung systematisch anzugeben. Ich gebe bewusst jene Aspekte an, die, aus meiner Erfahrung, die wichtigsten sind, und verzichte auf die systematische Auflistung aller möglicher Ursachen, um das Wesentliche nicht aus den Augen zu. Trotzdem oder gerade deshalb erfahren Sie sehr viel über die Chinesischen Medizin, aber eben aus meiner persönlichen Ecke heraus. • Ein Arzt der Traditionellen Chinesischen Medizin erzählt • Anleitungen zu einer gesünderen Lebensführung mittels chinesischer Heilmethoden • 100 % Leben durch TCM

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Dr. med. Georg Weidinger

 

Die Heilungder Mitte

 

Die Kraft der Traditionellen Chinesischen Medizin

 

 

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Erklärung:

Die in diesem Buch dargebotenen Vorstellungen, Vorschläge und Therapiemethoden sind nicht als Ersatz für eine professionelle medizinische Behandlung gedacht. Jede Anwendung der in diesem Buch angeführten Ratschläge geschieht nach alleinigem Gutdünken des Lesers. Autor, Verlag, Berater, Vertreiber, Händler und alle anderen Personen, die mit diesem Buch in Zusammenhang stehen, übernehmen keine Haftung für eventuelle Folgen, die direkt oder indirekt aus den in diesem Buch gegebenen Informationen resultieren oder resultieren sollen. Es wird darauf hingewiesen, dass alle Angaben trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlags ausgeschlossen ist.

 

 

Danksagung:

Ich danke Herrn Gottfried Ennsthaler, der mich beauftragt und motiviert hat, dieses Buch zu schreiben, Frau Magister Dorothea Forster, die sich die Arbeit der Korrektur des Textes angetan und Geduld mit meiner Ungeduld bewiesen hat, Herrn Christoph Ennsthaler, der den Umschlag und das Layout des Buches so professionell gestaltet hat, und Herrn Dr. Christian Heindl, der mir als jahrelanger treuer Freund und mittlerweile Anhänger der Chinesischen Medizin diesen Text so wunderbar und einfühlsam nochmals gelesen und perfektioniert hat. Und vor allem danke ich all meinen Patienten, die ich in all den Jahren kennenlernen und in ihrem Leid begleiten durfte. Durch sie habe ich gelernt und gelernt und gelernt. Durch sie bin ich heute der Arzt und der Mensch, der ich bin. Und ich danke Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, dass Sie bereit sind, mit mir diese Reise in eine ferne Welt anzutreten …

 

www.ennsthaler.at

 

ISBN 978-3-7095-0032-3 EPUB

 

Georg Weidinger · Die Heilung der Mitte

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2011 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Umschlaggestaltung: Christoph Ennsthaler

Umschlagbild: ©iStockphoto.com / Chris Gramly

Ich widme dieses Buch

meinem Vater, meinem Hun,

dem ich mein Leben und meine Berufung verdanke,

meiner Mutter, meiner Yi,

der ich mein Leben und meinen Glauben an dieses verdanke,

meiner Frau Gabriele, meinem Shen,

der ich meinen Shen verdanke,

unseren Kindern Daniel, meinem Po, und

Lena, meiner Zhi,

durch die ich Sorge und Angst vor dem Tod verloren habe und

die mir uneingeschränkt Vertrauen und Liebe schenken.

Vorwort von Prof. Gertrude Kubiena

Georg Weidinger hat das Buch geschrieben, welches ich eigentlich selber immer schreiben wollte: nämlich Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) für Anwender, Patientinnen und Patienten und vor allem für Normalverbraucher. TCM ist ja nicht für Ärzte und Apotheker gemacht, sondern für jedermann! Die Maxime lautet so schön: Vorbeugen ist wichtiger als heilen. Und was mache ich seit Jahrzehnten? Ein elitäres Publikum von Medizinern und Apothekern unterrichten und durch Fachbücher informieren. Das deckt die wahren Bedürfnisse aber nur teilweise ab. Denn jeder Mann/jede Frau soll ja von den chinesischen Weisheiten profitieren können.

In Georg Weidingers Buch finden Sie unzählige kluge Ratschläge für gesunde Lebensführung im Sinne der TCM und Tipps, wann Ihnen welche Methode helfen kann.

Was mir am besten gefällt: Georg Weidinger betont immer wieder, was man selber tun kann. Und das sollten Sie als Leserinnen und Leser dieses Buches auch wirklich machen. Das hat er übrigens am eigenen Leibe erfahren.

Ganz gerührt war ich davon, dass er seine erste wirklich positive Akupunktur-Erfahrung mit Hilfe eines meiner Bücher gemacht hat. Also Akupunktur sollten Sie ohne medizinische Vorkenntnisse nicht im Selbstversuch probieren, aber wie wär’s mit Ernährungslehre?

Das Weidinger-Buch liest sich übrigens leicht und locker und enthält auch zahlreiche interkulturell interessante Hinweise.

Also: Kaufen, lesen, nachleben!

 

Viel verdienten Erfolg wünscht dem Buch und Dr. Georg Weidinger

 

Prof. Dr. med. et Mag. phil. Gertrude Kubiena

Vorwort des Autors

Ich bin praktischer Arzt mit einer kleinen Allgemeinpraxis für Traditionelle Chinesische Medizin in Favoriten, einem typischen Arbeiter- und Einwandererbezirk in Wien, von durchschnittlicher körperlicher Größe, mit dem Körperbau eines Boxers und den Händen und Handgelenken eines Klavierspielers. In diesem Buch erzähle ich Ihnen von meinem Leben, von den Erfahrungen, die ich machen durfte, von meinen Erkenntnissen aus diesen Erfahrungen eines praktischen Arztes, eines Allgemeinmediziners, der als westlicher Schulmediziner den Weg zur Chinesischen Medizin gefunden hat, und ich versuche, nach diesen Erkenntnissen zu leben, einmal besser, einmal schlechter, wie es eben so ist, um meinen Kindern und meinen Patienten ein Vorbild zu sein. Ich versuche, jeden Tag aufs Neue, das zu leben, was ich sage.

Und ich bin Klavierspieler (ich ziehe dieses Wort dem Wort »Pianist« vor, da ich nicht nur leise, »piano«, sondern gerne auch sehr laut spiele … außerdem sehe ich mich am Klavier sitzen, wenn Billy Joel seinen »Piano Man« singt …!), und wenn es meine Zeit erlaubt, spiele ich Konzerte und nehme CDs auf. Da ich Noten lesen und schreiben konnte, bevor ich, als linkshändiger Legastheniker, mit Buchstaben und Worten umzugehen vermochte, war mein bevorzugtes Schreibmedium immer das Notenpapier …

Wenn jemand sagt, er geht zu seinem »Chinesen«, meint er meistens sein Lieblings-China-Restaurant. Aber immer mehr Menschen meinen damit auch »ihren« chinesischen Arzt, ihren Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Ein solcher bin ich.

In diesem Buch möchte ich beschreiben, warum mir gar nichts anderes übrig blieb, als Arzt für Chinesische Medizin zu werden, wie sich eines ins andere gefügt hat, wie mein Weg seit Kindheit an von der Medizin geprägt ist und warum ich Ihnen all mein Wissen, meine Erfahrung heute, hier und jetzt, weitergeben muss …

Dieses Buch ist kein TCM-Lehrbuch und soll auch keines sein. Der Anspruch eines Lehrbuches wäre der, alle möglichen Aspekte einer Störung oder Erkrankung systematisch anzugeben. Ich gebe bewusst jene Aspekte an, die aus meiner Erfahrung die wichtigsten sind, und verzichte auf die systematische Auflistung aller möglicher Ursachen, um das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren (sodass Sie vor lauter Bäumen den Wald nicht erkennen … !). Trotzdem oder gerade deshalb erfahren Sie sehr viel über die Chinesische Medizin, aber eben aus meiner persönlichen Ecke heraus. Wenn sie eine konsequente Systematik suchen, verweise ich Sie auf die vielen vorhandenen ausgezeichneten TCM-Lehrbücher und werde an entsprechender Stelle auch passende Verweise bringen.

Mein Einsatz für dieses Buch ist groß. Ich erzähle Ihnen von meinem Leben, meinen Krankheiten, meinen Krisen. So habe ich es von meinem Lehrer, Dr. François Ramakers, gelernt. Am ersten Tag der TCM-Ausbildung ist er vor uns getreten und hat uns gesagt, dass er Krebs hat, dass er zweimal in seinem Leben Krebs hatte, den einen Krebs trägt er noch immer mit sich herum. Die TCM hat ihn das erste Mal, als er etwa 30 Jahre alt war, evangelischer Priester und Biochemiker, geheilt, worauf er sein ganzes Leben der Chinesischen Medizin und deren Erforschung gewidmet hat. In dieser ersten Stunde unserer Ausbildung hat er uns erzählt, dass es in China, in der Tradition, keine Schande ist, krank oder schwach zu sein, daher auch sein offener und selbstverständlicher Umgang mit seiner Erkrankung. Und das möchte ich hier und jetzt fortführen. Ich werde Ihnen offen und selbstverständlich von meinem Asthma, meinem Burnout und sonstigen Krisen erzählen, werde Ihnen mitteilen, wie mich mein Körper im Leben geleitet hat, sodass ich heute da bin, wo ich bin. Ich werde Ihnen erzählen, wie meine Schwächen meine Stärken wurden, und vielleicht werden Sie dann eines Tages auch selbstverständlich von Ihren Schwächen und Krankheiten erzählen, sodass Sie wieder Beispiel und Vorbild für andere sind. Worte bringen nichts, wenn man sie nicht lebt. Ein Kind wird durch unser Beispiel, durch das, was wir ihm vorleben, erzogen, nicht durch unsere Worte. Wenn ich als Arzt Wasser predige und Wein trinke, werde ich nicht glaubhaft sein …

 

Die Chinesische Medizin ist ein Teil der chinesischen Kultur und mit dieser tief verbunden und verwurzelt. Man kann sie nicht betrachten, ohne sich auch mit der Lebensart und Denkart der Chinesen auseinanderzusetzen.

Ich sage meinen Patienten immer: Chinesische Medizin ist 80 Prozent Lebensführung, 10 Prozent Akupunktur, 10 Prozent Kräutermedizin. Und Lebensführung bedeutet die Art, wie wir täglich leben, wie wir in der Früh aufstehen, was wir essen, wie wir uns bewegen, wie wir mit unserer Arbeit, mit unseren Mitmenschen umgehen, mit unseren Partnern, mit unseren Kindern, unseren Tieren, woran wir glauben, wovor wir Angst haben, unsere Einstellung zu Krankheit und Tod und wie wir am Abend schlafen gehen. Über all das, über all die 100 Prozent, möchte ich in diesem Buch erzählen und Ihnen viele viele Anregungen für ein achtsameres, glücklicheres, gesünderes und vielleicht längeres Leben geben.

In diesem Buch beziehe ich mich oftmals auf die Literatur der Traditionellen Chinesischen Medizin, ich nenne es aber der Einfachheit halber dann: »Die Chinesen sagen« oder »im Alten China sagt man« und meine damit das, was wir in der Traditionellen Chinesischen Medizin aus der uns zugänglichen chinesischen Literatur wissen. Es heißt also nicht, dass »alle Chinesen« so denken, sondern dass Ärzte in der alten Tradition der Chinesischen Medizin früher so gedacht haben und meist heute noch so denken.

»Sind Sie mit dem Kräuterpfarrer Weidinger verwandt?«, ist eine der häufigsten Fragen, die mir seit Jahren gestellt werden. »Ja, er ist mein Vater!«, antworte ich dann und warte auf die Reaktion meines Gegenübers … Nein, bin ich nicht! Der »Kräuterpfarrer« Hermann-Josef Weidinger ist ein in Österreich für sein Gesundheitsfachwissen bekannter Pfarrer, der bis zu seinem Tod regelmäßig für verschiedene Zeitungen geschrieben hat. Mein Großvater, Hofrat Franz Weidinger, hat sich einmal mit ihm in Verbindung gesetzt, um dieser Frage nachzugehen, und sie haben festgestellt, dass ihre beiden Familien aus Böhmen stammen, wie so viele alt-österreichische Familien. Und das ist es. Mein Vater ist der »Angiologen-Weidinger«. Er ist Internist und Gefäßspezialist, jetzt schon in Pension, aber sein Name ist in Österreich und Deutschland in Fachkreisen heute noch bekannt. Auf Grund der Namensgleichheit mit dem Kräuterpfarrer habe ich mittlerweile auch schon seit Jahren einen Spitznamen: Kräuterdoktor Weidinger …

Ich bin nicht nur »Chinesendoktor«, ich bin auch westlicher Allgemeinmediziner, der westlichen Naturwissenschaft verpflichtet. Sie werden in diesem Buch beide Aspekte kennenlernen, den asiatischen und den westlichen. Ich werde verbinden und dann eine Sichtweise bevorzugen, wenn ich glaube, Ihnen dadurch eine Sache besser ans Herz legen zu können. Und darum geht es im Endeffekt: ums Herz, um den Geist, der im Herzen wohnt, den Shen. Wenn ich Ihr Herz gewinnen kann, wird man das an Ihrem Gesicht sehen können. Wenn ich Sie bewegen kann, dann wird das Gesagte etwas bewegen, Sie werden etwas bewegen, sich oder andere, und Ihr Shen wird strahlen …!

 

Ihr Georg Weidinger,

Wien – Laaer Berg, Jänner 2011

Vorwort des Autors zur vierten Auflage

»Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.«

Heraklit von Ephesos

Viel ist passiert in den letzten zwei Jahren seit Erscheinen des Buches. Frau Professor Gertrude Kubiena hat mich gebeten, sie mit ihren 75 Jahren beim Unterrichten der Chinesischen Medizin zu unterstützen und sie zu entlasten. Also mache ich das jetzt und genieße das Weitergeben meines Wissens und meiner Erfahrung und dadurch bin ich selbst gezwungen, immer am Ball zu bleiben und zu denken und zu überlegen und Zusammenhänge zu verstehen. Danke, Kubi! Und weiters werde ich regelmäßig gebeten, Artikel in verschiedenen Zeitschriften zu verfassen, was mir einen unglaublichen Spaß bereitet und mir langsam hilft, meine kindlichen Traumata als Legastheniker zu überwinden (»So wie du schreibst, das kann ja nichts werden …« – gut gemeinte Ratschläge gut meinender Deutschlehrer/-innen …). Danke dafür! Und dann hab ich für ein paar Monate auch noch eine kleine TV-Sendung bekommen bei einem österreichischen Privatsender. Es ist dann aber auf Dauer daraus nichts geworden. Seither liebe ich es, Musikvideos zu meiner Musik zu machen … Auch für diese Erfahrung danke! Schließlich waren die Veränderungen auch eine Herausforderung für meine Frau und mich und für unsere Familie. Und da Gabriele Gott sei Dank immer dran ist, dass auch ich dran bin bei unserer Beziehung, sind wir alle dran … Danke, Gabriele! Und schließlich ist es uns in Wien dann doch ein bisschen zu dicht geworden, und wir haben uns entschieden, aufs Land zu ziehen. Und nach einem Jahr intensivstem Planen unseres Traumhauses, das wir in Mattersburg bauen wollten, haben wir vier Wochen vor Baubeginn alles abgesagt und uns fürs Leben und Doch-nicht-total-verschuldet-Sein entschieden … Und wie das Leben so spielt, taucht da auf einmal dieses über hundert Jahre alte Stein-Lehmhaus in Forchtenstein auf und sagt: Kauf mich! Also haben wir (und die Bank …) es gekauft und dort sind wir nun, frisch angekommen, zwischen all den Kisten unseres verpackten Lebens und atmen erst einmal in Ruhe die burgenländische Gebirgsluft des Rosaliengebirges durch (für burgenländische Verhältnisse ist das wirklich ein Gebirge …)! Danke, danke, danke! Die nächsten Wochen, Monate und Jahre werden wir damit zubringen, Wurzeln zu schlagen und anzukommen, unseren Kindern zuzusehen, wie sie heranwachsen am Land, mit uns, ihren neuen Freunden und dem Pferd, das wir wahrscheinlich heuer noch kaufen werden (jetzt, da wir am Land sind, funktionieren meine Ausreden nicht mehr …).

Viele, viele Reaktionen habe ich auf mein Buch bekommen. Fast jede Woche sind mehrere E-Mails bei mir eingeflattert und ich war immer bemüht, alle zu beantworten. Dafür tausend Dank und auch danke für all die Anregungen und Verbesserungsvorschläge und persönlichen Lebensgeschichten, die Sie mir geschrieben haben. Ihre Worte haben dazu geführt, dass ich manches nochmals überdacht und vor allem ergänzt habe. So sind in dieser vierten Auflage doch noch einige Seiten dazugekommen.

Und zu guter Letzt möchte ich noch Christian erwähnen, Dr. Christian Heindl, der seit der Veröffentlichung des Buches alles, was ich schreibe, durchliest und korrigiert, um eben Peinlichkeiten, die mir in meiner Schulzeit passiert sind, zu vermeiden. So werden wir bis zum Rest meiner schreibenden Tage miteinander verbunden sein (und du dir all meine Akupunkturnadeln gefallen lassen müssen …)!

Danke, Christian!

Na dann, viel Freude beim Lesen und Leben!

 

Ihr Georg Weidinger,

Forchtenstein, im Juli 2013

Der Shen, das Göttliche in uns

Wohin du auch gehst,

geh mit deinem

ganzen Herzen.

Konfuzius

Der Shen, das Strahlen, das Licht in unserem Gesicht, setzt uns, dem Menschen, der gesamten Schöpfung die Krone auf. Denken Sie an ein kleines Mädchen, das Prinzessin spielt, und Sie setzen ihr eine Krone auf. Denken Sie an das Strahlen in ihrem Gesicht. Und das Gewand der Prinzessin könnten auch nur Fetzen sein, wie es bei armen Kindern der Fall ist. Aber die Kinder beseelen diese Fetzen und sie werden zu einem prachtvollen Gewand, dem Gewand einer Königin, eines Königs, einer Prinzessin, eines Prinzen. Das Pferd kann ein einfacher Stecken sein, aber durch die Seele des Kindes wird er zu einem Pferd. Die Krone kann auch ein einfacher Papiersack sein oder ein Kranz aus Stroh, aber die Seele des Kindes lässt den Sack, das Stroh wie Gold erstrahlen. In diesen Momenten kann jeder den Shen sehen und wir können ihn auch spüren, wie er sich verteilt und verbreitet, wie er ein Lächeln auf unsere Gesichter zaubert. Vielleicht ist der Shen Gott, das Göttliche in uns, das Licht Gottes, das in die Welt hinausstrahlt. Unser Pfarrer, Pfarrer Herz von der Antonskirche in Wien Favoriten, hat uns, bevor er uns getraut hat, vor unserer Hochzeit, gesagt, dass unsere Liebe für andere ein Zeichen der Existenz Gottes ist. Unsere Liebe soll in die Welt hinausstrahlen und für andere ein Zeichen sein, dass Gott existiert, dass Gott die Liebe ist, dass Gott das Licht ist. Nicht umsonst sagen die Chinesen, dass Shen der Geist des Herzens ist, so wie wir sagen, dass die Liebe im Herzen wohnt. Der Shen kann dann strahlen, wenn wir mit uns im Reinen sind, wenn also kein Dreck in uns herumliegt, sodass alles gut fließen kann im Körper, wenn es also unserer Mitte so richtig gut geht. Und rein sind wir dann in uns, wenn wir auch mit unserer Welt im Reinen sind, mit den Menschen um uns, mit unserer Natur, wenn wir auch um uns keinen Dreck ablegen, nicht in den Menschen um uns mit unreinen Emotionen und Worten, nicht in der Natur um uns. Wenn es in uns so richtig gut fließt, dann wird alles um uns herum, durch unseren Shen, auch so richtig gut fließen. Wenn unser Shen strahlt, werden andere Menschen sich gerne von uns beseelen lassen. Wenn wir dafür sorgen, dass es uns so richtig gut geht, wird es auch allen anderen um uns so richtig gut gehen. Wenn wir darauf bedacht sind, dass die Liebe zu unserem Partner immer strahlt, dann stärkt das die Mitte unseres Partners und unsere eigene Mitte und wir können EINS werden, können YIN und YANG sein und gemeinsam ein großes Ganzes bilden. Dadurch können wir auch EINS sein mit den Menschen um uns, mit unseren Kindern, mit der Natur um uns. Wenn wir auf unsere Mitte achten, heilen wir nicht nur uns selber, sondern auch unseren Partner, unsere Beziehung zu unserem Partner, zu unseren Kindern, zu unseren Mitmenschen, zu der Natur um uns herum. Wir heilen unsere gemeinsame Mitte, unsere gemeinsame Natur, unsere gemeinsame Mutter: Wir heilen unsere Erde. Mit den Worten von Mahatma Gandhi: »Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.« Und wenn wir EINS sind mit der Natur in und um uns, dann haben wir auch Shen, dann erhalten wir das große Geschenk der Schöpfung, der gesamten Evolution, das Göttliche in uns.

Das Handwerk des Arztes

Nur die Gegensätze

lehren einen

die Welt kennen:

Wer nicht

ums Dunkel weiß,

kann das Licht

nicht erkennen.

Aus Japan

»Arzt sein ist ein reines Handwerk«, so hat es mir mein Vater schon als Kind gesagt. »Man muss es erlernen wie ein Handwerk, indem man es immer und immer wieder macht, so wird man immer besser und das Erlernte geht einem in Fleisch und Blut über.« Mein Vater ist Internist, Gefäß- und Herzspezialist, jetzt schon in Pension. Er hat mir schon als Kind vermittelt, was es bedeutet, Arzt zu sein. Er hat es mir vorgelebt. Als kleines Kind war mein Vater für mich groß und mächtig wie ein Gott, der anderen hilft, wenn sie in Not sind, wenn es ihnen nicht gut geht. An den Wochenenden hat mein Vater regelmäßig Hausbesuche gemacht. Meistens waren wir auf dem Weg irgendwohin und er hat den Weg so gewählt, dass er es gut mit Besuchen kombinieren konnte. Wir Kinder, mein älterer Bruder Richard und ich, waren meist dabei im Auto und ich bin dann oft mit hinein zu den Patienten gegangen. So habe ich erleben dürfen, wie es ist, wenn ein Arzt zu einem Patienten nach Hause kommt, inklusive dem abschließenden Schnäpschen für den Herrn Doktor, bevor dieser wieder geht. Und so durfte ich sehen und beobachten, wie mein Vater infiltrierte, Spritzen gab, weil es bei Hausbesuchen meist um akute starke Schmerzen ging, und die Methode meines Vaters war, mit einer sehr langen Nadel dorthin zu stechen, wo es wehtat und ein schmerzstillendes und entzündungshemmendes Mittel direkt am Ort des Schmerzes zu deponieren. Die Belohnung war dann ein strahlendes Gesicht desjenigen, der gerade vom Schmerz befreit worden war – und eben ein Schnäpschen. Mein Vater hat mir auch regelmäßig, während er die Spritze gab, erklärt, wie man am besten den idealen Punkt für den Einstich findet, wie man davor desinfiziert, wie tief man geht und so weiter. Er hat mir das wie einem Kollegen erklärt, der danebensteht, nicht wie einem Kind, wie ein solches hat er mich nie behandelt. Und ich war unglaublich stolz, bin wie ein Kollege als Volksschulkind neben ihm gestanden und habe sehr konzentriert und ernst getan. »Hast du das gerochen? Das ist Zucker!«, hat er zum Beispiel bei einem Patienten gesagt, wenn man deutlich dessen azidotischen Atem riechen konnte, und diesen Geruch habe ich mir gemerkt. »Siehst du, wie der geht? Der hat ein Problem mit der Hüfte!« Mein Vater hat mich gelehrt hinzusehen. »Diese dünnen Beine sind ganz typisch für einen Alkoholiker«, hat er zum Beispiel gesagt. »Ist dir das Zittern der Hand aufgefallen? Das Zittern war immer da, das ist harmlos. Wenn es nur da ist, wenn er sich anstrengt, dann ist es Parkinson!« Das waren Sätze, die mein Vater mehr vor sich hingeredet hat, aber ich habe zugehört. Einmal hat mein Vater einer Frau lange nachgesehen und ich dachte mir »Hm!«, und dann hat er gesagt: »Die hat Diabetes, die hat Zucker, die spürt ihre Sohlen nicht!« Mein Vater war auf Gangbilder spezialisiert. Er konnte danach genau unterscheiden, ob eher eine neurologische oder eine Gefäßstörung die Ursache des schlechten Ganges war. Das Arzt-Handwerk wurde mir also, wie man so schön sagt, schon in die Wiege gelegt. Mein Vater hat mir einen wunderschönen Beruf vorgelebt und so ist es wohl nicht verwunderlich, dass ich auch ein Arzt geworden bin. Irgendwann einmal hat mein Vater mir eine Kartoffel in die Hand gedrückt, mir eine Spritze mit einer langen Nadel darauf gegeben und mir gesagt, dass, wenn ich in diese Kartoffel steche, es ähnlich ist, wie wenn man einem Menschen eine Spritze gibt. Und wichtig wäre es, »immer zu aspirieren«, dass heißt, bevor man beim Spritzkolben draufdrückt, um die Flüssigkeit zu injizieren, zunächst den Kolben ein wenig zu sich zu ziehen, um zu sehen, ob Blut in die Spritze kommt, dann wäre die Nadel in einem Blutgefäß, wo sie nicht hingehört, und dann müsse man die Position der Nadel nochmals verändern, dann nochmals aspirieren, und wenn dann kein Blut käme, könne man die Flüssigkeit injizieren. Und fortan konnte ich immer üben und üben zu aspirieren, Spritzen zu geben. Eines Tages ist in der Ordination meines Vaters ein EKG-Gerät ausgefallen, die Mechanik des Schreibens hat noch funktioniert, aber mit der Impulsabnehmung war wohl etwas kaputtgegangen, das zu schwerwiegend war, als dass man es hätte reparieren können. Als mein Vater das am Mittagstisch mit meiner Mutter beredete, hab ich sofort gefragt, ob ich nicht das Gerät zum Spielen haben könnte. Mein Vater hielt das für eine gute Idee und so bekam ich in der Kindergartenzeit ein teilkaputtes EKG-Gerät zum Spielen, das ich dann immer, wenn ich gerade nicht damit spielte, unter mein Bett schob …

»Arzt sein ist ein reines Handwerk!«

Und ein zweiter Ausspruch meines Vaters, der als Universitätsassis­tent über Jahre mehr als 40 wissenschaftliche Studien publiziert hat, war: »Medizin ist keine Wissenschaft! Medizin ist Empirie und das heißt: Ausprobieren und schauen, was passiert. Wenn man das immer wieder gleich mit verschiedenen Menschen macht, kann man vergleichen und das dann empirische Wissenschaft nennen.« Ausprobieren und schauen, was passiert. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Legendär waren meine Pflanzenversuche in dieser Zeit. Wir hatten einen kleinen Garten bei unserem Haus, einen Garten mit Blumen, teilweise Gemüse, vielen Ribiselsträuchern und ein paar Obstbäumen. Ich wollte das Wachstum vor allem der Kleinpflanzen wie Blumen und Zierstauden dadurch beeinflussen, dass ich sie gewürzt habe. Ich habe mir also alle mir zugänglichen, vor allem getrockneten Küchenkräuter, aber auch Salz und Pfeffer und Zucker und Mehl aus der Küche besorgt und die Pflanzen damit »gefüttert«. Ich dachte mir, dass, wenn ich sie gut füttere und das Futter dann auch noch gut schmeckt, wie süß vom Zucker oder gut pikant, dass dann die Pflanze sicher große Freude hätte und es mir mit schönerem Wachstum danken würde. Leider ging mir die Antwort der Pflanzen dann doch zu langsam, sodass ich Ihnen jetzt keine Ergebnisse aus diesen Feldstudien präsentieren kann … Zumindest ist keine der Pflanzen eingegangen, zumindest nicht innerhalb meines Beobachtungszeitraumes … Ein wichtiger biographischer Punkt in meiner »Arztwerdung« war sicher auch folgendes Erlebnis: Ich war etwa zehn Jahre alt und brauchte eine Auffrischung einer Zeckenimpfung. Die sollte mir mein Vater geben. Er bestellte mich dazu in seine Ordination und ich wartete geduldig auf meine Spritze (dazu muss ich sagen, dass ich nie Angst vor Spritzen hatte, ich freute mich eher immer darauf, weil ich wieder etwas lernen und erleben konnte, dann eben an mir selbst …). Ich wartete und wartete ein bis zwei Stunden und mein Vater hatte noch immer keine Zeit für mich. Also fuhr ich einfach wieder nach Hause mit der Zeckenimpfung und entschied kurzerhand, sie mir selber zu geben, ich hatte ja oft genug am Modell (der Kartoffel …) geübt. Und da das so leicht und so gut ging, gab ich mir fortan die meisten Spritzen einfach selber. Die »Kraxe«, die Unterschrift meines Vaters, machte ich mir dann im Impfpass auf seinem Stempel auch gleich selber. Ich sagte meinen Eltern aber nie etwas davon, ich wollte sie ja nicht beunruhigen oder verärgern. Aber mein Vater hätte sich wahrscheinlich nur gefreut, weil er dadurch weniger zu tun hatte.

Überhaupt merkte ich, je älter ich wurde, wie sehr meinen Vater das Arztsein anstrengte. Er war oft müde und gereizt, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, und das »Schlimmste«, was wir als Kinder in diesen Momenten machen konnten, war, irgendein Wehwechen, ein ärztliches Problem zu haben, also von unserem Vater einzufordern, dass er jetzt bei uns zu Hause, in seiner Freizeit, auch wieder Arzt sein musste. So war der gängige Spruch meines Vaters: »Das ist eh nix« oder »Du hast ja eh nix« und vor allem: »Wenn du irgendetwas brauchst, nimm’s dir halt einfach!« Damit sprach mein Vater unseren Medizinschrank an. Wir hatten zu Hause zwei nebeneinandergeschobene Ladenkästen, je acht bis zehn Schubladen, voll gepackt mit Medikamenten. Diese waren grob orientierend alphabetisch geordnet. In diesen Schubladen fand sich alles, was so das Medizinerherz begehren könnte, alles, was man vom Notfallmedikament inklusive Ampullen über Blutdruckmittel über Schmerztabletten und -ampullen, über Beruhigungs-, Asthma-, Allergie- und, und, und -Medikamente, über Salben und Tinkturen, Verbände und Pflaster brauchen könnte. Alle Ärztemuster waren da drin (das sind Medikamente, die die Pharmafirmen den Ärzten kostenlos für ihre Patienten, aber auch für den Eigengebrauch geben, auch mit dem Hintergedanken, dass sich der Arzt dann den Namen des Medikaments einprägt, dass er es selbst verwendet oder eben regelmäßig seinen Patienten schenkt und es damit dann auch weiterhin verschreibt, auch wenn er es nicht mehr geschenkt bekommt; ähnlich wie im Supermarkt, in dem es immer wieder »Aktionen« von Lebensmitteln gibt, die man kurzfristig deutlich günstiger bekommt, an denen man Gefallen findet und die man dann weiterhin kauft, auch wenn sie wieder normal viel kosten …). Auch alle Medikamente, die bereits abgelaufen und daher nicht mehr für den Gebrauch in der Ordination geeignet waren, für zu Hause aber kein Problem darstellen, gab es dort, denn mein Vater sagte immer, dass die meisten Medikamente ohnehin nicht ablaufen, das Ablaufdatum wäre halt eine Vorschrift und auch praktisch für die Pharmaindustrie, aber »eine Tablette Aspirin kann man auch noch schlucken, wenn sie 30 Jahre alt ist und schon braun und zerbröselt …« Mein Vater motivierte uns also immer zur »Selbsttherapie«. Und ich liebte diesen Medizinschrank. Es waren ja immer die neuesten Medikamente darin, die gerade auf den Markt gekommen waren. Denn genau die gab es ja dann einmal als Ärztemuster, weil die Ärzte die neuen Namen der Medikamente noch nicht kannten und sie diese ja lernen sollten, damit sie ihnen so im Gedächtnis waren, dass, wenn ein Patient mit einer bestimmten Beschwerde kam, der Arzt sagen konnte: »Da gibt’s jetzt etwas ganz Neues, Großartiges, das Neueste (und damit Beste … ?) am Markt und das verschreib ich Ihnen einmal!« Somit hat der Patient dann das Gefühl, dass er bei einem ganz tollen Arzt ist, weil der immer das Neueste kennt und auch gleich verschreibt, und so sind alle glücklich: der Arzt, weil er etwas Neues bieten kann, der Patient, weil er das Beste bekommt, und die Pharmaindustrie, weil ihr neues Produkt gleich gekauft wird. Und weil alle glücklich sind, wird es nun einmal auch gut helfen (zumindest in 30 Prozent der Fälle, weil das der Prozentsatz des Plazeboeffektes ist …). Ich liebte den Schrank, weil ich stundenlang einfach Beipackzettel lesen konnte, und war immer fasziniert, was da alles im Körper passierte und passieren konnte nur durch eine einzige Substanz … Und dann kam die Zeit, mit zwölf Jahren, in der ich meine eigenen Symptome entwickelte. Ich bekam Asthma und verschiedenste Allergien und Migräne. Mein Vater sagte dazu nur: »Du hast ja kein echtes Asthma. Für mich ist ein echtes Asthma ein Herzasthma. Da kann man dran sterben. Ich habe selbst nie gesehen, dass jemand an einem Asthma stirbt. Also, du hast eh nix. Und wenn du was brauchst, nimm dir halt was …« … Herrlich! So begann meine Phase der medikamentösen Selbstversuche. Ich beobachtete fortan die Veränderungen des Inhalts unseres Medizinschrankes sehr gezielt, erspähte sofort jedes neu auf den Markt gekommene Antiasthmatikum, Antiallergikum, Antihistaminikum, und da meine Mutter meinen Patientenwerdegang wohlwollend beobachtete (sie wollte ja, dass es mir besser ginge), versorgte sie mich über die Ordination immer gezielt mit dem, von dem ich den Eindruck hatte, das könnte helfen. So probierte ich einmal die verschiedensten Antihistaminika durch, erkannte bald ihr Potential als Schlafmittel, da ich in der Schule teilweise derartig müde war, dass ich dem Unterricht nicht sinnvoll folgen konnte. Andere Antiallergika machten mir wiederum einen »wattigen« Kopf, sodass ich mich nicht konzentrieren konnte, wieder andere, und da war ich dann bei den Euphyllin-Präparaten gelandet, provozierten regelmäßig meine Migräne und ließen mich nicht schlafen, was wiederum für meine Tagesverfassung nicht hilfreich war. Und so zog sich das über Jahre und war für mich eher frustrierend, weil zwar die sogenannten Nebenwirkungen teilweise sehr effektiv waren und damit spannend und merkenswert, aber der Haupteffekt nie wirklich mein Asthma beeinflusste. Irgendwann stand der nächste Versuch an: die »Desensibilisierung« (deren Name dann nach ein paar Jahren in »Hypo«-Sensibilisierung geändert wurde, als man erkannte, dass man es nicht schaffte, die Empfindlichkeit auf Allergene wirklich »weg«-zubekommen – »de« steht für »weg« –, sondern hoffte, sie zumindest abzuschwächen –»hypo« meint hier »weniger«). Ein Studienkollege meines Vaters war Allergologe und dorthin »delegierte« mich mein Vater dann. Es wurde zuerst festgestellt, dass ich so ziemlich gegen alles, was herumfliegen kann, allergisch reagierte. Damals, ich war 16 Jahre alt, ging der RAST-Test (ein Allergietest) von 1–4 und ich zeigte bei mehreren Sachen 4 (nach einem Jahr wurde der Test auf 1–6 erweitert, dann hatte ich mehrere 6 …). Also alle Gräser, Pollen, Tierhaare, Schimmel, Hausstaubmilbe (Lebensmittel hat man damals nicht getestet). Auf alles, was man testen konnte, reagierte ich positiv (nicht auf Medikamente, Gott sei Dank in Bezug auf unseren Medizinschrank …). Man entschied dann, mir einmal pro Woche zwei Spritzen zu geben, zwei deshalb, weil man doch nicht alle Antigene in eine Spritze mischen wollte. Man hinterfragte aber nicht, ob die Allergien ursächlich mit meinem Asthma in Verbindung standen, weil ich doch meine Atembeschwerden das ganze Jahr und im Frühling nicht stärker hatte. Man nannte es dann eben »allergisches Asthma bronchiale mit intrinsischer Komponente«. So erhielt ich zunächst einmal pro Woche zwei Spritzen, jeweils links und rechts in das Unterhautfettgewebe meiner Oberarme injiziert. Der Effekt war, dass ich Fieber bekam, nicht schlimm, aber immer etwa 37,4° Celsius. Mit dem Fieber fühlte ich mich ähnlich wie mit manchen Medikamenten, die ich ein paar Jahre zuvor probiert hatte. Ich war wieder beeindruckt von der Wirkung, auch mein Asthma und meine Allergien zeigten eine deutliche Wirkung: Beides wurde schlimmer. Pflichtbewusst nahm ich die Spritzen hin, ab dem 17. Lebensjahr dann zweimal wöchentlich – es war die Idee des behandelnden Arztes, dass dann die Belastung für den Körper vielleicht nicht mehr so schlimm wäre und das Fieber verschwinden würde. Eine gute Idee, die aber keinen Effekt in Bezug auf das Fieber zeigte. Mit 18 begann ich dann endlich mein Medizinstudium und übernahm wieder das Ruder der Behandlung meines Asthmas, das in der Zwischenzeit so stark geworden war, dass ich mich kaum mehr zu bewegen getraute. In Erinnerung ist mir geblieben, dass ich bei einer Anatomie-Vorlesung im Hörsaal etwa zehn Stufen hinaufzugehen hatte, und ich, um diese zu bewältigen, viermal stehen bleiben musste, weil ich so atemlos war. Bei der Allergie-Spritzenbehandlung stand einmal wieder eine Kontrolle mit dem Kratztest an (dabei werden verschiedenste Allergene in einer Lösung auf die Haut aufgetragen und dann die Haut gekratzt, und dann beobachtet man, wie stark der Körper auf das Allergen mit einer Entzündung, also Rötung, Schwellung und Jucken, reagiert). Und um mir weitere Diskussionen und Behandlungen zu ersparen, schluckte ich eine Antihistamintablette vor dem Test und siehe da: Ich war geheilt! Es zeigten sich fast keine Hautrötungen mehr beim Kratztest … Vielleicht erschien ich damals bei irgendeiner Publikation als Paradepatient der möglichen Heilung durch Hyposensibilisierung (ich möchte mich hier bei meinen damaligen behandelnden Ärzten entschuldigen für mein Verhalten, da sie mich ja aus bestem Wissen und Gewissen behandelt hatten; es war einfach Selbstschutz …). Damit war mein Fieber nach drei Jahren endlich wieder weg und das Asthma wurde schön langsam wieder so wie vor der Behandlung. Da ich mich zu dieser Zeit nicht viel bewegen konnte und auch schon eine panische Angst vor Asthmaanfällen durch Bewegung entwickelt hatte, konzentrierte sich mein Bewegungsdrang auf meine Finger und mein Gehirn: Ich studierte neben dem Medizinstudium noch Klavier und Komposition, Psychologie gab ich nach zwei Jahren wieder auf. Ich wusste natürlich, dass Asthma und Allergien viel mit der Psyche zu tun haben, aber eigentlich war mir mein Asthma ja nicht unangenehm. Eigentlich führte ich ja durch mein Asthma genau das Leben, das ich wollte: Ich studierte alles, was ich wollte, und auf Grund meiner körperlichen Konstitution gab es keinerlei Ablenkung … Durch das Konzerte-Spielen, das Auf-der-Bühne-Sein, stärkte sich auch deutlich mein Selbstbewusstsein und verbesserten sich indirekt meine körperlichen Beschwerden. So hatte ich intuitiv richtig entschieden, auch Musiker zu werden. Mit der Zeit getraute ich mich sogar, ein paar Worte auf der Bühne zu reden, was Jahre davor undenkbar gewesen wäre, weil ich immer Angst haben musste, dass man merken hätte können, dass ich überhaupt keine Luft bekam und beim Reden herumschnappte.

Zwei Versuche startete ich noch, um mein Asthma zu verbessern: Einmal schickte mich meine Mutter zur Bioresonanz, da war ich etwa 20 Jahre alt. Die Bioresonanz war damals ganz neu und meine Mutter erhoffte sich Besserung für mich. Also fuhr ich zu Dr. Herbert Melchart nach Bad Tatzmannsdorf und durfte zum ersten Mal in meinem Leben einen anderen Arzt-Typus als meinen Vater kennenlernen: Er nahm sich viel Zeit für mich und hörte mir einfach einmal zu. Und dann sagte er, dass die Bioresonanz nichts bringe für mich und erklärte mir »das Psychische«. Wieder zu Hause erzählte ich meinem Vater »das Psychische«, was er als Unsinn abtat und negierte. Damit war das einmal vom Tisch. Etwa zwei Jahre später ging ich zu einer jungen Ärztin zur Akupunktur, insgesamt zu vier Behandlungen im Abstand einer Woche, es tat sich gar nichts und so vergaß ich diese Methode sehr schnell wieder. Mein Asthma trieb mich in meinem Leben aber weiter und weiter. Als ich mit dem Studium fertig war, wollte ich schließlich Lungenfacharzt werden, um endlich eine Heilung für mein Asthma zu finden. Als ich dann an der Lungenabteilung im Krankenhaus Lainz als Arzt im Praktikum (Turnusarzt) tätig war, fand ich in deren Repertoire nichts, was ich nicht ohnehin schon ausprobiert hatte, und so zog ich weiter und landete schließlich in einer Facharztausbildungsstelle auf der Neurologie. Aber der Arbeitsdruck und das Arbeitsklima waren für meinen Körper derartig belastend, dass ich zeitweise das Gefühl hatte, überhaupt nicht mehr atmen zu können. Ich nahm meine Asthmasprays, die eigentlich eine Wirkung von zwölf Stunden haben sollten, fast jede Stunde (die Akutsprays zeigten bei mir keine Wirkung mehr), nahm mehrmals täglich inhalatives Cortison, dazu schluckte ich noch Euphyllin und Antihistaminika, gab mir zeitweise selbst eine Euphyllin-Infusion, konnte trotzdem nicht mehr gut atmen und dann passierte es: Einer der Oberärzte, Prof. Dr. Alexander Meng, Neurologe und Akupunkteur, brachte mir die Akupunktur wieder in Erinnerung. Was konnte ich schon dabei verlieren, es noch einmal damit zu versuchen. Aber diesmal nadelte ich mich selbst. Ich kaufte mir ein Akupunktur-Lehrbuch (und das war das Buch »Therapiehandbuch Akupunktur« von Prof. Gertrude Kubiena. Es ist wohl kein Zufall, dass ich dann später bei ihr meine Akupunktur-Ausbildung gemacht habe … !, siehe Literatur-Hinweis 1) und nahm einfach zwei drei »wichtige Asthmapunkte«, stach mir die Punkte nach meinem Tastbefund, manipulierte die Nadeln oft zehn bis 20 Minuten (ich bohrte so richtig im Gewebe herum). Das machte ich einen Monat lang täglich und dann hatte ich keine Atembeschwerden mehr! Diese Atembeschwerden, wie ich sie damals gehabt habe, sind auch nie wieder zurückgekommen.

Und ich zog die Konsequenz: Ich kündigte meine Stelle an der Neurologie, machte meinen Turnus fertig, sodass ich Allgemeinmediziner wurde, und begann meine Ausbildung …

Die Wirklichkeit – Die Realität

Nur die Weisesten

und die Dümmsten

können sich nicht ändern.

Konfuzius

Medizin, egal, in welcher Kultur, egal, in welchem Land, bedeutet ausprobieren und schauen, was passiert. Die Erklärung, wie es wirkt, kommt danach. Wie man sich die Dinge erklärt, etwa wie ein Medikament oder eine Behandlung wirkt, hängt davon ab, wie man denkt. Wie man denkt, hängt davon ab, in welcher Sprache man denkt und in welcher Kultur man aufgewachsen ist, wie man das Denken gelernt hat. In dem Wort Realität steckt das lateinische Wort res, »die Sache, das Ding«. Eine Realität zu erfassen bedeutet, das Ding, jenen Teil, den ich angreifen kann, zu begreifen und zu verstehen. Verständlich, dass wir uns mit dem Begreifen leichter tun, wenn wir etwas tatsächlich angreifen können. Schwieriger wird es, wenn uns ein Teil der Sache nicht zugänglich, zum Beispiel im menschlichen Körper verborgen ist. Wir schaffen uns dann ein Bild von der Sache und dieses Bild ist davon abhängig, welche Bilder der Betrachter schon im Kopf hat. Das wiederum hängt davon ab, in welcher Kultur er aufgewachsen ist und in welcher Sprache er denkt.

Worauf ich hinauswill: Die chinesische und die westliche Medizin stehen von ihrer Denkweise her in keinem Widerspruch, sie versuchen sich nur ein und demselben Ding (res) von verschiedenen Seiten, von verschiedenen Denkweisen zu nähern. Das gemeinsame Ziel ist die erfolgreiche Behandlung einer Erkrankung, einer Störung. Zuerst kommt also die Erkrankung, dann kommen verschiedenste Versuche, diese zu behandeln, und wenn ein Versuch gelingt, dann wendet man diese erfolgreiche Behandlung bei anderen an. Wenn das dann auch gelingt, hat man eine erfolgreiche Therapie für eine Erkrankung. Und dann kommt oft erst die Erklärung. Das ist der traditionelle Weg in der Medizin, egal, in welcher Kultur. Stellen Sie sich den Körper als eine Black Box vor, eine schwarze Schachtel, und aus dieser Box kommen Hände und Füße heraus und eine Zunge. Diese Box redet mit mir, erzählt mir, was ihr fehlt. Ich sehe mir die Box an und die Hände und die Füße, die Pulse und die Zunge. Dann benütze ich mein Gehirn und darin sind verschiedenstes Wissen und verschiedenste Erfahrung gespeichert und ich schreibe der Black Box eine Therapie mit Ernährung und chinesischen Kräutern auf. Die Black Box kommt nach einem Monat wieder, erzählt mir etwas und ich sehe mir wieder Hände und Füße an, die Pulse und die Zunge und reagiere auf das Gesehene und Gehörte mit einer neuerlichen Empfehlung für Ernährung und chinesische Kräuter. Das ist die Situation in meiner chinesischen Arztpraxis! Meistens bekomme ich noch viele zusätzliche Informationen aus der Black Box, da sie noch viele andere Informationen über ihren Inhalt mitbringt: Blutbefunde, Röntgenbefunde, Ultraschallbefunde, Harnbefunde, Listen über den Beschwerdeverlauf der letzten Jahre, Lis­ten über ganz andere Beschwerden, Berichte von Ärzten und Spitälern, die beschreiben, wie sie den Inhalt der Black Box sehen, und, und, und. Trotzdem nehme ich wieder die Pulse von den Händen, schaue mir vielleicht noch die Haut von Händen und Füßen an und die Zunge und denke mir dann zum Beispiel: Ah, Gott sei Dank, ich kenne mich wieder aus … ! Die Chinesen sagen: »So viel Diagnostik, wie ich für meine Therapie brauche!« Wenn ich der Black Box zum Beispiel sage: »Bitte verzeihen Sie, aber ich möchte all Ihre sonstigen Befunde jetzt nicht anschauen, das würde mich nur verwirren … «, sind die meisten enttäuscht, da sie es mir ja so einfach wie möglich machen wollen und auch stolz darauf sind, dass sie schon bei so vielen Ärzten waren und ebenso viele Ergebnisse haben … Oft genügt es zu wissen, dass alles andere angeschaut wurde und ohnehin so weit in Ordnung ist. Wenn Sie zwei und zwei zusammenzählen wollen, überlegen Sie ja auch nicht jedes Mal, ob es sich um zwei Äpfel oder zwei Birnen handelt und wie das Wetter war, als die Äpfel oder Birnen geerntet wurden … Sie zählen einfach zusammen und kommen zu dem Ergebnis vier. Das, was zählt, ist das Ergebnis, nämlich vier. In der westlichen Medizin geht man an diese »Black Box« ganz anders heran. Die Black Box kommt also zu einem westlichen Mediziner, einem Schulmediziner, dieser hört sich die Beschwerden an und versucht dann, so viele Informationen wie nur irgend möglich über den Inhalt der Black Box zu erlangen, auch wenn die Informationen gar nicht im Zusammenhang mit dem Gesagten stehen. Er nimmt also Blut aus den Armen und schaut mit Geräten in die Black Box hinein, macht ein Röntgen oder eine Magnetresonanz oder einen Ultraschall. Dann bekommt der westliche Mediziner eine Vorstellung von der Störung, er schreibt eine Therapie, zum Beispiel chemische Medikamente, auf und nach einem Monat kommt die Black Box wieder, erzählt von den Beschwerden, bekommt wieder Blut abgenommen und schöne Bilder von seinem Inneren und eine angepasste Therapie.

Die Vorgehensweise ist also chinesisch und westlich sehr ähnlich. Der große Unterschied: Die Chinesische Medizin versucht, mit so wenig wie möglich Diagnostik auszukommen (traditionell gewachsen, da man früher einfach nicht besser in die Black Box schauen konnte), die westliche Medizin versucht, so viel wie nur irgendwie möglich Informationen über den Inhalt der Black Box zu erlangen, um dann zu entscheiden, was man als Diagnostik für diese Störung braucht.

Stellen Sie sich ein Haus vor. Dieses Haus steht am Rande eines Waldes und es wird vermutet, dass sich in dem Haus ein Verbrecher, ein böser Geist, versteckt hält. Und der westliche Geheimdienst und der traditionelle chinesische Geheimdienst wollen diesen bösen Geist verhaften. Zunächst einmal wollen sie das Haus für einige Zeit beobachten, da sie sich nicht sicher sind, ob der böse Geist wirklich in dem Haus ist und ob er wirklich böse ist. Und der westliche Geheimdienst geht gleich zur Sache: Er installiert Mikrofone an der Hausaußenwand, um genau hören zu können, was drinnen gesprochen wird, er installiert Wärmebildkameras, um genau jede einzelne Bewegung im Haus verfolgen zu können, er schaut in die Fenster hinein, mit Nachtsichtgeräten, um auch bei Dunkelheit genug zu sehen, er entnimmt Proben aus dem Hausmüll, der vor dem Haus steht, und analysiert diesen ganz genau auf seine Inhaltsstoffe, um dadurch Rückschlüsse zu erhalten, wer und wie viele in diesem Haus wohnen, er analysiert den Rauch aus dem Rauchfang und zählt die Moleküle seiner Inhaltsstoffe, um Informationen über die Zahl der verbrannten Holzscheite und daraus Rückschlüsse zu erhalten, wie lange der Holzvorrat neben dem Haus noch ausreichen wird und wann die Bewohner, unter ihnen vielleicht der böse Geist, gezwungen sein werden, neues Holz zu beschaffen, und, und, und.

Und der traditionelle chinesische Geheimdienst sitzt von dem Haus ein Stückchen weiter entfernt und schaut sich zunächst einmal die Umgebung des Hauses an, wie und wieso das Haus gerade hier steht und wieso der böse Geist sich gerade dieses Haus ausgesucht hat, er schaut sich Wind und Wetter an, um die Bauweise des Hauses zu verstehen. Dann schaut er sich die Fassade des Hauses an, um zu erfahren, wie alt das Haus ist, wie gut es an seine Umgebung angepasst ist, wie sicher es ist und ob es wahrscheinlich ist, dass ein böser Geist sich ausgerechnet in dieses Haus setzt, und er schaut sich auch den Hausmüll aus der Ferne an, vor allem die Menge und die Uhrzeit, wann er vors Haus gestellt wird, schaut sich auch den Rauch aus dem Rauchfang an und testet, wie feucht es riecht, und schließt daraus zum Beispiel auf das Alter des Holzes, das verbrannt wird, um herauszufinden, wie lange die Bewohner des Hauses schon in der Gegend leben und wann, in welcher Jahreszeit, sie das Holz eingelagert haben, und, und, und. Beide Geheimdienste wollen das Gleiche: den Verbrecher, den bösen Geist fassen und einsperren. Ihr Ziel ist das gleiche, nur ihre Methoden, das Ziel zu erreichen, sind verschieden. Sie haben unterschiedliche Sichtweisen von ein und derselben Sache, verschiedene Realitäten. Ein und dasselbe Ding hat sehr viele verschiedene Namen, je nachdem, welche Sprache man verwendet. Und so ist es auch mit der Vorstellung, was ein Ding, ein res, überhaupt ist. Schrecken Sie sich daher nicht, wenn ich in diesem Buch anders rede und denke, anders, als Sie es aus unserer westlichen europäischen Realität gewohnt sind. Ich zeige Ihnen die traditionelle chinesische Realität aus der sehr persönlichen Sicht eines westlichen Allgemeinmediziners in unserer heutigen Zeit und Gesellschaft … !

Das Tao  Teil 1

Höre auf,

daran zu denken

und darüber

zu sprechen, und

es gibt nichts, was du

nicht wissen kannst.

ZEN-Weisheit

Bevor Leben entsteht, gibt es Qi. Qi ist alles, das große Eins, die große Einheit. Nichts ist unterscheidbar, nichts getrennt, alles ist Qi. Im alten China spricht man von TAO. TAO ist der Ursprung der Welt. TAO ist der Zustand, in dem alles miteinander so verbunden ist, dass es keine Einzelheit gibt. Es gibt noch keine Zeit, keine einzelne Existenz. Gott ist darin ebenso enthalten wie das gesamte Universum, wie alles Materielle und Immaterielle. »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort … «, so steht es in der Bibel (Johannes 1, 1) und es ist vergleichbar mit dem TAO. Wir versuchen etwas in Worte zu fassen, wofür es kein Wort gibt, versuchen zu verstehen, im Leben stehend, was vor dem Leben war und was danach ist. Die »Urmasse«, der wir ein Wort geben, ist das Qi, in dem alles enthalten ist, Energie, Materie, Zeit. Die alte chinesische Vorstellung ist, dass, sobald Leben entsteht, dieses Qi in Yin und Yang getrennt, gespalten wird. Leben bedeutet Polarität, bedeutet, dass die Einheit verloren geht zugunsten einer Zweiheit. Diese Zweiheit bestimmt jedes Leben, jeden Aspekt des Lebens und aus der Betrachtung eines Lebenden jeden Aspekt des Universums. Durch den Tod geht Yin mit Yang wieder zusammen, darf sich vereinigen zum ursprünglichen Qi, darf zurück in die Quelle allen Seins, zurück ins TAO. Solange wir leben, ist Qi das, was uns ausmacht, was in uns fließt, das, was uns leben lässt, solange es fließt. »Fließen« bedeutet, dass sich Energie und Materie in der Zeit bewegen. Leben ist Bewegung in der Zeit. Solange wir leben, bestehen wir aus Qi. Wir stehen zwischen Himmel und Erde, wir empfangen Qi vom Himmel (das Kosmische Qi aus der Atmung) und von der Erde (Gu-Qi aus der Nahrung).

Das chinesische Symbol für Qi besteht aus zwei Teilen: Ein Teil bedeutet »Luft, Dampf« (der immaterielle Teil von Qi), der andere Teil bedeutet »Reis« (der materielle Teil von Qi). Damit beschreibt die Vorstellung von Qi das, was wir aus der Quantenphysik in der Betrachtung von Licht kennen: Je nach Betrachter und betrachtender Situation erscheint uns Licht einmal als ein Teilchen, also materiell, und einmal als Strahlung, also energetisch und immateriell. Licht ist für uns im Westen der Urstoff der Energie und auch dieser hat einen Körper, beinhaltet Materie.

Hier in unserer Welt, auf unserer Erde, unterliegt Qi den Gesetzen von Yin und Yang, wobei es das eine nicht ohne das andere gibt.

Yin steht für Materie und alles, was wir daraus ableiten: Dunkelheit und Schatten, Nacht, Kälte, Passivität, Stillstand und Ruhe, Herbst und Winter, Wasser und Struktur, Mond und das Weibliche.

Yang steht für Energie und alles, was wir daraus ableiten: Helligkeit und Licht, Tag, Wärme, Aktivität und Aktion, Bewegung, Frühling und Sommer, Feuer und Funktion, Sonne und das Männliche.

Vielleicht hilft die Vorstellung, dass Yin und Yang zwei Extrempole sind, zwischen denen sich das Leben abspielt, so wie die Farben im Lichtspektrum zwischen den Extrempolen Schwarz und Weiß existieren. Schwarz ist das Fehlen von Licht, Weiß beinhaltet alle Farben. Das Leben ist nicht schwarz und weiß, das Leben ist bunt und so ist es mit Yin und Yang. Reines Yin und reines Yang gibt es nicht, das Leben ist irgendwo dazwischen, aber eben einmal näher dem Weiß, dem Yang, und einmal näher dem Schwarz, dem Yin. Vor dem Leben waren das Licht und das Fehlen von Licht EINS, auch wenn sich das unserer Vorstellungskraft entzieht.

Wir kommen aus dem TAO und wir kehren ins TAO zurück, das ist der Lauf der Dinge. Aus diesem TAO sind alle Lebewesen unserer Erde gemacht worden. Solange sie leben, sind sie getrennte einzelne Individuen, sobald sie sterben, sind sie wieder mit allem vereint, kehren heim in die »Schöpfung«, ins TAO.

 

Am Anfang, und das ist der Zeitpunkt, seitdem es Zeit gibt, ist aus irgendeinem Grund die Ursubstanz in Materie und Energie gespalten worden, wie wir es aus der Urknalltheorie kennen, und Sterne und Planeten sind entstanden. Und unser Universum ist wie die Entwicklung eines menschlichen Wesens: vom Kind zum Erwachsenen und dann zum Greis. Es war zunächst viel YANG da, viel Licht, viel Hitze und Energie, Sonnen, die glühten. Und einzelne Sonnen wurden kühler, wurden mehr YIN, wurden mehr Substanz, so wie ein lebender Organismus mit der Zeit mehr YIN wird, mehr Substanz. So entstanden einzelne Planeten, wie auch unsere Erde, die als Erinnerung der Entstehung noch immer einen glühenden Kern enthält. Auf der Materie, der Erde, entwickelte sich dann als Abspaltung der Materie eine andere Materie, das Wasser, das chemisch gesehen die Verbindung zweier Gase, zweier YANGs, nämlich des Wasserstoffs und des Sauerstoffs, ist. Es ist bei der Temperatur der Erde, welche von dem inneren heißen Kern, aber vor allem von der Sonne bestimmt wird, die ihr Licht (und wir wissen, dass das selbst wieder eine Kombination von Energie und Subs­tanz ist) auf die Erde schickt, einmal flüssig, dann wieder gasförmig als Dampf und Sauerstoff, dann wieder fest als Eis. Die flüssige Form des Wassers war der ideale Nährboden, um Leben entstehen zu lassen. Leben bedeutet, dass ein Wesen die Fähigkeit erhält, Qi in YIN und YANG zu spalten, die vorhandene Materie und Energie zu nutzen, um selbst Materie und Energie bilden zu können. Der entscheidende kritische Schritt war es, die ZELLE zu erschaffen, jene eine Zelle, von der alles Leben auf dieser Erde, auf unserem Planeten, jede Pflanze und jedes Tier hervorgegangen sind …

Noch ein bisschen über den Shen

Ein Wort, das von Herzen kommt,

macht dich drei Winter warm.

Aus China

Alle Dinge haben Shen oder können Shen haben. Wir sehen es aber oft nicht oder können es nicht sehen. Wir brauchen oft einen Übersetzer oder einen Shen-Empfänger. Tiere können solche Übersetzer sein. Zum Beispiel gibt es Orte auf der Erde oder im Garten oder in der Wohnung, die besonders sind, die strahlen, wie ein Lächeln strahlt. Wir können das Strahlen nicht sehen, aber manche Tiere können es. Zum Beispiel liegt dann immer die Katze an diesem besonderen Ort, oder der Hund. Der Instinkt des Hundes sagt ihm, dass das ein guter Platz ist, weil er vielleicht gerade die richtige Temperatur hat, weil es dort nicht zieht, weil dort gewisse Ungeziefer nicht vorkommen (und das hat ja auch wieder viele Gründe …), weil dort keine Wasserader ist, weil es dort eine besondere Erdstrahlung gibt, und, und, und. Sie können es nennen, wie Sie wollen. Sie können es sich mit jeder möglichen Wirklichkeit erklären. Zum Beispiel können Sie auch einfach das Lächeln, die Ausstrahlung, den Shen eines Ortes erfahren und ihn dann auch anlächeln. »Gleich und gleich gesellt sich gern!« Wenn sich Shens treffen, dann plaudern sie auch gleich miteinander, erzählen sich, wo es noch andere »ihrer Art« gibt, wo also noch mehr Shen ist. Auch Menschen können Shen-Empfänger, Shen-Übersetzer sein. Zum Beispiel kann in dem Buch, das Sie gerade lesen ( …), Shen enthalten sein, weil der, der das Buch geschrieben hat ( …), in dem Moment, da er es geschrieben hat, Shen gehabt hat, und der Shen hat sich auf seine Worte, sein Schreiben, übertragen. Meine Frau Gabriele ist zum Beispiel ein wunderbarer Shen-Übersetzer für Bücher. Ich lese oft ein bisschen in ein Buch hinein oder von vorne nach hinten durch und dann vergesse ich das Buch wieder. Dann kommt meine Frau und erzählt mir mit Shen, mit Begeisterung, was sie gerade in einem Buch gelesen hat, und innerhalb einer Viertelstunde weiß ich, was in dem Buch steht, und habe es auch verstanden und bin selbst ganz Feuer und Flamme für das Buch. Oft komme ich dann darauf, dass ich das Buch selbst auch gelesen habe, und frage dann meine Frau: »Haben wir beide das selbe Buch gelesen? Ich wusste gar nicht, dass das alles da drinsteht!« Und so liest meine Frau viele Bücher und erzählt mir dann in einer Viertelstunde, was da alles Großartiges enthalten ist, und ich weiß dann, was da alles drinnensteht, besser, als wenn ich es selbst gelesen hätte. Wenn ich es dann doch selber lese, spüre ich die Begeisterung meiner Frau in den Worten des Geschriebenen und erkenne den Shen. Meine Frau ist mein unverzichtbarer Shen-Übersetzer für viele Dinge …

Unsere Instinkte

Du bist auf diese Welt gekommen,

die nichts ohne Worte versteht, fast ohne Worte.

Aus Spanien

Wenn unsere Instinkte funktionieren und wir sie wahrnehmen, dann halten wir unseren Körper »in der Mitte«. Wenn jemand zum Beispiel sehr leicht schwitzt und einen scharfen Schweißgeruch hat, wenn man also riechen kann, dass er schwitzt, ist das ein typisches Zeichen von viel Hitze im Körper. Wenn dieser Jemand einen guten Instinkt hat, wird er daher Hitze nicht mögen und alles, was ihm Hitze macht, vermeiden. Er wird sich also intuitiv nicht den ganzen Tag in die Sonne legen und intuitiv die Lebensmittel essen, die ihn kühlen, wie Salate und rohe Sachen, und gleichzeitig Lebensmittel vermeiden, die sehr viel Hitze produzieren, wie zum Beispiel Fleisch. Wenn er seinen Instinkt richtig wahrnimmt und sich so verhält, wird die Hitze in seinem Körper verschwinden und der Schweißgeruch wird aufhören. Wenn jemandem ständig kalt ist und er ein gutes Gefühl für seine Instinkte hat, wird er sich sehr gerne in die Sonne legen und aufwärmen und die Lebensmittel essen, die ihn von innen her wärmen, wie zum Beispiel gekochte Sachen und auch Fleisch, weil es ihn ja wärmt. Wenn jemand viel Feuchtigkeit im Körper hat, wird er intuitiv alles vermeiden, was diese Feuchtigkeit mehrt. Er wird also trockene, warme Räume bevorzugen, um seine innere Feuchtigkeit zu trocknen, das Denken wird ihn vielleicht sehr anstrengen und er wird durch die Feuchtigkeit vielleicht sehr müde sein, sodass er sich, wenn er seine Instinkte wahrnimmt und befolgt, einmal ein paar Tage ins Bett legt und ausruht und nicht denkt und auch nicht oder ganz wenig isst, sodass die in aller Ruhe diese Feuchtigkeit wieder abbauen und sich regenerieren kann (das ist die Beschreibung einer typischen »Depression« bei uns). Wenn dieser Jemand jedoch seinen Instikt ignoriert oder einfach nicht mehr erkennen kann, wird er sich weiter viel Feuchtigkeit zuführen, wie zum Beispiel dadurch, dass er viel Junkfood isst, und er wird zu einem Feuchtigkeitstier werden, wie eine Schnecke, die Feuchtigkeit liebt. Und schauen Sie sich eine Schnecke an: Diese ist »Feuchtigkeit pur« – extrem langsam und schleimig …

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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