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Krisen können Ökonomien von innen heraus verändern, neue Epochen einleiten und Kultursysteme neu konfigurieren. Beispiele sind die Renaissance, die Aufklärung, das industrielle Zeitalter, die Konsumgesellschaft, die POP-Ära u.a Viele dieser Epochen hatten ebenfalls symbolische Auslöser, die etwas zum Durchbruch brachten, was latent bereits in der Gesellschaft vorhanden war. Die Coronakrise beendet die Ära der ungebremsten Erhitzung und Beschleunigung, des Steigerungswahns der letzten Jahrzehnte und der entfesselten Industrialisierung. Dieses Buch knüpft an Die Zukunft nach Corona an, ohne eine Corona-Bilanz zu sein. Es kreist erneut um den Begriff der RE-GNOSE, der zu einer Art Kultbegriff geworden ist. Es zeigt die aktuellen Mindshifts und erklärt wie sich die Zukunft in uns immer wieder neu erfindet.
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Die Hoffnung nach der Krise
Matthias Horx (*1955) ist einer der einflußreichsten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Seine Leidenschaft gilt seit über 30 Jahren den Transformationsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft. Nach seinem Soziologiestudium in den achtziger Jahren schlug er die journalistische Laufbahn ein und schrieb u. a. für TEMPO, MERIAN in die ZEIT. Als Publizist und Buchautor beschäftigte er sich vor allem mit dem Wertewandel, Jugendkulturen und den Modernisierungsprozessen in der Gesellschaft. 1993 war er Mitgründer des TRENDBÜRO Hamburg, Deutschlands erster Trend-Beratungsagentur. 1998 gründete er das Zukunftsinstitut, einen Prognose-Think-Tank, der heute zahlreiche auch internationale Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen berät. Seit 2007 ist er Dozent für Trend- und Zukunftsforschung an der Zeppelin-Universität am Bodensee. Matthias Horx ist Autor mehrer Bestseller. U.a. "Wie wir leben werden" und "Das Megatrend-Prinzip".
Matthias Horx
Wohin die Welt jetzt geht oder wie Zukunft sich immer neu erfindet
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-2574-3© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Alle Rechte vorbehaltenBildredaktion: Bettina LambrechtUmschlaggestaltung: Brian BarthAutorenfoto: © Klaus VyhnalekE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com
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Der Autor / Das Buch
Titelseite
Impressum
Motto
EinleitungDas tiefe Echo der Pandemie
Was, wenn wir es ganz gut gemacht hätten?
Die Krise als AbenteuerEnttäuschungen und Hoffnungen
Das Phänomen der dritten Phase
Die Epidemie des Zynismus
Die große Beleidigung
Das Paradox der KriseKatharsis und Kreativität
Wie Katastrophen die menschliche Kultur verändert haben
Der neue Möglichkeitsraum
Technik und Soziotechnik
Die Kraft der Resilienz
Das Gesundheitsparadox
Krisen als Powershift
The Big Shift: Gene, Meme, Popkultur
Das AIDS-Paradox
Das Geheimnis des FortschrittsWarum die Welt trotzdem besser wird
Der Magier der Möglichkeiten
Die Schleifen-Welt
Vom Moralismus zum Possibilismus
Das FOBO-Prinzip: Warum wir Angst vor dem Besseren haben
Die »drei W« der Krise
Das Corona-UpgradeNeun Metatrends für die 2020er-Jahre
Die digitale RevisionEine neue Ära des Internet beginnt
Die digitale Religion
Die Stunde der Ketzer
Corona als digitale Aufklärung
Das Technolution-Prinzip
Der digital-emanzipierte Mensch
Verbundener IndividualismusVom neuen Ich im neuen Wir
Individualismus versus Individualität
Das soziale Biom
Work-Life-FusionDie neue Arbeitslebenswelt
Das »FORTO«-Syndrom – »Fear of Returning To the Office«
Selbstsüchtige Systeme
Die neue Arbeitsknappheit
Die Work-Life-Fusion
Die Mindshift-BewegungVom Wandel des Bewusstseins in der Aufmerksamkeitsökonomie
Fake Feelings
Concept Creep – Wie die Realität aus dem Ruder gerät
Die sieben Dimensionen des Concept Creep
Die Mind-Revolte
Wissende Ignoranz oder die Aufmerksamkeits-Rezession
Die urbane WendeDie Verwandlung der Städte – und des »flachen« Lands
Die urbane Metamorphose
Die Beziehungsarchitekten
Die Verdörflichung des Urbanen
Progressive Provinzen
Feminisierte RevoltenDie neuen »Gender Wars«
Retro-Feminismus und radikalisierte Männer
Die neuen Revolten
Die blaue RevolutionDer Durchbruch der postfossilen Transformation
Der blaue Aufbruch
Die ökologischen Mindfucks
Die Regnose der Ökologie
Die ruhenden ReisendenVermutungen über einen anderen Tourismus
Wir feiern, bis der Arzt kommt
Das Beispiel Venedig
Die Neo-ReligionEntwicklungen der säkularen Spiritualität
Radikalisierte Esoterik
Säkulare Religion
Der neue Stoizismus
Meditatione malorum
Humanistischer Futurismus
NachwortZurück in die Zukunft
Die Grenzen der Hoffnung
Sich selbst verantworten können
Die Schleife des Werdens
Widmung
Literatur
Anmerkungen
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Motto
Die folgenden beiden Illustrationen stammen von meinem Sohn Julian Horx. Er hat die »Beings« erfunden: blaue, formbare Wesen, die sich unentwegt selbst in Bezug auf die Welt verändern. Die Grafiken sind Ausschnitte aus dem CORONA – TRIPTYCHON DES SCHRECKENS, das Sie unter Julian-Horx.com in voller Größe bewundern können.
Pandemische Vertilgung. Das Virus verschlingt und dekonstruiert uns und setzt uns in große Verwirrung. Es setzt uns Aluhüte auf und lässt uns auf kleinen, unsicheren Inseln zurück.
Julian Horx
Die Regnose. Wenn wir mit vereinten Geistern in einer endlosen Schleife aus der Zukunft zurück in die Gegenwart schauen, entsteht der Effekt der Voraus-Sicht durch Rück-Sicht.
Julian Horx
Im Sommer 2020, ein halbes Jahr nach dem ersten Lockdown, der die Welt veränderte, wenige Wochen, nachdem ich meinen Aufsatz »Die Welt nach Corona« veröffentlicht hatte, lag ein äußerst analoger Brief in meinem Briefkasten. Ein Briefumschlag, aus dem sich in einer eleganten Frauenschrift auf feinem Schreibpapier (mit Wasserzeichen) folgender Text entfaltete:
Was Sie schreiben, ist sicher gut gemeint. Aber es ist längst zu spät, der Karren wird nicht mehr herumgerissen werden können. Corona zeigt, dass die Natur sich gegen uns erhebt. Die Wirtschaft ist ein Todesmarsch ins unbegrenzte Wachstum, die Bevölkerung der ärmsten Länder steigt und steigt. Selbst wenn die Entwicklung heute gestoppt werden würde, sagte mir neulich ein Wissenschaftler, würde alles noch ewig weiterlaufen und die Vernichtung von Mensch und Erde vorantreiben. Aber die Erde kommt auch gut ohne den Menschen aus, sehr gut sogar. Wir ruinieren uns eben selbst, solange wir noch können, und deshalb geht alles den Bach runter.
So empfindet
Helene Müller aus Bergisch-Gladbach
Kennen Sie diesen Sound? Der Untergang als Konsequenz der Geschichte. Die Verderbtheit des Menschen.
Und ist das nicht wunderbar geschrieben? Geradezu poetisch?
Haben Sie selbst schon manchmal so gedacht?
Es lohnt sich, diesen Brief intensiver zu lesen. Karren. Todesmarsch. Vernichtung. Den Bach runter. Diese Wörter wurzeln im Schuld- und Strafdiskurs religiöser Weltbilder. Obendrein enthält die Botschaft von Helene Müller aus Bergisch-Gladbach Annahmen, die falsch sind, aber sich zäh als Weltmodelle halten. Zum Beispiel steigt die Geburtenrate in der Welt, auch der Ärmeren, schon lange nicht mehr, sondern fällt. Die »Bevölkerungsexplosion«, die viele Jahre das Schreckgespenst des Zukunftspessimismus war, ist heute widerlegt. Trends können sich verändern. Weltbilder stammen oft aus einer Vergangenheit, von der man sich nicht lösen kann. Wachstum kann auch postmateriell sein, sich von Rohstoffen und Energieverbrauch entkoppeln.
Liest man noch ein wenig tiefer in den Brief hinein, zeigen sich dort noch andere interessante Aspekte. Erstens macht sich die Autorin mit einer sehr klaren, sehr mächtigen Stimme sehr klein. Der Text hat etwas Heroisches, Pathetisches. Er handelt von der ganzen Welt und ihrem Ende. Dem Untergang. Das ist groß. Und doch schließt die Autorin ihre Betrachtung mit dem zarten Begriff der Empfindung. Gleichzeitig liegt etwas Heiteres in diesem Text. Innere Welt und äußere Wahrnehmung scheinen aufs Wunderbarste übereinzustimmen. Der Weltuntergang, der hier verkündet wird, scheint eine Art Zufriedenheit, einen Seelenfrieden, auszustrahlen.
Eine Genugtuung.
Alle Probleme sind ein für alle Mal erledigt. Alles ist vollkommen klar und ohne Widersprüche. Die Welt geht unter, und wir alle sind schuld. Man nennt das auch die dunkle Erlösung.
Könnte es sein, dass Helene Müller aus Bergisch-Gladbach sich selbst aufgegeben hat, und deshalb alle anderen Menschen, die ganze Welt, aufgeben muss?
Ich möchte Ihnen eine kleine ketzerische These anbieten.
Wir haben es eigentlich ganz gut gemacht, mit Corona.
Wie bitte?
Ich behaupte, dass wir – als Individuen, Familien, Nachbarn, als »Deutschland« oder »Europa« oder »Welt« – gar nicht so schlecht mit dieser gewaltigen Herausforderung einer Pandemie umgegangen sind.
Merken Sie, wie dieser Satz gar nicht geht? Man kann über die Corona-Krise so ziemlich alles sagen. Aber das nicht!
Ist nicht alles vollkommen schiefgegangen? Ein einziges Desaster? Hat die Politik nicht total versagt? Die Wegschließ-Mentalität! Die Impfkatastrophe! Die schrecklichen Corona-Gegner, die allerorts durch die Straßen zogen und die Gesellschaft spalteten! Die mangelnde gesellschaftliche Solidarität! Die steigende Ungleichheit! Die leidenden Kinder! Die Ignoranz der Behörden! Die vielen Toten!
Was wäre, wenn dieses Stakkato der Unzumutbarkeiten nicht die Wirklichkeit, sondern nur ein Ausdruck unserer übersteigerten Ansprüche wäre?
Wir hätten es wie die Neuseeländer machen müssen – eine erfolgreiche No-Covid-Strategie, die die Gesellschaft vereinte.
Aber wir waren eben nicht Neuseeland. Wir leben nicht auf einer weit entfernten Insel. Wir hatten keine jugendliche Power-Frau wie Jacinda Ardern als Kanzlerin, die die Nation einte. Wir haben unsere Schwierigkeiten mit der »Nation«.
Wir hätten es so konsequent wie die Chinesen machen müssen!
Wirklich?
Haben nicht die USA und Großbritannien rasend schnell geimpft? Allerdings. Aber wir vergessen dabei, dass es dort vor der großen Impfkampagne eine sehr hohe Zahl von Covid-Todesopfern gab. Und dass diese Länder daraufhin einen Impf-Patriotismus betrieben, indem sie sich die ersten Kontingente der Impfstoffe mit ihrer Wirtschaftsmacht vom Markt wegkauften. Irgendjemand hätte in diesem Spiel immer den Kürzeren gezogen.
Corona war so gut wie überall eine Achterbahn. Italien hatte am Anfang ein schreckliches Trauma mit Tausenden Toten zu verkraften. Und geriet danach in eine Reformphase, die das politische System umkrempelte. Es gab Länder wie Tschechien, Portugal und Polen, wo man sich nicht auf strenge Maßnahmen einigte und dann in schreckliche Situationen geriet. Dort gingen im weiteren Verlauf die Infektionszahlen am konsequentesten zurück. Wer zu Beginn der Pandemie tadelloser Krisenmeister war, wurde in der zweiten und dritten Runde schwer gebeutelt. Und vice versa. Das zunächst verschonte Indien geriet mit der dritten Welle in eine Katastrophe. Das fast coronafreie Australien fühlte sich so immun, dass es kaum impfte. Selbst im Vorbildland Taiwan kam es nach einem Jahr Null-Strategie plötzlich zu einem heftigen Ausbruch. Es gab den schweizerischen Weg. Und den schwedischen, der überall niedergemacht wurde, aber auch seine Vorteile hatte.
Alle hatten Verluste. Alle haben Fehler gemacht. Alle haben um den richtigen Weg gerungen. Unter Streit, Leid und Tränen.
Jedes Land scheiterte auch immer wieder an seinen eigenen Ansprüchen. Seinen Lebenslügen. Seinen Illusionen. Seinen Selbstüberschätzungen.
Warum ist es so schwer zu denken, dass wir diese Krise bewältigt haben, so gut wie es irgendwie ging? Das hat womöglich mit unseren Perfektionsansprüchen zu tun. In unserer Anspruchswelt soll alles perfekt funktionieren: Staat, Ökonomie, Politik, der Nachbar. Das verlangen wir einfach, in Krisen ganz besonders.
Wir bewegen uns gerne im Abwärtsvergleich. Was nicht perfekt ist, das ist immer schlechter. Ich nenne das auch den Immerschlechterismus. Auf diese Weise werden wir undankbar. Zu uns selbst und anderen. Wir werden schreckliche Zeitgenossen.
Dabei könnte man aus der Zukunft heraus auch ganz anders über die Corona-Krise denken. Zum ersten Mal in der Geschichte haben sich so gut wie alle Länder der Erde geeinigt, ihre gesamte Wirtschaft zu riskieren, um ältere, schwächere oder fragilere Menschen vor dem frühzeitigen Tod zu bewahren.
Hat es so etwas in der Geschichte jemals gegeben? War das nicht ein gewaltiger zivilisatorischer Fortschritt? Zumindest ein Fortschrittsversuch?
Was sagt es über »die Menschheit« und ihre Zukunft aus?
Sind »wir« wirklich diese verderbten, zum Untergang verdammten Idioten, als die wir uns ziemlich oft selbst beschreiben?