1,99 €
Städte werden zu Katastrophen-Orten, in den Nachrichten, in Hollywood-Filmen, in unserer Wahrnehmung. Kathrin Röggla geht dieser Verbindung von Großstadt und Alarmierung in Filmen, Büchern und unserer täglichen Erfahrung nach. Der Text entstammt dem Band ›besser wäre: keine‹, der Essays und Theaterstücke versammelt, die unsere Gegenwart kritisch und literarisch, radikal und lustvoll durchleuchten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 23
Kathrin Röggla
Geisterstädte, Geisterfilme
Essay
Fischer e-books
Die Erdölförderungsanlage in der Nähe des Flughafens. Die Raffinerien hinter ihm. Der Wasserspeicher in jenem dicht besiedelten Seitental. Die Trinkwasseraufbereitungsanlage, die großen Bürotürme in der Innenstadt, der Küstenabbruch im Westen, das U-Bahn-System. Der Staudamm, der nur fünfzig Kilometer entfernt liegt. Die Brücke. Und natürlich Shoppingmalls, Flughäfen, Bahnhöfe.
Es ist so. Mich faszinieren Katastrophen. Also in Filmen, Katastrophenfilmen, aber auch in der Berichterstattung über real sich vollziehende Katastrophen vorzugsweise auf dem nordamerikanischen, seltener dem europäischen Kontinent. Sei es aus Sehnsucht nach einer kathartischen Erfahrung oder aus einem aggressiven Verlangen heraus, im Ausnahmezustand die bestehende Ordnung gleichzeitig negiert und auf die Spitze getrieben zu sehen. Oder ganz einfach, weil ich mit dem Phantasma der Atomkatastrophe aufgewachsen bin und mich in diesem Genre quasi zu Hause fühle. Als Katastrophenfilmgängerin weiß ich jedenfalls: Diese Filme sind Stadtfilme. Man denke an Hollywoodproduktionen wie »War of the Worlds« (2005), The »Day after Tomorrow« (2004), »Independence Day« (1996) oder »Deep Impact« (1998), die eine Großstadt als Schauplatz des Untergangs gewählt haben. Diese fiktive Katastrophe bewegt sich meist von außen auf die Metropolen zu und löst deren Untergang und eine Fluchtbewegung der in ihr lebenden Menschen aus, die man mitvollzieht. Und so lässt der Plot die Überlebenden aus dem kollabierenden Moloch fliehen, weg von den Zentren der Verwaltung, der Finanz- und Medienindustrie durch eine bizarre Vorortstimmung, eine Stadtlandschaft, die aus verlassenen und beschädigten Häusern besteht, aus verunstalteten Wohn- und ein wenig später Gewerbegebieten, durch Reste dysfunktionaler Infrastruktur – bis sie nicht selten am Ende ganz auf dem Land ankommen, von dem sie sich ein Überleben versprechen. Ganz anders verhält es sich bei postapokalyptischen Filmen wie »28 Days Later« (2002) von Danny Boyle oder, noch expliziter, »Wolfzeit« (2003) von Michael Haneke, in denen die filmische Erzählung gleich auf dem Land einsetzt und klar ist, die sogenannte Katastrophe hat längst stattgefunden und frisst sich für immer fest. Und so kann auch das Schlussbild, ein starrer Blick aus dem fahrenden Zug in die vorbeiziehenden Wälder hinein, nur eines erzählen: Dieser Zug wird nirgendwo ankommen, die Städte und damit die Zivilisation sind ausgelöscht, jetzt herrscht roher Naturzustand, der Kampf aller gegen alle, in dem chauvinistische Bandenzusammenschlüsse das einzige soziale Band hergeben. Konnte man in den Atomkriegsfilmen der Siebziger und Achtziger noch mehreren sozial heterogenen Helden und Heldinnen, repräsentativ für die bestehende Gesellschaft, bei diesem Überlebenskampf in einer Vielzahl von mehr oder weniger gleichberechtigten narrativen Strängen zusehen, so wird in den gegenwärtigen Produktionen hauptsächlich die eine