Die Konkubine des Teufels - Bettina Szrama - E-Book

Die Konkubine des Teufels E-Book

Bettina Szrama

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Beschreibung

Was steht auf dem Spiel, wenn du alles verloren hast? Bayern im Jahre 1632. Die Bauern leiden unter den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Nach dem Sturz des gefürchteten Feldherrn Johann t'Serclaes von Tilly, ziehen seine heimatlosen Truppen plündernd und mordend durch das Land. Auch Marie, die in einem Dorf bei Ingolstadt lebt, muss mit ansehen, wie ihre Familie brutal getötet wird ... Nur sie und ihr Vater können der marodierenden Bande entkommen. Auf ihrer gefährlichen Flucht schließen sie sich dem schwedischen Reiter Jaspar Hanebuth an. Doch Hanebuth entpuppt sich schon bald als gerissener Verbrecher. Trotz seines teuflischen Wesens fühlt sich Marie von ihm angezogen. Denn sie weiß: Als Geliebte dieses Mannes wird ihr nichts zustoßen … »Ein spannendes und gut recherchiertes Buch über Zeiten des Krieges, in denen Menschen zu Spielbällen der Mächtigen werden ... « NDR 1 Niedersachsen Der packende historische Roman über eine junge Frau, die in den Stürmen des 30-jährigen Krieges von einer gefährlichen Faszination ergriffen wird – für Fans von Brigitte Riebe.

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Seitenzahl: 356

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Über dieses Buch:

Bayern im Jahre 1632. Die Bauern leiden unter den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Nach dem Sturz des gefürchteten Feldherrn Johann t'Serclaes von Tilly, ziehen seine heimatlosen Truppen plündernd und mordend durch das Land. Auch Marie, die in einem Dorf bei Ingolstadt lebt, muss mit ansehen, wie ihre Familie brutal getötet wird ... Nur sie und ihr Vater können der marodierenden Bande entkommen. Auf ihrer gefährlichen Flucht schließen sie sich dem schwedischen Reiter Jaspar Hanebuth an. Doch Hanebuth entpuppt sich schon bald als gerissener Verbrecher. Trotz seines teuflischen Wesens fühlt sich Marie von ihm angezogen. Denn sie weiß: Als Geliebte dieses Mannes wird ihr nichts zustoßen …

Über die Autorin:

Bettina Szrama wurde 1952 in Meißen geboren. Obwohl sie ihre Liebe zum Schreiben schon früh entdeckte, war sie lange als Dipl.-Agraringenieurin in landwirtschaftlichen Führungspositionen tätig. Nach dem Fall der Mauer studierte sie Literatur an der Axel Andersson Akademie in Hamburg. Bereits während ihres Studiums begann sie mit dem Schreiben und etablierte sich fortan als Journalistin und Autorin. Beim internationalen Schriftstellerwettbewerb »WRITE MOVIES« in Hollywood wurde sie mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Heute lebt und schreibt die Autorin in Magdeburg.

Die Website der Autorin: autorin-bettinas-schatzkiste.jimdofree.com/

Bei dotbooks veröffentlichte Bettina Szrama die historischen Romane »Die Hure und der Meisterdieb«, »Die Hexe und der Henker«, »Die Novizin und die Hexenjäger« und »Die Konkubine des Teufels«.

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eBook-Neuausgabe Januar 2025

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Die Konkubine des Mörders« bei Gmeiner.

Copyright © der Originalausgabe Gmeiner-Verlag GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de)

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Ghulam, Mini Mayi

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-700-3

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Bettina Szrama

Die Konkubine des Teufels

Historischer Roman

dotbooks.

Kapitel I.

Es ist das Frühjahr 1632. Die Bestie im Menschen war erwacht. Ausgelöst durch einen nicht enden wollenden Krieg, unter dessen Kriegslasten das Land seit nunmehr vierzehn qualvollen Jahren litt. Dort, wo einst Gottesfurcht und Ehrbarkeit regierten, brachten Ligisten und Kaiserliche, Dänen und Schweden, Freund und Feind Verzweiflung und bittere Not. Als sich der einst umjubelte Schwedenkönig Gustav Adolf in seinem Bestreben, Kurfürst Maximilian von Bayern von seinem Land südlich der Donau zu isolieren, nach einer kurzen Belagerung Ingolstadts endlich entschloss, nach Landshut weiterzuziehen, ließ er seinen Unmut über die durch die Bayern erzwungene Verzögerung vor Regensburg an der Landbevölkerung aus. Aber nicht nur seine Soldaten brandschatzten, mordeten und plünderten, auch versprengte Söldner der Katholischen Liga des von ihm zuvor bei Breitenfeld geschlagenen und in Ingolstadt seinen Verletzungen erlegenen Reichsherrn von Tilly standen ihm in nichts nach. So groß waren die Grausamkeiten, welche die Landsknechte in den umliegenden Dörfern hinterließen, dass kein Blut, kein Tränenstrom den Himmel zu erweichen vermochte. Blutdurst und Wollust gingen Seite an Seite mit Hunger und Not. Scharenweise liefen Wölfe umher, drangen bis in die Städte vor und Banditen und Mörder machten die Straßen unsicher. Das Morden war so groß, dass für eine höhere Gerechtigkeit kein Raum mehr blieb ...

Der Hof von Curd Tönnjes aus dem Audorf Hundszell war von den üblichen Plündereien bisher verschont geblieben. Nun aber sollte das Schicksal auch ihn ereilen. Der Tod kam an einem Sonntagmorgen im April. Die Sonne war gerade aufgegangen und blinzelte verschlafen durch die Zweige der alten Weide am Brunnen. Aus dem Kuhstall, gleich neben dem Wohnhaus, klang das morgendliche Scheppern der Milchzuber, unterbrochen vom zufriedenen Kauen der Kühe. Lediglich der Hahn auf dem Misthaufen krähte an diesem Morgen anders als gewöhnlich. Aufgeregt plusterte er das bunte Gefieder und blähte die Brust. Dabei hüpfte er auf und nieder, als wollte er den Hennen auf dem Hof etwas mitteilen. Doch die Hühner scharrten eifrig weiter im Sand und pickten nach den Weizenkörnern, die der Bauer vor ihnen ausgestreut hatte.

Als ahnte er, welches Unheil seinem Hof drohte, nahm Tönnjes das friedliche Bild einen Moment nachdenklich in sich auf, bevor er die Schritte eilig zum Pferdestall lenkte. Vor dem Stalltor blieb er stehen und blickte mit gerunzelter Stirn auf den Hund an seiner Seite.

»Still, Wolf«, mahnte er. Aber das kräftige Tier knurrte weiter und stellte das Nackenfell auf. Beunruhigt rief er durch den offenen Türspalt des Stalls nach dem Sohn. »Johann, was hat der Hund nur?« Dabei dachte er an die siebenundzwanzig Groschen Kopfsteuer, die der Vogt noch von ihm forderte und an die Schweden, deren Kanonendonner seit Tagen die ländliche Stille zerriss. Im gleichen Moment quietschte das Holztor und der Gerufene erschien im Torrahmen. Er reichte dem Vater gerade bis zur Schulter und seine Beine steckten in einer Bauernhose aus zwei schmutzigen Beinlingen, die er um die Hüften mit einem dicken Strick zusammenhielt. Aus seinem Hosenbund ragte der Schaft eines langen Messers.

»Wolf verhält sich schon den ganzen Morgen so ungewöhnlich«, entgegnete der Sohn. »Vielleicht sind die Wölfe wieder unterwegs.«

Belustigt über die kindliche Naivität zog Tönnjes den Burschen scherzhaft an den Ohrklappen der viel zu großen Kappe, unter der er das jungenhafte Gesicht verborgen hielt. »Dein Wort in Gottes Ohr«, knurrte er, während er den Hund im Auge behielt. »Ich habe gestern zwei Wölfe geschossen, die sich bei den Weiden umhertrieben. Aber viel lieber hätte ich einen schwedischen Hundsfott vor mein Rohr bekommen.«

Da wehte es plötzlich zu ihm her, jenes ferne, allzu bekannte, merkwürdige Grollen, dass der Wind mitgenommen hatte und nun über den Wald und die Äcker trieb. Tönnjes hob den Kopf, blickte über die Wiesen, unendliche Wiesen mit zartem Grün, und Äcker, auf denen das reifende Korn die ersten Spitzen zeigte, unterbrach das Gespräch und lauschte.

»Pferdehufe? Ganz klares Hufgetrappel«, stellte Johann nüchtern fest und trat hinter den Vater. »Sie bewegen sich auf uns zu.«

»Die Schweden ...?«, mutmaßte Tönnjes, gleichfalls überkam ihn die Angst. Er spuckte auf den Boden, trat mit dem Fuß darauf, und knurrte: »Gott befreie uns endlich von diesem Gesindel.«

In diesem Augenblick rollte eine Staubwolke die Straße, den Abhang herauf. Hufe ließen den Boden erzittern.

Mit scharfem Blick erkannte Tönnjes die Musketen und Lanzen in der Wolke. Seit Jahren umgeben von Brandschatzung und Räuberei, wusste er, dass er jetzt rasch handeln musste. Er packte Johann und schubste ihn zurück in den Stall. Dabei schrie er aufgeregt: »Es sind die jungen Stiere. Die Gelbröcke haben ihnen brennende Holzscheite zwischen die Hörner gebunden! Die Hurensöhne treiben sie auf den Hof zu. Sie wollen den Hof niederbrennen! Treib die Pferde aus der Scheune! Ich laufe zum Kuhstall!«

Im Stall saßen sein Weib und seine Tochter Marie bei den Kühen, mit einem Holzzuber zwischen den gespreizten Schenkeln. Beide Weiber sprangen vor Schreck fast gleichzeitig auf, als er die Tür aufriss und in den Stall brüllte: »Der schwedische Hundsfott kommt, wir müssen uns in Sicherheit bringen!«

Die Milch aus den umgeworfenen Zubern versickerte zu ihren Füßen im Stroh. Marie wischte sich die feuchten Hände am Rock ab und fragte mit ängstlicher Stimme: »Kommen jetzt die Gelbröcke auch zu uns, um uns das Korn und das Vieh zu nehmen und uns zu traktieren, wie sie es mit den Nachbarn getan haben?«

Tönnjes stürzte auf das Mädchen zu und riss sie hastig in seine Arme. Für Zärtlichkeiten blieb nicht mehr viel Zeit. Mit Tränen in den Augen küsste er ihr den Scheitel. Dann schob er sie rasch von sich und sagte: »Nimm die Pferde und reite mit deinem Bruder in den Wald, zur Höhle. Du bist mutig und tapfer wie ein Bub und ich kann mich auf dich verlassen. Zudem kennst du den Weg. Ich versuche sie derweil von euch abzulenken und folge dann mit der Mutter nach. Gott wird uns schützen!«

Gehorsam begab sich Marie zum Bruder, der die jungen Pferde bereits aufgeregt auf dem Hof zusammentrieb.

Das Weib rannte indessen durch den Stall in das Wohnhaus, wo Tönnjes sie rumoren hörte, während er rasch das alte Milchpferd aus dem Stall holte. Für den Bruchteil einer Sekunde drückte er sein Gesicht in das dichte Fell des schweren Rappen. Jahrelang hatte er ihm im Pflug und vor dem Wagen treu gedient. Für die Schweden war das Tier wertlos. Wenn er es zurückließ, war es verloren.

Die Staubwolke hatte sich verdichtet und der Wind brachte die Schreie des Schwedentrupps immer näher. Die Geschwister verständigten sich mit einem einzigen Blick. Dann schwang sich Marie wie ein Junge auf einen der Pferderücken. Festgeklammert an der dichten Mähne und wie eine Katze an den Pferdehals geschmiegt, rief sie: »Lauf Brauner, lauf um dein Leben!«

Der Bruder hatte es ihr gleichgetan. Auch er lag mehr, als dass er auf dem Pferd saß und hielt den kräftigen Pferdehals mit seinen Händen umklammert. Er schnalzte mit der Zunge und beide schlugen den Pferden, wie auf Kommando, die nackten Schenkel in die Seiten. Wie der Wind stoben sie vom Hof, lediglich mit Stricken und einem Messer bewaffnet. Drei junge Falben folgten ihnen mit wehender Mähne.

Nachdem Tönnjes dem Rappen das Kummet über den Hals geschoben hatte, sah er kurz auf und blickte hinüber zur Waldkante. Er hoffte seine Kinder in Sicherheit. Doch sein Blick verfinsterte sich, als er die zwei fremden Kürassiere bemerkte, die ihnen dicht auf den Fersen folgten. Rasch schob er den Gaul in die Deichsel, nahm die Büchse vom Wagen und feuerte wütend auf die Verfolger. Jedoch galoppierten diese unbeirrt weiter.

Der Schuss war noch nicht verklungen, da kam er selbst in Bedrängnis. Er warf dem Rappen die Leinen über, sprang auf den Bock und schrie über den Hof, während er das Pferd antrieb: »Lass das Packen, Weib, und spring schnell auf!«

Pferde schnaubten, Reiter johlten und dem Kleinknecht, der die Stiere aufhalten wollte, teilte ein Schwerthieb das Gesicht. Blutüberströmt brach er vor dem Scheunentor zusammen. Die Leiber der Stiere dampften. Sie polterten über den Hof. Es roch nach verbranntem Fleisch. Die Magd und der Großknecht rannten in Panik aus dem Haus und suchten ihre Rettung in den Wiesen. Dort wurden sie von ihren Verfolgern eingeholt, mit dem Schwert niedergestreckt und von den Pferdehufen überrannt. Der Rappe, zwischen drängelnden und schiebenden Stierleibern, bäumte sich auf, stieg in der Deichsel, und Tönnjes sah sein Weib mit einem Beutel Geschirr in der Hand hinter dem Wagen herrennen. Ein Gelbrock verfolgte sie johlend und versuchte ihr das Bündel aus der Hand zu reißen. Wütend sah es der Bauer, riss das Gespann herum, beugte sich vom Wagen und schlug mit der Peitsche auf den Vermaledeiten ein. Gleichzeitig reichte er dem Weib seinen Arm. Da zerriss ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Gewehrkugeln pfiffen ihm um die Ohren, und sein Eheweib schleuderte die Arme in die Luft. In dem sich auflösenden Rauch sah er ihre erschrockenen Augen und den vor Entsetzten weit geöffneten Mund. Dann wurde er auf den Boden geschleudert. Der Rappe machte einen gewaltigen Satz nach vorn, mit vor Angst geblähten Nüstern. Im letzten Moment erwischte Tönnjes die Leinen und klammerte sich daran fest. Es war noch nicht lange her, dass er als Reiter unter den Schweden gedient hatte. Diese Erfahrung kam ihm nun zugute. Rasch hangelte er sich an den Riemen über die Kruppe bis zum Pferdehals und setzte mit dem Fuhrwerk mitten durch die feindlichen Soldaten. Hinter sich im Pulvernebel sah er noch, wie ein Landsknecht sich an seinem sterbenden Weib verging. In Windeseile fraß sich der rote Hahn durch das Dach, durch die Scheune und den Stall. In ohnmächtigem Zorn durchtrennte Tönnjes einem Kürassier, der ihm den Weg abschnitt, mit dem Kurzschwert die Halssehne, bevor der Rappe mit ihm über den Zaun setzte.

Marie und Johann galoppierten Seite an Seite. Längst hatten sie bemerkt, dass sie verfolgt wurden. Die Pferde schwitzten und ihre Flanken zitterten. An einer Weggabelung zügelte Marie ihren Braunen.

»Gleich, Bruder, beginnt der rettende Wald. Dort werden uns die Schweden nicht mehr einholen. Sie haben Angst vor den Wölfen.« Sie wies mit dem Arm auf das riesige Waldgebiet vor ihnen und warf einen ängstlichen Blick über ihre Schulter zurück. Die Luft roch nach Rauch. Am Horizont glühte es rot. Plötzlich kam ihr eine Idee. »Wenn wir durch die Felsschlucht reiten, schütteln wir vielleicht die Verfolger ab!«

Johann zog am Strick, an dem er die jungen Pferde mitführte. Das Seil hatte ihm ins Fleisch geschnitten. Eine breite Wunde umschloss seine Handfläche. »Ist dieser Weg nicht zu gefährlich, Schwester?«, wandte er ein und blickte unsicher auf die scharfkantigen Steine unter ihnen, die sie ausschließlich zu Fuß bewältigen konnten. Nur wenige Meter trennten sie noch von ihren Verfolgern.

Da schlug Marie plötzlich auf ihr Pferd ein und schrie: »Wir haben keine Wahl mehr. Sie sind bereits dicht hinter uns.« Doch der Falbe unter ihr begann auf einmal nervös zu tänzeln, scheute und kam dabei mit den Hinterhufen zu weit über die Felskante. Marie schrie grell auf. Dann stürzte sie in die Tiefe und landete unsanft auf einem Felsvorsprung. Einen Moment lang, der ihr unendlich vorkam, kämpfte sie gegen die Benommenheit, dann suchten ihre Hände nach einem Halt, tasteten sich über Geröll und Felsgestein, bis sie eine Wurzel erfassten. Erst jetzt spürte sie die Todesangst und wagte einen Blick über die Schulter. Ihr Pferd lag mit verrenkten Gliedern in der Schlucht. Die Vorstellung, dass es ihr ebenso ergehen könnte, verlieh ihr neue Kräfte. Vorsichtig begann sie mit den Füßen nach einem Felsvorsprung zu suchen, während sie sich mit den Händen Stein für Stein wieder an der Wurzel hinaufzog. Irgendwann spürte sie festen Halt und es gelang ihr, den Oberkörper über die Graskante zu schieben. Hier verschnaufte sie einen Moment, bevor sie den Kopf hob, um nach dem Bruder und den Pferden zu sehen. Sie hustete und spuckte feinkörnigen Staub. Allmählich formte sich die Umgebung wieder zu einem klaren Bild. Sie hörte fremde Stimmen. Ein Handgemenge war im Gange. Die Männer brüllten. Dazwischen ein Schrei wie der eines sterbenden Adlers. Pferde schnaubten nervös. Instinktiv war sie sich der Gefahr bewusst, die ihr drohte, wenn sie bemerkt wurde. Deshalb rutschte sie rasch auf dem Bauch unter einen Brombeerstrauch, wo sie im Schutz der dichten Zweige mit angehaltenem Atem mit ansehen musste, wie Johann blutüberströmt vor einem schwarzgekleideten Kürassier kniete und um sein Leben bettelte, während der ihm mit dem Messer die Kehle durchtrennte. Höhnisch, mit einer glockenhellen Stimme, sang er dazu: »Greif an das Werk mit Freuden, wozu mich Gott bescheiden, in meinem Amt und Stand.« Der Lebenssaft sprudelte aus dem Hals des erst vierzehnjährigen Bruders. Er tränkte den Rasen blutrot, bis er sich in seinem eigenem Saft entseelt streckte.

Als der Mörder endlich von seinem Opfer abließ und lachend mit seinem Kumpan und den gestohlenen Pferden an der Hand wegritt, hockte Marie völlig apathisch an der gleichen Stelle. Der Liedtext aus dem Kirchengesangbuch, der sich aus dem Munde des Mörders wie die Verhöhnung alles Göttlichen angehört hatte, grub sich fest in ihr Gedächtnis, bis Gott Erbarmen zeigte und sich ihr Geist in eine schützende Dunkelheit hüllte.

Als sie wieder zu sich kam, blickte sie in das Gesicht des Vaters. Ihr Kopf lag auf seinen Knien und er versuchte, ihr aus seiner Kappe Wasser einzuflößen.

»Vater?«, hauchte sie, froh, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Im gleichen Moment erinnerte sie sich an das Vorgefallene. Erschrocken schob sie seine Hand zur Seite, sodass sich das Wasser über ihrer Brust ergoss, und brüllte wie von Sinnen »Jooohaaann!«. In einem Atemzug sprang sie auf, blickte wie ein gehetztes Tier um sich, trat dem Vater, der sie zurückhalten wollte, gegen das Schienbein und warf sich über die sterbliche Hülle ihres Bruders. »Warum ...?«, schluchzte sie verzweifelt und küsste Johanns starres Gesicht, bis der Vater sie an den Schultern wegzog. Erst an seiner Brust, unter seinen warmen Händen, begann sie sich etwas zu beruhigen. Der Vater war hier, der Beschützer der Familie und des Hofes. Sein Geruch war ihr so vertraut. Bestimmt war alles nur ein böser Traum.

Doch Tönnjes hob ihr Gesicht, das Erlebte der letzten Stunden brach plötzlich in einem Anfall von Wut und Verzweiflung aus ihm heraus. Entgeistert sah er sie an. »Hast du Johanns Mörder gesehen?«, brüllte er. Er hatte eine gewaltige Stimme. »Wieso musste Johann sterben und warum bist du noch am Leben?«

Irgendwie wollte er nicht begreifen, dass nur das Mädchen überlebt haben sollte. Johann war der Sohn und Erbe des Hofes. Hastig, mit fahrigen Bewegungen, riss er an ihrem Rock, schob ihn in die Höhe. Ihre Schenkel waren wohl gerundet, die schlanken Beine staken in Holzschlappen. »Wieso haben sie dich nicht berührt ...?« Im gleichen Moment besann er sich und sein Vaterherz wurde schwer wie ein Mühlstein. Er seufzte. In ihm stieg etwas auf, was er bisher noch nicht gekannt hatte. Es war Angst! Angst um das Mädchen, das fast noch ein Kind war. Angst um das Letzte, was ihm geblieben war.

Marie schüttelte die schwarze Mähne. Mit großen Augen sah sie ihn an und schwieg. Da schnaufte er durch die Nase, schubste sie auf den Erdboden und ließ sich neben sie fallen. Er legte sich mit dem Gesicht ins Gras, atmete den Geruch der Erde und gab sich ganz der Verzweiflung hin.

»Diese Mordbuben, sie brandschatzen und morden, alles im Namen Gottes, unseres Herrn«, jammerte er. »Was nützen mir meine starken Arme. Was nützt mir mein Mut? Ich habe mir Geld geliehen, Kühe und Pferde gekauft. Da kommt der Schwede und nimmt mir wieder alles weg. Tötet die Mutter und das Vieh, den Sohn, den Knecht und die Magd und legt unseren Hof in Schutt und Asche. Oh Herr im Himmel!« Verzweifelt rang er die Hände: »Warum schickst du den Schweden nicht die Pest?«

»Lass es gut sein, Vater!« Sanft strich sie ihm über den Rücken. »Wir sollten Johann begraben, damit ihn die Wölfe nicht auffressen.« Erschüttert über die letzten Stunden und den Tod der geliebten Mutter versuchte sie allen Kummer hinunterzuschlucken. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, ihn jetzt nach den Umständen ihres Sterbens zu fragen. Der Schmerz über den Verlust des Bruders saß noch zu tief und die Hilflosigkeit des Vaters verunsicherte sie. Ihr kam eine Idee. Eine kindliche, kaum durchführbare Idee. Aber sie würde seine Kräfte wecken. »Vielleicht holen wir Johanns Mörder noch ein, wenn wir uns beeilen. Die Spur unserer Pferde wird uns zu ihm führen. Auch würde ich seine Stimme unter Tausenden wiedererkennen.«

»Bin ich ein Heiliger? Ohne Pferd?«, entgegnete Tönnjes grob. »Wie willst du, eine unschuldige Maid, Mordbuben verfolgen? Außerdem wimmelt es auf allen Straßen nur so von ihnen.« Er schaute ihr ins Gesicht, als zweifle er an ihrem Verstand. Zugleich sah es so aus, als wollte er sich dieses Abbild seiner selbst für alle Ewigkeit einprägen, die kleine gerade Nase, die etwas hervorstehenden Wangenknochen, das trotzig aufgeworfene Kinn, das untrügliche Zeichen ihres Eigensinns und die großen, unschuldig dreinblickenden Augen. Plötzlich fand er, je länger er sie betrachtete, ihre Idee gar nicht so abwegig.

»Mein Pferd ist die Felsspalte hinabgestürzt und ich habe überlebt. Du, Vater, hast auch überlebt. Ist dies nicht ein Gottesgeschenk? Hat der Herr uns nicht bereits den Weg vorgezeichnet?«, fügte sie leise hinzu, als sie bemerkte, dass er noch zweifelte.

Tönnjes begann an der Unterlippe zu kauen. Das tat er immer, wenn eine Entscheidung von ihm verlangt wurde. »Gott hat aber auch zugelassen, dass unser Liebstes hingemetzelt wurde! Wenn ich die Mörder erwische, werde ich sie aufspießen wie räudige Wölfe, das schwöre ich dir.« Er besah sich die von der schweren Arbeit schwieligen Hände und überlegte nun laut: »Der Schwede ist von Nürnberg bis Donauwörth gekommen. Generalfeldmarschall Tilly hat bei Rain am Lech vom Schweden eins auf den Buckel bekommen. Vorgestern soll das Hauptquartier des Schweden abgebrannt sein, nachdem er ohne Erfolg gegen den Brückenkopf gerannt ist. Tilly ist tot. Vermutlich wird der Schwede die große Heerstraße nach Landshut ziehen. Wir brauchen ihm nur zu folgen. Dort sind die Gebirge höher, die Schluchten tiefer, die Pfade unpassierbar. Zu was brauchen wir da Pferde? Es geht auch zu Boot. In Landshut wird der Schwede sein Heer neu aufrüsten. Da ist es ein Leichtes, sich anwerben zu lassen.« Wieder musterte er die kindlichen Züge seiner Tochter. »Du bist noch jung, Tochter, zählst kaum sechzehn Jahr, und dich dürstet nach Abenteuer. Unser zukünftiges Leben riecht nach Pulver und Rauch. Der Tod lauert überall. Aber im Schwedentross gibt es zu fressen und zu saufen und sicherlich finden wir dort auch Johanns Mörder. Dem König ist es bestimmt scheißegal, welcher Religion wir angehören und wo wir herkommen. Pferde und Kleidung finden wir mit Sicherheit genug auf unserem Weg. Wenn uns die Toten nicht geben, was wir brauchen, holen wir es uns von den Lebenden. Dazu wirst du lernen müssen, Menschen und Tiere zu töten. Willst du diesen Weg wirklich mit mir, deinem Vater, gemeinsam gehen?«

Er sah ihr tief in die Augen. Denn er wusste, was er von ihr verlangte, war sehr viel. Bisher hatte er versucht, sie im Sinne des Herrn, in der Liebe ihres Nächsten zu erziehen. Hatte sie Verantwortung gelehrt und ihr nach der schweren Arbeit auf dem Hof aus der Bibel vorgelesen, aus der er einst selbst das Lesen der Bilder erlernt hatte. Auf dem väterlichen Meierhof hatte er es mit geliehenem Geld, seiner Frau, dem Großknecht, einem Hütejungen und der Großmagd wirtschaftlich zu etwas gebracht. Vorher hatte er als Knecht auf dem Nachbarhof gearbeitet und sich die Hörner als Soldat und Reuter unter Tilly abgestoßen. Sein Goldesel war die Wiese am Hof gewesen. Eine Wiese, die ihm in diesen Kriegszeiten einiges eingebracht hatte. Denn die Pferde, die auf ihr weideten, waren bei den Herren Offizieren begehrt. Getreu hatte er die geforderten Gespanndienste geleistet, Kopf, Vieh, Schaf, Scheffel und Landsteuer bezahlt. Schon frühzeitig hatten die Kinder bei Kriegsfuhren, Kornfuhren oder bei den Jagd- und Wildfuhren für die Herrschaften mit einspringen müssen. Die Kinder waren gute Reiter und Gespannlenker. Selbst hinter dem Pflug die Ochsen zu lenken war ihnen nicht schwergefallen und sie hatten untereinander um die Anerkennung ihres Vaters gewetteifert. Jetzt lächelte er. Gerührt fuhr er Marie über das lange Haar. Es war genauso dunkel, ungebändigt und wild wie das seinige. Dunkel waren ihre Augen und feurig, wie die der Mutter. Ach ja, sein Eheweib ... Der Gedanke an sie schmerzte. Er gab sich die Schuld an ihrem Tod. Plötzlich schoss die Hand nach vorn und umschloss Maries Zopf. Während er ihn festhielt, zog er das Messer aus dem Gurt und setzte die Klinge an. Marie verzog den Mund und wehrte sich.

»Was tust du da, Vater? Willst du mich verstümmeln?«, rief sie erschrocken.

»Sind die Haare wichtiger als das Leben? Es darf niemand erfahren, dass du eine Maid bist. Wenn wir leben wollen, musst du mein Trossbube sein und Männerkleidung tragen. Kein Trossbube hat so langes Haar.« Mit einem Ruck schnitt er ihr die Hälfte der schwarzen Mähne ab. Er ließ die Strähnen über ihr Gesicht rieseln und machte sich dann daran, die andere Hälfte abzuschneiden. Eine Schande ist es, dachte er dabei, aber sie wachsen ja wieder nach. Schneidest du das Korn ab, hast du ein leeres Feld. Warum ist ein Acker nicht wie ein Mädchenkopf. Er stutzte und schnitt so lange an den Haaren herum, bis man glauben konnte, es sei ein Jungenkopf, und Marie hielt dabei ganz still. Sie hockte auf dem Grasboden, neben ihrem toten Bruder, umlodert vom Rauch des verbrannten Hofes, und ihre Augen blickten fragend: Kann ich wirklich ein Räuber, Plünderer, Brenner und Wegelagerer werden?

»So«, sagte Tönnjes, als die Arbeit beendet war. Marie jetzt anzublicken war für ihn fast eine Qual. Wie verstümmelt sah sie aus. Aber wie würde sie erst aussehen, wenn sie in die Hände der Schweden fiele? Er atmete tief aus. »Was für ein hübscher Junge«, stellte er fest. Es klang heiser und nachdenklich. Dann fasste er sie an der Hand und sagte kurz: »Komm! Fordern wir das Schicksal heraus. Vergeltung für Johann.«

Die Dörfer, die sie durchzogen, große glühende Aschehaufen mit gespenstisch hochragenden Balken, stöhnten in bitterer Qual, leergefressen, eingeäschert, ihre Bewohner vertrieben oder erschlagen. Der Schwede hatte ganze Arbeit geleistet, sodass sie nur langsam vorankamen. Immer wieder säumten Leichen, Geröll, umgestürzte Wagen und Bäume ihren Weg. Die große Heerstraße war nach dem Abzug des Schwedenheers ein ausgetretener Pfad von unzähligen Huf- und Wagenspuren und Tausenden menschlichen, im Morast verewigten Fußabdrücken. Berge von Kot und verdorbene Essensreste zwangen sie immer wieder auszuweichen. Riesige schwarze Rabenvögel hockten auf Tierkadavern und vereinzelt nagten Hunde an den menschlichen Überresten. Oft waren es abgerissene Beinstümpfe oder vom Körper abgetrennte Arme. Nach einem halben Tag Fußmarsch ließ sich Marie erschöpft auf dem verkohlten Balken eines verlassenen Bauerngehöfts nieder. Es dunkelte bereits und sie hatten noch nichts Essbares gefunden. Der Magen knurrte. Sie presste die Hand auf den Leib und sah dem Vater müde zu, wie er vergeblich versuchte, die Stiefel eines toten Soldaten über die Füße zu streifen.

»Verfluchte Beutelschneider!«, schimpfte er. »Alles haben sie geplündert. Selbst die Toten sind ihnen nicht heilig.« Zornig warf er die Stiefel zwischen ein Rudel halbverhungerter Hunde, das gierig darauf wartete, über die Leiche herzufallen. Die Hunde stoben erschrocken auseinander und knurrten.

»Vergesst nicht die Galoschen, ihr Bestien. Mir sind sie zu groß«, schimpfte er ihnen hinterher. Dann bückte er sich, hob etwas Asche auf, spuckte darauf, verrührte alles auf der Handfläche zu Brei und schmierte das Sekret auf die Blasen unter seiner Fußsohle.

Aber es geschehen noch Wunder. Marie hob die Hand als schützenden Schirm über ihre Augen, um besser gegen das trübe Licht sehen zu können. Sie wusste nicht, was Marketender sind. Für sie waren die beiden Reiter, die von einer Staubwolke umgeben den Kamm herunterritten, eine Gefahr, und sie lief rasch um das Gehöft herum zur nahen Waldkante, um sich zu verstecken.

Tönnjes dachte nicht lange nach. »Die bunten Röcke holen wir uns!«, rief er und rannte hinter ihr her. Keuchend holte er sie ein und packte sie im Genick. »Willst du wohl stehen bleiben, du wilde Hexe«, zischte er leise. Sie wollte sich gerade über die grobe Behandlung empören, als er sie zu sich herabzog und ihr Gesicht in den Erdboden drückte. Der Boden unter ihr duftete nach Harz. Sie spuckte Nadeln, schüttelte sich, hob den Kopf und blinzelte unter seiner Hand hervor.

»Mir geht das Herz auf wie eine Schweinsblase.

Das sind Leute vom Schwedentross. Die schickt uns der Herrgott. Du hast recht, der Herrgott ist uns gnädig gestimmt. Feine geschlitzte Hosen und ein schönes, farbiges Wams, alles aus bestem Tuch. Ihre Pferde sind ein bisschen knochig, aber noch frisch. Sie können nicht lange unterwegs sein. Bestimmt kommen sie von einem Beutezug«, flüsterte er. Dabei grinste er in geheimer Vorfreude: »Sie müssen hier vorbei.« Sein Blick musterte die festgetrampelte Straße. Die Reiter kamen rasch näher. Er ließ sie nicht aus den Augen. Marie an seiner Seite zitterte. Wie ein eisiger Wurm fraß sich die Kälte des Waldbodens durch ihr Kleid. Tönnjes bemerkte es und flüsterte leise, fast zärtlich: »Es ist gleich vorbei. Du brauchst nur laut zu schreien und zu johlen. Sie sollen denken, dass wir in der Übermacht sind. Den Rest erledige ich.« Er zog sein Krummschwert unter sich hervor und wog es in der Hand. Als das Hufgetrappel und die Stimmen näherkamen, umschloss er es so fest, dass die Adern auf seinem Handrücken wie dicke blaue Schnüre hervortraten. Dann kletterte er flink den Stamm einer angesengten Pappel hinauf und hangelte sich nach vorn durch das Geäst. »He, weshalb hältst du Maulaffen feil?«, flüsterte er, als er sah, dass Marie keine Anstalten machte. »Du sollst brüllen. So wie du gebrüllt hast, als der Mutter wegen der roten Ruhr die Milch ausging.« Bäuchlings auf dem Ast, die schwelenden Mauern des Gehöftes vor sich, erwartete er sein Opfer. Dabei frohlockte er: »Kommt nur, ihr Säue, und reitet direkt in eurer Verderben.«

»Ich habe Angst. Ich kann es nicht. Der Herrgott hat es verboten«, antwortete Marie leise. Ihre Stimme zitterte, während sie ein Gebet vor sich hinmurmelte.

»Der Herrgott gibt dir auch keine Kleider. Wenn du nicht schreist, wirst du an der Kälte krepieren.« Tönnjes pustete sich in die starren Hände, brach einen Ast ab und warf ihn nach ihr. »Auge um Auge und Zahn um Zahn. Wir geben ihnen nur zurück, was sie uns angetan haben!«

Plötzlich ging alles sehr schnell. Marie sprang vom Ast getroffen auf, quietschte und kreischte sich dann die Seele aus dem Leib. Fast zeitgleich spannten sich Tönnjes Muskeln. Als der erste Reiter erschrocken sein Pferd zügelte, ließ Tönnjes sich lautlos vom Ast fallen und landete hinter dem überraschten Mann im Sattel. Mit einem gut gezielten Hieb, ohne jede Gegenwehr, trennte er ihm den Kopf vom Hals. Zu Tode erschrocken wendete der andere Reiter sein Pferd und jagte zurück. Rasch ließ Tönnjes den toten Körper fallen, drehte ebenfalls um, und galoppierte hinter dem Fliehenden her. Der Verfolgte trieb sein Pferd an und Marie sah, wie er versuchte, der scharfen Klinge des Vaters auszuweichen. Kreuz und quer sauste das Schwert durch die Luft, als er neben dem Fremden herjagte. Es dauerte nicht lange und auch der zweite Reiter sackte vornüber. Tönnjes hatte ihn am Rücken erwischt. Übermütig beugte er sich im Galopp vom Pferd, zog den Röchelnden vor sich in den Sattel und jagte mit dem erbeuteten Pferd an der Hand zurück zu Marie, deren Gefühle für den Vater zwischen Stolz und Entsetzen schwankten. Er hielt an und sprang behände vom Pferderücken. Kaum hatte er den Boden berührt, riss er dem Getöteten hastig das bunte Wams vom Leib. Dann streifte er sich die Pluderhosen über und stolzierte im blutigen Hemd mit noch offenem Wams vor seiner Tochter auf und ab. »Wie sehe ich aus? Ganz wie der Löwe aus Mitternacht.«

Unbewusst musste Marie lächeln. Sie erinnerte sich an das Gemälde vom blonden Schwedenkönig, das eine Zeit lang die Wand über dem Bett der Eltern schmückte, bis der Vater es in wildem Zorn verbrannte. »Der Löwe aus Mitternacht ist zu uns gekommen, um den Adler, den Kaiser zu bekämpfen«, hatte er ihr geantwortet, als sie ihn einmal in kindlicher Neugier gefragt hatte, wer der junge König in dem weiten Mantel und der goldenen Krone sei, der so würdevoll das Zepter und den Reichsapfel in seinen Händen hielt. Jetzt blieb sie ihm die Antwort schuldig. Sie war nicht fähig, sich wie er an den erbeuteten Sachen zu erfreuen. Unentschlossen sah sie ihm zu, wie er sich über den zweiten Leichnam beugte, ihm mit dem Messer rasch ein paar zusätzliche Schlitze in das Wams schnitt, den blutgetränkten Kragen entfernte und ihr dann brummend die Kleidungsstücke vor die Füße warf. »Hier, zieh das an! Die Kleider müssten dir passen.«

Marie zögerte. Die Scheu vor dem Toten war zu groß. Sie überhörte stattdessen die Aufforderung und widmete sich den Pferden. Mit dem Rücken zu ihrem Vater blies sie ihnen in die ängstlich geblähten Nüstern und klopfte ihnen beruhigend gegen den Hals.

Tönnjes bemerkte es und begann nun laut zu schimpfen: »He, willst du am Boden festwachsen, du dumme Gans? Wenn du die Sachen nicht gleich überziehst, verprügle ich dich, dass du drei Tage nicht sitzen kannst.« Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Widerwillig ließ sie von den Pferden ab, griff gehorsam nach den Kleidern und zog sich mit ihnen in das Gebälk der Ruine zurück. Nach ein paar Minuten kehrte sie in einem scharlachroten Wams mit hoch geschlossenen Kragen und üppig geschlitzten Pluderhosen zurück, die, ein wenig lang, über dem Knie in farbigen Schleifen endeten. Die Beine steckten in Beinlingen und ihre Füße in Schuhen mit einer großen Schnalle. Das Gesicht mit dem kurzen Haar verschwand fast gänzlich unter der roten Kappe. »Wie ein Paradiesvogel sehe ich aus«, begehrte sie verschämt auf, während Tönnjes belustigt durch die Lippen pfiff.

»Ich habe noch keinen hübscheren Trossbuben gesehen. Hüte dich ja vor den Marketenderinnen, mein Junge!« Grinsend schwang er sich in den Sattel und warf ihr die Zügel des herrenlosen Pferdes zu. Unter seinem Arm klemmte die Muskete des Getöteten. »Am Sattel findest du eine Pistole, dreizehn Pulvermaße und ein Zündkrautfläschchen, einen Degen, etwas Brot, Käse und Wein. Sogar ein paar Taler habe ich im Beutel gefunden. Also auf, mein Bürschlein! Auf nach Landshut, dem schwedischen Hundsfott hinterher!«

Kapitel II.

Der Vater und seine Tochter ritten ohne Unterbrechung und schonten nicht ihre Pferde. Nach ungefähr drei Tagen erreichten sie ihr Ziel. Die drei Stadttore der mächtigen Festungsanlage waren bereits überall mit Soldaten besetzt, während draußen vor den Toren das gewaltige Heer des Schwedenkönigs lagerte.

Tönnjes stand in seinen Steigbügeln und betrachtete die Stadttürme. Neben ihm ritt Marie auf ihrem Pferd, davor und dahinter, Kopf an Kopf, eine lebhafte, schnaufende, unruhige, dunkle Masse Tier und Mensch, Fliehende, Verzweifelte und Abenteurer. Ein Wagenführer mit seinem Ochsengespann versuchte neben ihnen die Menge zu durchbrechen. Doch vergeblich schlug er auf seine Ochsen ein. Der Karren vor ihm hatte getrocknetes Gras geladen. Ein Anlass für die massigen Tiere, sich eine Verschnaufpause zu gönnen. Während sie gemächlich an den Halmen zupften und die Peitschenhiebe wie Fliegen abschüttelten, beugte sich Tönnjes vom Pferd: »Wie ist die militärische Lage in Landshut, alter Mann?«, fragte er.

»Solltet Ihr noch Besitz haben, Weib und Kind, dann bringt alles rasch in Sicherheit. So ein tapferes Fähnlein hat das Kloster Niederviehbach vor den Plünderern gerettet. Sechzig Schweden hat er, zusammen mit einer Handvoll Bauern, wie reifes Korn niedergemäht. Jetzt brennen Kirchbach, Aholfing und Inghofen, wo ich gerade herkomme. Überall sind Trupps des Schweden unterwegs, um Nahrung und Pferde für das Heer zu besorgen. Sie plündern und lassen niemanden am Leben.« Der Alte machte eine Bewegung, in die er all seinen Groll steckte. Er ließ erneut mit einem lauten Knall die Peitsche auf seine Ochsen niedersausen. Ächzend setzte sich das Gespann in Bewegung.

Innerhalb der Mauern, zwischen den Bürgerhäusern, herrschte reger Betrieb wie in einem riesigen Ameisenhaufen. Überall volle Straßen, Stallungen, Lagerhäuser, ein Kloster und eine Kirche, vor der sich erschöpfte Menschen auf Strohbetten ausruhten oder sich unruhig im Fieber hin und her wälzten. Dazwischen boten Marketender ihre Ware und schwedische Soldaten ihr geraubtes Gut feil. Überall trafen sie auf mit Flachs und Garn bepackte Planwagen, auf Ochsenkarren mit Salzfässern, Kupfergeschirr, Kleidung und Mehl. Weit entfernt grollte der Kanonendonner, was die ehrwürdigen Schulmeister nicht davon abhielt, auf den Plätzen Seminare für ihre Schüler abzuhalten, während gleich nebenan Marktschreiber in Uniform laut verkündeten, dass der Erwerb von geraubtem Gut bei Strafe an Leib und Leben verboten sei.

»Ist das eine verrückte Stadt, he!«, schrie Tönnjes und verjagte einen krummbeinigen Narren, der Maries Pferd grotesk umsprang und dabei böse zischte: »De Schweden san komma, ham alles mitgnomma, ham d’Fenster eigschlagn, ham’s Blei davontragn, ham Kugeln draus goss’n und d’Bauern daschossn.«

Vor einem Schlachthaus warteten Rinder, Pferde und Schweine angebunden an mächtigen Holzstämmen vor einem halbrunden Steinfundament. Obwohl zwei riesige Kupferkessel mit Wasser von Soldaten beheizt wurden und die Metzger mit gewetzten Messern davorstanden, wurden die Tiere eilig für ein paar Taler an den Meistbietenden verschachert.

In der Hoffnung, hier vielleicht seine gestohlenen Pferde wiederzufinden, sprang Tönnjes aus dem Sattel. Er schnaufte durch die Nase. »Edle Pferde, fette Ochsen, und alles verschlingt das Heer. Was für ein Elend.« Er sah zu seiner Tochter hinüber. Marie stand vor einer schwarzen Kuh. Ein Soldat mit einem breiten Pferdegesicht und nur einem Ohr, das andere war ihm bis auf die Muschel abgeschnitten, piekte das Rind aus Langeweile mit der Lanze in den Hals. Das Tier stöhnte unter seinem Joch.

Als er Maries Interesse bemerkte, krähte er: »Nur drei Taler, mein Junge, oder Euer prächtiges Wams dafür. Die Kuh bringt noch viele gesunde Kälber und Milch.«

»Hast den alten Zausel erst geklaut und willst ihn uns nun als junge Kuh aufschwatzen«, fauchte Tönnjes an Maries Stelle. Er dachte an seine Kühe.

Sie waren ihm immer heilig gewesen. »Das alte Fleisch ist dir wohl zu zäh, Schelm. Sag mir lieber, wo wir hier als Soldaten unterkommen?«

»Das Gesetz verlangt es, dass ihr euch auf dem Schießstand stellt. Außerhalb der Stadt, dort, wo der Markt ist. Du findest ihn oberhalb der Wegkreuzung, wo die Handelswege von Straubing nach Landshut Zusammentreffen«, knurrte der Soldat mürrisch und drehte ihm den mageren Rücken zu. Kein Geschäft, keine Auskunft mehr.

Da rief plötzlich eine fremde Männerstimme: »Ihr wollt Euch beim Schweden anwerben lassen?« Augenblicklich zuckte Marie wie unter einem Peitschenhieb zusammen. »Wenn es so ist, müsst Ihr Euch beeilen. Die Stadt wird gerade verpflichtet, einen Transportkarren mit Freiwilligen, Pferden, Knechten und Zubehör zu stellen.«

Der aufbrechende Hass ließ sie erzittern. So rasch hatte sie nicht damit gerechnet, Johanns Todesgesang wieder zu begegnen. Sie verspürte plötzlich den Wunsch, die Stimme für immer verstummen zu lassen. Flink wie eine Katze drehte sie sich in die Richtung, in der sie den Sprecher vermutete. In dem Augenblick stieg über ihr ein kohlschwarzer Rappe kerzengerade in die Luft. Dann ging alles sehr schnell. Sie sah die Hufe auf sich zukommen, riss die Arme über den Kopf, bekam einen Pferdetritt gegen den Schädel und hörte ihr eigenes Blut rauschen. Wie durch einen Nebel sah sie engelblondes Haar und zwei erschrocken aufgerissene Augen, so blau, wie sie noch nie welche gesehen hatte.

»Verdammt Bursche, hast du keine Augen im Kopf?« Da war sie wieder, die Stimme. Eine Stimme wie eine schmerzhafte Melodie, die ihren Gehörgang marterte. Sie versuchte sich zu erinnern, wollte etwas sagen und tastete nach Tönnjes’ Hand.

Er hockte neben ihr im Sand und durchwühlte mit den Fingern ihre Haare. Nachdem er zufrieden festgestellt hatte, dass der Kopf heil geblieben war, hielt er ihr zur Stärkung einen Becher mit Wein an die Lippen. »Wirst noch mehr Beulen bekommen«, beruhigte er sie. Am liebsten hätte er dem jungen Heißsporn mit seinem zickigen Gaul eins draufgeben. Lediglich dessen Jugend hielt ihn davon ab. Er warf ihm einen bösen Blick zu und schlürfte den Becher bis auf den Grund leer.

Marie unternahm, torkelnd wie ein neugeborenes Fohlen, den Versuch aufzustehen und probierte, sich an ihrem Pferd hochzuziehen. Doch sie griff ins Leere.

Der Pferdetritt muss wohl etwas in ihrem Hirn durcheinandergebracht haben, dachte Tönnjes. Besorgt verfolgte er jede ihrer Bewegungen. Sie erschien ihm noch sehr angeschlagen. Vielleicht erklärte das auch ihr Verhalten dem fremden Soldaten gegenüber. Denn plötzlich hielt sie die Pistole in der Hand und fuchtelte wahllos damit umher.

»Hey, die könnte losgehen«, tönte es wütend. Der Reiter, zu dem die Stimme gehörte, kletterte ebenso schnell wieder vom Pferd, wie er hinaufgeklettert war. Die Angst, erschossen zu werden, stand ihm dabei deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ruf deinen Knecht zurück, Fremder«, brüllte er und drohte dem Bauern, »bevor ich ihm den Schädel einschlage!«

Tönnjes’ Blick traf den Reiter. Höhnisch, abschätzend. Was für eine Memme, dachte er, lässt sich von einem verwirrten Kind einschüchtern. Er schob sich zwischen ihn und Marie. Blitzschnell griff seine Hand nach ihrem Handgelenk. »Das wirst du schön bleiben lassen, Schwede«, knurrte er, sonst bekommst du von mir eins drüber.« Dabei dachte er an sein Eheweib, an Johann und an ihre Mörder, und das Herz wurde ihm schwer, als er Marie notgedrungen zurechtwies: »Genug, Melchior, der Herr Soldat trägt keine Schuld. Sein Pferd hat sich nur erschrocken.«

Aber Marie reagierte nicht und fuchtelte stattdessen hinter seinem Rücken weiter mit der Waffe. Sie gebärdete sich wie eine Furie und schrie: »Halte mich nicht zurück, Vater. Ich muss ihn niederschießen, den Hundsfott!« Warum, wusste sie auf einmal nicht mehr. Sie trat und schlug um sich, bis Tönnjes ihre Hand freigab und zur Seite ging. Die Gelegenheit nutzend, stürzte sie sogleich auf das Objekt ihrer Wut zu. Der Ansturm war so heftig, dass der Fremde hintenüberkippte und Marie mit sich zog. Keuchend rangen sie miteinander auf dem Boden.

Tönnjes fuhr mit der Hand nach dem Knauf seines Schwertes. Oh Herrgott, sie hat Brüste. Er muss sie doch durch das Wams merken, dachte er, und war bereit, ihm eins überzuziehen, falls er seiner Tochter etwas antat. Jedoch bevor es dazu kam, standen beide schon wieder auf ihren Beinen. Der schwedische Reiter hatte ihr die Waffe entwendet, und gab sie Tönnjes mit finsterer Miene zurück. Dabei klopfte er sich umständlich den Staub von den Kleidern.

Sein Begleiter, ein Bär von einem Mann mit einem Kreuz, auf dem ein Fass Bier Platz gefunden hätte, und einem wilden, zerzausten Bart, sprang jetzt ebenfalls vom Pferd. Er bückte sich rasch nach dem Barett des Kameraden, befummelte es umständlich, entfernte die Beulen und ließ die Finger spielerisch durch den roten Federbusch fahren. Es knisterte vor Spannung. Streit lag in der Luft. Finster schaute er von einem zum anderen. Letztendlich blieb sein Blick an seinem Kameraden hängen. Er sah ihm lange in die Augen, knurrte etwas in seinen Bart, und als er den Hut wieder auf dessen strohblondes Haar drückte, war es fast wie ein Aufatmen. Tönnjes behielt er weiterhin im Augenwinkel. Er hatte sehr wohl erkannt, dass sie einem Bauern gegenüberstanden und dass es besser war, sich nicht auf einer öffentlichen Straße mit ihm anzulegen. Im Hintergrund lauerte meistens noch mehr Bauerngesindel. Er wusste, dass sie sich in diesem Krieg vor zwei Feinden gleichermaßen zu hüten hatten – vor dem Gegner im Feld und vor den Bauern. Die Landleute überfielen Streiftrupps auf eigene Faust und zahlten ihnen ihr erlittenes Elend in einem eigenen Krieg heim.