Raus aus der Depression durch die Heilung der Mitte - Georg Weidinger - E-Book

Raus aus der Depression durch die Heilung der Mitte E-Book

Georg Weidinger

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Beschreibung

Bestsellerautor und TCM-Arzt Georg Weidinger führt uns in seinem neuen Buch raus aus der Depression und hinein ins Zentrum der Traditionellen Chinesischen Medizin: in die Mitte. Wieder »übersetzt« er uns jahrhundertealte medizinische Erkenntnisse ins Hier und Jetzt, diesmal die kaum zu überschätzende Bedeutung von Milz und Magen, die im Kampf gegen Müdigkeit und Erschöpfung die entscheidende Rolle spielen. Wie können Sie aus Depression, Antriebslosigkeit und Grübeln herausfinden? Georg Weidinger hilft Ihnen, den eigenen Notfallkoffer zu packen. Praxisnah und mit humorvollen Illustrationen verrät der Experte, wie Sie Akupunktur zu Hause anwenden können und mit Qi-Gong Ihre Mitte in Bewegung bringen. Die besten Rezepte zur Selbstheilung und Entgiftung helfen, das Selbstwertgefühl zu stärken, aus dem Gedankenkarussell auszusteigen und in ein freudvolles Leben zurückzufinden.

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Dr. med. Georg Weidinger

RAUSaus der DEPRESSION

durch die Heilung der Mitte

Inhalt

Wo wir jetzt stehen

WENN ALLES NACH UNTEN ZIEHT

DIE WESTLICHE SICHT

TCM-GRUNDLAGEN ZUM VERSTÄNDNIS VON DEPRESSION

Die Mitte in der Mitte der fünf Elemente

Die Lebensführung

Psychische Erkrankungen und das Qi

WIE ALLES ZUSAMMENHÄNGT

Die „Schule der Mitte“ entsteht

Pi Wei Lun – die zentrale Bedeutung von Milz und Magen

Wie funktioniert unser Verdauungsapparat?

Die Bedeutung der Atmung für die Verdauung

Die Bedeutung der Mitte

DIE MITTE, DER SCHLEIM UND DAS LANGE LEBEN

Magen und Milz

Die Bedeutung von Bauchspeicheldrüse und Leber aus westlicher Sicht

Der Darm als Teil der Mitte

Hitze und feuchte Hitze

DEPRESSION CHINESISCH – TEIL I

Alles fließt

Zehn Punkte, um „lieb zu sein zur Mitte“

DEPRESSION CHINESISCH – TEIL II

Depression als Qi-Mangel oder Qi-Stagnation

Depression und Emotionen

Die Kraft der Gefühle

THERAPIEFORMEN AUS WEST UND OST

WESTLICHE THERAPIEN, MEDIKAMENTE UND KRÄUTER BEI DEPRESSION

Medikamentöse Therapie

Psychotherapie

Westliche Kräuter bei Depression

Westliche Kräuter zur Stärkung der Mitte

GRUNDSÄTZLICHE BEHANDLUNG MIT CHINESISCHER MEDIZIN

Chinesische Kräuter bei Depression

Akupunktur

WEITERE THERAPIEFORMEN AUS DEM OSTEN

Unsere Mitte und der Atem

Das Yogasūtra und warum wir nicht glücklich sind

Die Meditation

Zen und die Achtsamkeit

Zum Schluss

Index

WO WIR JETZT STEHEN

Man geht heute davon aus, dass etwa ein Drittel unserer Bevölkerung unter einer psychischen Erkrankung leidet. An vorderster Stelle steht hier die Depression mit Niedergeschlagenheit und Erschöpfung, dicht gefolgt von Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie und der bipolaren Störung. Bei letzterer vollführt die Psyche eine Achterbahnfahrt. Weitere Erkrankungen sind Psychosen mit zeitweiligem Realitätsverlust, Schizophrenie und das damit verbundene Leben in einer eigenen Welt, Zwangsstörungen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Belastungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen und schließlich noch das große Feld der psychosomatischen Erkrankungen. Bei diesen wissen die Betroffenen meist gar nicht, dass eigentlich die Psyche krank ist und nicht der Körper. Folgeerkrankungen dieser psychischen Störungen sind die Schwächung des Immunsystems durch all den Stress, den der Körper erlebt, wenn er unter fehlgesteuerten Emotionen leidet sowie schwere Infektionskrankheiten, Autoimmun- und Krebserkrankungen, Herzinfarkte und Schlaganfälle. So wird bald klar, dass es (fast) keine körperliche Erkrankung gibt, die entsteht, ohne dass zuvor die Psyche krank war. Der dramatisch ansteigende Verbrauch von Psychopharmaka, also von Medikamenten, die psychische Störungen behandeln, ist wohl ein Indikator dafür, die Situation irgendwie in den Griff bekommen zu wollen.

Immer lauter werden die Rufe nach einer „neuen, ganzheitlichen Medizin“, einer Medizin, die Körper und Psyche nicht trennt, sondern die die Seele in den Heilungsprozess miteinbezieht, am besten ausgeführt von Ärztinnen und Ärzten, die genau das auch selbst leben und verkörpern. Davon sind wir hier im Westen wohl noch weit entfernt. Seit über 100 Jahren bauen wir an unserem Elfenbeinturm der modernen Wissenschaft, der mittlerweile so hoch ist, dass wir zwar unendlich weit sehen, aber das Naheliegende nicht mehr erkennen.

Wir hier im Westen sind es, die den Kunstgriff vollführt haben, Seele, Geist und Körper zu trennen. Es ist scheinbar wie bei einem Motor: Oft ist es notwendig, ihn zu zerlegen, um einzelne Teile reparieren zu können. Doch fasziniert von dem, was man da an großartiger Technik findet, darf man nicht vergessen, alles wieder zusammenzubauen. Hier stehen wir mit unserer westlichen Medizin. Was bringt es, wenn der Körper wieder repariert ist, man aber einfach nicht mehr leben möchte?

Fasziniert von all dem, was man in unserem Körper findet, fasziniert von den Zellen, den chemischen Prozessen, dem genetischen Code, den hormonellen Zusammenhängen und physiologischen Funktionsweisen, haben wir vergessen, den Motor „Mensch“ wieder zusammenzubauen. Wir haben vergessen, dass der Körper ja nur ein Teil des Menschen ist, jener nämlich, der ihm als Fahrzeug in dieser Welt dient. Aber wenn man kein Ziel im Leben hat, nirgendwo hinfahren möchte, nicht weiß, wie man das Fahrzeug richtigerweise bedient, mit Bremse, Gaspedal, Kupplung und Zündschlüssel, was man tanken sollte und was nicht, wenn man keine Ahnung hat von den Verkehrsregeln und den Geschwindigkeitsbegrenzungen, dann wird einem das großartigste Fahrzeug nichts bringen und man wird überhaupt nicht verstehen, warum das Fahrzeug nicht fährt.

Wir müssen von unserem Elfenbeinturm wieder herunterkommen und den Blick auf unsere ganze Welt richten. Man sieht dann sehr bald, dass es keine „neue“ ganzheitliche Medizin braucht, weil es eine altbewährte ganzheitliche Medizin gibt, zum Beispiel die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), und dass es auch keine neue Philosophie der „Einheit des Menschen“ braucht, weil es zum Beispiel die indische Yogatradition gibt. Es braucht dann nur noch einen offenen Geist und viel Zeit und Mühe, sich mit diesen über Jahrtausende bewährten Gesundheitssystemen zu beschäftigen. Es braucht auch „Übersetzer“, offene Geister, welche einen großen Teil ihrer Lebenszeit dem Verständnis alter Texte und alter Symbolik widmen und es schaffen, dieses Wissen uns modernen westlichen Menschen nahezubringen. Dann bekommen wir tatsächlich eine neue, weil wiederentdeckte, ganzheitliche Medizin. Dann schaffen wir es auch zu verstehen, warum die psychischen Erkrankungen bei uns so rapide zunehmen.

Dieses Buch will Ihnen helfen, Ihre Mitte wiederzufinden. Dabei ist es egal, wo Sie diese verloren haben. Es ist auch egal, ob Sie körperlich, psychisch oder seelisch darunter leiden. Dabei werde ich Sie bitten, den Spagat zu üben, den Spagat, ein modernes, westliches Leben zu leben und sich gleichzeitig nach der altertümlichen Philosophie des alten China und des alten Indien zu orientieren.

Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Mitte selbst, welche sich in der Chinesischen Medizin in der Mitte unseres Körpers befindet. Ohne gesunde Mitte geht gar nichts im Körper.

Ohne gesunde Mitte haben wir keine Energie, kein Qi, können nicht verdauen, sind erschöpft, niedergeschlagen, müde und kraftlos. Ohne gesunde Mitte funktioniert die Atmung nicht richtig, das Immunsystem schwächelt und die Psyche kann alle Pathologien spielen, wie ich sie am Anfang dieses Vorworts geschildert habe.

Wenn Sie die beiden bisherigen Bücher unserer TCM-Reihe, „Frei von Angst“ und „Frei von Stress“, bereits kennen oder andere meiner Bücher gelesen haben, wissen Sie ja schon, was wir in der TCM mit „Mitte“ meinen und wie man ganz lieb ist zu ihr. Ich hoffe, dass ich Ihnen auch in diesem Fall viele neue Aspekte zeigen kann, welche Sie in Ihrem Leben weiterbringen. Falls Sie diese Bücher noch nicht kennen, genießen Sie die vielen „Aha-Erlebnisse“ dieses Buches doppelt.

Und noch eines vorweg: Bitte probieren Sie Lebensstiländerungen, die ich Ihnen vorschlage, einmal konsequent für etwa einen Monat aus! Falls es Ihnen dann deutlich besser geht, werden Sie gerne so weitermachen, falls nicht, probieren Sie die nächsten Vorschläge aus, wie Kräuter, westliche oder chinesische, Übungen, Meditationen oder auch Medikamente. In den Klappen des Buchumschlags finden Sie einen Fragebogen und einen Notfallkoffer, die Sie beide dabei unterstützen können, herauszufinden, was hilft und guttut. Das oberste Ziel, dass es Ihnen wieder gut geht und Sie Freude am Leben haben, dürfen Sie niemals aus den Augen verlieren! Und falls für Sie in diesem Buch gar nichts dabei ist, das Sie weiterbringt, dann suchen Sie trotzdem weiter, wenden Sie sich an Ärztinnen und Ärzte der westlichen oder Chinesischen Medizin. Holen Sie sich unbedingt Hilfe und reden Sie mit anderen Menschen über Ihre Probleme! Viele Dinge werden nicht einfach von selbst wieder gut, aber oft braucht es gar nicht viel, um schon eine Verbesserung zu erzielen. Und dafür braucht es Ihre Suche, Ihren Glauben, dass es wieder besser wird, und Ihr Vertrauen, dass Sie die Lösung finden!

Na dann, fangen wir an …

WENN ALLES nach untenZIEHT

DIE WESTLICHE SICHT

Das Wort „Depression“ leitet sich von dem lateinischen Wort „deprimere“ ab, was „niederdrücken“ bedeutet. In der Depression fühlen wir uns niedergedrückt. Alles zieht nach unten, unser Körper, unsere Gedanken, unsere Gefühle. Das vordergründige Symptom der Depression ist die Niedergeschlagenheit. Anfangs ist einem oft zum Weinen, man macht sich viele Sorgen oder bleibt beim Grübeln an den eigenen Gedanken hängen. Doch mit der Zeit wird es durch eine innere Gefühlsarmut und Leere ersetzt. Dazu kommt meist eine tiefe seelische sowie körperliche Erschöpfung, die durch den normalen Schlaf nicht auszugleichen ist. Typischerweise ist diese Erschöpfung in der Früh am schlimmsten. Depressiven Menschen fehlt der Antrieb, irgendetwas zu machen oder zu verändern. Schon kleinste Tätigkeiten, wie Zähneputzen, den Körper waschen, den Geschirrspüler einräumen oder sich selbst eine einfache Mahlzeit zubereiten, werden zur unüberwindbaren Hürde. Und nichts macht mehr Freude. Nichts reißt den Betroffenen aus seiner Stimmung heraus, was es Angehörigen oder Freunden oft schwer macht, zu helfen. Zusätzlich treten Konzentrationsstörungen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und verschiedenste körperliche Symptome wie Verdauungsstörungen, vermehrte Infektanfälligkeit, Schmerzen am ganzen Körper, Druckgefühl in der Brust, Gewichtszunahme oder -abnahme oder Verlust der Libido auf. Die meisten depressiven Menschen leiden unter einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit, dem Fehlen von Perspektiven, um aus dem Zustand wieder herauszukommen, dem Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit sowie dem Fehlen von Zielen und Perspektiven für die Zukunft.

Die Ursachen der Depression sind vielfältig. So kann die Depression als Reaktion auf schlimme Ereignisse oder Todesfälle in der Familie oder im Freundeskreis auftreten. Man spricht dann von reaktiver Depression, die zumeist nach einer gewissen Zeit, einer Trauerphase, wieder verschwindet. Als organische Depression bezeichnet man jene Form, bei der hinter der Depression ein körperliches Leiden steckt, zum Beispiel eine Schilddrüsenerkrankung, ein Schlaganfall, eine Nebennierenerkrankung mit einer Hormonstörung oder eine Autoimmunerkrankung wie die Multiple Sklerose. Dann können Depressionen in bestimmten Lebenslagen deutlich gehäuft vorkommen, wie zum Beispiel in der Pubertät, in der es um die Findung des eigenen Ichs und der eigenen Stellung in der Gesellschaft geht, oder in der Schwangerschaft, in der, neben hormonellen Umstellungen, die Bewältigung einer völlig neuen Lebenssituation im Mittelpunkt steht. Der Eintritt in die Pension mit dem Verlust der „Arbeit als Lebensaufgabe“ kann zu einer Depression führen, ebenso wie ein Schulwechsel, Arbeitswechsel oder Umzug. Überforderung und Unterforderung in der Arbeit sind häufig Ursache von Depressionen. Stress im Allgemeinen kann zu Überforderung, Erschöpfung und schließlich Depression führen. Die larvierte oder versteckte Depression zeigt keine offensichtlichen psychischen Veränderungen, sondern führt zu rein körperlichen Beschwerden wie Kopf- oder Rückenschmerzen, Schwindelgefühl, Magenschmerzen oder hohem Blutdruck. Hier spricht man den großen Formenkreis der psychosomatischen Erkrankungen an. Schließlich gibt es noch die endogene Depression, bei der keine offensichtliche Ursache für die Stimmungslage festzustellen ist, die also aus dem Inneren kommt und einfach da ist. Bei dieser wird vor allem eine genetische Störung mit Veränderung der Zusammensetzung der Botenstoffe im Gehirn angenommen.

In der Ursachenforschung der Depression gilt es, Zusammenhänge zwischen Lebensumständen, Lebensgewohnheiten und Lebensereignissen mit der schlechten Stimmungslage zu finden. So hat eine Vielzahl von Depressionen in unserer Gesellschaft mit Überforderung in der Arbeit und im Alltag sowie fehlender sozialer Anerkennung zu tun, was bei vielen zu einem Burn-out führt. Dieses „Ausgebrannt-Sein“ zeigt oft alle oben angeführten Symptome einer Depression, psychisch und körperlich. Der Ausweg aus dem Burn-out erfordert oft ein „Aussteigen“ aus der derzeitigen Lebens- oder Arbeitssituation für mindestens drei bis sechs Monate und ein „Abstand-Bekommen“ zum eigenen Leben, um die eigene Situation aus einer neuen Perspektive klar sehen und analysieren zu können.

Bei vielen „passiert“ die Depression einfach, weil man sein Leben dahinlaufen lässt, seinen Alltag erledigt, seine Grundbedürfnisse stillt und sich dabei immer weiter von den eigenen Plänen, Vorstellungen und Träumen für das eigene Leben entfernt. Es ist dabei nicht entscheidend, ob das im Rahmen der Doppelbelastung durch Kind und Beruf oder als Teil des täglichen sozialen und finanziellen Überlebenskampfes in unserer Gesellschaft geschieht.

Depressionen bei Jugendlichen sind oft geprägt von einer Perspektivenlosigkeit in Bezug auf die eigene berufliche Zukunft oder dem Fehlen von Zielen im Leben. Gerade in sozial besser gestellten Schichten haben die Jugendlichen oft keine konkreten Ziele, zumal sie materiell ohnehin schon alles haben und ihnen Vorbilder fehlen. Ein großes Thema ist die zunehmende soziale Isolierung von Menschen durch die neuen elektronischen Medien. Die Beschäftigung am Laptop oder Smartphone findet großteils alleine statt, es fehlen persönliche Kontakte und Begegnungen und so kann es zu Rückzug, Einsamkeit und auch Depression kommen. Regelmäßige soziale Kontakte sind notwendig, um soziale Kompetenzen zu entwickeln, mit anderen Menschen umgehen zu lernen und ein Werkzeug für die Handhabung zwischenmenschlicher Beziehungen zu erwerben.

Auch die Corona-Pandemie hat durch Lockdowns und die allgemeine angstbehaftete Stimmung zu einer deutlichen Zunahme von Depressionen geführt. Hierbei dürften die Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht in der Situation sowie die erzwungene soziale Isolierung die treibenden Faktoren sein.

TCM-GRUNDLAGEN ZUM VERSTÄNDNIS VON DEPRESSION

Die Mitte in der Mitte der fünf Elemente

In meiner Arztpraxis behandle ich mittlerweile Patientinnen und Patienten mit Depressionen seit mehr als 20 Jahren. Die meisten von ihnen wenden sich an mich, um die Depression von einer anderen Seite anzugehen, nämlich von der Seite der (Traditionellen) Chinesischen Medizin. Wenn man sich mit dieser beschäftigt, fällt sehr schnell auf, dass die häufigsten Symptome, welche die Depression beschreiben (siehe Seite 10), einer Schwäche desElements Erde – anders gesagt einer schwachen oder müden Mitte – oder laut chinesischer Diagnose einem Milz- oder Magen-Qi-Mangel mit mehr oder weniger Feuchtigkeit, Schleim und feuchter Hitze entsprechen. Sehen wir uns dazu die fünf Elemente an:

Berücksichtigt man dann noch die Stressabhängigkeit von depressiven Beschwerden (laut chinesischer Diagnose Leber-Qi-Stagnation und Blut-Mangel) und die schwere Erschöpfung (laut chinesischer Diagnose Nieren-Yin-, Nieren-Yang- oder Jing-Mangel), lassen sich mehr als 90 Prozent aller Formen der Depression mit chinesischer Medizin gut unterstützen.

In der Chinesischen Medizin ist der Ansatz immer folgender: Man behandelt den Körper, um den Körper zu stärken. Man behandelt den Körper aber gleichzeitig auch, um die Psyche und die Seele zu stärken. Der ganzheitliche Ansatz besteht darin, den Körper und die Psyche in Harmonie zu bringen, um Gesundheit zu erreichen. Dabei hat die Chinesische Medizin mehrere Möglichkeiten zu helfen.

Die Lebensführung

In der TCM ist das Wichtigste die Lebensführung. Es geht darum, zu erkennen, was den Körper im täglichen Leben übermäßig anstrengt, was ihn übermäßig aufregt oder was man alles tun kann, um Anspannung und Aufregung wieder aus dem Körper zu bekommen. Das umfasst die Ernährung, die Bewegung, die Ruhezeiten sowie den Schlaf, das Gleichgewicht der Gefühle, die Einstellung zum Leben, zur Arbeit, zu den Menschen, mit denen man zu tun hat, den Glauben und auch die Wünsche und die Ziele, die man lebt oder eben nicht lebt. Das ist das Allerwichtigste in der Chinesischen Medizin: zu erkennen, wie alles zusammenhängt! Wenn man diese Erkenntnis hat, fällt es einem oft wie Schuppen von den Augen und man sieht den Weg heraus aus dem Labyrinth Krankheit, heraus aus dem Labyrinth Depression.

Daher besteht die Hauptarbeit in meiner Arztpraxis aus Folgendem:

Verstehen – Erklären – Motivieren

Das Verständnis, was genau in dem jeweiligen Körper los ist, erhalte ich durch die Analyse von Puls und Zunge sowie durch das, was mir die Patienten erzählen. Dabei nimmt man den Puls als Repräsentanten für den gesamten Körper. Er ist ein Echo des Lärms dieses gesamten Körpers. Ebenso sieht man sich die Zunge an und gewinnt so Erkenntnisse über den ganzen Körper.

Bei der Zunge unterscheidet man den Zungenkörper und den Zungenbelag. In diesem Buch ist bei der jeweiligen Störung eine Skizze von der Zunge abgebildet, um Ihnen zu zeigen, welche Veränderung Sie auf ihr erkennen können. Bei der Analyse der Zunge braucht es ein bisschen Übung, um zu erkennen, wie eine „normale“ Zunge aussieht, da wir in unserem Alltag wenig mit Zungen zu tun haben. Es ist überhaupt keine Hexerei, dafür aber eine große Hilfestellung, wenn es um die Wahl der richtigen Therapie, insbesondere der chinesischen Medikamente (alias Kräuter) geht.

Wie alles zusammenhängt und was man dann tun kann, werde ich Ihnen in diesem Buch mehrfach erklären. Wenn Sie es einmal verstanden haben, werden Sie sehen, was genau bei Ihnen chinesisch passiert. Es wird Ihnen dabei hoffentlich nicht allzu schwerfallen, meiner Empfehlung für eine „chinesische“ Therapie zu folgen. Leider ist man gerade bei der Depression oft sehr träge und jede Handlung, die man setzen möchte, braucht einen doppelten und dreifachen Anlauf. Und wenn man dann einmal in Bewegung ist, wenn der Stein einmal rollt und man mit dem Tun begonnen hat, braucht es den baldigen Erfolg, damit man dabeibleibt. Und weil „baldig“ gerade in der Chinesischen Medizin „relativ“ ist, braucht es den folgenden dritten Punkt ebenso.

Die Motivation, meine Patientinnen und Patienten zu einer Veränderung ihrer Lebens- und Ernährungsgewohnheiten oder sogar zu weitreichenderen Veränderungen des eigenen Lebens zu bringen, ist oft die schwierigste Aufgabe in meiner Arztpraxis. Da kämpfe ich gegen Vorurteile, alte Gewohnheiten, Trägheit und besseres Wissen. Doch aus meiner Erfahrung werden sich Ihre Beschwerden erst dann wirklich verändern, wenn Sie die Umstände ändern, unter denen die Beschwerden langsam gewachsen sind. Da es aber nicht immer bequem ist und auch eine gewisse Zeit der Umgewöhnung benötigt, ist eine möglichst starke Motivation von besonderer Bedeutung. Darum bin ich immer froh, wenn Patienten Partner mitbringen, die genau zuhören, was ich sage, und ihre Lieben dann auch entsprechend daran „erinnern“ können. Schließen Sie sich daher mit anderen zusammen, die Ihnen helfen, diesen neuen Weg zu gehen. Niemand sollte einen schwierigen Weg allein gehen müssen …

Psychische Erkrankungen und das Qi

Sie kennen sicherlich bereits den Begriff „Qi“ aus der Chinesischen Medizin. Qi wird meist als Lebensenergie übersetzt. Ist ein Körper kräftig, hat er viel Qi. Die Bezeichnung Qi wird auch für alles Nicht-Materielle im Körper verwendet. So ist jedes Gefühl einfach Qi, jeder Gedanke ist Qi, die Geister, die im Körper wohnen, sind Qi, so wie auch Wärme Qi ist und die Arbeit eines Organs.

Psychische Erkrankungen zu behandeln bedeutet, Qi zu behandeln. Dabei ist dieses zumeist schwach, wie bei der Erschöpfung, oder blockiert, wie bei der Wut.

Sie kennen auch sicherlich das chinesische Symbol für Yin und Yang: Dabei steht Yin, das Dunkle, für die Materie, und Yang, das Helle, für die Energie.

Das Symbol, chinesisch als Taijitu bezeichnet, zeigt, dass alles ständig im Wandel ist, dass sich alles als Yin und Yang darstellen lässt und zu jeder Zeit an jedem Ort beides vorhanden ist, einmal mehr das eine, dann wieder mehr das andere. Li Dong Yuan, von dem ich Ihnen gleich noch mehr erzählen werde, beschreibt es folgendermaßen: „Qi ist der Vorfahre des Geistes und die Essenz ist das Kind des Qi. Qi ist also die Wurzel sowohl von Essenz und Geist. Groß ist Qi! Wenn mehr Qi zusammenkommt, entsteht Essenz. Wenn mehr Essenz zusammenkommt, macht es den Geist gesund.“ Wir nennen Qi, die Essenz (chinesisch „Jing“) und den Geist (chinesisch „Shen“) auch die drei Schätze der Chinesischen Medizin.

„Shen“ bedeutet einfach „Geist“ und bezeichnet allgemein gesprochen jeden Geist im Körper. In der TCM sagt man, dass in jedem Organ ein Geist wohnt.

Gleichzeitig ist Shen der Name des Geistes des Herzens, der als „Chef aller Geister“ gilt. Die anderen Geister heißen Hun, Yi, Po und Zhi. Jedem dieser Geister ist eine Emotion zugeordnet.

„Geist“ hat dabei nichts mit etwas Spirituellem zu tun, sondern ist einfach das Nicht-Materielle, das Geistige eines Organs. Psyche heißt auf Chinesisch Jing Shen, was wörtlich ins Deutsche übersetzt „Essenz-Geist“ bedeutet. Psychische Erkrankungen bezeichnet man im Chinesischen dann als Jing Shen Bing, womit die Bedeutung des Materiellen für die psychische Gesundheit betont wird.

Die Essenz, chinesisch Jing genannt, steht für die Materie, die als Gesamtheit in der Niere gespeichert wird. In der chinesischen Psychiatrie und Psychologie geht es dabei immer um das Gleichgewicht von Qi in Einklang mit der Materie Jing und dem Geist Shen.

Beim Dreieck ist der Shen oben, Jing und Qi bilden die Basis. Wenn man jetzt einen Schritt weiterdenkt, erkennt man die Dreiteilung des Körpers in oben, wo das Herz sitzt und der Geist Shen wohnt, die Mitte, in der die Mitte, der Verdauungsapparat, sitzt und Qi produziert, und unten, wo die Niere sitzt und die Essenz Jing speichert.

Psychische Gesundheit ist also in der Chinesischen Medizin allumfassender gedacht als bei uns: Die Mitte produziert viel Qi, der Geist Shen, als Repräsentant aller Geister im Körper, ruht, die Jing-Speicher in der Niere sind voll. Die Einheit ergibt die Gesundheit.

WIE ALLES ZUSAMMENHÄNGT

In der Han-Dynastie (206 vor bis 220 nach Christus) orientierte sich die Chinesische Medizin vor allem an zwei großen Meisterwerken: dem Huang Di Nei Jing, welches dem Gelben Kaiser zugeschrieben wird (wobei man heute davon ausgeht, dass mehrere Autoren dieses große Werk verfasst haben), und dem Shang Han Lun, der Abhandlung über Kältekrankheiten. Im Huang Di Nei Jing finden sich die Basis des Denkens der TCM, all die Zusammenhänge von Qi, der Lebensenergie, Blut und den anderen Körpersäften, die Theorie der Organe, die Einbettung des Menschen in die Natur und die Zusammenhänge von Lebensführung und Krankheit.

Das alte Wissen sah es so: Krankheit entsteht dadurch, dass „Böses“ von außen eindringt und im Körper Schaden anrichtet. Die sogenannten Liu Yin, die sechs klimatischen Faktoren, die in den Körper hineinwollen, sind: Wind, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit, Hitze und Sommerhitze.

Diese Vorstellung, wie Krankheit entsteht, stammt aus dem Schamanismus: Ein böser Geist dringt von außen ein, befällt den Körper und macht ihn krank. Die schamanische Therapie bestand darin, den bösen Geist wieder loszuwerden. Die Behandlung in der Chinesischen Medizin war daher ursprünglich analog dazu, die sechs Liu Yin wieder hinauszuwerfen. Dies funktionierte lange Zeit sehr gut.

Am Ende der Han-Dynastie lebte der Arzt Zhang Zhongjing, welcher bis in die heutige Zeit als einer der bedeutendsten chinesischen Ärzte gilt. Zu seiner Zeit, am Ende der Han-Dynastie, verstarben viele Menschen an fieberhaften Erkrankungen. Zhang Zhongjing sammelte das alte Wissen und ergänzte es durch seine neuen Erkenntnisse. Die wichtigste Erkenntnis war: Vor allem Kälte dringt von außen in den Körper ein, der Körper reagiert mit Fieber – also mit Wärme – auf die Kälte, um diese auszugleichen. Als Therapie muss man dann den Körper unterstützen, um die Kälte nach außen auszuleiten und im Innen zu wärmen. Seine Erkenntnisse und die hilfreichsten Kräutermischungen schrieb Zhang Zhongjing in seinem Werk über die Kältekrankheiten, dem Shang Han Lun, zusammen. Für viele Jahrhunderte funktionierte auch dieses alte, erweiterte Wissen sehr gut.

Die „Schule der Mitte“ entsteht

Das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert nach Christus war, geprägt von Kriegen und Hungersnöten, in China eine dunkle Zeit. Ganze Städte wurden vernichtet, unzählige Menschen unschuldig niedergemetzelt. Die Menschen litten unter rassistischen Ausschreitungen, sozialen Missständen und Naturkatastrophen, unter Hunger, Seuchen und zahlreichen Erkrankungen. Die Ärzte der Zeit waren gezwungen, neue Wege zu beschreiten, um den Menschen helfen zu können. Zu dieser Zeit lebte Li Gao, sein Rufname war Dong Yuan. Er entstammte einer sehr wohlhabenden Familie. Von Kindheit an erhielt er eine ausgezeichnete Ausbildung, genoss den Umgang mit hochrangigen Beamten und berühmten Lehrern der Zeit. Vorgeformt war seine Karriere als angesehener, hochrangiger Beamter. Doch eines Tages erkrankte seine Mutter. Ein Arzt nach dem anderen wurde gerufen, doch keiner konnte ihr helfen. Kein Arzt konnte erklären, worunter sie litt. Schließlich verstarb sie. Einschneidend muss dieses Erlebnis in der Kinderseele des Li Gao gewesen sein. Schließlich entschied er, Medizin zu studieren. Da Geld keine Rolle spielte, konnte er direkt bei Zhang Yuan-Su lernen, dem Lehrer von zwei der vier Meister der damaligen Zeit. Seine Lehre war im damaligen traditionalistischen China revolutionär, da sie Neuerungen forderte:

„Alte und moderne Zeiten unterscheiden sich. Alte Rezepturen sind nutzlos bei modernen Krankheiten.“

Bis zu dieser Zeit folgten die medizinischen Gelehrten der Lehre von Zhang Zhongjing und richteten ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das Eindringen der äußeren pathogenen Faktoren, auf die „Infektionskrankheiten“, wie wir heute sagen würden, und interpretierten Krankheiten überwiegend als „Schädigung von außen“. Li Dong Yuan war ein guter Schüler, jedoch war er nicht gewillt, die Meinung seines Lehrers ebenso zu übernehmen. Er hatte eine neue Idee und veränderte damit das Gedankengebäude der Chinesischen Medizin grundlegend. Li Dong Yuan richtete seine Aufmerksamkeit auf die „innere Schädigung“. Seiner Meinung nach beginnt eine Erkrankung durch einen Schaden „innen“, was dann der Wurzel der Erkrankung entspricht. Frei übersetzt sagt er: „Es kann etwas Böses von außen ja nur dann eindringen, wenn dafür Platz ist im Innen, wenn also innen drin irgendwo eine Leere herrscht.“

Durch die Hungersnöte der Zeit waren die Menschen so erschöpft, dass Infekte, also äußere pathogene Faktoren, ein leichtes Spiel mit den Körpern hatten. Das Eindringen des äußeren pathogenen Faktors ist nur das Symptom, der Zweig. Ist die Wurzel gesund, wird der Zweig gedeihen.

Ist der Körper innen gesund, kann von außen kein Angreifer eindringen. Auf dieser Überlegung aufbauend entwickelte Li Dong Yuan seine Theorie, dass der Verdauungsapparat das wichtigste Organ im Körper sei und die Basis aller Funktionen des menschlichen Lebens.

Die meisten Gelehrten der Zeit schenkten dem Verdauungsapparat keine weitere Aufmerksamkeit. Doch Li Dong Yuan hatte beobachtet, hatte Menschen gesehen und behandelt, die fast verhungert wären und solche, die sich in ihrem Wohlstand überfressen hatten.

Pi Wei Lun – die zentrale Bedeutung von Milz und Magen

Sein Wissen hat Li Dong Yuan uns in seinem Werk Pi Wei Lun, der Abhandlung über Milz und Magen, hinterlassen, zumal der Verdauungsapparat nach traditioneller chinesischer Denkweise aus Milz und Magen besteht.

Li Dong Yuan sagt, es besteht Gesundheit, solange Milz und Magen in Harmonie sind.

Sie haben jetzt schon sehr viel über die Chinesische Medizin erfahren. Wenn wir dieses Wissen heute auf uns anwenden, heißt das, dass viele Erkrankungen dadurch entstehen, dass vor allem Kälte von außen in uns eindringt. Denken Sie an „Erkältungskrankheiten“, da steckt noch das Wort „Kälte“ drinnen. Diese behandelt man also chinesisch durch Wärme: warm und scharf essen (vertreibt die Kälte), sich ins Bett legen (Bettwärme), heiße Wickel verwenden und viel heißen Tee trinken. Dann gibt es viele Erkrankungen, wie zum Beispiel Autoimmunerkrankungen, die durch eindringende Kälte ausgelöst werden. Auch hier versucht der Körper, die Kälte durch Wärme, in dem Fall durch Hitze zu vertreiben, und Hitze ist dann die Entzündung, die im Körper erst so richtig Schaden anrichtet.

Aber mit Kälte ist auch emotionale Kälte gemeint, wie sie einem in unserer Gesellschaft häufig begegnet, in der Arbeit, in der Familie. Auch sie dringt in uns ein und wir müssen sie durch Wärme, emotionale Wärme, vertreiben oder ausleiten, indem wir darüber reden.

Kälte dringt in uns ein durch zu viel kaltes Essen, zu viel rohes Essen, durch kalte Getränke und schwer Verdauliches. Diese Kälte behandelt man am einfachsten, indem man regelmäßig warm isst und trinkt sowie langsam isst und gut kaut. Dann nämlich nutzt man den Mund als „Vorwärmer“ und vertreibt die Kälte.