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Kathrin Röggla

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Beschreibung

Die Katastrophe ist eingetreten. Sechs Menschen, Medienmenschen, reagieren auf den 11. September. Kathrin Röggla lässt in diesem Stück Geschichten, Positionen, Bilder aufeinanderprallen, die von unseren Ängsten, Mythen und Sehnsüchten erzählen. Der Text ist enthalten in dem Band ›besser wäre: keine‹, der Essays und Stücke versammelt, die politisches Denken und radikales Sprechen zusammenführen.

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Seitenzahl: 62

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Kathrin Röggla

fake reports

Theater

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fake reports

sie arbeiten hier wieder einmal zusammen: präsenzmaschinen (1 und 2), medienmaschinen (3 und 4) und mythenmaschinen (5 und 6). sie könnten fotografen, broker, moderatoren, kabelträger, pr-menschen, journalisten, politiker sein, wobei man sagen muss, alles eher im kleinformat. trotzdem: sie haben etwas mit den medien zu tun, aber auch haben umgekehrt die medien mit ihnen zu tun – und rhetoriken, formate, gesten, narrative strukturen sind für sie genauso bestimmend wie mentalitäten, politische haltungen oder auch kulturalismen und nicht zuletzt die ganz banalen alltagszwänge. sie sind uns also ähnlich. sie versuchen sich zurechtzufinden, betreiben mimikry an dem, was sie nicht verstehen. sie sind also überfordert.

I.»situation room« (misslingendes wohnzimmer)

1.live sein!

1

überhaupt wolle er jetzt nichts mehr wissen.

2

ja, sie wolle sich auch betrinken, und sie wolle eigentlich auch nichts mehr wissen.

1

warum sie dann dauernd das fernsehen laufen habe?

2

man müsse doch erfahren, was da draußen los sei.

1

sie sagten einem ja nichts.

2

und doch: man müsse doch wissen, wenn wieder was los sei, habe sie sich gesagt.

1

und er habe gesagt: ich betrinke mich jetzt.

2

und sie? sie habe dann doch eher nüchtern bleiben wollen. sie habe die allgemeine hysterie nicht an sich spüren wollen.

1

sie habe sich eben gesagt: ich bleibe nüchtern.

2

nachdem er gesagt habe: ich betrinke mich jetzt.

1

nachdem sie gesagt habe: oh my god, oh my god, oh my god.

2

nachdem er gesagt habe: scheiße, die ganze sache kommt runter.

kurzes schweigen.

3

irgendwann vorher habe man begonnen, wahllos loszufotografieren.

4

man sei schon eine ganze weile wahllos vor den wohnblocks herumgestanden, und plötzlich habe man begonnen, wahllos loszufotografieren.

3

eben habe man noch keine bilder gemacht, und plötzlich habe man dann begonnen, bilder zu machen.

4

nachdem man schon eine ganze weile vor den wohnblocks gestanden sei mit all den anderen leuten und in die richtung geglotzt habe und sich darüber beschwert habe, dass die anderen leute fotos davon machten.

3

man habe sich zusammen darüber beschwert, bis man angefangen habe, selber fotos zu machen.

4

man habe ja eher wegfotografiert als fotografiert, man habe sich eher weginformiert als informiert.

kurzes schweigen.

5

was hätte man denn sonst auch machen sollen?

6

telefonieren!

5

ja, immer anrufen.

6

aber wen anrufen?

5

egal, jeden, jeden hätte man anrufen können.

6

alle hätten versucht zu telefonieren. ein jeder habe praktisch versucht zu telefonieren. auch sie hätten versucht zu telefonieren. doch niemanden habe man erreichen können, weil alle leitungen tot gewesen seien.

5

eine stimme sagte: due to a hurricane … due to heavy calling, your call can not be completed.

6

egal. man habe es trotzdem immer wieder versucht.

5

bevor man eine ganze weile wahllos durch die stadt gelaufen sei und ebenso wahllos bilder gemacht habe. bevor man doch bloß wieder angekommen sei vor den wohnblocks.

2.einen zentimeter abstand nehmen

2

eher sagen: das hast du jetzt aber im tv gesehen. das hast du jetzt aber wirklich im tv gesehen.

1

und das doch nicht entscheiden können.

2

beginnen zu sagen, dass man es im tv gesehen hat. beginnen zu überlegen: wo jetzt? schließlich sei man dabei gewesen.

1

sich unterbrechen, neue überlegungen anstellen: man werde sich dann beispielsweise darüber unterhalten, ob es die medien in den griff gekriegt hätten.

2

ja, nachher könne man sich immer streiten, ob die medien es in den griff bekommen hätten oder nicht. jetzt stecke man ja noch drin. nachher werde man eine neue vorstellung von dem geschehen entwickeln, noch aber komme man nicht raus. man komme ja aus der ganzen situation nicht raus.

1

ach, das werde man erst später sagen. jetzt werde man sich eher überlegen, ob man sich an die militärgeräusche gewöhnen könne: »ja und nein« sagen.

2

man werde sich schon an die militärgeräusche gewöhnen. jetzt falle es eben noch auf, der ständige emergency-lärm.

1

das kreisen der hubschrauber kenne man ja schon aus normalen zeiten.

2

ein teil des stadtlärms sei ja immer schon militärgeräusch gewesen, nur habe man das nicht mitgekriegt. man habe eben mit der abwesenheit von militär im eigenen land gerechnet.

1

aber jetzt wüssten es alle.

2

und doch fielen die geräusche unangenehm auf. sie werden und werden vom stadtlärm nicht verschluckt.

1

man werde es bald vergessen. bald habe man sich daran gewöhnt.

2

apropos, sie habe ja ziemlich angst.

1

er habe auch angst.

2

das seien die fragen, die sich im augenblick stellen würden: ob man jetzt wieder rausgehen könne oder nicht?

1

ob man jetzt schon u-bahnfahren könne oder nicht? die stadt verlassen?

2

ja, ob man die stadt verlassen solle. ob es nicht gescheiter wäre, aufs land zu fahren.

1

ob man leitungswasser trinken könne oder nicht?

2

und: kann man schon nüchtern bleiben?

1 schaltet den fernseher ein, schaltet ihn wieder aus.

1

sieht nicht so aus.

2

aber umgekehrt betrinken gehe auch nicht. klappe irgendwie nicht.

1

was bleibe dann übrig?

2

telefonieren!

kurzes schweigen.

1

überhaupt solle sie mal versuchen, runterzukommen.

2

und er solle mal aufhören, so gespräche zu führen.

1

sie habe doch partout dieses gespräch über die möglichkeit einer ansteckung angefangen!

2

aber er habe vorher ein gespräch anfangen müssen: dass gewisse dinge jetzt nicht voraussehbar wären – und überhaupt: wer habe schon wieder über das trinkwasserreservoir der stadt sprechen müssen. wer über zugänge, aerosole, u-bahnausgänge, bahnsteige.

1

und sie? müsse sie wieder die panikeinkäuferin machen? was sie schon wieder alles gekauft habe!

2

im geschäft sei die hölle los gewesen: auf der einen seite die panikeinkäufer, auf der anderen habe es leute gegeben, die hätten nur eine geburtstagskarte gekauft, oder ein sixpack! man stelle sich vor: ein sixpack, eine geburtstagskarte! ja, zwischen den menschen mit den wasserkanistern, die menschen auf der suche nach einem nagellack!

auch im geschäft hätten sie ständig das radio laufen gehabt, und man habe sich dauernd diese geschichten anhören müssen.

1

trotzdem: jetzt einmal runterkommen, das hätten sie doch beide beschlossen.

2

ja, das wäre eine vernünftige herangehensweise. denn trinken, nicht trinken, das seien doch letztendlich keine echten optionen.

1

habe sie gesagt.

2

habe er gesagt: und es dann doch gemacht.

kurzes schweigen.

1

na, er müsse schon zugeben, er hätte sich ja für nüchterner gehalten. ja, er hätte doch gedacht, da sei weitaus mehr nüchternheit in ihm drin, und doch habe er feststellen müssen, dass er wohl seine sinne nicht mehr ganz beisammen habe.

2

und sie, sie wisse jetzt oftmals nicht, ob sie etwas mit eigenen augen gesehen habe oder nicht. sie sage jetzt mal, das sei für sie nicht mehr feststellbar.

1

aber sie wisse ja auch nicht, ob sie wirklich angst gehabt habe, bzw. sie habe eben nicht gewusst, ob sie angst hätte haben sollen oder nicht.

2

in der situation reagiere man eben einfach. erst dann schließe sich dieser zustand an, in dem man ein bewusstsein entwickeln könne und man nicht wisse, ob man weiter angst haben solle oder nicht.

1

wird man auch erst später sagen.

2

jetzt sei sie ja eben noch u-bahn gefahren. zum ersten mal wieder u-bahn. daran habe man sich erst wieder gewöhnen müssen. man fahre im moment ja auch nicht nur u-bahn, man fahre im moment mit einem u-bahnschweigen u-bahn. d.h., man bewege sich quasi nicht nur durch die stadt, sondern durch ein u-bahnschweigen durch und durch die stadt. 30, 40 leute hätten in dem u-bahn-wagen geschwiegen, habe sie eben erlebt.

sicher, werde er jetzt sagen, in der u-bahn werde doch meist geschwiegen. doch diesmal sei es anders gewesen. auch dieses u-bahnschweigen lang habe man jedenfalls nicht gewusst: soll man angst haben oder nicht. aber man habe sich einfach kollektiv geweigert, angst zu haben. einer habe einen scherz gemacht, zwei haben sich zugenickt, der rest habe aufgeatmet.

1