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Wer bin ich? Woher komme ich? Was geschieht nach dem Tod? Gibt es einen Gott? Gibt es einen Plan hinter all dem, was man sieht und was passiert? Wie lebt man richtig? Wie wird man glücklich? Dies sind die großen Fragen der Menschheit, welche sich alle Kulturen zu allen Zeiten gestellt haben. Und wenn man genauer hinsieht, wenn man primär das Einende und nicht das Trennende sieht, wenn man die großen Meisterwerke der Menschheit genauer betrachtet, wie die Upanischaden, die Bhagavad Gita, die Texte Buddhas, Platons, die Bibel, das Yijing, das Huangdi Neijing, das Yogasūtra, das Śivasūtra, das Vijñanabhairava Tantra, oder wenn man Zeugnisse von Zen-Buddhisten, Mystikern oder Nahtodereignissen heranzieht, erkennt man die eine Wahrheit hinter allem. Yoga bietet einen klaren Weg zu dieser Wahrheit, egal aus welcher Ecke unserer Welt man stammt. Dieses Buch will Sie an die Hand nehmen und Ihnen den Weg zum ursprünglichen Yoga, weg von reinen Turn- und Entspannungsübungen, zeigen, den Weg zu einem erfüllten und glücklichen Leben. Bestsellerautor Georg Weidinger hat dieses Buch in seinem gewohnt humorvollen und leicht verständlichen Stil geschrieben, in dem er bereits die Traditionelle Chinesische Medizin unzähligen Menschen nahegebracht hat. Dieses Buch enthält außerdem eine Neuübersetzung aus dem Sanskrit sowie eine Neuinterpretation des kompletten Yogasūtra und Śivasūtra. Unzählige Zeichnungen erleichtern das Verständnis der lehrreichen Worte. Mit einem Vorwort von R. Sriram.
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Seitenzahl: 474
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Georg Weidinger
Welt-Yoga
Der Weg des wahren Selbst
Georg Weidinger – Welt-Yoga
Alle Rechte vorbehalten!
Copyright © 2020 Dr. med. Georg Weidinger
OGTCM Verlag, 7212 Forchtenstein, Österreich
1. Auflage Oktober 2020
ISBN 978-3-96698-672-4
ISBN (E-Book) 978-3-904098-04-5
www.ogtcm.at
Bestellung & Vertrieb
NOVA MD GmbH, 83377 Vachendorf, Deutschland
Satz
Mag. Gernot Koller und Dietmar Ribolits
Sämtliche Abbildungen und Zeichnungen
Georg Weidinger
Umschlaggestaltung
Dietmar Ribolits
Lektorat
Mag. Gernot Koller
ePub
Drusala, 73801 Frýdek-Místek, Tschechien
Eine der dringlichsten Aufgaben unserer Zeit ist es, Dinge zusammenzuführen, die zwar selbstverständlich zusammengehören, aber in den letzten Jahrhunderten immer weiter auseinandergerissen wurden.
Kunst, Heilung und Philosophie sind untrennbar miteinander verbunden. Heilung braucht eine Philosophie des Geistes, die wiederum die Kunst braucht, um der Einheit des Erfahrbaren eine vorstellbare Form zu geben. Georg ist ein Heiler mit einem soliden Wissensfundament und facettenreichen Kenntnissen über die Heilung, praktiziert Kunst und bildet sich in der Philosophie. Sein Buch vereinbart Themen, die miteinander verbunden sind, und gibt somit in unserer globalisierten Zeit ein umfangreiches Bild von den Themen, die Menschen zu allen Zeiten bewegt haben. Das Buch bringt die großen alten Welten mit der neuen zusammen. Ohne den Tiefgang oder die Treue zu Quellen zu ignorieren, bietet es dem Leser mit lustvoll präsentierten Zeichnungen einen wissensreichen Weg zum wahren Selbst.
In einer Zeit, in der Yoga zu einer Reihe von einfachen Übungen zur Optimierung des Egos reduziert zu werden droht, rückt es das Bild von Yoga in den Kontext, in den er gehört.
Ich wünsche dem Buch eine große Leserschaft.
R. Sriram, 19. August 2020
Oberzent, Deutschland
Wer bin ICH? Was macht mich aus? Bin ich frei in meinem Denken und Handeln? Muss ich ein „gutes“ Leben führen oder ist es egal, wie ich lebe? Gibt es einen Gott? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es einen großen Plan hinter all dem, was ich sehe? Die großen Fragen der Menschheit.
Etwa 2000 vor Christus bildete sich im Nordwesten Indiens durch die Einwanderung eines Volkes und die Fusion mit einem bereits dort ansässigen Volk ein neuer Stamm der Menschheit heraus, mit neuer Kultur, neuer Sprache und vielen Fragen. Dies sollten später die Inder werden. Große Werke, die ihr Denken und ihre Antworten formulierten, entstanden: die Veden, Werke voller Geschichten und Mythen. In ihnen verpackt waren die Upanischaden, welche Antworten auf die in diesem Buch gestellten Fragen formulierten. Diese Texte geben Zeugnis einer Wissenschaft, die sich auf die Erforschung des Wesenskerns des Menschen spezialisiert hat. Die Suche ging nach innen. Der, der die Fragen stellt, hat auch die Antworten. Dabei geben diese Texte klar die Richtung vor, wie die Erforschung des Menschen im Inneren nur funktionieren kann, nämlich durch Erfahrung, nicht durch Denken. Die Antworten auf all die Fragen sind erfahrbar an einer Stelle in unserem Inneren, wo das Denken nicht mehr hinkommt.
Die Geschichte unserer westlichen Kultur ist eine Geschichte des Denkens. Immer und immer wieder rannten wir mit unserem Verstand gegen die Mauer der Erkenntnis, immer in der Hoffnung, diese endlich zum Einsturz zu bewegen, heute noch heftiger als früher. Die Naturwissenschaft lehrt uns, was Wirklichkeit bedeutet, Realität, die Welt der Dinge (lateinisch „res“ für Ding). Die Religionen sind andere Wege gegangen. Unerklärliche Phänomene, die Menschen zu allen Zeiten erlebt haben, sogenannte mystische Ereignisse, nährten die unterschiedlichsten Vorstellungen von Göttern. In früheren Kulturen auf der ganzen Welt gab es viel, was man in der Natur nicht verstand. Was den Verstand überschritt, wurde einem Gott zugeschrieben. Und es entwickelte sich die Vorstellung einer unsterblichen Seele, eines Teiles des Menschen, welcher während des Lebens ständig präsent im Hintergrund eines jeden existiert und nach dem Tod zu einer oder in eine Gottheit zurückkehrt. Die Vorstellungen darüber sind in allen Kulturen der Erde erstaunlich ähnlich. Und so prallte und prallt, damals wie heute, die Wissenschaft auf die Religion, das Denken auf die Mystik und konstruiert heute, nach Jahrhunderten der Fusion, scheinbar unvereinbare Gegensätze.
Das rationale Gedankengebäude im Westen begann Anfang des 20. Jahrhunderts zu wanken. Das, was als fix galt, die Persönlichkeit und das ICH, die Konstanten von Raum und Zeit, waren auf einmal doch nicht so konstant. Der Österreicher Sigmund Freud (1856–1939) legte klar, dass der Mensch doch nicht so frei sei in seinen Handlungen und Entscheidungen, wie er bisher glaubte. Unbewusstes sei vor allem der Motor für unsere Aktionen und Gefühle. Dabei differenzierte er die menschliche Persönlichkeit in Ich, Es und Über-Ich. Das Ich, unsere bewusste Institution der Persönlichkeit mit bewussten Entscheidungen, stehe dabei ständig im Austausch mit dem und unter Kontrolle des Es, aller Triebe und Bedürfnisse, und des Über-Ich, aller Normen und Regeln, die durch Eltern und Gesellschaft in uns platziert wurden. Das, was wir dann als Handlung setzen, sei eine komplexe Mischung aus diesen drei, was den Freiheitsbegriff in vollkommen anderem Licht erscheinen lässt. Durch Methoden wie Hypnose, Traumdeutung und tiefe Gespräche mit Assoziationen und klarer Analyse glaubte Freud, die meisten Verstrickungen der Persönlichkeit entwirren zu können.
Auf der anderen Seite erweiterte der Deutsche Albert Einstein (1879–1955) unsere Auffassung der Realität durch bahnbrechende Theorien wie die Relativitätstheorie, welche das Phänomen „Zeit“ auf einmal nicht mehr fix und unantastbar erscheinen lässt, sondern abhängig von einem Beobachter, der die Zeit betrachtet. Auf einmal ist alles „relativ zu einem Beobachter“, wodurch der „neutrale“ Beobachter Teil des Phänomens wird. Weitere Theorien wie die Quantentheorie hat Einstein maßgeblich beeinflusst. Die moderne Physik lehrt uns, dass auf einmal gar nichts mehr fix ist. Materie, so solide wie sie uns erscheint, besteht auf einmal vor allem aus nichts sowie ein paar fadenförmigen Teilchen (Stringtheorie). Und durch den Urknall, der vor etwa 13,8 Milliarden Jahren stattgefunden haben soll, entstanden in einem einzigen Ereignis Materie, Raum und Zeit. Doch woraus? Auch aus dem Nichts? Was ist dieses ominöse „Nichts“ und ist es das gleiche wie jenes, aus dem alles Solide besteht? Alles ein großes Nichts?
Die moderne Hirnforschung sowie die wissenschaftliche Erforschung von Nahtod-Erlebnissen lassen unsere an Dingen festgemachte Vorstellung der Welt neuerlich schwanken. Anscheinend deuten Ergebnisse aus beidem auf ein Bewusstsein hin, das unabhängig vom Gehirn und dem menschlichen Körper existiert. Also doch eine Seele ...?
Je mehr uns der Boden unseres rationalen Weltverständnisses direkt unter unseren Füßen fortgezogen wird, desto verständlicher wird auf einmal die Wissenschaft des Innen, wie sie in den Upanischaden niedergeschrieben ist. Das, was Sigmund Freud in Ansätzen erfasst hat, ist nur ein Teil dessen, was uns ausmacht. Hinter dem ICH steckt noch das SELBST, unser tiefster innerster Wesenskern, und für ihn gibt es keine andere Messmethode, um den Beweis seiner Existenz anzutreten, als die Erfahrung. Man kann das Selbst erleben und erfahren. Nennen Sie es Seele, nennen Sie es „das Göttliche in uns“ oder nennen Sie es sogar Gott, ganz gleich, da dort, wo Sie diese Erfahrung machen, Worte nicht hinkommen, Bezeichnungen nur Annäherungen für unseren Verstand sind, Namen nur Hilfeschreie unseres beschränkten Erfassungsvermögens darstellen. Vielleicht ist dieses Selbst genau jenes Bewusstsein, das nicht an einen Körper gebunden ist, von dem Wissenschaftler heute sprechen, das schon ewig da ist und ewig existieren wird. Ewigkeit ist eine Dimension, die nicht durch den Urknall definiert wurde. Ewigkeit ist in dem Nichts enthalten, aus dem der Urknall sein Baumaterial schöpft, dem Nichts, aus dem unser Körper und alles von unseren Sinnen Erfassbare besteht. Vielleicht ist unser wahres Selbst genau dieses göttliche Bewusstsein und das Nichts, aus dem alles entstanden ist und alles besteht, die realen Dinge, das Futter für unsere Sinnesorgane, der „Beobachter“; alles nur ein bisschen schwirrende Energie im Raum-Zeit-Gefüge …
Ich möchte Sie mit diesem Buch auf die Reise zu unserem wahren Selbst einladen. Die Reise beginnt bei den Upanischaden und führt dann kreuz und quer auf unserer Erde in die verschiedenen Kulturen, zu verschiedenen Zeiten. Und das Faszinierende ist: ALLE reden seit Anbeginn menschlicher Aufzeichnungen im Grunde immer vom selben, betrachtet aus verschiedenen Perspektiven, gefärbt durch die Farbe der Zeit, der Kultur und der Sprache.
Und ich möchte Ihnen eine gut verständliche Gebrauchsanleitung, wie man zum wahren Selbst gelangen kann, anbieten. Der Weg des Yoga ist genau das. Sein Wissen entspringt in den Veden, den Upanischaden, und erlebt eine ständige Verfeinerung über die Jahrhunderte, was in wegweisenden Schriften wie der Bhagavad Gita, dem Yogasūtra, dem Śivasūtra und dem Vijñanabhairava Tantra festgehalten ist. Uns interessiert aber nicht nur, was man in Indien erlebt und erdacht hat, sondern wir blicken weiter nach China und zu seinen großen Werken, wie dem Daodejing, den Worten des Konfuzius und dem Huangdi Neijing Su Wen, ziehen weiter nach Griechenland zu Platon und seinen Vorstellungen, sehen uns das entstehende Christentum und spannende Werke wie das Thomas-Evangelium an, betrachten den Weg des Buddha und die Entwicklung des Zen-Buddhismus und gelangen über Einzelschicksale der Mystiker in unsere moderne Zeit.
Eine große Erfahrung, ein großes Wissen. Alles eins. Mich interessiert das Verbindende, nicht das Trennende. Zu lange hat jedes Volk und jede Weltreligion geglaubt, den Weg alleine gehen zu müssen. Doch es wird immer enger da draußen. Immer mehr Menschen nehmen sich immer mehr von unserer Erde und hinterlassen immer mehr Zerstörung und Verwüstung. Vielleicht kann uns das Bewusstsein, dass wir nicht nur alle in einem Boot sitzen, sondern dass wir im Grunde alle das Gleiche denken, wünschen, glauben und hoffen und dass hinter all den Phänomenen unserer Welt eine einzige große Wahrheit steckt, die sich uns allen offenbaren kann, so vereinen, dass wir fortan nur mehr an einem Strang ziehen, nämlich an dem, der unsere Welt wieder aus dem Dreck zieht …
Dieses Buch hat mir sehr viel abverlangt. In der intensiven Beschäftigung mit den diversen Texten stieß ich immer wieder an Grenzen der Übersetzungen. Daher habe ich kurzerhand zwei Texte, das Yogasūtra von Patañjali sowie das Śivasūtra von Vasugupta, neu aus dem Sanskrit übersetzt. Diese Fertigkeit verdanke ich meinen Lehrern der Yoga- und Sanskrit-Ausbildung Dagmar Shorny, Ria Hodges und R. Sriram. Durch die Wort-für-Wort-Übersetzung konnte ich die Texte bis in den Grund verstehen und hoffe, Ihnen diese verständlich und anschaulich erklären zu können.
Die indische „Devanagari“-Schrift ist eine Silbenschrift und braucht bei der Übertragung in unsere lateinischen Schriftzeichen Über- und Unterstriche sowie Punktierungen, um dem Klangreichtum des Sanskrit Ausdruck zu verleihen. In Devanagari gibt es keine Groß- oder Kleinschreibung. Als Kompromiss für die Lesbarkeit und das einheitliche Schriftbild verwende ich bei den Sanskrit-Worten all die Hilfen mit Punkten und Strichen, schreibe Sanskrit-Worte im laufenden Text groß und kursiv, wenn es sich um Nomen handelt, und klein und kursiv, wenn ich eine Übersetzung in Klammer angebe. Sprechen Sie vielleicht einmal alle Sanskritbuchstaben der nachfolgenden Aufstellung aus, damit Sie von Anfang an den Klang der Sanskrit-Worte in sich aufnehmen.
Weiters habe ich im Dienste des Leseflusses auf das moderne Gendern verzichtet, also bei jeder Adressierung sowohl die weibliche als auch die männliche Form (also zum Beispiel Yogini und Yogi; Arzt und Ärztin) anzugeben. Die männliche Form ist bitte immer als Überbegriff für die männliche und weibliche Form zusammen (im Sinne der Einheit) zu verstehen. Mir ist es ganz wichtig, dass Sie sich ALLE angesprochen fühlen und dass gleichzeitig das Lesevergnügen maximal ist. Ich hoffe, Sie können mit diesem Kompromiss gut leben …
Wenn wir in unserer westlichen Welt von Yoga sprechen, meinen wir meistens eine Art Workout, eine Zusammenstellung körperlicher Übungen mit dem Ziel, sich besser zu fühlen, oder eine Art Entspannungstraining. Yoga ist beides und beides hat seine Berechtigung. Doch vor allem ist Yoga viel mehr. Workout und Entspannung sind ein Teil des achtgliedrigen Yoga-Weges. Das Ziel des Yoga ist es, den Geist mit seinem Denken und Fühlen zur Ruhe zu bringen und in Samādhi, der tiefsten Form der Versenkung in der Meditation, das wahre Selbst als Teil der großen Einheit, des Göttlichen oder Gottes, wie immer Sie es nennen wollen, zu erfahren. Durch diese Erfahrung ändert sich alles. Der Zustand entspricht dem, was Mystiker als „Gotteserfahrung“ bezeichnen. Dort wollen wir hin. Aber davor müssen wir lernen, das Ziel loszulassen … Darum soll es in diesem Buch in aller Ausführlichkeit gehen. Wenn Sie also ein Yoga-Buch mit Āsanas, den Körperübungen, und Entspannungsübungen suchen, sind Sie bei diesem Buch falsch. Aber da gibt es am Markt ja mittlerweile unendlich viele wunderbare Werke!
Der Begriff „Gott“ wird von vielen Menschen heute nicht gerne in den Mund genommen. Zu sehr ist der Begriff mit persönlichen Erfahrungen mit einer Kirche oder einer Institution verbunden, zu oft glaubt man, als „aufgeklärter Mensch“, der wissenschaftlich denkt, Widersprüche zwischen unserer modernen westlichen Sichtweise der Welt und einer „Gottheit“ zu erkennen … Auch deshalb hat der Zen-Buddhismus in unserer Gesellschaft einen hohen Zulauf, weil kein Gottesbegriff fällt, obwohl man eigentlich den gleichen Weg geht und das Gleiche meint. Auch aus dem Zen nimmt man sich gerne die „Entspannung“, die „Ruhe“, den „Stressabbau“ und die „Auszeit aus dem Alltag“ heraus. So sind wir westliche Menschen. So wurde der Kolonialismus jahrhundertelang betrieben: Nehmen, was man braucht, und den Rest verwerfen und oft als „esoterisch“ entwerten. Aber Yoga ist das ganze Paket, das volle Programm. Als Kṛṣṇamacharya, einer der indischen Pioniere des Yoga im 20. Jahrhundert, mit dem Westen in Kontakt kam, wollte er die Menschen nicht mit dem indischen Gottesbegriff und der Tradition des Hinduismus überfordern und nahm bewusst den Begriff „Gott“ aus allem heraus. Und das, was seine Schüler wie T. K. V. Desikachar oder B. K. S. Iyengar in den Westen brachten, war vollkommen frei von Religion oder Gottesverehrung. Im Yoga geht es auch nicht darum, an einen Gott zu glauben, sondern das Göttliche zu erleben. Wie oft verwenden wir Gott in unserer Alltagssprache, ohne deshalb zurückzuschrecken, wie in „Grüß Gott“, „Gott, schmeckt das gut!“, „Die Frau ist eine Göttin!“, „Ein göttliches Getränk“, „Du bist ein Gottesgeschenk“ und so weiter. Wenn man Yoga in seiner ganzen Dimension verstehen möchte, gehört die Beschäftigung mit dem „Übernatürlichen“ dazu. Das heißt nicht, dass man deshalb als moderner Mensch „irrational“ denkt, sondern dass man die „nicht sichtbare, aber erfahrbare Dimension“ in der Betrachtung mitberücksichtigt. Also kein Kolonialismus, sondern ein tiefes Einlassen auf eine große Wahrheit, und Sie werden sehen, es lohnt sich.
Alles, was im Leben einen Tiefgang erreichen möchte, braucht intensive Beschäftigung und regelmäßiges beharrliches Üben. Aber man kann sich diese intensive Beschäftigung auch leichter machen und für das regelmäßige beharrliche Üben Inspiration suchen in wunderbaren ewiggültigen Worten, tiefen Weisheiten, spannenden Lebensgeschichten oder einfach lustigen Zeichnungen. Dafür habe ich dieses Buch geschrieben. Es soll Ihnen ein lieber Begleiter auf Ihrem spirituellen Yoga-Weg sein. Und wenn Sie bereits eine fleißige Yogini oder ein fleißiger Yogi sind, die oder der täglich auf ihre oder seine Matte geht und dort in sich, soll dieses Buch Ihr Yoga um eine Dimension reicher machen …
Na dann, beginnen wir unseren Weg ganz am Anfang der schriftlichen Aufzeichnungen der Menschheit …
a kann
ā Roman
i Wind
ī Krise
u kurz
ū Kuh
ṛ r mit zurückgezogener Zunge wie im Englischen „Friday“ (Freitag)
e Schnee
ai Keim
o Sohle
au Frau
ṃ nasal gesprochen (wie wenn Sie die Nase zuhalten ...)
ḥ der Vokal davor wird ausgehaucht
ṅ Hang
c Tschechien
j Dschungel
jñ wie „gnj“
ñ Sonja
ṭ t mit zurückgezogener Zunge und Zungenspitze am Gaumen
ḍ d mit zurückgezogener Zunge und Zungenspitze am Gaumen
ṇ n mit zurückgezogener Zunge und Zungenspitze am Gaumen
t t mit der Zungenspitze unter den Vorderzähnen des Oberkiefers
d d mit der Zungenspitze unter den Vorderzähnen des Oberkiefers
y ja
v wo
ś ich (Zungenspitze hinter die Vorderzähne des Unterkiefers)
ṣ Schule (mit zurückgezogener Zunge und Zungenspitze am Gaumen)
s Kuss
Etwa 2000 Jahre vor Christus wanderte eine Volksgruppe, die Vedisch sprach und sich selbst als arya, also „edel“, bezeichnete, in den Nordwesten des indischen Subkontinentes, zunächst in das Tal des Indus und später des Ganges, ein. Vedisch war eine indogermanische Sprache und ein Vorgänger des Sanskrit. Die Arya („Arier“) trafen dort auf die Überreste der Harappa-Kultur, der Indus-Kultur, welche sich entlang des Flusses Indus entwickelt hatte. Dies war ein fast tausendjähriges Volk, welches regen Handel trieb und kulturell hoch entwickelt war. Aus der Verschmelzung dieser beiden Völker, den Ariern und den Indus, entstanden die Inder. Die Arier brachten ihre Götter und ihre Religion mit, welche geprägt war von Opferritualen und beschwörenden Gesängen, welche in einer Frühform des Sanskrit, der heiligen Sprache Indiens, verfasst waren. Diese Hymnen entstanden etwa 1500 vor Christus, und zeigen die Verbundenheit der Kultur mit der Natur und ihren Kräften. So wurde den elementaren Urgewalten der Natur Götter, Devas, zugewiesen. Agni ist das Feuer an sich, welches die Opfergaben verzehrt und dem Gott darbringt, und der Gott des Feuers selbst. Indra ist das Unwetter und der Gott des Krieges und des Donners, Vāyu ist der Wind und der Gott des Windes, Ratri ist die Nacht, Usha die Morgendämmerung, Sūrya die Sonne. Savitri ist der Gott, der Leben erschafft, und Yama ist der Tod. Yama war der erste Mensch, der gestorben ist und in die Unterwelt gelangte. Er wurde zum Gott des Todes.
Die Götter waren freundlich und den Menschen gewogen. Doch all die Götter sind nur Bilder des Einen, Erscheinungsformen der Natur des einzigen Höchsten Wesens. Hinter all den unzähligen indischen Gottheiten steckt bis heute der Eine, die Wahrheit, Brahman (Sanskrit brahman, neutral). Jeder kann sich seinen Gott so vorstellen, wie er will, so benennen, wie er möchte. Bis heute.
Die Hymnen waren poetisch verfasst. Sie wurden von den Brahmanen, den Priestern, vorgetragen und dazu wurden Rituale und Opferungen vollführt. Priester verfassten Kommentare zu den Riten, damit ihre Funktion nicht in Vergessenheit geraten sollte. Hymnen und Kommentare wurden auswendig gelernt und mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. Das sind die Veden, Indiens heilige Schriften. Veda kommt von dem Wort vid für „wissen“. Doch die Veden sind nicht einfach „schöne poetische“ Texte. Sie sind Śruti, Wissen, das den Weisen offenbart worden ist. Die Veden haben keinen Anfang und kein Ende, sie sind lose Texte, in vier Sammlungen zusammengefasst: Rig, Sāma, Yajur und Atharva, wobei der Rig-Veda die älteste Sammlung ist. Die Entstehung seiner Hymnen dürfte bis ins 15. Jahrhundert vor Christus reichen, sodass wir hier einen der ältesten religiösen Texte der Menschheit vor uns haben. Jeder Veda besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil befasst sich mit Ritualen und der Ausübung der Religion, der zweite Teil hebt sich deutlich vom ersten ab. Er hat meist nicht einmal Angelpunkte zum ersten Teil. Der zweite Teil sind die Upanischaden (Sanskrit upaniṣad). Sie werden auch als Vedānta, als „Ende des Veda“ bezeichnet, zumal sie als letzte Texte in den Kanon des Veda aufgenommen worden sind. Sie erzählen Geschichten, in denen erlebtes und erfahrenes Wissen weitergegeben wird. Man kann also nicht von einer Philosophie sprechen, die sich theoretisch mit einem Thema befasst. Die Upanischaden beschreiben, was die Weisen, die Brahmanen, über Jahrtausende entdeckt haben, während sie auf der Suche nach Wahrheit in sich hineinblickten. Das, was man da tief in sich drinnen findet, ist nicht leicht zu verstehen und bedarf viel Mühe, Zeit und Arbeit an sich selber. Upaniṣad bedeutet „sich nahe hinsetzen“. Damit wird die Situation angesprochen, dass sich Schüler zu Füßen eines erleuchteten Meisters, eines Weisen, hinsetzen und ihre Unterweisung erhalten. Damals wie heute ist das so in Indien, und meist lebt und lehrt der Meister von der Welt zurückgezogen in einem Ashram (von Sanskrit āśrama, maskulin, „Ort der spirituellen Praxis“), einer „Waldschule“, wie in einer großen Familie, mit eigener Familie und Schülern. So lernt der Schüler nicht nur anhand der Schriften, sondern auch anhand des Lebens, das ihnen ihr Meister vorlebt. Solche Szenarien sind es auch, die in den Upanischaden beschrieben werden. Dabei sind die Weisen in den Erzählungen oft Frauen und unter den Unterwiesenen sind auch Könige. Die Upanischaden sind nicht als Unterweisung gedacht, sondern vielmehr als Inspiration. Sie bilden auch kein durchgehendes Lehrgerüst, sondern stehen jede für sich alleine da. Sie wollen Momente der Erleuchtung festhalten, Momente, in denen der Meister es auf den Punkt bringt. Und dabei geht es um die Innenschau, das Richten des Blickes nach innen, um dort alle großen Fragen des Lebens und des Todes beantwortet zu finden.
Shankara (Sanskrit śankara), ein bedeutender Mystiker des 8. Jahrhunderts, hat zehn der Upanischaden zu den „Hauptupanischaden“ gemacht.
Die Upanischaden sind zwar in den Kontext der Veden, welche sich um die Religionsausübung und deren Rituale kümmern, eingepackt, brauchen diese aber nicht. Die Upanischaden sprechen nicht von Religion, sondern von jener Kraft, die das Universum und alles erschuf. Diese Kraft ist alles, was für immer besteht und sich weder in Zeit noch Raum verändert. Diese Kraft ist Brahman, die auch als höchste Göttlichkeit übersetzt werden kann, und ist jener Teil in uns, der ewig währt und nicht von Leben oder Tod beeinflusst wird. Die Upanischaden nennen den göttlichen Grund in uns einfach Ātman, „das Selbst“. Nur wenn ich als Mensch es schaffe, mein Selbst in mir zu finden, indem ich mein „Ich“ abstreife, kann ich mich mit allem verbinden und erkennen, dass ich nicht einfach Körper bin, sondern viel mehr, dass ich unsterblich bin ... Sie merken schon an der Dichte dieser Aussagen, dass sich dieses Wissen nicht einfach geistig erfassen lässt. Wie soll man Dinge beschreiben, für die es keine Worte gibt, Dinge jenseits der Worte, jenseits von Raum und Zeit? Die Upanischaden verraten Geheimnisse, die uns alle betreffen, alle Lebewesen dieser Welt. Doch dieses Wissen erschließt sich nur wenigen. Und von diesen wenigen finden nur ganz wenige den Weg, sich mit dem großen „Weltgeist“, wie ihn Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“ beschreibt, dem Alles, zu vereinen und über diese Einheit die Grenzen von Leben und Tod zu überwinden. Die Belohnung dieses jahrelangen Bemühens ist, dass man die Angst vor dem Tod verliert und dass man in sich die Unendlichkeit, das Alles, die Kraft des Universums, das Göttliche erlebt. Nicht das geistige Erfassen, das „Verstehen“, ist unser Ziel. Sondern das Erfahren. Darum der Yoga-Weg, der das Geheimwissen der Upanischaden, welches sich ursprünglich nur einzelnen Auserwählten eröffnet hat, für all jene erschließt, die willens sind, den Weg zu gehen.
Ich möchte Ihnen dieses große Wissen, welches die Upanischaden der gesamten Menschheit schenken, direkt an einer Upanischade nahebringen, der Katha-Upanischad. Sie ist eine der jüngeren Upanischaden und fasst Weisheiten vorheriger Hymnen wunderbar zusammen. Auch hat die Katha-Upanischad einige Gemeinsamkeiten mit einem weiteren Werk der Weisheit der indischen Geschichte, der Bhagavad Gita: Beide erzählen die Geschichte eines „Helden“ auf der Suche nach Weisheit. Beide finden an einem Ort statt, wo man Weisheit wohl kaum vermuten würde: In der Katha-Upanischad geht ein Teenager zum König des Todes, um das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erfragen, in der Bhagavad Gita bittet der Krieger und Prinz Arjuna am Abend vor einer großen Schlacht direkt am Schlachtfeld seinen unsterblichen Lehrer Sri Kṛṣṇa um Rat. Wir identifizieren uns automatisch mit dem Helden, leiden mit ihm mit, wollen seine Fragen beantwortet wissen. Und so sind Geschichten der Weisheit in spannende Erzählungen verpackt und halten den Leser und den Studierenden bei Laune.
Es gibt ein episches Werk aus Indien, das etwa 1000 vor Christus entstanden ist. Episch in dem Sinne, dass es so groß ist wie Homers „Ilias“ oder das „Alte Testament“: das Mahabharata (mahābhārata, neutral, „die große Geschichte der Bharatas“). Es umfasst etwa 100.000 Doppelverse. Es ist sowohl ein Heldenepos als auch ein bedeutendes philosophisches und religiöses Werk. Darin eingebettet und wahrscheinlich getrennt entstanden findet sich die Bhagavad Gita, welche zu den Shrutis, den Offenbarungsschriften gezählt wird. Das sind Aufzeichnungen von einer direkten Begegnung mit dem Göttlichen, so wie es auch die Veden sind.
Die Rahmenhandlung beschreibt den Kampf der Kauravas gegen die Pandavas, zweier verwandter Fürstenfamilien auf dem Schlachtfeld in Kurukshetra, welches sich nördlich vom heutigen Delhi befindet. Wahrscheinlich hat dieser Kampf etwa 1000 vor Christus tatsächlich stattgefunden und sind die Geschichten um dieses Ereignis danach entstanden.
Die Hauptgeschichte: Der regierende Pandu hatte zwei Brüder: Dhritarashtra (Sanskrit dhṛtarāṣṭra), der blind war, und Vidura. Nach einiger Zeit der Regentschaft übertrug Pandu den Thron an seinen blinden Bruder Dhritarashtra und zog sich mit seinen zwei Frauen in die Wälder zurück. Dort zeugte er fünf Söhne, die Pandavas („Söhne von Pandu“), unter ihnen Arjuna. Der blinde Prinz Dhritarashtra hatte einhundert Söhne, die Kauravas, von denen der älteste, Duryodhana, der Hauptgegenspieler der Pandavas werden sollte. Schließlich haben beide Familien ein Königreich, damit der Frieden bewahrt bleibt. Aber die Kauravas organisieren ein Würfelspiel, bei dem die Pandavas ihr gesamtes Königreich verlieren. Zwölf Jahre lang halten sie sich nun im Exil auf und leben im dreizehnten Jahr unerkannt in der Gesellschaft. Doch Duryodhana verweigert ihnen ihre Rückkehr. So kommt es zum großen Krieg. Der mit beiden Familien verwandte König Kṛṣṇa, der Gott Viṣṇu in Menschengestalt ist, beteiligt sich als Wagenlenker von Arjuna an den Kampfhandlungen. Vor Beginn der großen Schlacht vermittelt Kṛṣṇa ihm die Lehren der Bhagavad Gita. Nach dem großen Kampf mit schweren Verlusten auf beiden Seiten gewinnen die Pandavas und führen ihr Volk in eine glückliche Zeit. Nach einigen Jahren wandern die fünf Pandava-Brüder mit ihrer gemeinsamen Frau Draupadi in den Himalaya. Bis auf Yudhishthira (Sanskrit yudhiṣṭhira), einen der Brüder, versterben alle unterwegs. Ein Hund folgt ihm bis zum Himmelstor. Dort muss Yudhishthira Prüfungen überstehen und sieht seine Lieben in der Hölle schmoren. Yudhishthira darf in das Himmelsreich einziehen. Doch er möchte lieber bei seinen Brüdern, seiner Frau und dem Hund bleiben. Nun fällt sein menschlicher Körper von ihm ab und er erkennt, dass alles, was er erlebt und durchlebt hat, nur ein Trugbild und eine Prüfung gewesen war.
Shankara (Sanskrit śankara, für Anfang, Ursprung, um 788 in Kerala geboren, gestorben 822), der bekannte indische Lehrer und Philosoph, überging fast 100 Upanischaden und wählte zehn zentrale Upanischaden und die Bhagavad Gita als die wichtigsten Quellen des Hinduismus aus.
Die Bhagavad Gita (Sanskrit gītā, feminin, für Lied, Gedicht; bhagavan für der Erhabene, Gott; „der Gesang des Erhabenen“), von den Indern liebevoll „Gita“ genannt, dürfte von einem weisen Seher an geeigneter Stelle in das Epos Mahabharata eingeführt worden sein. Jedes einzelne Kapitel endet mit der Formulierung: „In der Bhagavad-Gita-Upanischad, dem Text über die höchste Wissenschaft (brahmavidya, „die Wissenschaft, nach innen zu schauen“) des Yoga, ist dies das Kapitel mit dem Titel ...“
Im ersten Kapitel wird eine inhaltliche Brücke zu dem Epos hergestellt. Ansonsten hat die Gita inhaltlich nichts zu der Handlung beizutragen.
Am Beginn der Gita sind die beiden Fronten für die Schlacht aufgebaut. Nach der jahrelangen Zwietracht zwischen den Häusern der Kauravas und Pandavas wird es zum Krieg kommen. Das ist unausweichlich. Der blinde alte König Dhritarashtra weiß, dass sein Sohn Duryodhana im Unrecht ist. Er hat sich nicht eingemischt, als dieser der Gattin Arjunas öffentlich die Kleider vom Leibe reißen hat lassen, um die Familie zu demütigen. Er hat nichts gesagt, als der Sohn die ganze Familie Arjunas meuchlings ermorden wollte. Arjuna und seine Familie hatten Anrecht auf ihr Land, das ihnen Duryodhana hinterlistig streitig gemacht hatte. Arjuna wollte sogar nur ein bisschen Land, damit seine Familie dort leben konnte. Nicht einmal das hatte Duryodhana ihm genehmigt. Doch der König mischt sich nicht ein und lässt den Dingen ihren Lauf ... Am Vorabend vor dem Kampf steht Prinz Arjuna aus dem Hause der Pandavas auf dem Schlachtfeld und betrachtet aus der Ferne seine Lehrer, seine Vetter und zahlreiche Wohltäter, Freunde und Kameraden. All diese guten Menschen sollen nun auf einmal seine Feinde sein? Gegen sie soll er in den Kampf ziehen? Die Gefühle überwältigen ihn. Er kann kaum noch sprechen. Er fragt seinen Wagenlenker und langjährigen besten Freund Kṛṣṇa (Sanskrit kṛṣṇa – eine Form des Göttlichen), was er tun solle. Soll er wirklich gegen Freunde und Cousins kämpfen? Muss er einen Kampf führen, nur weil er im Recht ist?
Jetzt folgt eine detailgetreue Unterweisung in etwa 700 Versen über das Wesen der Seele und ihre Beziehung zu Gott, die verschiedenen Ebenen des Bewusstseins und der Wirklichkeit und darüber, wie die Welt der Erscheinungen beschaffen ist. Am Höhepunkt erlebt Arjuna eine mystische Erfahrung, in der Kṛṣṇa sich als Herr des Lebens und des Todes offenbart. Er rät Arjuna allen Menschen gegenüber, Freund und Feind, mitfühlend zu sein. Er solle den Kummer anderer als seinen eigenen erleben. Dann ist die Gita zu Ende und die Geschichte des Epos geht weiter. In der Schlacht kommt es zu einem Gemetzel, aus dem Arjuna siegreich hervorgeht. Aber auf beiden Seiten sind fast alle tot.
Warum steckt ein so weiser Text wohl in einer Kriegsgeschichte? Dazu gilt es, zwei Begriffe zu erklären: Dharma und Karma.
Dharma ist das, was mich ausmacht, das, wer ich bin, was meinem Wesen entspricht. Ich muss mich selbst kennen, damit ich weiß, wer ich bin. Nur wenn ich um mein Dharma weiß, kann ich gute und richtige Handlungen setzen.
Dazu die Geschichte vom Weisen und dem Skorpion:
Ein Weiser sieht, wie ein Skorpion in den Ganges fällt. Um ihn zu retten, zieht ihn der Weise aus dem Wasser und rettet ihn. Der Skorpion sticht ihn. Einige Zeit später sieht der Weise wieder, wie der Skorpion ins Wasser fällt und vermutlich ertrinken würde. Er rettet ihn abermals und wird dafür abermals gestochen. Ein Wanderer hat diese Szene beobachtet und ruft dem Weisen zu: „Heiliger, warum machst du das ständig? Du weißt doch nun schon, dass dich der Skorpion immer wieder stechen wird?“ Und der Weise antwortet: „Es ist das Dharma eines Skorpions zu stechen. Und es ist das Dharma eines Menschen zu erretten.“
Dharma bedeutet so viel wie Bestimmung, Richtigkeit, Gerechtigkeit, Tugendhaftigkeit.
Die Idee dahinter ist in den Upanischaden verankert: Alles ist eins, die Natur, alle Lebewesen, das Weltall, die gesamte Schöpfung. Dieses Einssein funktioniert, weil alles seiner Bestimmung, seinem Dharma, folgt. Tanzt nur ein Element aus der Reihe, hat das einen Effekt auf das große Ganze. Jede Störung sendet kleine Wellen in alle Richtungen. Das Leben ist eine komplexe Verbindung von unendlichen Vernetzungen:
Die Schlussfolgerung daraus: Niemand ist alleine auf dieser Welt. Alle hängen wir zusammen, gehören zusammen, beeinflussen uns immer und überall gegenseitig.
Eine sehr alte Sanskrit-Inschrift lautet: Ahiṃsā paramo dharma. Der höchste Dharma ist Ahiṃsā, die Gewaltlosigkeit, die universale Liebe zu allen lebenden Geschöpfen. Jede Art von Gewalt ist eine Verletzung des Dharma.
Jede Handlung, jeder Gedanke hat Folgen. Das ist das Gesetz des Karmas. Karma, wörtlich aus dem Sanskrit übersetzt, bedeutet Handlung, Tat. Das Gesetz des Karmas bedeutet, dass jedes Ereignis eine Ursache und eine Wirkung hat. Jede Handlung, jedes Karma, ist selbst die Folge anderer Handlungen, vergangener Karmas.
Nehmen wir die Geschichte des Weisen und des Skorpions als Beispiel: Der Weise sitzt am Rande des Ganges und beobachtet den Skorpion