Die Katze, die den Braten roch - Band 23 - Lilian Jackson Braun - E-Book
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Die Katze, die den Braten roch - Band 23 E-Book

Lilian Jackson Braun

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Beschreibung

Kokos Spürnase ist wieder gefragt: „Die Katze, die den Braten roch“ von Lilian Jackson Braun jetzt als eBook bei dotbooks. Die Bewohner von Moose County haben einen langen und trockenen Sommer hinter sich. Das Land ist ausgedörrt und die Angst vor Bränden ist groß. Als dann tatsächlich erste Buschfeuer ausbrechen, käme zunächst niemand auf die Idee, ein Verbrechen zu vermuten – nur Journalist Jim Qwilleran ist anderer Meinung. Doch als dann auch noch ein Mann der freiwilligen Feuerwehr erschossen wird, ist klar: hier treibt ein Brandstifter und Mörder sein Unwesen. Wie gut, dass Jims Kater Koko nicht nur ein besonderes Näschen für Rauch, sondern auch für Verbrechen hat … „Lilian Jackson Braun ist eine Meisterin ihres Fachs: Sie weiß immer ganz genau, wann sie die Katze aus dem Sack lassen muss.“ New York Daily News Die Krimi-Serie mit Suchtpotenzial! Der dreiundzwanzigste Fall für Reporter Jim und Siamkater Koko – jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Katze, die den Braten roch“ von Bestsellerautorin Lilian Jackson Braun. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Die Bewohner von Moose County haben einen langen und trockenen Sommer hinter sich. Das Land ist ausgedörrt und die Angst vor Bränden ist groß. Als dann tatsächlich erste Buschfeuer ausbrechen, käme zunächst niemand auf die Idee, ein Verbrechen zu vermuten – nur Journalist Jim Qwilleran ist anderer Meinung. Doch als dann auch noch ein Mann der freiwilligen Feuerwehr erschossen wird, ist klar: hier treibt ein Brandstifter und Mörder sein Unwesen. Wie gut, dass Jims Kater Koko nicht nur ein besonderes Näschen für Rauch, sondern auch für Verbrechen hat …

»Lilian Jackson Braun ist eine Meisterin ihres Fachs: Sie weiß immer ganz genau, wann sie die Katze aus dem Sack lassen muss.« New York Daily News

Über die Autorin:

Lilian Jackson Braun (1913–2011) wurde in Massachusetts geboren. Nach der Highschool arbeitete sie als Journalistin und in der Werbebranche, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihre Katzenkrimis wurden in 16 Sprachen übersetzt und standen regelmäßig auf der »New York Times«-Bestsellerliste.

Bei dotbooks erscheinen alle Bände der Erfolgsserie. Eine vollständige Übersicht finden Sie am Ende dieses eBooks.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2016

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2001 by Lilian Jackson Braun

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »The Cat Who Smelled a Rat«.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2001 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Forewer und Notion Pic

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-903-5

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Lilian Jackson Braun

Die Katze, die den Braten roch

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Christine Pavesicz

dotbooks.

Kapitel 1

Es war Ende Oktober, und Moose County, 400 Meilen nördlich vom Rest der Welt, drohte von der Landkarte zu verschwinden. Die Städte und Farmen wurden von einer Rekorddürre heimgesucht und konnten über Nacht in Schutt und Asche liegen – ein einziger Funke und starker Wind würden schon genügen. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren waren rund um die Uhr in Alarmbereitschaft, und vierzehn Kirchengemeinden beteten um Schnee. Nicht um Regen. Um Schnee! Der Winter begann stets mit einem dreitägigen Blizzard, der Große Sturm genannt; einem Unwetter, das alles unter einer dicken Schneedecke begrub, die vom Wind zu bis zu drei Meter hohen Schneewehen aufgetürmt werden konnte. Also wachsten die Bewohner von Moose County ihre Schneeschaufeln, kauften Frostschutzmittel und Ohrenschützer, lagerten in Flaschen abgefülltes Wasser und Taschenlampenbatterien ein – und beteten.

Eines späten Abends saß in einer Eigentumswohnung im Nordosten von Pickax City, der Bezirkshauptstadt, ein Kater auf einem Fensterbrett, reckte den Hals, hob die Nase und schnupperte. Er riecht ein Stinktier, dachte der Mann, der ihn beobachtete. Sie waren erst vor kurzem in die waldreiche Gegend gezogen, wo es viel Neues zu sehen, zu hören und zu riechen gab.

Der Mann ging hinaus, um nachzusehen – von einem Stinktier keine Spur. Es war eine stille, ruhige Nacht – bis das schrille Heulen einer Polizeisirene die Stille durchbrach, gefolgt vom Hupen eines Feuerwehrautos, das auf einer fernen Straße Richtung Süden raste. Der Lärm brach abrupt ab, als die Einsatzfahrzeuge ihr Ziel erreichten. Beruhigt darüber, dass ein weiterer Brand unter Kontrolle war, kehrte der Mann wieder ins Haus zurück.

Der Kater schleckte Wasser aus seiner Schüssel. Dass er aus drei Meilen Entfernung Rauch gerochen hatte, war bemerkenswert, und das in einer windstillen Nacht und bei geschlossenen Fenstern. Aber Kao K’o Kung war auch ein bemerkenswerter Kater! Sie waren für den Winter in eine Wohnung in Indian Village gezogen: zwei Siamkatzen und ihr persönlicher Butler, Jim Qwilleran. Neben dieser Arbeit schrieb Qwilleran noch eine zweimal wöchentlich erscheinende Kolumne für die Lokalzeitung, den MooseCounty Dingsbums. Der Mann mittleren Alters hatte früher als preisgekrönter Journalist bei Großstadtzeitungen im Süden unten gearbeitet, wie man den Rest der Vereinigten Staaten in Moose County nannte. Ungewöhnliche Umstände hatten ihn in den Norden geführt – zusammen mit seinen beiden Mitbewohnern, die er beide nach einer Krise in ihren neun Leben bei sich aufgenommen hatte.

Bei Kao K’o Kung, Koko genannt, handelte es sich um einen seidig glänzenden, muskulösen Kater mit erstaunlicher Intelligenz und Intuition. Yum Yum war kleiner, sanfter und liebenswürdiger. Beide besaßen das sandfarbene Fell und die dunkelbraunen Extremitäten, die für Sealpoint-Siamkatzen typisch waren, und ihre braunen Gesichtsmasken betonten ihre leuchtend blauen Augen. Während man die Katze für ihren graziösen Gang und ihr kätzchenhaftes Verhalten liebte, wurde der Kater wegen seiner prachtvollen Schnurrhaare bewundert – er besaß 60 statt der üblichen 48.

Wie der Zufall so spielt, war auch Qwilleran berühmt für seinen grau melierten Schnurrbart. Sein Bild erschien jeden Dienstag und Freitag über seiner Kolumne »Aus Qwills Feder«, und so wurde er erkannt, wo immer er hinkam. Man sah den 1,80 m großen Mann in der Stadt herumspazieren, mit dem Fahrrad fahren, in Restaurants speisen und seiner journalistischen Tätigkeit nachgehen. Doch er war nicht nur wegen der ungewöhnlichen Schreibweise seines Namens und seines prächtigen Schnurrbarts berühmt. Das Schicksal hatte ihn zum Erben des riesigen Klingenschoen-Vermögens gemacht, und nun war er der reichste Mann im nordöstlichen Teil des Mittleren Westens der Vereinigten Staaten. Dass er seinen Reichtum für philanthropische Zwecke einem Fonds übergeben hatte, trug nicht unerheblich zu seiner Beliebtheit bei den Bewohnern von Moose County bei.

Nachdem der Kater den Rauch gewittert hatte, gab Qwilleran den Katzen ihr Gute-Nacht-Häppchen, begleitete sie in ihr gemütliches Zimmer auf der Galerie und schaltete den Fernseher – ohne Ton – ein, um sie in den Schlaf zu lullen. Dann streckte er sich auf einem großen Sessel aus und las Zeitschriften, bis es Zeit für die Mitternachtsnachrichten auf WPKX war. »Ein Buschbrand an der Chipmunk Road in der Nähe der Big B Mine ist von der Feuerwehr von Kennebeck gelöscht worden.« Als die Feuerwehrleute am Einsatzort eingetroffen waren, hatten sich die Flammen auf die Bergwerkshütte zu bewegt, eine der zehn Bergwerkshütten im Bezirk, die erst vor kurzem zu Stätten von historischer Bedeutung erklärt worden waren. »Autofahrer, die auf Landstraßen unterwegs sind, werden nochmals ermahnt, keine Zigaretten aus dem Fenster zu werfen«, sagte ein Sprecher des Sheriffbüros. »Das Unkraut am Straßenrand und das Unterholz im Wald sind trocken wie Zunder.« Der heutige Brand war schon der dritte innerhalb einer Woche.

Wie so oft, wenn sich sein Argwohn regte, klopfte sich Qwilleran auf den Schnurrbart; merkwürdigerweise schienen seine Vorahnungen von diesem Schnurrbart auszugehen. Er dachte: Brandstiftung aus reinem Vandalismus nimmt im ganzen Land zu. Wenn ein böswilliger Brandstifter die Bevölkerung von Moose County in Aufruhr versetzen wollte, könnte er das erreichen, indem er eine Bergwerkshütte in Brand steckte. Doch die Einheimischen gaben nur ungern zu, »dass so was auch hier passieren kann«. Trotzdem war Qwilleran gerne aus den übervölkerten Großstädten mit ihren Verbrechen, Verkehrsstaus und der Luftverschmutzung weggezogen und bereit, die Eigenheiten des Kleinstadtlebens zu akzeptieren. Er selbst neigte nicht dazu, Gerüchte zu verbreiten, aber er lauschte bereitwillig dem freundschaftlichen Austausch von Informationen, dem man in den Kaffeehäusern, an Straßenecken und über die Klatschmühlen von Pickax ausgiebig frönte.

Als er am nächsten Tag in Toodles Supermarkt Lebensmittel einkaufte, waren die drei Buschbrände Gesprächsthema Nummer eins. Jeder hatte eine Theorie. Niemand glaubte dem Sheriff. Es wurde etwas vertuscht. Die Behörden wollten eine Panik verhindern. Die Lebensmittel waren für Polly Duncan bestimmt, die Leiterin der öffentlichen Bücherei. Qwilleran hatte mit ihr eine Vereinbarung getroffen: Während sie sich in der Bücherei abrackerte, kaufte er für sie Lebensmittel ein; sie lud ihn dafür zum Abendessen ein. Es war mehr als ein angenehmes Arrangement; Polly war die wichtigste Frau in Qwills Leben: charmant, intelligent und in seinem Alter.

Dieses Abkommen war besonders im Winter sehr praktisch, denn da zog er aus seinem Sommerwohnsitz – einer umgebauten Apfelscheune – aus und nach Indian Village um, wo er nur ein paar Türen von Pollys Wohnung entfernt eine Eigentumswohnung besaß. Qwilleran wechselte gerne von Zeit zu Zeit seinen Wohnsitz; das befriedigte seine Reiselust, die ihn im Süden unten zu einem erfolgreichen Journalisten gemacht hatte.

Indian Village war eine gehobene Apartmenthausanlage im Stadtteil Suffix (der nach jahrelangen Streitigkeiten von Pickax City annektiert worden war) am Westufer des Ittibittiwassee Rivers. Zwischen den Bäumen standen in unregelmäßigen Abständen rustikale Gebäude mit Zedernholzverkleidung: Häuser mit je vier Eigentumswohnungen, Gebäude mit mehreren Mietwohnungen, ein Clubhaus und ein Torhaus. Qwilleran bewohnte Einheit Vier in einem Haus namens ›Weiden‹. Einheit Drei wurde vom Meteorologen von WPKX, Wetherby Goode, bewohnt (der mit richtigem Namen Joe Bunker hieß). In Einheit Zwei lebte ein neuer Nachbar: Kirt Nightingale, ein Mann aus Boston, der mit seltenen Büchern handelte und jetzt, als Mann mittleren Alters, in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. »Was glaubst du, wie er mit richtigem Namen heißt?«, hatten die Witzbolde in Indian Village geflüstert. Polly Duncan, die in Einheit Eins wohnte, war von Nightingales Bildung beeindruckt und sagte: »Wenn wir Qwilleran mit QW und einen Meteorologen namens Wetherby Goode akzeptieren können, sollten wir auch an einem Nightingale nicht Anstoß nehmen. Und er wird ein netter, ruhiger Nachbar sein.«

Das war wichtig. Die Wände der aneinander grenzenden Einheiten waren dünn, und es gab noch andere bauliche Mängel. Aber es war eine gute Adresse in wunderbarer Lage und bot seinen Bewohnern viele Annehmlichkeiten.

Qwilleran kam mit seiner Tasche voller Lebensmittel in Einheit Eins an und schloss die Tür mit seinem eigenen Schlüssel auf (Polly war in der Bücherei), begrüßte ihre beiden Katzen und legte die verderblichen Sachen in den Kühlschrank. Alle Einheiten hatten dieselbe Raumaufteilung: ein Vorzimmer, ein zweigeschossiges Wohnzimmer mit einer Glaswand, die auf den Fluß hinausging, auf der Galerie zwei Schlafzimmer und darunter die Küche und eine Essnische. Unter dem Haus befand sich eine Garage für ein Fahrzeug pro Einheit.

Hier endete die Ähnlichkeit aber auch schon. Pollys Einheit war mit Antiquitäten eingerichtet, die sie von ihren Schwiegereltern geerbt hatte – um nicht zu sagen, überladen. Qwilleran bevorzugte die nüchterne Schlichtheit zeitgenössischer Möbel mit zwei oder drei alten Gegenständen als dekorativem Kontrast. Wenn Freunde fragten: »Warum heiratet ihr beide eigentlich nicht?«, pflegte er stets zu antworten: »Unsere Katzen vertragen sich nicht.« In Wahrheit hätte er bei einem Leben inmitten von Dingen aus dem 19. Jahrhundert das Gefühl gehabt zu ersticken. Polly ging es ebenso mit der »Moderne«. So blieben sie Singles.

Bevor Qwilleran wieder ging, richtete er ein paar freundliche Worte an Brutus, den muskulösen, wohlgenährten Siamkater, und sah sich nach Catta um, die jünger und kleiner war. Eine winzige Bewegung über seinem Kopf verriet ihm, dass sie auf einer Gardinenstange saß. Wie alle Siamkatzen liebte sie hochgelegene Plätze.

»Seid ihr beide bereit für den Großen Sturm?«, fragte er. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Schnee kommt!«

Sie gaben keine Antwort, aber Qwilleran konnte ihre Gedanken lesen. Sie witterten, dass er selbst Katzen hatte. Sie wussten, dass er schon öfter gekommen war und sie sogar gefüttert hatte, wenn sie nicht hier gewesen war. Aber konnte man ihm trauen? Was war das für eine große Bürste in seinem Gesicht?

Als Qwilleran um halb sieben zum Abendessen wiederkam, rieb Brutus sich an seinen Knöcheln und Catta kreischte und hüpfte herum. Sie wussten, dass er einen Leckerbissen für sie dabei hatte.

Aus der Küche kam Pollys gestresste Stimme: »Qwill, ich bin etwas spät dran. Wärst du so lieb, die Katzen zu füttern? Mach für ihn eine Dose Diätfutter auf und für sie den Lachs in Sahnesauce … Und du könntest eine CD einlegen. Keinen Mozart.«

»Was gibt’s zum Abendessen?«

»Minestrone und Lasagne.«

»Wie wär’s mit Mandolinenmusik?«

Polly hatte einen antiken Klapptisch und zwei Stühle mit Sprossenlehnen vor eines der großen Fenster gestellt und mit Regency-Besteck und Wedgwood- Porzellan gedeckt.

Qwilleran streute sich reichlich Parmesan auf die Suppe und fragte dann: »Was erzählt man sich so in der Bücherei?« Er wusste, dass die Bücherei das inoffizielle Klatschzentrum von Pickax war.

»Alle machen sich große Sorgen wegen der Buschbrände«, antwortete Polly. »Die Big B Mine gehörte ja Maggie Sprenkles Urgroßmutter, und wenn der Bergwerkshütte irgendetwas Ernsthaftes passieren würde, bekäme sie einen Herzinfarkt!«

Qwilleran strich seinen Schnurrbart glatt. »War schon einmal eine Bergwerkshütte in Gefahr?«

»Nicht, dass ich wüsste, und ich lebe seit dem College hier.«

»Eine Ironie des Schicksals, dass der Vorfall letzte Nacht mit der Anbringung der Plaketten zusammenfällt.« Die anonym gestifteten Bronzeplaketten waren eben erst an den alten Bergwerkshütten angebracht worden.

»Genau das hat Maggie auch gesagt. Sie hat die Plaketten gestiftet, weißt du, obwohl sie nicht will, dass das publik wird. Du wirst es doch nicht weitersagen, nicht wahr?«

»Natürlich nicht.« Qwilleran hatte das Gerücht bereits von drei anderen Seiten gehört.

Als die Lasagne serviert wurde, wandte sich das Gespräch der neuen Leiterin des Kunstzentrums zu: Barb Ogilvie, der Kunststrickerin.

»Eine sehr gute Wahl«, bemerkte Polly. »Sie hat Organisationstalent und eine angenehme Persönlichkeit. Sie wird einen Kurs abhalten, und sie kann während der Arbeit stricken, was ein Ausgleich für das bescheidene Gehalt ist. Bei der Kunstgewerbeausstellung habe ich etliche Paare von ihren ausgeflippten Socken als Weihnachtsgeschenke gekauft.«

»Ich hoffe, nicht für mich«, erwiderte Qwilleran. »Übrigens, Kompliment für die Lasagne. Sie ist eine der besten, die ich je gegessen habe.«

»Danke. Sie ist aus dem Delikatessengeschäft«, konterte Polly mit einem selbstgefälligen Lächeln Qwills flapsige Bemerkung über die Socken. »Beverly Forfar war als Leiterin des Kunstzentrums nicht geeignet, obwohl ich sie als Mensch gemocht habe. Wo sie wohl jetzt ist?«

»Ich weiß zufällig, dass sie einen Job in einer großen Universitätsstadt gefunden hat«, antwortete Qwilleran. »Jetzt braucht sie sich keine Sorgen mehr über Hühner zu machen, die über die Straße laufen oder über Traktoren, die Schmutzspuren auf dem Asphalt hinterlassen.«

»Sie hatte eine merkwürdige Frisur, nicht wahr?«

»Ja, aber gute Beine.«

»Nimm dir noch Sauce, Qwill. Mildred hat sie gemacht. Das Rezept stammt vom Küchenchef des Mackintosh Inn.«

»Der hiesige Mackintosh-Clan hat dem Gasthaus einen alten schottischen Curlingstein geschenkt – wußtest du das? Er liegt in einer Glasvitrine im Foyer«, sagte Qwill. »Wohnt Nightingale noch immer im Mackintosh Inn?«

»Nein, der Speditionslaster mit seinen Möbeln und Büchern ist endlich aus Boston gekommen. Wieso haben die so lange gebraucht?«

»Sie haben sich verirrt«, erklärte Qwilleran. »Sie konnten Pickax nicht auf der Landkarte finden. Sie hatten drei Ladungen auf dem Laster und sind über Miami und St. Louis hierher gekommen.«

Sie hatten Kirt Nightingale bei einer Willkommensfeier im Village kennen gelernt und waren beeindruckt von seinem Fachwissen, wenngleich sie fanden, dass er recht gewöhnlich aussah und keine besondere Persönlichkeit besaß. Er wollte seinen eigenen Antiquariatskatalog herausgeben und von seiner Wohnung aus einen Versandhandel betreiben.

Qwilleran, der Bücher sammelte, hatte ihm eine Frage über Dickens gestellt, und der Händler hatte gemeint: »Wenn Sie interessiert sind, kann ich Ihnen für um die 30.000 drei Bände von Sketches by Boz besorgen. Zwei davon wurden 1836 gedruckt, der dritte ein Jahr später.«

Qwilleran hatte ernst genickt. Im Antiquariat von Pickax zahlte er nie mehr als drei bis fünf Dollar für einen Klassiker aus zweiter Hand.

Als er und Polly beim Abendessen über diese Szene sprachen, sagte sie: »Meinst du nicht, dass uns die Tatsache, dass ein Mann unter uns lebt, der mit seltenen Büchern handelt, ein gewisses Prestige verleiht?«

»Wie viel Prestige willst du denn noch?«, entgegnete Qwilleran. »Wir haben bereits dich und mich und den Meteorologen von WPKX sowie den Herausgeber der Tageszeitung und ein Mitglied des Stadtrats – und nicht zu vergessen den Erbauer von Indian Village höchstpersönlich!« Letzteres meinte er sarkastisch; Don Exbridge war bei den Bewohnern von Indian Village nicht sonderlich beliebt. Sie gaben ihm die Schuld für die dünnen Wände, die undichten Dächer, die klappernden Fenster und die schwingenden Fußböden. Aber, so sagten sie sich, es war eine gute Adresse.

Nach dem Dessert – frischen Birnen und Gorgonzola – machte Qwilleran Feuer im Kamin, und sie nahmen ihre Drinks vor den gemütlich knisternden Flammen ein: Tee für sie, Kaffee für ihn. Qwilleran kannte Polly wirklich gut, aber nicht gut genug, um zu fragen: »Was für einen Kaffee verwendest du? Wie lange hast du ihn schon im Haus? Wie lagerst du ihn? Wie bereitest du ihn zu?«

Sie fragte: »Wie schmeckt dir der Kaffee, Liebster?« Sie wusste, dass er in dieser Hinsicht ein Feinschmecker war.

»Nicht schlecht«, antwortete er und meinte damit, der Kaffee sei trinkbar.

»Freut mich, dass er dir schmeckt. Es ist nur koffeinfreier Instant-Kaffee.«

Später, als er wieder gehen wollte, sah Qwilleran auf dem Vorzimmertisch eine geschnitzte Holzschatulle. Sie war verhältnismäßig lang, und in den Deckel, der mit einem Scharnier befestigt war, waren Weintrauben und Blätter eingraviert, die das Wort HANDSCHUHE umrankten.

»Woher hast du diese Schatulle?« fragte er.

»Ach, die!«, antwortete sie achselzuckend. »An dem Tag, als der Speditionslaster kam, hielt ich es für eine gutnachbarliche Geste, Kirt zu einem einfachen Abendessen einzuladen, und die Schatulle war wohl sein Dankeschön.«

Sie hatte den prachtvollen Namen des Mannes auf eine einzige Silbe gekürzt. »Wofür ist sie?«, fragte Qwill knapp.

»Für Handschuhe. Die ersten beiden Buchstaben sind von den Blättern halb verdeckt. Sie hat Kirts Mutter gehört, und er wollte sie mir schenken. Eine rührende Geste, nicht wahr?«

»Hmff«, knurrte Qwilleran.

»Eigentlich habe ich für helles Eichenholz und stilisierte Schnitzerei nicht viel übrig. Sie wirkt eher maskulin, und ich habe bereits eine bezaubernde bestickte Schatulle für Handschuhe, die mir meine Schwester gemacht hat … Ich wünschte, du würdest sie nehmen, Qwill.«

»Wie alt ist sie?«

»Frühes 20. Jahrhundert, nehme ich an … Aber was auch immer du tust, pass auf, dass Kirt nicht erfährt, dass ich sie weiterverschenkt habe! Wir stecken sie in eine große Plastiktüte, falls er aus dem Fenster schauen sollte, wenn du sie heimträgst.«

Die Handschuhschatulle machte sich gut auf der edel proportionierten modernen Kommode in Qwillerans Vorzimmer – sie war alt genug, um interessant zu sein, aber nicht alt genug, um überladen zu wirken. Er legte sofort seine Winterhandschuhe hinein: wollene Strickhandschuhe, Lederhandschuhe, pelzgefütterte Handschuhe. Die Schatulle stand parallel zu einer handgefertigten Lampe von der Kunsthandwerksausstellung – einer hohen, viereckigen Säule aus getriebenem Kupfer. Die Katzen bemerkten, dass es etwas Neues gab, und beschlossen nachzusehen, was es war. Kokos Nase zeichnete die Buchstaben auf dem Deckel von rechts nach links nach. »Er liest rückwärts«, pflegte Qwilleran stets zu sagen.

Dann wurde die Aufmerksamkeit des Katers abrupt abgelenkt. Er sprang von der Kommode hinunter und ging zum südöstlichen Fenster, wo er den Hals reckte, den Kopf hob und schnupperte, während sein Schwanz nervös zuckte.

Ohne auf das schrille Geräusch der Polizeisirenen und das eindringliche Signal des Feuerwehrautos zu warten, lief Qwilleran zu seinem Kleinbus hinaus. Genau in diesem Augenblick kehrte sein Nachbar, der Meteorologe, von seinem Wetterbericht bei den Spätnachrichten zurück.

Qwilleran kurbelte das Autofenster hinunter. »Joe! Schnell! Steigen Sie ein!«

Wetherby Goode war ein stämmiger, unbekümmerter Typ und immer zu einem Abenteuer bereit, ohne viele Fragen zu stellen. Nachdem er sich auf dem Beifahrersitz niedergelassen hatte, fragte er beiläufig: »Wohin?«

»Ich glaube, es brennt wieder – im Südosten. Machen Sie das Fenster auf und prüfen Sie, ob Sie Rauch riechen können.«

»Absolut nichts … aber Südosten, das wäre auf der anderen Seite des Flusses. Fahren Sie am Tor nach rechts und dann an der Brücke nochmal rechts.«

So kamen sie an die Kreuzung Sprenkle Road und Quarry Road. Sie hielten an, blickten in drei Richtungen und schnupperten angestrengt. Um diese Zeit herrschte auf diesen Nebenstraßen kein Verkehr.

»Fahren Sie noch eine Meile Richtung Osten zur Old Glory Road«, sagte Wetherby.

»Da unten ist ein Bergwerk«, meinte Qwilleran. »Ist schon irgendjemandem aufgefallen, dass diese Brände immer in der Nähe von Bergwerken ausbrechen?«

»Nun, es gibt die Theorie, dass dorthin nur abgeschiedene Schotterstraßen führen und um diese offen stehenden Bergwerke; dort treffen sich die Jugendlichen für ihre Dates. Gut möglich, dass sie dort auch rauchen und ihre Zigaretten aus dem Fenster werfen … Man hat noch nie von einem Brand gehört, der bei Tageslicht ausgebrochen wäre.«

Als sie die Old Glory Mine erreichten, sahen sie in der Ferne die Rückscheinwerfer eines Autos verschwinden.

»Sehen Sie, was ich meine? Ich sehe direkt vor uns etwas Rotes glühen!«

Qwilleran blieb stehen und meldete über sein Mobiltelefon einen Buschbrand bei der Old Glory Mine. Sie warteten, bis sie hörten, dass die Einsatzfahrzeuge unterwegs waren und fuhren dann nach Indian Village zurück.

»Mein Kater hat den Rauch gerochen«, erklärte Qwilleran. »Koko sieht das Unsichtbare, hört das Unhörbare und riecht das Unriechbare.«

»Jet Stream riecht nie etwas anderes als Futter«, sagte Wetherby.

»Haben Sie den neuen Mann in Einheit Zwei schon kennen gelernt?«

»Ich habe mich ihm einmal am Gehsteig vorgestellt, und wir haben ein paar Worte miteinander gewechselt. Ich habe ihn gefragt, was mit dem Jaguar passiert sei, den er gefahren hat, als er hierher gekommen ist. Er sagte, der sei unter all den Kleinbussen und Pickups zu auffällig gewesen, also hat er ihn in Lockmaster verkauft und sich einen Kombi mit Allradantrieb zugelegt.«

»Hat er schon unser schmutziges kleines Geheimnis entdeckt?«, fragte Qwilleran. »Wenn das Dach leckt und es auf seine 30.000-Dollar-Bücher regnet, dann hat XYZ Enterprises eine Riesenklage am Hals.«

»Die Dächer sind repariert worden«, erwiderte Wetherby. »Gerade rechtzeitig für die schlimmste Dürre seit 20 Jahren. Was sagen Sie dazu? Aber im Sommer waren Sie ja am See, als ganz Indian Village neue Dächer bekommen hat.«

»Was ist denn los? Hat Don Exbridge ein Todeserlebnis gehabt?«

»Sie haben den ganzen Spaß verpasst, Qwill. Ein paar von uns haben sich zusammengetan und sich die Reklametafel von XYZ an der Stadteinfahrt vorgenommen – die, auf der steht ›Wir stehen hinter unserem Produkt‹. Ein typisches Beispiel für den Quatsch, den diese großen Firmen verzapfen! Also, wir sind nach Einbruch der Dunkelheit hingefahren und haben einen vier Meter langen Papierstreifen darüber geklebt, auf dem stand ›Wir stehen mit Eimern unter unseren Dächern‹. Natürlich haben wir die Zeitung informiert. Die Nachtstreife des Sheriffbüros blieb stehen, und der Hilfssheriff kugelte sich vor Lachen. Es schadete natürlich nicht, dass einer der Vandalen Mitglied des Stadtrats war. Am nächsten Tag waren die Dachdecker hier.«

Qwilleran erwiderte: »Diese Geschichte verdient einen Drink, Joe. Haben Sie Zeit?«

»Das nächste Mal, Qwill. Ich muss morgen früh zeitig aufstehen und zu einem Familienpicknick nach Horseradish fahren – das letzte Treffen, bevor der Schnee kommt. Ich habe gehört, Sie fahren bei der Bergwerkshütten-Prozession eine Limousine.«

»Ja, und wahrscheinlich werde ich das noch bereuen.«

Kapitel 2

Die Bergwerkshütten-Prozession war eine Idee von Hixie Rice gewesen. Sie war die Leiterin der PR-Abteilung des Moose County Dingsbums, und die Zeitung hatte sich bereit erklärt, als Dienst an der Öffentlichkeit die Kosten der Veranstaltung zu übernehmen. Dwight Somers, ein PR-Berater, stellte seine Dienste gratis zur Verfügung; das dritte Mitglied des Planungskomitees war Maggie Sprenkle, die »anonyme« Stifterin der zehn Bronzeplaketten.

In Moose County gab es zehn offen stehende Bergwerke, von denen die ältesten aus dem Jahr 1850 stammten. Bergbau und Holzwirtschaft hatten Moose County vor dem Ersten Weltkrieg zum reichsten Bezirk im ganzen Staat gemacht. Jetzt waren die Bergwerksareale riesige Flächen Ödland, umgeben von Maschendrahtzäunen, an denen rote Schilder mit der Aufschrift BETRETEN VERBOTEN – LEBENSGEFAHR angebracht waren. In der Mitte eines jeden Bergwerksareals stand die alte Bergwerkshütte – ein verwitterter, etwa dreizehn Meter hoher Holzturm. Aus architektonischer Sicht wirkte so eine Bergwerkshütte wie viele übereinander aufgestapelte Schuppen.

Eine Touristenzeitschrift hatte einmal über sie geschrieben: »Kubistische Kunstwerke – so hässlich, dass sie schon wieder schön sind!«

Künstler malten die Bergwerkshütten in Aquarell und Öl. Touristenkameras klickten Tausende Mal nein, zehntausendmal! Den Einheimischen waren die Bergwerkshütten als Erinnerungen an die glanzvolle Vergangenheit des Bezirks lieb und teuer.

Während Qwilleran am Morgen des Tages, an dem die Autoprozession stattfinden sollte, für die Katzen ein besonders köstliches Frühstück anrichtete, schaltete er die Kurznachrichten auf WPKX ein und hörte:

»Heute Nacht wurde erneut ein Brand bei einem Bergwerk gemeldet und von der Feuerwehr aus Kennebeck unter Kontrolle gebracht. Auf dem Areal der Old Glory Mine im Stadtteil Suffix brannte das Unterholz und drohte die Bergwerkshütte, eine der ältesten im Bezirk, ebenfalls in Brand zu setzen. Heute Nachmittag werden alle zehn Bergwerkshütten als Gebäude von historischer Bedeutung gewürdigt. Die Bergwerkshütten-Autoprozession wird über kleine Seitenstraßen zu den Bergwerken fahren, um die neu angebrachten Bronzeplaketten einzuweihen. Die offizielle Amtshandlung wird von Bezirksabgeordneten vorgenommen.«

Anstatt auf die Ergebnisse der Highschool-Footballspiele zu warten, schaltete er das Radio ab. Dann läutete es an der Tür, und davor stand die mondänste junge Frau der Stadt. »Ich habe Ihre Nachricht erhalten. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Was gibt es für ein Problem?«

Fran Brodie, eine Bewohnerin von Indian Village, hatte in Amandas Einrichtungsatelier gleich nach Amanda die Befehlsgewalt. Außerdem war sie die Tochter des Polizeichefs – eine Tatsache, die für Qwilleran ebenfalls nicht unbedeutend war.

»Kommen Sie herein und schauen Sie sich einmal um«, forderte er sie auf. »Diese Wohnung war den ganzen Sommer über eingemottet und sieht vernachlässigt aus … Eine Tasse Kaffee?«

Sie nahm an, ging damit herum und studierte die Einrichtung. »Wenn der Schnee kommt«, sagte sie, »wird die Aussicht aus diesem Fenster nur mehr schwarz-weiß sein. Sie könnten über dem Kaminsims einen roten Farbtupfer brauchen, und ich habe einen Batikwandbehang, 90 mal 1,20, von einer hiesigen Künstlerin.« Als sie den verständnislosen Blick ihres Kunden sah, fügte sie hinzu: »Wie Sie wahrscheinlich wissen, wird beim Batiken der Stoff nach einer jahrhundertealten Methode mit Wachs bemalt und gefärbt. Wir wiederholen das Rot mit ein paar glänzenden Baumwollkissen für das Sofa – großen, prallen Kissen. Die werden den Katzen gefallen! Und außerdem schicke ich Ihnen eine Schüssel mit köstlichen roten Äpfeln für den Couchtisch. Versuchen Sie nicht, sie zu essen; sie sind aus bemaltem Holz.« Sie legte ihren männlichen Kunden gegenüber ein forsches Benehmen an den Tag, das die einen einschüchterte und die anderen amüsierte; Qwilleran war stets amüsiert.

Sie fuhr fort: »Woher haben Sie diese kupferne Lampe? Von mir nicht! Der Schirm passt überhaupt nicht dazu!«

Es war die hohe Lampe auf der Kommode im Vorzimmer. »Gefällt sie Ihnen nicht? Ein einheimischer Metallkünstler hat sie bei der Kunsthandwerksausstellung angeboten.«

»Sie ist okay, aber mit einem braunen Lampenschirm würde sie hundertmal besser aussehen – mit einem quadratischen, pyramidenartigen Schirm als Ergänzung zu dem rechteckigen Ständer. Ich werde Ihnen mit dem Wandbehang und den Fassen einen mitschicken.«

»Und mit den Holzäpfeln«, erinnerte sie Qwilleran.

»Wer hat die Sitzmöbel so im Raum verteilt?«

»Wahrscheinlich die Maler, die den Wasserschaden repariert haben.«

»Mein Monteur wird sie richtig anordnen, wenn er die Lieferung bringt. Ich sage ihm, er soll sie U-förmig um den Kamin gruppieren. Dann brauchen Sie nur noch einen Teppich, der etwas hermacht.« Die ganze Zeit über hatte sie konzentriert die Stirn gerunzelt; jetzt hellte sich ihr perfekt geschminktes Gesicht plötzlich auf. »Ich weiß, wo Sie einen feudalen dänischen Rya-Teppich bekommen können – handgemacht – 1,80 mal 2,40 – wunderbares Design, ungefähr Jahrgang 1950.«

»Und für nur 10.000«, meinte er grinsend.

Fran warf ihm kurz einen ärgerlichen Blick zu. »Er wird morgen in der stillen Auktion versteigert. Sie müssen bieten, um ihn zu bekommen. Alles, was versteigert wird, ist begutachtet worden, und ich war im Auswahlkomitee. Deshalb weiß ich davon.«

»Sollte ich wissen, was eine stille Auktion ist?«

»Also, bei der morgigen Auktion läuft es folgendermaßen: Firmen und Einzelpersonen haben Dinge gespendet, die verkauft werden sollen, und die Einnahmen gehen an das Tierheim von Pickax. Die Sachen werden im Gemeindesaal ausgestellt. Sie kaufen eine Eintrittskarte, spazieren herum, sehen sich alles an, trinken ein Glas Punsch, genießen die Atmosphäre und unterhalten sich mit den anderen Besuchern. Wenn Sie etwas sehen, das Ihnen gefällt, schreiben Sie Ihren Namen hin und den Betrag, den Sie bieten wollen. Dann kann jemand anderer den Betrag erhöhen. Das macht die Sache spannend.«

»Hmmm«, überlegte Qwilleran. »Was glauben Sie, wie viel ich für den Teppich bieten sollte – das heißt, wenn er mir gefällt.«

»Der Rufpreis ist 500 Dollar. Damit können Sie anfangen. Es macht Spaß, herumzugehen und zu schauen, wer wofür bietet – und wie viel. Es kommt vor, dass Freunde aus reiner Bosheit einander überbieten.«

»Arch Riker würde vielleicht auch gerne an der Auktion teilnehmen«, bemerkte Qwilleran nicht ohne boshafte Hintergedanken.

»Ich hoffe, Sie bekommen den Teppich«, sagte Fran. »Die Katzen werden begeistert sein!« Beim Hinausgehen sah sie neben der kupfernen Lampe die geschnitzte Eichenholzschatulle für die Handschuhe. »Bewahren Sie darin Ihre alten Liebesbriefe auf?«

Qwilleran rief sofort bei den Rikers an. Arch, jetzt Herausgeber und Verleger des Dingsbums, war seit frühester Jugend mit ihm befreundet; seine Frau Mildred verfasste die Haushaltsseite.

Sie meldete sich.

»Was macht Arch gerade?«, wollte Qwilleran wissen.

»Er liest auswärtige Zeitungen.«

»Hol ihn bitte mal an den Hörer.«

Qwills Freund meldete sich gedankenverloren wie jemand, der drei Tage mit der Lektüre der New York Times im Verzug ist.

»Arch!«, rief Qwilleran, um die Aufmerksamkeit seines Freundes zu erregen. »Wie war’s, gehen wir vier morgen zum Sonntagsbrunch in Tipsy’s Tavern? Und dann zu der stillen Auktion im Gemeindesaal? Ich habe gehört, sie haben ziemlich gute Sachen.«

Eine unwiderstehliche Einladung für jemanden, der Gourmet und Sammler zugleich war. »Wann? Wer fährt? Nehmen sie auch Kreditkarten?«, fragte Arch.

Zufrieden mit der Verabredung, zog Qwilleran sich für die Autoprozession um und fuhr in die Stadt zu einem zeitigen Mittagessen. Die Zeit, die ihm dann noch blieb, konnte er angenehm im Antiquariat verbringen. Im Café des Mackintosh Inn, Rennie’s, aß er sein Lieblingssandwich, ein Reuben- Sandwich. Als er anschließend wieder gehen wollte, hörte er jemanden seinen Namen rufen.

»Qwill! Ich habe gerade an Sie gedacht!«

»Wenn man vom Teufel spricht … Wie läuft’s bei Ihnen, Barry?«

»Super!«

Der Klingenschoen-Fonds, jetzt Eigentümer des Gasthofs, hatte Barry Morghan aus Chicago als Geschäftsführer eingesetzt.

»Sind Sie auf den Großen Sturm vorbereitet?«, erkundigte sich Qwilleran.

»So gut wie möglich. Er wird schon nicht so schlimm sein, wie die Leute sagen. Hier neigt man ja leicht zu Übertreibungen.«

»Er ist so schlimm – und noch viel schlimmer. Aber wenn man es schafft, die ersten drei Tage zu überleben, hat man gewonnen. Die Bezirksverwaltung besitzt eine Flotte von Schneeräumgeräten, die mit der Tankerflotte eines griechischen Reeders vergleichbar ist – dank dem Klingenschoen-Fonds.«

»Super! Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«

Sie gingen in einen als Leseraum eingerichteten Alkoven in einer ruhigen Ecke des Foyers, in der Nähe des lebensgroßen Porträts von Arm Mackintosh Qwilleran.

»Was gibt es?«, fragte Qwilleran.

»Mein Bruder und seine Frau sind hier. Sie wollen mit dem Haus fertig sein, bevor der Schnee kommt … Hören Sie nur, ich rede schon wie ein Einheimischer!«

»Wo wohnen sie?«

»Sie haben eines dieser großen, alten Häuser in der Pleasant Street gekauft. Fran Brodie richtet es ihnen ein. Und die Praxis wird demnächst eröffnet. Sie wird ›Dermatologische Klinik, Moose County‹ heißen. Meine Schwägerin ist ja Künstlerin. Sie macht Batikwandbehänge, und Fran verkauft die Sachen für sie.«

»Interessant!«, sagte Qwilleran. »Kann ich irgendetwas tun, um ihnen den Start zu erleichtern?«

»Also, ehrlich gesagt, ja«, sagte Barry. »Als ich neu hier war, haben Sie mir ein paar tolle Ratschläge gegeben, wie man mit den Bewohnern einer Kleinstadt auskommt, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihnen das auch erklären könnten.«

»Aber gerne.«

»Vielleicht könnten wir uns einmal zum Abendessen in meiner Wohnung treffen. Küchenchef Wingo würde für das Essen sorgen, und wir wären ungestörter als in einem Restaurant.«

»Super!«, willigte Qwilleran ein.

Es war noch immer zu früh, um zum Bezirksgebäude zu gehen; also schlenderte Qwilleran zum Antiquariat. Es befand sich hinter dem Postamt, in einer Seitenstraße, die die Gründerväter der Stadt in ihrer Weisheit ›Seitenstraße‹ genannt hatten. Sie war kaum mehr als ein Gässchen, nur einen Häuserblock lang und grenzte im Norden und im Süden an belebte Durchfahrtsstraßen. In der Mitte des Häuserblocks kauerte ein steinernes Gebäude aus Feldspat, der in der Sonne glitzerte; es ähnelte einer Grotte. Kein Wunder, dass es bei den Touristen die beliebteste Sehenswürdigkeit war. Das Haus war ursprünglich eine Schmiede gewesen, doch der Enkelsohn des Schmieds führte darin seit über 50 Jahren ein Antiquariat, und zur Feier des 50-jährigen Bestehens seines Geschäfts hatte die Stadt Pickax die Straße in ›Book Alley‹ umbenannt.

Der Laden hieß Edds Editionen. Qwilleran trat ein und blinzelte, um sich vom Sonnenschein draußen auf die Düsternis drinnen umzustellen. Er blieb stehen und sog den vertrauten Duft nach alten Büchern aus feuchten Kellern, Muschelsuppe, die sich der Buchhändler zum Mittagessen aufwärmte, und übriggelassenen Sardinen im Katzenschüsselchen ein. Ein großer, staubgrauer langhaariger Kater beaufsichtigte die Räumlichkeiten und staubte mit seinem buschigen Schwanz die Bücher ab. Er kannte Qwilleran.