Die Georg Weidinger Atemtherapie - Georg Weidinger - E-Book

Die Georg Weidinger Atemtherapie E-Book

Georg Weidinger

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Beschreibung

Als Arzt, TCM-Experte, Sportler und Betroffener von Asthma und Allergien weiß Georg Weidinger um die Heilkraft guter Atmung. Sie ist unsere unterschätze Superkraft, mit der wir unser Immunsystem, unsere Leistungsfähigkeit und sogar unsere Verdauung stärken können. In diesem sehr persönlichen und praxisbezogenen Buch lernen wir dank Weidingers Erfahrungen und jahrelanger Selbstexperimente, wie wir psychische, psychosomatische und Autoimmun-Erkrankungen über die Atmung therapieren können. Denn dank der Atmung können wir in die autonomen Prozesse des Körpers eingreifen, können den Schlaf, die Temperaturregulation, den Blutdruck und den Herzschlag steuern. Die Georg-Weidinger-Atemtherapie vereint westliche Medizin, TCM und Yoga zur Heilung der Lunge und mit ihr assoziierter Krankheiten.

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Seitenzahl: 178

Veröffentlichungsjahr: 2025

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GEORG WEIDINGER

studierte Medizin und Psychologie an der Universität Wien und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) an der MedChin (Medizinische Gesellschaft für chinesische Gesundheitspflege in Österreich). Er ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin. In zahlreichen Seminaren, Vorträgen und Schulungen teilt Georg Weidinger sein umfangreiches Wissen. Er lebt als Arzt, Autor, Yogalehrer und Musiker mit seiner Frau, den drei Kindern und vielen Tieren im Burgenland.

„VERMEIDEN SIE STRESS, NEGATIVEN WIE POSITIVEN.“

Der Mann, der nach zwei Jahren noch immer vor dem Löwen steht und noch immer nicht entschieden hat, ob er rennen soll oder kämpfen, wird körperlich und seelisch mittlerweile ein Wrack sein, selbst wenn sich der Löwe umdreht und einfach geht.

„Die Lunge ist ein Kind der Mitte. Seien Sie lieb zur Mitte.“

7 TIPPS

FÜR EINE GESUNDE MITTE

1. Haben Sie Freude beim Essen!2. Achten Sie auf die Qualität der Lebensmittel!3. Essen Sie täglich ein warmes, gekochtes (oder gut zubereitetes) Frühstück!4. Nach dem Essen sollten Sie viel Energie haben!5. Essen Sie nasses Essen!6. Nach dem Essen sollen Sie noch gut in den Bauch atmen können!7. Trinken Sie (warmes) Wasser!

„Eine gesunde Lunge macht ein gesundes Immunsystem.“

7 TIPPS

FÜR EIN STARKES IMMUNSYSTEM

1. Achtsames Essen2. Achtsames Atmen3. Achtsame Hautpflege4. Pflege des Dickdarms5. Trainieren der Temperaturregulation des Körpers6. Gute Luft7. Tägliche Bewegung

„Über den bewussten Atem können Sie Gefühle in den Griff bekommen.“

5 TIPPS

WIE SIE IHRER PSYCHE GUTES TUN KÖNNEN

1. Seien Sie lieb zur Mitte. So stärken Sie das Element Erde.2. Trainieren Sie Ihren bewussten Atem. So stärken Sie das Element Metall.3. Vermeiden Sie alles, was Ihnen an die Nieren geht. So stärken Sie das Element Wasser.4. Steigen Sie aus dem täglichen Stress aus. So stärken Sie das Element Holz.5. Leben Sie Ihre Träume, suchen Sie sich Ziele. So stärken Sie das Element Feuer.

7 TIPPS

FÜR DEN PERFEKTEN ATEMZUG

1 Wenn Sie bewusst atmen, seien Sie zu 100 Prozent mit Ihrer Aufmerksamkeit bei Ihrer Atmung! Stellen Sie sich vor Ihrem geistigen Auge genau vor, bis wohin die Atemluft in Ihren Körper vordringt: durch die Luftröhre, in die Bronchien und bis in die letzte Ecke Ihres Körpers. Machen Sie dabei die Augen zu. Und führen Sie ihn, den Atem!

2 Lassen Sie jegliche Spannung aus Ihrem Körper weichen. Gehen Sie in Gedanken durch Ihren ganzen Körper und lassen alle Spannung weichen.

Beginnen Sie beim Kopf: Mund, Augenpartie, Nase, Wangen, Kinn. Gehen Sie dann über den Hals zuerst in den linken, dann in den rechten Arm, dann in den Brustkorb, den Bauch, das Becken, zuerst in das linke Bein, dann in das rechte Bein. Lassen Sie jede Spannung weichen. Lassen Sie jedes negative Gefühl und jeden negativen Gedanken aus Ihrem Geist weichen. Atmen Sie die negativen Gedanken und Gefühle aus. Wenn sich etwas in Ihrem Kopf in den Vordergrund drängt, atmen Sie es aus! Kein einziges Molekül Sauerstoff sollen Sie dafür aufbringen müssen!

3 Ersetzen Sie das Negative durch das Positive: Statt Angst wählen Sie Vertrauen, statt Wut wählen Sie ein Lächeln, statt Sorge wählen Sie Vertrauen und Frieden. Finden Sie Ihr Positives für Ihr Negatives! Stärken Sie das Positive mit Ihrer Einatmung und lassen Sie das Negative mit der Ausatmung ziehen! UND LÄCHELN SIE, im Geist, in Ihrem Gesicht! Spüren Sie die befreiende Kraft des Lächelns! Das ist auch eine wunderbare Übung, die wir in unser tägliches Atemtraining vor dem bewussten Atmen einbauen können!

4 Wenn Sie bewusst einatmen, dann tuen Sie es über die Nase. Weiten Sie zusätzlich die Nasenflügel bei der Einatmung, damit bewusst noch mehr Luft in Sie eindringen kann. Und atmen Sie so ein, als würden Sie an einer Rose riechen! Das Geruchszentrum sitzt tief im Hirnstamm, ganz in der Nähe vom Atemzentrum. Den Bereich wollen wir aktivieren, wollen tief in unser Urhirn vordringen. Stellen Sie sich diesen Bereich vor, wenn Sie einatmen und riechen!

5 Lernen und üben Sie, LANGSAM über die Nase zu atmen, damit wenig Turbulenzen in der Atemluft entstehen! Je mehr Turbulenzen entstehen, desto mehr Irritationen entstehen an den Schleimhäuten und desto mehr Verstopfung und Sekret wird produziert. Nutzen Sie die Vorstellung, an einer Rose zu riechen!

6 Das Verhältnis Bauch- zu Brustatmung sollte 80:20 sein – bei uns im Westen ist es nahezu umgekehrt. Üben Sie daher Ihre bewusste Bauchatmung. Das Zwerchfell spannt sich beim Einatmen aktiv an und wird immer flacher. Dabei erzeugt es einen Sog in der Lunge, der die Atemluft über Nase oder Mund einzieht. Gleichzeitig wölbt sich der Bauch sichtbar nach außen. Darum wird die Atmung mit dem Zwerchfell auch Bauchatmung genannt. Bei der Ausatmung entspannt sich das Zwerchfell, was passiv passiert. Es wölbt sich nach oben und leitet damit die Luft wieder bei Nase oder Mund, je nachdem, was gerade offen ist, hinaus. Der Bauch senkt sich.

7 Nehmen Sie langsame Atemzüge, die so tief sind wie nur irgendwie möglich: Zuerst atmen Sie in den Bauch, dann in den Brustkorb und zuletzt nutzen Sie noch die Atemreserve der obersten Rippen! Heben Sie dazu noch ganz bewusst die Schultern und den Schultergürtel! Genießen Sie die vollständige Einatmung! Nutzen Sie den Körper dafür. Stützen Sie sich mit den Händen auf einem Tisch auf, um noch besser die Atemreserve zu nutzen. Oder heben Sie bei der Einatmung die Arme und senken Sie sie wieder bei der Ausatmung. Nutzen Sie Körperbewegungen, um sich beim Atmen zu unterstützen. Das sind die Asanas des Yoga. Nutzen Sie sie!

INHALT

Cover

Titelseite

Vorwort

I: ATEM UND LUNGE

Mein Leben, meine Atmung

Der Körper

Die Zellatmung

Hyperventilation

Die normale Atmung

Der bewusste Atem

Was noch so alles durch eine gute Bauchatmung passiert …

Die Inspiration des Apnoetauchens

Aktives Atmen

II. LUNGE UND TCM

Die Mitte

Der Einfluss äußerer Faktoren auf die Mitte

Seien Sie lieb zur Mitte

Die Lunge

Der Körper und die Geister in der TCM

Die Organe

Die Organe, die Geister und die Emotionen

Die Psyche über den Körper behandeln

III. CHINESISCHE KRÄUTER

Mischungen bei Atemnot und Asthma bronchiale

Mischungen, die die Leber entspannen – unabhängig davon, ob Sie Atembeschwerden haben oder nicht

Mischungen, die die müde Mitte und die müde Lunge aufbauen – unabhängig davon, ob Sie Atembeschwerden haben oder nicht

Mischungen bei Erkrankungen der Haut

Glutenverzicht und Mischung bei Autoimmunerkrankungen

Mischung bei psychosomatischen Erkrankungen

Mischungen bei Depression und Atmung

Mischung für guten Schlaf

WAS NOCH GESAGT SEIN SOLLTE

Burnout-Prävention, meine Geschichte

Selbst-Akupunktur für die Lunge

Meine Zeit in Schweden …

Register

Impressum

VORWORT

Wir leben, weil wir atmen. Aber gerade das fällt immer mehr Menschen immer schwerer. Atmen ist eines der Top-Themen bei den medizinischen Ratgebern und man kann sich die Frage stellen: Braucht es dazu noch ein Buch? Es gibt doch bereits viele gute Bücher zu dem Thema, allen voran von Wim Hof mit seiner nach ihm benannten Methode. Er lebt seit über vierzig Jahren das, was er sagt, und das schon zu einer Zeit, als man ihn gerne noch als Spinner und Exoten abgeurteilt hat. Aber er ist dabei geblieben und war lange Zeit der Einzige, der an sich und seine Methode geglaubt hat. Ich verbeuge mich vor ihm! Er genießt meine Hochachtung!

Es gibt auch den weltweiten Bestseller „Breath“ von James Nestor, einem Journalisten, dem mit seiner typisch amerikanischen Lebensweise irgendwann die Luft weggeblieben war. Er hat sich über den Weg eines einfachen Atemtrainings und mit bewusstem Atmen geheilt und das als Gelegenheit genommen, sich intensiv mit der Materie auseinanderzusetzen.

Dann gibt es einige Bücher zu der Methode von Doktor Konstantin Pawlowitsch Buteyko, einem 1923 geborenen Russen, der gerade eine Renaissance erlebt. Er hat sich in seinem Leben ebenfalls intensiv und wissenschaftlich mit der Atmung, der Atemtiefe, speziell der Nasenatmung, beschäftigt und konnte mit seiner Methode Asthma und viele andere Krankheiten heilen. Ich habe mich bereits schon vor über dreißig Jahren mit ihm und seiner Methode beschäftigt.

Es gibt unzählige Bücher über Atemtherapie, bewusstes Atmen, neue Atemtechniken und „revolutionäre“ Atemansätze bei Stress und Burnout. Es gibt alle möglichen Hilfsgeräte für Nase, Mund, Bauch und weitere Körperstellen, um den Atem zu optimieren, um „leistungsfähiger“ zu werden, um die „Ketonisierung“ des Atems zu beurteilen.

Und dann gibt es die Bücher über „Pranayama“, die yogische Atemführung, die seit mehreren Tausend Jahren praktiziert wird und in großen indischen Meisterwerken wie dem Yogasutra von Patanjali verewigt ist. Darüber hat zum Beispiel mein Lehrmeister R. Sriram ein wunderbares Buch geschrieben und auch viele westliche Autoren haben nicht mit Energie und Aufwand gespart, sich mit diesem klassischen Meisterwerk auseinanderzusetzen. Zu guter Letzt gibt es noch die Atembücher des Tao, der chinesischen Variante der traditionellen Atemtechnik und unzählige Bücher über Meditation und Atem, und diese wiederum aus ganz unterschiedlichen Traditionen unserer Welt.

Ich komme zurück zu meiner Anfangsfrage: Braucht es noch ein Buch zum Thema Atmen? Wo soll ich da anfangen? Wo soll ich mich da einreihen? Die Antwort lautet: Ja. Es braucht dieses Buch und ich fange bei mir an. Es wird sehr persönlich und nicht ganz so wissenschaftlich …

Bei der Atmung kenne ich mich wirklich gut aus, wie jeder Mensch, der täglich und andauernd atmet, und das sind, soweit ich weiß, alle. Der große Unterschied zwischen mir und den meisten anderen Menschen ist jedoch, dass ich mich mit der Atmung beschäftigen musste, um zu überleben. Und auch mein Berufswunsch, Arzt zu werden, hat damit zu tun. Ich bin nur deshalb Arzt geworden, weil ich wieder richtig gut atmen können wollte! Aus keinem anderen Grund.

Wie sage ich es heute noch immer gerne meinen Patientinnen und Patienten, um sie auf die Schippe zu nehmen? „Ich bin als Musiker viel besser ausgebildet, als ich es als Arzt bin! Da habe ich drei Universitätsstudien belegt, seit meinem zehnten Lebensjahr wie besessen komponiert, Sinfonien und Streichquartette geschrieben, Klassik und Jazz und eigene Stücke am Klavier aufgenommen, mittlerweile mehr als vierzig Alben herausgebracht. Und auch da hat mich mein Atem gerettet. Aber wäre ich nicht Arzt geworden, hätte ich mich wohl aufgrund des fehlenden allgemeinen Interesses für meine Musik längst zu Tode gesoffen!“

Ich werde in diesem Buch meine Geschichte erzählen: Wie ich aufgrund seelischer Traumata Asthma bronchiale bekommen habe und alle nur erdenklichen Allergien. Wie ich beinahe erstickt bin. Wie ich gezwungen war, das richtige Atmen zu lernen, um reden zu können, um weiter mit meinen geliebten Tieren zusammen sein zu können. Wie ich gezwungen war, vor vierzig Jahren das alles alleine zu unternehmen, weil offensichtlich keiner etwas darüber wusste. Wie ich zu einem Versuchsobjekt der westlichen Medizin wurde, unter der Regie meines Vaters, einem Internisten. Wie ich schließlich gezwungen war, selbst Arzt zu werden, um als Arzt dann weiterzusuchen. Wie ich anschließend Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur wurde und gleich noch Dozent für diese großartige Medizin, um sie in ihrer ganzen Fülle an die nächste Generation weiterzugeben. Und schließlich: Wie ich Yogalehrer und schließlich Hundeschlitten-Vizeweltmeister wurde. Ich werde über unser Leben mit drei Kindern, neun Hunden, drei Pferden und zwei Katzen berichten und über das unendliche Glück, meine Frau gefunden zu haben.

Das alles gehört dazu. Das alles macht mich aus. Und quasi nebenbei erfahren Sie, wie man richtig atmet, wie man „seinen“ Atem findet und dass der Atem der Ausdruck der Lunge ist. Der Atem sagt Ihnen, wie es Ihrer Lunge geht. Und die Lunge sagt Ihnen, wie es IHNEN geht.

Die Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM, hilft uns dabei am besten weiter, die großen Zusammenhänge im Körper zu verstehen. Wenn Sie bereit sind, sich auf ein etwas anderes Denken einzulassen, werden Sie verstehen, wie das Immunsystem sich über die Lunge definiert, wie Ihre Psyche von der Lunge abhängt, dass psychosomatische Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen in der TCM Lungenkrankheiten sind, ebenso wie Hautkrankheiten, viele Formen der Allergien, Verdauungsprobleme, Burnout, Erschöpfung, Depression und wiederkehrende Infekte. Das alles können wir durch die Atmung beeinflussen!

Dann möchte ich Ihnen noch zwei weitere Werkzeuge in Ihre Hände legen: chinesische Kräuter und Akupunktur. Manchmal braucht es eine Starthilfe im Leben, und das können diese beiden Methoden sein. Und wenn Sie dann zurück sind in Ihrer Mitte, in Ihrer Gesundheit, dann hoffe ich, dass Sie diese mit dem Atem und Ihrer Lebensführung erhalten können. Dafür können all die Bücher, die ich oben erwähnt habe, wunderbare Inspirationshilfen sein. Der eine braucht es eher theoretisch fundiert, ein anderer will da gleich in die Praxis. Heute ist alles am Büchermarkt vorhanden und dafür beneide ich Sie! Als ich zehn Jahre alt war, hatte ich nichts dergleichen, nur ein tiefes inneres Vertrauen, dass die Lösung in mir selbst steckt. Das Vertrauen war so groß, dass ich meine gesundheitlichen Probleme fast ausschließlich mit mir selbst ausgemacht habe, abgesehen von den Irritationen durch die westliche Medizin, die ich dann zusätzlich auszugleichen hatte. Aber dazu später. Fangen wir einfach einmal an …

Atem & Lunge

MEIN LEBEN, MEINE ATMUNG

Nachdem ich mit meiner Verlegerin und der Projektleiterin des Verlages gezoomt hatte und wir uns einig waren, das Buch zu realisieren, beschloss ich, meinen dreiwöchigen bevorstehenden Schwedenaufenthalt ausschließlich diesem Buch und einer Zahl von Selbstexperimenten zu widmen.

Ich sitze also in diesem Moment in unserem kleinen Häuschen in einem winzigen Ort in der Nähe von Älvdalen in der mittelschwedischen Region Dalarna. Fünf Hunde liegen entspannt zu meinen Füßen, entspannt deshalb, weil wir in der Früh schon zwanzig Kilometer mit dem Hundeschlitten unterwegs gewesen sind. Mindestens eine Stunde am Tag zoome ich mit meiner Frau, die in Österreich geblieben ist. Es ist gerade Mitte März und sie genießt lieber den Frühling, als nochmals in die kalte Schneelandschaft Schwedens einzutauchen, um beim Schwedisch-Lernen dranzubleiben. Ansonsten werde ich hier bewusst atmen, bewusst essen, zweimal am Tag mit den Hunden unterwegs sein, Freunde treffen und schreiben. Mittlerweile kommen wir, meine Frau und ich, mindestens dreimal im Jahr nach Schweden, in unser kleines Holzhäuschen in einem winzigen Ort in Dalarna. Die Kinder sind mittlerweile alt genug, eine Zeit lang auch ohne uns in Österreich auszukommen. Hier können wir unser wunderbares, aber sehr forderndes Leben in Österreich mit unserer übervollen Arztpraxis und den vielen Unterrichtsstunden ausgleichen - meist zusammen, manchmal komme ich aber auch alleine.

Ich sitze hier und erinnere mich …

Meine frühe Kindheit war geprägt von der schlechten Beziehung meiner Eltern. Es wurde viel gestritten, geschrien (mein Vater), geweint (meine Mutter) und mein Bruder Richard und ich waren vor allem damit beschäftigt, „nicht da zu sein“, jeder auf seine Art und Weise. In der Grundschulzeit waren es die Freunde, mit denen wir unterwegs waren und Fußball spielten. Die restliche Zeit hatte mein Bruder das Schachspiel und die Briefmarken, die ihn von zu Hause wegbrachten, ich hatte das Klavier und das Träumen, um mich in andere Welten zu beamen.

Ich erinnere mich an einen Buben in meiner Klasse, der schweres Asthma hatte und sich bei jeder Gelegenheit Spray in den Mund sprühte, um wieder atmen zu können. Es war meine erste und eine einschneidende Begegnung mit Atemlosigkeit. Er war ein guter Freund und wir waren oft zusammen unterwegs.

Als ich zwölf war und mein Bruder zwei Jahre älter, mussten wir uns über das Wegsein keine Gedanken mehr machen: Wir wurden ins Internat „abgeschoben“, so empfanden wir es damals. Mein Bruder steckte das gut weg, ich bekam eine seelische Kerbe. Kurz zuvor war zudem mein gleichaltriger Cousin, der gleichzeitig mein bester Freund war, verstorben. Mein Asthma, meine Allergien und meine Migräne begannen. Und ich lernte:

Trauer nimmt mir die Luft. Sorge macht mir Allergien. Meine innere Verzweiflung startet die Migräne.

An einem der Wochenenden, an denen ich zu Hause war, sagte ich meinem Vater, dem Internisten: „Papa, ich bekomme keine Luft!“ Mein Vater hasste es, zu Hause auch Arzt sein zu müssen, und sagte daher: „Asthma ist keine lebensgefährliche Krankheit. Ich habe noch nie einen Menschen an Asthma sterben gesehen! Und wenn du etwas brauchst, nimmst du dir halt etwas!“ Dazu muss man sagen, dass mein Vater Gefäß- und Herzspezialist war und eigentlich nie etwas mit Lungenkrankheiten zu tun gehabt hatte. Mit dem zweiten Satz sprach er den Medikamentenschrank in unserem Wohnzimmer an. Dieser war gefüllt mit Medikamenten, und ich begann, mich durchzuprobieren.

Ich schluckte alles, was irgendwie in Zusammenhang mit „Atemnot“, „Asthma“ und „Allergien“ stand. Dann durchforstete ich die Ärztezeitungen meines Vaters, immer auf der Suche nach neuen Ideen für meine Selbstversuche. Wenn ich etwas fand, sagte ich es meiner Mutter, und die besorgte es mir über die Arztpraxis meines Vaters.

Im Laufe der Zeit lernte ich auf diese Weise all die verschiedenen Generationen von Antihistaminika, den „Antiallergie-Medikamenten“, kennen - vor allem aber ihre Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Konzentrationsstörung und Magen-Darm-Beschwerden.

Die Euphyllin-Präparate verursachten das Gegenteil: Nervosität, Unruhe, Schlaflosigkeit, einen rasenden Puls, vermehrtes Schwitzen. Vor allem verstärkten sie meine Migräne. Cortison-Tabletten bescherten mir meine erste Akne und mit gerade einmal zwölf Jahren meine erste schwere Depression. Mit sechzehn Jahren begann ich eine Spritzenkur, die „Hyposensibilisierung“. Sie brachte mir als Nebenwirkung ständiges Fieber und Müdigkeit ein, und das für zwei lange Jahre.

Wer schon einmal keine Luft bekommen hat, weiß, wie verzweifelt man da ist. Deshalb probierte ich wirklich alles aus. Aber nichts half. Keine Wirkung, nur Nebenwirkungen!

Mit dreizehn Jahren wachte ich eines Nachts auf. Es war Wochenende und deshalb war ich gerade zu Hause. Ich wachte auf und konnte nicht mehr ausatmen. Es war wohl der bis dahin einschneidendste Moment meines Lebens. Ich wollte um Hilfe schreien, konnte aber nicht. Die Panik, die ich erlebte, war unfassbar groß. Und dann kam der Moment des Erstickens, vor dem ich immer solche Angst gehabt hatte, der Angst meines Großvaters folgend, der mir seine Angst in den blumigsten Farben geschildert und übergestülpt hatte. Doch auf einmal war da gar keine Angst. Es gab in mir nur ein tiefes Vertrauen, dass alles gut ist. Ich konnte loslassen und gehen und wenn mein ganzer Körper nicht wie ein einziger muskulärer Krampf gewesen wäre, hätte ich gelächelt.

Ich wurde bewusstlos. Mein Vater war in dieser Nacht zu Hause, spritzte mir etwas und ich kam zurück. Doch der Moment veränderte alles. Meine Beschwerden waren alle noch da, aber die Angst vor ihnen war verschwunden, vor allem die Angst vor dem Tod. An seine Stelle setzte sich ein tiefes Vertrauen in mich und meinen Körper, in die Welt und dass alles gut ist. Ich verstand eigentlich noch gar nichts, aber ich fühlte. Und ich hatte den Draht zu mir wiedergefunden.

Ich verließ das Internat mit vierzehn. Was ich dort geliebt hatte, war die Gemeinschaft, die Zusammengehörigkeit. Wir waren mehr eine Familie, als ich es bis dato in meiner Ursprungsfamilie erlebt hatte. Und das vermisste ich. Den Rest nicht. Ich suchte die Gemeinschaft fortan bei Tieren. Und da der Ort, wo wir mittlerweile lebten, neben Menschen vor allem von Pferden bevölkert war, lernte ich reiten, fand Gleichgesinnte und fühlte mich auf Anhieb bei den Pferden zu Hause. Sie gaben mir den Frieden, den mir mein Körper bis dahin nicht geben konnte. Doch meine Pferdehaarallergie stellte mich bald vor eine große Herausforderung.

Nach ein paar Monaten ging meine Lunge nach etwa einer halben Stunde beim Pferd komplett zu. Kein Spray, keine Tablette half. Ich sagte meinen Eltern nichts. Ich konnte nicht noch mal meine Familie, diesmal die Pferde, verlieren. Mir war klar, dass ich mir schnell etwas einfallen lassen musste.

Meine Logik war Folgende: Die Lunge nimmt Sauerstoff auf. Den brauche ich, um zu leben. Wenn die Lunge zu ist, kommt kaum noch Sauerstoff rein. Also muss ich den Sauerstoff VORHER in den Körper hineinzwingen. Voratmen. Dann müsste es besser gehen.

Bevor ich also in den Reitstall zum Pferd ging, atmete ich eine Zeit lang tief und schnell ein und aus. Ich hörte auf, sobald mir schwindlig wurde oder es im Körper zu kribbeln anfing. Und tatsächlich half es mir, besser über den Allergieanfall und die damit verbundene Atemlosigkeit hinwegzukommen. Ich wurde zwar genauso atemlos, aber es wirkte weniger bedrohlich und ich konnte mich mehr bewegen.

Als wir dann selbst einen Stall mit fünf Pferden hatten, putzte ich die Pferde nur noch im Freien und riss alle Türen weit auf, wenn ich ausmistete oder die Pferde mit Heu versorgte.

Ich wollte auch immer einen Hund haben, aber mein Vater verbat es mir.

Mit achtzehn Jahren machte ich den Führerschein und meine erste Aktion mit meinem neuen alten Auto war, ins Tierheim zu fahren und mit einem Schäferhundwelpen nach Hause zu kommen. Nachdem Luna mit ihren zwölf Wochen alle begrüßt hatte, konnte mein Vater einfach nichts mehr gegen sie sagen.