DIE MEROWINGER - Dritter Roman: Familiengruft - Robert Gordian - E-Book
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DIE MEROWINGER - Dritter Roman: Familiengruft E-Book

Robert Gordian

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Beschreibung

„Ich bitte dich, antworte mir!“, wiederholte sie leise. „Wirst du von mir verlangen, dass ich nach unserer Heirat meinem Glauben abschwöre? Hast du mich etwa hierher kommen lassen, um eine Märtyrerin aus mir zu machen?“ Im Jahre 491 hat der junge Frankenkönig Chlodwig seinen römischen Gegner in die Enge getrieben. Auch der Gotenkönig Alarich muss sich seinem Willen beugen. Nichts und niemand scheint Chlodwig und seinen Glauben an die alten germanischen Götter mehr aufhalten zu können. Oder sollte er doch eine Schwäche haben? Zwei Erzbischöfe schmieden einen kühnen Plan – denn was könnte einen wilden Heiden besser zähmen als eine tugendhafte christliche Braut? Ihre Wahl fällt auf die Burgunderin Chlotilde. Aber schon bald hat sie erbitterte Gegner in Chlodwigs eigenen Reihen … Die fesselnde Familiensaga über eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

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Über dieses Buch:

Im Jahre 491 hat der junge Frankenkönig Chlodwig seinen römischen Gegner in die Enge getrieben. Auch der Gotenkönig Alarich muss sich seinem Willen beugen. Nichts und niemand scheint Chlodwig und seinen Glauben an die alten germanischen Götter mehr aufhalten zu können. Oder sollte er doch eine Schwäche haben? Zwei Erzbischöfe schmieden einen kühnen Plan – denn was könnte einen wilden Heiden besser zähmen als eine tugendhafte christliche Braut? Ihre Wahl fällt auf die Burgunderin Chlotilde. Aber schon bald hat sie erbitterte Gegner in Chlodwigs eigenen Reihen …

Die fesselnde Familiensaga über eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES, DIE EHRLOSE HERZOGIN und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: »Demetrias Rache«

Zweiter Roman: »Saxnot stirbt nie«

Dritter Roman: »Pater Diabolus«

Vierter Roman: »Die Witwe«

Fünfter Roman: »Pilger und Mörder«

Sechster Roman: »Tödliche Brautnacht«

Siebter Roman: »Giftpilze«

Achter Roman: »Familienfehde«

DIE MEROWINGER

Erster Roman: »Letzte Säule des Imperiums«

Zweiter Roman: »Schwerter der Barbaren«

Dritter Roman: »Familiengruft«

Vierter Roman: »Zorn der Götter«

Fünfter Roman: »Chlodwigs Vermächtnis«

Sechster Roman: »Tödliches Erbe«

Siebter Roman: »Dritte Flucht«

Achter Roman: »Mörderpaar«

Neunter Roman: »Zwei Todfeindinnen«

Zehnter Roman: »Die Liebenden von Rouen«

Elfter Roman: »Der Heimatlose«

Zwölfter Roman: »Rebellion der Nonnen«

Dreizehnter Roman: »Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: »Der Waffensohn«

Zweiter Roman: »Der Pokal des Alboin«

Dritter Roman: »Die Verschwörung«

Vierter Roman: »Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

***

Überarbeitete eBook-Neuausgabe Januar 2014

Die komplett überarbeiteten und erweiterten Neuausgaben der Merowinger-Romane von Robert Gordian, die bei dotbooks erscheinen, beruhen auf einer Tetralogie, die zwischen 1998 und 2005 in verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurde. Teile des vorliegenden dritten Romans der Serie erschienen erstmals 2005 in »Der Wolfskönig«, veröffentlicht im Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin.

Copyright © der Originalausgabe 2005 Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

ISBN 978-3-95520-513-3

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Robert Gordian

DIE MEROWINGER

Familiengruft

Dritter Roman

dotbooks.

Was bisher geschah

Im Jahr 486 ist die Absetzung des Kaisers und der Zusammenbruch des Römischen Reiches schon zehn Jahre her. Nur eine letzte Säule des Imperiums steht noch, und auch diese wackelt bedenklich: das kleine Reich von Soissons in Nordgallien. Hier, zwischen Somme und Loire, herrscht als letzter Statthalter der Patricius Syagrius.

Noch ist die Völkerwanderung in vollem Gange, von allen Seiten bedrängen kriegerische Germanen das römische Rumpfgebilde. Die größte Gefahr droht von Nordosten, wo sich zahlreiche Stämme und Sippen zu einem starken Stammesverbund vereinigt haben: den Franken – das heißt den Freien und Kühnen.

Beherrscht werden sie von Kleinkönigen, die einer einzigen Familie angehören, den Merowingern. Die Franken glauben, dass nur sie das »Königsheil« haben und damit zur Führung und zur Eroberung neuen Lebensraumes befähigt sind.

Als Erster wagt der zwanzigjährige Chlodwig, König von Tournai (heute Belgien), den Angriff auf die Römer – und hat Erfolg. Syagrius verliert die Entscheidungsschlacht und damit den östlichen Teil seines Gebietes. Fluchtartig muss er nach Paris zurückweichen.

So ziehen die »Barbaren«, wie sie von den Römern verächtlich genannt werden, in Soissons ein. Sie wüten dort, wie sie es immer taten: Sie plündern und brandschatzen, tyrannisieren die Bewohner, schänden Frauen, berauben Kirchen, fangen Menschen zum Verkauf in die Sklaverei, feiern ihren Sieg mit endlosen Gelagen.

Dabei tun sich besonders zwei Vettern Chlodwigs hervor, die Könige Ragnachar (Cambrai) und Chararich (Tongeren). Während sie sich in der Schlacht mit ihren Gefolgschaften feige im Hintergrund hielten, schwärmen sie jetzt auch in die Umgebung von Soissons aus, um dort verbrannte Erde zu hinterlassen.

Der junge Chlodwig, der ein Regime nach dem Vorbild der Römer errichten und dazu die Galloromanen für sich gewinnen will, hasst diese Verwandten und hegt Rachegefühle gegen sie. Mit einer Kriegslist kann er sie vorerst vertreiben.

In Paris, das noch römisch ist, fühlt sich der Statthalter Syagrius nicht sicher und sucht nach neuen Fluchtzielen. Seine Geliebte, die Griechin Scylla, die Verfolgung durch die Franken ebenfalls fürchten muss (Baddo, der Mächtigste hinter Chlodwig, sucht Vergeltung für schweres Unrecht, das sie ihm einst zufügte), verlässt ihn zugunsten des Pariser Präfekten, kehrt aber, von diesem enttäuscht, zu ihm zurück, um mit ihm weiter zu fliehen, zu den Westgoten südlich der Loire. Denn zum Frühjahr wird der nächste Angriff der Franken erwartet. Während sich Chlodwigs Schwestern nun seiner Heiratspolitik unterwerfen müssen und noch einen Winter lang amüsieren, nutzt der junge König die Zeit, um diesen Waffengang vorzubereiten. Der Konflikt um einen beschädigten Krug schafft ihm Gelegenheit, auf grausame Weise zu demonstrieren, dass er Alleinherrscher ist und auf Moral und Gesetze keine Rücksicht mehr nehmen muss.

Dramatis personae

Chlodwig, König der Franken

Chlotilde, Burgunderin, seine Braut

Sunna, Chlodwigs Gemahlin

Theuderich (Therri), Chlodwigs Sohn, 8 Jahre alt

Basina, Chlodwigs Mutter

Audofleda, Chlodwigs Schwester

Albofleda, Chlodwigs Schwester

Lanthild, Chlodwigs Schwester, Gemahlin Ansoalds

Baddo, Chlodwigs Vertrauter

Bobo, Chlodwigs Gefolgsmann, Maior domus

Ursio, Chlodwigs Gefolgsmann

Ragnachar, König der Franken (Cambrai)

Richar, Ragnachars Bruder

Alarich, König der Westgoten

Leo, Maior domus Alarichs

Scylla, Geliebte des Alarich

Gundobad, Oberkönig der Burgunder (Lyon)

Godegisel, Unterkönig der Burgunder (Genf)

Syagrius, früherer römischer Statthalter

Remigius, Bischof von Reims

Avitus, Bischof von Vienne

Ansoald, Comes (Graf) von Soissons

Iullus Sabaudus, Referendar

Chundo, Diakon

Potitius, Gutsbesitzer

Kapitel 1

Das Boot legte an. Chlodwig raffte den Mantel und sprang ans Ufer. Mit raschen, raumgreifenden Schritten stieg er hinauf zu dem kleinen, windschiefen Tempel, dem Treffpunkt.

Der andere kam von der gegenüberliegenden Seite. Fast gleichzeitig hatte seine Prunkgaleere dort festgemacht.

Der andere war der König der Westgoten, Alarich. Auch er hatte schnell die steile Böschung genommen und war ein bisschen außer Atem.

Er lachte fröhlich, breitete die Arme und rief: »Mein Bruder!«

Schon hatte ihn Chlodwig an der Brust. Die rotblonde Lockenmähne des untersetzten Westgoten kitzelte sein Kinn. Ein fremdartiger, süßlicher Duft stieg daraus auf. Die rauhen, harten Hände des Franken lagen auf einem mit Seide bedeckten, fleischigen Rücken.

»Du also bist es – du bist Chlodwig!«, rief der Gote und trat zwei Schritte zurück. »Man hat mir dich zwar beschrieben, aber ich konnte mir keine Vorstellung machen. Wie habe ich diese Begegnung herbeigesehnt!«

»Freut mich ebenfalls, dass wir uns endlich treffen«, sagte Chlodwig.

Auch er hatte sich Alarich beschreiben lassen. Trotzdem überraschte ihn dessen Erscheinung. Er wusste zwar, dass der Gote nur drei Jahre älter war als er, achtundzwanzig Jahre also, dennoch hatte er sich vorgestellt, einem gesetzten, ernsten Mann zu begegnen, aus dessen Zügen der Geist seiner großen Vorgänger leuchtete: des gewaltigen ersten Alarich, des ehrgeizigen Athaulf, des kühnen Wallia, des furchtbaren Eurich.

Stattdessen stand vor ihm ein heiterer, hübscher, harmlos wirkender junger Herr mit einem fast mädchenhaften Gesicht, im reich bestickten, gefältelten Mäntelchen, sorgsam geordnet das Haar, dicke Goldreife an den Armen. Einer, der zweifellos wenig gekämpft hatte (wozu er auch nicht genötigt war) und der die königliche Stellung genoss, die er seit sieben Jahren innehatte. Er war schon ein bisschen dicklich und aufgedunsen, die Spuren des Wohllebens waren unübersehbar.

»Was für ein herrlicher Tag!«, rief Alarich, nachdem auch er sein Gegenüber einen kurzen Augenblick lang kritisch gemustert hatte. »Was hält mein Herr Bruder von einem Spaziergang, bevor wir uns unseren kleinen Sorgen zuwenden?«

Chlodwig stimmte zu, und Alarich legte ihm vertraulich seine fünffach beringte Hand auf den Arm und führte ihn auf einen breiten Sandweg, der hinter dem Tempel ein Laubwäldchen gerade durchschnitt.

Freundlich winkte der Gotenkönig den hundert Franken zu, die sich auf den Stufen des halb verfallenen Bauwerks zur Begrüßung der Könige aufgestellt hatten. Seine hundert Goten standen ein Stück entfernt am Rande des Wäldchens. Die beiden bewaffneten Hundertschaften waren, wie vorher vereinbart, als Eskorten zum Schutz ihrer unbewaffneten Könige vor deren Eintreffen herübergerudert worden.

Sonst war fast niemand auf der kleinen Flussinsel der Loire bei Amboise, die zwar zum Herrschaftsgebiet der Goten gehörte, doch für die Zeit des Treffens der Könige für neutral erklärt worden war. Am östlichen Ende des Inselchens duckten sich ein paar schilfgedeckte Hütten, in denen Fischerfamilien hausten.

Alarich, der ein vollendetes, wenn auch ein wenig geziertes Latein sprach, eröffnete das Gespräch mit Komplimenten für seinen neuen Nachbarn. Chlodwig habe sich in den letzten fünf Jahren in der Welt ein bemerkenswertes Ansehen erworben, und sein Wirken verdiene Anerkennung. Indem er auch das Land zwischen Seine und Loire unter seine Kontrolle brachte, habe er einer langen Periode der Unsicherheit und des Chaos ein Ende bereitet.

»Sei versichert, mein Bruder, dass ich dir dafür dankbar bin«, sagte Alarich, während sie langsam den Weg entlanggingen, an dessen Ende das Wasser des Flusses schimmerte. »Wir westlichen Goten sind friedfertig, und wir wünschen nichts mehr als sichere, stabile Verhältnisse. Nichts ist ärgerlicher als diese ständige Unruhe an den Grenzen. Immer wieder belästigen uns ja die Habenichtse aus dem Norden, die aus Britannien oder sonst woher. Tag und Nacht kommen sie über den Fluss, auf Boten, auf Flößen, viele schwimmen sogar. Die meisten plündern nur, manche versuchen aber auch, sich festzusetzen. Das hat nun hoffentlich ein Ende, wir haben in euch Franken tüchtige Grenzwächter bekommen.«

»Eure Grenzwächter sind wir nicht«, sagte Chlodwig, den der leicht herablassende Ton des Goten schon ärgerte. »Ich habe mit denen aus Britannien ein Abkommen. Sie erkennen die Oberhoheit der Franken an, sind aber sonst sich selbst überlassen. Sie dürfen nur nichts unternehmen, was mich stört.«

»Aber du willst damit nicht sagen, dass es dir recht ist, wenn sie uns weiter belästigen«, sagte Alarich in einem Ton, als scherze er. »Wenn du die Oberhoheit über sie hast, müssen wir künftig ja dich für alles verantwortlich machen.«

»Falls ihr damit einen Grund zum Krieg suchen solltet ...«

»Ich bitte dich, glaube mir, nichts liegt uns ferner!« Der König der Westgoten hob beschwörend beide Arme, so dass die goldenen Reife klapperten. »Das werde ich dir immer wieder bestätigen! Wir wünschen keinen neuen Krieg, wir sind ja hier, um eine friedliche Übereinkunft zu treffen. Ich bin überzeugt, dass wir die wenigen strittigen Punkte in der Grenzfrage schnell abhandeln werden. Das ist im Grunde alles ganz unerheblich, wir können es unseren Ratgebern überlassen. Unterdessen verbringen wir Könige den Tag etwas angenehmer. Ich hoffe doch, dass du noch heute mein Gast sein wirst!«

»Erledigen wir erst unsere Angelegenheiten«, erwiderte Chlodwig. »Dann werden wir sehen, ob noch Zeit zum Vergnügen bleibt.«

»So hat man mir euch Franken geschildert!«, sagte Alarich lachend. »Beharrlich, zupackend, zielbewusst, ungeduldig. Und damit habt ihr Erfolg, das sei zugestanden. Erstaunlich, wo man doch bis vor kurzem nur gerade euren Namen kannte. Meine Lehrer, die mich über die Völker und Stämme der Welt unterrichteten, wussten wenig von euch zu berichten. Jedenfalls ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben.«

»Dann hattest du schlechte Lehrer. Wir Franken standen schon mit dem Heermeister Aetius gegen die Hunnen. Das war, bevor du auf die Welt kamst!«

»Aber auch bevor du auf die Welt kamst, mein königlicher Bruder! So hat man dich sicher gelehrt, dass es vor allem wir Westgoten waren, die gemeinsam mit Aetius die Hunnen vertrieben. Unser König, mein Großvater, blieb auf dem Schlachtfeld. Und du weißt natürlich auch, dass es Goten seit Hunderten Jahren gibt und dass sie in aller Welt gefürchtet sind. Zweimal haben die Goten Rom erobert!«

»Beim nächsten Mal erobern die Franken Rom«, warf Chlodwig missgestimmt hin.

Alarich lachte nachsichtig.

»Ein Scherz. Da müsstet ihr ja unseren ostgotischen Vetter Theoderich vertreiben, den überragenden Helden unserer Tage. Zurzeit belagert er Ravenna. Es ist höchstens noch eine Frage von Monaten, bis er mit diesem hergelaufenen Skiren, dem Odoaker, ein Ende macht. Bald wird er Italien beherrschen, und ich kann stolz darauf sein, dass ich ihm bei seinen Kämpfen zur Seite stand.«

»Du hast in Italien gekämpft?«, fragte Chlodwig verwundert.

»Ich habe Theoderich auf seine Bitte ein Entsatzheer geschickt und es bis an die Grenze begleitet. Er war in Pavia eingeschlossen, im letzten August. Nach dem Entsatz kam es zur Entscheidungsschlacht an der Adda. Auch dort hat mein Heer sich glänzend bewährt. Es entstand eine Waffenbrüderschaft für alle Zeiten. Auf Theoderichs Hilfe kann ich fest rechnen, wenn ich sie brauche. Ja, das kann ich«, bekräftigte Alarich, »ich habe keinen treueren Freund.«

Chlodwig schwieg. Darauf hatte er gewartet. Er war sicher, dass sich der König der Westgoten auf seine Freundschaft zu Theoderich berufen würde. Nun hatte dieser verweichlichte, ruhmredige Alarich nicht einmal zweihundert Schritte zurückgelegt, ohne bereits ganz unverhohlen mit seinem großen ostgotischen Verbündeten zu drohen.

Chlodwig wusste schon alles, was er erzählt hatte. Was in Italien passierte, wurde ja gleich in die Welt posaunt. Wer berichtete von den Taten der Franken in Gallien, von seinen eigenen Verdiensten? Aber dass der große Theoderich in Italien ein Heldenstück nach dem andern vollbrachte, hörte er mindestens zweimal im Monat von Gesandten, Sängern, Reisenden, Flüchtlingen.

Dabei bestellte Theoderich nicht einmal sein eigenes Feld, sondern tat alles nur für den Kaiser Zeno. Ein Auftragsheld war er, der den trägen Byzantinern das verlorengegangene Westreich zurückeroberte. Ein achtbarer Mann, gewiss, aber keiner, vor dem ein Chlodwig, der nunmehr als sein eigener Herr ganz Nordgallien besaß, erblassen müsste.

Alarich deutete das Schweigen des Frankenkönigs anders. Er glaubte, ihn beeindruckt zu haben, und setzte diesem raschen Erfolg seines diplomatischen und rhetorischen Geschicks, auf das er sich viel zugutehielt, noch eine Pointe auf.

»Übrigens haben Theoderich und ich auch beschlossen«, sagte er, »verwandtschaftliche Beziehungen aufzunehmen. Nichts festigt ja ein Bündnis unter Königen besser und dauerhafter als eine Heirat. Gleich nach dem Sieg an der Adda schickte er mir eine Gesandtschaft und bot mir seine Tochter Thiudigotho an. Ein Juwel von achtzehn Jahren! Die Gesandten brachten ein Bildnis mit – ich war überwältigt. Die Hochzeit wird noch in diesem Jahr sein.«

»Ich beglückwünsche dich dazu.«

Sie hatten das Ende des kleinen Hains erreicht, wo es steil hinab zum Wasser ging. Chlodwig setzte sich auf einen flachen Felsen und blickte hinüber zum Nordufer des Flusses. Dort sah man sein Lager, nur ein paar Zelte, zwischen denen Pferde grasten. Dahinter erhob sich ein Wald im ersten Frühlingsgrün.

Niemand konnte hier ahnen, dass nur eine Viertelmeile entfernt ein zehntausend Mann starkes Heer in Bereitschaft lag.

Auch der König der Westgoten ließ, die Arme in die Seiten gestemmt, seinen Blick über den Fluss und die Landschaft gleiten. Ein zufriedenes Lächeln zog sein glattes, rosiges Gesicht in die Breite. Da der Franke wieder lange schwieg, glaubte Alarich, die Nachricht von seiner Heirat mit der Tochter Theoderichs habe ihn endgültig eingeschüchtert. In so gehobener Stimmung stand ihm der Sinn nach Poesie, und da er literarisch gebildet war, fielen ihm gleich die zur Aussicht passenden Verse ein, die er gefühlvoll deklamierte.

»Rings ist geschmolzen der Schnee,

neu sprießt das Gras auf in den Fluren

und das Laub in den Wäldern.

Erde verändert ihr Antlitz,

die Ströme sinken und fließen

friedlich am Ufer dahin…«

»Ob du es mir glaubst oder nicht«, wandte er sich wieder an Chlodwig, »manchmal bedauere ich, dass ich zum König geboren wurde. Und ich beneide die Männer, die Talent haben und sich nur mit Poesie befassen. Ich selbst bin nicht ganz untalentiert, habe auch schon Verse gemacht. Aber man braucht dazu Sammlung und Zeit, und daran mangelt es uns Königen, leider. Du bist schweigsam geworden, mein Bruder. Woran denkst du?«

»Oh«, sagte Chlodwig und strich mit dem Handrücken über den dicken Schnurrbart, den er jetzt trug. »Ich denke daran, dass mein künftiger Schwager dein Schwiegervater wird. Und ich frage mich, ob wir beide nun dadurch auch irgendwie miteinander verwandt werden.«

Aus der Miene des Alarich wich der poetische Hauch.

»Wie sagtest du eben?«, fragte er, unsicher lächelnd. »Du sprachst von deinem künftigen Schwager? Und meintest damit …?«

»Theoderich, ja. Seine Gesandten erreichten mich gerade noch in meiner Hauptstadt, bevor ich hierherkam.«

»Er schickte dir eine Gesandtschaft, um …?«

»Um sich nach einer meiner Schwestern zu erkundigen, Audofleda. Man hat sie wohl sehr vor ihm gerühmt. Ihre Schönheit, ihre Talente …«

»Und er bewirbt sich um sie?«

»So ist es. Du bemerktest ja gerade, dass er mit Odoaker nun bald ein Ende machen wird. Er wird als König über Italien herrschen. Dazu benötigt er eine Königin.«

»Und er hat sich für deine Schwester entschieden?«

Dem König der Westgoten fehlte die Selbstbeherrschung, seine Betroffenheit zu verbergen. Er konnte sich gerade noch verkneifen, verächtlich hinzuzufügen: »Eine Fränkin?«

Chlodwig tat, als überhörte er den schroffen Ton der Frage, und sagte: »Er ließ ihr durch seine Gesandten einen Antrag machen. Seine Geschenke zeigten uns, dass es ihm dringend ist – und sehr wichtig. Aber natürlich bin ich es, der die Entscheidung trifft. Und meine Schwester muss einverstanden sein.«

»Ja, ist sie es etwa nicht?«, fragte Alarich gleichzeitig ungläubig und hoffnungsvoll.

»Sie ist es«, erwiderte Chlodwig, nicht ganz der Wahrheit gemäß, denn Audofleda leistete heftigen Widerstand. »Selbstverständlich ist sie einverstanden, weil ich es bin. Es versteht sich, dass ich gründlich nachgedacht habe. Er und ich haben zwar keine gemeinsame Grenze, aber das kann sich ja irgendwann ändern. Deshalb ist sein Angebot nicht von der Hand zu weisen. Er bietet mir wohlwollende Neutralität bei allen meinen Unternehmungen. So etwas kann man nicht ablehnen. Meinst du nicht auch?«

Jetzt war es Alarich, der missgestimmt schwieg. Chlodwig stand auf. Sie gingen langsam zurück durch das Wäldchen.

Plötzlich blieb der Gote stehen, sah Chlodwig voll an und fragte: »Was meinst du mit ›Unternehmungen‹? Was soll das heißen? Hast du etwas vor? Was willst du tun?«

»Was ich vorhabe, weiß ich«, sagte Chlodwig, wobei auch er stehen blieb und den Blick gelassen erwiderte. »Was ich tun werde, weiß ich noch nicht.«

»Wenn es dir wichtig ist, dass Theoderich dabei Neutralität wahrt …«

»Im Augenblick ist das noch weniger wichtig. Selbst wenn er eingreifen wollte, dürfte er dazu kaum noch Zeit haben. Der Fall wird jetzt und auf der Stelle entschieden.«

»Welcher Fall?«

»Einer, der dich und mich angeht. Nur uns beide.«

»Ich wüsste keinen!«

»Du weißt, was ich meine.«

»Ich? Ja, was denn? Was soll ich wissen? Nein, ich verstehe nicht! Überhaupt nicht! Wenn du von den paar läppischen Dörfern sprichst, die noch strittig sind …«

»Verstelle dich nicht.«

Alarich griff sich an den Hals, als wollte er seine Kehle schützen. Er erschrak plötzlich vor dem Blick, der ihn traf, dem Wolfsblick. Er starrte in das grobe, wettergegerbte Gesicht mit dem martialischen Schnurrbart, das jetzt über ihm war, auf die frische Narbe von einem Schwerthieb, die sich wie eine helle Furche von der Stirn zum Kinn zog, auf die langen, früh ergrauenden Haarsträhnen.

»Du weißt sehr gut, was ich meine!«, wiederholte Chlodwig.

Der König der Westgoten trat so hastig zurück, dass er dabei stolperte und beinahe fiel. Er warf den Kopf herum und suchte seine gotische Hundertschaft, sah aber nur in einer Entfernung von fünfzig Schritten ein paar Franken auf den Stufen des kleinen Tempels. Einen Augenblick lang schien es, als wollte er fortlaufen. Doch rechtzeitig ermannte er sich, drückte die Brust heraus, schüttelte seine Locken und die Reife an seinen Armen und sagte mit bebender Stimme:

»Das klingt ja wie eine Drohung! Hast du mich deshalb hierhergelockt? Was willst du? Die Städte, die mein Vater erobert hat? Er hat sie nicht dir genommen, also hast du auch keinen Anspruch darauf. Ich werde nichts hergeben – nichts! So wie ich das Reich der Westgoten übernommen habe, vererbe ich es mal meinen Nachkommen! Das schwöre ich! Ist dir ein Drittel Galliens noch nicht genug?«

»Nicht, solange mein Feind am Leben ist«, sagte Chlodwig. »Und solange er einen Herbergsvater hat, der versuchen könnte, ihm wieder aufzuhelfen.«

Alarich, der anscheinend jetzt erst begriff, machte eine heftige Abwehrbewegung. Doch er beruhigte sich ein wenig. Es war ihm unangenehm, sich aus Furcht so ereifert zu haben. Er fühlte sich nun auch sicherer. Die Goten hatten seine laute Stimme gehört und Gefahr gewittert. Einige seiner Lanzenträger traten auf den Weg und blickten herüber.

»Du sprichst von Syagrius?«, fragte er kühl.

»Seit Jahren suche ich ihn, und ich will ihn haben. Städte, Festungen, Klöster … wohin ich kam – er war schon fort. Und nun erfahre ich, dass er bei dir steckt.«

»Er ist mein Gast. Warum auch nicht? Ja, ich gewähre ihm Asyl. Wer einen Heimatlosen aufnimmt, tut ein christliches Werk. Das kannst du als Heide nicht verstehen. Ich habe es jedenfalls nicht nötig, mich dafür vor dir zu rechtfertigen.«

»Ob du das nötig hast oder nicht, ist deine Angelegenheit. Ich weiß, dass er hier bei dir im Lager ist. Meine Spürnasen haben ihn schon gerochen. Ich gebe dir drei Tage Zeit. Hast du ihn dann nicht über den Fluss geschafft, kommen wir zu euch und holen ihn uns.«

»Das ist Erpressung!«, rief Alarich.