Die Rückkehr der Körperfresser - Kathrin Röggla - E-Book

Die Rückkehr der Körperfresser E-Book

Kathrin Röggla

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Beschreibung

Wir wollen dabei sein, und zwar in der ersten Reihe. Die Katastrophenlust prägt unsere Wahrnehmung, unsere Ängste, unser Denken und Handeln. Wir verlassen uns auf sogenannte Experten, und auch die Politik fragt danach, wie es im Drehbuch weitergeht. Kathrin Rögglas Essay analysiert diese unsere Gegenwart. Der Text entstammt dem Band ›besser wäre: keine‹, der Essays und Theaterstücken versammelt, die unsere Realität – Wirtschaftskrisen, Medien-Hysterie, private Paranoia – sezieren.

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Seitenzahl: 23

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Kathrin Röggla

Die Rückkehr der Körperfresser

Essay

Fischer e-books

Die Rückkehr der Körperfresser

Im Geschehen

Gehen wir ein bisschen näher ran, sehen wir uns dieses Szenario genauer an! Wir wollen es richtig sehen, explizit. Ich spreche nicht von »Menschenmassen, die in panischer Angst über eine Brücke fliehen, vorangetrieben von zahlreichen Polizisten, die, wenn es sich um einen japanischen Film handelt, blendend weiße Handschuhe tragen, übernatürlich gelassen sind und in einem synchronisierten Englisch ›Weitergehen. Kein Grund zur Beunruhigung‹ rufen«,[1] wie Susan Sontag 1965 in ihrem berühmt gewordenen Essay über die Katastrophenlust schreibt, wir wollen richtig dabei sein. Das herrische Präsens der Katastrophenerzählung ist längst in uns gedrungen. Und vor allem wollen wir sehen, auch wenn sich das Sehen verändert hat, es hat etwas Fahriges, Taktiles bekommen. Wir wollen abscannen, erfassen und doch eindringen, wenn wir zuschauen. Was so viel ist, wie dabei sein, und zwar in der ersten Reihe.

Susan Sontag kann noch vom Film reden, als wäre er eine eigene Sphäre, wir heute müssen davon ausgehen: Filme ziehen ihre Fäden, sie lassen uns längst nicht mehr allein, graben sich tiefer in die realen Vorgänge, als wir es selbst noch vermögen, bestimmen unseren Alltag, unsere Politik, unsere Medien. »Es ist nicht das Ereignis, das nach Verstehen verlangt, sondern Bilder, die nach Gegenbildern verlangen, eine Drehbuch-, eine Montage-Konzeption erfasst uns«,[2] schrieb Georg Seeßlen über den elften September. Godfather Baudrillard berichtete gar von der Geiselnahme des Ereignisses durch das Bild, die er wahrgenommen habe,[3] und bei Philipp Sarasin kann man sogar über den Einfluss des Katastrophenromans »The Cobra Event« von Richard Preston auf den Umgang der US-Politik mit Bio-Terror nachlesen.[4] George W. Bush, so erzählte mir der Essayist Eliot Weinberger, habe in jenen Tagen nach dem elften September Drehbuchautoren eingeladen, um zu erfahren, wie die Story weitergehe.

»What’s the plot?«, ist ja auch andauernd zu fragen, vielmehr: Wie heißt das Drehbuch, das uns frisst? Der Name ist uns entfallen, aber wir wissen, dass es äußerst gierig geworden ist, wir wissen: Von diesem Film kommen wir nicht mehr runter. Es ist ein Vampirismus des Fiktionalen in Gang gesetzt, alles wird infiziert, mit hineingezogen in eine fiktive Drehschraube, in die weniger die einzelnen Dinge geraten als vielmehr deren Zusammenhang. In Pattern und Erzählstrukturen findet das vampiristische Werk Ausdruck. Nur leider ist dieses Drehbuch, das uns frisst, ein Genre-Drehbuch, das heißt in eine Wiederholungsstruktur eingespannt, die medial erzählte Katastrophe verweist immer auf eine vorgängige und auf eine nächste, die Klimakatastrophe auf die Schweinegrippe, die Finanzkrise auf die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Und leider ist das Genre selbst so ziemlich auf den Hund gekommen.