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SILICON VALLEY: WARUM DIE TECH-ELITE IHRE KINDER AUF DIE WALDORFSCHULE SCHICKT Die Coronakrise zwang Schülerinnen und Schüler ins "Homeschooling". Online-Lernen schien das Gebot der Stunde zu sein. Doch lernschwache Kinder wurden dabei benachteiligt und selbst viele ältere Schüler scheiterten am eigenständigen Lernen. Und: Ein Gros der Eltern geriet massiv unter Druck, Heimschule und Beruf unter einen Hut zu bringen. Gleichzeitig schossen die Bildschirmzeiten in die Höhe – nicht nur für schulische Zwecke, sondern für Computerspiele und soziale Medien. Gibt es in Deutschland einfach zu wenig Tablets und Online-Angebote für Schüler? Vielleicht … Doch die Ursachen der digitalen Bildungsmisere liegen tiefer. Selbst die »beste aller Digitalwelten« kann keine zugewandten und inspirierenden Lehrer ersetzen! Menschen lernen am besten vom Menschen, ohne Computer. Im Silicon Valley wurde das bereits verstanden. Ingo Leipner zeigt, wie sehr die Debatte über digitale Bildung ein Holzweg ist - und das sogar in Zeiten einer Pandemie.
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Seitenzahl: 367
Ingo Leipner
DIE KATASTROPHEDER DIGITALEN BILDUNG
Warum Tablets Schüler nicht klüger machen – und Menschen die besseren Lehrer sind
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
1. Auflage 2020
© 2020 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
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Redaktion: Karla Seedorf
Umschlaggestaltung: Marc Fischer
Umschlagabbildung: Ben Romalis/ Computer Tablet smashed and destroyed
Satz: ZeroSoft, Timisoara
Druck: GGP Media, Pößneck
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-86881-804-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-239-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-240-9
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.redline-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
EINBLICKE INS BUCH
KAPITEL 1UNTERRICHT FÜRS »SCHWARZE LOCH«
Corona-Zeit: Warum selbst perfekte digitale Lernsysteme niemals in der Lage sind, den Unterricht von Mensch zu Mensch zu ersetzen
KAPITEL 2AUFSTIEG UND FALL DES MAURICE DE HOND
Warum die Steve-Jobs-Schulen in Holland scheitern mussten
KAPITEL 3GUTE IDEEN – KOMPLETT AUF DEN KOPF GESTELLT
Nicht alles ist Gold, was glänzt: Weshalb das Konzept der »Individualisierung« in die Irre führt
KAPITEL 4JAHRELANG ALLEIN VOR DEM COMPUTER
E-Mail-Interview mit der Psychiaterin Prof. Noriko Maruta. Sie erforscht Hikikomori: Menschen, die in Japan jahrelang ihr Zimmer nicht verlassen
KAPITEL 5TOTALITÄRE BILDUNG
Die dunkle Seite von Learning Analytics – und wie wir Kinder dem Datenmoloch ausliefern
KAPITEL 6KAMPF GEGEN DIE »GRAUEN HERREN«
Warum uns Momo gestohlene Zeit zurückbringt – und kleine Kinder nichts vor Bildschirmen verloren haben
KAPITEL 7DIGITALES RAUBRITTERTUM
Warum wir im elektrischen Strom nicht baden können, und der Cyberspace kein Himmel auf Erden ist
KAPITEL 8VEGANE KÜCHE FÜR STEAK-FREUNDE?
Paradox: Eltern im Silicon Valley lassen den Nachwuchs nicht an Computer
KAPITEL 9Digitale Analphabeten
Warum Schüler das Lesen am besten mit Büchern lernen – und Wissenschaftler zeigen, dass Bildschirme das Denken verflachen
KAPITEL 10GLÜCKSSPIEL IN DER HOSENTASCHE
Wie wir alle in die digitale Sucht gelockt werden und warum Kinder besonders in Gefahr sind
KAPITEL 11AUF DEM SILBER-TABLET SERVIERT!
Warum das Bohren dicker Bretter wichtig ist – und kein Computerspiel harte Arbeit beim Lernen ersetzt
KAPITEL 12SPALTPILZE
Wie die Vereinigten Staaten und China die soziale Spaltung vorantreiben – und dabei Digital-Technik nur unterschiedlich einsetzen
KAPITEL 13INDOKTRINATION 2.0
Warum es Tech-Konzerne nicht nötig haben, simple Propaganda zu verbreiten
KAPITEL 14ES MUSS NICHT IMMER DIGITAL SEIN …
Wie Medienpädagogen gut arbeiten, ohne dem IT-Hype der Gegenwart zu verfallen
DANKE
ÜBER DEN AUTOR
ANMERKUNGEN
»Das Publikum beklatscht ein Feuerwerk, doch keinen Sonnenaufgang.«
Friedrich Hebbel (1813 – 1863)
2015 erscheint die Lüge der digitalen Bildung, ein reißerischer Titel, wie die Kritik schnell feststellt. 2020 haut das Marketing noch mehr auf die Pauke; es kommt Die Katastrophe der digitalen Bildung auf den Markt. Und 2025? Da wird ein ganzes Stadion voller Blechbläser ertönen – mit einem gewaltigen »Fortissimo« für den Titel: Der Untergang des Universums durch digitale Bildung. Schlimmer geht’s nimmer.
Diese Geschichte habe ich in letzter Zeit oft erzählt, wenn es um mein aktuelles Buchprojekt ging. Ein leichtes Unbehagen schwang mit, die Befürchtung, den Mund etwas zu voll zu nehmen. »Die Katastrophe der digitalen Bildung«? Wäre es nicht auch etwas kleiner gegangen?
Dann stürzte ich mich in die Recherche und das Unbehagen löste sich allmählich in Luft auf. Virtuell bereiste ich die halbe Welt, vom Silicon Valley über China und Japan bis nach Holland. Überall traf ich auf Spuren einer Digitalisierung, die im Bildungsbereich katastrophale Konsequenzen hat – oder in Zukunft haben könnte.
Warum droht eine Katastrophe? Corona wurde zum Brandbeschleuniger digitaler Bildung, weil deren Protagonisten glauben, digitalen Notunterricht dauerhaft im Schulsystem verankern zu können. Bitkom-Chef Achim Berg spricht von einem »überfälligen Epochenwechsel in den Schulen«.
Nun, in der Not frisst der Teufel auch Bits und Bytes. Doch gerade die Schulschließungen zeigten, dass ein »Mehr an Digitalisierung« nicht die Lehre aus der Corona-Krise sein kann (Klaus Zierer). Wenn mein Bein gebrochen ist, freue ich mich über Krücken. Sobald ich wieder laufen kann, räume ich sie in den Keller (Kapitel 1: »Unterricht fürs ›schwarze Loch‹«).
Der digitale Notunterricht war besser als gar kein Unterricht. Doch seine vielen Mängel machen uns auf die erfreuliche Tatsache aufmerksam: Der Mensch lernt am besten vom Menschen! Klingt fast trivial, ist aber in digitalen Zeiten nicht mehr selbstverständlich. Zu oft wird die Illusion genährt, individualisierte Lernprogramme würden Kinder besser fördern, als es ein Lehrer jemals leisten kann. Dabei ist »Individualisierung« ein positiv besetzter Begriff, der die wahren Konsequenzen fürs Individuum verschleiert. Warum ich zu dieser Auffassung komme, begründe ich ausführlich in Kapitel 3: »Gute Ideen – auf den Kopf gestellt«.
Die »personalisierten« Programme leben von einem gewaltigen Datenstaubsauger, dem Rückkanal. Er ist nötig, damit das Programm die richtige Schublade öffnet, in der eine passende Aufgabe liegt. Vorher hat es die Leistung des Schülers analysiert. Deshalb ist von Learning Analytics die Rede, eine Technologie, die zum Bestandteil lebenslanger Überwachung werden kann.
Da zeichnen sich am Horizont Gewitterwolken ab, weil sich Learning Analytics mit biometrischer Vermessung kombinieren lässt, um digitale Lernumgebungen zu »optimieren«. Der gläserne Schüler bekommt genau gesagt, wann sein Interesse erlahmt und er eine Pause braucht, weil seine Nase wärmer geworden ist. Katastrophal, wenn sich dieser Trend zur Entmündigung durchsetzen sollte (Kapitel 5: »Totalitäre Bildung«).
Soziale Medien haben längst ihre Unschuld verloren. Manipulationen und Suchtgefahren tauchen oft als Thema in den Schlagzeilen auf. Was aber nur wenige wissen: Es gab von Anfang an Strategien, um Menschen an Bildschirme zu fesseln – durch psychologisch ausgeklügelte Suchtmechanismen. Diese Sicht der Täter fand ich spannend! Durch die Texte von Tristan Harris ergab sich auf dieses Phänomen ein neuer Blick, womit sich Kapitel 10 »Glücksspiel in der Hosentasche« befasst. Katastrophal? Das müssen Sie selbst beurteilen, wenn Sie wieder auf Ihr Smartphone starren …
Völlig paradox wird die Welt, wenn die New York Times übers Silicon Valley schreibt: Wer im Job eine neue Suchtschleife programmiert, hält vielleicht zu Hause seine Kinder von Bildschirmen fern – aus Angst vor Sucht und fehlender Bildung. Mich erinnert das an Dealer, die ihren Stoff in Discos verkaufen – und den eigenen Kindern verbieten, in Discos zu gehen. Schon wieder ist uns das Silicon Valley weit voraus, wie wir in Kapitel 8 »Vegane Küche für Steak-Freunde?« sehen werden.
Im übrigen Amerika wird die soziale Spaltung vorangetrieben – durch Online-Programme, die arme Kinder vor Bildschirmen abspeisen. Angeblich fehlt überall das Geld, um genügend Plätze in »Preschools« einzurichten. Reiche Kinder dagegen türmen Bauklötze und spielen mit Kameraden. Eine echte Katastrophe bahnt sich hier an (Kapitel 12: »Spaltpilze«).
Schließlich bietet das Buch noch Einblicke in eine alte Debatte: Macht es einen Unterschied, ob ich an einem Bildschirm oder auf Papier lese? Ja, einen gewaltigen Unterschied, wie Wissenschaftler im EU-Projekt »E-READ« herausgefunden haben. Ihre »Erklärung von Stavanger« 2019 ist ein Weckruf, der Digitalfans nachdenklich machen sollte (Kapitel 9: »Digitale Analphabeten«).
Eine neue Debatte ist ebenfalls nötig: Wie viel Einfluss erlaubt eine Demokratie Digital-Konzernen, wenn es um die Gestaltung von Schule geht? Sie kommen als IT-Samariter um die Ecke und zahlen kaum Steuern, die dann auch im Bildungswesen fehlen. Wieder ein Paradoxon! Und langfristig eine Katastrophe, wenn ökonomische Macht über Bildungsinhalte entscheidet (Kapitel 13: »Indoktrination 2.0«).
Soweit ein paar Einblicke in die Themen des Buches. Je mehr ich recherchierte, desto sicherer war ich, dem Verlag den richtigen Titel vorgeschlagen zu haben. Allerdings muss ich noch ein Thema erwähnen, damit nicht schon wieder der Vorwurf zu hören ist: »Sie alter Technikfeind und Kulturpessimist!« Jugendliche sollen Meister am PC sein, Programmieren lernen, Recherchen im Internet machen, Videos drehen und Websites gestalten. Toll, was mit digitalen Medien alles möglich ist. Aber bitte erst in einem Alter, wenn sie dazu die kognitive Reife erreicht haben (Kapitel 6: »Kampf gegen die ›grauen Herren‹«). Kindergärten und Grundschulen sollten bildschirmfrei bleiben. Außerdem gibt es eine Medienpädagogik, die sich genau an diesen Überlegungen orientiert (Kapitel 14: »Es muss nicht immer digital sein …«).
Das Buch ist so angelegt, dass Sie sich die Themen herauspicken können, die Sie am meisten interessieren. Die Kapitel bauen nicht aufeinander auf, weisen aber durchaus Querbezüge auf. Wer Die Lüge der digitalen Bildung kennt, wird schnell merken, dass viel neues Material eingeflossen ist. Selbst die Überlegungen zur Entwicklungspsychologie greifen neue Aspekte auf, sodass »Die Katastrophe der digitalen Bildung« ein eigenständiges Werk geworden ist.
Nun bleibt mir zu wünschen, dass der provozierende Titel seine Wirksamkeit entfaltet – und sich möglichst viele Menschen neue Gedanken über digitale Bildung machen. Wenn nämlich Wirtschaft und Politik die Digitalisierung der Schule »alternativlos« fordern, muss sich die Gesellschaft auf jeden Fall mit Alternativen beschäftigen. Die Erfahrung lehrt: In einem Diskurs der »Alternativlosigkeit« gibt es immer Alternativen. Sie sind zu entdecken und ernst zu nehmen, zum Beispiel in diesem Buch.
Ingo Leipner
Die Stunde der digitalen Bildung hat geschlagen. »Die Corona-Krise hat dem digitalen Lernen endlich auch in Deutschland einen großen Schub verliehen«, schreibt Prof. Christoph Meinel, Direktor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts.1 Ähnlich äußert sich Hannes Schwaderer, Deutschland-Chef von Intel, allerdings mit einem kritischen Unterton. Schwaderer wurde gerade zum Präsidenten der Digital-Initiative D21 wiedergewählt und sagte: »Corona hat uns mit aller Wucht aufgezeigt, dass wir bei der Digitalisierung in Bereichen wie Bildung, Gesundheit oder Verwaltung viel weiter sein müssten.« Daher zieht er die Schlussfolgerung: »Politik und Wirtschaft müssen jetzt die Krise als Chance verstehen und Digitalisierung erstens stärker als je zuvor und zweitens nachhaltiger verankern.«2 Und der Vertreter der IT-Branche, Achim Berg, ruft eine neue Epoche aus. Der Bitkom-Präsident ist überzeugt: »Die Corona-bedingte Digitalisierung hat einen überfälligen Epochenwechsel in den Schulen eingeleitet. Das Rad dürfen wir nicht einfach zurückdrehen.«3
»Epochenwechsel«? Ihm wollen wir auf die Spur kommen, indem wir zum Homeschooling sechs Studien auswerten, die alle im Sommer 2020 erschienen sind. Beteiligt waren diese Institutionen:
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
4
Philipps Universität Marburg / Technische Universität Dortmund
5
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
6
Universität Koblenz-Landau
7
Ifo-Institut
8
DAK-Gesundheit
9
Jede dieser Studien nahm eine besondere Perspektive ein. Daher ist zu erwarten, dass die Wissenschaftler nicht ganz ähnliche Ergebnisse gefunden haben. Aber es lassen sich gemeinsame Grundlinien erkennen, die wir in Form von fünf Erkenntnissen formulieren wollen.
Erkenntnis 1: Sehr viele Haushalte hätten die technischen Möglichkeiten gehabt, online einen Kontakt zwischen Schülern und Lehrern zu organisieren, etwa durch Videokonferenzen.
Aber die große Mehrzahl der Lehrer beschränkte sich auf das Verschicken von Aufgaben-Paketen (E-Mail), wobei ein Feedback auf die Lösungsvorschläge der Schüler häufig ausgeblieben ist (siehe Kasten »Kommunikation«).
Kommunikation
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg: Online wurden 4.000 Eltern von Grundschülern befragt. Die Kommunikation lief zu 50 Prozent über E-Mails; 15 Prozent der Lehrer gaben Aufgaben in Schriftform weiter. Die Lehrer nutzten auch andere Wege wie Smartphone oder die Homepage der Schule. Ein Drittel der Eltern bekam nur Aufgaben für die Kinder zugeschickt, sonst gab es keine Unterstützung durch die Schule. Zwei Drittel kannten die Kontaktdaten der Lehrer, die sie im Zweifelsfall um Rat fragen konnten. Nicht einmal zwei Prozent der Grundschüler erhielten »synchrone Unterstützungsangebote« wie Videochats. Prof. Raphaela Porsch: »An der Technikausstattung kann das nicht gelegen haben, denn fast alle befragten Eltern verfügen über internetfähige Geräte.«
Philipps Universität Marburg / Technische Universität Dortmund: Etwa ein Drittel der befragten Eltern sagten, dass die Mathematiklehrer bisher zwar Aufgaben zur Verfügung gestellt, jedoch keine Lösungen geschickt haben. Bei anderen Fächern sah die Situation noch schlechter aus: Deutsch (40 Prozent) und Sachkunde (56 Prozent). Ähnlich das Bild beim Feedback zu Lösungen: 59 Prozent der Eltern vermissten es im Fach Deutsch und 74 Prozent im Biologie- und Sachkundeunterricht. Diesen Trend sehen die Wissenschaftler kritisch: »Das ist aus motivationspsychologischer Sicht bedenklich, da Feedback sowohl mit einer positiven Entwicklung der Leistung einhergeht und motiviert – wenn die Rückmeldung richtig formuliert wird.« Trotz »technischer Möglichkeiten für Onlineunterricht« in vielen Familien wurde das Homeschooling überwiegend »durch das Versenden von Aufgaben« umgesetzt, so die Studie.
Ifo-Institut, München: 96 Prozent der Schüler erhielten mindestens einmal pro Woche Aufgabenblätter. In dieser Studie beträgt die Quote der Rückmeldungen durch Lehrer 64 Prozent, wobei die Schüler mit ihnen mindestens einmal pro Woche in Kontakt standen. 36 Prozent haben das weniger als einmal pro Woche erlebt – und 17 Prozent niemals! Gemeinsamen Unterricht gab es seltener als einmal pro Woche, und zwar für fast zwei Drittel der Schüler (57 Prozent), etwa per Videoanruf oder Telefon. 45 Prozent wurden niemals zusammen unterrichtet. Aber: Bei sechs Prozent war das täglich der Fall, bei 29 Prozent mehr als einmal pro Woche. Beobachtung der Studie: »Die Möglichkeit des Onlineunterrichts wurde von den Schulen also nur vergleichsweise selten genutzt.«
Erkenntnis 2: Das Internet spielt eine wichtige Rolle.
Das Ifo-Institut berichtet, dass die Kinder von 53 Prozent der befragten Eltern mehrmals pro Woche Lernvideos geschaut haben. 43 Prozent gaben an, ihr Kind habe mehrmals in der Woche eine Lernsoftware nutzen sollen. Die Universität Koblenz-Landau hat herausgefunden: 75 Prozent der Eltern sahen den Kontakt zu den Lehrern über E-Mail gewährleistet. Zudem gab es Material zum Download (54,5 Prozent), Internetseiten (41,6 Prozent), Videos auf YouTube (28,9 Prozent) und eigene Videos (15,4 Prozent). Befragt wurden Eltern von Schülern, die Grundschulen und weiterführende Schulen besuchen.
Erkenntnis 3: Die große Mehrzahl der Schüler hat ihren Zeitaufwand für schulische Aktivitäten in der Corona-Zeit deutlich reduziert.
Das ist eine heikle Aussage, denn manche Studie nimmt einen Vergleich in dieser Weise vor: Sie stellt die Zeit der Anwesenheit in der Schule (plus Zeit für Hausaufgaben) den Zeiten gegenüber, die Schüler jetzt im Homeschooling waren. Beispiel Ifo-Institut: »Die Zeit, die Schulkinder mit schulischen Aktivitäten verbracht haben, hat sich während Corona von 7,4 auf 3,6 Stunden täglich halbiert«, schreiben die Wissenschaftler. »38 % der Schüler*innen haben höchstens zwei Stunden pro Tag gelernt, 74 % höchstens vier Stunden.« Schlussfolgerung der Forscher: »Der Ausfall des Schulbesuchs konnte nur in geringem Maße durch gesteigerte Lernaktivitäten zu Hause aufgefangen werden.«
Ob sich diese Frage so eindeutig beantworten lässt? Vielleicht gibt es im konventionellen Schulbetrieb auch Leerlauf – und zu Hause wird intensiver gearbeitet? Das »Institut für Arbeits- und Berufsforschung« (IAB) stellt fest: Die reine Stundenzahl besage nichts über die »Intensität und Qualität des Lernens«:
»Es wäre theoretisch möglich, dass leistungsstarke Jugendliche den vorgesehenen Lernstoff mit einem geringeren Stundenpensum als im Schulkontext bewältigen können. Gegen diese Annahme spricht, dass Befragte mit geringerem Leistungsniveau (unter einem Notendurchschnitt von 2,5 in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch) weniger Zeit für die Schule aufwenden.«
Dann hat das IAB den Zeitaufwand fürs Lernen mit dem digitalen Lern angebot der Schule verglichen. Auf diese Weise konnte das Institut zeigen, »dass Schülerinnen und Schüler, die häufiger Lehrmaterialien bekommen, mehr Zeit für die Schule aufwenden.« Das IAB befragte Schüler in der gymnasialen Oberstufe und verzeichnete einen deutlich gesunkenen Zeitaufwand fürs Lernen: »Diese Befunde machen deutlich, dass es selbst in den gymnasialen Oberstufen für viele Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung ist, ihren Lernalltag mittels Homeschooling zu gestalten.«
Erkenntnis 4: Die sozialen Folgen des Homeschoolings können beträchtlich sein, weil benachteiligte Schüler zu Hause überfordert sind.
Wie oben bereits erwähnt, war Feedback der Lehrer häufig Mangelware. Darunter leiden besonders Kinder mit Lernschwierigkeiten, etwa bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). »Die Kinder können sich nicht selber strukturieren und planvoll vorgehen und die Delegation an die Eltern ist schwierig, da gerade die Hausaufgabensituation oftmals stark konfliktbehaftet ist«, sagt Prof. Hanna Christiansen von der Universität Marburg. »Es entstehen Wissenslücken, die kaum im Alleinstudium wieder aufgeholt werden können.«
Ihre gemeinsame Studie mit der TU Dortmund sieht »Kinder benachteiligter Bevölkerungsschichten« gefährdet, zum Beispiel »Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften und Kinder mit Lernschwierigkeiten«. Die Schulen sollten bundesweit Lösungen entwickeln, »wie alle Kinder aus allen Schichten bestmöglich erreicht werden können, um strukturiert und ohne Benachteiligung unterrichtet werden zu können.« Homeschooling kann nur funktionieren, wenn die Eltern Unterstützung gewähren. Viele Erwachsene stießen dabei an ihre Grenzen und mussten staunend erkennen: »Lehrer ist ein richtiger Beruf!«
Einen weiteren sozialen Aspekt greift die Universität Koblenz-Landau auf: Das Homeschooling bietet für Kinder zu wenige Möglichkeiten, um mit ihren Klassenkameraden in Kontakt zu treten: »Knapp 60 Prozent der Eltern geben an, dass sich ihre Kinder nicht mit Mitschülern austauschen.« Mehrmals am Tag kam es zu einem Austausch bei 9,7 Prozent der Eltern; 14,1 Prozent berichteten, dass die Kinder einige Male in der Woche Kontakt mit anderen aufnahmen. Schlussfolgerung der Wissenschaftler: »Im ›Homeschooling‹ finden im Vergleich zum normalen Schulalltag wenig Interaktionsmöglichkeiten statt.«
Erkenntnis 5: Die passive Nutzung von Bildschirmmedien hat in der Corona-Zeit stark zugenommen.
Das Ifo-Institut hat festgestellt: »Relativ passive Tätigkeiten wie Fernsehen, Computer- und Handyspiele und der Konsum von sozialen Medien [sind] während der Corona-Zeit stark angestiegen.« Das heißt in Zahlen: Mit diesen Medien verbrachten die Schüler am Tag 5,2 Stunden, was 1,25 Stunden mehr Zeit bedeutet hat, als es vor Corona der Fall war. Auf diese Weise haben die Schüler täglich 1,5 Stunden mehr mit Fernsehen, Computerspielen und Handy verbracht, als mit Aktivitäten des Homeschoolings (3,6 Stunden).
Die Studie der DAK-Gesundheit hat sich demselben Thema zugewendet. Sie nimmt einen Vergleich von Daten vor, und zwar aus dem September 2019 und Mai 2020. Also vor der Corona-Zeit und während der Schulschließungen. Zum ersten Zeitpunkt zeigten 10 Prozent der 10- bis 17-Jährigen ein riskantes Spielverhalten. Ein »pathologisches Gaming« stellten die Wissenschaftler bei 2,7 Prozent der Teenager fest. Interessant die Verteilung der Geschlechter: Bei den Jungen waren 3,7 Prozent betroffen, bei den Mädchen nur 1,6 Prozent. »Die ersten Ergebnisse sind alarmierend«, erklärte Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. »Hochgerechnet auf die Bevölkerung ist bei fast 700.000 Kindern und Jugendlichen das Gaming riskant oder pathologisch.« Das gilt für die Auswertung der September-Daten.
Der nächste Schritt: Auch im Mai 2020 erfassten die Wissenschaftler die Spieldauer pro Woche, die im Vergleich zu September 2019 um 75 Prozent in die Höhe schießt. An Werktagen steigt die durchschnittliche Gaming-Zeit von 79 auf 139 Minuten. Dazu Prof. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter am »Deutschen Zentrum für Suchtfragen«: »Die Nutzungszeiten der Kinder und Jugendlichen haben die größte Vorhersagekraft für ein problematisches und pathologisches Verhalten.«
Auch Aktivitäten in Social Media können bedenklich sein: Die September-Daten lassen den Rückschluss zu, dass 8,2 Prozent der Teenager eine »riskante Nutzung« zeigen. Das wären hochgerechnet etwa 440.000 Jugendliche. Bei 3,2 Prozent ist eine »pathologische Nutzung« erkennbar, was 170.000 Teenager betrifft. Mai 2020 wandelt sich das Bild erheblich: Werktags gehen die Social-Media-Zeiten um 66 Prozent in die Höhe (von 116 auf 193 Minuten). Die Absicht der Kinder: Langeweile bekämpfen und soziale Kontakte erhalten. »Rund ein Drittel der Jungen und Mädchen will online aber auch der ›Realität entfliehen‹ oder Stress abbauen«, schreibt die Krankenkasse. Das sind erste Symptome für Suchtverhalten.
Eine letzte interessante Zahl: 50 Prozent der Eltern gaben an, dass sie mit ihren Kindern keine Regeln zur Mediennutzung vereinbart haben, vor und während der Corona-Zeit. Vor diesem Hintergrund warnt DAK-Chef Storm: »Die Corona-Krise kann die Situation zusätzlich verschärfen. Es gibt erste Warnsignale, dass sich die Computerspielsucht durch die Pandemie ausweiten könnte.«
Es stellt sich selbstverständlich die Frage, ob ohne Corona-Umwelt die Gaming-Zeiten wieder stark sinken. Corona war ein heftiger externer Schock, der das Leben in Deutschland auf den Kopf gestellt hat. Daher wurde die DAK-Untersuchung als Längsschnittstudie angelegt, um über einen größeren Zeitraum Daten zu sammeln. Dann werden die Wissenschaftler vielleicht im nächsten Jahr Auskunft geben, wie sich das digitale Suchtverhalten entwickelt hat. Bis dahin sollten wir keine vorschnellen Schlüsse ziehen, wenn auch die bisherigen Zahlen sehr eindrucksvoll sind.
Perspektivwechsel: Bisher richtete sich unser Blick auf Eltern und Schüler. Aber es gab während der Schulschließungen auch Umfragen unter Lehrern, etwa von der Vodafone-Stiftung.10 Aus dieser Untersuchung wollen wir nur zwei Details herausgreifen. Eine Frage zielte auf Lehrer ab, die sich einer größeren Belastung ausgesetzt sahen. Was waren die Ursachen? Die Betroffenen nannten an erster Stelle »Feedback an die Schüler« (62,3 Prozent), gefolgt von »Kontrolle der Aufgaben« (59,5 Prozent) und »Organisation« (57,6 Prozent).
Eine weitere Frage bezog sich auf die Effizienz des Fernunterrichts, gemessen am regulären Unterricht: 76,9 Prozent schätzten das Distanzlernen als »weniger effektiv« ein, lediglich 0,8 Prozent hielten ihn für »effektiver«, 6,2 Prozent für »genauso effektiv«, und 16,1 Prozent machten »keine Angaben«.
Kein Wunder, dass Lehrer die Feedback-Schleife zu den Schülern als besonders belastend erlebten. Wenn der größte Teil des Kontakts über Aufgabenblätter und E-Mail läuft, entsteht ein gewaltiger bürokratischer Aufwand. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass Feedback für viele Schüler ausgeblieben ist. Schon im normalen Schulalltag prüfen Lehrer in der Regel, wie ein Drittel der Hausaufgaben einer Klasse ausfallen – als Stichprobe. Je nach Deputat sehen die Lehrer pro Woche 200 bis 300 Schüler. Das erklärte uns eine Lehrerin aus Baden-Württemberg, die Musik am Gymnasium unterrichtet. Mehr Feedback ist auch unter gewöhnlichen Umständen nicht möglich, »aber in der Corona-Zeit waren die Ansprüche der Eltern besonders hoch«, so die Musiklehrerin.
Sie wurde in der Krise unter anderem zur »Radio«-Moderatorin: Ihre Schüler sprachen zu Hause Witze oder Geschichten aufs Handy, oder sie spielten sogar ganze Stücke auf der Flöte. Aus diesem Material und eigenen Musik-Rätseln machte die Lehrerin Sendungen, die sie selbst moderierte. Sie dauerten fünf bis zehn Minuten und die Schüler haben sich sehr über das gemeinsame Ergebnis gefreut. So kreativ lassen sich digitale Medien nutzen, in der richtigen Altersgruppe und bei einem aktiven Einsatz (Kapitel 14: »Es muss nicht immer digital sein …«).
Aber: Laut Vodafone-Studie halten 76,9 Prozent der Lehrer Distanzlernen für »weniger effektiv« als den normalen Unterricht im Klassenzimmer. Das findet auch die Musiklehrerin: »Ich muss in das Gesicht eines Schülers schauen, um zu sehen, ob er etwas verstanden hat.« Bildung funktioniere über Emotionen und Resonanz, was nur im Präsenzunterricht möglich ist. Der Fernunterricht spreche nur »den Kopf an, aber nicht Herz und Hand«, davon ist die erfahrene Pädagogin überzeugt. »Der Unterricht bleibt an der Oberfläche.«
Wie sieht es jedoch mit interaktiven Digital-Formaten aus? Etwa Videokonferenzen, wie sie 2020 zum neuen Standard der Arbeitswelt geworden sind? Lässt sich nicht so mehr Nähe erreichen zwischen Lehrern und Schülern?
Große Ernüchterung: Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat ermittelt, dass nicht einmal 2 Prozent der Grundschüler »synchrone Unterstützungsangebote« wie Videochats erhielten – trotz geeigneter technischer Ausstattung der Eltern.
Weitere Enttäuschungen kommen dazu. Die Robert-Bosch-Stiftung ließ eine Umfrage unter Lehrkräften durchführen (»Deutsches Schulbarometer spezial«). Da heißt es:11 Als »Unterrichtsformat« lagen Aufgabenblätter an der Spitze, Grundschulen (79 Prozent), Haupt-, Real- und Gesamtschulen (85 Prozent) sowie Gymnasien (90 Prozent). Interaktivität? Fehlanzeige. Wie sah der Anteil der Videokonferenzen aus? Sie fanden zwar in allen Schulformen statt, aber mit einem sehr geringen Anteil: Grundschulen (9 Prozent), Haupt-, Real- und Gesamtschulen (16 Prozent) und Gymnasien (19 Prozent).
Es gab aber einen Bereich des Bildungssektors, in dem Videokonferenzen eine große Rolle spielten: Fachhochschulen, Duale Hochschulen oder Universitäten. Das Sommersemester 2020 ging online! Viele Vorlesungen verlagerten sich in den virtuellen Raum, zum Beispiel schaffte es die Freie Universität Berlin (FU), fast 90 Prozent aller Veranstaltungen digital anzubieten. Auch das Videokonferenzsystem lief auf Hochtouren.
Begleitet wurde dieser Online-Trend von großen Hoffnungen: »Wir reagieren damit nicht nur auf die aktuelle Notsituation«, so Prof. Angelika Altmann-Dieses, »sondern fassen das auch als Chance auf, neue Wege in der Vermittlung von Studieninhalten auszuprobieren, die Digitalisierung voranzutreiben und neue Angebote zu formulieren.« Altmann-Dieses arbeitet an der »Hochschule Karlsruhe« als Prorektorin für Studium, Lehre und Internationales.12
Online-Lehre in der Kritik
Die interne Evaluation einer süddeutschen Fachhochschule liegt uns vor. Thema: Wie haben die Studierenden das Online-Semester erlebt? Hier dokumentieren wir einen Teil der Ergebnisse. Die Antworten erfolgten auf einer fünfteiligen Skala von »trifft gar nicht zu« bis zu »trifft völlig zu«.
Sie sind mit dem Vorlesungsbetrieb unter den Corona-Bedingungen allgemein zufrieden?
trifft gar nicht zu
trifft nicht zu
weder – noch
trifft zu
trifft völlig zu
19 Prozent
27 Prozent
22 Prozent
24 Prozent
8 Prozent
Nur knapp ein Drittel der Studierenden war mit der Situation an der Hochschule zufrieden, was bei einer Generation erstaunlich ist, die als Digital Natives mit dem Internet groß geworden ist.
Wie hat sich der Vorlesungsbetrieb unter den Bedingungen der Pandemie verändert?
viel schlechter
schlechter
weder – noch
besser
viel besser
19 Prozent
42 Prozent
30 Prozent
7 Prozent
2 Prozent
Weniger als ein Zehntel der Studierenden sieht eine Verbesserung der Lehre angesichts der Umstellung auf digitale Formate.
Wie erlebten Sie die Vermittlung von Lehrinhalten?
viel schlechter
schlechter
weder – noch
besser
viel besser
22 Prozent
37 Prozent
32 Prozent
7 Prozent
2 Prozent
Fast zwei Drittel der Studierenden kamen zu der Einschätzung, dass sich unter Online-Bedingungen die Vermittlung von Lehrinhalten verschlechtert hat.
Sie haben zu Hause keine Probleme mit der Organisation des Lernens.
trifft gar nicht zu
trifft nicht zu
weder – noch
trifft zu
trifft völlig zu
17 Prozent
25 Prozent
21 Prozent
21 Prozent
17 Prozent
42 Prozent der Studierenden hatten Probleme, ihr Lernen in einer häuslichen Umgebung effektiv zu strukturieren.
Wie hoch ist der Zeitaufwand im Vergleich zur Präsenzlehre?
•
Deutlich höher:
63 Prozent
•
Deutlich geringer:
12 Prozent
•
Kein Unterschied:
18 Prozent
•
Keine Angaben:
6 Prozent
Trotz der geringeren Mobilität nimmt der Zeitaufwand im Online-Studium deutlich zu, was vielleicht mit dem Mangel an Selbstorganisation zusammenhängen könnte (vorherige Frage). Es wird aber auch als anstrengend erlebt, online mehr Inhalte in kürzerer Zeit verarbeiten zu müssen.
Welchen Typ von Online-Veranstaltung bevorzugen Sie?
•
Asynchron (Zeitpunkt frei wählbar):
52 Prozent
•
Synchron (Zeitpunkt festgesetzt):
43 Prozent
•
Keine Angaben:
6 Prozent
Asynchrone Medienangebote sind heute selbstverständlich (Netflix, YouTube). Aber ein hoher Anteil der Studierenden wünscht sich Online-Veranstaltungen zu festen Zeiten, eventuell weil so eine stärkere Tagesstruktur entsteht.
Was aber sagen die Praktiker? Wie gestaltet sich die Interaktion mit Studierenden in Online-Vorlesungen, deren digitales Format einer Videokonferenz entspricht? Theoretisch bieten dazu Lernplattformen wie Moodle vielfältige Möglichkeiten, zum Beispiel mit dem Tool Blackboard Collaborate: Videobilder aller Beteiligten, Audio-Kanal zum direkten Gespräch, Hochladen von Präsentationen, Gruppenarbeit, kleine Umfragen (Ja/Nein oder Multiple Choice), Chat-Funktion, Whiteboard für »Tafel«-Anschrieb etc.
Ja, diese technischen Möglichkeiten sind eindrucksvoll. Aber die Kommentare von Dozenten sind es ebenso, sobald sie solche Online-Vorlesungen im Semester ausprobiert haben.
Unsere Umfrage fand am Standort Mannheim der Dualen Hochschule Baden-Württemberg statt. Wir fragten im Studiengang Steuern/ Prüfungswesen, wie zwölf Dozenten den Online-Unterricht erlebt haben, wobei alle mit Blackboard Collaborate (Moodle) ihre Erfahrungen sammelten. Sicher keine repräsentative Evaluation, aber aus den Antworten im Freitext-Bereich lassen sich klare Tendenzen ablesen. Wir wollten wissen, wie die Dozenten ihre Online-Vorlesungen erlebten und was sie vermisst haben. Besonders beeindruckt hat uns, dass die große Mehrzahl der Antworten dieselbe Stoßrichtung hatten. Das wollten wir dokumentieren, auch wenn es zu der einen oder anderen Redundanz führt. Hier die Reaktionen nach Themen geordnet:
Thema 1: Kaum eingeschaltete Webcams der Studierenden.
»
Äußerst irritierend finde ich, dass keiner der Studenten seine Kamera aktiviert hat und man insofern ›blind‹ dem eigenen Laptop ›einen Vortrag hält‹.«
»
Das Präsentieren und Sprechen ohne Blickkontakt zu den Studenten ist ermüdend. Mehr Pausen erforderlich
.«
»
Es ist für mich schwer einzuschätzen, ob die Studierenden den Lehrstoff verstanden haben. Ob zum Beispiel noch zusätzliche Erklärungen oder Beispiele nötig wären. Mimik der Studenten hilft mir, in der Präsenzvorlesung zu erkennen, ob die Studierenden den Lehrstoff verstanden haben oder auch nicht
.«
»
Der persönliche Blickkontakt zu den Teilnehmern fehlt. Es ist schwierig festzustellen, ob der Lehrinhalt tatsächlich verstanden worden ist
.«
»
Es fehlt der direkte Bezug zu den Studierenden (Gesichtsausdruck), um einschätzen zu können, ob diese das Thema verstanden haben.«
»
Vermisst: Direkte Rückmeldungen ›face to face‹.«
Thema 2: Wenig Feedback durch die Studierenden.
»
Es fehlt das ausreichende Feedback, besonders um beurteilen zu können, wie die Stoffvermittlung ankommt
.«
»
Studenten machten von den Möglichkeiten für Rückfragen (Chat, Handheben, Mikrofon) im Vergleich zur Präsenzvorlesung deutlich weniger Gebrauch
.«
»
Ich hatte am Ende keine Idee, ob mein Vortrag aufgenommen wurde oder nicht. Feedback fehlt
.«
»
Die Rückmeldung der Studierenden fehlt extrem, was die Vorlesung für die Studierenden sowie für mich als Dozentin sehr einseitig macht
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Was fehlt: Interaktion, Spontanität und ›Feed-back‹
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Davon gibt es zu wenig: Aktivität, spontane Rückmeldungen, Austausch, Zugang zu den Studierenden
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Besonders der persönliche Austausch und das Feedback zur eigenen Kontrolle fehlen
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Zu wenig ist der unmittelbare Kontakt mit den Studenten, der es ermöglicht, deren Aufmerksamkeit, Interesse und Wissensaufnahme in der Vorlesung abzuschätzen und hierauf bei Fehlentwicklungen in der Vorlesung reagieren zu können.
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Der verbale Austausch fehlt, i.d.R. frage ich am Ende von bestimmten Themen oder Gliederungspunkten nach, ob noch Fragen dazu sind. Man spürt zuweilen, ob die Studenten Stoff aufnehmen oder Interesse zeigen. Das fehlt bei Online-Vorlesungen komplett
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Thema 3: Fehlende menschliche Atmosphäre in der Online-Vorlesung.
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Der persönliche Kontakt zu den Studierenden und zwischen den Studierenden fehlt
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Die Interaktion zwischen den Studenten ist nicht vorhanden oder gering. Dies mindert die Motivation der Studierenden, und gegenseitige Hilfe ist auch nicht möglich
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Interaktion und Diskussion der Studierenden untereinander gibt es zu wenig
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Die Begeisterung für die Fachinhalte zu wecken, ist schwierig, da die Online-Vorlesung sich auf die Stoffvermittlung konzentriert. Geschichten, eigene Erfahrungen passend zum Stoff oder aus dem Berufsleben kommen zu kurz
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Die Anonymität erschwert es, einen persönlichen Kontakt aufzubauen, über den der Lernerfolg – auch bei den vermeintlich Schwächeren – befördert werden kann.«
»Spontanität und Dialog einer Präsenzvorlesung fehlen online
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Thema 4: Humor und persönliche Facetten des Dozenten.
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Es ist sehr viel schwerer, den Stoff in ›lockerer Atmosphäre‹, auch gelegentlich garniert mit einer kleinen Anekdote oder einem kleinen Scherz, ›rüberzubringen‹, wenn man keinen persönlichen Kontakt aufbauen kann
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Anekdoten etc. fallen oft weg, weil man nicht einschätzen kann, ob es lustig ist
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Ich für mich persönlich habe den – vielleicht falschen – Eindruck, dass man die Studenten in einer Präsenzvorlesung besser mitnehmen/abholen/begeistern kann
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Verstehen lebt auch von Lachen, also Spaß am Lernen, und wenn man die Kurse nicht mehr kennt, werden die Vorlesungen tendenziell trockener und die Resultate gegebenenfalls langfristig schlechter?
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Thema 5: Positive Erfahrungen mit Online-Vorlesungen.
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Die Rahmenbedingungen wurden optimal ausgeschöpft. Von den gesamten Vorlesungen könnten einige ›online‹ erfolgen
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Es war neu für Dozenten und Studenten und erforderte einen schnellen Lernprozess. Es hat aber auch Spaß gemacht und ist eine gute Ergänzung zu Präsenz-Veranstaltungen
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Die Online-Vorlesung kann künftig ein bereicherndes Tool für Zusatz- oder Vertiefungsveranstaltungen sein; eventuell mit einem begrenzten Zuhörerkreis
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Grundsätzlich finde ich die Online-Vorlesung schon ok. Zumal man sich die Anfahrt spart.«
Die wissenschaftliche Begleitforschung zum »Lockdown« der Schulen ist längst nicht abgeschlossen. Die bisherigen Umfragen lieferten nur Momentaufnahmen, die aber grundlegende Tendenzen erkennen lassen: Ein »Epochenwechsel« ist nicht in Sicht, wie ihn Bitkom-Chef Achim Berg ausgerufen hat. Dazu kamen in der Corona-Krise zu wenig Lernsysteme zum Einsatz, die es auf einer kollaborativen Basis möglich gemacht hätten, eine lebendige Interaktion zwischen Schülern und Lehrern zu gestalten. Stattdessen dominierten Arbeitsblätter und asynchrone E-Mail-Kontakte! Dabei fehlte oft das Feedback der Lehrkräfte, das unabdingbar für die Motivation ist.
Wenn Online-Vorlesungen als Videokonferenz denkbar waren, wurde ihr volles Potenzial nicht ausgeschöpft. Diese Vermutung steht im Raum, wenn es um die Hochschulen in Deutschland geht. Gibt es keine Kultur gegenseitiger Sichtbarkeit, versagt auch Blackboard Collaborate (Moodle), wie die kleine Umfrage unter Dozenten gezeigt hat.
Doch die didaktischen Experimente der Corona-Zeit brachten noch mehr ans Tageslicht, wie Prof. Sylvia Kreiß bestätigt. Sie lehrt das Fach Finanzierung an der Hochschule Würzburg (FHWS) und hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie unsere Dozenten, die wir befragt haben:
»Auch für Dozierende ist es wichtig, die Studierenden live zu sehen: Wenn die Blicke im Saal ratlos werden, muss man die Sache noch mal anders erklären. Zu Hause am eigenen Schreibtisch kann man die Mimik der Studierenden nicht sehen und viel schlechter einschätzen, ob etwas verstanden wurde.«13
Diese Einsicht lenkt den Blick auf unsere zentrale Erkenntnis.
Tatsächlich, wir könnten einen epochalen Wechsel á la Berg im Bildungssystem einleiten: Alle Schulen erhalten Highspeed-Internet und stabile WLAN-Netze, alle Schüler Laptops oder Tablets. Digitaler Fernunterricht ist selbstverständlich, Videokonferenzen werden zum Normalfall, da alle Eltern über hochwertige Netzanschlüsse verfügen.
Jeder Lehrer hat einen Dienst-Laptop, der alle zwei Jahre ausgetauscht wird. Lehrer bilden sich zudem regelmäßig in digitalen Themen fort – und beherrschen so die gesamte Klaviatur des modernen Online-Unterrichts, inklusive digitaler Klassenzimmer und VR-Brillen, um Dinosaurier anzuschauen.
Die Lehrerausbildung ist digital organisiert, Referendare tragen die digitale Revolution in jede Schule. Fehlt noch etwas? Ja, innovative Modellschulen schicken Lehrer als lebensechte Hologramme los, um zu Hause den Schülern persönlich Mathe beizubringen … natürlich über 5G, das flächendeckend funktioniert.
Diese »schönste aller Digitalwelten« hat aber einen gewaltigen Haken: Würde sie Wirklichkeit werden, wäre sie niemals in Lage, eine entscheidende Quelle sprudeln zu lassen: die ureigenste Kraft des Menschen, durch Resonanz und Begegnung vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, die immer das soziale Fundament für Lernprozesse bilden. Dazu müssen sich Menschen direkt in die Augen schauen – ohne Technik als Hindernis!
So zieht sich ein roter Faden durch die gesamte Forschung, die Bildung in Corona-Zeiten beleuchtet: Kinder wurden ohne Feedback allein gelassen; lernschwache Schüler waren durch Homeschooling zusätzlich benachteiligt; strukturiertes Arbeiten fiel selbst älteren Schülern schwer; Dozenten fühlten sich in ein »schwarzes Loch« gezogen, wenn sie auf ihren Laptop einsprachen – und Studierende nie antworteten, wobei oft deren Kamera ausgeschaltet war. Gleichzeitig schossen die Bildschirmzeiten der Kinder in die Höhe, um Computerspiele zu machen oder in sozialen Medien unterwegs zu sein.
Die Beispiele zeigen deutlich: Immer fehlte im Lernprozess der entscheidende Faktor – ein Mensch, der in Beziehung tritt, um freundlich Wertschätzung zu äußern. Ein Mensch, der seelisch schwingungsfähig ist, weil Beziehungen durch wechselseitige Resonanz lebendig werden. Ein Mensch, der real in seinem emotional-kognitiven Wesen zu spüren ist und nicht auf das Briefmarkenformat eines Videochats reduziert wird. Ein Mensch, der durch ein klares Feedback Kinder ermutigt, ihren Lernprozess fortzusetzen. Es fehlte einfach der Mensch!
Offener Brief zur »Präsenzlehre«
Prof. Roland Borgards ruft mit 5.915 Mitstreitern zur »Verteidigung der Präsenzlehre« auf.14 Dazu hat er im Sommer 2020 einen offenen Brief verfasst, in dem zwar eingeräumt wird: »Ohne digitale und virtuelle Formate hätte sich das Sommersemester 2020 nicht durchführen lassen.« Doch indem immer mehr digitale Elemente genutzt würden, sollten drei wichtige Aspekte der Universität nicht verloren gehen:
»Die Universität ist ein Ort der Begegnung. Wissen, Erkenntnis, Kritik, Innovation: All dies entsteht nur dank eines gemeinsam belebten sozialen Raumes. Für diesen gesellschaftlichen Raum können virtuelle Formate keinen vollgültigen Ersatz bieten. Sie können womöglich bestimmte Inhalte vermitteln, aber gerade nicht den Prozess ihrer diskursiven, kritischen und selbstständigen Aneignung in der Kommunikation der Studierenden.«»Studieren ist eine Lebensphase des Kollektiven. Während des Studiums erarbeiten sich die Studierenden Netzwerke, Freundschaften, Kollegialitäten, die für ihre spätere Kreativität, ihre gesellschaftliche Produktivität und Innovationskraft, für ihren beruflichen Erfolg und ihre individuelle Zufriedenheit von substanzieller Bedeutung sind. Dieses Leben in einer universitären Gemeinschaft kann in virtuellen Formaten nicht nachgestellt werden.«»Die universitäre Lehre beruht auf einem kritischen, kooperativen und vertrauensvollen Austausch zwischen mündigen Menschen. Dafür, so sind sich Soziologie, Erziehungs-, Kognitions- und Geisteswissenschaften völlig einig, ist das Gespräch zwischen Anwesenden noch immer die beste Grundlage. Auch dies lässt sich nicht verlustfrei in virtuelle Formate übertragen.«Oder wie Prof. Klaus Zierer in einem Beitrag für die Welt schreibt: Manche Schulen haben zwar die Digitalisierung »verschlafen«. Der Preis dafür ist hoch: Eltern agieren als Ersatzlehrer, Kinder aus sozialen Brennpunkten werden abgehängt. Wer jetzt aber einfach mehr digitale Strukturen für die Bildung fordert, ist auf dem Holzweg: »Während die genannten Probleme unstrittig sind«, so Zierer, »ist die Ursachenzuschreibung falsch: Die digitale Ausstattung ist nicht der erste Grund. Damit ist ein Mehr an Digitalisierung auch nicht die Lehre aus der Corona-Krise.«
Welche Lehren zieht der Pädagogik-Professor von der Universität Augsburg? Fernunterricht erziele nur geringe Effekte. »Somit ist er ein Unterricht, den man machen kann, wenn es notwendig ist, den man aber nicht machen sollte, wenn es nicht sein muss.« So sehen wir das auch: Wer einen Beinbruch erlitten hat, kann froh sein, eines Tages seine Krücken wegzuwerfen. Digitaler Fernunterricht ist eine gute Notlösung! Aber nur eine Notlösung, aus der sich nicht der Anspruch ableiten lässt, Schulen in die »schönste aller Digitalwelten« zu verwandeln.
Der »Epochenwechsel« der Bitkom sollte ausbleiben, aus guten Gründen, die wir in diesem Buch diskutieren: lebenslange Überwachung, Suchtförderung, Entmündigung, sensomotorische Desintegration, Verflachung kognitiver Prozesse, soziale Spaltung … um nur ein paar Stichworte zu nennen, die in den nächsten Kapiteln auftauchen. Das alles droht, wenn wir den Lobbyisten der IT-Industrie das Spielfeld überlassen. So wird Seite für Seite deutlich, warum das Buch einen provokanten Titel hat: »Die Katastrophe der digitalen Bildung«.
Zurück zu Zierer: Er stützt sich bei seiner Analyse auf die große Metastudie von John Hattie (Invisible Learning): Die »Professionalität von Lehrpersonen« sei entscheidend bei der Frage, »ob Unterricht wirkt.« Technik gibt nicht den Ausschlag, ob Fernunterricht erfolgreich ist. Denn: »Eine Lehrkraft [kann] digital ebenso wie analog Lernende mit Arbeitsblättern überfrachten«, schreibt Zierer.
Trotzdem lässt sich feststellen, dass sich unter den effektivsten Faktoren aus Invisible Learning keine Digitalisierungsfaktoren befinden. Eine geringe Wirksamkeit bescheinigt die Studie drei beliebten Digital-Methoden: »Einsatz von Smartphones und Tablets im Unterricht«, »Flipped Classroom« oder »Laptopeinzelnutzung«. Das Urteil von Zierer: »Wer also damit argumentiert, dass Digitalisierung der Schlüssel für eine Bildungsrevolution ist, der verkennt oder noch schlimmer: der ignoriert empirische Forschung.«
Was gibt nun wirklich den Ausschlag für guten Unterricht? Zierer nennt als Beispiel die »hochwirksame Lehrer-Schüler-Beziehung«. Und die gleichaltrigen Peers spielen eine genauso wichtige Rolle. Mit anderen Worten: Es kommt auf den Menschen an, wie wir es oben schon betont haben. Alle Digitalität der Welt kann ihn nicht ersetzen – mit der Persönlichkeit des Lehrers steht und fällt jede Form des Unterrichts! Daher lautet auch der Untertitel des Buches: »Warum Tablets Schüler nicht klüger machen – und Menschen die besseren Lehrer sind«.
Die Hattie-Studie hat für die Lehrer-Schüler-Beziehung eine hohe Wirksamkeit ermittelt. »Eine intakte Lehrer-Schüler-Beziehung ist unabdingbar für den Lernerfolg«, so Hattie und Zierer in ihrem Buch Kenne deinen Einfluss!15. Kann das im Fernunterricht funktionieren? Eher nicht, wie auch Prof. Roland Borgards in seinem offenen Brief schreibt: Für einen »vertrauensvollen Austausch« sei das Gespräch von Angesicht zu Angesicht die beste Grundlage. »Auch dies lässt sich nicht verlustfrei in virtuelle Formate übertragen«, so Borgards (siehe Kasten »Offener Brief zur ›Präsenzlehre‹«).
Genau das ist der Knackpunkt: Selbst in Videokonferenzen kann der Blick für alle Teilnehmer verloren gehen; die Wahrnehmung des Gegenübers schrumpft auf das Format einer Briefmarke. Diese Effekte treten weniger stark in Online-Meetings auf, in denen sich Profis auf Augenhöhe begegnen, etwa im beruflichen Zusammenhang. Aber im Unterricht wird es in der Regel ein Wissensgefälle geben, was Lehrer und Schüler nicht auf derselben Ebene agieren lässt.
Umso entscheidender ist die Beziehung zum Schüler, bewusst aufgebaut und gepflegt vom Lehrer. »Es ist in Schule und Unterricht nicht nur wichtig«, so Hattie und Zierer, »was Lehrpersonen sagen, sondern wie und warum sie es sagen.« Das Wie und Warum geht aber weit über eine sachliche Ebene hinaus, weshalb Bildschirme kaum in der Lage sind, Signale aus solchen seelisch-geistigen Tiefenschichten zu transportieren.
Wirklich? Können wir nicht auch auf Bildschirmen in Gesichtern lesen? Das ist eine wichtige Frage für digitalen Fernunterricht, denn bereits Hildegard von Bingen (1098–1179) wusste: »Die Augen sind die Fenster der Seele.« Wer etwas in die Psyche seiner Schüler schauen kann, hat die Chance, besseren Unterricht zu machen. Dazu sagt der Mediensucht-Experte Bert te Wildt dem ZEITmagazin:16 Durch Bildschirme gehe immer mehr die Fähigkeit verloren, dass sich Menschen wirklich anschauen. »Viele glauben ja«, so te Wildt, »man könne sich per Skype in die Augen sehen. Kann man nicht.«
Warum? Um diese Frage zu klären, wollen wir Prof. Hartmut Rosa zu Wort kommen lassen. Der Soziologe und Philosoph spricht im Buch Resonanzpädagogik über seine Forschung. Ein erster Aspekt ist die Bedeutung der menschlichen Augen:17 »Die Augen sind die zentralen Resonanzfenster. Man kann in Augen Resonanz spürbar machen. Manchmal genügen dafür schon wenige ›Augen-Blicke‹«.