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"Blowin’ in the wind", "All along the watchtower", "Knockin’ on heaven’s door" – seine Songs besitzen eine poetische Kraft, für die er 2016 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt wurde. Nun legt Bob Dylan ein Buch vor, in dem er nicht auf sein eigenes Werk zurückblickt, sondern auf mehr als 60 Songs, die ihn beeindruckt und geprägt haben. Es bietet einzigartige Einsichten in das Wesen der populären Musik, die uns von Little Richard zu Frank Sinatra, von Elvis Presley zu The Clash, von Nina Simone zu Elvis Costello führen. Naheliegende Reime können leicht zu einer Falle werden, eine Silbe zu viel kann einen guten Song um seine Wirkung bringen, und Bluegrass hat mehr mit Heavy Metal gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Es ist Bob Dylan persönlich, der hier die Philosophie des modernen Songs darlegt und dafür Werke wie "Long Tall Sally", "Strangers in the night" oder "London calling" unter die Lupe nimmt. Mysteriös und magisch, präzise und profund, oft auch sehr witzig legt der Meister die Substanz jedes Songs frei und meditiert dabei in unnachahmlich dylanesker Diktion über das menschliche Leben und den fragwürdigen Zustand unserer Welt. So wie seine besten Songs ist dieser höchst subjektive Kanon, an dem er seit 2010 gearbeitet hat, schon jetzt selbst ein kanonisches Werk – und ein ungeheures Lesevergnügen für jeden, der sich schon einmal eine Schallplatte gekauft hat.
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«In diesem Song liegt dein Glück jenseits des großen Meeres, und wenn du dorthin willst, musst du das große Unbekannte überqueren.»
Bob Dylan, der genialste Songwriter des 20. Jahrhunderts und Literaturnobelpreisträger, erzählt die Geschichte von 66 großen Songs. In seinem ersten Buch seit fast zwei Jahrzehnten legt Dylan aber nicht nur frei, was das Geheimnis von Songs wie Strangers in the Night, Don’t let me be misunderstood oder London Calling ausmacht. Er geht einen Schritt weiter und philosophiert über das, wovon sie handeln. Alles kommt dabei zur Sprache – die Abgründe der Seele, die Konf likte der Gesellschaft, der Zustand der Welt.
Bob Dylan
Die Philosophie des modernen Songs
Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
Besonderer Dank gilt meinem Anglerfreund Eddie Gorodetsky für Input und ausgezeichnetes Quellenmaterial, Sean Manning, Jackie Seow, Sal and Jeremy the Hot Rod Kings, allen bei Dunkin’ Donuts, P. K. Ferguson («keine pauschalen Vorgaben»), und Jonathan Karp wegen seines unerschütterlichen Enthusiasmus, seines kenntnisreichen Rats und dafür, dass er mir Mut gemacht hat dranzubleiben, er hat mir genau zur richtigen Zeit, als ich sie hören musste, die richtigen Sachen gesagt.
Kapitel 1. Detroit City. Bobby Bare
Kapitel 2. Pump It Up. Elvis Costello
Kapitel 3. Without A Song. Perry Como
Kapitel 4. Take Me From This Garden Of Evil. Jimmy Wages
Kapitel 5. There Stands The Glass. Webb Pierce
Kapitel 6. Willy The Wandering Gypsy And Me. Billy Joe Shaver
Kapitel 7. Tutti Frutti. Little Richard
Kapitel 8. Money Honey. Elvis Presley
Kapitel 9. My Generation. The Who
Kapitel 10. Jesse James. Harry Mcclintock
Kapitel 11. Poor Little Fool. Ricky Nelson
Kapitel 12. Pancho And Lefty. Willie Nelson And Merle Haggard
Kapitel 13. The Pretender. Jackson Browne
Kapitel 14. Mack The Knife. Bobby Darin
Kapitel 15. Whiffenpoof Song. Bing Crosby
Kapitel 16. You Don’t Know Me. Eddy Arnold
Kapitel 17. Ball Of Confusion. The Temptations
Kapitel 18. Poison Love. Johnnie And Jack
Kapitel 19. Beyond The Sea. Bobby Darin
Kapitel 20. On The Road Again. Willie Nelson
Kapitel 21. If You Don’t Know Me By Now. Harold Melvin & The Blue Notes
Kapitel 22. The Little White Cloud That Cried. Johnnie Ray
Kapitel 23. El Paso. Marty Robbins
Kapitel 24. Nelly Was A Lady. Alvin Youngblood Hart
Kapitel 25. Cheaper To Keep Her. Johnnie Taylor
Kapitel 26. I Got A Woman. Ray Charles
Kapitel 27. CIA Man. The Fugs
Kapitel 28. On The Street Where You Live. Vic Damone
Kapitel 29. Truckin’. The Grateful Dead
Kapitel 30. Ruby, Are You Mad? Osborne Brothers
Kapitel 31. Old Violin. Johnny Paycheck
Kapitel 32. Volare (nel Blu, Dipinto Di Blu). Domenico Modugno
Kapitel 33. London Calling. The Clash
Kapitel 34. Your Cheatin’ Heart. Hank Williams With His Drifting Cowboys
Kapitel 35. Blue Bayou. Roy Orbison
Kapitel 36. Midnight Rider. The Allman Brothers
Kapitel 37. Blue Suede Shoes. Carl Perkins
Kapitel 38. My Prayer. The Platters
Kapitel 39. Dirty Life And Times. Warren Zevon
Kapitel 40. Doesn’t Hurt Anymore. John Trudell
Kapitel 41. Key To The Highway. Little Walter
Kapitel 42. Everybody Cryin’ Mercy. Mose Allison
Kapitel 43. War. Edwin Starr
Kapitel 44. Big River. Johnny Cash And The Tennessee Two
Kapitel 45. Feel So Good. Sonny Burgess
Kapitel 46. Blue Moon. Dean Martin
Kapitel 47. Gypsies, Tramps & Thieves. Cher
Kapitel 48. Keep My Skillet Good And Greasy. Uncle Dave Macon
Kapitel 49. It’s All In The Game. Tommy Edwards
Kapitel 50. A Certain Girl. Ernie K-Doe
Kapitel 51. I’ve Always Been Crazy. Waylon Jennings
Kapitel 52. Witchy Woman. Eagles
Kapitel 53. Big Boss Man. Jimmy Reed
Kapitel 54. Long Tall Sally. Little Richard
Kapitel 55. Old And Only In The Way. Charlie Poole
Kapitel 56. Black Magic Woman. Santana
Kapitel 57. By The Time I Get The Phoenix. Jimmy Webb
Kapitel 58. Come On-a My House. Rosemary Clooney
Kapitel 59. Don’t Take Your Guns To Town. Johnny Cash
Kapitel 60. Come Rain Or Come Shine. Judy Garland.
Kapitel 61. Don’t Let Me Be Misunderstood. Nina Simone
Kapitel 62. Strangers In The Night. Frank Sinatra
Kapitel 63. Viva Las Vegas. Elvis Presley
Kapitel 64. Saturday Night At The Movies. The Drifters
Kapitel 65. Waist Deep In The Big Muddy. Pete Seeger
Kapitel 66. Where Or When. Dion
Erstveröffentlichung als Single
(RCA Victor, 1963)
Von Danny Dill und Mel Tillis
★ ★ ★
IN DIESEM SONG BIST DU DER VERLORENE SOHN.
Gestern Abend bist du in Detroit City zu Bett gegangen. Heute Morgen hast du verschlafen, von schneeweißen Baumwollfeldern geträumt und imaginären Bauernhöfen phantasiert. Hast dir über deine Mutter Gedanken gemacht, deinen alten Papa vor dir gesehen, dir Geschichten über deinen Bruder ausgedacht und deine Schwester verklärt – jetzt willst du wieder nach Hause. Dorthin zurück, wo es nachbarschaftlicher zugeht.
Wegen der Postkarten und Junkmails, die du rausgehauen hast, halten dich alle für eine große Nummer und denken, alles ist cool und wunderbar, aber das stimmt nicht und die Schmach deines Scheiterns überwältigt dich. Dein Leben geht in die Binsen. Du bist in die große Stadt gekommen und hast Dinge über dich erfahren, die du nicht wissen wolltest, du warst zu lange auf der dunklen Seite.
Tagsüber baust du Jeeps, Limousinen und Spritfresser, nachts zieht es dich in die Cocktailbars. Wo du auch gehst und stehst, die Leute behandeln dich, als wärst du tot, überall deckst du weitere Lügen auf – wenn sie nur zwischen den Zeilen lesen könnten, dann würden sie draufkommen, ist nicht schwer zu erraten.
Du bist in einem vollen Güterzug Richtung Norden gefahren und in Detroit City gelandet, hast das große Geld gesucht, einen vergeblichen Versuch nach dem nächsten gestartet, was jedes Mal unerwartet eine schlechte Wendung nahm, und jetzt bist du erschöpft – kommt dir vor, als wärst du schon dein ganzes Leben lang hier, du verschleuderst Chancen, verpasst Chancen. Jeden Tag eine neue Dosis Gift, was sollst du nur machen?
Du wirst deine lächerliche Eigenliebe und deine Selbstgefälligkeit nehmen und zurückkehren zu dem, was dir vertraut ist, den Menschen, die zu dir halten, die du zurückgelassen hast. Du willst nach Hause, das erwartest du von dir. Du hast Durst, Hunger und ein Verlangen, du musst aufstehen und gehen, abhauen und dich verziehen. Es wird Zeit, Adios zu sagen. Du willst nach Hause, wo man dich in die Arme schließen und aufnehmen wird. Niemand wird eine Erklärung von dir verlangen. Niemand wird dich mit unnachgiebigen Fragen löchern. Du gehst dorthin zurück, wo du Ordnung in dein Leben bringen kannst, zurück zu verständnisvollen Menschen. Denen, die dich am besten kennen.
★ ★ ★
ALS DER SONG ENTSTAND, WAR DETROIT ein angesagter Ort. Neue Jobs, neue Hoffnungen, neue Gelegenheiten. Autos rollten vom Fließband direkt in unsere Herzen. Seither befindet sich die Stadt wie so viele andere amerikanische Städte auf einer Achterbahnfahrt zwischen Überfluss und Abstieg. Nach Jahren des Niedergangs sieht sie sich nun wieder neuen Bewährungsproben gegenüber. Aber die Menschen in Detroit – der Heimat von Motown und Fortune Records, dem Geburtsort von Hank Ballard, Mitch Ryder, Jackie Wilson, Jack White, Iggy Pop und den MC5 – wissen, dass Rückschläge nicht von Dauer sind, und deshalb wirken Träume wie der von Bobby Bare heute noch genauso wahr wie an dem Tag, an dem er ihn zum ersten Mal besang. Er bekommt ein komplett fiktives Leben, indem er nichts weiter tut als ein paar Briefe nach Hause zu schreiben.
Wieso denkt man, ein Sänger würde plötzlich eine Wahrheit offenbaren, wenn er in einem Song eine Geschichte erzählt?
Bobby Bare versuchte sich erstmals in den 1950er Jahren als Musiker, unterzeichnete schließlich einen Vertrag bei Capitol Records und veröffentlichte ein paar Singles, die niemanden interessierten. Danach versuchte er sein Glück als Songwriter, schrieb «The All American Boy» und nahm ein Demo für seinen Freund Bill Parsons auf. Auch Bill nahm eine Version des Songs auf, aber bei Fraternity Records, der Plattenfirma, entschied man sich für die Veröffentlichung der ersten Demofassung von Bare. Versehentlich blieb Bill Parsons’ Name auf dem Etikett stehen, so dass Bobby Bare seinen ersten Charterfolg unter dem Namen Bill Parsons feierte. Vermutlich der erste Fall von Identitätsbetrug in Amerika.
Der Song ist weniger der eines Träumers als der einer Person, die in einer Phantasiewelt gefangen ist, wo die Dinge so sind, wie sie früher mal waren. Der Hörer weiß, dass diese Welt gar nicht existiert. Es gibt keine Mutter, keinen lieben alten Vater, keine Schwester und keinen Bruder. Sie sind alle entweder tot oder gegangen. Das Mädchen, von dem der Sänger träumt, ist längst mit einem Scheidungsanwalt verheiratet und hat drei Kinder mit ihm bekommen. Wie tausende andere verließ er die Farm, zog in die Großstadt, um es zu etwas zu bringen, und ging dort unter. Deshalb funktioniert der Song.
Erstveröffentlichung auf dem Album This Year’s Model
(Radar, 1978)
Von Elvis Costello
★ ★ ★
DER SONG SPRICHT NEUSPRECH. Es ist der Song, den du singst, wenn du den Siedepunkt erreichst. Angespannt und beklommen, du bekommst ihn mit Rabatt – und noch jede Menge Krempel gratis dazu. Du dehnst den Kram so weit, bis er reißt und in eine Million Teile zerspringt. Du schaust nie zurück, du schaust nach vorne, du hast eine klassische Erziehung genossen und auch schon eine kurze Berufsausbildung hinter dir. Du hast gelernt, in jedes abscheuliche Gesicht zu schauen und nichts zu erwarten.
Du lebst in einer Welt der Romantik und Trümmer, streifst nachts durch die Straßen. Du hast Dinge erworben und Ware vertickt.
Deine Zukunft sieht nicht gerade vielversprechend aus. Du bist der entfremdete Held, der von einem schlagfertigen kleinen Teufelsweib verarscht wurde, dem heißblütigen, sexuell ausgehungerten Mädchen, von dem du so abhängig warst, die dich aber enttäuscht hat. Du hast gedacht, sie wäre der Himmel und das ewige Leben, dabei war sie nur eigensinnig und entschlossen – hat dich zu einer künstlichen und gewissenlosen Person gemacht. Jetzt bist du dort angekommen, wo du alles nur noch hochjagen, zerfetzen, abknallen wirst.
Der Song läuft sehr hochtourig. Doppelschlag, Kinnhaken und Prügel, dann nichts wie weg und die Kurve kratzen. Du hast gegen die Gebote verstoßen und herumgetrickst. Jetzt musst du klein beigeben, kapitulieren und deinen Rücktritt einreichen.
Was ist überhaupt los mit dir? Du willst alles größer machen, übertreiben, bis du es anfassen und befummeln kannst.
Wieso kommt einem das alles so unehrlich und verstohlen vor?
Wozu das ganze belanglose Gelaber und Gequatsche?
Wozu die monotone und leblose Musik, die sich in deinem Kopf abspielt?
Und was ist mit der kleinen Ziege, die nicht verschwinden will? Du willst sie verstümmeln und zerfleischen. Du willst sie leiden sehen und die Sache aufblasen, bis sie prall ist, und dann willst du dich mit deinen Händen dran vergreifen und zudrücken, bis alles in sich zusammenfällt.
Dieser Song ist gehirngewaschen und kommt mit gemeinem dreckigem Blick zu dir, er übertreibt und bläht sich auf, bis du ihn vor dir siehst und er deiner Stimmung entspricht. Dieser Song hat viele Fehler, aber er versteht es, sie alle zu verstecken.
★ ★ ★
ELVIS IST SO EINER, DESSEN FANS sich irgendwo zwischen den beiden Polen von Passion und Präzision bewegen. Einige führen so akribisch Buch über sämtliche Einzelheiten seines Lebens wie jemand, der einen Zugfahrplan erstellt, andere dagegen wissen nicht mehr über ihn, als dass er den Song gesungen hat, der bei einer besonders verheerenden Trennung im Hintergrund lief. Selten hört man ein fröhliches Hochzeitslied von ihm, dafür jede Menge Songs über Trennungen.
Kennt man die Lebensgeschichte eines Sängers, hilft einem das nicht unbedingt, einen Song zu verstehen. Angeblich fanden Frank Sinatras Gefühle für Ava Gardner Eingang in «I’m a Fool to Want You», aber das ist unerheblich. Was zählt, sind die Gefühle, die ein Song bei seinen Hörern in Hinblick auf das eigene Leben hervorruft.
Elvis Costello and the Attractions waren eine bessere Band als alle anderen zu ihrer Zeit. Lichtjahre besser. Elvis selbst war eine einzigartige Figur. Hornbrille, schräg, x-beinig und eindringlich. Er war der einzige Sänger und Gitarrist in der Band. Man konnte schlecht behaupten, er würde nicht an Buddy Holly erinnern. Er war das Buddy-Klischee schlechthin. Jedenfalls oberflächlich betrachtet. Außerdem hatte Elvis auch noch Harold Lloyd in seiner DNA. Vor «Pump It Up» hatte er offensichtlich zu viel Springsteen gehört. Und eine starke Dosis «Subterranean Homesick Blues» intus. «Pump It Up» ist gewissermaßen eine wortgewandte Stoptime-Tune mit starker Ansage, womit Elvis nichts anderes als Angriffslust auf höchstem Niveau ausstrahlte. Er war in jeder Hinsicht angriffslustig. Bis hin zu seinem Blick. Ganz egal, in welchem Dreck er lebte, als typischer Engländer oder Ire trat er stets in Anzug und Krawatte auf.
Engländer traten damals grundsätzlich in Anzug und Krawatte auf, egal wie arm sie waren. Dank ihres Kleidungsstils waren alle Engländer gleich. Anders als in den Staaten, wo man Jeans, Arbeitsstiefel und alle möglichen Klamotten trug und damit Ungleichheit zum Vorschein brachte. Wenn sie schon sonst nichts hatten, so besaßen die Briten doch Würde und Stolz und kleideten sich nicht wie Penner. Ob sie Geld hatten oder nicht. Der Dresscode im alten Britannien machte sie alle gleich.
«Pump It Up» ist so intensiv und fein herausgeputzt wie nur was. Der Song kommt auf glühenden Kohlen mit anzüglichen Blicken daher, mit himmlischer Propaganda und Verunglimpfungen, die man sowieso nicht versteht. «Torture her», «talk to her», «bought for her», «temperature» reimten sich schon lange vor Biggie Smalls und Jay-Z. «Submission» und «transmission», «pressure pin» und «other sin» rattern einfach durch. Der Song ist gnadenlos, so wie alle von Elvis aus dieser Zeit. Das Problem ist nur, danach ist man erledigt. In den Songs steckt zu viel drin, als dass man wirklich daran andocken könnte. Zu viele Gedanken und viel zu viele Wörter. Zu viele Ideen prallen aufeinander. Hier wurden sie alle in einen einzigen langen Song gepackt. Elvis ist kompromisslos in seiner Angriffslust, er versteht es, ihr in seinem Werk eine Form zu geben. Die Songs sind superschnell, und dieser gehört zu seinen allerbesten. Im Lauf der Zeit bewies Elvis, dass er ein riesengroßes musikalisches Herz besitzt. Größer als diese aggressive Musik es in sich aufzunehmen vermochte. Er machte alles Mögliche, und seinem Publikum fiel es schwer, ihn zu fassen zu kriegen.
Später spielte er Kammermusik, schrieb Songs mit Burt Bacharach, nahm Country-Platten auf, Cover-Platten, Soul-Platten, Ballett- und Orchestermusik. Wenn man Songs mit Burt Bacharach komponiert, ist einem offensichtlich scheißegal, was die Leute denken. Elvis brettert durch alle möglichen Genres, als gäbe es sie gar nicht. «Pump It Up» gibt ihm das Recht dazu.
Erstveröffentlichung als Single
(RCA Victor, 1951)
Musik von Vincent Youmans
Text von Billy Rose und Edward Eliscu
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DER TITEL DES SONGS, OHNE DEN ES auf der Welt schlechter aussähe, wird in diesem Song gar nicht genannt. Er bleibt ein Rätsel. Elvis Presley führt die erste Strophe als sinnbildlich für alles an, woran er glaubte. Die meisten hörten den Song zum ersten Mal von Perry Como.
Perry Como war alles andere als Rat Pack, er war der Anti-Frank. Unter gar keinen Umständen hätte er sich mit einem Drink in der Hand sehen lassen, und beim Singen konnte er es mit jedem aufnehmen. Seine Leistung ist einfach absolut unglaublich. Man kann nichts Kleines über ihn sagen. Allein die Orchestrierung haut einen um.
Außerdem ist Perry das anti-amerikanische Idol. Er ist das Gegenteil von angesagt, das Gegenteil von topaktuell und das Gegenteil von bling-bling. Er war schon ein Cadillac, bevor es Heckflossen gab; ein 45er Colt, keine Glock; ein Steak mit Kartoffeln, keine kalifornische Cuisine. Perry Como liefert ab. Kein geziertes Getue, keine hauchdünn über mehrere Töne gezogenen Silben.
Er kann es sich leisten, bescheiden zu bleiben, weil er alles hat, was man braucht. Ein Mann mit Blitzen in der Tasche hat es nicht nötig zu prahlen. Er geht auf die Bühne, neigt den Kopf, um die Band besser zu hören, stellt sich vor das Publikum und singt … und die Menschen vor ihm verwandeln sich, werden andere. Nicht durch die Klamotten, die er trägt, oder den Drink in seinem Glas, nicht durch das letzte Starlet, das er geküsst hat, oder den Wagen, den er fährt. Allein durch den Song, den er singt. Ohne diesen Song hat er nichts, und das hier ist der Song, den er singt.
Perry Como lebte jeden Augenblick von jedem Song, den er sang. Dafür musste er ihn nicht mal schreiben. Vielleicht war er von den Songs überzeugter als so mancher ihrer Urheber. Wenn er aufstand und sang, gehörte ihm der Song, und er teilte ihn mit anderen, wir haben ihm jedes einzelne Wort geglaubt. Was kann man mehr von einem Künstler verlangen?
Without a Song. Wenige Songs werden populär, aber ohne sie kommen wir wohl nicht aus.
Aufgenommen bei Sun Records,
1956 – unveröffentlicht
Von Jimmy Wages
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DU WILLST EIN FREUNDLICHES GESICHT sehen, ein schönes und anmutiges. Jemanden auf dem aufsteigenden Ast, eine ehrliche Haut, anständig und in guter Verfassung, jemanden an einem einladenden Ort, wo es gastfreundlich zugeht, in einer gemütlichen Kneipe mit Hausmannskost. Niemand hat es eilig, Schnelligkeit ist hier nicht das Thema, alle lassen es ruhig angehen. Dein kleines Mädchen wird dich unterstützen; sie bedient dich von vorne bis hinten und hält immer zu dir.
Aber für dich ist es die Hölle, und du schreist es allen entgegen, die es hören wollen, sie sollen dich rausholen aus diesem Garten des Bösen. Fort von den Gangstern und Psychopathen, dieser Menagerie der Feiglinge und Waschlappen. Du willst dich von dem ganzen Hokuspokus befreien. Willst dein Leben nicht mit Tagträumen verplempern, willst über Grenzen hinaus und hast sowieso schon viel zu lange gegrübelt.
Man hat dich in der Luft hängen lassen, aber jetzt ist der Weg frei, und du wirst ihn gehen, wohin er auch führt, nur raus aus diesem Tollhaus, das vor die Hunde geht. Hier wirst du unterdrückt, und du willst weg aus dieser miesen Gegend, möglichst weit weg von der ganzen Verkommenheit. Du willst auf einem Streitwagen zwischen Lichtsäulen hindurchfahren, du bist zuversichtlich, furchtlos und unerschrocken, ein zäher Hund, und du hast es so satt, all diese Steine in den Weg gelegt zu bekommen, immer nur ausgebremst zu werden. Mit Pauken und Trompeten willst du einziehen in ein fernes Reich, wo du erlöst wirst, und du gehst mit jedem mit, der bereit ist, dich aus diesem Dschungel des Schwachsinns und Oberfaulen hinauszugeleiten. Selbst wenn du wie ein Hund über die sieben Weltmeere paddeln müsstest, du würdest es tun, da kannst du drauf wetten, dein ganzes Geld kannst du setzen. Du überwindest deine Angst und löschst sie aus, Hauptsache raus aus diesem Garten des Bösen. Dieser Landschaft aus Hass und Horror, diesem undurchdringlichen Nebel, der dich mit Abscheu erfüllt.
Du willst Huckepack in eine andere Dimension einreiten, in der dein Geist und dein Körper erneuert werden. Wenn du hierbleibst, steht deine Würde auf dem Spiel, du bist kurz davor, ein mentales Monster zu werden, und das geht auf gar keinen Fall.
Du wendest dich an jemanden, bittest ihn inständig, dich hier rauszuholen. Du sprichst mit dir selbst und hoffst, nicht verrückt zu werden.
Du musst über die Schwelle treten, aber sei vorsichtig. Vielleicht musst du dich mit Händen und Füßen zur Wehr setzen, und bereits besiegt willst du dich auf so etwas nicht einlassen.
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DER SONG HAT NICHTS KÜNSTLICHES, nichts Fabriziertes oder Ausgeklügeltes. Nichts Kosmetisches oder Plastisches. Er ist die reine Lehre, und er ist abwegig. Hier gibt es keine Abstammungslinien. Der Song ist kein Witz.
Der Gitarrist klingt wie Luther Perkins an einer Gibson Les Paul, statt wie gewohnt an seiner Fender. Eigentlich klingt er genau wie das, was Luther spielen würde, er könnte es wirklich sein. Das ist eine Sam Phillips-Platte. Roh und unerschrocken wie alles, was Sam je aufgenommen hat.
Der Sänger Jimmy Wages wuchs mit Elvis im selben Viertel in Tupelo, Mississippi, auf, bis Elvis nach Memphis zog. Damals war Jimmy acht Jahre alt. Man muss sich fragen, was gewesen wäre, wäre Elvis in Tupelo geblieben und Jimmy Wages weggezogen? Und was wäre gewesen, hätte Sam Elvis zu Luther geschickt und nicht zu Scotty Moore? Scotty und Bill hätten in Johnny Cashs Band gespielt und Luther und Marshall Grant bei Elvis.
Es heißt, Sam hätte so ungefähr jeden aufgenommen, der durch die Tür spaziert kam, vorausgesetzt er war irgendwie anders, besaß Charakter und gefühlvolle Brillanz. Aber bei einer Platte wie dieser wusste Sam wahrscheinlich, dass er nicht zu weit gehen durfte. Das war keine Platte für Teenager. War es eine, mit der er zu seinem Freund Dewey Phillips, dem Discjockey bei WHBQ, gehen und sie in seiner Sendung Red Hot & Blue auflegen konnte? Wohl kaum.
Die Platte löst Panik aus. Gut möglich, dass es die erste und einzige Gospel-Rockabilly-Platte ist. Das Böse ist ein Diktator, das Böse herrscht über das Land, nenn es, wie du willst. Jimmy sieht die Welt so, wie sie ist. Im Tal herrscht kein Frieden. Dies ist ein Garten der kommerziellen Habsucht, der sexuellen Gier, der willkürlichen Grausamkeit und des alltäglichen Irrsinns. Hypnotisierte Massen und unverbesserliche Arschlöcher, der Sänger möchte davon erlöst werden, wer will das nicht?
Er will, dass Gerechtigkeit und Tugend vom Himmel herabsteigen und ihn mit sich nehmen. Das kleine Mädchen wird sein Tempo bestimmen, ein anderer wird das Duell für ihn bestreiten. Das ist so roh und Country, wie es nur geht. Elvis hätte den Song aufnehmen können, und er geht sogar noch einen Schritt weiter als Sister Rosetta Tharpe.
Erstveröffentlichung als Single
(Decca, 1953)
Von Russ Hull, Mary Jean Shurtz und Autry Greisham
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DER TYP IN DEM SONG HAT EINE GANZ SCHÖN heftige Vorgeschichte und einiges auf dem Kerbholz. Ist schon hart, an einem aussichtslosen Fall zu scheitern, einer Sache ohne Sinn und Zweck, bei der nie etwas drin war, es ist eindeutig falsch von Anfang bis Ende, der Mann ist mental festgenagelt. Er muss sich rechtfertigen und sein gesamtes Dasein verteidigen, er wurde von Politikern daheim betrogen, enttäuscht und verraten. Von Abgeordneten und Angehörigen der eigenen Regierung hintergangen. Er kann sich nicht erinnern, je eine Seele gehabt zu haben, und wenn, dann liegt sie längst tot auf dem Grund eines Sees.
Er hat gekämpft wie ein Wilder, sein Bajonett in Babybäuche gestoßen und alten Männern die Augen ausgestochen. Er ist dem menschlichen Geist untreu geworden und hat Priester ermordet. Vor Jahren schon verlor er seine Unabhängigkeit. Er lebt von Rationen und hat Degeneriertes und Dämonisches verbrochen. Er steckt den Kopf in nächtliche Träume und sieht Heimatschüsse und Purple Hearts. Die eigenen Reihen aufgerieben. Er trommelt Alte, Frauen und Kinder zusammen, zündet ihre Hütten an und richtet sein Maschinengewehr auf sie. Er sieht schemenhafte Gestalten in schwarzen Schlafanzügen und mit Kegelhüten. Er sieht einen zweijährigen Jungen und bringt ihn um, sieht, wie seine Kumpels ein kleines Mädchen mit einem Messer aufschlitzen, sie reißen ihr die Kleider vom Leib und vergewaltigen sie, dann erschießt sein geiler Kumpel sie mit der Automatik.
Jetzt ist er wieder zuhause, hat Granatsplitter in den Armen und Beinen – Moskitostiche, sagt er sich. Er steht in einem überfüllten Raum, der Schänke im Grünen, und er schaut sich um, er ist vom Feind umzingelt, es ist die Stunde null.
Dies ist eine rituelle Feier, bei der er als Held geehrt wird. Er verlangt vom Kellner, er möge ihm das Glas randvoll einschenken. Das ist es. So ist es. Es hätte auf keinen Fall irgendwie anders sein können.
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WEBB MAG WIE EIN FROMMER MANN GESUNGEN HABEN, angezogen hat er sich für die Honkytonk-Bühne. Ein ukrainischer Jude namens Nuta Kotlyarenko, der wie viele andere vor den Pogromen im zaristischen Russland in die Vereinigten Staaten geflohen war, kleidete ihn ein. Als junger Mann ging Nuta allen möglichen Beschäftigungen nach, er versuchte es mit dem Boxen und der Schauspielerei, fand eine Frau in Minnesota und zog Anfang der dreißiger Jahre mit ihr nach New York, wo sie gemeinsam ein Unternehmen gründeten und dekorative Mieder für Showgirls fertigten.
Wenig später nannte sich Nuta Nudie, verließ New York und ging nach Hollywood, wo er seine Begabung zur Geltung brachte, indem er Tänzerinnen Strasssteine auf die Höschen nähte und Hillbilly-Stars mit spektakulär bunten Anzügen ausstaffierte, die deren Fans von Nashville bis Bakersfield elektrisierten. Porter Wagoner verpasste er Planwagen, und Webb Pierce bekam Spinnennetze. Hank Williams wurde mit Musiknoten übersät und Elvis Presley mit Goldlamé.
Wie so häufig, wenn Menschen sich neu erfinden, sitzt der Teufel im Detail. Anscheinend gab es einen kleinen Zusammenstoß mit dem Gesetz, Nudie wurde wegen Drogenschmuggel zu einem kurzen Gefängnisaufenthalt verurteilt. Als später Gram Parsons, der einer Generation angehörte, die sich einbildete, das Drogennehmen erfunden zu haben, bekifft und kichernd bei Nudie hereinschaute und einen Anzug mit Drogenthema bestellte, kann man sich lebhaft vorstellen, wie sehr Nudie sich darüber amüsiert haben muss. Ein paar Leute rechts von «Okie from Muskogee» wunderten sich, dass Nudie bereit war, den Anzug zu nähen, aber wenn er eins war, dann praktisch veranlagt, und solange Grams Dollars so grün waren wie sein Gras, bekam er auch einen Anzug dafür.
Country Music war das einzige, das Nudie mehr liebte als Geld. Sein Laden war eine Oase und ein Treffpunkt der größten Namen, alle stellten sich auf die kleine Bühne dort und spielten. Als George Jones auf eine Anprobe bei Manuel Cuevas wartete – Nudie hatte Sinatra seinen persönlichen Schneider ausgespannt, der Nudie erst verließ, als er sich von dessen Tochter scheiden ließ –, borgte er sich eine akustische Gitarre und stellte zum ersten Mal «The Grand Tour» vor. Little Jimmy Dickens testete hier das Material, das er am Wochenende in der Opry zum Besten geben wollte. Einheimische Bands hofften, von einem großen Namen gehört und als Vorgruppe engagiert zu werden. Und wenn niemand da war, der spielen wollte, stellte Nudie sich selbst mit den ungleichen Stiefeln, die sein Markenzeichen waren, und seiner Cowboy-Kippa hin, spielte zaghaft Mandoline und sang die Lieder, die er liebte.
Nudie kleidete vier US-Präsidenten und zwei Päpste ein. Zwei Oscar-Preisträger nahmen ihre Trophäen in Nudie Suits entgegen, Neil Armstrong wurde in einem beerdigt.
Nudie liebte Webb Pierce, den extravaganten singenden Pfingstkirchler aus den fünfziger Jahren, dessen kräftige Tenorstimme ebenso auffiel wie seine paillettenbesetzten Anzüge.
Der Star dieses Songs ist das leere Glas Bourbon, was auf demselben kaputten Gitarrensound aufbaut, den man auf Platten von Hank Williams hört, und der magische, leer angeschlagene Akkord.