Die Höhlen des Diebesgottes - Rolf Michael - E-Book

Die Höhlen des Diebesgottes E-Book

Rolf Michael

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Beschreibung

Wer ist der beste Dieb von Salassar? Die Anführer der beiden Diebesgilden nehmen die Herausforderung des Oberherrn an, ihre Kühnheit und Diebeslist unter Beweis zu stellen. Denn Mano, der Gott der Diebe, hat das „Drachenblut", ein großes, rotes Juwel, gestohlen. Ein Zauberkristall, der mit seinen magischen Kräften die Drachen davon abhält, die Menschen von Chrysalitas als ihre Feinde zu betrachten und über sie herzufallen. Doch nicht nur die ersten Diebe ihrer Zünfte, auch Sina, die man die „Katze von Salassar" nennt, dringt mit ihren Freunden in die Höhlen des Diebesgottes ein. Zusammen mit Ferrol, dem Abenteurer und Churasis, dem etwas vertrottelt wirkenden Zauberer, will sie versuchen, dem Diebesgott das kostbare Juwel zu stehlen und dafür zu sorgen, dass es an seinem angestammten Platz die Drachen von einer Vernichtung der Menschheit abhält. Gleichzeitig kann Sina durch diese Tat beweisen, dass sie der beste Dieb von Salassar ist. Mutig dringen Sina, Ferrol und Churasis mit seinem Schrat in die Höhlen des Diebesgottes ein. Und immer wieder klingt Manos höhnisches Gelächter durch die Gänge und Gelasse ... Der zweite Band der Saga um „Chrysalitas – Die Adamanten-Welt", wurde nun völlig neu überarbeitet und der heutigen Leser-Generation vorgelegt wird.

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Drei Schwerter für Salassar

Die Höhlen des Diebesgottes

Band 2

von

Rolf Michael

Fantasy

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

1. Auflage

Neuauflage Juli 2016

© 2016 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Rolf Michael

Lektorat/Korrektorat: Mia Koch und Jasmin Kreuz

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Finisia Moschiano

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

ISBN: 978-3-96068-041-3

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

»... und seit diesen Tagen vermisst der Hierophant von Decumania den Rubin, der so geschliffen wurde, dass man durch ihn hindurch alles größer sieht!«, beendete Oreander seine Erzählung.

Wieherndes Gelächter klang auf. Diese Erzählung eines kühnen Diebesstückchens gefiel allen. Zumal die Tat nicht nur mit äußerstem Mut, sondern vor allem mit größter Geschicklichkeit durchgeführt wurde.

Oreander, das Oberhaupt der Diebeszunft der ›Flinken Hand‹, hatte eine besondere Gabe, packend und mitreißend zu erzählen. Er hatte seine Zuhörer im Geiste in den großen Palast von Decumania entführt, wo er in der Gestalt eines Juwelenhändlers dem Hierophanten Volubius Cardo sein größtes Kleinod gemaust hatte.

Selbst Pholymates lachte aus vollem Halse mit. Der Oberherr von Salassar hatte alles, was in der Stadt Rang und Namen besaß, zu einem großen Fest geladen. Mindestens fünfhundert Männer und Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten der reichen Kaufmannsrepublik am südlichen Gestade der Chrysalischen See waren versammelt. Man ließ sich die auserlesenen Speisen schmecken und den schwarzen Wein aus Pyl munden.

Das eigentliche Mahl war bereits zu Ende. Nach fünfzig Gängen konnte niemand sagen, dass auch nur eine Spezialität jener Welt gefehlt hätte, die man Chrysalitas, oder auch die ›Adamanten-Welt‹ nannte.

Leicht geschürzte Sklavinnen reichten in zierlichen Körbchen süße Kuchen und schwarze Trauben zum Nachtisch, aus schön gehenkelten Karaffen ergoss sich der schwere Wein in die goldenen Pokale und nur wenige Zecher ließen es zu, dass man das berauschende Getränk mit Wasser mischte.

Oreander war die Ehre zuteilgeworden, mit seiner etwas rundlich gebauten Gefährtin zur Rechten des Oberherrn zu liegen. Aus seinen Schweinsäuglein beobachtete er den dürren Mann an Pholymates´ anderer Seite, dessen Gesicht lebhaft an eine Ratte erinnerte.

Nallorge war Anführer der Diebesgilde der ›Fließenden Finger‹. Sie stand in unmittelbarer Konkurrenz zu der Organisation, die von Oreander geleitet wurde. Nur die geheimen Zusammenkünfte an jedem Neumond, wo die Einflussgebiete in Salassar neu geregelt wurden, verhinderten offene Kriege unter den Diebesgilden.

Pholymates, der insgeheim an den zwielichtigen Geschäften der rivalisierenden Banden beteiligt war, hatte sich schon oft bemüht, die Anführer der Gilden an einen Tisch zu bekommen. Erst heute war es ihm gelungen, Nallorge wie Oreander in seiner Nähe zu wissen. Und das galt es, auszunutzen. Bei diesem Fest ergaben sich sicher Gelegenheiten, vernünftig mit den beiden zu reden.

Insgeheim hoffte Pholymates, selbst die Macht über die Diebeszünfte zu übernehmen, um einmal mithilfe dieses unsichtbaren Heeres der Nacht den Rat der Zehn auszuschalten und sich das Diadem von Salassar aufs Haupt zu setzen. Seit man vor acht Generationen den letzten Stadtkönig von Salassar mit geschorenem Bart und Haupthaar ins Exil an den Hof des Sarans von Mohairedsch geschickt hatte, wurde das heilige Diadem im Tempel Dhasors, des Weltenvaters, aufbewahrt. Seitdem wurde Salassar von den zehn geschäftstüchtigsten Kaufleuten regiert, die in jedem Jahr aus ihrer Mitte den Oberherrn wählten.

Und das konnte nur der Reichste unter ihnen sein. Der durch seinen aus Geschäftsgeist und Cleverness entstandenen Reichtum den Beweis erbracht hatte, dass er in der Lage war, eine Stadt wie Salassar so zu regieren, dass immer mehr Geld in der Stadtkasse war, als man ausgeben konnte.

Pholymates, den man den Reichen nannte, hatte nicht nur die Kontrolle über die einzige Handelsstraße von Salassar quer durch die Wüste zum endlosen Meer im Süden, sondern besaß in der Wüstenoase von Setho auch die einzige Wasserstelle. Verständlich, dass deshalb dort, mitten im unendlichen Sandmeer, das lebensspendende Nass fast so teuer war wie anderswo der Wein.

Außerdem schien Pholymates sehr gute Geschäftsverbindungen zu Haran Esh Chandor, dem Hohen Saran von Mohairedsch, zu unterhalten. Denn immerhin hatte ihm der Herrscher mit Brief und Siegel den gesamten Handel mit Edelsteinen in der Hauptstadt Ugraphur überlassen.

Daher war Pholymates schon im achten Jahr Oberherr der Stadt, die eigentlich nur noch der Form halber dem Staat Mohairedsch angehörte. Doch seit einiger Zeit schielte Pholymates nach der echten Herrscherwürde. Nur musste er es geschickt anstellen und seine Intrigen fein wie das Netz einer Mörderspinne knüpfen.

»... drei Tage sucht die Palastwache von Cheliar nach dem Halunken, der Gamander, dem Mardonios von Cabachas, den ›Stern von Uronyx‹ aus der Krone gestohlen hat!«, beendete inzwischen Nallorge seine Erzählung.

Während der Oberherr von Salassar noch einmal seinen Plan überdachte, der aus seinem Hochsitz einen Thron machen sollte, hatte der dürre, rattengesichtige Fürst der Diebesgilde die Erzählung Oreanders noch überboten. Auch dies war ein Beispiel von Tollkühnheit gewesen, wie sie nur ein Dieb von Salassar entwickeln konnte. Jeder wusste, dass der Mardonios von Cabachas jeden zehnten Mann seiner Palastwache wegen Unfähigkeit in die Steinbrüche geschickt hatte, nachdem der Dieb mit dem Kronstein entkommen war.

Nallorge rieb sich noch einmal die dürren Hände, wenn er an dieses Meisterstückchen dachte, das ihm im letzten Jahr gelungen war.

»Das war aber vor vielen Monden!«, sagte Oreander und leckte sich die fleischigen Finger. »Nur die Götter wissen, ob dir auch in dieser Dekade wieder ein solches Meisterwerk gelingt.« »Nun, Oreander!«, versuchte der Oberherr begütigend einzuwirken. »Es ist auch fraglich, ob es Euch noch einmal gelingt, mit einer ähnlichen Kostbarkeit aus dem Palast des Gott-Kaisers von Decumania zu entwischen. Immerhin ist der Tag bald wieder gekommen, wo die Fürsten der Diebe ihre Meisterschaft unter Beweis stellen müssen. Denn nur ein Meisterdieb, so kündete man mir, kann eine der Zünfte anführen!«

Pholymates spielte auf den Brauch an, dass in Salassar stets nur der klügste, tapferste oder geschickteste Dieb in der Zunft herrschen konnte. Wie die Kaufleute anhand ihres neu erworbenen Reichtums gemessen wurden, ob sie weiterhin im Rat der Zehn verblieben, so mussten auch die Fürsten der Diebesgilden stets aufs Neue beweisen, dass sie besser waren als ihre Untergebenen. Das bedeutete, dass sie besonders risikoreiche Beutezüge machen mussten.

»Was mich betrifft, so habe ich die Probe meiner Geschicklichkeit für diese Dekade bereits wieder abgelegt!«, erklärte Oreander mit selbstgefälliger Miene.

»Ach ... Ihr auch!«, kam es aus Nallorges Mund. »Nun, dann erzählt einmal!«

»Was sollen lange Erzählungen!«, rief der gedrungene Anführer der ›Flinken Hand‹. »Der Versammlungsrat unserer Gilde hat meinen Machtanspruch bestätigt. Ich kann die Beute also hier sogar vorweisen, wenn es Euch, mein Oberherr, gefällt!« Pholymates wedelte leutselig mit der rechten Hand.

»Lasst sehen, was der beste Dieb von Salassar zu stehlen vermag!«, sagte er dann grinsend.

»Der beste Dieb von Salassar ... diese schwammige Kröte?!«, fauchte Nallorge.

»Ich bin der beste Dieb in der Stadt!«

»Das beweist erst einmal, Ihr ... Ihr Knochengestell!«, fuhr Oreander hoch. Wer seine Leibesfülle beleidigte, der kränkte ihn zu Tode. Das prallbusige Weib an seiner Seite schrie auf, als Oreander vor Wut die langen Fingernägel in ihr rosiges Fleisch krallte. Nallorge maß den Rivalen mit einem kühlen Blick.

»Auch ich habe bereits die Probe für diese Dekade hinter mir!«, sagte er dann und versuchte, so etwas wie Würde in seine Sprache zu legen. »Auch ich wurde von meinen Gilden-Brüdern im Amt bestätigt. Und bei Mano, dem Gott der Diebe, schwöre ich, dass ich noch nie einen kühneren Beutezug tat. Soll ich zeigen, was ich mir am Hofe von Ugraphur beschaffte?«

»Am Hof von Ugraphur... beim Hohen Saran?«, fragte Oreander verwundert.

»Ja, es gelang mir, dem großmächtigen Herrscher etwas zu entwenden, woran sein Herz besonders hängt. Ich nahm Dienst als Wächter. Es gelang mir, einen der Männer auszuschalten, die neben jenem Thron des Sarans stehen, wo der Herrscher, nun sagen wir, recht menschlichen Bedürfnissen nachgeht. Dort lässt er sich nur von zwei seiner treuesten Gardisten bewachen. Die Götter waren mir günstig, denn der andere Wächter war von so rundlicher Gestalt, dass er mich nach meiner kühnen Tat kaum ergreifen konnte!«

Nallorge bemerkte nicht, dass Oreander bei der Erzählung erbleichte. Die Frau quietschte kurz auf und brachte sich in Sicherheit. Oreanders Finger krallten sich in die Polster.

»...der Wächter, dessen Rüstung ich genommen hatte, schlief tief und fest. Denn der Wein, den er mit mir trank, hatte eine besondere Würze!« Nallorge lachte über seinen eigenen Scherz. Nur Oreander blieb die Fröhlichkeit im Halse stecken.

»Die Helme der Wachen, die neben dem Saran stehen, sind geschlossen!«, erklärte Nallorge. »Man soll nur das Gesicht des Herrschers sehen, um nicht von dem erhabenen Antlitz abgelenkt zu werden. Für meinen Plan war das gut. Denn so kam ich unmittelbar in seine Nähe. Hätte man mich erkannt, dann wäre ich wohl zwischen vier wilde Kamele gebunden worden. So aber trug ich einen Helm, wie diese hübsche Sklavin, die mir hier Wein einschenkt, ihre Ledermaske trägt!«

»Ich habe Befehl gegeben, die Sklavinnen zu maskieren, um die Auswahl zu erleichtern!«, nickte der Oberherr und legte seinen Arm um die Hüfte der grazilen Schönheit, die sich stets mit einer gefüllten Karaffe in seiner Nähe aufhielt und nachschenkte, sobald der Spiegel der tiefschwarzen Flüssigkeit einen Fingerbreit vom Rand herabgesunken war. »Wenn sie jemand haben will ...«

»Wir wollen erst die Geschichte zu Ende hören!«, krähte eine Stimme aus der Menge der Lauscher, die sich um das Ruhelager des Oberherrn versammelt hatte.

»Der Rest ist schnell erzählt!«, sagte Nallorge fast gemütlich. »Zusammen mit dem dicken Wächter, der in seiner Statur ganz meinem geschätzten Freund von der anderen Zunft glich«, er machte eine Verbeugung in Oreanders Richtung, während der Dicke vor Wut schäumte, »begleiteten wir den Saran in jene kleine Kammer, wo er allein zu sein wünscht.

Nachdem er sich auf dem kreisrunden Loch auf der Marmorbank niedergelassen hatte, griff ich nach seinem linken Ohrläppchen und mit einem kühnen Griff ...!« Nallorge beendete den Satz nicht. Aber jeder sah in der Fläche seiner rechten Hand ein Juwel blitzen, dessen Feuer in allen Regenbogenfarben sprühte. Durch die Reihen der Festgäste lief ein erstauntes Raunen. Jeder versuchte sich vorzudrängen, um einen Blick auf einen der Steine zu werfen, um die sich Legenden rankten.

›Tränen Watrans‹ nannte man sie. Und in ihrer Schönheit schien sie wahrhaftig Watran, der Gott der Flüsse und der Seen, geweint zu haben. Nur Zwerge verstanden die Kunst, diese kostbaren Steine so zu schleifen, dass ihre ganze Schönheit offenbar wurde. Die beiden größten Steine dieser Art jedoch befanden sich in den Ohrringen des Sarans von Mohairedsch.

Nallorge war es gelungen, einen der Ohrringe mit einer ›Träne Watrans‹ zu erbeuten. Stolz erhob der Meisterdieb den Kopf und blickte herausfordernd in die Menge. Sichtlich genoss er die Ovationen, die man ihm machte.

»Es ist kaum anzunehmen, dass sich der dicke Wächter überhaupt an die Verfolgung gemacht hat!«, verkündete Nallorge dann, als sich die Beifallsrufe etwas gelegt hatten. »Ich hörte den Saran noch einmal laut aufschreien, als ich floh, und ...«

»... und für diesen zweiten Schrei hatte der Saran ebenfalls einen guten Grund!« klirrte Oreanders Stimme eisig dazwischen. »Seht her, Frauen und Männer von Salassar!«

Ein Aufschrei ging durch die Menge, als sie in der ausgestreckten Rechten des fettleibigen Diebesfürsten eine zweite ›Träne Watrans‹ schimmern sah. Selbst Pholymates fuhr von seinem Ruhebett auf.

»Ich war der zweite Wächter!«, setzte Oreander langsam hinzu. »Eigentlich hatte ich den anderen Wächter mit dem Dolch in Thuollas finsteres Reich senden wollen. Warum, bei Wokats Hinterlist, habe ich es bloß nicht getan? Als er mit einem Ohrring floh, nutzte ich die Zeit, dem Saran den anderen Ring abzunehmen.« Er grinste. »Bis Haran Esh Chandor die Vielzahl seiner Ritual-Kleider gerichtet hatte, um seiner Würde entsprechend nach den anderen Wächtern zu rufen, war es bereits zu spät. Wahrscheinlich sucht man mich heute noch auf dem Basar der Kuriositäten von Ugraphur...!«

»... wie man meine Spur im Harem des Sarans verlor!«, beendete Nallorge mit spitzbübischem Grinsen den Satz. »Niemand von den Wachen wagte es, die Schleier einer Favoritin des Sarans zu lüften. Und die Hübschen waren froh, in ihrem Paradiesgarten endlich mal einen richtigen Mann zu erleben!«

»Dennoch bin ich der beste Dieb von Salassar!«, erklärte Oreander mit lauter Stimme. Der schwere Wein machte ihn unvorsichtig.

»Nein, der bin ich!«, fauchte Nallorge.

»Entscheidet Ihr, mein Oberherr!«, bat der Dicke. »Ihr habt die beiden Geschichten vernommen. Ihr müsst doch zugeben, dass ich ...«

»... nein ich ...«, fiel Nallorge ein.

»Aber meine Herren«, wiegelte der Oberherr ab. Er war sichtlich um eine Entscheidung verlegen, da er es mit keinem der beiden verderben wollte. Sein Blick fiel auf das maskierte Mädchen, das ihm den Wein einschenkte. »Lassen wir die Sklavin hier entscheiden. Was meinst du, hübsches Kind?«

»Sie haben beide die gleiche Beute heimgebracht!«, kam es unter der Ledermaske hervor. »Niemand ist also der Beste von ihnen - geschweige denn von ganz Salassar!« Die letzten Worte klangen alles andere als unterwürfig. Aber das Gesicht des Oberherrn entspannte sich. Die Sklavin hatte ihm die Entscheidung abgenommen.

»Sie hat recht, Ihr Herren!«, meinte er mit breitem Grinsen. »Und sie hat auch recht darin, dass es noch andere Diebe außerhalb der Zünfte gibt, die ebenso flinke Finger haben wie Ihr.«

 »Ich weiß, worauf Ihr anspielt, mein Oberherr«, brummte Oreander. »Ihr redet von Sina, der Katze. Eine sehr geschickte Diebin, fürwahr! Und obendrein jung und schön wie eine Tochter Alessandras, der Göttin der Liebe.«

»Eher erscheint sie mir als ein Bastard, mit dem Mamertus, der Herr des Krieges, die ehrbare Diebeszunft strafen wollte!«, warf Nallorge ein. »Sie weiß ihre Waffen vorzüglich zu gebrauchen. Meisterhaft trifft dieses Mädchen mit dem Bogen, nie verfehlt ihr Wurfanker das Ziel, und ihre Hand führt eine ausgezeichnete Klinge. Bei allen Göttern! Wir hatten sie bereits unter dem Galgen!«

»Sicher wäre es für uns alle gut gewesen, wenn Sina am Galgen geendet hätte«, gab der Oberherr zu bedenken. »Doch wer kann gegen Zauberei ankommen? Und sie hatte die Hilfe eines Zauberers, als sie befreit wurde!«

»Ihr kennt die Männer, die sie befreit haben?«,fragte Nallorge gespannt.

»Nur das, was meine Lauscher im Volk herausfanden. Der Zauberer ist ein gewisser Churasis, dem jedoch niemand größere Kunst in der Magie zutraut. Man erzählt sich, dass er mit Liebestränken handelt und die Wahrheit aus einem Weinkelch sagt, den er zuvor geleert hat. Außerdem soll er einen ziemlich großen Verbrauch an Milch und Mohrrüben haben ...«

»Uninteressant!«, fiel ihm Nallorge ins Wort. »Diesen anderen jungen Mann mit der athletischen Gestalt, der das Rapier führt - wer ist das?«

»Sein Name ist Ferrol!«, sagte Pholymates, jedes seiner Worte einzeln betonend. »Und er ist der einzige Sohn und legitime Erbe von Haran Esh Chandor, dem Hohen Saran von Mohairedsch!«

»Aber Prinz Ferrol, der ist doch tot!«, krächzte Oreander. »Gestorben am kalten Fieber!«

»Dies ist das Gerücht, das ausgestreut wurde!«, erklärte der Oberherr. »Der Jüngling hatte vermutlich keine Lust, von Lehrern in langatmigen Vorträgen über die Pflichten eines Herrschers aufgeklärt zu werden. Er ist entflohen und wird seit dieser Zeit von den Häschern des Sarans gesucht!«

»Wenn wir den in unsere Gewalt bekommen, könnten wir den Saran um alle seine Schätze bringen!«, stießen Oreander und Nallorge gleichzeitig hervor. »Für das Leben des Thronerben von Mohairedsch wird kein Preis zu hoch sein!«

Doch wenn jemand Ferrol fing, dann würde er, Pholymates, es selber sein, dachte der Oberherr bei sich. Und dann würde Haran Esh Chandor mit dem Thron von Mohairedsch für das Leben seines abenteuerlichen Sprösslings zahlen müssen!

 »Wir sollten Ferrol in eine Falle locken!«, grunzte Nallorge, während die Sklavin sich bei diesen Worten näher an ihn heranschob. Sie ließ es sich gefallen, dass der Diebesfürst die feingliedrige Hand um ihre Taille legte und an der Metallkette spielte, die den zierlichen Lendenschurz aus weichem Leder an der richtigen Stelle hielt. Nur ein leichtes Beben des halb nackten Körpers zeigte die unterdrückten Reflexe des Mädchens.

»Zuerst müssen wir Sina gefangen nehmen und öffentlich foltern!«, tönte Nallorge. »Dann wird. Ferrol versuchen, sie zu befreien und ...«

In diesem Augenblick entstand Bewegung in der Menge der Feiernden. Mit den stumpfen Enden der Lanzen stießen mehrere gerüstete Wachen die Betrunkenen beiseite. Kreischende Frauen wurden auf Ruhepolster geworfen. Die sanfte Musik der Flöten, Sistren und Zimbeln, die ihren Melodien-Schleier über das Fest gewoben hatte, brach ab. Durch die geschaffene Gasse schritten zwei Priester aus Dhasors Tempel, die in ihrer Mitte einen Mann in grellbunter Kleidung führten. Die dürren Finger des hochgewachsenen Mannes umkrallten eine kleine Harfe. Das ärgerliche Gemurmel der Festgäste erstarb, als sie den steinharten Blick der Priester Dhasors bemerkten. Noch nie war einer dieser in streng-klösterlicher Gemeinschaft lebenden Männer zu einem Fest gegangen.

Eisiges Schweigen breitete sich im Saal aus.

»Erhebe dich, um schreckliche Kunde zu vernehmen, Oberherr von Salassar!«, hallte die Stimme eines Priesters wie ein gigantischer Tempelgong durch die eingetretene Stille. »Fürchterliches droht unserer Stadt. Vom Norden her wird es heran schweben. Schatten des Verderbens fallen über Salassar. Und Feueratem wird unsere blühende Stadt vernichten!«

»Was ... was bedeutet das?«, krächzte Pholymates und versuchte, seine weinumnebelten Sinne zu ordnen. »Ihr sprecht in Rätseln, Herr vom Tempel des Weltenvaters!«

»Habt Ihr nicht die uralten Legenden vernommen, die von Coriella, dem Drachen-Schloss hoch im Norden unserer Welt Kunde geben?«, fragte der Priester und schob die zitternde Gestalt des Harfners nach vorn. »Die Saga von jenem blutig-roten Stein, dessen Anblick die Drachen daran hindert, über die Welt zu fliegen und die Menschheit wie einst in den Tagen der Alten als Feinde zu betrachten.«

»Dergleichen Märchen mögen die Weiber meines Harems kennen. Oder die Sklavinnen in meiner Küche«, gab der Oberherr zurück. »Ein Geschäftsmann, der gleichzeitig das höchste Regierungsamt dieser Stadt ausübt, hat anderes zu tun, als sich mit halb vergessenen Legenden zu beschäftigen. Dass sie nicht vergessen und im Bewusstsein der Menschen erhalten bleiben, dafür gibt es die Priester in den Tempeln.«

»Dann lausche auf meine Worte, Oberherr. Du auch all ihr anderen, hört gut zu!«, dröhnte die Stimme des Dhasor-Priesters. »Wenige von uns können von sich behaupten, jemals den Schatten eines Drachen über die Welt fliegen gesehen zu haben. Die gewaltigen Herren der Lüfte meiden die Wohnstätten der Menschen, weil es ein Symbol gibt, dass ihnen die Sinnlosigkeit von Kampf und Tod stets vor Augen führt. Eben jenes feuerrote Juwel von unbeschreiblicher Größe und Schönheit, von dem ich geredet habe.«

»Ein Juwel!« Nicht nur die Augen der beiden Diebesfürsten glimmerten begehrlich. Vielleicht war es ein Märchen. Aber auch jedes Märchen kann einen wahren Kern haben. Und wenn so ein Juwel existierte, dann konnte man es auch sicher stehlen.

»Nur jenes Juwel, das seit den Tagen unserer Vorväter das ›Drachenblut‹ genannt wird, bewahrt die Welt davor, dass sich die Herren von Coriella auf ihre Kräfte besinnen!«, dröhnte die Stimme des alten Priesters. »Ahnt Ihr, Volk und Oberherr von Salassar, welche Gefahr uns droht, wenn die ledrigen Flügel gewaltiger Drachenschwärme den Himmel verdunkeln und ihre grässlichen Schreie das Blut in den Adern gefrieren lassen? Und wenn der Feueratem aus ihren Rachen hervorlodert und die Hütten der Armen, wie die Paläste der Reichen, in verzehrendes Feuer hüllt?«

»Nein!«, stieß Pholymates stellvertretend für alle anderen hervor. »Davon weiß ich nichts. Ich habe zwar vernommen, dass diese Ungeheuer jenseits des mystischen Wunderwaldes von Delyssioina hausen und dass die Schatten ihrer Körper die Sonne verdunkeln, wenn sie über die Adamanten-Welt fliegen. Doch nie hat man gehört, dass sie Menschen direkt angriffen, ohne bedroht zu sein. Nur alte Erzählungen berichten von Kämpfern, die es wagten, gegen Drachen zu streiten! »

»Bei einem dieser Kämpfe entstand das Drachenblut!«, warf der Mann mit der Harfe ein. »Verzeiht mir, hoher Herr und wohledle Anwesende, dass ich mich in Euer Gespräch mische. Doch will ich euch genaue Kunde geben von dem, was damals in den Tagen unserer Vorväter vorgefallen ist!«

»Und was es mit dem Drachenblut auf sich hat!«, erinnerte einer der Priester des Weltenvaters Dhasor.

»Wer bist du, Bursche?«, fragte Pholymates, der sich ärgerte, dass die Fröhlichkeit seines Festes auf diese Art gestört wurde.

»Man nennt mich Cronnach, den Sänger, Eurer Gnaden gehorsamster Diener!«, sagte der Mann in der bunten Gewandung schnell. Mit unnachahmlicher Eleganz riss er eine gelbgrüne Kappe vom Kopf, die er gekünstelt vor sich herschwang, während er eine tiefe Verbeugung machte.

»Künde uns, was du zu sagen hast, Sänger!«, befahl Pholymates und zwang seine Stimme zu einem gnädigen Ton. Ob Sänger oder Märchenerzähler, er mochte damit vielleicht die Gäste des Festes erfreuen. Und außerdem hatten die Priester ihn hier hergebracht, damit er das, was er wusste, allgemein verkündete. Den Sänger nicht anzuhören, das hieße, sich gegen die Priesterschaft des Weltenvaters zu stellen. Und das konnte nicht einmal der Oberherr von Salassar wagen.

Cronnach stellte sich in Positur, hob einen Moment die Augen zur Decke des Saales, als wünschte er sich, dass ihm Zirkania, die Göttin der Künste, von dort ihre Eingebungen zukommen ließ. Seine Finger glitten über die Saiten der Harfe und ließen einige melodiöse Akkorde erklingen.

»Einst in den alten Tagen ein wack’rer Recke zog«, sang Cronnach mit melodiöser Stimme, »Den Drachen zu erschlagen, der über Chrysalitas flog.«

***

»... wie stark er auch sein mag, ich werde ihn bestehen!«, flüsterten die Lippen des Mannes, der sich vom heftig widerstrebenden Ross schwang. Das Pferd schien die Nähe der Gefahr zu wittern und versagte trotz der vorandrängenden Sporen seinem Reiter den Dienst. In den Augen des erregten Tieres flackerte nackte Angst. Schaum fetzte vom Maul und die Nüstern blähten sich, während ängstliches Röcheln aus der Brust drang. Die Hufe tänzelten über den blanken Fels und Funken sprühten aus den Steinen.

»Er muss ganz hier in der Nähe sein Lager haben!«, führte der Mann in der Rüstung sein Selbstgespräch weiter. »Mögen Dhasor und mein Schwert verhüten, dass sich sein Schatten über Viallavortas senkt und die Bestie dort Furcht und Schrecken verbreiten kann.

Ich aber, Jerenion von Valdys, Ritter von Decumania, werde der Retter des Landes genannt werden!« Es gelang ihm gerade noch, die mannshohe Lanze aus dem Sattel-Futteral zu ziehen und den Schild zu lösen. Dann hatte sich das Pferd freigekämpft. Die ledernen Zügel entglitten der gepanzerten Faust. Mit schrillem Angstwiehern stürmte das Pferd davon. In der Ferne verhallte der Hufschlag.