Die Legende von Yranisar - Thronraub - Hendrik M. Bekker - E-Book
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Die Legende von Yranisar - Thronraub E-Book

Hendrik M. Bekker

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Beschreibung

Tureks Welt zerbricht: Sein Vater, der beliebte König Hokor von Hertharas, wird ermordet, sein Thron geraubt! Als Kronprinz schwebt auch Turek in Lebensgefahr und muss fliehen. Nur eine Legende kann ihn jetzt noch retten: Das magische Schwert von Yranisar soll seine königliche Herkunft beweisen und den Königsmörder überführen. Doch die Klinge wurde in drei Teile zerschmettert, die über das Land verstreut sind. Turek begibt sich auf eine gefährliche Reise, um sein Erbe zu verteidigen ...

Ein junger Held und das Abenteuer seines Lebens, eine atemberaubende Welt im Stile von J.R.R. Tolkien, High Fantasy mit Schwert und Magie: Das ist die Legende von Yranisar!

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Seitenzahl: 358

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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

KAPITEL 1: MESSER IM DUNKELN

KAPITEL 2: LANG LEBE DER KÖNIG!

KAPITEL 3: DER FÄHRTENSUCHER

KAPITEL 4: DIE SPUR

KAPITEL 5: DIE KUNST DER DIPLOMATIE

KAPITEL 6: DIE STIMME AM SEE

KAPITEL 7: DIE ELBENWACHT

KAPITEL 8: DER WALL GEGEN DIE ORKS

KAPITEL 9: DAS RITUAL

KAPITEL 10: DER DUNKLE TURM

KAPITEL 11: DIE HÖHLE DER HALBLINGE

KAPITEL 12: DIE GEBURT EINES ORKS

KAPITEL 13: AUF DER LAUER

Weitere Titel des Autors

Die Legende von Yranisar, Band 2: Klingenhüter (April 2019)

Die Legende von Yranisar, Band 3: Schicksalsschmied (Juni 2019)

Über dieses Buch

Tureks Welt zerbricht: Sein Vater, der beliebte König Hokor von Hertharas, wird ermordet, sein Thron geraubt! Als Kronprinz schwebt auch Turek in Lebensgefahr und muss fliehen. Nur eine Legende kann ihn retten: Das magische Schwert von Iranisar, von den Zwergen geschmiedet, beweist nicht nur seine königliche Herkunft. Es zwingt angeblich auch den Träger und alle in seiner Umgebung, die Wahrheit zu sprechen. Kann Turek so das Mordkomplott aufdecken? Doch die Klinge wurde in drei Teile zerschmettert, die über das Land verstreut sind. Turek begibt sich auf eine epische Reise, um sein Erbe zu verteidigen …

Über den Autor

Hendrik M. Bekker, geboren 1991, schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis und historische Romane. Auf die Frage, warum er gerade Fantasy schreibt, lautet seine Antwort: »Grundsätzlich schreibe ich Geschichten, die ich selbst gerne lesen würde. In der Fantasy kann buchstäblich alles passieren, was überhaupt vorstellbar ist, denn die Magie sprengt alle Grenzen.«

Mit den Yranisar-Romanen schuf er eine klassische Fantasy-Saga in der Tradition von Terry Brooks, Dennis L. McKiernan und David Gemmell.

Hendrik M. Bekker

THRONRAUB

Fantasy-Roman

beBEYOND

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Catherine Beck

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © Shutterstock: Dmitrijs Bindemanis | estevez | Sk_Advance studio

Illustration Innenteil © Shutterstock: Niko28

eBook-Erstellung: 3WplusP GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-6336-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

KAPITEL 1: MESSER IM DUNKELN

Man sagt, dass jeder König sich seinen Platz in der Halle der Geschichten verdient. Das Verdienst von König Brodor war es, aus einem kleinen Fürstentum namens Penakil das mächtige Königreich von Hertharas geschmiedet zu haben. Drei Generationen hatte es schon keinen König mehr gegeben, als Brodor die Heerscharen unter seinem Banner zum Kampf gegen das Dunkle Volk vereinte. Seinem Sohn Hokor war ein kürzeres Leben beschieden, doch ein nicht weniger ruhmreiches. Er sicherte das Reich und brachte Wohlstand und Ruhe für sein Volk. Man sagt, den Kaufleuten von Emetha war er immer der liebste König. Noch heute sind viele Handelsschiffe nach ihm benannt, wie der bekannte Dreimaster ›Stolz von Hokor‹. Hokors Sohn Turek aber hatte nicht nur ein schweres Erbe mit diesen Vätern. Er wurde auch in viel jüngeren Jahren auf seinen Wert geprüft.

- AUS DER CHRONIK DES HAUSES VON HERTHARAS, VERFASSER UNBEKANNT, OFT FÄLSCHLICHERWEISE GERIOS DE WITT ZUGESCHRIEBEN

Turek von Hertharas duckte sich unter dem waagerecht geführten Schlag hindurch. Er rollte über die linke Schulter ab und kam in der Hocke zum Stehen. Sofort nutzte er seinen Schwung, um sich in den Stand zu befördern. Keine Sekunde zu früh wirbelte er herum und blockte den Schlag seines Onkels ab. Klirrend traf Stahl auf Stahl. Die Wucht des Hiebes ließ Turek taumeln. Fahrig fuhr er sich durch das junge Gesicht, um die Haare aus den Augen zu wischen. Seine Haut glänzte vor Schweiß.

»Den Arm höher!«, rief sein Vater Hokor von hinten.

Turek reagierte instinktiv und fing gerade noch einen senkrechten Hieb ab. Seine Arme schmerzten aufgrund der Härte, mit der sein Onkel den Hieb vollführte. Turek schaffte es nicht zu verhindern, dass er in die Knie ging. In dem Schlag lag einfach zu viel rohe Kraft.

»Ich denke, das reicht, Jarawan«, sagte Hokor. Die Sonne stand nur noch eine Handbreit über dem Horizont. Das Licht zeichnete Hokors Silhouette scharf nach.

Er trat zu Turek und klopfte dem Jungen anerkennend auf die Schulter. Turek war nun bald zwanzig Winter alt und ebenso groß wie sein Vater. Im Gegensatz zu Hokor hatte er nur wenig Bartwuchs, dafür reichten ihm die Haare bis auf die Ohren. Sein Vater hingegen hatte nur noch wenig Haare und dafür einen brustlangen, grau durchwirkten, buschigen Bart.

»Du wirst mit jedem Tag besser, mein Junge. Aber so gern ich mir ansehe, wie du mit deinem Onkel übst, wir müssen ein Lager aufschlagen.«

König Hokor nickte Jarawan, seinem Cousin, zu. Der atmete noch schwer vom Kampf und steckte sein Schwert weg. Turek tat es ihm gleich. Im Gegensatz zu seinem Onkel und seinem Vater trug er Schwert und Scheide aber mit einem Gurt über der Schulter. Das Laufen fiel ihm auf diese Weise viel leichter.

Sie stiegen langsam den kleinen Hügel weiter hinab, bis sie an eine kleine Lichtung im Unterholz kamen. Die Pferde standen dort, ihre Sättel aufgereiht neben dem bereits gesammelten Feuerholz. Sie hatten die Pferde grasen lassen und ihnen alles bis auf das Zaumzeug abgenommen. Nun ging Turek von einem Pferd zum anderen, nahm die Zügel und führte ein Seil hindurch. Er band es zwischen zwei nahe stehenden Bäumen fest. Währenddessen schichteten sein Vater und sein Onkel Holz auf und entzündeten ein Feuer.

Ein junger Mann, nur eine Handvoll Winter älter als Turek, trat aus dem Unterholz; er kam aus der entgegengesetzten Richtung. Er trug einen ledernen Brustharnisch, auf dem ein kleines Abzeichen aufgenäht war. Es war das Wappen des Königs: ein Adler, der mit einer Klaue ein Schwert umkrallte, mit der anderen ein Horn.

»Ich grüße dich, Pelodan«, sagte Turek und nickte der Leibwache seines Vaters zu. Pelodan hatte das Lager bewacht und Feuerholz gesammelt, während er und sein Onkel auf einer nahen Lichtung den Schwertkampf geübt hatten.

»Auch ich grüße Euch, Prinz Turek.«

»Ist die Umgebung sicher?«

»Das ist sie. Mein König, ich habe mir die Umgebung angesehen, wir sind weit genug weg von der Straße, als dass man uns heute Nacht belästigen könnte«, antwortete Pelodan und wandte sich dabei an den König selbst.

Tureks Vater nickte nachdenklich.

»Schade. Ich finde es immer interessant, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.«

»Das weiß ich«, sagte Pelodan und man konnte sein Seufzen auch in seiner Haltung erkennen. Turek wusste, dass Pelodan weder guthieß, dass der König mit nur einem Leibwächter reiste, noch dass sie sich zwischendurch in Tavernen einquartiert und getarnt als Kaufleute mit normalen Bürgern gespeist hatten. Doch König Hokor von Hertharas war die Sorge seiner Leibwache gleichgültig. Er hatte Turek erklärt, dass es ihn einfach interessierte zu hören, worüber die Leute redeten.

Pelodan hatte sich damit zufriedengeben müssen, dass Hokors Cousin Jarawan auch Mitglied der Wache war und sie begleitete. Dass Jarawan eigentlich andere Aufgaben hatte und dieses Amt nur der Form halber bekleidete, hatte Pelodan nicht anzusprechen gewagt. Er holte einige Brotstücke sowie Stockfisch aus seinem Gepäck und verteilte alles unter den Anwesenden. Die Sonne versank am Horizont, und eine Weile sah es aus, als würde sie den Himmel entzünden, bevor sie verschwand und die Dunkelheit sich ausbreitete.

Turek kaute auf dem salzigen Stockfisch herum und vermisste das Essen des Palastes. Dennoch machte ihm der Ausflug Freude.

»Herr Vater«, sagte er an König Hokor gewandt.

Der saß mit Jarawan und Turek zusammen am Feuer. Ein paar Schritte hinter ihnen stand Pelodan mit dem Rücken zum Feuer und hielt Wache.

»Wird es nun keinen Krieg mit den Stämmen des Bruchwindwaldes geben?«

Sein Vater nickte langsam, biss von dem Brot ab und kaute ruhig darauf herum. Turek glaubte, dass er ein wenig Zeit für die Antwort gewinnen wollte. Sein Vater war stets ein bedächtiger Redner. »Nun, mein Sohn, du warst bei den Verhandlungen dabei. Was glaubst du, was die Ursache ist?«

»Dass die Stämme des Bruchwindwaldes unsere Siedlungen überfallen.«

»Das ist richtig. Wieso aber tun sie das? Was ist der Grund dafür?«

Turek überlegte einen Moment.

»Weil sie Diebe sind und als solche sollte man ihnen die Hände abhacken«, brummte Jarawan.

Hokor lachte.

Turek schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, sie tun schlimme Dinge, weil sie Hunger leiden.«

»Weiter, mein Sohn«, sagte König Hokor.

Jarawan stocherte mit einem Ast im Feuer herum, sodass die Flammen hochloderten. Es war eine kalte Herbstnacht, und sie alle waren froh um die Wärme des Feuers.

»Sie leben zwischen den Trollen in den Säulenbergen und den Waldgeistern im Alten Wald. Der Seanasee ist ebenfalls eine enge Grenze dort. Es heißt, die Elben töten alle, die sich ungefragt in ihr Land wagen. Also können sie nirgendwo anders hin als zu uns.«

»Sie könnten sich selbst etwas aufbauen«, warf Jarawan ein, doch Hokor schüttelte den Kopf.

Dem Königreich geht es gut. Von uns zu stehlen, ist für sie leichter. Du hast schon recht, Turek, sie sitzen in einer Falle und sind in die Enge getrieben. Darum habe ich das Treffen mit den Stammesfürsten, wie Laron Roderich, einberufen. Nur deswegen habe ich ihnen angeboten, einhundert Mann für die Armee zu übernehmen, gegen Bezahlung für die Stämme natürlich. Erst mal fehlen die ihnen bei den Überfällen, und wenn sie dann gedient haben, bekommen sie als Bezahlung eigene Höfe. Es wird viele Jahre brauchen, aber so wird diese Grenze langsam verwischen. Sie werden keinen Hunger mehr leiden und uns nicht mehr angreifen. Du überfällst nicht einfach jemanden, den du von früher kennst oder mit dem du verwandt bist, oder, Jarawan?«

Hokor sah neugierig Truchsess Jarawan an. Er hörte gern die Meinung seines Cousins, der ebenfalls für die Schatzkammer des Königshauses zuständig war.

»Du sprichst weise, mein König«, sagte Jarawan langsam und nickte, während er gedankenverloren ins Feuer starrte.

König Hokor schmunzelte, als würde er ihm nicht glauben. Aber er beließ es dabei. Turek kannte diese Blicke zwischen den beiden. Sie waren sich oft nicht einig, aber er wusste, dass sein Vater den höchsten Respekt vor Jarawan hatte. Jarawan war Ehrenmitglied der Leibwache des Königs und Truchsess sowie Schatzmeister des Reiches und zudem der Fürst von Penakil. Er entstammte einer Nebenlinie des Hauses Hertharas und war ein paar Jahre älter als König Hokor.

»Deine Antwort war klug, mein Sohn«, stellte König Hokor an Turek gewandt fest. In vertraulichem Ton fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: »Du wirst einst ein guter König werden. Sollte Jarawans hitziges Gemüt ihm dann noch nicht zum Verhängnis geworden sein, gib auf ihn acht, ja? Nimm ihm das heiße Blut nicht übel, das haben auch andere von uns geerbt.«

Er sprach es nicht aus, doch Turek wusste, dass sein Vater damit Jelina, Tureks Schwester, meinte. Er nickte nur stumm und erwiderte nichts darauf.

Während Turek in die Flammen sah, dachte er an Jelina. Sie hatte die Familie vor vielen Jahren verlassen. Ihr Eintritt in eine Schwesternschaft hatte ihr eine Ehe erspart, die sie nicht wollte. Seitdem redete Hokor nicht mehr von seiner Tochter. Turek hatte ihn manches Mal fluchen hören, dass es mit diesem Kind doch viel leichter gewesen sei, wenn seine Frau nicht im Kindbett gestorben wäre.

»Ich werde mich mal in die Büsche schlagen«, sagte Jarawan, stand auf und streckte sich.

»Stockfisch sollte dir eigentlich Durst machen«, sagte Hokor lachend. Jarawan hob entschuldigend die Hände.

»Mein König, du magst über diesen Dingen stehen, ich bin aber ein Opfer meiner Natur. Ich werde gleich noch etwas Feuerholz mitbringen.« Er nahm das Schwert auf, das er abgegürtet hatte. »Es ist eine widerlich kalte Nacht.«

Turek nickte. Die Kälte kroch wie frostige Finger seinen Rücken hoch. Setzte er sich aber mit dem Rücken zum Feuer, waren die eisigen Finger an seiner Brust. Die Kälte war schneidender als in den letzten Nächten.

»Tu das«, brummte Hokor und wickelte sich in die Decke, die er zusammengerollt auf den Sattel geschnallt mitgeführt hatte.

Als Tureks Onkel sie allein gelassen hatte, sahen Vater und Sohn schweigend in die Flammen.

Pelodan blickte immer noch geflissentlich in die Wälder. Turek wusste, warum er mit dem Rücken zum Feuer stand. Nur so konnte man verhindern, dass sich die Augen auf das Feuer einstellten, denn dann war man im Dunkel des Waldes immer einige Herzschläge lang blind.

»Sohn, wenn du ein gewisses Alter erreicht hast, denke an meine Worte: Lass dir wollene warme Unterkleider machen«, sagte König Hokor. Er warf Turek ein Lächeln zu, was dieser erwiderte. »Weißt du, wieso ich dich mitgenommen habe?«

»Um mich vorzubereiten, ein König zu sein?«

»Ja, damit du hier draußen etwas Demut lernst. Wir beide, du und ich, sind am Ende verantwortlich. Wenn ein gerechter König seine Sache gut macht, gibt es Frieden und Wohlstand. Aber oft müssen wir dafür auch schwere Entscheidungen treffen. Wir müssen unser Leben den anderen widmen. Ob wir wollen oder nicht, wir sind es, die zwischen dem Chaos und dem Frieden stehen.«

»Aber es gab doch auch eine Zeit, bevor Großvater König wurde, oder?«

»Das ist richtig, und genau davon rede ich. Das Dunkle Volk, die Trolle, ach, jeder kämpfte um sein kleines Stück Land, und es war eine schlimme Zeit. Ich wurde erst geboren, als das Königreich schon gegründet war. Mein Vater war damals schon so alt wie ich heute. Aber es ist heute besser hier, glaub mir. Es ist friedlicher, und wir haben nun schon lange keinen richtigen Krieg.«

Turek hörte seinem Vater aufmerksam zu. Sein Großvater hatte das Reich gegründet und angeblich das Dunkle Volk unter die Erde verbannt. Vorher hatte das Dunkle Volk über weite Teile des Landes geherrscht und sich die Menschen als Sklaven gehalten.

»Schweigt bitte, mein König«, sagte Pelodan, und seine Hand wanderte zum Schwertgriff. Turek wollte schon fragen, was los sei, schwieg aber, als er den Gesichtsausdruck seines Vaters sah. Irgendetwas stimmte nicht. Dann begriff auch er, was fehlte. Wo vorher noch Knacken und hin und wieder ein Tier zu hören gewesen waren, herrschte nun Stille. Der Wald schien den Atem anzuhalten, und Turek wusste, was das hieß. Menschen oder Tiere, die alles kleinere Leben in Angst versetzten, waren nahe. Wölfe vielleicht, oder Räuber? Sofort dachte er an seinen Onkel. Hoffentlich war der ihnen nicht in die Hände gelaufen.

»Wir sind nicht allein«, brummte Pelodan und umfasste vollends den Griff seiner Klinge. Tureks Vater griff langsam nach seinem Schwert. Da surrte ein Pfeil heran, und Pelodan torkelte rückwärts. Der Schaft ragte ihm aus der Brust. Er lehnte sich an einen Baum und versuchte, sein Schwert zu ziehen. Währenddessen tauchten vier Männer auf. Sie trugen Lederbekleidung wie die Waldhüter, die Turek aus dem Dienst seines Vaters kannte. Ihre Gesichter waren mit Dreck beschmiert, sodass sie mit den Schatten verschmelzen konnten. Sie traten in den Schein des Feuers, und sofort waren König Hokor und Turek auf den Beinen.

Turek sprang vor und blockte einen Schlag gegen Pelodan ab. Der Angreifer hatte ein Schwert, das fast eine Handlänge kürzer war als Tureks. Der Prinz wich einen Schritt zurück und ignorierte den am Baumstamm lehnenden Pelodan nun völlig. Er konnte ihm jetzt nicht helfen. Turek deckte den Angreifer mit einer Reihe schneller harter Schläge ein, doch der hatte seine Überraschung über Tureks Flinkheit schnell überwunden. Da plötzlich stach ihn Pelodan von hinten mit voller Wucht in den Rücken, sodass die Klinge aus der Brust heraustrat. Im selben Augenblick wurde Pelodan von einem der anderen Angreifer mit einem Schwertstreich von den Beinen geholt. Turek hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Es kam ein vertikaler Hieb, dem er nur durch einen Sprung zur Seite ausweichen konnte. Er knallte mit seiner Schulter gegen eine dicke Baumwurzel und versuchte, sich ganz abzurollen, doch er kam nicht richtig auf die Füße. Ein Schwertstreich erwischte ihn an der linken Schulter. Als das Schwert des Angreifers einen tiefen Schnitt hinterließ, brannte es wie Feuer. Turek schrie und führte wütend einen Aufwärtshieb mit der Klinge. Der Angreifer wich zurück, doch nicht weit genug. Tureks Klingenspitze erwischte ihn im Gesicht und hinterließ einen blutigen Strich. Blut lief dem Mann dabei ins Auge, und so reagierte er nicht schnell genug, als ihn ein Seitwärtshieb von Turek am Hals traf. Er sackte zu Boden. Turek drehte sich sofort zu seinem Vater herum, doch dieser erledigte gerade den zweiten Angreifer. Der erste lag bereits am Boden.

Blut sickerte aus einer Wunde an der Seite von König Hokor. Tureks Blick kreuzte den seines Vaters, doch der schüttelte nur abwehrend den Kopf.

»Sieh nach Pelodan«, befahl König Hokor. Sein Gesicht war schweißnass, aber seine Stimme klang ruhig und beherrscht. Turek nickte und kniete sich neben den am Boden liegenden Pelodan. Er legte sein Schwert neben sich und drehte den Leibwächter etwas herum. Ein Pfeil ragte aus seiner Brust. Die Klinge des Angreifers, die ihn zu Boden geschickt hatte, hatte ihn nur mit der flachen Seite erwischt. Er hatte eine ziemliche Platzwunde am Kopf. Blut sickerte langsam heraus.

Prinz Turek legte die Hände als Trichter um den Mund und rief: »Onkel Jarawan! Wo seid Ihr? Geht es Euch gut?«

Hokor verzog das Gesicht. Das Einatmen schien ihm wehzutun.

Turek legte ganz vorsichtig sein Ohr nahe an Pelodans Mund. Er spürte einen schwachen Atem. Sofort begann er die Schnallen an der linken und rechten Seite des ledernen Brustpanzers zu öffnen.

Hokor trat zu seinem Sohn und seufzte. »Das wird wehtun. Hoffen wir, dass nichts ernsthaft verletzt ist und es keine Widerhaken am Pfeil gibt.«

»Wieso?«, fragte Turek, während sie Pelodan gemeinsam in eine sitzende Position brachten.

»Weil der Pfeil raus muss und Widerhaken ungeheuren Schaden anrichten. Er sitzt aber so, dass ich ihn nicht durchschieben kann. Das musst du bei einem Widerhakenpfeil tun. Wenn ich das jetzt mache, gelange ich nur zum Schulterblatt«, sagte sein Vater ruhig.

Er griff den Pfeil fest mit der rechten Hand und atmete gezwungen ruhig ein und aus. Dann zog er vorsichtig am Pfeil. Er schien zufrieden zu sein. Turek nahm an, dass man spüren konnte, ob Widerhaken daran waren. Dann zog sein Vater den Pfeil mit einem Ruck heraus.

Pelodan stöhnte schmerzerfüllt auf, blieb aber bewusstlos.

Sie schleiften ihn zum Feuer, und König Hokor löste eine kleine Flasche mit Schnaps von seinem Sattel. Er goss ein wenig auf die Wunde, und erneut stöhnte Pelodan.

»Die Wunde blutet zu stark«, entschied der König dann und legte seinen Dolch in die Flammen. »Ich werde sie verschließen. Wenn du jetzt zum Unsichtbaren Gott oder dem Gott des Eisens beten willst, Junge, das ist der richtige Moment«, sagte Hokor. Er wartete darauf, dass das Eisen heiß genug wurde.

Turek riss ein Stück Stoff von seiner Decke und drückte es fest auf Pelodans Wunde. Es sollte nicht alles Blut aus ihm herauslaufen, bevor sie ihm helfen konnten. Zufrieden sah König Hokor, wie sein Sohn sein ganzes Gewicht benutzte, um die Blutung zu verlangsamen.

»Was ist geschehen?«, fragte nun Jarawan. Er trat aus dem Schatten zu den beiden in den Feuerschein. Er hatte eine ziemliche Platzwunde am Kopf.

»Geht es Euch gut, Onkel?«, fragte Turek.

Jarawan nickte. Er trat zu ihnen heran und musterte den Kampfplatz. »Ihr habt euch ja gut eurer Haut erwehrt.«

Turek kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Sein Vater hatte den inzwischen schwach glühenden Dolch aus dem Feuer genommen.

»Nimm die Hände weg«, sagte er zu Turek.

Der nickte und sah zu, wie sein Vater die glühende Klingenspitze auf die Wunde drückte. Pelodan riss die Augen auf und schrie aus vollem Hals. Irgendwo im Wald stoben Krähen wütend kreischend auf. Dann senkte sich eine Stille über den Wald, die Turek unangenehm drückend vorkam. Pelodan verlor sofort wieder das Bewusstsein. Nun setzte sich König Hokor hin und begutachtete seine Seite. Inzwischen war er kreidebleich.

»Vater, wie ist es? Seid Ihr schwer verletzt?«, fragte Turek.

Hokor drehte den Kopf, konnte die Wunde aber nicht richtig erkennen. »Sag du es mir, Junge.«

Jarawan stand noch immer da und musterte die Szene. Turek nahm an, dass er noch desorientiert war von dem, was auch immer ihn so schwer am Kopf getroffen hatte. Er hob den Mantel seines Vaters vorsichtig zur Seite und sah sich im Flammenschein die Wunde an. Es war ein handkantenlanger blutiger Riss in seinem Oberhemd, darunter war das rohe Fleisch zu erkennen.

»Wir müssen die Wunde reinigen, Vater und …« Turek zögerte.

»… dann nähen«, sagte Jarawan.

Hokor nickte. »Tu du das. Du hast Erfahrung darin.«

Jarawan nickte. Er hatte schon einige Wunden auf dem Schlachtfeld gesehen und auch versorgt. »Kannst du das Hemd allein ausziehen, mein König?«

Dieser nickte. Während Jarawan zu ihren Sätteln ging und die Tasche nach Nähzeug durchsuchte, zog König Hokor sein Hemd aus und legte sich auf seinen Mantel.

Jarawan kam zurück und breitete eine kleine Tasche mit Nähzeug aus. Turek kannte sie. Sein Onkel hatte immer Wert darauf gelegt, dass er einige Grundkenntnisse im Versorgen von Wunden besaß. Zu viele gute Männer hatte er nach einer Schlacht elendig an Wundbrand sterben sehen, hatte er einmal erklärt.

»Wir haben kaum Heilkräuter dabei, mein König. Es wird sehr brennen.«

Er nahm ein kleines Stück Stoff und goss Alkohol darauf. Damit reinigte er die Wunde, bis der Schnitt deutlich zu sehen war. Er träufelte etwas aus einer anderen Flasche auf das Stück Stoff und wischte erneut darüber. Hokor grunzte vor Schmerzen und atmete gepresst ein und aus. Dann begann Jarawan zu nähen. Stich um Stich schloss er die Wunde.

»Wir bleiben bis morgen früh hier, dann reiten wir. Arthorum ist nahe«, entschied Hokor, während Turek ihm half, eine frische Tunika anzuziehen. »In der Hauptstadt werden wir sicher sein.«

»Waren es Wegelagerer?«, fragte Turek und sah sich die Toten genauer an.

»Möglich«, erwiderte Hokor. »Tragen sie irgendwas bei sich?«

»Nichts, was auf ihre Herkunft hinweisen würde«, stellte Turek fest, während er die Toten durchsuchte. »Nur ihre Kleidung und Waffen.«

König Hokor schloss die Augen und atmete schwer. »Es brennt«, sagte er leise.

Jarawan nickte. »Mein König, du weißt so gut wie ich, dass Wunden dieser Art sich entzünden können. Ich kann dich aber jetzt kaum aufs Pferd setzen.«

Hokor nickte langsam. »Aber sie müssen irgendwo hergekommen sein«, sagte er dann. »Turek, Jarawan, seht euch um. Sie kamen aus nördlicher Richtung, irgendwo dort werden sie ihr Lager haben. Ohne Pferde, Proviant oder dergleichen können sie nicht von weit her sein.«

Turek nickte und legte sich den Schwertgurt um die Schulter. Jarawan schien skeptisch und sah nachdenklich vom König zu Turek.

»Ich denke nicht, dass es noch mehr sind«, sagte er dann.

König Hokor schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht, Cousin. Es geht darum herauszufinden, wer sie sind.«

»Räuber«, meinte Jarawan leichthin. »Was sonst?«

»Wir sind keine lohnende Beute. Wir haben kaum etwas bei uns, und das konnte man sehen. Hier draußen sollen sie zufällig auf uns gestoßen sein? Das kann ich nicht glauben!« Er atmete schwer. Das Sprechen strengte ihn an.

»Was glaubst du, wer es war, mein König?«

»Gedungene Mörder«, sagte Turek dann, als er begriff, worum es seinem Vater ging. »Sie haben uns gesucht. Wer sonst sollte gezielt nach uns suchen?«

»Genau.« König Hokor hustete, was ihm offensichtlich wehtat.

»Gut, gehen wir«, sagte Jarawan, und Turek nickte. Er griff sich ein Stück Holz aus dem Feuer. Es war trocken und brannte munter weiter. Turek zeigte ihm, aus welcher Richtung der Angriff gekommen war. Der Boden fiel dort sanft ab und führte einen Hang hinunter. Sie gingen ein ganzes Stück, bis das Feuer ihres Lagers nicht mehr zu sehen war. Dann hielt Jarawan an und seufzte. Er sah sich um.

»Es hat keinen Zweck, Turek! Wir sehen fast nichts, und sie können ihre Pferde überall haben. Wir sollten zurück und uns ausruhen. Morgen beim ersten Licht will ich aufbrechen.«

Turek nickte und seufzte ebenfalls. Im schwachen Schein des brennenden Astes war in der Finsternis kaum ein Baum richtig zu erkennen, geschweige denn ein Pferd. Für eine richtige Fackel hätten sie Stoff und Alkohol verbrauchen müssen, was sie für die Verwundeten benötigen würden. Dann sah Turek etwas aufblitzen. Es waren Augen, die das Licht reflektierten. Doch sie waren viel zu niedrig, um einem Pferd zu gehören.

»Wölfe«, hauchte Turek.

Jarawan nickte.

»Wir gehen ganz ruhig zurück zum Lager, verstanden? Sie wittern all das Blut an uns. Das macht sie unruhig. Sie wissen, wir sind verwundet.«

»Mein Vater!«

»Ruhig, Junge, ganz ruhig. Werd jetzt nicht hektisch«, sagte Jarawan und legte seinen Arm beruhigend auf Tureks Schulter.

Es war ein Knacken und Knirschen zu hören. Schritt für Schritt, völlig ruhig, gingen sie in Richtung des Feuers zurück. Dort war alles in Ordnung. Hokor lag noch immer auf dem Rücken, nun eingewickelt in seine Decke. Pelodan hatte sich hingesetzt und lächelte ihnen gequält zu. Er war ziemlich bleich im Gesicht.

»Truchsess Jarawan, Prinz Turek«, sagte er.

Turek setzte sich zu ihm, während Jarawan misstrauisch die Umgebung musterte. Die Wölfe waren noch eine Weile zu sehen, deutlich erkennbar an den Augen, die im Dunkeln den Feuerschein reflektierten. Dann ließen sie aber wieder von ihnen ab. Der Hunger schien nicht groß genug zu sein, einer Gruppe Menschen und dazu noch einem Feuer so nahe zu kommen.

Sie blickten eine Weile schweigend in die Flammen und teilten irgendwann Nachtwachen ein. König Hokor entschied, dass Jarawan und Pelodan die erste Wache übernehmen sollten, und dann Turek und sein Vater, sobald der Mond aufging.

Jelina schreckte hoch. Sie saß in einer dünnen Kutte inmitten eines steinernen Saales unter der Erde. Es gab kein Licht um sie herum, nur das Plätschern von Wasser, das aus einer Wand linker Hand von ihr drang und sich dort nach und nach sammelte, bevor es an einer anderen Stelle rechter Hand von ihr in einem Loch im Boden verschwand, um sich später mit einem Gebirgsfluss zu vereinen.

»Turek«, flüsterte sie. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Ihr Haar war abrasiert worden, überall auf ihrem kahlen Kopf hatte sie Tätowierungen. Sie waren nicht nur zur Zierde da, sondern dienten magischen Zwecken. »Oh, Turek.«

Jelina von Hertharas hatte sie geheißen. Diesen Namen hatte sie vor langer Zeit abgelegt. Schon früh hatte sich bei ihr eine magische Begabung gezeigt, wie sie nur selten vorkam. Normalerweise sammelte der Orden der Freien solche Kinder ein und nahm sie in seine Obhut. Nicht immer gefiel das den Eltern, doch wenn die Kinder älter wurden, sahen sie es meist ein. Ein magisch begabtes Kind musste angeleitet werden, unterrichtet und ausgebildet, damit es keine Gefahr für sich und andere war. Manche dieser Heranwachsenden konnten Gebäude einstürzen und andere Tausende Menschen in Flammen aufgehen lassen, und lernten sie nicht, diese Kräfte zu kontrollieren, konnten sie anfangen, ihre Macht zu missbrauchen. Dabei war sie ein Geschenk des Unsichtbaren Gottes und musste als solches verantwortungsvoll genutzt werden. Was bedeutete, so hatte Jelina inzwischen erkannt, ihre Macht so wenig wie möglich zu benutzen.

Sie saß nun allein im Gebetsraum und hatte hier Stunde um Stunde verbracht bei dem Versuch, sich mental zu reinigen. Doch der Unsichtbare Gott hatte keine Gnade mit ihr. Immer wenn sie einen Punkt vollkommener Ruhe erreichte, stiegen die Bilder erneut in ihr hoch.

Es war ein toter junger Mann, sie sah seinen Tod in verschiedenen Formen der Zukunft. Es war eine Falle, in die er lief, und wie er sich auch wand, er entkam ihr nicht. Dieser junge Mann war Turek von Hertharas, ihr Bruder von Geburt und der Erbe des Thrones von Hertharas. Als Jelina sich dem Orden anschloss, hatte sie jedes Erbrecht abgelegt, so wie es der Orden verlangte. Keine Bindungen sollten ablenken, so war es das Gesetz des Ordens. Persönliche Bindungen und Verpflichtungen verleiteten einen möglicherweise dazu, die Macht, die einem der Unsichtbare Gott verliehen hatte, für persönliche Zwecke zu missbrauchen.

Der Orden war nun ihre Familie. Dennoch musste sie an Turek denken, die unbeschwerten Kinderjahre, die sie mit ihm verbracht hatte.

Sie war dem Orden beigetreten und hatte das alles hinter sich gelassen.

»Doch warum zeigst du es mir immer wieder?«, fragte sie in das Plätschern des Wassers hinein.

»Glaubst du, er wird dir einfach so durch das murmelnde Wasser antworten?«, fragte jemand hinter Jelina. Sie öffnete die Augen und unterdrückte den Impuls herumzuwirbeln. Es war vollkommen dunkel um sie herum. Sie nutzte ihre magischen Sinne und spürte hinter sich die Präsenz des Erzmagiers Utar.

»Wie konntet Ihr so nahe an mich herantreten, ohne dass ich Eure Präsenz spürte?«, fragte Jelina. »Ihr seid ein tosender Sturm magischer Kraft, und doch fühle ich nur eine Brise. Augenblicklich nicht einmal das.« Sie hörte, wie der Magier sich neben sie in den Schneidersitz setzte und seinen schweren Eichenstab vor sich hinlegte. Es knackte vernehmlich in seinem Rückgrat.

»Weil ich es so wollte«, erwiderte er schlicht. »Es ist alles in dieser Welt eine Frage des Willens. Der Unsichtbare Gott schätzt einen starken Willen. Manchen wie uns gibt er die Macht, mit dem Willen sogar die Welt zu verändern.«

Er schwieg eine Weile und lauschte dem Wasser, bevor er fortfuhr. »Ich glaube allerdings, es gibt mehr Menschen mit dieser Fähigkeit. Es ist nur so, dass es uns besonders leichtfällt.«

»Ich habe wieder Visionen«, sagte Jelina unvermittelt. Sie wusste, dass er deswegen hier war. »Ich sehe meinen Bruder, er stirbt! Es ist eine hinterhältige Falle.«

»Sind wir nun nicht alle deine Brüder und Schwestern?«, fragte Utar mit leicht spöttischem Tadel in der Stimme.

»Natürlich«, sagte Jelina und kam sich wieder vor wie ein kleines Mädchen, das etwas Dummes gesagt hatte. »Dennoch wisst Ihr, was ich meine. Turek stirbt!«

»Er wird vielleicht sterben«, berichtigte Utar sie. »Jene, die besonders gesegnet sind mit der Magie, können die Zukunft sehen. Aber das ist so eine Sache damit …«

»Was meint Ihr? Kann man es abwenden?«, fragte Jelina eifrig und sah nun doch ins Dunkel neben sich.

Utar seufzte leise. »Ich bin alt, Kindchen, weißt du das? Weißt du, wie alt ich bin?«

»Es gibt Gerüchte«, erwiderte Jelina vorsichtig. Einige im Orden sagten, dass Utar bereits an der Seite Brodors gegen das Dunkle Volk gekämpft habe. Doch sie wagte nicht, direkt danach zu fragen.

»Oh, die gibt es sicher. Ich glaube, es ist im Orden wie in jeder Familie: Man verbringt eine Menge Zeit damit, über andere Leute zu reden. Man redet nicht, damit der andere etwas erfährt, sondern weil man eigentlich seine Meinung bestätigt wissen möchte«, lachte Utar. Dann wurde er wieder ernst. »Ich bin alt genug, um nicht nur dich zu kennen, Jelina von Hertharas. Ich kannte auch deinen Großvater Brodor. Ich war bei ihm, als er die Klinge von Yranisar erhob und gegen die Trolle kämpfte.«

Er reichte ihr im Dunkeln etwas. Reflexartig streckte sie die Hand aus und nahm es entgegen. Sie konnte den Gegenstand zwar nicht sehen, ihn aber mit ihren magischen Sinnen abtasten. Es war der Griff eines Schwertes mit einem Stück Klinge daran. Sie war nahe dem Heft abgebrochen.

»Was ist …«, flüsterte sie und wusste doch instinktiv, was sie vor sich hatte. »Das ist die Klinge von Yranisar! Ich … sie ist im Wappen des Hauses von Hertharas, der Reichsadler trägt sie! Ich dachte, es ist eine ziemlich aufgebauschte Geschichte!«

«Wie bei jedem Märchen gibt es auch da eine Wahrheit«, erwiderte Utar traurig. »Aber es geht nicht darum, dass ich mit alten Andenken protzen will, sondern dass ich auch die Gabe der Vorhersehung besitze. Die meisten Erzmagier des Ordens hatten sie. Es ist ein Zeichen großer Macht, und wir wählen oft unsere Nachfolger dadurch aus. Doch du weißt, dass die Gesetze des Unsichtbaren Gottes für uns strenger sind als für andere Menschen. Wir haben mehr Macht und darum mehr Verantwortung. Dir wurde ein Blick auf die Zukunft offenbart, so wie sie sein könnte. Du hast aber nicht das Recht, sie zu beeinflussen. Es ist der Wille des Unsichtbaren Gottes, was geschehen wird.«

Er saß eine Weile schweigend da und Jelina war sich nicht sicher, ob er noch einmal etwas sagen würde, bis er fortfuhr. »Als dein Großvater Brodor den Trollen entgegenritt, wusste ich, was geschehen würde. Ich wusste es von dem Tag an, als er sich entschloss, das Reich zu gründen und das Dunkle Volk zu bekämpfen. Ich habe all die Jahre mit ihm gekämpft und stets gewusst, dass es ihm nicht vergönnt sein würde, die Früchte seines Kampfes zu genießen, dass er nur einen Samen pflanzen würde und andere nach ihm Frieden und Wohlstand würden genießen können.« Er nahm ihr das Bruchstück der Klinge wieder aus der Hand. »Es erinnert mich immer daran, dass ich einem größeren Gut diene als meiner Laune. Sicher hätte es mich glücklich gemacht, ihm an einem Punkt seines Weges zu sagen, was kommt. Doch hätte es etwas geändert? Ich weiß nicht, ob Brodor diesen Weg nicht gegangen wäre, egal, wie er endete. Aber was, wenn ich ihn von seinem Weg abgebracht hätte? Wenn er nicht die Kraft gehabt hätte, seinen steinigen Pfad zu beschreiten, wenn er gewusst hätte, was auf ihn zukommt? Nein, Jelina. Es ist der Grund, weshalb der Orden unsere Familie ist. Wir dürfen die Gaben des einen Gottes nicht für uns missbrauchen.«

Er stützte sich schwer auf seinen Stock und erhob sich umständlich. Dann legte er ihr die Hand auf die Schulter.

»Es tut mir sehr leid um deinen Bruder, Jelina. Doch er ist selbst Schmied seines Schicksals. Wir sind nicht befugt einzugreifen.«

Er ging langsam aus der Höhle, das Klacken seines Stabes wurde immer leiser.

Jelina saß allein im Dunkeln. Tränen liefen über ihre Wangen.

»Bruder«, flüsterte sie.

Pelodan hatte Turek geweckt und war bereits wenige Herzschläge nachdem er sich in seine Decke eingewickelt hatte, eingeschlafen. Turek legte neues Feuerholz nach und sah den Flammen zu, wie sie es verzehrten. Er bewegte die Arme ein wenig, um nicht zu verkrampfen. Wenn man bei einer Nachtwache zu lange unbeweglich dasaß, verspannte sich alles.

Als er einen Blick zu seinem Vater warf, sah er, dass der die Augen geschlossen hatte. Turek musterte ihn eine Weile. Die Brust von König Hokor hob und senkte sich ruhig im Schlaf, und sein zuvor angespannter Gesichtsausdruck war einem ruhigeren gewichen.

Turek lächelte und weckte ihn nicht. Er war nicht sonderlich müde. Sein Vater war bleich im Gesicht, und Turek machte sich große Sorgen um ihn. Mit so einer Wunde war nicht zu spaßen. Männer waren schon durch kleinere gestorben, und wenn sich eine Wunde entzündete, war ihre Größe nicht so wichtig.

Turek saß nachdenklich bei den Flammen, während er auf das Ende der Nacht wartete. Nachdem die Räuber und die Wölfe sich verzogen hatten, waren die Laute zurückgekehrt. Ein nächtlicher Wald war auch im Herbst nicht völlig still. Insekten surrten vereinzelt. Hin und wieder konnte man eine schwache Bewegung in der Luft erkennen, vermutlich eine Fledermaus im Flug, und zuweilen raschelte es im Unterholz. Tureks Blick wanderte immer wieder besorgt zu seinem Vater.

Mehrmals erschreckte er sich, als nicht weit von ihnen eine große Eule zu rufen begann.

Sein Onkel lag unruhig da. Turek glaubte nicht, dass er schlief, das meinte er am Atem hören zu können.

Vermutlich machte er sich ebensolche Sorgen um Hokor. Immerhin kannten die beiden sich schon ihr ganzes Leben lang und hatten viel zusammen durchgemacht. Jarawan war schon immer der Mann gewesen, den König Hokor beauftragte, wenn etwas Wichtiges erledigt werden musste.

Irgendwann war die Sonne am Horizont zu erkennen. Turek stand auf, streckte sich und begann, die anderen zu wecken.

Es war nicht mehr weit nach Arthorum. Sie erreichten die Hauptstadt gegen Mittag. Hokor schaffte es, allein im Sattel zu sitzen, auch wenn er immer noch bleich war. Die Wunde roch ein wenig faulig, und Turek machte sich große Sorgen. Jarawan hatte sie erneut gereinigt und neu verbunden, doch es war nicht besser geworden.

Dann endlich erhob sich die Hauptstadt vor ihnen. Arthorum war auf einem Felsplateau am Fluss Cella errichtet worden. Die umliegende Landschaft war von sanften Hügeln gekennzeichnet. Manche behaupteten, dass die Zwerge vom Dunklen Volk einst damit beauftragt worden waren, einen Berg abzutragen, sodass nur das Plateau übrig geblieben war. Und so ergab es sich, dass die Stadt weithin sichtbar war und ihre Mauern nahtlos übergingen in die schroffe Felswand. An mehreren Stellen gab es Brücken, die als Rampen in die Stadt fungierten und sanft anstiegen. Ihre geschwungenen Mauerbögen waren teils mit Statuen verziert. Eine dieser Rampen nahmen sie nun. Der Palast des Königs ragte darüber auf. Es war eine Art gemauerte Pyramide, die aus vier Bereichen bestand. Hätte man sie aus der Perspektive eines Vogels sehen können, hätte man gesagt, dass ein Kreuz in die Pyramide hereingeschnitten sei.

Der Palast bestand aus demselben dunklen Backstein, aus dem die meisten Gebäude waren. Der Fels, auf dem die Stadt ruhte, war aus einem grauen Gestein, sodass man gut erkennen konnte, wo die Baumeister geschickt das bereits Vorhandene genutzt hatten. Manche Gebäude bestanden zu einem Gutteil aus demselben grauen Material wie das Plateau, und nur einige wenige Bereiche ihrer Außenwände waren hinzugemauert. Andere waren vollkommen aus dem für Arthorum typischen dunklen Backstein errichtet.

Turek bemerkte, wie König Hokor seinen Mantel enger um sich schlang, damit niemand die Wunde bemerkte. Hoch erhobenen Hauptes ritt er in die Stadt ein. Die Wachen begrüßten sie, und Jarawan befahl, dass sofort ein Bote zum Palast vorreiten sollte. Man sollte die Gemächer des Königs vorbereiten.

Sie ritten die Hauptstraße entlang bis zur Brücke des Königspalastes. Eigentlich war es vielmehr eine Rampe, die in den Palastbereich führte. Dieser thronte imposant über der Stadt, so wie die Stadt über dem Land thronte.

Dort war Tureks Zuhause, der einzige Ort auf der Welt, an dem er sich wirklich nur von Menschen umgeben glaubte, die es gut mit ihm meinten.

Die nächsten Tage kamen und gingen, ohne dass der Zustand von Tureks Vater sich besserte. König Hokor wurde in seinem Zimmer gepflegt, und Turek hatte den ganzen Tag Unterricht. Die einzigen Pausen waren die Audienzen. Jarawan saß neben Turek, der sich auf dem steinernen Thron im Thronsaal niedergelassen hatte. Sie mussten Streitigkeiten schlichten, und das überall da, wo die ausgesandten Richter überfordert waren. Es gab Königsrichter, die von König Hokor mit dem Recht ausgestattet worden waren, in Streitfällen zu schlichten. Wussten die nicht weiter, so mussten sie ihre Probleme vor den König bringen. Normalerweise erledigte König Hokor es selbst, doch es ging ihm zunehmend schlechter. Turek besuchte seinen Vater jeden Tag und unterhielt sich mit ihm, auch wenn dieser zwischendurch immer wieder einschlief. Turek begann, jeden Tag zum Unsichtbaren Gott zu beten. Er wusste, dass sein Vater das auch tat und viele am Hof munkelten, dass es mehr geworden war, als Tureks Mutter bei der Geburt seiner Schwester gestorben war. Die aktuelle Königin, Leticia, unterstützte den Jungen dankbar dabei. Sie begleitete ihn zum Tempel und zündete jedes Mal ebenfalls eine Kerze an. Sie war eine hochgewachsene schöne junge Frau mit einer Vorliebe für Ohrringe, die aus kleinen Ketten edler Metallstücke bestanden. Leise klirrte es bei jedem ihrer Schritte. Turek mochte sie nicht besonders, aber er wusste, dass es an ihm lag. Er hatte ihr nie wirklich vergeben, dass sie ihm eine Mutter sein wollte.

Turek verbrachte seine Tage in Unruhe. Dann geschah das Undenkbare.

König Hokor starb.

Für Turek geschah alles Darauffolgende wie im Traum. Es schien unwirklich, und er hatte nicht das Gefühl, tatsächlich dabei zu sein. Auch später hatte er nur noch einzelne Bilder davon im Kopf, etwa wie sein Vater aufgebahrt dalag, seine treue Klinge in den Händen. Oder wie er mit Blumen bestreut in den Sarg gelegt wurde, um in der Gruft der Familie beigesetzt zu werden. Vage erinnerte er sich, dass sein Onkel Jarawan immer wieder versuchte, mit ihm zu reden, es aber schließlich aufgab. Turek sprach kein Wort.

Irgendwann geleitete man ihn in sein Zimmer im Palast und ließ ihn allein. Turek aß, wenn man ihm Essen brachte, und wenn die Dienerinnen kamen und ihm sagten, es sei doch Zeit, ins Bett zu gehen, schlief er. Er war gefangen in seiner eigenen kleinen Welt und wusste nicht, wie viel Zeit verging.

Jelina hatte sich entschieden. Tag um Tag hatte sie nun diese Visionen. Sie wusste, in welcher Gefahr ihr Bruder schwebte, ebenso wie ihr Vater. Mochte ihr der Erzmagier Utar verboten haben, das Schicksal der Welt zu beeinflussen, sie hatte angefangen, die Visionen zu begrüßen und zu erkunden. Der Unsichtbare Gott würde sie niemals mit so einer Macht segnen, wenn er dann wollte, dass sie sie nicht nutzte, da war sie sicher. So wie der Orden sie gelehrt hatte, ihre magischen Fähigkeiten nicht nur für egoistische Ziele einzusetzen, sondern für das größere Wohl, musste sie nun ihren Bruder retten. Die Zukunft war stets in Bewegung, und sie weigerte sich zu glauben, dass das Schicksal des Reiches nicht abwendbar war. Sie hatte Tausende Zukünfte erkundet und wurde nun immer besser darin. Doch was sie sah, erschreckte sie.

Sie hatte ihre wenigen Habseligkeiten gepackt und ein Pferd gesattelt. Der Entschluss war gefasst, und sie wusste, was es bedeutete: Sie würde den Orden verlassen und nie wieder zurückkehren können. Doch sie hatte erkannt, dass diese Entscheidung die richtige war. Wenn sie jetzt nicht handelte, würde sie es ewig bereuen und sich dann womöglich wie der Erzmagier Utar einreden, dass es ihre einzige Wahl gewesen sei. Doch so war es nicht! Noch konnte sie das Königreich ebenso retten wie ihre Familie.

Es blieb nur eines zu tun, und davor graute ihr. Der Erzmagier war draußen in den Wäldern nahe der geheimen Burg, in der der Orden lebte. Er würde nicht vor morgen früh zurück sein, und nur deswegen traute sie sich auszuführen, was sie sich vorgenommen hatte.

Sie hatte die Zukunft gesehen und wusste, was sie brauchte, um das Unrecht abzuwenden.

Doch das fand sie nur in Utars Gemächern.

Sie schlich durch die Korridore der alten Festung; die Gänge und Hallen waren mehr als doppelt so hoch wie sie. Es hieß, einst hätten Riesen in eisernen Rüstungen diese Festung errichtet und dass die Magie deswegen an diesem Ort so stark sei.

Nach einer Abzweigung erreichte Jelina eine eisenbeschlagene Eichentür. Sie hatte die Kapuze ihrer Kutte weit über das tätowierte Gesicht gezogen. Mit der linken Hand hielt sie einen Proviantbeutel, mit der rechten malte sie ein Zeichen in die Luft. Während ihre Fingerspitze das Symbol malte, hinterließ der Finger eine Spur aus leuchtenden Teilchen, die einen Herzschlag danach bereits verflogen waren.

Sehr zu ihrem Erstaunen geschah nichts.

Sie berührte das Schloss der Tür und stellte fest, dass sie offen war. Es war gar nicht nötig, sie durch Magie zu öffnen.

Als sie die Tür zu den Privatgemächern des Erzmagiers öffnete, fühlte sich Jelina schäbig. Hatte er es nicht nötig, sie abzuschließen, weil er ihnen allen im Orden so sehr vertraute? Missbrauchte sie dieses Vertrauen nun nicht auf abscheulichste Weise?

Sie sah in den kleinen Raum, der spartanisch eingerichtet war. Neben einem Bett und einem Schreibtisch, auf dem mehrere Folianten lagen, sowie einer großen Feuerstelle in der Mitte des Raumes gab es nur ein Regal an der Wand. Darauf lagen viele kleine Gegenstände wie willkürlich hingeworfen.

Sie vollführte ein magisches Zeichen, um zu testen, ob nicht doch irgendeine Falle auf sie wartete.

Sehr zu ihrer Scham zeigte es nichts an. Sie trat ein und besah sich die Gegenstände im Regal. Auf dem Schreibtisch wurde sie fündig: der Griff der Klinge von Yranisar.

Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, die anderen alten Magier auszufragen und in der Bibliothek alles zu lesen, was sie darüber finden konnte.

Nun wusste sie, was sie brauchte.

Sie wandte sich zum Gehen, und beinahe blieb ihr Herz stehen. Im Türrahmen stand der Erzmagier Utar.