Die Pan-Trilogie 3: Die verborgenen Insignien des Pan - Sandra Regnier - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Pan-Trilogie 3: Die verborgenen Insignien des Pan E-Book

Sandra Regnier

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eigentlich sollte sich Felicity ja glücklich schätzen. Nicht nur scheinen plötzlich sämtliche Jungen aus ihrer Schule an ihr interessiert zu sein, sie ist auch bereits mit dem bestaussehendsten Typen Londons verlobt. Nur leider ist die Verlobung schon vor Jahrhunderten arrangiert worden und ihr Zukünftiger der etwas zu charmante Halbelf Leander FitzMor, der viel zu vielen Frauen den Kopf verdreht. Felicity kann sich einfach nicht entscheiden, ob sie ihn lieber schlagen oder ihm doch endlich den alles verändernden Kuss geben soll. Zu allem Überfluss spitzt sich auch die Lage in der Anderwelt zu und wieder hängt alles von Felicity ab. Nur sie kann die für die Elfen so wichtigen Insignien finden, muss dafür aber ziemlich durch die Zeit reisen… //Alle Bände der erfolgreichen Elfen-Reihe: -- Die Pan-Trilogie 1: Das geheime Vermächtnis des Pan  -- Die Pan-Trilogie 2: Die dunkle Prophezeiung des Pan  -- Die Pan-Trilogie 3: Die verborgenen Insignien des Pan  -- Die Pan-Trilogie: Band 1-3  -- Die Pan-Trilogie: Die Pan-Trilogie. Band 1-3 im Schuber -- Die Pan-Trilogie: Die magische Pforte der Anderwelt (Pan-Spin-off 1)  -- Die Pan-Trilogie: Das gestohlene Herz der Anderwelt (Pan-Spin-off 2)  -- Die Pan-Trilogie: Der Sammelband der Anderwelt-Dilogie (E-Box des Pan-Spin-offs)//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich eventuell Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Carlsen Verlag GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2013 Text © Sandra Regnier, 2013 Betreuendes Lektorat: Pia Trzcinska Redaktion: Evi Draxl Umschlagbild: shutterstock.com / © Melpomene (Mädchen)/ © Oleg Senkov (Schloss)/ © Madlen (Flügel) Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

Für meine Bestseller Marie-Jeanne und Raoul.

TEIL I

ANDERWELT

DER KRONRAT

Die Halle war nur spärlich beleuchtet. Die Gesichter der Anwesenden, die um den runden Tisch saßen, waren so ernst, dass das dämmrige Licht sie wie Masken wirken ließ.

Regen klatschte gegen die Fensterscheiben und fern rollte der Donner. Passend zur Stimmung der fünf Männer und zwei Frauen.

»Wir müssen zu einer Einigung kommen«, sagte der Mann auf dem prunkvollsten Stuhl. Die anderen sechs sahen ihn unverwandt an. Ihre Gesichter zeigten nicht die geringste Mimik.

»Bist du ganz sicher, dass der neue Eintrag richtig gedeutet wurde?«, fragte eine Frau mit wallend roten Haaren, die drei Stühle von ihm entfernt saß.

»Das Buch der Prophezeiung hat sich noch nie geirrt«, sagte der Mann rechts neben ihr in einem Ton, als hätte sie ihn persönlich beleidigt.

»Das nicht, aber seine Seiten wurden schon falsch interpretiert«, warf der Mann ihm gegenüber ein.

Der Mann zur anderen Seite der Frau mit den roten Haaren räusperte sich. »Ich denke, dieses Mal gibt es nichts falsch zu verstehen.«

»Wir sprechen immerhin von einer Entscheidung, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt«, gab die andere Frau zu bedenken, die ihre weißblonden Haare zu einem aufwendigen Zopf um den Kopf drapiert trug. »Ehe ich eine Entscheidung treffe, möchte ich diese genau abwägen. Nicht wie beim letzten Mal, als wir den Entschluss fassten und anschließend das Buch den Untergang weissagte. Ihr erinnert euch?«

»Wir konnten es nur in letzter Sekunde revidieren«, stimmte der Mann auf dem Thron ihr zu. »Doch dieses Mal liegen die Fakten ganz anders.«

»Wie lautet der genaue Wortlaut des Buches?«, wollte der Mann links neben der Rothaarigen wissen. Er war der Konstabler, der Befehlshaber der Wachen in der Anderwelt.

Salbungsvoll wiederholte der Mann, der vorhin beleidigt geklungen hatte, die Zeilen auswendig.

Angekündigte Rettung wird es beschließen.

Rot gegen Weiß.

Hell gegen Dunkel.

Je nachdem, wie die Würfel fallen,

fällt Hell,

endet Dunkel.

Der Wurf steht unmittelbar bevor.

Erneut herrschte einen Moment lang Stille.

Dann sagte die Frau mit dem blonden Zopf, die Seneschallin des Königreichs: »Der erste Teil der Prophezeiung ist bekanntlich nichts Neues. Wann wurde der letzte Satz hinzugefügt?«

»Vor zwei Stunden«, antwortete der Mann, Merlin der Schule von Avalon.

Auf diese Aussage hin hörte man das tiefe Einatmen von verschiedenen Mitgliedern des Kronrats.

Der Konstabler beugte sich vor. »Wäre es nicht möglich die Entscheidung der Retter, also die der Verheißenen, zu beeinflussen?«

»Lee ist doch schon auf sie angesetzt, oder? Ihm dürfte es nicht schwerfallen, sie gefügig zu machen«, sagte die blonde Seneschallin mit einem ironischen Lächeln zu dem Mann ihr gegenüber. »Er hat gute Chancen die Prophezeite zu unseren Gunsten zu stimmen.«

»Zumal er ihr versprochen ist«, fügte die Rothaarige hinzu, die die Schatzmeisterin war.

»Das muss eine Bedeutung haben«, nickte der Konstabler. »Nicht umsonst erwähnt das Buch der Prophezeiung eine solche Verbindung. Wird Lee uns darin unterstützen?«

Die Frage war an den Mann rechts vom König gewandt.

»Lee wird das tun, was ihm aufgetragen wird«, antwortete der Kanzler bestimmt.

»Dazu wurde er erzogen«, stimmte der Merlin zu, der neben der rothaarigen Schatzmeisterin saß.

»Was denkst du, Eamon?«, wandte sich der Oberon an seinen Sohn, der bislang geschwiegen hatte.

Eamon holte tief Luft und sah in die erwartungsvollen Gesichter des Kronrates. Dann sagte er: »Ich denke, ihr alle kennt die Prophezeite nicht. Ihr wisst nur das über sie, was die Raben berichten. Sie wird das tun, was sie für richtig hält.«

»Was meinst du damit?«, fragte der Oberon. Seine Stimme war leise und herrisch zugleich.

»Sie ist nicht das, was ihr erwartet habt«, gestand Eamon und sah seinem Vater fest in die Augen.

Der König lehnte sich zurück. Niemand wagte es zu sprechen. Endlich sagte er: »Lee soll sich mehr anstrengen. Scheitert er, hat die Prophezeite keine Bedeutung mehr für uns.«

Eamons Lippen verdünnten sich zu einem Strich. »Und Lee? Was wird aus ihm? Das Buch der Prophezeiung nennt die beiden ab diesem Absatz nur gemeinsam.«

Jetzt sah der König auf den Kanzler neben ihm. »Scheitert Lee, werde ich das als Hochverrat werten.«

Keiner wagte es den Kanzler anzusehen.

FELICITY

GANZ NORMALER WAHNSINN

Mein Leben lief eindeutig nicht mehr in den wie bisher geordneten Bahnen. Ich war verlobt mit einem Halbelf. Zwangsläufig verlobt, weil in einem Buch geschrieben stand, es wäre eine gute Verbindung. Ein Buch, das besagte, ich, Felicity Morgan, wohnhaft in London, mit Schuhgröße 40, sei die Retterin des Elfenreiches.

Das erste Buch, das ich gern ins Feuer werfen würde.

Achtzehn Jahre lang hatte ich gelebt, ohne von diesem Buch je gehört zu haben. Seit Lee, der besagte verlobte Halbelf, vor einem Dreivierteljahr in mein Leben getreten war, war nichts mehr wie vorher.

Ich sprang willkürlich in der Zeit, wurde gemeinsam mit Karl dem Großen entführt, erwachte am Vorabend der Revolution in Versailles und dann gab es noch diese mysteriösen Todesfälle, die irgendwie mit mir zusammenhingen. Und um dem Ganzen die Krönung zu verpassen, hatte sich mein ehemaliger Geschichtslehrer, ein Halbelf namens Ciaran, vor meinen Augen in einen Drachen verwandelt. Damit meine ich nicht in einen kleinen Waran – sofern man diese Echsen mit ihren zwei Metern als klein bezeichnen konnte –, nein, in ein Ungetüm von der Größe eines Blauwals, das Feuer spucken konnte und einen schwefeligen Atem verströmte.

Ich war geflohen und hatte ihn seither nicht mehr gesehen. Auch die Anrufe auf meinem Handy hatte ich ignoriert. Ich verdrängte alles aus meinen Gedanken, so gut ich konnte, auch wenn es mir nicht mehr wirklich gelang.

Nur die Schule bot mir eine Art Flucht vor all den Geschehnissen. Am College herrschte zumindest eine gewisse Normalität, wenn man von den üblichen Freaks absah. Paul war definitiv einer. Vor ein paar Wochen hatte er angefangen als mein Schatten zu fungieren. Er folgte mir überall hin, sprach kein einziges Wort, sah mich mit einem Blick an, den kein Beagle besser hinbekäme, und wollte mir ständig meine Tasche tragen. Obwohl ich ihn nie ermuntert oder ihm ein Zeichen meiner Zuneigung gegeben hatte. Es war zum Davonrennen. Und genau das hatte ich auch gerade getan. Ich war vor ihm ins Mädchenklo geflüchtet, mit meiner Freundin Nicole im Schlepptau.

»Schaff dir so ein rosa Hello-Kitty-Teil an, wie die abgedrehte Chinesin vom Kunstkurs«, schlug mir Nicole vor, als ich meine Hände wusch. »Oder lass dir die Fingernägel kunterbunt machen. Mit dem Gesicht von Graham Norton drauf. Dann bist du ihn für immer los.«

»Ich habe das dumpfe Gefühl, sogar das Gesicht von Miss Ehle auf meinen Fingernägeln würde ihn nicht zurückhalten«, murmelte ich. Unsere Geografielehrerin war der Inbegriff eines modernen Blaustrumpfs. Garantiert war Margret Rutherford aus den alten Miss-Marple-Filmen ihr Vorbild. Zumindest kleidete sich Miss Ehle genauso – mit Faltenrock, unter dem die Stützstrümpfe rausstachen, Strickweste und weißer Bluse. An ihren gutgelaunten Tagen hatte die Bluse ein Paisley-Muster.

»Ich sollte mir lieber wieder ein paar Pfund zulegen und bei Mum im Pub arbeiten. Dann käme ich jeden Morgen zu spät und Paul hätte keine Chance, mir bei meinem Spind aufzulauern.«

Nicole stützte sich an die Wand und wartete, bis ich meine Hände fertig gewaschen hatte. »Ich weiß nicht, Feli, seit Lee an unserer Schule ist, hast du dich sehr verändert. Es ist nicht nur dein Aussehen, sondern auch dein Verhalten. Du bist … energischer.«

Das war nichts Neues. Ich war sportlicher als vorher, hatte einen unproduktiven Job gegen einen lukrativen eingetauscht und mir vom ersten Gehalt etwas Make-up zugelegt. Das war definitiv eine gute Wendung. Die schlechte war, die Elfenwelt, die angeblich auf mich angewiesen war, war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob ich nicht vielleicht eine Gefahr darstellte. Mein Leben war voller Überraschungen, seit Lee aufgetaucht war.

»Ich bin immer noch unschlüssig, ob es eine gute Veränderung ist oder ob ich nicht lieber wieder die alte Felicity sein möchte. Das war auf alle Fälle unkomplizierter.«

Keine Elfen, keine Prophezeiungen, keine Zeitsprünge. Vielleicht war es auch wesentlich langweiliger gewesen. Zumindest die Zeitsprünge machten Spaß. Sofern mir niemand einen überbriet und mich entführte.

Nicole überkreuzte die Arme vor der Brust. »Nein. Andernfalls wärst du tatsächlich im Pub deiner Mum gelandet. Wir hatten uns schon überlegt, was wir tun könnten.«

»Ehrlich?«, fragte ich amüsiert. »Wolltet ihr den Pub stürmen oder was?«

»So was in der Art. Jayden wollte eine Werbung im Internet schalten und Plakate entwerfen, damit mehr los ist, Phyllis wollte ihre Mutter einspannen, um die Innenausstattung ein wenig aufzumotzen, und dann deren High-Society-Kolleginnen dorthin locken. Was Corey und Ruby vorgeschlagen haben, vergessen wir lieber.«

Ich war gerührt. Wenn ich schon im Pub geendet wäre, wollten meine Freunde wenigstens dafür sorgen, dass er lief und Geld einbrachte. Hatte ich nicht die besten Freunde der Welt?

»Na, komm. Sonst nimmt Paul dir noch den letzten Zufluchtsort, den du hast.«

Er wartete, wie schon vermutet, an meinem Schließfach.

Allerdings machte er zur Abwechslung mal den Mund auf. »Samstag?«, fragte er in seiner seltsam heiseren, piepsigen Stimme.

»Samstag?« Ich sah ihn überrascht an. Er sprach so selten.

»Schwimmen. Im Kingfisher Leisure Center. Du hast gesagt, du würdest mitgehen.«

Pauls Dackelblick wurde noch flehender.

Er tat mir leid. »Okay. Übermorgen, zwei Uhr. Wir treffen uns dort.«

Paul zeigte keine wirkliche Reaktion. Nur seine Augen wurden ganz weit.

Ich schnappte Nicoles Arm und zerrte sie hinter mir zum Biosaal. »Lasst mich bloß nicht mit ihm allein!«, zischte ich.

Nicole grinste breit.

Der Vormittag verstrich im Nu. Die Mittagspause verbrachten wir alle gemeinsam in der Schulcafeteria. Nicole hatte die anderen schon wegen Samstag informiert. Meine Freunde waren begeistert.

»Kingsfisher Leisure Center? Cool!«, rief Corey am Mittagstisch, als ich mich setzte. Paul stand noch an der Essensausgabe. »Schwimmen ist super. Da waren wir nicht mehr seit Phyllis‘ dreizehntem Geburtstag.«

»Erinnere mich nicht daran«, murmelte Phyllis verlegen.

»Wieso? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du je irgendwo eine schlechte Figur gemacht hast.« Lee stellte sein Tablett neben dem von Corey ab und setzte sich.

»Das nicht. Aber ich habe nach den Geburtstagsmuffins einen Bauchplatscher vom Dreimeterbrett gewagt«, erklärte sie und errötete.

»Und dann ins Becken gekotzt«, vollendete Corey fröhlich.

Wir erinnerten uns gut. Das breite Grinsen auf allen Gesichtern zeigte es deutlich.

»Und deswegen wart ihr nicht mehr schwimmen? Das ist ja schon eine Weile her«, meinte Lee tröstend.

Jetzt wurde ich rot. »Nein. Das lag eher an mir.« Mehr musste ich nicht sagen. Das Geld war bei uns zu Hause schon immer knapp gewesen und meine Freunde hatten mir zuliebe auf Schwimmbadbesuche in teuren Vergnügungsbädern als Gemeinschaftsveranstaltung verzichtet.

Lee verstand auch sofort. »Und jetzt wollt ihr mal wieder hin?«

»Kommst du etwa nicht mit?«, fragte Nicole überrascht.

Lee zog eine Grimasse. »Schwimmen ist nicht ganz meine Wellenlänge.«

»Schönes Wortspiel. Jetzt komm schon. Dann gönn uns die Chance, dich einmal zu schlagen.« Corey boxte ihn jovial auf den Oberarm.

Lee verzog das Gesicht. »Ich überlege es mir.«

Das machte mich neugierig. Sonst war er immer darauf erpicht, in meiner Nähe zu sein. Ich nahm mir gerade vor ihn später danach zu fragen, als Phyllis mich anschubste.

»Ist dir auch was an Ruby aufgefallen?« Sie deutete auf den abwesenden Blick unserer Freundin.

Ruby hatte sich nicht an unserem Gespräch beteiligt. Was nichts Neues war. Wir würden sie sicherlich noch mindestens zwei Mal an Samstag erinnern müssen. Ich sah zu ihr rüber und fand, dass sie wie immer wirkte: in einer anderen Welt, den Geräuschpegel und Schulalltag um sich herum ausblendend. Rubyisch eben.

»Nö. Wirkt wie immer«, sagte ich und trank an meinem Wasser.

Phyllis blickte mich genervt an. »Siehst du eigentlich noch jemand anderen als dein persönliches Unterwäsche-Model?«

Ich grinste. »Fällt schwer, findest du nicht?«

Wir sahen beide zu Lee am anderen Tischende, der sich gerade wohlig reckte und mit Corey das Fußballspiel vom letzten Sonntag durchging. Das T-Shirt spannte über seiner Brust und zeigte die Andeutung seines perfekten Sixpacks. Halbelfen waren extrem attraktive Gestalten. Und auch wenn niemand wusste, dass Lee gemäß einer alten Prophezeiung mit mir verlobt war, wusste doch jeder von seinem Werben um mich. Daraus machte er auch keinen Hehl. Was wiederum nicht wenig schmeichelhaft für mich war.

Phyllis rollte die Augen. »Komm wieder runter, Feli. Als er vor einem Dreivierteljahr hier angefangen hat, konntest du nicht genug Abstand zu ihm halten. Und jetzt führst du dich langsam auf wie Felicity.« Sie sah mein grinsendes Gesicht und fügte hinzu: »Stratton. Ich meine Felicity Stratton.«

»Okay, vielleicht bin ich gerade etwas betriebsblind. Könntest du mir nicht wenigstens einen Tipp in Bezug auf Ruby geben?«

Ich sah wieder in Rubys Richtung, die gerade gedankenverloren versuchte mit ihrem Kugelschreiber den Kartoffelbrei zu essen. Das war nicht das erste Mal. Jayden gab ihr einen leichten Stups, doch Ruby stocherte mit ihrem Kuli ungerührt weiter. Das war schon ungewöhnlich. Normalerweise hätte sie auf Jaydens Schubs reagiert. So weit entfernten sich ihre Gedanken eigentlich nicht.

»Okay. Ich sehe, was du meinst«, sagte ich nachdenklich.

»Seit letzter Woche Donnerstag ist sie so«, klärte mich Phyllis auf. »Sie wollte sich in Englisch ausziehen, weil sie dachte, wir hätten Sport. Und in Kunst fing sie an zu zeichnen.«

Ich hob unbeeindruckt eine Augenbraue.

Phyllis stöhnte. »Wir arbeiten gerade mit Ton. Menno, der Typ nimmt dich ja völlig ein!«

»Ruby, hör auf damit«, sagte Nicole jetzt energisch und entwand Ruby den beschmierten Kugelschreiber. Um Rubys Mund herum waren blaue Striche zu erkennen.

Jetzt sah sie aus, als wäre sie aufgewacht. »Was ist denn?«

»Das müssten wir dich fragen«, entgegnete Phyllis. »Was ist los mit dir? Du schwebst zwar seit jeher schon mal woanders, aber so schlimm war es noch nie.«

Ruby sah den Stift neben ihrem Teller an. Ihre Augen wurden groß. Urplötzlich brach sie in Tränen aus und rannte aus der Cafeteria.

Wir starrten ihr betroffen nach.

»So schlimm war das jetzt auch nicht«, meinte Corey verlegen.

Ich sah zu Lee. Der schien völlig unbeeindruckt. Ein wenig mitleidig, aber keineswegs so ratlos wie wir anderen.

»Ich geh ihr mal hinterher«, murmelte Phyllis und erhob sich. »Nein, bleibt ihr hier«, sagte sie, als Nicole und ich Anstalten machten sie zu begleiten. »Ich glaube, damit würden wir sie überfordern.«

Wir sanken wieder auf unsere Plätze zurück. Die weiteren Gespräche waren sehr hölzern. Ruby war zwar schon immer ein wenig kopflos, aber wir hatten sie in den acht Jahren unserer Freundschaft nie die Fassung verlieren sehen. Das erschreckte uns nicht wenig.

Als es in diesem Moment zum Pausenende schellte, atmeten wir kollektiv auf.

Vor der Englischstunde wollte ich Lee nun endlich auf seine Bemerkung mit dem Schwimmen ansprechen. Dummerweise kam mir unsere Schulschönheit Felicity Stratton in die Quere. Sie pflanzte sich auf Lees Schoß – mit dem Rücken zu mir, die ich direkt daneben saß – und strich ihm über die Wange.

»Lee, Darling, hast du am Samstag schon was vor?«

Sie gab nie auf. Beinahe jede Woche fragte sie ihn das und jedes Mal kassierte sie einen Korb, weil er immer etwas mit uns unternahm. Aber heute hätte Felicity vielleicht tatsächlich eine Chance.

»Fay und ich fahren ins Kingfisher Leisure Center zum Schwimmen«, sagte Lee.

Ich blickte überrascht auf. »Aber du hast doch …«

Unter dem Tisch wurde mir auf den Fuß getreten.

Sofort schmiegte sich Felicity an ihn. »Ach, da war ich auch schon lange nicht mehr. Ich bin mir sicher, du bist ein hervorragender Schwimmer.« Sie strich anzüglich über seinen Brustkorb. »Ich komme mit und wir können den Saunabereich ausprobieren. Der soll sehr schön sein.«

Lee warf mir aus den Augenwinkeln einen hilfesuchenden Blick zu.

In diesem Moment kam Paul. Er setzte sich an den Tisch neben dem unserem und lächelte mich schüchtern an.

»Sauna ist eine gute Idee«, sagte er mit seiner untrainierten Reibeisenstimme. »Das soll total entspannen.«

»Das tut es«, gab ich zu, »aber mit euch werde ich in keine Sauna gehen.«

Lee schob Felicity von sich, um mich ansehen zu können. »Wann, bitte schön, warst du je in einer Sauna?«

Jetzt drehte sich auch Felicity neugierig zu mir um.

Ich sah Lee in die Augen und dachte an den wunderschönen Tag, an dem Ciaran mich ins antike Rom gebracht hatte, damit wir dort die Diokletiansthermen besuchen konnten.

Lee machte große Augen und sagte leise: »Ach, so ist das.«

Felicity und Paul sahen gleichermaßen verblüfft von ihm zu mir.

»Kannst du etwa ihre Gedanken lesen?«, fragte Felicity misstrauisch und erhob sich. Seit sich die beiden kannten, war das vermutlich das erste Mal, dass sich Felicity freiwillig von ihm entfernte.

Lee schaute sie mit einem bezaubernden Lächeln an. »Wo denkst du hin? Wenn ich die Gedanken meiner Mitmenschen lesen könnte, würde ich an der Börse spekulieren oder ins Casino gehen.«

»Auch wieder wahr«, gab sie zu und schmolz bei diesem Lächeln geradezu dahin. Wenn Lee ihr jetzt eine Lebensversicherung hätte verkaufen wollen, sie hätte diese genommen. Garantiert.

Paul sah mich wieder an. »Hast du Lust, nach dem Schwimmen dann noch mit zu mir zu kommen?«

»Mensch, Paul, du Träne, sie geht mit Richard Cosgrove. Weshalb sollte sie sich mit dir abgeben?«, warf ihm Felicity in ihrer schnippischen Art an den Kopf.

Pauls Augen weiteten sich und sein Mund klappte auf. Ehe ich fragen konnte, woher Felicity Stratton von meiner Freundschaft mit Richard wusste, erschien Mr Sinclair und jagte alle auf ihre Plätze zurück.

Was hattest du mit meinem Cousin in der Sauna zu suchen?

Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hörte Lees Stimme in meinem Kopf, obwohl sich seine Lippen nicht bewegten. Ich sah ihn an. Raus mit der Sprache: Wieso kann ich deine Gedanken hören?, dachte ich.

Er lächelte, aber es war wieder alles still. Nichts. Lee seufzte und kritzelte auf ein Blatt Papier.

Ist so ein Felicity-Lee-Ding.

Ich sah ihn wieder an. Du meinst, ein Wir-sind-einander-bestimmt-Ding? (Äußerst praktisch, ich konnte es denken und sparte mir das Schreiben)

Er nickte. Hieß das, wir waren tatsächlich füreinander bestimmt?

Ich konnte von niemand anderem die Gedanken hören oder lesen. Ciaran hatte lange mit mir geübt – aber vergeblich. Nur Lees Gedanken und die auch nicht immer.

Warum kann ich dich nur manchmal hören?

Ich weiß es nicht genau. Ich habe nur eine Vermutung.

Raus damit!

Du kannst mich nur dann hören, wenn du besonders emotional bist. Also? Was war in der Sauna?

Was sollte dort gewesen sein? Ich hatte einen wunderschönen Wellness-Tag gehabt.

DU GEHST MIT MEINEM COUSIN IN EINE SAUNA, ABER MICH STÖSST DU ZURÜCK?!

Das brauchte er nicht zu schreiben. Ich hörte es laut und deutlich in meinem Kopf. Und schlagartig ging mir ein Licht auf. Nicht wenn ich emotional war, hörte ich ihn, sondern wenn er emotional war. Ich war erleichtert, weil ich endlich dahintergekommen war. Gerade wollte ich ihn beruhigen und ihm erklären, dass es getrennte Saunabereiche für Männer und Frauen gegeben hatte, als sich die Tür zum Klassenzimmer öffnete.

Mein Magen rutschte um zehn Zentimeter nach unten, als hätte ich eine Stufe übersehen. Jetzt wäre mir beinahe ein Saunabesuch mit Lee lieber, als mich dem zu stellen, was nun auf mich zukam.

Mitten im Unterricht betrat Ciaran Duncan den Klassenraum. Sämtliche Mädchen setzten sich augenblicklich aufrechter hin und fast jede schüttelte ihre Haare oder leckte sich über die Lippen, damit die voller aussahen. Einschließlich Tony Loughlin, von dem jeder wusste, dass er anders gepolt war.

»Bernhard, ich muss mit Felicity Morgan sprechen«, sagte Ciaran zu Mr Sinclair gewandt.

Mr Sinclair sah ihn überrascht an. »Hat das nicht Zeit bis nach der Stunde? Wir stecken mitten in einer wichtigen Vorbereitung für die Quartalsklausur nächste Woche.«

Ciaran schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich dringend.«

Ich hätte mich am liebsten unterm Tisch versteckt oder noch besser hinter Lee.

Die Augen aller meiner Mitschüler waren von Ciaran zu mir gewandert. Ich wusste, meine Wangen waren feuerrot und mein Deo begann zu versagen.

»Felicity?« Ciaran streckte mir auffordernd eine Hand entgegen.

Ich spürte, dass Lee bereits im Begriff war, sich gegen ihn zu stellen. Das wäre äußerst unklug. Ciaran hatte an dieser Schule als Lehrkraft gearbeitet. Lee war »nur« Schüler.

Ich warf Lee einen kurzen Blick zu. Keine Sauna. Versprochen.

Das beruhigte ihn jedoch ganz und gar nicht. Er wusste, dass irgendetwas zwischen Ciaran und mir vorgefallen war. Ciaran hatte seine Stelle am Horton College gekündigt und ich hatte den Kontakt zu ihm abgebrochen. Und jeden Gedanken an den Tag im Kellergewölbe neben der U-Bahn-Station verdrängt.

Nur leider konnte ich das der Umstände halber in diesem Moment nicht mehr länger tun. Ehe ich Lee unabsichtlich etwas verriet, erhob ich mich und folgte Mr Duncan.

Er schloss die Tür hinter uns und sah mich an. Ich blieb über einen Meter von ihm entfernt stehen. Meine Hände waren unter meinen Achselhöhlen versteckt.

»Du hast alle meine Anrufe ignoriert. Ich will doch nur mit dir reden. Ich hätte es gern unauffälliger gemacht.«

»Nur reden?«, hakte ich nach.

»Nur reden«, bekräftigte er. »Allerdings wäre es mir lieber, wir könnten zu mir nach Hause fahren. Dort sind wir vor Spitzeln sicher.«

Ich versteifte mich.

»Bitte, Felicity. Wir fahren mit der Tube, wenn du möchtest. Ich will dich nicht entführen.«

Ich überlegte. Sollte mit mir etwas geschehen, wüsste Lee, wo und bei wem ich zu finden war.

»Felicity. Bitte.«

Ich atmete tief ein. Dann nickte ich.

AUSSPRACHE

Ich saß in Ciarans kleinem Wohnzimmer und spürte die Erschütterung einer vorbeirasenden U-Bahn. Die Teetasse auf dem Tablett vor mir klirrte. Wenn man direkt neben einer U-Bahn-Station wohnte, konnte man das wohl nicht vermeiden.

Allerdings leuchtete mir jetzt, da ich sein Geheimnis kannte, vollkommen ein, weshalb sich Ciaran dieses Haus ausgesucht hatte. Obwohl er ein Agent des FISS, des Fairy Intelligence Secret Service, war und ihm dadurch eine Goldene Kreditkarte ohne Limit zur Verfügung stand, wohnte er in einer billigen Absteige in einer der unbeliebtesten Wohngegenden von ganz London. Die im Keller, dicht neben den U-Bahn-Gleisen liegende Höhle vereinfachte ihm seine Verwandlung. Nicht nur die Größe und die Hitze dieses Kellergewölbes, sondern auch die hinter einer dünnen Wand vorbeirasenden Züge, die sein Drachengeschrei übertönten.

Jetzt saß er mir gegenüber, ein Glas mit etwas Stärkerem in der Hand. »Sag was, Felicity«, murmelte er.

So schüchtern war er sonst nicht. Im Gegenteil, als Geschichtslehrer am Horton College trat er seinen Schülern – also mir – sehr autoritär gegenüber. Sein Selbstbewusstsein rührte aus nahezu zweitausend Jahren Lebenserfahrung. So alt war Ciaran tatsächlich, wenngleich er eher wie Anfang dreißig aussah. Dass er nervös war, passte nicht zu ihm. Deswegen wusste ich gerade wirklich nicht, was ich sagen sollte. Deswegen und wegen meiner eigenen Nervosität.

»Ich kann verstehen, dass du erst einmal Zeit gebraucht hast, um alles zu verdauen, aber ich bin der Gleiche wie zuvor.« Er drehte sein Glas in den Händen, als habe er Angst. Angst vor mir? Vor meiner Reaktion? »Ich konnte mir das ja nicht aussuchen. Ich wurde so geboren. Ich habe dieses Blut in mir. Theoretisch ist es so, wie wenn man blonde Haare oder blaue Augen vererbt bekommt.«

Ich sah ihn an und hob abschätzig eine Augenbraue.

»Natürlich bin ich auch zur Hälfte Elf. Die andere Hälfte ist aber menschlich – na ja, fast. Verflixt, Felicity, dein Schweigen macht mich ganz nervös. Sag endlich was!«

Ich hatte noch kein Wort gesprochen. Was sollte ich sagen? Mein Gehirn verarbeitete gerade wieder die Bilder der Verwandlung, die ich in den letzten Tagen unterdrückt hatte, und ging sämtliche Begegnungen mit Ciaran durch. Einschließlich der, als er im achten Jahrhundert aufgetaucht war. Das war an Weihnachten gewesen. Vor ungefähr drei Monaten. »Hast du mich deshalb im achten Jahrhundert in Germanien entführen lassen?«, hauchte ich endlich.

»Nicht nur«, gestand er ohne Reue. »Ich wollte auch wissen, wo die Insignien Pans sind.«

Ich war sprachlos, wie kaltblütig er sein konnte. »Woher soll ich das denn wissen?«

»Gemäß der Prophezeiung bist du eng mit den Insignien verbunden. Auch wenn sie nicht in deiner unmittelbaren Umgebung sind, sowohl Elfen als auch Drachen brennen darauf, sie in die Finger zu bekommen. Und du bist diejenige, die sie zuletzt gesehen hat.«

»Ich habe sie nie gesehen«, widersprach ich vehement.

»Nicht bewusst. Aber sie verschwanden am Tag deiner Geburt. Die Entführung veranlasste ich, um herauszufinden, was du weißt und was du kannst. Im ersten Moment dachte ich, du wärst die Falsche, aber dann konnte ich in deinen Augen diese Vision sehen. Erinnerst du dich? Als wir beide in Germanien am Feuer lagen, konnte ich in deinen Augen eine Vision wahrnehmen. Die zeigte eine gemauerte Wand und davor lag etwas, das aussah wie ein Helm. Doch es musste etwas anderes gewesen sein. Eine von Pans Insignien. Ich konnte die Schwingung durch deine Augen hindurch spüren. Seither warte ich darauf, dass du dich verwandelst oder … rauchst oder etwas tust, was uns Drachenkinder ausmacht. Dein elfisches Erbe hast du mit dem Zeitsprung bereits unter Beweis gestellt.«

»Ich wusste, dass du mich hast entführen lassen. Karl hat es mir gesagt. Der Schlag vor den Kopf hat ganz schön wehgetan«, warf ich ihm vor.

»Die Burschen gingen etwas rauer ran, als ich gedacht hatte. Aber du hast dich auch ganz schön gewehrt.«

»Ist das deine Art ›Entschuldige, Felicity, kommt nicht wieder vor. Ich mache es wieder gut‹ zu sagen?«

Ciaran seufzte. »Ich habe mich vor deinen Augen in einen Drachen verwandelt und du erwartest eine Entschuldigung? Ist das alles, was dich im Moment interessiert?«

Nun ja … ein paar Fragen drängten sich schon auf. »Wer weiß davon?«

»Niemand. Nicht einmal meine Eltern wussten es.«

Ich schnaubte ungläubig und dachte: Was ist mit deinen schuppigen Gefährten?

Er las die Frage in meinen Augen ab. »Wenn ich mit meinem Mittelsmann zusammenkomme, sind wir immer in Drachengestalt. Ich kenne seinen richtigen Namen nicht und er nicht meinen.«

»Und Lee?«

»Bist du verrückt? Er ist der Sohn des Kanzlers. Auf gar keinen Fall darf Lee davon erfahren. Wir wurden auf Avalon erzogen, wo man seit Tausenden von Jahren berichtet, Drachen seien der Erzfeind der Elfen. Lee ist Agent durch und durch. Er würde mich ohne zu zögern ausliefern.«

Seit Lees Gefangennahme und Folter durch einen Drachen, hatte sich seine Meinung bestimmt nicht verbessert. Der Drache hatte ihn töten wollen. Und er hätte es geschafft, wenn ich Lee nicht rechtzeitig gefunden hätte. »Lee ist nur Agent, weil er dann James Bond spielen darf. Vor allem nutzt er mit Vorliebe die Wirkung aus, die er auf Frauen hat.« Ich biss mir auf die Innenseiten meiner Wangen. Warum hatte ich das gesagt? Das hatte ich vielleicht einmal gedacht, ehe ich den Rest wusste. Aber jetzt glaubte ich nicht mehr wirklich daran. Nicht nach den Eröffnungen, die Lee mir in der Grotte gemacht hatte. Aber genau diese Eröffnungen hatten mich verunsichert und auf Abstand gehen lassen.

Ciaran las es in meinen Augen und grinste schwach. »Felicity, du weißt genau, dass du eine ganz besondere Wirkung auf ihn hast.«

»Ja, vielen Dank, dass du mich an unsere erzwungene Verlobung erinnerst. Habt ihr Elfen das Mittelalter eigentlich je verlassen?« Ich trank schnell einen Schluck Tee. Er schmeckte bitter. Passend zu meinem Gemüt. »Ist dir klar, dass ich mir damit vorkomme wie eine Frau aus der Renaissance? Die wussten genau, sie heiraten einen Schwerenöter und können nichts dagegen machen.«

»Die meisten haben es ihren untreuen Gatten mit gleicher Münze heimgezahlt.«

Ich rollte die Augen. Fiel ihm nichts Besseres ein? »Ich habe vergessen, wie alt du bist. Du hast ja Geschichte gelebt.« Ich wiederholte den Satz, den er mir an seinem ersten Tag als mein Geschichtslehrer an den Kopf geworfen hatte.

»Freut mich, dass du deine spitze Zunge wiedergefunden hast«, meinte Ciaran nüchtern. »Was ist nun mit dir? Wann hast du dich zum ersten Mal verwandelt?«

Ich stellte die Tasse ab und sah ihn erstaunt an. »Ich habe mich nicht verwandelt.«

Ciarans Blick war skeptisch.

»Nein, ehrlich nicht. Ich bin kein Drachenkind.« Ich war kein Drachenkind! Ich konnte keines sein. Dieser Lindwurm Reggie Raik, der Lee gefangen gehalten hatte, hatte auch so etwas angedeutet. Danach hatte ich versucht alle möglichen Hinweise wie Schuppen, Rauch beim Aufstoßen oder scharfe Eckzähne zu beachten. Ich hatte nichts gefunden. Nicht einmal ein seltsam geformtes Muttermal – wenn man von den üblichen kleinen Leberflecken absah.

»Komm schon, Felicity, du hast das Blut ebenfalls in dir. Ich konnte es riechen. Als …«

Ich sah Ciarans Adamsapfel hüpfen. Mich überlief ein Schauder, den ich nicht unterdrücken konnte. Mit dem ›als‹ war der Moment gemeint, in dem er sich mir als Drache gezeigt hatte. Seine gespaltene Zunge war riesig und angsteinflößend gewesen. Wie bei einem Waran eben, nur größer, gefährlicher. »Aber ich habe mich noch nie verwandelt. Wie soll das überhaupt funktionieren? Braucht man dafür ein Ritual?«

»Man braucht Hitze«, erklärte er ruhig und trank einen weiteren Schluck von der goldenen Flüssigkeit in seinem Glas.

Das war mir nicht neu, doch plötzlich schrillten sämtliche Alarmglocken in mir los. »Die Sauna in deinem Büro«, fauchte ich.

Er nickte. »Weil ich nicht wusste, ob du Hilfe beim Verwandeln brauchst, dachte ich, ich greife dir unter die Arme.«

»In der Schule?!« Entsetzt dachte ich an den kleinen, fensterlosen Raum, der sein Lehrerbüro gewesen war.

»Wenn es angefangen hätte, hätte ich dich zurückgeholt«, versuchte er mich zu beschwichtigen. Er sah mich durchdringend an. »Ich dachte, du hättest die Verwandlung bereits hinter dir und könntest dich beherrschen.«

Ich schüttelte den Kopf. Er hatte tatsächlich versucht, mich in der Schule zwischen all den Schülern in einen Drachen zu verwandeln. Was, wenn es ihm gelungen wäre? Wenn ich mich nicht hätte beherrschen können? Mich schauderte und ich war heilfroh, dass es nicht funktioniert hatte.

Wir schwiegen eine Weile und jeder trank sein Glas leer. Ab und an hörte ich die U-Bahn unterirdisch vorbeidonnern. Die Gläser klirrten jedes Mal leise.

»Und der Tag im alten Rom? Hast du mich in die Diokletiansthermen geschleppt, damit ich mehr Zeit in der Hitze verbringe und mich eventuell dort verwandle?« Ich war maßlos enttäuscht. Das war einer der schönsten Tage gewesen, die ich je erlebt hatte. Und das alles nur als Mittel zum Zweck?

Ciaran sah mich an und schüttelte energisch den Kopf.

»Nein. Ehrlich. Das habe ich wirklich nur für dich getan.«

Ich kniff die Augen skeptisch zusammen. Aber er schien es ehrlich zu meinen.

»Hast du wirklich nicht …?«, fing Ciaran irgendwann wieder an.

Ich hob fragend den Blick.

»Auf deinem Rücken. Die Male. Darf ich es mir mal ansehen?«

Ich zuckte unbeteiligt die Schultern, drehte mich um und hob mein Shirt. Ciaran trat hinter mich. Ich fühlte seine Finger leicht über meine Haut streifen.

»Das ist …« Seine Stimme war ehrfürchtig und staunend.

»Was?«, horchte ich auf. »Was ist da?«

»Ungewöhnlich. Dort ist nichts. Nur zwei kleine Muttermale. Keine Spur von diesen Warzen. Erstaunlich. Äußerst seltsam. Trotzdem. Ich habe es gerochen.«

Ciaran setzte sich wieder.

Dafür erhob ich mich. Ein Blick auf die Wanduhr sagte mir, dass der Unterricht beendet war. »Ich gehe jetzt. Lee wird sich schon fragen, wo ich bleibe. Was soll ich ihm sagen? Er wird Fragen stellen, wenn du mich so vor aller Augen aus dem Unterricht holst.«

Ciaran stand ebenfalls auf, ging zu der Anrichte an der Wand und entnahm einer Schublade etwas. Er reichte mir ein geknülltes Stück Stoff.

»Gib ihm das. Ich habe es am Urquhardt Castle gefunden, als ich den Tod von Monahan untersuchen sollte. Ich habe es bislang geheim gehalten.«

Ich schlug den Stoff auseinander. »Ist das eine Eierschale?« Ich betrachtete das Teil argwöhnisch. Es war schwer. Ungefähr so schwer wie eine Untertasse, aber nur so groß wie eine Visitenkarte. Die Innenseite fühlte sich extrem glatt und geschmeidig an, die Außenseite war grau bis bläulich mit den typischen winzigen Kerben, die Eierschalen haben. Nur daran und an den abgebrochenen Rändern hatte ich es erkannt.

Ciaran nickte. »Das ist eine Eierschale. Aber von keinem bekannten Reptil oder Vogel. Es ist ein Teil eines Dracheneis.«

Ich sah ihn ratlos an. »Aber sagtest du vorhin nicht, du wärst geboren worden?«

»Das bin ich. Und genau das ist der Punkt. Wir sind Drachenkinder. Wir werden mit diesem Gen geboren wie ein normaler Mensch. Erst im letzten Drittel der Pubertät beginnt die Verwandlung von unserem Körper Besitz zu ergreifen. Selbst Fafnir hat sich ab einem gewissen Alter von einem Menschen in einen Drachen verwandelt. Und wir sind alle Nachkommen von Fafnir.«

»Ich weiß. Das hat mir der Lindwurm in Fingal’s Cave erzählt. Den Namen des Lindwurms kenne ich übrigens. Er hieß Raik. Reggie Raik. Sagtest du nicht vorhin, ihr trefft euch immer anonym?«

Ciaran schnaubte abfällig. »Hast du den Namen mal gegoogelt? Das ist ein Pseudonym. Raik bedeutet Rauch.«

»Woher weißt du das?«, fragte ich verblüfft.

»Das war der Name meines irischen Großvaters.«

Oh. Na, dann würde er es wohl wissen. Ich starrte wieder auf die Schale in meiner Hand. »Was genau soll ich Lee nun sagen?«

Ciaran seufzte. »Erklär ihm, ich hätte diese Schale jetzt erst gefunden. Tatsächlich stand dein Name darin.«

Mein Name? Alarmiert betrachtete ich die Schale erneut von außen und innen. Ich konnte nichts erkennen.

»Ich habe ihn weggewischt«, gestand Ciaran. »Lee kann das Stück Schale dem Kronrat überreichen. Du kannst ihm von dem Namen darin erzählen.«

Ich atmete aus. Wenn der Kronrat meinen Namen mit einem weiteren Mord in Verbindung gebracht hätte, wäre ich vermutlich nicht mehr am Leben.

»Ganz genau«, stimmte Ciaran meinem Gedanken zu. »Aber Lee sollte es wissen. Das zumindest. Er wird es für sich behalten und gleichzeitig wissen, weshalb ich dich allein sprechen wollte. Aber die Drachengeschichte lieber nicht. Kannst du deine Gedanken vor ihm verbergen?«

Ich schluckte. Bislang hatte ich sämtliche Erinnerungen ausgeschaltet. Jetzt, nach diesem Gespräch, wurde es wieder real. Beängstigend real und nicht länger ignorierbar. »Ich weiß es nicht«, gestand ich leise. Aber ich versuche es, so gut ich kann, fügte ich in Gedanken hinzu.

Er nickte bedächtig. »Danke.«

Ein wenig unschlüssig stand ich in der Tür. Er sah so … verletzlich aus. Mit einem Mal ging mir auf, was für ein schweres Los er zu tragen hatte. Er hatte sich noch nie jemandem anvertrauen können. Eine Last, mit der er immer leben musste. Immer konnte bei einem Drachen und Elfen sehr lang werden.

»Was ist, Felicity? Was denkst du?«

Er hob den Blick und sah mich an. Er sah so verloren und unglücklich aus. Der taffe Ciaran, der immer so starke, überlegene Kerl, den bislang nichts und niemand hatte aus der Ruhe bringen können.

Ich holte tief Luft und schlug einen übertrieben anklagenden Tonfall an. »Weißt du, Ciaran, wenn es um Fantasywesen ging, habe ich mir immer einen heißen, sexy Vampir gewünscht. So eine Art Edward Cullen oder einen Damon Salvatore. Und womit muss ich mich rumschlagen? Mit übergroßen Reptilien und arroganten Spitzohren.«

Das zauberte ein Lächeln auf Ciarans Gesicht. »Sag nur, wir sind nicht sexy. Darf ich dich an dieses Spiel in meinem Unterricht erinnern?«

Ich runzelte die Stirn. Darauf hatte Ciaran ganz schön empfindlich reagiert. Meine Freunde hatten mit mir gewettet: Jedes Mal, wenn er das Wort Folter gesagt hatte, hatte ich sexy rufen müssen. Ciaran hatte das nicht lustig gefunden. Im Gegenteil.

»Du darfst. Ich dachte nur, ich dürfe damit nicht mehr anfangen«, gab ich zurück.

Jetzt grinste er breit. »Schlagfertig wie eh und je. Entschuldige das mit der Entführung in Germanien. Ich mache es wieder gut.«

Ich hob eine Braue und begutachtete meine Fingernägel. »Ich wüsste schon wie.«

Er sah mich aufmerksam an. »Ich bin ganz Ohr.«

»Nie wieder Nachsitzen! Und zu einem weiteren Tag in einer römischen Badeanstalt würde ich auch nicht Nein sagen.«

DER FLAMMENDE STEINKREIS

Als ich Ciarans Haus verließ, saß Lee direkt gegenüber auf einem der Stühle eines Straßencafés. Erschrocken starrte ich ihn an. Ich hatte nach Hause wollen, um das ganze Gespräch in Ruhe verdauen zu können. Ich hatte nicht mit ihm gerechnet.

Und mein erster Gedanke, als ich ihn ansah, war: Konnte ich Ciarans Verwandlung vor ihm verbergen?

Lees Augen weiteten sich. Das konnte ich von hier aus sehen. Er hatte mir in die Augen gesehen und schon hatte ich Ciaran verraten. Über die Straße hinweg hatte er meine Gedanken lesen können.

Verdammt, verdammt, verdammt.

Ich drehte mich um und flüchtete in die U-Bahn-Station. Das Rattern und Röhren einer abfahrenden U-Bahn ließ mich zusammenzucken. Nie wieder würde ich diese Geräusche hören, ohne an schuppige Riesenechsen zu denken. Wahrscheinlich würde ich mich ab sofort immer fragen, ob es wirklich eine U-Bahn war, die die Geräusche verursachte, oder sich gerade ein Drache in einer angrenzenden Höhle verwandelte.

»Fay!« Mich durchzuckte ein Stromschlag. Lee hielt mich am Arm fest. »Bitte, sag, dass das nicht wahr ist.«

Es wäre auch zu schön gewesen, wenn er meinen Wunsch nach Privatsphäre respektiert hätte. »Was tust du hier? Wieso bist du mir gefolgt?«, fragte ich vorwurfsvoll.

Er sah mich ein wenig irritiert an. »Weil es sich so seltsam anhörte, dass Ciaran dich sprechen wollte.«

»Ich habe die letzten zwei Monate oft mit ihm allein gesprochen. Er hat mit mir Magie geübt«, sagte ich, nicht ohne Tadel.

»Aber nicht während des Unterrichts«, konterte er. »Das ist jetzt alles nebensächlich. Was zum Teufel hat das mit Ciaran zu bedeuten?«

Schnell wandte ich den Blick ab, weil ich schon wieder den sich verwandelnden Drachen sah. Leider nicht schnell genug.

Lee wurde bleich. »Dann ist es wahr?«, flüsterte er. »Ciaran?« Er wirkte, als müsse er sich setzen.

»Was wirst du tun?«, fragte ich bang.

»Ich muss das melden.«

»NEIN!«

Lee sah aus, als würde er sich am liebsten die Haare raufen. Wahrscheinlich hielt ihn nur jahrelange Kontrolle davor zurück. Denn sobald er seine dichte Mähne hob, zeigten sich seine Ohrspitzen.

»Lass uns irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind.« Ich packte ihn am Oberarm und zog ihn mit mir in Richtung U-Bahn-Gleis.

Lee kam wieder zu sich. »Unsinn. Ich bin mit dem Wagen da.«

Also verließen wir den Eingangsbereich der U-Bahn wieder. Aber vor uns lag nicht mehr die Whitechapel Road.

Wir standen an einem Strand. Inmitten eines Steinkreises aus riesigen Felsbrocken. Und zu allem Überfluss begannen die Steine um uns herum in diesem Moment zu brennen.

»LAUF!«, schrie ich, fasste Lees Handgelenk und ließ auch trotz des Stromschlages nicht los, sondern rannte zwischen den Steinen hindurch landeinwärts. Ich war schon einmal hier gewesen. Beim letzten Mal hatte eine riesige Welle die Flammen gelöscht – und mich komplett durchnässt.

Wir schafften es, uns an den Klippen hochzuhangeln, als die Welle über die brennenden Steine hereinbrach. Sie erfasste trotzdem noch unsere Füße.

Im nächsten Moment standen wir wieder in der Whitechapel Road in London und umklammerten eine Straßensperre. Unsere Füße waren klatschnass.

Kurze Zeit später saßen wir in Lees Wagen, hatten die Schuhe ausgezogen und fuhren barfuß durch London. Wenn Lee nicht gerade auf die Straße sah, starrte er mich an.

»Wo willst du hin?«, fragte ich ihn nach einer Weile.

»Irgendwohin, wo wir nicht belauscht werden können.« Er stoppte an einer roten Ampel und wandte sich wieder mir zu. »Woher kanntest du diesen Ort?«

Ich erzählte ihm von meinem letzten überraschenden Sprung dorthin, vor einigen Wochen, als Lee noch in Gefangenschaft gewesen war.

Lee fuhr wieder an.

»Was ist damit? Warum bist du so entsetzt?«

»Das war der flammende Steinkreis«, antwortete er, als wäre damit alles gesagt.

»Ah. Der flammende Steinkreis«, wiederholte ich ironisch.

Lee überging meinen Sarkasmus und parkte auf einem Seitenstreifen etwas außerhalb der Innenstadt.

»Das Emirates Stadium?«, fragte ich entgeistert, als ich aus dem Fenster sah.

»Im Arsenal Museum sind wir ganz ungestört.«

»Das sind wir im Auto doch auch«, wandte ich ein.

»Ich muss mich bewegen.« Er stieg aus und erst jetzt schien ihm aufzufallen, dass er immer noch barfuß war.

Wir zogen unsere nassen, kalten Schuhe wieder an und Lee bezahlte die Eintrittskarten für das Museum. Es lag im Keller des Verwaltungsgebäudes vom Arsenal Fußballclub und tatsächlich waren wir dort allein. Der Wärter saß am oberen Ende der Treppe.

Lee ging in einen der hintersten Winkel, wo uns Vitrinen mit ausgestellten Pokalen noch weiter abschotteten. Wirklich, ein idealer Platz, um ungestört reden zu können. Auf einem modernen Flachbildschirm wurden die berühmtesten Tore des Fußballclubs gezeigt, die Wände zierten riesige Poster mit Spielern.

»Der flammende Steinkreis ist eine Legende«, sagte Lee und sah mir fest in die Augen. »Normalerweise erscheint er kurz vor unmittelbar bevorstehenden Gefahren. Zuletzt erschien der flammende Steinkreis, als Hitler an die Macht kam, davor, als der österreichische Thronfolger in Sarajevo erschossen wurde. Und davor zeigte er sich kurz nach dem Ausbruch der französischen Revolution, und als er davor gesehen wurde, brach die große Pestwelle aus, die im 14. Jahrhundert ein Drittel der europäischen Bevölkerung vernichtete.«

Ich setzte mich auf einen kleinen Vorsprung neben die Vitrine.

Lee begann in dem schmalen Gang auf und ab zu laufen. »Du siehst, alles Ereignisse in der Geschichte mit schrecklichen Auswirkungen. Ich muss Ciaran dem Oberon melden. Vielleicht ist er die nahende Katastrophe.«

Ich sah Lee erschrocken an. »Nein. Bitte nicht. Das wäre Ciarans Todesurteil.«

Lee seufzte und nickte. »Er ist ein Drache. Er kennt zu viele unserer Pläne. Es ist offensichtlich, dass er der Verräter ist. Derjenige, der die Wachmänner umgebracht hat. Auch der Giftmord in Böhmen geht wohl auf seine Kappe.«