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**Die Elfen aus Sandra Regniers Bestseller-Trilogie »Pan« sind zurück!** Die unterirdischen Gassen Edinburghs sind für die 16-jährige Allison nichts weiter als eine Touristenattraktion. Bis sie bei einer Führung mit ihrer Schulklasse aus Versehen eine mysteriöse Pforte öffnet und unsägliches Chaos anrichtet. Denn von nun an heftet Finn sich an ihre Fersen, der zwar verdammt gut aussieht, aber leider ziemlich arrogant ist und obendrein behauptet, ein Elfenwächter zu sein. Er verlangt von Allison, das Tor zur magischen Welt wieder zu schließen. Doch wie soll sie das anstellen, wenn sie noch nicht mal an die Existenz von Elfen glaubt? //Alle Bände der erfolgreichen Elfen-Reihe: -- Die Pan-Trilogie 1: Das geheime Vermächtnis des Pan -- Die Pan-Trilogie 2: Die dunkle Prophezeiung des Pan -- Die Pan-Trilogie 3: Die verborgenen Insignien des Pan -- Die Pan-Trilogie: Band 1-3 -- Die Pan-Trilogie: Die Pan-Trilogie. Band 1-3 im Schuber -- Die Pan-Trilogie: Die magische Pforte der Anderwelt (Pan-Spin-off 1) -- Die Pan-Trilogie: Das gestohlene Herz der Anderwelt (Pan-Spin-off 2) -- Die Pan-Trilogie: Der Sammelband der Anderwelt-Dilogie (E-Box des Pan-Spin-offs)//
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Im.press
Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH
© der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2017
Text © Sandra Regnier, 2017
Lektorat: Rebecca Wiltsch
Coverbild: shutterstock.com © Tutti Frutti/Kanea/Ilya Chalyuk/maverick_infanta
Covergestaltung: formlabor
Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN: 978-3-646-60354-5
Für Papa, Oma und Opa.
Ihr fehlt.
Und für alle Pan-Leser, denen die Elfenwelt gefehlt hat.
Die Anderwelt muss geschützt bleiben.
So lautet das wichtigste Gesetz Pans. Nur Elfen dürfen sie betreten. Allen anderen menschlichen oder menschendenkenden Wesen muss sie verschlossen bleiben. Die Mysterien müssen bewahrt werden.
Deswegen werden die Zugänge zur Elfenwelt streng bewacht. Es gibt mehrere in Großbritannien. Stonehenge ist einer davon, weitere findet man unter anderem in Cornwall, Wales, auf der Isle of Man und in London.
Ein Zugang ist in der unterirdischen Stadt von Edinburgh. Dort bin ich Wächter. Das war nicht immer so, ich wurde hierher abkommandiert. Oder besser gesagt: degradiert. Doch das ist eine andere Geschichte.
Dieser Einlass jedenfalls hat Pan, dem Gründer des Elfenreichs, stets am meisten Sorgen bereitet. Ganz in der Nähe des Zugangs befindet sich nämlich die magische Pforte.Sie ist nicht weiter auffallend oder bemerkenswert. Der Raum, in den sie führt, war typisch für Edinburghs Untergrund. Erbaut aus den üblichen Bruchsteinen, ohne Fenster und ohne zweiten Ausgang. Es gibt darin keine Möbel, nur den lehmgestampften Boden.
Die Pforte zu diesem Raum hat keine Tür. Sie ist ein einfacher Durchgang mit einer einzigen Besonderheit: Es regnet unter dem Sturz. Niemand, weder Elf noch Mensch, konnte bislang ergründen, woher das Wasser kommt. Die Menschen, die früher – und damit meine ich vor mehreren Hunderten von Jahren – hier vorbeikamen, vermuteten eine Grundwasserquelle.
Der verstorbene König Oberon glaubte nicht daran.Denn diese Regenpforte war bereits vorhanden, als sein Vater Pan alle Zugänge zur Anderwelt versiegelte. Das Ungewöhnlichste daran ist wohl, dass das Wasser keine Pfütze auf dem Boden hinterlässt. Ein untrügliches Zeichen für eine ganz besondere Art von Magie. Eine Magie, die uns Elfen nicht gegeben ist.
Ich bewache also zwei Türen. Niemand hatte die magische Pforte je trocken gesehen. Nicht einmal in den Jahren 1394 und 1652, als eine große Dürre Schottland heimsuchte.
Bis Allison Murray kam.
Ein Mädchen, das mir nicht einmal bis zum Kinn reichte, mit roten Locken und einer Nase voller Sommersprossen. Sie brachte das gesamte Elfenreich in höchste Gefahr. Mal davon abgesehen, dass sie mein Leben komplett auf den Kopf stellte.
Und das alles nur, weil sie sauber machen wollte.
Ich hatte mich in der Mittagspause in den hintersten Winkel der Schulcafeteria zurückgezogen, um einen Brief meiner Eltern zu lesen. Im Nachhinein betrachtet wäre ich stattdessen besser in mein Zimmer gegangen und hätte die Tür abgeschlossen, um all dem zu entgehen, was nach diesem Tag auf mich hereinstürmte. Dann nämlich hätten mich meine Freundinnen nicht gefunden und ich hätte weiterhin das ruhige, beschauliche Leben einer normalen schottischen Schülerin des einundzwanzigsten Jahrhunderts geführt.
Hätte!
Ich hatte mich aber in die Mensa der St.-Pauls-Mädchenschule gesetzt, umringt von Mitschülerinnen, und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Die absonderlichen, seltsamen, völlig aus dem Ruder laufenden Ereignisse, die ich mir niemals in meinen Träumen hätte ausdenken können.
Der Brief war schon vor drei Tagen eingetroffen, doch ich hatte das Lesen aufgeschoben. Jeder Brief meiner Eltern beinhaltete so ziemlich das Gleiche. Zumindest fingen sie alle mit denselben Worten an, so auch dieser: »Liebste Allie, du wirst nicht glauben, was dein Vater und ich Aufregendes erlebt haben …«
Immer dieselbe Leier, die mich neugierig machen und gleichzeitig trösten sollte, weil sie mich in dieses Internat abgeschoben hatten.
Ich legte das Papier zur Seite und begann meinen Kartoffelbrei zu verdrücken. Wenigstens das Essen hier an der St. Pauls war gut, sogar die Rote Bete schmeckte ausgezeichnet. Ich aß noch ein paar Gabeln, ehe ich wieder nach dem Brief griff.
Doch bevor ich weiterlesen konnte, ließ sich jemand mit lautem Poltern auf den Stuhl neben mir fallen. Erschrocken knüllte ich das Papier zusammen.
»Wir brauchen ein neues Codewort!«
Camillas blonde Mähne hüpfte aufgebracht. Der Stuhl ächzte bedenklich unter ihr. Das lag nicht etwa daran, dass sie zu viel auf ihren Rippen hatte, sondern eher an ihrer hünenhaften Gestalt, die einer Brienne von Tarth nicht unähnlich war.
»Wozu? Reichen unsere Synonyme für genervt, langweilig, heißer Typ und stressige Eltern nicht aus?« Ich packte den Brief in meine Tasche. In dieser Mittagspause würde ich sowieso nicht mehr zum Lesen kommen, denn wenn Camilla auftauchte, war Emma meistens nicht weit. Und schon huschte unsere Freundin zwischen den schwatzenden und schmatzenden Mitschülern hindurch und kam auf unseren Tisch zu.
»Wir brauchen ein Codewort für nervige Austauschschülerin«, hauchte sie und ließ sich erschöpft auf den Stuhl mir gegenüber sinken.
»Aber du hattest dich doch so auf das Austauschprogramm gefreut«, sagte ich.
»Damals hatte ich die Hoffnung, ein schneidiger Franzose würde mein Partner werden. So ein Typ wie Alexander Skarsgård. Wer hätte gedacht, dass ich mich mit einer brünetten Fleur Delacour rumschlagen muss?«
Emma legte alles Elfenhafte ab und prustete laut hörbar Luft durch ihre Lippen. Camillas Wallach Lauredano hätte es nicht besser hinbekommen. Am Nachbartisch kicherten ein paar Mädchen.
»Du weißt schon, dass Alexander Skarsgård Schwede ist, ja?«, fragte ich amüsiert.
Emma sah betroffen aus. »Echt? Verdammt. Das hättest du mir ruhig vorher sagen können.«
Camilla rollte die Augen. »Und welches Codewort geben wir ihr jetzt?«
»Ist ›Jon Snow‹ für nervig nicht passend?«, fragte ich leise, damit die vom Nachbartisch nichts mitbekamen. Immerhin waren es unsere geheimen Codewörter.
Camilla schüttelte so heftig den Kopf, dass mir ihre Haare ins Gesicht peitschten. Sie musste dringend zum Friseur, ihr Bob wurde zu lang. »Nein, Jon Snow mit seiner ständigen Trauermiene trifft nicht im Entferntesten, was sie ist.«
Camilla entfuhr eine Beleidigung, die die Mädchen am Nachbartisch sich erschrocken zu uns umdrehen ließ.
»Nicht so laut! Wir wollen doch keine Aufmerksamkeit erregen«, zischte Emma unwirsch. »Vor allem will ich sie im Moment nicht hierhaben. Ich brauche eine Pause.«
Mit sie war Valérie de Mallet aus Montpellier gemeint, die bei Emma seit zwei Wochen wohnte und noch weitere zwei Wochen bleiben würde. Zugegeben, sie sah aus wie eine jüngere Ausgabe von Miranda Kerr, allerdings verhielt sie sich wie eine Diva. Seit sie angekommen war, meckerte und motzte sie ständig über alles. Das einzig wirklich Niedliche an ihr war ihre kleine Narbe an der Oberlippe, die ständig in Bewegung schien und von ihrer missbilligenden Miene ablenkte. Man konnte gar nicht anders, als ständig darauf zu starren, und es hatte etwas gedauert, bis ihre Worte zu uns durchdrangen.
Das Essen war ihr zu fad, die Landschaft zu trist, der Regen zu warm, die Sonne zu kalt, Camillas Pferd ein Ackergaul und ich das Ebenbild eines Hobbits – um nur ein paar Dinge zu nennen, über die sie hergezogen war. Wir konnten sie nicht leiden, seit sie den Mund aufgemacht hatte.
Emma strich ihre brünetten Haare zurück. Was völlig unnötig war, denn sie lagen wie immer perfekt: Glänzend, glatt und nicht eine Strähne stand jemals ab, so wie auch kein Fussel jemals ihre Erscheinung verunglimpfen würde. Ihre Model-Figur unterstrich sie mit ihrer eleganten Erscheinung – trotz Schuluniform, die an ihr saß wie ein Kostüm von Chanel. Ich hatte sie schon so oft gefragt, wie man diesen exakten Lidstrich mit Schwänzchen hinbekam oder das Make-up so verteilte, dass es aussah wie bei einem Filmstar. Emmas Antwort war jedes Mal frustrierend: »Das weiß ich nicht. Ich benutze nur Puder.«
Das bezweifelte ich zwar stark, aber sie war eine meiner beiden besten Freundinnen. Ich konnte ihr schlecht an den Kopf werfen, dass sie log.
Ich selbst war so ziemlich das Gegenteil von ihr und Camilla. Meine unzähligen Sommersprossen ließen sich weder mit Puder noch mit Make-up überdecken und meine roten Haare kringelten sich, egal wie viel Gel, Haarspray oder Glätteisen ich verwendete. Dadurch wurden sie höchstens stumpf.
Und niemand, der mir gegenüberstand, würde mich mit meinen eins achtundfünzig als elegant und grazil bezeichnen. Vor allem nicht, weil meine Taille eindeutig zeigte, wie sehr mir das schottische Shortbread schmeckte – neben dem Schulessen. Ich nahm noch eine Gabel.
»Was hat Valérie denn jetzt schon wieder angestellt?«, fragte ich, nachdem ich hinuntergeschluckt hatte.
»Sie flirtet mit unserer Banane«, antwortete Emma mit düsterer Stimme und deutete auf das andere Ende der Cafeteria.
Da stand sie, die bildhübsche Französin. Sie trug keine Schuluniform, sondern eine Rüschenbluse über einem Faltenröckchen mit Kniestrümpfen und verkörperte darin den perfekten Pariser Chic.
Und sie flirtete auf Teufel komm raus mit unserem sexy Hausmeister. Ich konnte es ihr nicht mal verübeln. Das Codewort Banane stand für »heißer Typ« und unser Hausmeister Mr Scott sah heute wieder sehr gut aus. Obwohl es draußen den ganzen Tag genieselt hatte und für Oktober schon empfindlich kalt war, stand er in einem eng anliegenden T-Shirt da, das die Muskeln seiner Oberarme zur Geltung brachte.
Er war erst Ende zwanzig und neben dem ältlichen Musiklehrer Mr Andrews und dem glatzköpfigen Sportlehrer Mr Abercrombie der einzige Mann an der Schule. Und das Beste für uns alle am St.-Pauls-Mädchen-College war: Er hätte den nächsten James Bond mimen können. Wir waren alle ein bisschen in ihn verliebt, denn er sah nicht nur gut aus, sondern war auch noch richtig nett und alberte mit allen Schülerinnen herum. Dabei wussten wir, dass er verheiratet war und zwei Kinder hatte.
Doch ich verstand Emma.
Mr Scott war unser Hausmeister, unsere Banane. Diese französische – in Gedanken wiederholte ich Camillas Wort für sie – konnte uns doch nicht einfach unseren Schwarm stehlen.
»Übrigens, ehe ich es vergesse, meine Mutter besorgt uns Eintrittskarten für das Mary Kings Close«, sagte Emma. »Ich möchte, dass ihr beiden mitkommt.«
Betroffen stieß ich meine Gabel in den Kartoffelbrei. »Was? Wieso das denn?«
Das Mary Kings Close war eine Touristenattraktion hier in Edinburgh. Leider lange nicht so unterhaltsam wie das Dungeon, und außerdem hatten wir es schon zweimal mit der Schule besichtigt. Das bedeutete, ich hatte es einmal zu viel gesehen.
»Mutter ist der Meinung, Valérie sollte alles erleben, was Edinburgh ausmacht.« Emma rollte mit den Augen. »Ich konnte sie nicht davon abbringen. Aber ihr kommt doch mit, ja? Mit euch ist es für mich erträglicher.«
»Muss das sein?« Ich mochte keine unterirdischen Gänge.
»Allie, bitte! Mum spendiert uns auch noch ein Eis. Falls du lieber Butterkekse möchtest, kauf ich dir die dazu.« Emma sah mich flehend an.
»Und du darfst mit auf den Reiterball!«, lockte Camilla. Sie pickte mit ihrer Gabel nach meiner Roten Bete. Dabei versprühte sie ein wenig Saft auf den Kragen ihrer weißen Bluse. Sie bemerkte es nicht und weder Emma noch ich machten sie darauf aufmerksam. Wir waren zu perplex.
»Welcher Reiterball?«, fragte Emma neugierig.
»Der von unserem Stallteam an Weihnachten«, erklärte Camilla ungeduldig. »Du weißt schon, der Tanzsaal in dem Herrenhaus vom Gestüt wird dann hergerichtet und nicht selten sind Prinzessin Anne und Zara Philips auch zugegen.«
Im Gegensatz zu mir waren Camilla und Emma keine Internats-, sondern Tagesschülerinnen. Wie die meisten Mädchen an der St. Pauls fuhren sie nach Schulschluss nach Hause und konnten somit ein ganz normales Familienleben führen und ihren Hobbys nachgehen. Bei Camilla war es ihr Pferd und das Reiten, Emma tanzte Ballett. Und dank der beiden bekam ich einen Eindruck davon, wie »normale Familien« lebten, denn ich durfte manchmal mit zu ihnen nach Hause. Normale Familie stimmte vielleicht nicht ganz, denn wer die St.-Pauls-Mädchenschule besuchte, kam aus einem wohlhabenden Elternhaus. Emmas Eltern waren angesehene Anwälte, Camillas von schottischem Adel, weshalb sie ihre Freizeit in diesem exklusiven Reitstall verbrachte. Wir alle wussten, dass dieser Reiterball einem von Downton Abbey gleichkäme. Da ich zu den fünfunddreißig Internatsschülern zählte und eine von nur sechs Schülerinnen war, die auch die Wochenenden und die meisten Ferien in der Schule verbrachte, war diese Einladung für mich ein Riesenereignis. Nicht nur für mich, wie sich zeigte.
»Und du nimmst Allie mit?«, hakte Emma ein wenig eingeschnappt nach.
»Doch nicht nur Allie«, winkte Camilla ab und es tropfte noch mehr Rote-Bete-Saft auf den Pulli über der Bluse. »Ich darf dieses Jahr Freunde mitbringen. Und ich nehme euch mit. Wir müssen uns noch Klamotten kaufen und einen Friseurtermin ausmachen.«
Der Reiterball war ein Riesenereignis und noch interessanter, seit Camilla alt genug war, um daran teilzunehmen. Was erst seit letztem Jahr der Fall war. Wochenlang hatte es bei ihr kein anderes Thema gegeben und dieses Jahr durften wir mit! Wahnsinn! Das wäre das absolute Jahreshighlight neben meinem Geburtstag. Doch der Reiterball war definitiv eine Nummer größer.
»Also, Allie? Was sagst du? Dafür wirst du doch zwei Stunden in den Katakomben durchstehen, oder?«
»Wir passen auch gut auf dich auf, ja? Camilla nimmt dich bei der Hand und ich verjage die Geister.«
»Haha«, machte ich trocken.
»Glaubst du ehrlich, dass es da unten spukt?«, fragte Camilla und begann eine Strähne über ihren Finger zu wickeln.
»Damit machen sie zumindest erfolgreich Werbung« war Emmas Antwort.
»Aber glaubst du, da war wirklich ein Mädchen, das wegen der Pest dort eingemauert wurde und jetzt nach Spielzeug verlangt?« Es gab dort einen Raum, in dem ein Berg von Spielsachen lag. Als Hilfe für den Geist des kleinen Mädchens, damit sie den ›Übergang‹ finde.
»Der Gedanke ist echt gruselig«, Emma schüttelte sich.
»Beim letzten Besuch lag da ein Tamagotchi. Ich bezweifle, dass der Geist eines pestkranken Mädchens aus dem achtzehnten Jahrhundert sich so was gewünscht hat«, erklärte ich.
»Wir könnten eine Wette abschließen«, schlug Camilla vor. »Jeder wettet um irgendein Spielzeug, das ein Tourist da wieder abgelegt hat, und wer recht behält, bekommt einen Kinobesuch geschenkt.«
»Einverstanden.« Emma hielt ihre Hand in die Mitte und wir schlugen ein.
»Ein Einhorn. Ich wette, da liegt jetzt ein rosafarbenes, flauschiges Einhorn auf dem Spielzeughaufen«, sagte ich.
Emma kicherte. »Okay. Dann nehme ich ein …«
»Drache!«, fiel ihr Camilla ins Wort.
»Ich wollte Auto sagen«, meinte Emma genervt.
»Ich sage Drache. Ich liebe Drachen.« Camilla stützte das Gesicht in beide Hände und lächelte verzückt.
»Seit wann?«, fragte ich sie. »Das sind Echsen. Die haben schuppige Haut, Warzen, ein Haifischgebiss und vermutlich auch noch Mundgeruch wegen der Fleischstücke zwischen den Zähnen.«
»Heißt das, du bist dabei?«, unterbrach Emma meine Aufzählung.
Ich seufzte. Ich wollte wirklich nicht dahin. Doch was blieb mir anderes übrig, wenn mich meine besten Freundinnen anbettelten?
»Ja, klar«, sagte ich lahm.
»Maria Stuart«, sagte Emma unvermittelt.
»Hä?«, machte Camilla.
»Das neue Codewort für Valérie: Maria Stuart«, erklärte Emma ungeduldig.
»Das ist zu offensichtlich«, winkte ich ab. »Lass uns ein Codewort für Zicke oder doofe Ziege suchen, dann ist es etwas allgemeiner. Und wenn sie in zwei Wochen weg ist, kann es auch noch für Lucy Grumper verwendet werden.« Ich deutete zu unserer erklärten Schulfeindin und meiner Ex-Zimmerpartnerin, die mit ihren Freundinnen an einem Tisch am Fenster saß. Sie beobachteten ebenfalls den Hausmeister und die flirtende Valérie.
»Schnucki«, schlug ich vor.
Beide sahen mich irritiert an. »Schnucki. So heißt die Ziege in Heidi.«
Dieses Mal prustete Camilla wie ein Pferd und schlug sich vor Lachen auf die Schenkel. Auch Emma kicherte ungehalten mit beiden Händen vorm Mund.
»Ach, Allie, wenn wir dich nicht hätten.« Camilla klopfte mir auf den Rücken. Ich hatte gerade eine weitere Gabel Kartoffelbrei zum Mund führen wollen, doch nun verfehlte er sein Ziel und klatschte auf meinen Rock.
»Ich geh dann mal aufs Klo«, sagte ich genervt und stand auf.
Valérie war so sehr mit Flirten beschäftigt, dass sie mich überhaupt nicht bemerkte, als ich an ihr vorbeiging. Oder sie wollte mich nicht sehen. Aber ich sah etwas.
Sie stopfte ihren BH aus! Und sie glaubte wohl, das merke niemand, vor allem nicht unser James Bond, denn sie machte ein Hohlkreuz, damit er auch ja richtig hinsah – umsonst, denn er blickte, genau wie jeder andere, auf die Narbe an ihrer Lippe.
Ich schrubbte den Fleck am Rock weg und erledigte, was man so auf dem Klo erledigte. Doch der Gedanke, dass sich diese aufgeblasene Nuss an Mr Scott ranmachte, nagte an mir.
Ich wusch meine Hände, schüttelte noch einmal meine Locken und ging dann zurück in die Cafeteria. Valérie und Mr Scott hatten sich keinen Zentimeter fortbewegt und sie erzählte irgendwas mit ausladenden Handbewegungen.
Nein, ich hatte mich nicht verguckt. Da sah man ganz deutlich den Zipfel eines weißen Papiertaschentuchs aus Valéries Bluse herausschauen.
Wie perfekt! Das war ja schon fast zu einfach.
»Hi, Mr Scott«, sagte ich fröhlich und wandte mich dann verschwörerisch Valérie zu. Die sah alles andere als begeistert über die Unterbrechung aus.
»Ist sie nicht zauberhaft?«, sagte ich wieder zu Mr Scott und legte einen Arm um Valéries Taille. »Wir sind so froh, dass hier mal frischer Wind reinkommt. Valérie erzählt uns ganz viel von Frankreich und über die Mode und gibt uns so tolle Tipps.«
Ich strahlte Valérie an, die mich aus zusammengekniffenen Augen betrachtete und versuchte sich unauffällig aus meiner Umarmung zu lösen. Sie wusste sehr wohl, dass ihre »Tipps« eher Ohrfeigen glichen. (»Ehrlisch? Flüssiges Kajal benutzt man ’ier noch? Das ’aben wir in den Neunzigern nicht mehr verwendet. Solche Unter’osen trug meine Oma. Die ’atte neunzig Jahre und ist seit drei Jahren mort.«)
Ich beugte mich dicht an ihr Ohr, damit es sonst niemand mitbekam. »Ich wollte ja auch mein Dekolleté etwas mehr betonen, aber das kratzt so furchtbar. Ich bewundere dich, dass du das aushältst. Doch wie sagt man noch gleich? Wer schön sein will, muss leiden. Du leidest wirklich sehr tapfer.«
»Isch verstehe nischt …«, wunderte sich Valérie und sah reflexartig auf ihr Dekolleté. Dann wurde sie so rot wie unsere Schuluniformjacken und verschwand, ohne Mr Scott eines weiteren Blickes zu würdigen, in Richtung Klo. Ups, obwohl ich leise gesprochen hatte, hatte man wohl doch kapiert, worum es ging.
Mr Scott schmunzelte, während um uns herum die Schüler in schallendes Gelächter ausbrachen.
Ich zwinkerte Mr Scott noch einmal zu und ging zurück zu unserem Tisch.
Das Gelächter begleitete mich. Ha, der hatte ich es gegeben, wenn es auch nicht so öffentlich hätte sein sollen. Doch dem Kichern um mich herum nach zu urteilen fanden alle anderen Schülerinnen, dass sie es verdient hatte. Sogar Lucy Grumper grinste ganz boshaft und zwinkerte ihren fünf Freundinnen verschwörerisch zu. Zufrieden wollte ich mich neben Camilla auf meinen Stuhl setzen, als sie mich zurückhielt.
»Keine Bange, es war nur ein kleines bisschen peinlich für sie. Ihr Busen war im Begriff, sich aufzulösen. Was hast du?«
Camilla hatte mich am Ellbogen gepackt und umgedreht. Ich folgte ihrem Blick und erbleichte.
Kein Wunder, dass alle so laut lachten. Das hatte überhaupt nichts mit Valérie zu tun.
Mein Rock hing in der Strumpfhose und alle hatten einen wunderbaren Einblick auf meine Unterhose erhalten.
Ich war bei der nächstbesten Gelegenheit geflüchtet und hatte mich auf unserem Schulgelände auf eine Bank gesetzt, obwohl der Wind unangenehm kühl war. Ich tat so, als würde ich den Brief lesen, doch eigentlich wollte ich die Schmach verdauen. Mir wurde noch immer ganz elend, wenn ich daran dachte, dass alle Schülerinnen von St. Pauls inklusive Mr Scott … Schnell lenkte ich mich ab, indem ich auf das Papier blickte.
»Hey, Allie!« George tauchte neben mir auf. Gott sei Dank. Darauf hatte ich gehofft, als ich mir diese Ecke des Schulgeländes ausgesucht hatte, um »ungestört« zu sein.
George ging auf das Jungencollege St. Barnabas direkt neben unserer Mädchenschule und nutzte das Loch in der Hecke, um mich immer mal wieder zu besuchen. Was in etwa zwei- bis dreimal die Woche und jedes Wochenende der Fall war. Er war erst elf, fast sechs Jahre jünger als ich, ebenfalls Internatskind und vor vier Jahren dort eingeschult worden. Ich war damals selber erst seit ein paar Wochen an der St. Pauls und hatte mich unter ebenjene Hecke zurückgezogen, um in Ruhe die Abschiebung meiner Eltern ausheulen zu können. Ich war nicht lange allein gewesen, als ein kleiner, rothaariger Junge mit verschmierter Brille und ebenso verheultem Gesicht in der Hecke auftauchte.
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