wir schlafen nicht - Kathrin Röggla - E-Book

wir schlafen nicht E-Book

Kathrin Röggla

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Beschreibung

Kathrin Rögglas vielstimmiges und rasantes Porträt unserer rastlosen Arbeits- und Lebenswelt: Sie schlafen nicht. Ob Unternehmensberater, Online-Redakteur oder Key Account Managerin: Sie schlafen nicht. Denn es geht um Organisation, um Content, um Kommunikation, vor allem aber um die eigene Identität. Auch hier auf dieser Messe, wo sie gerade stehen, mit dieser Frau, die ihnen Fragen stellt. Und so reden sie, reden über ihr Leben mit der Droge Arbeit, über Hierarchien, über Erfolg und Privatleben. Sie erzählen von unserer Arbeitswelt - von Überidentifikation, Konkurrenz und Pleiten. Das Gespräch gleicht einer Stunde der Offenbarung: Die Business Analysten analysieren sich selbst. Kathrin Röggla hat für diesen Roman zahlreiche Interviews mit Consultants, Coaches, Programmieren und Praktikanten geführt. Sie hat diese Gespräche zu einem fiktiven Kosmos verwoben, der zugleich fremd und erschreckend vertraut erscheint. Ein außergewöhnlicher Roman, der einen bestechend scharfen Blick auf das Berufsleben wagt. Ein Porträt der Menschen in unserer Gesellschaft, von denen man sagt, dass sie unsere Gegenwart gestalten - einzigartig in der deutschsprachigen Literatur.

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Kathrin Röggla

wir schlafen nicht

Roman

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Inhalt

Personen0. aufmerksamkeit1. positionierung2. die messe (die praktikantin)3. betrieb (die key account managerin und der it-supporter)4. standards (der it-supporter)5. life-style (der senior associate)6. gestern (der it-supporter und die key account managerin)7. der mckinseyking (die key account managerin)8. harte bwl (der partner und der senior associate)9. pleiten10 privatleben11. aussprechen dürfen (der partner)12. erst mal reinkommen (die praktikantin)13. märchen erzählen (die key account managerin, der senior associate und der it-supporter)14. politikbesuch (der partner)15. ausreden (die online-redakteurin)16. unheimlichkeit (die key account managerin und der it-supporter)17. runterkommen18. das gerät (der partner und der senior associate)19. anpassen (die online-redakteurin und die key account managerin)20. schmerzvermeidung21. rauskommen (die praktikantin)22. sicherheitscheck (der it-supporter und die key accountmanagerin)23. auszeit nehmen!24. wir schlafen nicht25. schock26 koma (die online-redakteurin und der it-supporter)27. gedächtnis28. gespenster29. exit-szenarium30. erinnerung31. streik32. wiederbelebung (ich)

silke mertens, key account managerin, 37

nicole damaschke, praktikantin, 24

andrea bülow, ehemalige tv-redakteurin, jetzt online-redakteurin, 42

sven, nein, nicht it-supporter, 34

oliver hannes bender, senior associate, 32

herr gehringer, partner, 48

0. aufmerksamkeit

das sei doch nicht interessant. konfliktbeauftragter in sachen israel/palästina, das wäre es. oder diplomaten: französische, amerikanische, britische. generalbeauftragte eben. solche solle man mal fragen, das wäre doch interessant. oder politiker. menschen der internationalen politik. nicht unsere politiker, unsere hauspolitiker, haushaltspolitiker. nein, menschen, die gar nicht so sehr in erscheinung träten, zumindest zunächst, aber in wirklichkeit die fäden zögen.

 

– oder diese waffeninspekteure.

– herr blix.

– ja, herr blix in bagdad beispielsweise. oder noch nicht in bagdad. oder schon wieder dort.

– oder menschen, die den atomwaffenhandel organisieren. das muß einen doch interessieren so als journalistin.

– ach, keine journalistin? was dann?

1. positionierung

die online-redakteurin: also das reden sei schnell gelernt, »das haste hier ziemlich schnell drauf!« da sei ja schließlich nichts außergewöhnliches dran, fast hätte sie gesagt »unmenschliches« – nein, mit dem reden habe sie auch nie probleme gehabt, d.h. am anfang schon, am anfang habe sie den eindruck gehabt, sie werde nie ihre schüchternheit überwinden, da habe sie einfach viel zuviel respekt gehabt, so vor den leuten, so vor den situationen. sie habe dann immer gedacht, die merkten ihre unprofessionalität, dabei bemerkten die ihre unprofessionalität überhaupt nicht. die seien nämlich meist so mit ihrer eigenen unprofessionalität beschäftigt gewesen, denn so ganz professionell seien die wenigsten, aber das habe sie erst später verstanden.

ja, am anfang sei sie schon mal ins stocken geraten, nur mit der zeit komme man eben drauf, wie man so vorankomme im gespräch, bis es »läuft«, und irgendwann falle es einem auch nicht mehr auf, »irgendwann merkst du nicht mehr, daß du am reden bist«, und es dürfe einem auch nicht mehr auffallen, denn sonst entstünde ja so ein leichtes delay, und das könne man natürlich nicht gebrauchen, dieses delay –

und doch: »irgendwann findest du dich vor geschäftsführern und vorstandsvorsitzenden wieder und hast ganz vergessen, daß du mit denen am reden bist.« eigentlich sei es bei ihr wie von selbst gegangen, daß sie profi geworden sei. nur manchmal noch müsse sie sich am anfang einen kleinen ruck geben und sagen: »ja, man kann mit den leuten reden.«

*

ob das jetzt das interview sei? »ist das jetzt das interview«, um das gebeten worden sei?

 

ja, er sei herr gehringer, nur, er wolle da schon sichergehen, daß er sozusagen beim richtigen termin gelandet sei, nicht, daß ihm da einige dinge durcheinanderkämen. und er wüßte auch gerne, mit wem er es zu tun habe, dann könne man ruhig mit den fragen losschießen –

 

»also schießen sie los!«

 

ja, jetzt könne man anfangen, er sei bereit, er sei zu allem bereit (lacht), na ja, zu fast allem (lacht).

*

der senior associate: man solle ihn ruhig warnen, wenn er mit zu vielen anglizismen um sich schmeiße, das gehe bei ihm nämlich schon automatisch. manchmal merke er gar nicht mehr, in welchem fachjargon er wieder einmal rede und was für vokabular er wieder rauslasse. das passiere schnell, daß man für außenstehende einfach nicht mehr verständlich sei. gerade an einem ort wie diesem, wo man doch sehr viel mit kollegen spreche.

aber die unverständlichkeit sei ja genau einer der gründe, warum es überhaupt beratungen gebe – weil die unterschiedlichen bereiche eines unternehmens oftmals nicht richtig kommunizierten, und weil die problemlagen so komplex geworden seien, da bedürfe es immer öfter eines blickes von außen – aber ob man überhaupt schon reden könne, ob das band schon laufe?

 

gut: nach außen hin herrsche ja mehr das bild des beraters vor, der die bösen sachen sage. der sage: »ihr braucht weniger leute, ihr seid ineffizient.« und das sei ja auch richtig, das werde natürlich auch gemacht. »als berater schickst du deine sturmtruppen da rein, d.h. wir gucken uns all eure geschäftsfelder an, wirklich topdown, unterlegen alles mit zahlen, und dann gucken wir mal, ob wir neue geschäftsfelder aufreißen können oder ob wir geschäftsfelder kippen müssen, weil sie einfach nicht rentabel sind. und dann sitzt da der kleine business-analyst und rechnet sich das aus.«

 

er sei herr bender, hannes bender, oder oliver, »wie sie wollen.«

*

– geht’s los?

– läuft das ding?

– kann man schon reden?

*

die key account managerin: ja, sie könne schon sagen: diesen planeten habe sie auch einmal betreten, diesen planeten habe sie sogar bewohnt für eine weile, sie kenne diesen planeten durchaus, habe aber dann von ihm abstand genommen, denn sie habe festgestellt, er sei nicht ohne bleibende wirkung auf sie gewesen, das habe sie festgestellt. sie habe aber mit sich in kontakt bleiben wollen, und so habe sie diesen planeten eben wieder verlassen müssen, und zwar schnurstracks. das sei dieser agenturplanet gewesen, das sei ihre agenturvergangenheit gewesen, und sie müsse sagen: sie bereue da nichts. ihr tue es nicht leid, daß sie da nicht mehr sei, daß sie in der branche nicht mehr wäre. sie habe hier auf der messe ja ehemalige kollegen getroffen, und sie müsse sagen, denen gehe es gar nicht gut. die stimmung sei ja insgesamt ziemlich schlecht, aber die werbebranche, die habe es am meisten getroffen.

*

die praktikantin: trotzdem: so eine agenturvergangenheit wie frau mertens hätte sie schon gerne gehabt oder zumindest eine medienvergangenheit, aber sie habe keine agenturvergangenheit und schon gar keine medienvergangenheit. sie sei auch erst eben zurückgekommen. sie sei ja eine weile weggewesen, da könne sie auch gar keine vergangenheit haben. sie wäre expo-tauglich, habe man ihr vor drei jahren gesagt, sie solle auf die expo gehen. sie sei aber nicht auf die expo gegangen, sie sei ja nach amerika, was vielleicht ein fehler gewesen sei. denn jetzt renne sie die ganze zeit mit ihrer amerikavergangenheit herum, wo sie die doch nicht brauchen könne, weil praktikumsstellen würden für eine amerikavergangenheit nicht ausgeschrieben, ja, jetzt würde nur eine agenturvergangenheit was zählen oder zumindest eine unspezifische medienvergangenheit. d.h. eine unspezifische medienvergangenheit wäre auch zu wenig, denn heute brauche man schon spezielle skills, nicht nur sogenannte »soft skills«, nein, spezifische und dazu konkrete erfahrungswerte. aber wie die bekommen, wenn es schon schwierig sei, auch nur eine praktikumsstelle zu finden. ja, es sei schon schwierig genug gewesen, diese stelle hier auf der messe zu bekommen, obwohl das ja nur mehr so ein unbezahlter organisationsjob sei – saftholen, standorganisation und so kram.

*

der it-supporter: nein, er wolle nicht der techniker sein, wenn man ihn so frage, doch wer frage heutzutage noch nach. lieber liefen sie alle davon, lieber machten alle die flatter, wenn es einmal zu einem problem komme, und er stünde dann allein da. aber er komme immer in diese rolle rein – kaum funktioniere was nicht, werde er gerufen. auseinandersetzen wolle sich niemand mit dem problem. dafür habe man ihn ja, heiße es dann, und hernach könne man denen dann alles erklären, ja nachher könne man denen alles doppelt und dreifach erklären.

*

die key account managerin: sie habe ja nullkommanull ahnung von betriebswirtschaft gehabt –

der senior associate: »anfangs war auch klar, daß man blöde fragen stellen durfte« –

die key account managerin: sie habe gleich mit dem controller zusammenarbeiten müssen. sie habe vorher gar nicht gewußt, was controller seien, bzw. hätten die für sie ein rein negatives image gehabt.

der senior associate: anfangs würden einem schon viele begriffe an den kopf geworfen, die man nicht kenne –

»mit denen mußt du erst mal umzugehen lernen.«

die key account managerin: sie sei ja quereinsteigerin, komme aus der verlagsbranche. presseabteilung. jetzt sei sie im grunde vertriebsfrau, d.h. eine art von vertriebsfrau. sie sei eigentlich zuständig für den kundenkontakt, aber da sie ja »b2b« machten, also »business to business«, müsse man sie als vertriebsfrau bezeichnen.

der senior associate: »nein, so läuft es nicht. wenn du es auswendig lernen mußt, dann brauchst du gar nicht erst anzufangen.« aber auch er finde es ganz schön absurd, das ganze wording.

*

die online-redakteurin: oft sei es ihr natürlich unangenehm gewesen zu sagen: »ich arbeite bei sat1.« das sei ihr manchmal echt schwer über die lippen gekommen. obwohl dort eine nette arbeitsatmosphäre herrsche und sie eigentlich auch immer mit netten leuten zusammengekommen sei, von denen man auch nie gedacht hätte, daß sie bei so einem sender arbeiten würden. aber die arbeiteten eben da, nur erzählten sie es wahrscheinlich nicht herum, und so komme man erst gar nicht auf den gedanken.

aber ja, sie müsse schon sagen, sie habe da sehr viele, sehr interessante, aus unterschiedlichen richtungen kommende menschen kennengelernt, und letztendlich sei es eben auch nicht so furchtbar schlimm, bei diesem sender zu arbeiten. dazu kämen noch die sozialleistungen, die einem da geboten würden. das würde man sich ja auch nicht denken, daß ein sender wie sat1 gute leistungen und eine entspannte struktur böte. also freie tage, die man umsetzen könne, flache hierarchien und eben unheimlich gute leistungen. also letztendlich sei es keine so schlechte sache, wie man von außen vermuten würde, aber trotzdem klinge es selbst in ihren ohren noch merkwürdig, wenn sie sich da sagen höre: »ich arbeite bei sat1.«

*

der senior associate: anfangs sei er da ja mehr rangegangen mit der haltung – »sozusagen«: das sei ja nicht er, der den job mache. er spiele vielmehr eine rolle, er spiele vielmehr mit und schaue sich das sozusagen an. oder eine art experiment, das er mit sich durchführe, unter dem motto: mal sehen, wie sich diese welt so anfühlt. das sei eine haltung, die man so nicht durchziehen könne. er würde sagen, nicht länger als zwei wochen durchhalten könne, weil das eben ein job sei, der einen 100 % fordere. man könne nicht 16 stunden am tag arbeiten und dem team gegenüber eine emotionale schranke haben, das ginge nicht. zumindest bei ihm nicht. möglicherweise könnten das andere, aber er sei nicht der typ, der 24 stunden eine rolle spiele, nein, das sei er nicht.

2. die messe (die praktikantin)

aber ob es wirklich das erste mal sei? sie meine, ob es wirklich das erste mal sei? sie könne es kaum glauben. sie habe ja noch nie jemand getroffen, der nicht schon mal auf dieser messe hier gewesen wäre.

 

»was? noch auf überhaupt keiner messe?« sie habe gar nicht gewußt, daß es solche leute noch geben würde.

 

wie sie die hier beschreiben würde? »tja, wo fangen wir da an? da gibt es natürlich erst mal die hallen, die unterschiedlichen hallen, also halle eins bis halle neun und zehn, dazwischen gibt es die freßstände, es gibt die freßstände und den rolltreppenbereich, all diesen junkspace, den man an orten wie diesen hier braucht. also bereiche, die nicht eindeutigen funktionalitäten zugeordnet sind. es gibt die hallen, es gibt die hallen und die unterschiedlichen fachbereiche, die diesen hallen zugeordnet sind, es gibt den rolltreppenbereich und einen presseraum, es gibt mehrere konferenzräume, die man hier so braucht für die begleitveranstaltungen, es gibt den eingangsbereich.

 

ja, es gibt die rolltreppen und den übergang von halle zwei zu halle vier, und es gibt sie, die traurige handy-telefonistin. – was? noch nicht gesehen?« also sie treffe die andauernd an. andauernd komme die ihr unter, andauernd sehe sie die in einer ecke stehen, ihre handyelegie betreibend: den kopf geneigt, das eine ohr zugehalten, das andere ans gerät gepreßt, stehe die dann unvermittelt vor einem da: »ja, ja, ja, ja.« wie zum mitschreiben hingeschneit auf irgendeinem flur, in irgendeinem übergang von halle zwei zu halle vier. »ja, ja, ja, ja.« das werde dann weitergemacht bis zur erneuten beweglichkeit –

 

das sei eben der kalvarienberg fernmündlicher kommunikation, auf dem man sich nur langsam voranbewege: lärmschulden bei der welt machen, die man ohnehin nie wieder zurückzahlen könne! »das ist der kalvarienberg fernmündlicher kommunikation, auf dem man sich nur langsam voranbewegen kann, es sei denn, die richtung stimmt.« und das sei nicht zu sagen, denn richtungen hätten hier aufgehört, so himmelsrichtungen, »es gibt nur noch messehimmelsrichtungen, es gibt nur noch halle eins, zwei, drei und vier, und halle fünf bis neun, und es gibt halle zehn, aber die ist ausgelagert. und alles gibt es zweimal: oben und unten, und es gibt den sanitärbereich – anyway – sollen wir nicht mal eine runde drehen?«

nicht?

 

man könnte zu den podien gehen, wo feudalderwische hofhielten und als dienstleistungsderwische abdrehten, etwas erzählten von ihrem dienstleistungsprogramm, das sie gleich abzögen, lasse man sie nur. »ja, es gibt die podien, auf denen dienstleistungsderwische abdrehen, es gibt die medienkarawane, und es gibt ihn, den spektakelmann, der hier wieder seine runde macht, zum x-ten mal kommt der heute vorbei und spektakelt sich durch die touristenmenge durch. ja, auch die touristenströme halten weiter an – dabei ist es eine fachmesse!« – habe auch sie sich gedacht, aber anscheinend entpuppten sich die meisten fachmessen heute als familienausflug –

 

»also es gibt den spektakelmann auf stelzen, es gibt die pornokrankenschwestern vom stand weiter hinten, und es gibt sie, die zwischenjungs vom stand gegenüber. was die machen? keine ahnung. es gibt die pornokrankenschwestern, jetzt am stand gegenüber, die halten sich für witzig, ja, die halten sich für ausgemacht. ›es gibt einen geschlechtsunterschied‹, scheinen die ständig zu sagen – ›und ob!‹ heftiges kopfnicken von seiten der männer gegenüber, den zwischenjungs, die halten sich für große klasse. ›es gibt einen geschlechtsunterschied, und wir machen mit!‹ aber in wirklichkeit gibt es ihn dann nicht. es gibt nur feudalderwische in schlecht sitzenden anzügen oben auf der bühne, es gibt den medientroß, die medienkarawanen, die durch die hallen ziehen. und es gibt sie, frau mertens, sie ist der leibhaftige kundenkontakt. ja, den muß es auch geben, den hat sie sich nicht alleine ausgedacht. in gewissen abständen schlägt sie die hände zusammen und sagt: ›so, das wäre jetzt auch ausgemacht, und jetzt will ich essen gehen!‹ was sie dann aber nie macht. nein, sie schickt immer mich zum essen holen« –

 

»schon mal aufgefallen, daß es mit der kulinarischen versorgung hier überhaupt nicht klappt? nicht? unglaublich, da steht ein freßstand an dem anderen, und keiner hat was vernünftiges!«

 

»aber wo fangen wir an?« da wären herr belting und mister rieder – minister rieder –, wären sie da, aber die seien im augenblick unterwegs. auch unterwegs »unser star«: den habe sie jetzt ganz vergessen, »unser star« mit seinem beweglichen gesicht, mit seinem gesicht und seinem sportportal, mit seinen halböffentlichen bewegungen, herbeiöffentlichen aussagen, die er so mache. nachts auf bbc könne man ihn treffen, morgens auf cnn, nachmittags auf ntv und abends in der ard. »ja, die ard gibt es auch noch und auch halle neun, es gibt verschiedene unwirklichkeitsgrade, die hier friedlich koexistieren. und so gäbe es auch herrn belting und minister rieder, wären sie da, aber die sind schon wieder unterwegs«, denn auch sie gebe es: die stundenslots, zu denen man sich verabrede, die termine, die in stundenslots passen müßten und das manchmal nicht schafften, die terminlichen konflikte, die dann daraus entstünden, aber ohne die gäbe es sie ja nicht. das sei ja auch teil ihres jobs, einen reibungslosen ablauf zu garantieren.

ja, da wären herr belting und minister rieder, und jetzt seien nur die key account managerin und der it-supporter da. und so eine redakteurin. die key account managerin und der it-supporter und die beiden berater von dieser consulting-firma, mit der sie momentan zusammenarbeiteten, auch die seien da. »und da ist sie auch schon wieder, ›unsere traurige handy-telefonistin‹, schon wieder steht sie da, wie sie an ihrem firmenhandy klebt, angefüllt mit beruflicher elektrizität, erstaunlich ungeeignet zum herausfönen der daten: ›ja, ja, ja, ja.‹ hört man sie schon wieder sagen, das wird dann weitergemacht bis zu ihrer erneuten beweglichkeit.« –

 

aber ob das wirklich das erste mal sei? sie könne das kaum glauben. sie habe praktisch ihre halbe kindheit hier verbracht. sicher, wenn man hier in der stadt wohne, bleibe einem auch nichts anderes übrig, da lande man eben schon auf der messe als kleines kind, sie meine jetzt nicht auf dieser, aber auf messen insgesamt. – »wie gesagt, hier gibt es ja auch volles programm.«

3. betrieb (die key account managerin und der it-supporter)

»es ist 16.30!« das werde man doch mal aussprechen dürfen – nein? dürfe man nicht? »ist gut.« sie rede schon von was anderem weiter, sie rede gleich von anderen dingen weiter, sie hätte sich nur gerne einen moment lang in dem gedanken gesonnt, daß jetzt eben eine uhrzeit sei, die traditionellerweise den späteren tageszeiten zuzuordnen wäre, auch wenn das hier nicht von bedeutung scheine, auch wenn man hier auf alles pfeife: tageszeiten, müdigkeiten, feierabend. sie habe schon verstanden, ja, ja.

 

nein, sie werde jetzt nicht von den terminen sprechen, die noch zu erledigen seien oder die sie erledigen hätte sollen: den vormittagsterminen, den nachmittagsterminen, nein, damit fange sie nicht an. »fang doch bloß nicht wieder damit an!« wisse sie, daß von den anderen kommen werde, das habe sie oft genug feststellen können, aber es entspreche nun mal der wahrheit, »daß jetzt 16.30 ist!« das möchte sie doch sagen dürfen, möchte sie schon mal anmerken dürfen, »aber wenn dem nicht so ist« – bitte!

*

noch einmal sage er: man könne nicht vorschlafen, das sei seine meinung. also, wenn man ihn fragen würde, dann müsse er sagen, praktisch ein ding der unmöglichkeit. der körper speichere schlaf nicht, er speichere alles mögliche, aber schlaf, das schaffe er nicht. man müsse sich eben nach anderen möglichkeiten umsehen –

 

– vielleicht ein nickerchen zwischendurch?

– oder der minutenschlaf!

– am bürotisch!

– oder schlafen in geparkten autos, auch schon gemacht: in tiefgaragen, in parkhäusern.

manche sagen ja, sie schliefen im stehen, doch das hat er noch nie gesehen –

– also sie hat sich angewöhnt, sich beim fliegen eine stunde killerschlaf zu holen. und wenn tage superheftig waren, hat sie sich manchmal in irgendein büro zurückgezogen und nur kurz zehn, fünfzehn minuten die augen zugemacht.

– jeder kennt das doch. man sagt dann: ich geh mal frische luft schnappen. in wirklichkeit geht man nur drei räume weiter, setzt sich auf einen leeren bürostuhl und knackt dann einfach mal zehn minuten weg.

– klar, wir sind alle nur menschen!

– aber sag das mal jemandem auf den kopf zu!

*

nein, sie werde sich nicht darüber aufregen, daß herr belting noch immer nicht zurück sei, sie werde es nachher nicht einmal erwähnen, wenn er wieder da sei, daß er einige termine hier schon wieder habe platzen lassen, sie werde sich auch nicht beschweren über mister rieder, der weiß gott wo wieder zugange sei, sie werde erst gar nicht reden von der abwesenheit der beiden, sie werde sich auch nicht beklagen, daß das mit dem telefonkontakt nicht klappe. nein, das mache sie alles nicht. sie werde hier auch nicht alles liegen und stehen lassen und sagen:

»ich geh jetzt auf mittag«, denn sie müsse auch nicht um halb fünf uhr nachmittags noch auf mittag gehen. ja, sie wisse durchaus, sie könne immer noch die praktikantin zum essenholen schicken, »aber wer weiß, wo die sich wieder rumtreibt«.

*

er könne es nur wiederholen: nein, man könne nicht vorschlafen, das ginge nicht. auch wenn sie es nicht wahrhaben wolle, das funktioniere einfach nicht. genetischer defekt von anfang an sozusagen – keine ahnung! aber man müsse sich mal vorstellen, was da los wäre, wenn man es könnte, wenn man das entwickeln könnte, die fähigkeit, schlaf zu speichern. da wären die meisten doch nicht mehr zu halten. ganze kindheiten würden da investiert, nur um genügend schlaf für später zusammenzukratzen. oder wenn man schlaf übertragen könnte: so von einem menschen zum anderen, das wäre es doch, ganze schlafbanken würden da angelegt.

– so ein umgekehrtes koks!

– aber eigentlich ist er sich sicher, daß man das entwickeln wird –

– sie ist sich sicher, daß sie schon in irgendwelchen labors daran arbeiten.

*

»wo waren wir stehengeblieben?« ach ja, sie erreiche herrn belting im augenblick nicht, aber sie könne es gerne noch einmal versuchen – nein? sie könne gerne was für ihn notieren – ob man eine nachricht hinterlassen wolle? nein? – »aber wo waren wir stehengeblieben?« ach ja, wieviel sie am tag rede? sie wisse es auch nicht, das könne sie jetzt beim besten willen nicht sagen. allein, wenn sie darüber nachdenke, werde ihr schon anders zumute. sie kenne sich ja als kommunikativen menschen, so würde sie es jedenfalls bezeichnen, aber hier müsse sie sich doch einmal korrigieren, denn manchmal werde es auch ihr zuviel. manchmal, wenn der lärmpegel wieder einmal alles erwartbare übersteige und sie sich nur noch reden höre, dann könne sie sich nicht mehr in jene kategorie einordnen, dann – »aber wo waren wir stehengeblieben? ach ja, sich reden hören, während man spricht, so wird ein kundenkontakt eben gemacht!«

 

»man hört sich reden, während man spricht, und jemand nickt mit. man hört sich reden, während man spricht, und jemand grinst einem zu, das ist dann ein kollege, der grinst einem von weiter hinten zu, und man denkt, man hat diese sache jetzt abgehakt, aber man hört sich immer noch reden, denn jemand sieht zu, daß man auch das richtige macht, das wird dann der herr belting sein.«

nein, den erreiche sie im augenblick nicht, »aber versuchen sie es doch in einer halben stunde wieder. sie können auch gerne eine nachricht für ihn hinterlassen. er ruft sie dann zurück.« – »aber wo waren wir stehengeblieben?« ja, das sei eben ihr job: telefonieren, telefonieren, telefonieren. und kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. telefonisches abarbeiten, meetings vorbereiten. und das sei eben die messe: durchdeklinieren, wen man nicht erreichen könne, unerreichbarkeitslisten entwickeln, die man am ende doch nicht brauchen könne – »aber wo waren wir stehengeblieben?«

*

er habe eher den eindruck, man trainiere das grundsätzlich ab. er habe ja beobachtet, mit wie wenig schlaf die kollegen auskämen, »da wird ja direkt ein wettbewerb gemacht«. besonders auf projekten werde kaum noch geschlafen, und auf messen? »fragen sie nicht!« das sei ja schon ein außergewöhnlicher arbeitseinsatz, der da von einem erwartet werde. das werde ja immer häufiger von einem verlangt: daß man tage und nächte durcharbeiten könne. daß man sich gar nicht mehr nach der uhrzeit umdrehe, die schon dicht hinter einem stehe und jeden moment über einem zusammenklappen könne –

 

– wo doch jeder weiß: nach einer durchwachten nacht ist mit konzentration nichts mehr zu machen.

– also er hat das gefühl, seine konzentrationsfähigkeit wird durch schlafentzug eher gesteigert.

– da hat er aber glück gehabt!

– ja, da hat er glück gehabt. er wird eben klarer im zunehmenden wachzustand –

– aber lange durchhalten wird er das nicht!

– einige monate schafft er bestimmt.

– es ist wahr: sie wird es schon sehen.

*

wieder die da drüben, sie sagten: analysten von merril lynch habe man vorbeigehen sehen, ja, ja – »ach, das war vor jahren!« – »das war eben erst!« – »du träumst doch: das war vor jahren!«

wieder die da drüben: »ach, was soll’s, für uns interessiert sich keiner mehr.« – na, ihm sei das egal, habe dann der andere typ gesagt. – »bitte?« das glaube sie denen nicht. wieder die da drüben. über die habe man sich hier schon allerhand gedanken gemacht, was die wohl trieben, wer die wohl noch finanziere, die zwischenjungs. »anscheinend keiner mehr!« die zwischenjungs, die man schon in- und auswendig kenne, doch das sei ihnen ganz egal. die übten da ihre 90er-jahre-geräusche aus – »aber das sind doch gespräche!« hätten die dann gesagt, dabei sei das der reinste glamourbefall. wie die an ihren geniebäumchen zappelten, aufgehängt am eigenen gesicht. das habe man sich eben zu sehr zur gewohnheit gemacht, und jetzt könnten die nicht mehr davon lassen. man bleibe so lange, bis man durchkrache, und dann? new-economy-schichten abkratzen vom eigenen leib? – nö, am eigenen leib wolle man lieber nicht, »besser, man nimmt andere her, besser, man stellt sich noch eine weile gegenseitig vor und wartet ab«. »wir starten voll durch!« sei jedenfalls vorbei. so säßen sie der reihe nach da, die geniebürschchen, klackerten mit ihren kulis rum, während sie sich hier schon wieder reden höre –

 

– ja, sag einmal, das nimmt heute ja gar kein ende!

– ach, das ist es nicht.

– was dann?

– sie will ja mehr so ihr handy im see versenken – hat sie das schon gesagt? – ach ja –

– »in was für einen see?« hat er aber gefragt.

– »egal. in irgendeinen!« hat sie darauf erwidert.

– so kannst du es nicht anpacken, du mußt schon wissen, was du willst.

– nicht mit mir!

– »dann spring doch selber rein!« hat er daraufhin gesagt, es ist aber nichts passiert.

4. standards (der it-supporter)

also heute sei wirklich der tag, an dem alle was gratis mit nach hause nehmen wollten. er erkenne die privatbesucher schon an ihren suchenden blicken. »wo kann ich was abgreifen?« stehe dann groß geschrieben auf deren stirn. ansonsten erkenne man privatbesucher an ihren telekomtaschen – »oder ist dieses jahr nokia dran?« jedenfalls würden die gleich am eingang verteilt, »und dann geht’s los!« in die werde alles reingepackt, was abzustauben sei. aber auch wirklich alles! sie nähmen ja selbst die prospekte mit, mit denen sie nichts anfangen könnten, nähmen den ganzen papiermüll mit, echt crazy, sage er jetzt mal.