2,99 €
Fünf Rückkehrer nach Deutschland, die für internationale Hilfsorganisationen in Krisenländern gearbeitet haben, treffen aufeinander: Idealisten, deren Verträge nicht verlängert werden, Karrieristen, die aus privaten Gründen zur Heimkehr gezwungen sind, wieder miteinreisende Partner – Gestrandete allesamt. Kathrin Röggla zeichnet radikal und mit Humor und Lust an der Zuspitzung ein hartes Bild vom Zustand der boomenden internationalen Hilfsindustrie. »Bitter ist das und gleichzeitig voll feinem Humor. Entlarvend, ohne anzuprangern. Und nicht nur sprachlich exakt beobachtet. Man darf es wohl gesellschaftskritisch nennen.« Joachim F. Tornau, Frankfurter Rundschau. Der Text entstammt dem Band ›besser wäre: keine‹, der Essays und Stücke versammelt, in denen Kathrin Röggla unsere Gegenwart analysiert.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 75
Kathrin Röggla
NICHT HIER oder die kunst zurückzukehren
Theater
Fischer e-books
personen:
sandra, workshopbetreuerin und sozialpädagogin, ehem. nothilfe und DED, ca. 45
dirk, agraringenieur beim DED, ca. 35
maren, UN-organisationsfrau, WHO-länderdirektorin, zwischen 40 und 50
christin, MAP (mitausreisende partnerin), 35–45
knut, organisationsmensch, unklarer status, sozialsöldner, 55
sandra leitet einen workshop für rückkehrer aus großen internationalen organisationen und unternehmen. das sind leute, die gerade eben zurückgekommen sind oder kurz davor sind, zurückzukehren. diese sind im publikum anzunehmen. sie sind überall. bezahlt wird der workshop von der öffentlichen hand mit blick auf »die wirtschaft«, die gerne arbeitskräfte aus dem internationalen pool rekrutiert. so zumindest die theorie. die personen auf der bühne sind die gespenster der anderen rückkehrer, die gescheiterten rückkehrer, die »den falschen ansatz haben« und von niemandem abgeworben werden.
ich stelle mir vor, dass christin sehr schnell und atemlos spricht, knut eher knapp und abgehackt. maren wirkt dagegen ruhig und ausgeglichen, man merkt ihr an, dass sie ein profi ist. sandra schwankt zwischen betreuend und genervt, und dirk meint es vor allem gut, wirkt dabei aber versiert.
sandra und knut, die beiden alten hasen, sehen eine ganze weile zu, wie dirk, maren und christin rumknaupeln, rumweben, rumstopfen an einer überdimensionalen weltkarte, die die ganze bühne überdeckt, wie sie umständliche bewegungen vollführen, also anstrengende und sinnlose arbeiten zu machen scheinen.
SANDRA (beginnt unvermittelt)
ich halte das nicht mehr aus. immer mehr menschen erzählen mir hier von ihren landesorganisationen und wie schwer es ihnen fällt, keine länder mehr zu organisieren …
KNUT (sarkastisch)
aber das ist doch ein problem, da lohnt es sich darüber nachzudenken.
SANDRA
andauernd erzählen mir leute von ihren landesorganisationen, ihren ehemaligen landesorganisationen, die ihnen nun abgehen.
KNUT
was soll ich sagen? andauernd färben ärzte auf mich ab, da kann ich mir nicht helfen. ich sehe auch schon aus wie ein arzt, dabei bin ich keiner.
SANDRA
stimmt. du bewegst dich wie ein arzt, sprichst wie ein arzt, bist aber keiner.
KNUT
schon wieder einer, der wie ein arzt aussieht, aber keiner ist, werden sie gleich sagen.
SANDRA (sarkastisch)
das arzthafte muss man dir erst mal abnehmen, das ist doch schon eine leistung.
KNUT (ironisch)
bald werde ich meinen eigentlichen job nicht mehr machen können, so sehr bin ich arzt geworden.
SANDRA (trocken)
bald wirst du deinen eigentlichen job nicht mehr machen können.
KNUT (steigt auf sandras drohenden unterton nicht ein)
dabei ist die ärzteorganisation genauso wichtig wie die arbeit der ärzte selbst. das vergessen die meisten.
SANDRA (seufzt)
schon wieder einer, der landesorganisation macht und vor mir nicht haltmacht, das vertrage ich nicht mehr.
KNUT (korrigiert)
ärzteorganisation! außerdem du hast dir deinen job selbst ausgewählt.
SANDRA (sarkastisch)
sagt wer?
KNUT
du hast dir deinen job selbst ausgewählt.
SANDRA
was soll ich denn machen als sozialpädagogin, da kann man nur betreuen. ich betreue. also das kann ich. außerdem, ich muss doch was tun.
KNUT
dann hör dir ihre landesorganisationen an.
SANDRA
in denen geht aber nichts weiter. vor einem jahr noch hörte ich geschichten von der modernisierung libyscher auffanglager im auftrag des UNHCR, ich wollte die nicht hören, ich wollte nicht mitkriegen, wie ein UNHCR alarmanlagen in ein libysches auffanglager einbaut. UND JETZT HATMAN DAS ERGEBNIS. heute höre ich geschichten von auffanglagern in marokko, im sudan, in somalia, was weiß ich wo überall. oder wie die grenzpolizei in usbekistan sogenanntes know-how von westlicher polizei erhält und damit macht, was sie will. ich will meine projektarbeit in ruanda zurück. meine eigentliche arbeit. ich meine, ich habe frauen zur selbsthilfe geführt. ich meine, ich will eigentlich arbeiten und nicht polizeispitzelkräfte gemütsaufhellen.
KNUT
das kannst du aber nicht machen. karriereverbot beim DED, paragraph schlagmichtot des deutschen entwicklungshilfegesetzes.
SANDRA
bei dir sollte man ein ärzteverbot aussprechen. bist du der mann, der in nairobi in einem kaufhaus sitzt und nichts als e-mails schreibt?
KNUT
headquarter!
SANDRA (fährt fort)
ich höre mir geschichten von boarder management und anti-trafficking an, von programmen, die europa betreffen, weil es seine grenzen sichert, und will die nicht hören.
KNUT
wer hat dir die erzählt?
SANDRA (deutet richtung publikum und fährt fort)
es gibt auch welche, die erzählen von länderorganisationen ohne auffanglager, weil sie angeblich nur im gesundheitsbereich arbeiteten, dabei gehört das doch alles zusammen. (lacht) man kann doch nicht an den alleinigen gesundheitsbereich glauben. aber sie tun genau das. (sie sieht knut an, doch knut reagiert nicht) sie tun zuerst so, als gäbe es in ihrem gesundheitsbereich bloß aidsprogramme und hausarztprogramme, zwischen diesen beiden bereichen spiele sich alles ab. doch, kommt dann mehr und mehr heraus, im gesundheitsbereich gibt es auch den kampf um die aidstöpfe und die zwei gesundheitsministerien von kenia, die an diesen aidstöpfen hängen, um unterschiedliche stämme zu befrieden. im gesundheitsbereich gibt es die vielen hilfsorganisationen, die sich gegenseitig bekriegen, ohne was auszurichten. es gibt ja im grunde gar keine normalen spitäler, sondern nur konkurrenzspitäler, die eine krisenregion überspülen und dann rasch wieder austrocknen. ich kann dir jede menge aus dem gesundheitsbereich erzählen.
KNUT
danke. diesbezüglich bin ich versorgt.
sie schweigen, während sie den anderen zusehen, wie die sich mehr und mehr verstricken.
SANDRA
also ich sitze hier mit den typischen betreuerproblemen, die da entstehen können. man sagt, es seien die normalen betreuerprobleme, also nicht der rede wert. doch plötzlich habe ich in diesem provinzkaff diese neue gruppe, und diese neue gruppe redet nicht. also nicht WIRKLICH. die einzelnen teilnehmer wollten sich schon nicht richtig vorstellen. zumindest nicht namentlich. sie wollten decknamen, du meine güte! gut, deutsche decknamen sind schnell bei der hand. ich nenne sie maren, silke, karin, dirk, michael, christin, peter und petra, weil mich das an meine generation erinnert.
KNUT
hmmm.
SANDRA
also ich finde das hübsch.
KNUT
hmmm.
SANDRA
also das ist schnell gemacht. nur ihre geschichten erzählen sie nicht.
KNUT
ich dachte, ihre geschichten kannst du nicht mehr hören?
SANDRA
stimmt, ihre geschichten kann ich nicht mehr hören, aber ich MUSS sie ja hören, das ist ja mein job, und normalerweise höre ich sie ja auch. aber diese gruppe ist anders. sicher, ich möchte entwicklungsarbeiter vor meine nase und kriege diese gestrandeten organisationsmenschen, weil es in der entwicklungshilfe kein geld für so was gibt. aber sag mal, bist du der mensch, der in seinem verhau in der pampa sitzt und auf nichts als einen nato-zaun starrt?
KNUT
headquarter!
SANDRA
kannst du mir erzählen, was der da drüben (zeigt ins publikum) gerade erzählt. ich verstehe den so schlecht. ich habe ständig irgendwelche störgeräusche zwischen dem und mir.
KNUT
nein.
SANDRA
ach, der nuschelt so vor sich hin. er ist ein echtes rückkehrergespenst.
KNUT (blickt neugierig ins publikum)
was macht er denn?
SANDRA
er gibt ein richtig schönes prachtexemplar an organisationsgespenst ab. mit einer hagerkeit, die fast schon in bräsigkeit umzuschlagen scheint. in seinem gesicht halten sich alkoholblässe und alkoholröte beinahe die waage.
KNUT
dieser kampf ist also gewonnen,
SANDRA
aber sag mal, hast du was von dirk gehört?
dirk missversteht das als aufforderung zu kommen.
DIRK
hallo sandra!
SANDRA
hallo dirk (wendet sich ihm aber nicht zu), moment – gerade erleichtert wieder einer sein gewissen an mir. polizeitraining in der zentralasiatischen region. die EU und die UNO hatten da ein programm, hoch ambivalent, boarder management mit grenzpolizeitraining – BOMCA.
KNUT und DIRK (lachen)
BOMCA?
SANDRA
ja, damit weniger gefoltert wird. (lacht)
KNUT
kannst du das nicht einen augenblick abschalten?
SANDRA
nein, die rückkehrerbetreuung kann man nicht abschalten, sie ist ein 24h-service für unsere lieben rekruten aus wirtschaft und wissenschaft. dafür haben sie mich abgestellt.
KNUT
ich hoffe, du verdienst daran.
SANDRA
verdienen? moment, ich muss mich konzentrieren.
KNUT (mit abrupter geste, blickt nervös richtung publikum)
hach, jetzt hat schon wieder ein arzt auf mich abgefärbt, ein zappeliger, nervöser typ, kaum zu glauben, dass der chirurg sein soll. aber vielleicht ist er es auch nicht. die chirurgen rauschen hier nur so kurz durch, bei denen passiert es eigentlich selten, dass sie abfärben können. die anderen bleiben ja länger hier. hippie-ärzte, die einer krankenschwester nicht zuhören wollen, weil die alte hierarchie in ihren köpfen zu fest sitzt. (lacht) halten sich für hippies, doch an dieser stelle bleiben sie unkorrigierbar.
SANDRA
kannst du den abfärbevorgang nicht verhindern? ich sehe ja zu, dass mich diese landesorganisationen nicht erreichen.
KNUT
aber mit wenig erfolg. schau, da steht dirk. dirk evaluiert jetzt.
SANDRA (als wäre dirk nicht da)
dirk evaluiert?
DIRK
ja, ich evaluiere jetzt agrar-projekte deutscher organisationen in partnerländer.
SANDRA
ach, du meine güte, was ist denn mit deiner kakaobohne passiert? ist sie noch fair? hast du die ecuadorianischen bauern vom einen ende der wertschöpfungskette ans andere schubsen können?
DIRK
ein schlechtes thema. hier blieb meiner kakaobohne nur der einstieg in die schokoladenindustrie. und wer will schon bei so was dabei sein?
SANDRA (wehrt ihn schon wieder ab)
augenblick, jetzt beschwert sich gerade so eine unter-UN-organisation bei mir in form eines ihrer ehemaligen. da muss ich jetzt leider zuhören. da muss ich jetzt hinhören. könnt ihr einen moment lang leiser sprechen?
DIRK
oh entschuldigung.
SANDRA