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Antero Moreira de Mendonca hasst die Jesuiten. Als ein Erdbeben von biblischer Wucht 1755 Lissabon zerstört und die Jesuiten den Zorn Gottes predigen, sieht der junge Naturwissenschaftler die Gelegenheit gekommen, sich an dem Orden zu rächen. Doch Gabriel Malagrida, dem als Prophet verehrten Jesuitenführer, gelingt es, Antero ins Gefängnis zu bringen. Er soll hingerichtet werden. Seine einzige Chance, vielleicht noch mit dem Leben davonzukommen, ist die deutsche Kaufmannstochter Leonor. Tatsächlich hilft sie ihm. Doch sie ist, was Antero nicht weiß, ebenfalls eine Jesuitin...
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Seitenzahl: 677
Das Buch
Lissabon, 1755. Bei seiner Rückkehr in die Stadt am Tejo holt den ehemaligen Jesuiten-Schüler Antero die Vergangenheit wieder ein, der er glaubte glücklich entkommen zu sein. Sein ehemaliger Mentor, der Jesuiten-Führer Gabriel Malagrida, ist zu seinem ärgsten Feind geworden, weil er sich nicht damit abfinden will, dass Antero dem Orden den Rücken gekehrt hat. Während Malagrida daher Antero quer durch Lissabon verfolgen lässt, mehren sich in der Stadt die Anzeichen, dass etwas nicht stimmt: Brunnen führen schwefliges Wasser, Tiere werden unruhig, das Meer zieht sich zurück. Niemand außer Antero, der eine naturwissenschaftliche Ausbildung genossen hat, nimmt die unheilvollen Zeichen wahr. Vergeblich versucht er, den Außenminister von Portugal vor einer bevorstehenden Katastrophe zu warnen. Er soll die Stadt evakuieren. Ein Erdbeben von noch nie gekannten Ausmaßen zerstört binnen zehn Minuten die Stadt am Tejo.
Titus Müller erzählt nicht nur die Geschichte der Zerstörung Lissabons, sondern auch, wie Sebastião José de Carvalho e Mello zum ersten Minister des Königs aufstieg und die Stadt Lissabon wiederaufzubauen half.
Der Autor
Titus Müller, geboren 1977, studierte Literatur, Mittelalterliche Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift Federwelt, ein Jahr später veröffentlichte er seinen ersten historischen Roman, Der Kalligraph des Bischofs. Titus Müller ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u. a. mit dem C.S.-Lewis-Preis und dem Sir-Walter-Scott-Preis ausgezeichnet. Für den Roman Nachtauge(Blessing, 2013) wurde Titus Müller 2014 im Rahmen einer Histo-Couch-Umfrage zum Histo-König des Jahres gewählt. Zuletzt erschienen die Romane Berlin Feuerland und Der Tag X.
Lieferbare Titel
Tanz unter Sternen
Nachtauge
Die Todgeweihte
Der Kalligraph des Bischofs
Der Tag X
Titus Müller
Die Jesuitinvon Lissabon
Roman
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
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Copyright 2011 by Titus Müller und Aufbau Verlag GmbH &Co. KG
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Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-641-22397-7 V002
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Das prächtige Lissabon hieß lange schön und groß; doch eine halbe Viertelstunde verwüstet solches bis zum Grunde. O grässliches Schauspiel! Welch ein Entsetzen!
Leipziger Zeitung, 6. Dezember 1755
1
Das Meer wälzte Mauern aus Wasser auf. Sturmwinde heulten durch die finsteren Schluchten. Die Wellenkämme zerstiebten zu Gischt. Blitze verspritzten Helligkeit und wurden von der Nacht verschluckt.
Die englische Dreimastbark Fortune trieb wie ein Hölzchen durch die Urgewalten. Der Sturm riss sie in die Höhe und wehte Schaum um ihren Bug, Wogen rollten sie von der Seite an, erbrachen sich über die Bark und begruben das Deck unter Tonnen von Meerwasser. Das Schiff neigte sich, es verharrte einen furchtbaren Augenblick. Endlich richtete es sich wieder auf und ließ das Wasser durch die Reling gurgeln. Donner krachte. Der Sturm stürzte die Bark hinunter in die Schwärze, als wollte er sie in den Meeresgrund bohren.
Captain Wrightson hatte sich am Steuerrad festgebunden. Er versuchte, die Bark gegen die Wellen zu drehen, während die nackten Masten knarrten. Seeleute schufteten an den Pumpen, nass glänzten ihre Gesichter.
Im Inneren des Schiffs kniete Antero Moreira de Mendonça vor seiner Koje, grub die Hände in den Strohsack und betete: »Lass mich nicht sterben! Lass mich nicht sterben, Gott! Noch nicht. Ich bin nicht so weit.« Das Wasser schwappte um seine Beine. Strümpfe und Hose waren vollgesogen mit Meerwasser.
Gegen die Schiffswand donnerten Wellen, es klang, als würden die Bretter zerbersten. Antero hatte einen süßlichen Geschmack im Mund. Er stand auf und wankte zur Leiter. Von den Sprossen troff Wasser. Er umfasste das nasse Holz und kletterte in die Höhe.
Die Klappe am oberen Ende der Leiter widerstand ihm, der Wind drückte sie von außen zu. Mit aller Kraft stemmte sich Antero dagegen, und es gelang ihm, sie um wenige Fingerbreit zu öffnen. Da riss ihm der Wind die Klappe aus der Hand. Mit einem Schlag stand die Luke offen, und es stürmte kalt und nass gegen seine Brust.
Er kletterte hinaus. Der Wind zerrte an ihm. Antero ließ sich auf Hände und Knie fallen und kroch zur Reling. Ein Seemann brüllte etwas, aber Antero konnte nur sehen, wie sich sein Mund bewegte, der Sturm riss ihm die Worte von den Lippen. Antero umfasste die Reling. Alles war schwarz. Wo endete der Himmel? Wo begann das Meer?
Ein Blitz erhellte die Umrisse der Wogen. Antero stockte das Herz. Die schwarzen Ungetüme überragten die Masten des Schiffs! Er spürte etwas seinen Hals emporschießen und erbrach sich.
Der Seemann löste das Seil, das ihn an einer der Pumpen gesichert hatte, und rannte gebückt auf Antero zu. Da überspülte eine Woge das Deck. Antero sah nichts mehr. Kalt fasste ihn das Meer an. Als er wieder sehen konnte, fanden seine Augen den Seemann. Er war umgerissen und gegen einen Mast geschleudert worden. Mühsam stand er wieder auf. Er erreichte Antero. »Gehen Sie unter Deck!«, brüllte er ihm ins Ohr. Er fasste ihn unter und versuchte, ihn von der Reling wegzuziehen. Widerstrebend ließ Antero das Holz los. Er wurde zurückgeschleppt und auf die Leiter gestoßen. Der Seemann schloss über ihm die Luke.
Seine Beine waren weich wie Brotteig. Halb kletterte er, halb fiel er die Leiter hinunter. Er landete im Wasser. Es spülte hin und her, von einer Seite des Raums zur anderen, je nachdem, wohin das Schiff sich neigte. Offenbar kamen sie mit dem Pumpen nicht nach. Immer mehr Wasser sammelt sich im Schiff, dachte er, bis es untergeht. Der Geschmack des Erbrochenen im Mund erinnerte ihn an das Pökelfleisch, das er gestern Abend gegessen hatte. Mit diesem widerwärtigen Geschmack im Mund wollte er nicht sterben. Er watete hinüber zur Koje, zog die Portweinflasche aus dem Winkel, entkorkte sie und trank.
»Antero Moreira de Mendonça, du bist eine Enttäuschung«, sagte er, »durch und durch eine Enttäuschung.« Er schob die bauchige Flasche zurück und kroch ihr nach in die Koje, nass wie er war. Wellen prallten auf den Schiffsrumpf, gleich neben seinem Kopf. Er wurde gehoben und gesenkt, der Sturm wiegte ihn.
Gott würde einem wie ihm, Antero, nicht zuhören, wenn er ihn um Frieden bat. Er verließ sich ja sonst auch nicht auf Gottes Beistand. Er war ein gottloser, verfluchter Schmuggler. Wenn er mit dieser Bark auf den Meeresboden sank, erwarteten ihn die gestrengen Engel und das Gericht. Angst fraß sich in seine Gedärme wie eine Schlange.
Ihn schwindelte, und er zitterte vor Müdigkeit und Kälte. »Es tut mir leid«, flüsterte er. Er dachte an seine Pflanzensammlung, an das Notizbuch mit den Käferzeichnungen, an die Nachtstunden, die er im astronomischen Observatorium der Jesuiten in Lissabon verbracht hatte. »Ich war ein Forscher, Gott. Ich war einer, der deine Spuren gesucht hat. Bitte denke auch daran.«
Dalila zog Anteros Schweißtuch an ihr Gesicht und nahm seinen Geruch in sich auf wie eine Medizin: das Meer und den herben männlichen Duft. Wenn Leonor bemerkte, dass sie ihr das Tuch gestohlen hatte, würde sie toben vor Wut. Und Antero? Wenn er wüsste, dass eine andere an seinem Schweißtuch roch als die, der er es gegeben hatte, wie würde er reagieren? Vielleicht konnte er auch sie, Dalila, lieben. Immerhin waren Leonor und sie Zwillingsschwestern. Ihre Gesichter und ihre Körper sahen gleich aus, auch wenn ihre Charaktere verschieden waren.
Die Kerzenflamme kämpfte gegen die Dunkelheit des Zimmers an. Regen peitschte von draußen gegen die Fensterläden. Dalila strich leise über die Bettdecke. Der Atem der Kleinen ging gleichmäßig. Schlief sie?
»Uns kann kein Blitz treffen?«
Also schlief sie immer noch nicht. »Ich habe es dir doch schon erklärt, Schatz«, flüsterte Dalila, »wir sind hier sicher.«
»Wie heißt das noch mal? Das uns beschützt?«
»Wetterleiter.« Dalila streichelte den rotblonden Haarschopf der Kleinen. Das Haar schimmerte im Kerzenlicht. Sie sah schutzbedürftig aus in dem riesigen Bett. Dalila sagte: »Ein kluger Mann hat ihn erfunden, und jetzt kann uns nichts mehr passieren. Schau doch, wie gemütlich es hier drinnen ist, wenn’s draußen stürmt! Wir haben die Kerze, und es ist warm, und wir sind im Trockenen.«
Ein Donnerschlag krachte. Die Hand der Kleinen tastete nach Dalilas Hand. »Bleibst du hier?«
Dalila umfasste die Kinderhand und streichelte sie. »Ich bleibe. Hab keine Angst.« Das Mädchen tat ihr leid. Irgendein lüsterner Adliger hatte es mit einer Dienstbotin gezeugt und ließ es nun in der Fremde aufwachsen. Vater verköstigte das Mädchen sicher nur gegen eine horrende Gebühr, und er hatte ausgerechnet die strenge Köchin angewiesen, sich um die Kleine zu kümmern.
Er durfte nicht wissen, dass seine Tochter hier unten war, er würde sagen: »Eine Adlige hat im Gesindetrakt nichts verloren, Dalila!« Das Haus war aufgeteilt, in den oberen Stockwerken befand sich der Himmel, da lebten sie. Und unten war die Hölle, da lebte das Bastardkind, das niemand haben wollte. Dabei war das Mädchen vermutlich genauso eine Adlige! Eine Adlige, die im Gesindetrakt aufwuchs, zwischen Töpfen und Müllkübeln und dem Hundenapf.
Der Hund konnte ebenfalls nicht schlafen. Er sah stumm zum Fenster hin, hinter dem Blitze die Nacht erhellten. Es war gut, dass er der Kleinen Tag und Nacht Gesellschaft leistete. Er ersetzte ihr den Vater und die Mutter. Manchmal schien es Dalila, als wüsste es das kluge Tier.
Sie wandte sich ab und roch wieder an Anteros Schweißtuch. Der Geruch von Abenteuern spielte um ihre Nase. Dieser Mann war wirklich frei. Er tanzte auf den Rändern der Welt.
»Was hast du da?«, fragte die Kleine.
Dalila zuckte zusammen. »Nur ein Tuch«, sagte sie. Sie verbarg es an ihrer Brust.
Eine Stimme weckte ihn. »Soll ich das Essen auftragen, Sir, oder soll ich es gleich über Bord werfen?«
Das Tosen hatte aufgehört. Behäbig knarrte die Bark und gab sich dem Wogen des Meeres hin. Er sah hinauf zur Luke. Eine rötliche Funzel beleuchtete das Gesicht des Bootsjungen. Der Junge grinste.
Antero befühlte seine Kleider. Sie waren klamm und kalt. »Lass das Grinsen, Bursche, oder ich prügele es dir aus dem Gesicht.« Er geriet mit dem vorgetäuschten Akzent ins Stolpern. »Ich komme rauf. Selbstverständlich kann ich das Essen drin behalten.«
Er lebte. Der Sturm hatte offenbar nachgelassen, während er schlief. Antero stieg aus der Koje. Das Wasser stand nur noch in Pfützen auf dem Boden. Er stützte sich am Tisch ab. Müde erklomm er die Leiter. Für gewöhnlich aßen Passagiere am Tisch des Captains und der Offiziere. Er hatte den Verdacht, dass Captain Wrightson angeordnet hatte, ihm das Essen immer in der Kabine zu servieren, damit er, der Captain, nicht mit ihm in Verbindung gebracht wurde, falls ihr Unternehmen aufflog.
Natürlich, mit der Mannschaft konnte er ihn nicht essen lassen, das würde Unzufriedenheit schüren bei den Seeleuten, denn als Passagier bekam er besseres Essen als die Schiffsbesatzung. Für die Seeleute gab es am Morgen kaltes Fleisch und ansonsten ein Gemisch aus Wasser und Mehl, das sie »Indischen Brei« nannten. Er hingegen speiste warm und gut gewürzt wie in einem Gasthaus mittlerer Klasse. Aber es gab keinen Grund, ihn von den Offizieren abzusondern, außer den einen, dass Captain Wrightson versuchte, Schaden von sich abzuwenden. Das mangelnde Vertrauen in ihr Unternehmen ärgerte Antero. Entweder war man dabei und stand voll für die Sache ein, oder man ließ es bleiben.
Als er durch die Luke nach draußen stieg, reichte ihm der Bootsjunge ein Tablett, auf dem ein hölzerner Becher stand, umringt von Keksen. »Wollen Sie heute im Freien essen, Sir?« Er grinste nicht mehr.
Nach dem Schiffsbauch war Antero nicht zumute. Er hatte ein Bedürfnis danach, den Himmel zu sehen. Er wollte spüren, dass er noch am Leben war. »Stell das Tablett da ab«, sagte er. Der Akzent gelang ihm wieder besser.
Der Bootsjunge setzte das Tablett auf den erhöhten Rand der Luke. »Soll ich das Licht auch hier lassen?«
Antero sah sich um. Es wehte immer noch ein kräftiger Wind, und schwarze Wolken bedeckten den Himmel. Am Horizont schimmerten sie rot. Nahe dem Schiff konnte er im Morgendämmern Schaum auf den Wogen erkennen, die nun flach und weit ausströmten. »Nicht nötig. Es wird bald hell sein. – Warte.« Er kletterte wieder hinunter und holte das Notizbuch unter dem Strohsack hervor. Oben, bei der Funzel, setzte er sich auf den Lukenrand, wickelte das Buch aus dem Leder, befeuchtete den Bleistift und schrieb:
Donnerstag, 30. Oktober 1755. Schwerer Sturm. Überbrechende Wellenkämme, orkanartiger Wind. Die Fortune trotzte.
Freitag, 31. Oktober 1755, im Morgengrauen. Grobe See. Schaumflecken auf den Wellen. Noch starker Wind.
Er verstaute das Notizbuch in der Brusttasche und sagte: »Danke. Du kannst gehen.« Als der Bootsjunge mit dem Licht gegangen war, griff Antero nach einem Stück Gebäck und schob es sich in den Mund. Das Gebäck war mit Wasser angefeuchtet und mit gesalzener Butter bestrichen. Antero kaute, nahm den Becher und spülte nach. Saurer Tavernenwein mischte sich mit den teigigen Resten.
Die Schmuggelfracht im Kielraum der Fortune hatte einen Wert von mindestens dreißigtausend Reis. Wenn er sie an den Mann gebracht hatte, würde er einige Tage entspannen. Er würde Leonor besuchen. Und Samira.
Antero sog tief die frische Seeluft in seine Lungen. Es würde schon gutgehen. Dies war das Zeitalter der Schmuggler. Wer sollte die weiten Weltmeere überwachen? Niemand konnte das. Die Meere waren frei. Allein die Häfen ließen sich kontrollieren, aber auch dort gab es Schlupflöcher. Ein großer Hafen wie der Lissabons war bei Nacht schlichtweg nicht zu überschauen. Niemand konnte unterscheiden zwischen den Schaluppen, die Seeleute von Saufgelagen zurück an Bord ihres Schiffes brachten, den Beibooten, die Offiziere zu ihren Familien fuhren, und einem Ruderboot, das Schmuggelware brachte.
Dennoch stach es ihn in der Tiefe seines Herzens. Das Schmuggeln war nicht das Seine. Viel lieber hätte er den geheimnisvollen Südkontinent Terra Australis incognita erforscht und auf dem Weg dahin bisher unbekannte Inseln kartografiert und erkundet. Was nützten die läppischen Notizen, die er sich machte! Er brauchte Instrumente, ein Barometer, einen Sextanten, nicht aus Holz, das sich in der feuchten Seeluft verzog, sondern aus Metall, mit höchstmöglicher Genauigkeit. Captain Wrightson navigierte noch mit dem Jakobsstab. Dabei ließ sich mit einem Sextanten viel genauer die Position bestimmen. Und ein Barometer, was könnte man damit nicht alles erforschen! Den Luftdruck im gestrigen Sturm hätte er gern gemessen. Warum fiel der Luftdruck ab, wenn ein Unwetter aufzog? Wie verhielt es sich im Verlauf des Unwetters?
Etwas blitzte auf, dort, wo die Wolken das Wasser berührten. Antero sah genauer hin. Es leuchtete erneut! Er drehte sich zum Heck um. Wo er im Dunkeln das Steuerrad ausmachte, rührte sich nichts.
Er stand auf und ging nach hinten. »Haben Sie das Licht gesehen, Captain?«
Die vierschrötige Gestalt am Steuerrad stand ruhig. Der Captain wandte ihm nicht einmal den Kopf zu.
Antero sagte: »In letzter Zeit haben sich holländische Freibeuter hier herumgetrieben. Möglich, dass sie sich Zeichen geben, um uns in die Zange zu nehmen.«
»Es sind die Küstenfeuer, die den Zugang zum Tejo anzeigen.«
»Sind Sie sicher? Der Sturm hat uns abgetrieben.«
»Ich fahre nicht zum ersten Mal nach Lissabon.«
Ich auch nicht, dachte Antero. Er verbiss sich die Antwort. Zwar bevorzugte er den Hafen von Oporto für seine Geschäfte, aber Lissabon war seine Heimat. Er besaß in der Hauptstadt gute Verbindungen. Der dichte Bart, den er sich hatte wachsen lassen, und die von der Sonne auf See gebräunte Haut hatten ihn verändert. Solange er eine gewisse Vorsicht nicht außer Acht ließ, konnte er unbesorgt seine Geschäftspartner aufsuchen. Er war bereits von Exeter nach Lissabon gefahren, von Dartmouth, Plymouth, Ipswich und Yarmouth. Und natürlich wie diesmal von London. »Unsere Ladung wäre für Freibeuter von Interesse. Sie könnten Wind davon bekommen haben.«
»Freibeuter sind auf Silber und Gold aus, nicht auf Wollteppiche und Strümpfe.«
Ihm missfielen die mürrischen Antworten des Captains. Wurde er unsicher? Ein unbedachtes Wort bei den Hafenkontrollen, und ihre Unternehmung flog auf. »Was ist mit dem Twillstoff, den wir geladen haben, und dem feinen schwarzen Tuch? Englische Stoffe lassen sich vortrefflich verkaufen.«
Der Captain schwieg.
»Sie haben die ganze Nacht nicht geschlafen, oder?«
»Ich habe vier Stunden geschlafen. Mein Steuermann ist verlässlich.«
Das Schiffsdeck war kein guter Platz, um über geheime Dinge zu reden. Überall arbeiteten Seeleute, oben in den Rahen, hinter, vor oder neben ihm, womöglich gar außen an der Bordwand, um den Rumpf auf Sturmschäden zu untersuchen. Er musste ohne Lauscher mit dem Captain sprechen. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich kurz nach meiner Fracht sehen würde? Ich fürchte, sie könnte nass geworden sein.«
»Meine Kajüte ist trocken. Ihre Fracht ist in bester Verfassung.«
Begriff er nicht? »Lassen Sie mich trotzdem einen Blick darauf werfen. Es würde mich beruhigen.«
Wortlos nahm der Captain die Hände vom Steuerrad und zog einen Schlüssel hervor, der an einem Band um seinen Hals hing. Er hob das Band über den Kopf.
Antero nahm den Schlüssel entgegen und griff nach der schwach brennenden Laterne, die neben dem Captain an den Aufbauten unterhalb des Besansegels hing. »Ich darf doch?« Er drehte am eisernen Rädchen, um den Docht höher zu stellen. Sofort wurde es heller. Die Segel warfen einander den Lichtschein zu. Sie waren straff gebläht, die Fortune machte gute Fahrt. Als der Sturm aufkam, hatte man die Segel eingeholt, damit sie nicht zerfetzt wurden. Die Seeleute mussten sie wieder gesetzt haben, während er schlief, die großen querstehenden Rahsegel, je fünf an den beiden vorderen Masten, und die schrägen Schratsegel am Besanmast. Zwei Männer kletterten immer noch in den Rahen herum und prüften den Halt der Taue.
Es roch nach Seetang. Auf den Deckplanken spiegelten schlammige Lachen das Laternenlicht. Tangpflanzen lagen herum. Der Sturm musste sie dem Meeresboden entrissen haben.
Aus der Messe, dem Speiseraum der Besatzung, drang Gelächter. Die Seeleute aßen wohl und machten Scherze dabei. Es klang, als seien sie erleichtert, dem Sturm entkommen zu sein. Vielleicht hatte der Captain zur Feier eine Portion Rum ausschenken lassen.
Antero stieg die Treppe hinunter in die Kapitänskajüte. Das Prunkstück der Kajüte war eine bauchige, mit geschweiften Beschlägen versehene Kommode. Die hölzernen Schubladen waren gewachst und glänzten im Schein der Laterne. Über der Kommode hing eine Karte der britischen Territorien von Nordamerika. Die Karte hatte Antero beim Erkundungsgespräch vor zwei Wochen verraten, dass der Captain käuflich sein würde. Er träumte davon, sich für seinen Lebensabend in den Überseeterritorien anzusiedeln.
Die Kajüte war tatsächlich trocken. Antero empfand Neid. Es sah aus, als habe der Captain ein Bündnis mit dem Sturm geschlossen, als bliebe er auf geheimnisvolle Weise verschont, während die Naturgewalten dem Rest der Schiffsbesatzung nach dem Leben trachteten. Aber vielleicht war die Kapitänskajüte auch einfach am besten Platz des Schiffs errichtet. Antero stellte die Laterne auf dem Tisch ab und beugte sich über die schwere Truhe unter den Heckfenstern. Behutsam schob er den Schlüssel ins Schloss. Er drehte ihn herum, einmal, zweimal. Das Schloss sprang auf. Er öffnete den Truhendeckel. Hier lagen die Päckchen der Besatzungsmitglieder. Solange es bei kleinen Mengen blieb, durfte jeder Seemann auf eigene Rechnung ein wenig Handel treiben. Damit es nicht zum Schmuggel kam, bewahrten die Kapitäne die Waren auf.
Antero räumte einige Päckchen beiseite. Er zog sein Bündel heraus und hob es auf den Tisch. Lage für Lage wickelte er die Lederhüllen ab. Tabakblätter knisterten. Würziger Geruch stieg ihm entgegen und kitzelte in der Nase. Antero klappte die letzte Lage auf und befühlte die großen Blätter. Sie waren trocken, und es bröselten kleine Stückchen ab. Sie würden die königlichen Beamten ärgern. Der portugiesische König beanspruchte das Handelsmonopol auf Tabak. Sollten die Hafenhüter die Fracht der Besatzungsmitglieder und die von ihm, dem Passagier, untersuchen, so würde der Fund Streit hervorrufen – war die kleine Menge gestattet oder nicht? – und die Hafenhüter waren beschäftigt. Auf diese Weise blieb die große Ladung Tabak im Kielraum unentdeckt.
Unter den Tabakblättern hatte er seine Bücher verstaut, beide Bände des neuen Werks Species Plantarum von Carl Nilsson Linnæus. Zwischen den Seiten lagen Blätter mit seinen, Anteros, Zeichnungen, sie sahen etwas über den Rand der Bücher hinaus, überall dort, wo er meinte, eine Pflanzenart gefunden zu haben, die Linnæus unter seinen Arten nicht hatte. Es machte ihm Freude, neue Pflanzen zu entdecken. Früher hatte er das Vergnügen öfter gehabt, da hatte er sich mit dem Buch Hortus Cliffortianus begnügen müssen, in dem nur zweitausendfünfhundert Arten beschrieben waren. Heute war es schon schwerer, eine Lücke in der akribischen Arbeit der Botaniker zu finden. Eines Tages würde er seine Erkenntnisse Linnæus nach Schweden schicken, und vielleicht ergänzte der berühmte Naturforscher damit sein Werk.
Neben den Büchern und den Tabakblättern lag das Bündel mit seinen persönlichen Habseligkeiten. Er rollte es auf und entnahm ihm die silberne Taschenuhr. Das Ziffernblatt zeigte sechs Uhr neununddreißig Minuten. Seltsam, hier auf dem Meer eine genaue Minute zu wissen. Der Captain brauchte die genaue Uhrzeit zur Bestimmung des Längengrades, vier Minuten bedeuteten ein Grad, er sah regelmäßig auf die Schiffsuhr. Aber darüber hinaus, was bedeutete eine Minute auf dem Meer?
Die Uhr war die einzige Erinnerung, die er behalten hatte. Das einzige Ding, das ihn noch mit der bösen Vergangenheit verband.
Die bärbeißige Stimme des Captains erklang in seinem Rücken. »Unten hat es zwei Kisten erwischt, darin ist die Ware feucht geworden. Der Rest ist verschont geblieben. Es bleibt bei meinem Anteil.«
»Wir werden sehen.« Antero drehte sich nicht um. Er fuhr mit den Fingern über die gewölbte Scheibe der Uhr und sah aus den Heckluken auf das Meer.
Captain Wrightson trat auf ihn zu. Er kam so nahe, dass Antero seinen warmen Atem im Nacken spüren konnte. »Hören Sie, für Sie mag es ein Vergnügen sein, das Gesetz zu brechen. Für mich ist das nicht so! Wenn sie mein Schiff untersuchen und die Kisten finden, werde ich nie wieder zur See fahren. Man wird mich hinrichten!«
Antero drehte sich um. Ihre Nasenspitzen berührten sich beinahe. »Meinen Sie, ich werde verschont? Unsere Leben sind für diese Fahrt verwoben. Und ich wüsste gern, ob mein Leben noch in verlässlichen Händen ist.«
»Was haben Sie schon zu verlieren? Sie sind doch seit Jahren gewohnt, alles auf eine Karte zu setzen. Ich habe mich hochgeschuftet bis zum Kapitän, ich habe Opfer gebracht, mein Leben lang. Ich fasse es nicht, dass ich das für Ihr Geld riskiere.« Der weiße Backenbart des Captains zitterte. Seine grobporige Haut hatte sich gerötet.
Antero kehrte sich wieder zum Tisch um und wickelte seine Habseligkeiten ein. »Fassen Sie sich besser bald. Im Hafen wird es dafür zu spät sein.« Er legte das Bündel in die Truhe. »Und was mein Leben betrifft: Glauben Sie ja nicht, dass ich das Schmuggeln aus freien Stücken begonnen habe. Ich wollte studieren. Ich wollte lesen und ergründen, wie die Welt arbeitet, diese gigantische Maschine. Aber man hat mich daran gehindert. Meinen Sie«, sagte er zur Truhe hin, »ich habe keine Träume? Ich habe sie genauso wie Sie. Einmal wird es die letzte Fahrt sein, und dann beginnt für mich das Leben, das ich immer haben wollte, das Leben, das man mir genommen hat.«
Die Seeleute ließen Eimer an Seilen hinab. Die Eimer tanzten auf den Wellen, es war nicht leicht, Wasser zu schöpfen, wenn das Schiff mit hoher Geschwindigkeit segelte. Wieder und wieder zogen die Männer am Seil, bis die Eimer im richtigen Winkel auf die Wogen trafen und untergingen. Sie hievten sie gefüllt wieder herauf und schütteten das Wasser auf die Deckplanken. Mit Besen kehrten sie es durch den Spalt unterhalb der Reling hinaus. Schmutz floss davon. Bald glänzte das Deck wie ein Spiegel. Die Taue wurden zusammengelegt. Seeleute kletterten in die Rahen und besserten Aufhängungen und Segelkanten aus.
Captain Wrightson machte die Fortune bereit für den Hafen von Lissabon. Offenbar wollte er ihre Schuld vertuschen. Er wollte äußerlich rein wirken mit seinem Schiff, damit der furchtbare Makel im Kielraum unbemerkt blieb. Dieser Hasenfuß! Wenn er überhaupt etwas damit erreichte, dann nur, dass sein Schiff noch mehr auffiel. Wie gut hatten es die Großschmuggler, die ihr eigenes Schiff steuerten! Ihnen konnte nicht ein verängstigter Kapitän alles verderben.
Die Küste spannte sich bereits von einem Ende des Horizonts bis zum anderen. In ihrer Mitte tat sich die Mündung des Tejo auf. Die wehrhafte Zitadelle von Cascais thronte zur Linken auf den Felsen, unterstützt von weiteren Wehrtürmen entlang der Küste, die Angriffen vom Atlantik trotzen sollten. Das Morgenlicht setzte einen roten Schimmer auf Mauern und Türme.
In Rufweite zog ein Paketschiff an ihnen vorüber, es überholte, obwohl die Fortune selbst gute Fahrt machte. Paketschiffe waren unschlagbar wendig und schnell. Das gab ihnen Sicherheit gegenüber Freibeutern. Ebenso ihre Kanonen. Antero zählte zwölf Geschützpforten in der ihm zugewandten Seite. Also verfügte das Schiff über vierundzwanzig Kanonen im Batteriedeck, die Breitseiten feuern konnten. Dazu sah er zwei Calverinen im Heck, mit denen sich auf Verfolger schießen ließ. Passagiere winkten. Er hob die Hand zum Gruß.
Er hatte oft über die Paketschiffe nachgedacht. Sie fuhren im Linienverkehr zwischen Falmouth und Lissabon. Früher hatten die in Portugal angesiedelten Händler ihre Korrespondenz nach Großbritannien in Kopie verschiedenen Schiffen mitgegeben, um sicherzugehen, dass einer der Briefe beim Empfänger ankam. Heute sandte man nur noch das Original mit dem Paketschiff. Man konnte sich darauf verlassen, dass es England erreichte. Ein großer Fortschritt.
Die Händler vertrauten dem Schiff aber nicht nur ihre Briefe an. Es gab an Bord einen diplomatischen Beutel. Dahinein gaben die Händler kleine Päckchen, die Goldmünzen enthielten, Goldstaub, sogar Goldbarren. Gewöhnliche Post wurde in Lissabon zu Kontrollzwecken geöffnet und war daher nicht sicher. Den diplomatischen Beutel aber schaffte der Paketschiffagent an Bord, der in Lissabon den Generalpostmeister von London vertrat. Niemand öffnete den Beutel. Er war ein unantastbarer Reisender zwischen den Staaten.
Wenn es Antero gelingen würde, den Beutel an sich zu bringen! Er könnte sich mit diesem Raub für alle Zeiten zur Ruhe setzen. Eine innere Sperre aber hinderte ihn. Er war kein Dieb. Er war Schmuggler. Er unterschlug Steuern und unterlief Handelsabkommen. Er prellte allenfalls Hafengebühren oder die Erhebungen der Faktoreien.
Natürlich stahl er indirekt Geld, indem er die Städte und Königreiche betrog. Nur kam es ihm weniger verwerflich vor, weil er keine einzelne Person ausraubte. Und wenn er doch …? Je öfter er über den diplomatischen Beutel nachdachte, desto leichter fiel es ihm, sich den Raub vorzustellen. Vor einem halben Jahr war die Schwelle noch höher gewesen.
Überreste seines Glaubens rumorten in ihm. Gott fand sein Handeln sicher abscheulich. Auch wenn er nur aus Verzweiflung sündigte und nur so viel, wie in seiner Lage notwendig war – es war falsch zu stehlen. Im Grunde wollte er ja nicht einmal schmuggeln, er war gezwungen dazu, sonst wäre er längst Assistent eines Mathematikers, Physikers oder Botanikers an der Universität. So geschieht es, dachte er, so rutscht man nach unten und wird zum Verbrecher, genau das bin ich geworden, ein Verbrecher.
Sie fuhren in die Mündung hinein. Weideland erstreckte sich zu beiden Seiten. Vereinzelt standen Villen inmitten von grünen Bauminseln. Obstplantagen erklommen die Hänge. Auf Süßkartoffelfeldern hackten Sklaven den Boden und bereiteten ihn für den milden Winter vor. Die meisten waren von schwarzer Hautfarbe.
Antero drehte sich noch einmal zum Meer um. Er sah winzige Segel, über den Horizont verstreut. Handelsschiffe aus aller Herren Länder strebten auf Lissabon zu. Obwohl er die alte Heimat vor Jahren verlassen hatte, empfand er Stolz. Die Hauptstadt des Königreichs Portugal war eine der größten Städte, gleichbedeutend mit London, Paris und Neapel, und was den Handel betraf, war sie ohne Zweifel der wichtigste Ort der Welt. Als Vasco da Gama den Seeweg nach Indien entdeckte, hatten die Schiffe Lissabon mit Pfeffer, Zimt, Muskatnüssen und Perlen zur Königin aller Handelsstädte gemacht. Seitdem regierte sie weise und gütig. Überall auf der Erde kannte man ihren Namen. Lissabon war reich, die Stadt hatte sich satt gegessen an brasilianischem Gold und Edelsteinen. Sie besaß die besten Märkte. Alles, was das Herz begehrte, bekam man in Lissabon.
Belém kam in Sicht. Weiß strahlten die Kathedrale und das Kloster der Hieronymus-Mönche vor dem blauen Morgenhimmel auf. Im Fluss trotzte der Torre de Belém den Wogen. Der vierstöckige Festungsturm war vollständig von Wasser umgeben. Er beherrschte mit seinen Kanonen den Wasserweg nach Lissabon. Kein Schiff konnte ihn passieren, wenn die Wachen im Festungsturm den Befehl erhielten, es zu versenken.
Vom Land her blies ein warmer Wind. Es roch nach Süßkartoffeln und Erde. Möwen gesellten sich zur Fortune. Sie begleiteten sie, laut rufend, und kreisten um die Masten. Es war ein guter Tag, ein freundliches, gewinnverheißendes Ankommen.
Alles lief wie geplant: Sie hatten es geschafft, die Schmuggelware an Bord zu bringen, ohne dass die englischen Hafenhüter etwas davon mitbekamen. Und in Lissabon hatte Antero seine Geschäftspartner. Er würde dafür sorgen, dass die Kisten bei Nacht unbemerkt ausgeladen wurden.
Die Fortune zog an Hügeln vorbei. Über den Bug hinweg war bereits ein Wald von Segeln zu sehen. Dahinter zeigte sich Lissabon. Zu den Füßen der Stadt stand die Kirche Santa Catarina. Weit erstreckten sich die Alcântara-Hafenanlagen. Es lagen Hunderte Schiffe vor Anker. Auf den Hügeln erhoben sich Paläste, Wohnhäuser und Kirchen in den Himmel, so weit das Auge reichte.
In den Portugiesen steckte von allen Völkern etwas, von Kelten, Phöniziern, Griechen, Römern, Germanen und Mauren. Das machte diese Stadt groß. Ihre Sitten, ihre Sprache. Das Portugiesische stützte sich auf das Vulgärlatein, das die römischen Besatzungstruppen gesprochen hatten. Es besaß aber auch viele arabische Wörter. Die Stärke zahlreicher Völker war an diesen Ort gebracht worden und hatte sich zu einer Weltstadt vereint.
Mehr als dreißigtausend Häuser fluteten über die Hügel. Bunte Wäsche hing an Eisengestellen aus den Fenstern, der Platz reichte nicht, um sie in den Höfen oder in den Räumen aufzuhängen. Manche Häuser ragten sechs Stockwerke in die Höhe. Die Mauer rings um Lissabon besaß siebenundsiebzig Türme. Auf einem Hügel thronte die Burg, errichtet nach maurischer Art.
Es roch stechend nach Holzteer und Pech. Antero hielt für einen Moment den Atem an. Sie dichteten ein Schiff ab, hier draußen. Das heiße Pech dampfte. Die Brandgefahr war hoch bei diesen Arbeiten, deshalb geschah das Pichen vor dem Hafen auf Reede.
Den Palast säumten weite weiße Treppen zum Flussufer hin, in Reihen gepflanzte Bäume und Zierbrunnen. Lissabon, die Hauptstadt des Königreichs Portugal, erstrahlte in Reichtum.
Sie überfuhren die Markierung. In allen Häfen gab es eine Markierung, die Schiffe nicht überqueren durften, wenn sie keine Fracht laden und löschen wollten. Wer diese Boje nicht passierte, durfte den Hafen wieder verlassen, ohne Gebühren zu bezahlen. Wer sie aber einmal überquert hatte, für den gab es kein Zurück mehr.
Captain Wrightson trat neben ihn. Er trug seinen besten blauen Rock. Die Messingknöpfe glänzten. Aber er war blass im Gesicht.
»Schlagen Sie sich die Fracht aus dem Kopf!«, sagte Antero leise. »Denken Sie nicht mehr daran. Sie müssen Zuversicht ausstrahlen.«
»Ich hätte das nicht machen sollen.« Der Captain fuhr sich mit der gespreizten Hand über den Backenbart. »Ich war rechtschaffen, mein Leben lang war ich rechtschaffen. Was hat mich nur geritten, jetzt mit so etwas anzufangen?«
Der Captain redete, als hätte er Angst, seine Augen jedoch waren kalt dabei. Antero verspürte ein warnendes Ziehen im Bauch. Etwas stimmte nicht. Der Captain versuchte, ihn zu täuschen. »Sie müssen mir nichts vormachen, Captain. Sie haben schon einmal geschmuggelt. Ist es nicht so?«
»Es ist mein erstes Mal. Ich hätte mich niemals darauf eingelassen. Aber ich habe Sehnsucht nach meiner Tochter. Ich will bei ihr in Louisiana sein. Ich kann nicht länger warten.«
Louisiana?
Das war eine französische Kolonie. In der Kabine des Captains hing eine Karte der britischen Überseeterritorien. Er erzählte Lügengeschichten! Wollte er ihn über den Tisch ziehen? Wollte er die Ware stehlen? Wenn es so wäre, hätte er Antero draußen auf dem Meer die Kehle durchschneiden und ihn über Bord werfen können. Er war auf die Kontakte angewiesen, die er, Antero, in Lissabon besaß, um die Ware loszuwerden. Er konnte ihn nicht aus dem Geschäft drängen.
Antero musterte den Captain genau. Er würde ihn nicht aus den Augen lassen, bis die Fracht von Bord geschafft war.
2
Die eisenbeschlagenen Räder des Fuhrwerks rollten heran. Dalila presste sich gegen die Wand. Um ein Haar wäre sie überfahren worden. Warum passte sie nicht auf? Immer war sie mit ihren Gedanken bei ihm.
Sie löste sich von der Mauer und ging weiter bergab auf die Rua Nova dos Mercadores zu. In einer Seitengasse sah sie einen Jungen auf den Händen gehen, während ihn seine Kameraden anfeuerten. »Ich schaffe es bis da vorn. Passt auf!«, rief er mit rotem Kopf.
Im nächsten Hauseingang, den Dalila passierte, saß eine Greisin und brockte Brot in eine Schüssel Milch. Sie stellte die Schüssel auf den Boden. Ihre alte, struppige Katze streunte heran, um zu fressen.
Ein Mädchen hockte sich nieder und sah der Katze wissbegierig beim Fressen zu. »Wie alt ist sie?«
Dalila blieb stehen. Sie liebte den Anblick des Mädchens. Das Mädchen hatte ein schmutziges kleines Gesicht und braune Augen wie Nüsse. Seine Finger malten Kreise in den Sand, während es der Katze zusah.
»Sie ist achtzehn Jahre alt«, sagte die Greisin.
»Warum gibst du ihr Brot?«
»Sie fängt keine Vögel mehr.«
Das Mädchen sah zur Greisin auf. »Warum nicht?«
»Die meiste Zeit schläft sie. Sie ist alt und müde.« Die Greisin wischte sich ein weißes Haargespinst aus dem Gesicht. »Außerdem fehlen ihr die Zähne. Wenn sie gähnt, kannst du’s sehen, die vier großen Reißzähne sind weg. Wie soll sie die Vögel totbeißen?«
»Mag sie denn Brot?«
Die Greisin nickte.
»Darf ich sie streicheln?«
»Gerne.«
Vorsichtig fuhr die Kleine mit der Hand über das rauhe Fell. Die Katze ließ es geschehen, sie fraß unbeeindruckt weiter. Das Mädchen sagte: »Liebe alte Katze.«
Wie es wohl wäre, Mutter zu sein? Sie würde das Mädchen baden und ihm schöne Kleider kaufen. Sie würde ihm zeigen, wie man Blumenkränze flocht. Jeden Abend würde sie mit ihm Lieder singen.
Aber der Mann, der zu ihr, Dalila, gehörte, wusste nichts von ihr. Sie spürte eine Verwandtschaft zwischen ihnen, die sie regelrecht überwältigte, während er an die Falsche geraten war. Ihre Zwillingsschwester war kaltblütig und berechnend, sie war eingebildet, sie war stolz und oberflächlich. Die beiden passten nicht zusammen. Wie war es möglich, dass er Leonor liebte und nicht sie?
Sie musste an den Kuss denken, den er der Schwester bei seinem letzten Besuch gegeben hatte, lang und innig. Feuer brannte in ihrem Bauch. In der Weltgeschichte lief etwas schief. Gott musste abgelenkt sein, er passte nicht auf.
Am Ende der abschüssigen Straßenschlucht leuchtete der Tejo auf, ein blauer weiter Wasserteppich voller Schiffe. Wenn sie mit Antero fliehen könnte! Wenn es ihr gelingen würde, sich auf sein Schiff zu schleichen und mit ihm fortzusegeln von der Schwester! Draußen auf dem Meer würden ihm die Augen aufgehen. Er würde sie, Dalila, bemerken und staunen, wie blind er gewesen war.
Der Herrgott hatte hier etwas zu tun. Er musste ihr helfen.
Durch die Rua Nova dos Mercadores zwängte sich ein endloser Wurm von Menschen, murmelnd, rufend, lachend. Sie tauchte darin ein und bog nach links ab. Buden ragten von beiden Seiten in die Menge. Einige Krämer hatten sich auf den Treppenstufen der Häuser niedergelassen. Taschen konnte man kaufen, Körbe, Schmuck, Töpfe, Messer. Andere Krämer boten Datteln und Kirschen an. Es roch nach gegrilltem Stockfisch. Darüber breitete sich der Duft von Seifenpulver. Die Waschfrauen in den Höfen streuten es in ihre Zuber, es war der typische Geruch der armen Stadtviertel. Seit sie in Antero verliebt war, mochte sie diesen Duft. Sie fühlte sich mit den Armen verbunden. Die Armen waren unglücklich, so wie sie.
Dalila war gern in der Alfama, dem Viertel der Hafenarbeiter und Wäscherinnen, der Dirnen, Diebe und Tagelöhner. Seit eh und je war dies der Stadtbezirk der Ausgestoßenen gewesen. Verarmte Mauren lebten hier und Krüppel und Einäugige und konvertierte Juden.
Lissabon glich einem Amphitheater, das sich zum Wasser hin öffnete. Der Hafen war die Bühne. Fünf Hügel umgaben das große Tal des Stadtkerns wie Zuschauerränge. Die Alfama aber lag auf der rückwärtigen Seite, auch am Fluss und doch ausgeschlossen. Die Stadt kehrte ihr den Buckel zu. Nur die Inquisition tauchte häufig in der Alfama auf, um Juden zu jagen, die ihren alten, verbotenen Praktiken nachgingen.
Auf einem Treppenabsatz hatte ein Händler Hunderte von buntbemalten Heiligenfiguren aufgebaut. Die meisten davon stellten Antonius dar, den Stadtheiligen. Jeder Antonius hielt das Jesuskind im linken Arm und im rechten Arm ein Buch und eine Lilie. Dennoch waren die Figuren nicht gleich. Dalila hob sie einzeln an und betrachtete sie. Ein Antonius blickte zornig, einem anderen tränte das Auge, dem dritten hing eine Haarsträhne ins Gesicht, beim vierten war vom Mönchsgewand etwas Farbe abgeplatzt. Der fünfte aber, den sie in die Hände nahm, gefiel ihr auf Anhieb. Er lächelte das Kind an, das er im Arm hielt, und war auch rundum unversehrt. Sie fragte nach dem Preis.
»Zwei Tostão.« Der Händler streckte eine dürre Hand aus seinem Gewand. In den Falten des Umhangs war kein Körper auszumachen. Wie dünn war der Mann? Er verkaufte Figuren und war selbst bloß ein Schatten.
»Ich gebe Ihnen eine.«
Der Dürre taxierte sie. »Zwei sind mir doch erheblich lieber.«
Natürlich, das Seidenkleid. Es verriet, dass sie wohlhabend war. Daran hatte sie nicht gedacht. Aber es kam nicht darauf an. Sie fischte zwei Silbermünzen aus ihrer Börse und gab sie ihm.
Er lächelte. »Großzügigkeit steht Ihnen bestens zu Gesicht.«
Dalila presste die Figur an ihre Brust und zog sich in die Menschenmenge zurück. Der heilige Antonius musste ihr helfen. Er musste Gott auf sie aufmerksam machen, ehe sich Antero enger an Leonor band. Sie würde auch selbst ihren Teil beitragen, wenn sie nur erst göttliche Unterstützung hatte. Sie würde von den Schlichen der Schwester lernen.
Dalila sah sich um. Dort, war das nicht eine Schneiderei? Die Häuserfront war mit bemalten Keramikfliesen verziert, blauen Azulejos. Über der Tür hing eine bronzene Schere. Dalila bahnte sich einen Weg zum Haus. Neben dem Eingang war ein Zettel an der Wand befestigt.
Verkäuferin gesuct!Solte etwas schreibn und rechnen könn.
Der Zettel war alt und schmutzig. In der Alfama vermochten nur wenige zu lesen.
Sie betrat das Haus und schloss die Tür hinter sich. Es war kühl im Verkaufsraum. Bürgerliche Mode war ausgestellt: ein Frack von dunkelblauem Stoff, helle englische Westen, dazu verschiedene Rollen mit Wolltuch.
»Verzeihung?« Dalila sah sich um. War niemand hier? Sie spähte in den Nebenraum. Dort hingen grüne und braune Röcke und gestärkte Hauben. Es roch nach Kartoffelstärke. Die Schneiderei war der falsche Einkaufsort für sie. Um Antero zu beeindrucken, brauchte sie Kleider von Atlas und Damast. Dazu einen bemalten Fächer und ein Brusttuch aus blickdurchlässigem Stoff, wie Leonor es trug.
Leonor war ihr überlegen, was die Wahl der Farben und die Handhabung der Accessoires betraf. Wie legte man ein Brusttuch so, dass es mehr enthüllt als es verdeckt? Wie stieß man einen Mann in gespieltem Zufall mit dem Fächer an, wie schlug man schuldbewusst die Augen auf?
Sie beherrschte all diese Fertigkeiten nicht. Ihr fielen keine anzüglichen Scherze ein. Sie blickte sehnsüchtig, aber niemals keck. Und wenn es darauf ankam, verrutschte ihr ungeschickt der Reifrock und hing schief an ihr herab. In Belangen der Mode war sie seit jeher unbegabt gewesen.
Und erst das Schminken! Die Haut hatte man so blass wie möglich zu färben, um zart und zerbrechlich zu wirken. Durchsichtige Haut war das Ideal. Um diesen Eindruck zu erzeugen, ließ sich Leonor die Adern blau nachziehen. Zugleich musste auf die Wangen kräftiges Rouge aufgetragen werden, denn natürliche Röte war das Erkennungszeichen der Prostituierten, und davon galt es sich abzugrenzen. Nur wie vermied man, am Ende als buntbemalte Puppe herumzulaufen? Es musste mit dem Verteilen der Farbe zusammenhängen, wo genau man sie auftrug und wie viel davon.
Wenn Antero Frauen bevorzugte, die ein perfektes Äußeres besaßen, dann konnte Dalila ihn nie und nimmer für sich gewinnen. Der Gedanke schnürte ihr den Hals zu. Sie schlich in den Nebenraum und kniete sich in den Winkel neben einen Kleiderständer mit Röcken. So fest sie konnte, umklammerte sie die Heiligenfigur. »Heiliger Antonius«, flüsterte sie, »bitte höre mein Gebet. Ich brauche deine Hilfe. Lenke Gottes Aufmerksamkeit auf mein blutendes Herz! Antero kann meine Schwester nicht lieben, sie ist die Falsche für ihn. Sie wird ihn enttäuschen, das weißt du. Er hat eine Bessere verdient. Ich wage zu hoffen, dass ich … dass vielleicht ich …« Ihr Herz flatterte. »Kannst du nicht dafür sorgen, dass er mich sieht, wie ich wirklich bin? Auch wenn ich keine Begabung darin habe, die Aufmerksamkeit von Männern auf mich zu lenken. Bitte hilf, dass er mich bemerkt und mich … gut findet. Welche Art von Kleid soll ich kaufen? Welches würde ihm gefallen?«
Die Tür klappte.
Dalila stand rasch auf. Sie spähte an den Röcken vorbei in den vorderen Verkaufsraum. Der Hagere, der ihr die Figur verkauft hatte! Er verriegelte die Eingangstür, ganz so, als gehöre ihm die Schneiderei und als wolle er ungestört sein mit dem Gast, der bei ihm war.
Der Gast war ein breitgesichtiger Mann. Er sagte: »Was wollte die Tochter des Barons von dir?«
Er meinte sie. Dalila hielt den Atem an. Sie wagte nicht, sich vom Fleck zu rühren.
»Sie hat eine Heiligenfigur gekauft«, sagte der Hagere und rieb sich die Hakennase. »Das war alles.«
»Unterschätze die Frauen nicht.«
»Sie ahnt nichts.«
»Wo ist sie hingegangen?«
»Ich hab sie im Gedränge aus den Augen verloren«, sagte der Hagere. »Aber glaube mir, sie ist nur zum Einkaufen hier.«
Der Gast nahm den Dreispitz vom Kopf und fuhr sich durch das rabenschwarze Haar. Seine Daumennägel hatten die Länge von Geierschnäbeln. Obwohl sie gut gepflegt waren, sah es abstoßend aus. Er trug teure, glänzende Kleider. »Ich habe mir den Baron gestern angesehen. Ich traue ihm nicht. Er wird zögern.«
»Du bist auf ihn reingefallen. Der Baron ist ein Schauspieler. Wenn dieser Mann jemals gezögert hat, dann war es ein Täuschungsmanöver. Was meinst du, wie er auf seinen brasilianischen Landgütern die Plantagen bewirtschaftet? Mit Indios. Die sterben wie die Fliegen, weil sie die harte Zwangsarbeit nicht aushalten. Meinst du, das kümmert den Baron? Er hat Menschenhändler angeheuert, die ihm neue Indios einfangen, und Hunderte Afrikaner nach Südamerika transportiert.«
»Wo soll dieses Oldenberg sein, nach dem er sich nennt? Ich habe nie davon gehört.«
Sie redeten tatsächlich von ihrem Vater. Aber auf welche Weise! Sie durften sie nicht bemerken. Dalila zog sich tiefer in den Winkel zurück.
»Es ist ein deutscher Ehrentitel. Vor zwei Jahren hat Friedrich August, der Fürstbischof von Lübeck, den Mann zum ersten Baron von Oldenberg ernannt.«
»Es hat also nichts zu sagen.«
»Dieser Friedrich August ist der Bruder des schwedischen Königs!« Der Schneider zog die Augenbrauen hoch. »Und der Baron ist so reich, dass ihm das Gold aus den Taschen quillt. Bis vor Kurzem hatte er das königliche Monopol auf den gesamten Tabakhandel Portugals. Und er gehört seit achtundzwanzig Jahren dem Orden der Christusritter an, wusstest du das nicht?«
»Dann ist der Grund für seine Aufnahme in den Orden lange her und bedeutet längst nichts mehr.«
»Heitor, er ist unser Mann.«
»Du versuchst doch nur, der Jesuitin zu gefallen.«
»Gefallen!« Der Schneider winkte ab. »Mit einem wie mir würde sie nichts anfangen. Aber sie ist klug. Was sie hier einfädelt, könnte ganz Portugal verändern.«
»Besser, wir haben noch ein zweites Eisen im Feuer. Ich kümmere mich darum. Sehen wir dann, wer von uns zuerst zum Ziel kommt.«
»Ein zweites Eisen? Weißt du, wie lange die Jesuitin den Baron bearbeitet hat?«
Heitor entriegelte die Tür, setzte sich den Dreispitz auf und ging, grußlos.
Kaum war der Mann fort, schlug der Hagere mit Wucht die Faust auf den Verkaufstresen. Ein Nadelkissen fiel zu Boden. Er trat danach und schoss es in Dalilas Richtung. Mit großen Schritten verließ er die Schneiderei.
Dalila sah den heiligen Antonius an und wagte nicht zu atmen.
Die Anker der Fortune waren kaum auf den Grund gesunken, da legte am Ufer bei den Verteidigungsschanzen schon ein Boot ab, um die Dreimastbark aufzusuchen. Vier Ruderer fuhren das Boot. Im Heck saßen zwei Hafenhüter, im Bug ein weiterer Mann. Die Hafenhüter erschienen immer zu zweit, damit es nicht zu Bestechungen kam. Der Mann im Bug gehörte wohl zur Inquisition. Dass sie Zeit für solchen Unsinn hatten!
Antero ließ seinen Blick über den Hafen schweifen. Der Tejo machte sich vor Lissabon breit wie ein kleines Meer. Sonnenlicht setzte dem blaugrünen Wasser Diamantfunken auf. Zwischen wuchtigen Schiffsbäuchen schaukelten Möwen in den Wellen, als würden sie auf etwas warten.
Die Hafenhüter spähten aufmerksam nach vorn. Sie konnten ihn sehen, wie er an der Reling stand. Die entscheidende Stunde war gekommen. Er musste jetzt ganz der französische Reisende sein und den Schmuggler in den hintersten Winkel seines Bewusstseins verbannen.
Antero atmete durch. Wie sah ein Besucher aus Frankreich den Hafen Lissabons? Ein Besucher, der zum ersten Mal hier war? Neugierig beugte er sich über die Reling. Er blickte sich um und pfiff durch die Zähne eine französische Weise.
Rings um die Fortune ankerten holländische Fleuten und schlanke französische Pinassschiffe. Zum Kriegshafen hin sah er Fregatten und ein mit Kanonen gespicktes Linienschiff. Dahinter wiegten sich vier Korvetten auf den Wogen.
In der Ferne wartete die Brasilienflotte. Es mochten fünfzig Schiffe sein, hauptsächlich Galeonen, deren Achterkastelle sich weit über den Wasserspiegel in die Höhe reckten. Die kleineren, älteren Naos und Karavellen wirkten daneben kümmerlich. Die Eskorte wachte nahebei, acht mächtige Kriegsschiffe. Ein solcher Konvoi war, wenn er aus Brasilien kam, sieben oder acht Millionen Goldkronen wert. Der Begleitschutz war nötig. Nur im Konvoi konnte man den Angriffen der Piraten trotzen.
Die Companhia do Comércio do Brasil tauschte Brasilholz gegen Mehl, Wein, Trockenfisch und Olivenöl ein, das sie nach Brasilien bringen würden. Andere Händler, die sich dem Konvoi mit ihren Schiffen angeschlossen hatten, brachten Zucker von den brasilianischen Zuckerplantagen, dazu Kakao, Rinderhäute und Gold. Die Versorgung ganzer Länder schwamm dabei über das Meer. Antero kannte das Geschäft.
Immer wieder gab es Gespräche darüber, ob es nicht besser sei, den Konvoi abzuschaffen. Die Nachteile lagen auf der Hand: Erreichte der Konvoi Portugal, war augenblicklich der Markt übersättigt mit den Waren aus Übersee. Wer es wagte, später im Jahr allein zu fahren, verdiente mit den gleichen Gütern ein Vielfaches.
Oder wer es wagte zu schmuggeln, an allen Bestimmungen, Verboten und Abgabeforderungen vorbei. Antero zwang sich, den Gedanken fortzuschieben. Er durfte jetzt nicht aus seiner Rolle fallen. Er entspannte die Glieder und tat so, als betrachte er das Boot der Hafenhüter ohne Furcht, ohne das Gefühl, nicht hinsehen zu dürfen.
Das Boot passierte einen Lastkahn. Auf dem Kahn wurden abgedichtete Tonnen zum Ufer gebracht. Die Hafenhüter musterten sie streng. Die Tonnen konnten alles enthalten: Pelze, Wein, Gewürze, Öl oder Getreide von einem Handelsschiff. Oder sie waren leer und sollten mit Trinkwasser und mit Proviant gefüllt werden.
»Sehen Sie das Linienschiff dort?« Der Schiffszimmermann trat neben ihn. »Drei Decks, achtundneunzig Kanonen. Das ist der helle Wahnsinn, was? Früher hat man auf See noch feindliche Schiffe geentert. Heute fahren solche Kolosse herum.«
»Aber es wird immer noch geentert, die Piraten –«
»Unsinn! An Entern ist nicht mehr zu denken. Die Flotten stellen sich gegenüber in zwei langen Reihen von Schiffen auf« – er hielt seine Hände nebeneinander – »und dann wird aus allen Rohren gefeuert, bis eine Seite sich zurückzieht, weil ihr die Masten um die Ohren fliegen.«
»Ach so. Erstaunlich.«
»Die kleineren Schiffe brauchen sie doch nur noch, weil man im hinteren Bereich der Reihe das Flaggschiff nicht mehr sehen kann! Die Kleinen müssen also die Flaggensignale weiterreichen, sonst nichts mehr. Vergleichen Sie mal diesen Berg von einem Schiff mit den Korvetten da. Ist Ihnen klar, dass in diesem einen Linienschiff ein ganzer Wald von Eichen steckt? Und dann zigtausend Pfund Eisen für die Kanonen. Die Mannschaft, die Lebensmittel, das Pulver, das Blei – es ist ein Wunder, dass das Schiff so sicher auf dem Wasser schwimmt.«
Das Boot drehte bei. Sie waren da. Die Ruderer zogen die Riemen ein. An den Strickleitern, die der Captain an der Reling der Backbordseite hatte befestigen lassen, kletterten die Hafenhüter herauf. Es folgte der Prüfer der Inquisition. Kannte er ihn? Antero musterte beiläufig sein Gesicht. Nein.
Während die Seeleute barfuß waren und selbst die Schiffsoffiziere nur einfache Schuhe mit Bandverschluss trugen, glänzten an den Schuhen der drei Männer teure Schnallen. Die beiden Hafenhüter zwängten ihre Hüte unter den Arm und deuteten vor dem Captain eine Verbeugung an. »Willkommen in Lissabon, Herr Kapitän.«
Währenddessen zog der dritte Mann an einer silbernen Kette seine Uhr hervor und sah mürrisch auf das Ziffernblatt. Er hatte spitze, lange Daumennägel. Antero sah genauer hin. Die Uhr glich der seinen wie ein Ei dem anderen.
Ein glutheißer Nagel bohrte sich in seinen Verstand. Alles, was vom Franzosen in ihm war, verkochte augenblicklich. Er war ganz der Schmuggler. Er war die Ratte, die man in die Ecke trieb. Sie hatten einen Schüler Malagridas geschickt.
3
Ein Wolf auf der Jagd, fuhr es Antero durch den Kopf. Mit Ausnahme der seltsamen Daumennägel wirkte der Mann zivilisiert. Rock und Weste waren von einer Reihe halbkugeliger Knöpfe besetzt. An den Ärmeln des Justaucorps sahen Spitzenmanschetten heraus, und um den Hals des Mannes lag eine weiße Binde. Malagridas Schüler hatten wohlgekleidet aufzutreten, schließlich bewegten sie sich in den besten Kreisen. Aber es waren vermummte Bestien.
Unterhalb seiner Kniehose saßen tadellose weiße Kniestrümpfe. Er trug eine Reitperücke. Nein, das war sein eigenes Haar! Ein Mann, der etwas auf sich hielt, ging niemals ohne Perücke auf die Straße. Die Meinung der Leute kümmerte ihn wohl nicht. Er war seiner selbst und seiner Sache sicher.
Antero durfte diese Begegnung nicht dem Zufall überlassen. Er trat auf den Fremden zu. »Seien Sie gegrüßt.« Der französische Akzent gelang ihm tadellos. »Ich bin Jean. Ich bin Passagier auf diesem Schiff, und es ist mein erster Besuch in Portugal. Was erwartet mich, wenn ich den Hafen betrete? Muss ich mich irgendwo melden?«
Der kalte Blick des Fremden haftete an seinem Gesicht. »Wie meinen Sie das?«
»In Portugal ist einem die Inquisition immer auf den Fersen, sagt man. Sie begutachtet jeden Schritt, den man macht. Da will ich nicht gleich zu Beginn etwas falsch machen.«
Die Seeleute machten ihm hektische Zeichen. Ihre Gesichter waren bleich.
Antero ließ sich nicht beirren. Er sagte: »Jeder kann mich melden, habe ich gehört. Mein eigener Diener, mein Notar oder Leute von der Straße, die ich nicht einmal kenne. Ist das wahr?«
»Halten Sie besser den Mund, Mann.« Der Fremde wandte sich dem Captain zu. »Name und Nationalität des Schiffs?«
»Es ist die Fortune, verehrter Herr, und wir segeln unter britischer Flagge.« Captain Wrightson hob den Ärmel zum Mund und hustete.
»Der Name des Eigentümers?«
»Adam Bromley.«
»Anzahl der Passagiere? Anzahl der Besatzungsmitglieder?«
»Ein Passagier, vierunddreißig Seeleute.«
»Religion?«
»Wir sind sämtlich Protestanten, bis auf den Schiffsjungen Robert Scott, der ist katholisch.«
Der Fremde sog scharf die Luft ein. »So.« Er musterte die Seeleute, als seien es Teufel. »Gibt es Bücher an Bord? Bildnisse?«
»Nein, verehrter Herr.«
Antero stolperte zwischen den Captain und den Fremden und täuschte Entsetzen vor. »Sind Sie … Ich meine, stellen Sie diese Fragen, weil Sie zur Inquisition gehören? Das ist mir furchtbar unangenehm. Ich konnte doch nicht wissen, dass Sie für die Inquisition arbeiten! Bitte, Sie dürfen nicht denken, dass ich eine schlechte Meinung von Ihnen habe, ich wollte auch nicht die Gepflogenheiten Ihres Landes belei–«
»Belassen wir es dabei«, unterbrach ihn der Fremde. »Sie reden sich um Kopf und Kragen.«
»Darf ich Sie höflich bitten«, setzte einer der Hafenhüter an, »uns die Fracht zu zeigen, Herr Kapitän? Das könnte vielleicht auch Ihr Bootsmann erledigen, mein Amtsgenosse wird ihn begleiten. Wenn wir währenddessen die Schiffsdokumente für den Zoll ausfüllen könnten?«
»Selbstverständlich. Gehen wir in meine Kajüte.« Der Captain entfernte sich mit dem Hafenhüter. Der Inquisitor folgte ihnen zur Kapitänskajüte, während der zweite Hafenhüter mit dem Bootsmann an die Ladeluken herantrat.
Nicht Malagridas Mann! Antero schluckte trocken. Er würde verlangen, dass der Captain ihm die Päckchen mit Waren zeigte, die der Schiffsbesatzung gehörten, und würde die Uhr in seinem Päckchen sehen und sofort begreifen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. »Lieber Herr Inquisitor«, sagte er und eilte ihnen nach. »Darf ich Sie kurz sprechen?«
Der Fremde blieb stehen. »Was wollen Sie noch?«
Antero zog ihn beiseite. »Ihnen ein Geheimnis anvertrauen. Deshalb sind Sie doch hier, um Geheimnisse zu ergründen, oder?«
Der Fremde runzelte die Stirn. »Reden Sie.«
»Wir haben hauptsächlich englisches Tuch geladen. Aber auch Säcke mit gestrickten Strümpfen und einige Wollteppiche.«
»Das kümmert mich nicht.«
»Die Frage ist, was wird der Captain an Bord nehmen, wenn die Fracht verkauft ist?«
»Sie werden es mir sicher sogleich sagen.«
Antero raunte: »Auch wenn ich ihm damit in den Rücken falle, ich verrate es Ihnen. Er kauft Salz aus Setúbal oder Aveiro und bringt es in die Baltische See. Dort ist es gut nachgefragt, weil man es braucht, um Heringe einzusalzen. Ein gewieftes Geschäft. Anschließend bringt er Holz und Pech für den Schiffsbau aus dem Baltischen nach England.«
»Sie verschwenden meine Zeit.«
»Warten Sie! Das ist die vordergründige Geschichte. In Wahrheit schmuggelt der Captain! Auf diesem Schiff werden Sie nichts finden, aber ich weiß, wo Sie fündig werden. Was ist Ihnen die Sache wert?«
»Gehen Sie damit zu den Hafenhütern. Schmuggler interessieren mich nicht.«
»Tatsächlich? Er schmuggelt Bücher! Solche, die im Verbotskatalog der Inquisition stehen. Die verkauft er unter der Hand zu höchsten Preisen, hier bei Ihnen.«
Ein Glühen erschien in den Augen des Fremden. »Wo hat er die Bücher?«
»Wissen hat seinen Preis. Was bezahlen Sie dafür, dass ich mein Leben aufs Spiel setze und Ihnen das Versteck verrate?«
Ein Hafenhüter kam durch die Luke der Kapitänskajüte nach draußen. Er hielt in der rechten Hand einige Tabakblätter, von der linken Hand baumelte eine Uhr herunter. »Gehört das Ihnen?«, fragte er, an Antero gewandt.
Malagridas Schüler sah auf die Uhr. Er blickte Antero ins Gesicht und sagte: »Tabak? Und Sie wollen mir etwas von Schmuggelei erzählen?« Hinter ihm erschien der Captain auf Deck. Sein Gesicht war ernst.
Die Bestie reagierte nicht auf die Uhr? Wie war das möglich?
In einem einzigen furchtbaren Moment begriff Antero. Das tödliche Spiel trug Malagridas Handschrift. Malagrida hatte Häscher nach ihm ausgeschickt. Captain Wrightson, der eine Lügengeschichte über die Kolonien und seinen Lebensabend erzählte, um ihn in die Falle zu locken. Den Mann mit den Krallen, der sich als Angestellter der Inquisition ausgab.
Antero sah aus dem Augenwinkel zu den Strickleitern. Sie rutschten unruhig über die Reling. Die Ruderer kletterten an Deck. Sie sollten ihn von hinten überraschen. Er rammte dem Fremden den Ellenbogen gegen den Kehlkopf. Der falsche Inquisitor fasste sich an den Hals und stolperte röchelnd nach hinten. Mit drei großen Sätzen war Antero an der Reling. Er warf die Beine hinüber und ließ sich fallen.
Die Wasseroberfläche zerriss wie Stoff unter ihm. Der Fluss umarmte ihn kalt. Luftblasen und Schwebeteilchen wirbelten im Wasser vor seine Augen. Er stieß nach oben, durchbrach die Wellen und schöpfte Atem. Eilig begann er, vom Schiff fortzuschwimmen.
Die Ruderer sprangen von den Leitern ins Wasser und kamen ihm nach. Sie waren gute Schwimmer. Antero stieß sich mit zwei kräftigen Zügen in die Höhe, um den Oberkörper über das Wasser zu bekommen. Er verpasste dem vordersten Verfolger einen Fausthieb an die Schläfe. Schmerz durchdrang seine Hand, der Mann aber sank zurück, seine Augenlider flatterten, offenbar rang er mit dem Bewusstsein. Der zweite Ruderer kam heran. Antero schlug nach ihm. Das Wasser bremste unglücklich seinen Hieb. Der Ruderer umschlang mit den Armen Anteros Kopf und drückte ihn unter Wasser.
Er rammt dem Ruderer den Ellenbogen in den Bauch. Dumpf hörte er ihn stöhnen, dennoch, der Griff blieb unerbittlich. Antero setzte seine Hände an die verschränkten Arme des Ruderers und versuchte sie zu öffnen. Aber es gelang ihm nicht, den Kopf frei zu bekommen. Ihm wurde die Luft knapp. Das aufgewühlte Wasser schäumte. Er versenkte seine Zähne in das Fleisch des fremden Arms. Ein Schmerzensgurgeln. Der Griff des Ruderers wurde schwächer. Blut verfärbte das Wasser. Antero biss noch einmal zu. Er kam frei.
Obwohl er es kaum aushielt vor Atemnot, zwang er sich, nach unten fortzutauchen. Er schwamm unter Wasser zum mächtigen Bauch der Fortune. Seine Glieder zuckten. Er brauchte Luft! Er schluckte brackiges Wasser. Mit letzter Kraft tauchte er unter den Rumpf der Bark. Wasserpflanzen wucherten am dunklen Holz. Er sah schwarze Muscheln. Sie schürften ihm den Rücken auf, weil er zu dicht am Rumpf entlangschwamm, und schnitten in seine Haut.
Antero spürte, wie ihm die Sinne schwanden. Seine Schwimmzüge wurden kürzer, wie im Krampf bewegte er Arme und Beine. Endlich ging es wieder aufwärts. Am großen Ruder tauchte er auf. Er spürte Hustenreiz, zwang sich aber, nicht zu husten. Obwohl es ihn schwindelte und seine Lungen brannten, bemühte er sich, gleichmäßig zu atmen.
So dicht am Heck konnten sie ihn vom Schiff aus nicht sehen, und von den Ruderern trennte ihn der große Schiffsrumpf. Aber sicher errieten sie, wohin er geschwommen war. Ihm war schlecht. Wie viel Wasser hatte er geschluckt? Die Arme und der zerschnittene Rücken taten weh. Er griff nach unten und zog sich die Schuhe von den Füßen. Er ließ sie treiben. Das Pinassschiff vor ihm, konnte er darunter durchtauchen? Lebenswillen peitschte durch seinen Körper.
Er nahm fünf kräftige Atemzüge, dann tauchte er ab. Das blauschwarze Wasser umfing ihn. Er sah Möwen an der Wasseroberfläche treiben wie in einem gläsernen Himmel. Ihnen durfte er nicht zu nahe kommen, wenn sie aufflogen, verrieten sie ihn.
Schon nach wenigen Schwimmzügen hatte er das Gefühl, die Gliedmaßen stürben ihm ab. Er musste atmen, sofort! Um den Durchhaltewillen zu stärken, malte er sich aus, was ihn beim Auftauchen erwartete: Schüsse, Bajonettstiche, Röcheln und Tod. Er tauchte weiter.
Der Vater liebte Zahlentafeln. Im Kopf zu rechnen wäre schneller, und Vater war ein guter Kopfrechner. Trotzdem sah ihn Dalila tagaus, tagein über Zahlentafeln gebeugt. Er schlug Rechenergebnisse lieber nach. Sie waren in den Tabellen schwarz auf weiß gedruckt. Dort rührten sie sich nicht vom Fleck und warteten darauf, beim Namen gerufen zu werden.
Martinho Velho da Rocha Oldenberg fuhr mit dem Zeigefinger die Spalte hinunter und las, leise murmelnd, einen Zahlenwert heraus.
»Vater«, sagte sie, »es ist wichtig.«
Er runzelte die Stirn und sagte mit Nachdruck: »Vierundfünfzig.«
An der blauen Seidentapete hingen Gemälde des berühmten Peter Paul Rubens. Dalila mochte sie nicht. Die Körper kamen ihr vor wie rosige Schweineleiber. Nebenan spielte Leonor das Cembalo, die Töne drangen durch die offenen Türen. Leonor spielte ohne Gefühl. Die Noten erklangen in mechanischer Folge, es gab kein kunstvolles Verzögern, keinen eigenen Atem. Trotzdem lobte sie der Lehrer. Bei Männern hatte die Schwester schon immer offene Türen eingerannt.
Vater sah auf. »Was gibt es?«
»Ich war bei einem Schneider. In der Alfama. Dort habe ich versehentlich ein Gespräch gehört.«
»Ja, Dalila.« Sein Blick blieb leer. Er wollte zu den Zahlen zurückkehren. Was sie sagte, interessierte ihn nicht.
Diese großen Augen! Äderchen durchzogen die weißen Augäpfel. Man sah den Augen an, dass er viel arbeitete. Er schlief zu wenig. Dalila sagte: »Sie haben über dich gesprochen. Sie haben gesagt, dass sie dich bearbeiten.«
»So rede ich auch manchmal von meinen Geschäftspartnern. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.«
»Der eine war dünn wie ein Gerippe, ich glaube, er ist der Schneider, dem der Laden gehört. Dir quillt das Gold aus den Taschen, hat er gesagt.«
Vater lächelte. »Das ist unser Ruf, Kind, hast du das noch nicht bemerkt? Und es ist gut so. Auch wenn das Vermögen zum größten Teil angelegt ist, sie sollen ruhig wissen, dass wir eine wohlgefüllte Kriegskasse haben.«
»Die Männer haben im Negativen von dir gesprochen. So etwas merkt man.«
»Wie geht es mit dem Musikunterricht voran? Die Improvisation der Mittelstimmen zu Melodie und Bass, gelingt dir das inzwischen? Es werden immer mehr Stücke so geschrieben, sagen sie. Also solltet ihr das können, Leonor und du. Der Lehrer ist teuer. Ich will, dass ihr euch Mühe gebt.«
Sie stützte ihre Hände auf den Schreibtisch. »Vater, warum glaubst du mir nicht, dass diese Leute dir Böses wollen?«