Die perfekte Freundin - Lionel Shriver - E-Book
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Die perfekte Freundin E-Book

Lionel Shriver

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Beschreibung

Was, wenn die alten Freunde nicht zur neuen Partnerin passen? Weston liebt Paige, doch als es ans Heiraten geht, verlangt sie von ihm ein Opfer. Er soll sich von seiner langjährigen Freundin – und Ex-Flamme – Jillian lossagen, die Paige schon immer etwas zu einnehmend, zu schillernd, kurz: zu gefährlich fand. Weston setzt sich zur Wehr. Aber beweist das nicht, dass Paige mit ihrer Forderung ins Schwarze trifft? Lionel Shrivers entwaffnender Beziehungsroman über Eifersucht, Vereinnahmung und Vertrauen greift eine Geschichte auf, die so alt ist wie die Liebe selbst. Die Orange-Prize-Autorin arbeitet sich brutal ehrlich und doch humorvoll am wackeligen Konzept Freundschaft ab – und brilliert darin, das unweigerliche Spiel aus Anziehung und Abneigung unter dem literarischen Mikroskop zu sezieren. Eine grandios zugespitzte Dreiecksgeschichte, die jeder Leserin und jedem Leser aus der Seele spricht! »Diese Frau kann einfach keinen Satz schreiben, der nicht intelligent wäre ... Lionel Shriver hat den Blick eines John Updike oder einer Patricia Highsmith.« The Times »Ein kurzes, brutales Juwel von einem Roman.« Evening Standard  

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Impressum ePUB

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© Lionel Shriver 2018

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Standing Chandelier« aus dem Erzählungsband »Property« bei HarperCollins Publishers, New York 2018

© Piper Verlag GmbH, München 2020

Covergestaltung: Cornelia Niere

Coverabbildung: Cathy Lomax / Bridgeman Images

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Textbeginn

Es verwirrte Jillian Frisk, …

Sie begegnete Weston …

Seit der Jahrtausendwende wohnte …

Zugegeben, ihr erstes Treffen …

Während Weston im Morgenmantel …

Wenn es eine Sache gab, …

Weston hatte schon …

In jener Nacht

Nachdem Paige …

Vermutlich würden sie lernen, …

Jillian dachte zwangsläufig …

In der vierten Juliwoche …

Wieder daheim, …

Allein das Einpacken …

»Du hasst es. …

Im Nachhinein stand fest: …

Als der Tag der Abrechnung …

Dann kam der fünfzehnte August, …

Bis zum folgenden Sommer …

Weston hatte Frisk …

Widmung

In unendlicher Dankbarkeit für Jeff und Sue.

Es geht hier nicht um euch.

Textbeginn

Es verwirrte Jillian Frisk, …

Es verwirrte Jillian Frisk, abgelehnt zu werden. Doch offenbar verwirrte es sie nicht genug, denn wenn sie so darüber nachdachte, war sie ständig versucht, den Standpunkt ihrer Verleumderin einzunehmen. Immer war es eine andere Frau, und vielleicht hatte das für sich genommen schon etwas zu bedeuten, etwas nicht besonders Erfreuliches. Neulich jedenfalls war ihr die Aversion einer Frau aufgefallen, und jetzt fühlte sie sich unwohl, war ratlos und verstört, ja sogar ein wenig ängstlich. Gelähmt. In Anwesenheit ihrer Verleumderin spürte sie das dringende Bedürfnis zu widerlegen, was angeblich so abscheulich an ihr war. Doch was auch immer sie sagte oder machte, immer bestätigte sie unfreiwillig ebenjene Eigenschaft, die die Fehlerfinderin nicht an ihr ausstehen konnte. War es ihre Eitelkeit oder ihre exzentrische Art? Ihr theatralisches Getue?

Denn zum Unbeliebtsein gehörte unbedingt, dass man sich den Kopf darüber zerbrach, was es wohl sein könnte, das die anderen so schrecklich verstimmte. Sie sagten es einem ja fast nie direkt ins Gesicht, und so blieb man auf einer wachsenden Liste unausstehlicher Charakterzüge sitzen, die man für diese Leute zusammenstellte.

Also stufte Jillian ihre Garderobe von ausgefallen auf farbenfroh oder sogar gewöhnlich herunter und bemerkte auf einmal, dass ihre schrillen Secondhandoutfits mit den Samtwesten, breiten Gürteln, Stufenröcken und ausreichend vielen Schals, um Isadora Duncan mindestens drei Mal zu töten, als Ausdruck gefallsüchtigen Verhaltens verstanden werden könnten. Für die Argwöhnischen war eine klare, kraftvolle Stimme einfach nur laut, aber wann immer sie ihre Lautstärke drosselte, um besser keinen Anstoß zu erregen, wurde sie direkt unhörbar, was auch unerträglich war. Außerdem war sie offenbar nicht in der Lage, mehr als eine halbe Stunde ihren Kopf einzuziehen und ein unscheinbares Benehmen an den Tag zu legen, ohne dass es sich anfühlte, als würde man ihre Seele binden wie die Füße einer Chinesin. Zweifelsohne waren ihre ausholenden Gesten, wenn sie überschwänglich wurde, pathetisch. Wenn sie wieder einmal ein schwelender Blick von der anderen Seite des Tisches traf, presste sie ihre Hände in den Schoß, wo sie dann wie eingesperrte Vögel flatterten. War sie nur einen Moment lang unaufmerksam, entkamen die verflixten Extremitäten und schleuderten ihre Serviette zu Boden. Dann hörte sie, wie ihr vollkehliges Gelächter in ihren eigenen Ohren als lästiges Lachen widerhallte. (Was kann man schon gegen ein lästiges Lachen machen? Aufhören, etwas lustig zu finden?) Und es blieb nicht dabei, dass sie all diese entsetzlichen Attribute verkörperte, allein die Gegenwart eines Menschen, der sie nicht leiden konnte, ließ sie noch dicker auftragen und in die abstoßende Rolle der Nervösen und Reumütigen schlüpfen, nach dem selbstzerfleischenden Motto: Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann schlag dich auf ihre Seite.

Doch inzwischen hätte es Jillian besser wissen müssen, nachdem sie lange genug die ganze Bandbreite von Abneigung bis Abscheu (selten jedoch Gleichgültigkeit) ausgehalten hatte. Das mag selbstverständlich klingen, aber wenn die Leute dich nicht leiden können, dann können sie dich nicht leiden.

Das heißt, den Anstoß gab nicht eine Reihe von identifizierbaren Gewohnheiten, Glaubensvorstellungen oder Charakterzügen, beispielsweise die Vorliebe, sich übermütig mit der Hüfte gegen einen Schalter zu lehnen, als wäre man rattenscharf, oder die inflationäre Verwendung des Wortes fantastisch, oder die fehlgeleitete Überzeugung, dass Wahlverweigerung eine politische Aussage darstelle, oder die Neigung, eher zögerliche Mitmenschen mit dem plötzlichen Vorschlag zu überrumpeln, am selben Nachmittag noch campen zu gehen, und ihnen dann das Gefühl zu geben, sie wären Spielverderber, wenn sie nicht mitkämen. Nein, es war die Gesamtsumme, die den Ärger auslöste, der Gesamteindruck, der Wesenskern, auf den alle Anzeichen zurückzuführen waren.

Selbst wenn Jillian mit zusammengepressten Lippen stillhielt, zog sie den Hass ihrer Kollegin Estelle Pettiford auf sich, die wie Jillian ein paar Handwerkskurse beim Sommercamp in Maryland geleitet hatte und deren Vorstellung von spannender Freizeitbeschäftigung für Fünfzehnjährige darin bestand, im Juli Weihnachtsbäume aus Telefonbüchern zu basteln. Estelle hätte sie bis in alle Ewigkeit gehasst, auch wenn das Objekt ihrer Abscheu keinen Finger mehr gerührt und keine Silbe mehr von sich gegeben hätte. Das war es eben, was Jillian am Unbeliebtsein so erschütterte: Es gab kein Heilmittel dagegen, keine Chance, eine Antipathie in Nachsicht oder gesunde Gleichgültigkeit zu verwandeln. Was diese Leute in den Wahnsinn trieb, war einfach nur dein Dasein, und selbst wenn du dich umbrächtest, würden sie sich darüber ärgern. Über den Versuch, noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen.

Der vorschnelle Standardratschlag lautete: einfach ignorieren. Alles klar. Außer dass es unmöglich ist, die Tatsache abzuschütteln, dass dich jemand verachtet. Das zu erwarten war unmenschlich. Und so wurde man nicht nur von jemandem gehasst, sondern es machte einem obendrein auch noch etwas aus, und das sollte es offenbar nicht. Dass es dich störte, ließ dich nur noch verabscheuungswürdiger erscheinen. Deine Unfähigkeit, die Feindseligkeit des anderen auszublenden, war ein weiterer Beweis dafür, dass etwas nicht in Ordnung war mit dir. Denn das war ja eben der Punkt: Diese ablehnende, hämische Haltung schien immer mehr Schlagkraft zu besitzen als die Zuneigung aller anderen, die dich entzückend fanden. Deine Freunde waren die Gelackmeierten. Die Nörgler wussten, wo du wohnst.

Da war auch Linda Warburton, eine Kollegin aus ihrer Zeit als Touristenführerin im Stonewall Jackson House, die sich jedes Mal unglaublich aufgeregt hatte, wenn Jillian in der Personalküche eine Kanne starken Kaffee zubereitete – und bei Jillian wurde immer alles stark –, weil sie ihren Java-Kaffee eher schwach trank. Doch Jillians Bemühungen, es allen Geschmäckern recht zu machen und Extrawasser aufzukochen, damit die Kollegin ihre Tasse Kaffee nach Herzenslust verdünnen konnte, schienen die pummelige, vorzeitig gealterte Fünfundzwanzigjährige in noch heftigere Antipathie zu treiben: Linda reichte tatsächlich eine formelle Beschwerde bei der Tourismusbehörde des Staates Virginia ein und bemängelte, dass Jillian Frisk das Häubchen zu ihrem Kostüm »auf historisch inkorrekte Weise in frecher Schräglage« trage.

Und dann gab es Tatum O’Hagan, die anhängliche, unfähige Mitbewohnerin von 1998, die mit Jillians Einzug gleich ihre Busenfreundin hatte werden wollen – ehrlich gesagt ging der Austausch von Vertraulichkeiten beim Browniebacken irgendwann zu weit – und die, nachdem Jillian gnädigerweise doch noch etwas von sich offenbart hatte, ihre Gegenwart mit einem Mal so unerträglich fand, dass sie einen Stundenplan entwarf, an welchen Abenden die eine oder die andere das Wohnzimmer belegen und von wann bis wann die eine oder die andere kochen durfte.

Vor nur zwei Jahren war die beflissene Olivia Auerbach dazugekommen, eine weitere unbezahlte Organisatorin der jährlichen Maury River Fiddler’s Convention, die ihr vorwarf, »die Musiker vom Üben abzuhalten« und »die Grenzen der zwangsläufig bescheidenen Rolle einer freiwilligen Helferin zu überschreiten«. (Und wie: Jillian hatte eine knisternde Affäre mit einem Teilnehmer aus Tennessee, der nicht nur mit seinem Bogen zu fiedeln verstand.)

Groß und schlank, mit hennaglühendem Haar, das in einem dichten Schopf bis zur Hüfte reichte, fiel es Jillian schwer, nicht aufzufallen, und dafür konnte sie nichts. Sie ging davon aus, dass sie hübsch war, obwohl dieses Adjektiv mit einer Verjährungsfrist einherging. Mit dreiundvierzig war sie wahrscheinlich bereits auf attraktiv herabgestuft worden und bereitete sich nun, da ihr mit der Menopause das geschlechtsneutrale Kompliment blühte, auf gut aussehend vor; und meine Güte, danach war es wirklich nicht mehr weit bis gut gehalten. Sie hätte also allen Grund gehabt, die erstaunlich regelmäßig auftretende Feindseligkeit seitens dieser Frauen als zickige Demütigung auf einem Laufsteg abzutun. Wenn Jillian sich aber in Lexington umsah, wo jeden Herbst eine neue Welle von bezaubernden Studienanfängerinnen den Campus der Washington and Lee Universität flutete, die ihr jedes Jahr jünger vorkamen und sie mit ihrem eigenen Verfallsdatum konfrontierten, war sie von der Fülle an schönen Frauen in der Welt eingeschüchtert, von denen ja wohl nicht alle Zielscheiben unerbittlicher Feindseligkeit sein konnten. Im Gegenteil, in ihren Highschool-Tagen in Pittsburgh, als Jillian noch schlaksig gewesen war und unter ihrer Größe gelitten hatte, rotteten sich die Studentinnen zusammen, allesamt sonnige blonde Sexbomben, die meist den Ruf genossen, freundlich und großzügig zu sein, nur weil sie ihr Lächeln verschenkten. Jillians Problem war nicht ihr Aussehen, oder zumindest nicht ihr Aussehen allein, obwohl ihr Haar an sich und ohne ihr Zutun schon eine Botschaft aussandte. Jillian hatte Haare, denen man gewachsen sein musste.

Im Rückblick war es extrem naiv gewesen, in den frühen Tagen der sozialen Medien Fotos von ihren selbst gebastelten Kreationen zu posten und dann ein paar wohltuende Reaktionen wie »süß!« oder »super!« zu erwarten – oder eben keine Reaktion, was auch in Ordnung gewesen wäre. Wenn ihr selbst getöpfertes Geschirr sich dagegen Kommentare einhandelte wie »du hast kein Talent, du Scheißamateur« oder »zertrampeln und dann auf den Müll mit diesem grauenhaften Pfusch«, zuckte Jillian zurück, als hätte sie eine heiße Herdplatte berührt. Als die Kommentare bei anderen regelmäßig zu Vergewaltigungsdrohungen ausarteten, hatte sie ihre Konten längst gelöscht.

Einige Menschen schien es zu ärgern, dass Jillian eine bekennende Dilettantin war. Sie brachte sich aus einer frivolen Laune heraus ein bisschen Italienisch bei, aber nicht, weil sie einmal nach Rom fahren wollte, sondern weil ihr der melodiöse Klang des expressiven Mamma mia gefiel oder die wie Kohlensäure sprudelnden Worte für »kleiner Stift«: piccola matita. Diese Phase hatte keinen bestimmten Zweck, und das eben war der Punkt. Jillian verfolgte Zwecklosigkeit als Selbstzweck. Sie hatte einige Jahre für die Einsicht gebraucht, dass es ihr so schwerfiel, eine berufliche Laufbahn einzuschlagen, weil sie gar keine wollte. Umgeben von ehrgeizigen Machern, ließ sie ihnen gern ihre Ziele, ihre Laufbahnen, ihre Hoffnungen, ihr fieberhaftes Schuften auf irgendeine ferne Bestimmung hin, die sie zwangsläufig enttäuschen würde, wenn sie überhaupt jemals einträte. Manche mussten die Welt eben dort auskosten, wo sie sich gerade befanden, anstatt aus dem Autofenster zu starren und sich immer wieder loszureißen. Dahinter verbarg sich weniger eine festgelegte Einstellung als ein Hang zu Trägheit oder sogar Faulheit. Jillian hatte sich fröhlich damit abgefunden. Sie war weniger darauf aus, jemanden zu bekehren, als einfach mit den Entschuldigungen aufzuhören.

Es war schon komisch, wie sehr sich einige Leute davon provoziert fühlten, wenn man nicht »etwas aus sich machen« wollte, weil man schon etwas war und nicht den Wunsch verspürte, sich zu ändern, oder wenn man freudestrahlend erklärte, dass man »alles in allem ziellos« sei, und dabei durch den eigenen Stimmfall andeutete, sich nicht dafür zu schämen. Vor Kurzem war Jillian an der Bar eines Bistros auf der Main Street darüber unterrichtet worden, dass es sich für eine kostspielig ausgebildete Frau aus der gehobenen Mittelklasse und mit großartigen »Möglichkeiten« nicht schickte, kein anderes Ziel zu haben, als sich zu amüsieren. Das sei schlichtweg »unamerikanisch«.

Jillian besaß die Art von Charme, die sich abnutzte. Das war zumindest ihre Theorie, nachdem sie genügend romantische Diminuendos hinter sich gebracht hatte. Selbst für Typen, deren Männlichkeit jeden ausgewachsenen anaphylaktischen Schock einer allergischen Reaktion in die Schranken verwiesen hätte, war der Überfluss ihrer spielerischen kleinen Projekte, mit denen sie nie einen Namen zu erlangen oder eine Galerie zu finden oder eine Kritik in der Roanoke Times zu bekommen gedachte, auf den ersten Blick vielleicht unterhaltsam und sogar ein bisschen hinreißend. Mit der Zeit aber wirkte sie nur noch kindisch oder durchgeknallt oder peinlich, und die Männer zogen weiter.

Mit einer entscheidenden Ausnahme.

~

Sie begegnete Weston …

Sie begegnete Weston Babansky in einem schlechten Kurs zu englischer Literatur an der Washington and Lee. Der Lehrer war alles andere als organisiert und murmelte immer vor sich hin, sodass schwer zu sagen war, ob er sich gerade an die Klasse wandte oder mit sich selbst sprach. Es beeindruckte sie, dass Weston – oder »Baba«, wie sie ihn nach einem ersten Kennenlernen getauft hatte – ungern mit den anderen Studenten über Steve Reardons katastrophale Seminare herzog. Sie schimpften immer darüber, dass sie für dieses wirre Geschwafel auch noch hohe Semestergebühren bezahlten, und allein die Lust, mit der sie dies taten, konnte der Grund dafür sein, dass sie nicht absprangen. Stattdessen zeigte Baba Verständnis. Beim ersten gemeinsamen Kaffeetrinken erklärte er Jillian, dass vieles, was Reardon sagte, eigentlich ganz interessant sei, wenn man nur richtig zuhörte. Das Problem sei, dass eine Qualifikation als Akademiker nicht automatisch bedeutete, dass man auch für die Bühne gemacht sei, und Unterrichten sei nun einmal Theater. Er selbst würde da vorn nicht viel besser abschneiden, fügte er an und hatte damit wahrscheinlich recht. Weston Babansky war introvertiert, nachdenklich und mied das Rampenlicht.

Da Jillian bereits mehrere Abneigungsattacken überstanden hatte, schätzte sie Babas Sensibilität, obwohl es an diesem Mann, der drei oder vier Jahre älter war als die meisten ihrer Kommilitonen, nichts Weiches oder Feminines gab. Kaum hatte er eine Meinung zum Ausdruck gebracht, wusste er schon, wie sich die Empfängerseite fühlte, als wäre er Wile E. Coyote und würde ein Gewehr mit einem U-förmigen Lauf abfeuern. Und so kreisten ihre Gespräche neben vielen anderen Themen immer wieder um eines: wie fahrlässig die Leute heutzutage mit ihren Antipathien umgingen, wie sie ihre Beschimpfungen einfach zum Spaß herausschleuderten und wie Säure wahllos in alle Richtungen versprühten, als verübten sie einen Anschlag auf einem belebten öffentlichen Platz. Pure Gemeinheit war zu einer vertrauten Form des Umgangs geworden. Seitdem kein Zweifel mehr daran bestand, dass die Ablehnung ihrer eigenen Person, von der sie wusste, von dem massiven Gespött hinter ihrem Rücken, von dem sie nichts Genaueres wusste, in den Schatten gestellt wurde, hatte Jillian einen immer stärkeren Widerwillen entwickelt, selbst gegen Prominente eine Antipathie zu hegen. Dabei würden Popstars, Politikerinnen, Schauspieler oder Nachrichtensprecherinnen, deren hohes öffentliches Ansehen sie vermutlich zu Vogelfreien machte, den Unterschied nicht einmal bemerken. Manchmal ertappte sie sich bei den Worten: »Oh, ich kann den nicht ausstehen«, um die Verurteilung dann sofort mit den Ohren des Opfers zu hören und zurückzuschrecken.

Es stellte sich heraus, dass Baba aus dem Norden stammte und, was die eigene Zukunft betraf, genauso ahnungslos war wie sie. Und das Beste: Beide waren auf der Suche nach einem Tennispartner, und zwar idealerweise nach jemandem, der einen nicht gleich verächtlich abhakte, wenn mal eine wilde Vorhand über den Zaun flog.

Siehe da, sie passten vom ersten Schlag an perfekt zusammen. Beide nahmen sich viel Zeit zum Aufwärmen, schätzten Scharfsinnigkeit und Stärke gleichermaßen. Lieber schlugen sie den Ball stundenlang übers Netz, als ein formales Match zu spielen. Trotzdem rangen sie um einzelne Punkte, die gewonnen oder verloren wurden, aber niemand zählte mit – ein weiteres Beispiel für Jillians bezweckte Zwecklosigkeit. Es schadete auch nicht, dass Baba gut aussah, allerdings auf jene schüchterne Art, die von den meisten übersehen wurde. Diese sehnigen, geschmeidigen Gliedmaßen eines geborenen Tennisspielers. Er kämpfte erbittert, schlug hart auf, war auf dem Spielfeld ganz und gar ruchlos, aber sein Killerinstinkt verpuffte in dem Moment, in dem er durch das Maschendrahttor nach draußen trat. Jillian nutzte seine Neigung, sich wegen der Fehler, die ihm aus Leichtsinn unterliefen, über sich selbst aufzuregen. Nachdem drei oder vier seiner Rückhände hintereinander das Netzband gestreift hatten, begann er, die Schwerstarbeit für sie zu machen: Er schlug sich quasi selbst. Baba war kompliziert – und komplizierter, als es die anderen wahrhaben wollten, mit einem gewissen Hang zur Depression, wozu er sich grundsätzlich auch bekannte, ohne sich jemals aufzudrängen.

Außerdem fand sie seine unterschwellige Unsicherheit in Gesellschaft liebenswürdiger als all die Mühelosigkeit der Anekdotenerzähler und Lebemänner, die bei jeder Party ihre Klingen schärften und überall ihren Senf dazugaben. Baba verschlug es oft die Sprache, und dann sagte er eben nichts. Von ihm lernte sie, dass Schweigen nicht demütigend sein musste, und erlebte einige ihrer überschwänglichsten Momente in stiller Eintracht.

Ende der Leseprobe