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T. Lobsang Rampa

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Beschreibung

Hoch oben in der dünnen Luft des Himalayas, in Lhasa, der Hauptstadt Tibets, erhebt sich majestätisch der prächtige Potala. Hier und im Lamakloster Chakpori, der Stätte der Heilkunde, studiert der junge Lobsang Rampa die Lehren Buddhas. Durch seine Augen lernen wir das Leben des Prinzen Gautama kennen - seine Entdeckung des Mittelweges, die Vier Edlen Wahrheiten, den Edlen Achtfachen Pfad und die Bedeutung des erstrebenswerten Zustandes, des Nirwana. Wir erleben hautnah das Klosterleben und tauchen ein in die faszinierende Umgebung von Lhasa. Die tiefgründigen Gespräche mit seinem Mentor über Religion, den Sinn des Lebens und das Beten führen uns auf eine Reise der Selbsterkenntnis und spirituellen Entwicklung. Diese Geschichte erzählt von Lobsang Rampas persönlicher Kindheit. Wir verfolgen den Werdegang eines manchmal ungehorsamen Jungen zu einem wagemutigen, ernsten und tief denkenden jungen Mann, der mit außergewöhnlichen übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet ist.

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T. Lobsang Rampa

Die safrangelbe Robe

Widmung

Sheelagh M. RouseHoni soit que mal y pense – Gaudet tentamine virtus

Klappentext

Hoch oben in der dünnen Luft des Himalayas, in Lhasa, der Hauptstadt Tibets, erhebt sich majestätisch der prächtige Potala. Hier und im Lamakloster Chakpori, der Stätte der Heilkunde, studiert der junge Lobsang Rampa die Lehren Buddhas. Durch seine Augen lernen wir das Leben des Prinzen Gautama kennen - seine Entdeckung des Mittelweges, die Vier Edlen Wahrheiten, den Edlen Achtfachen Pfad und die Bedeutung des erstrebenswerten Zustandes, des Nirwana. Wir erleben hautnah das Klosterleben und tauchen ein in die faszinierende Umgebung von Lhasa. Die tiefgründigen Gespräche mit seinem Mentor über Religion, den Sinn des Lebens und das Beten führen uns auf eine Reise der Selbsterkenntnis und spirituellen Entwicklung. Diese Geschichte erzählt von Lobsang Rampas persönlicher Kindheit. Wir verfolgen den Werdegang eines manchmal ungehorsamen Jungen zu einem wagemutigen, ernsten und tief denkenden jungen Mann, der mit außergewöhnlichen übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet ist.

Kapitel 1

Seltsame Schatten bewegten sich vor meinem unbekümmerten Blick wie bunte Phantome aus einer fernen, angenehmen Welt. Das sonnengesprenkelte Wasser lag ruhig ein paar Zentimeter vor meinem Gesicht. Sachte tauchte ich meinen Arm in das Wasser und beobachtete die kleinen Wellen, die sich durch diese Bewegung bildeten. Mit zusammengekniffenen Augen spähte ich in die Tiefe darunter. Ja, der große alte Stein, dort lebte er – und er kam hervor, um mich zu begrüßen! Sanft ließ ich die Finger an den Seiten des nun bewegungslosen Fisches entlanggleiten, bewegungslos, außer den leichten Flossenbewegungen, während er an Ort und Stelle neben meinen Fingern stillhielt.

Er und ich waren alte Freunde. Oft kam ich hierher und warf für ihn Futter ins Wasser, bevor ich seinen Körper streichelte. Wir hatten ein völliges Einvernehmen, das sich nur dann einstellt, wenn keiner Angst vor dem anderen hat. Zu jener Zeit wusste ich noch nicht einmal, dass Fische essbar waren! Buddhisten töten keine Lebewesen oder fügen anderen ein Leid zu.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und tauchte das Gesicht unter das Wasser. Ich war neugierig und wollte mir diese andere Welt etwas näher ansehen. Hier fühlte ich mich wie ein Gott, der auf eine ganz und gar andere Lebensform herabblickte. Hohe Wedel bewegten sich schwach in einem unsichtbaren Strom hin und her. Robuste Wasserpflanzen standen aufrecht wie mächtige Bäume in einem Wald. Ein sandiger Streifen schlängelte sich wie eine geistlose Schlange entlang und war von einer blassgrünen Pflanze umsäumt, die in jeder Hinsicht wie ein gut gepflegter Rasen aussah.

Winzig kleine Fische, mehrfarbig und mit großen Köpfen, flitzten auf ihrer unaufhörlichen Suche nach Nahrung und Spaß um die Pflanzen herum. Eine riesige Wasserschnecke ließ sich schwerfällig an der Seite eines großen Steins herabgleiten, sodass sie ihrer Pflicht, den Sand zu reinigen, nachkommen konnte.

Doch meine Lunge war am Bersten. Die heiße Mittagssonne brannte auf meinen Nacken und die rauen Steine an der Uferböschung gruben sich in meine Haut. Mit einem letzten Rundumblick richtete ich mich auf die Knie und atmete dankbar und tief die wohlriechende Luft ein. Hier in meiner eigenen Welt waren die Dinge ganz anders als in der beschaulichen Welt, die ich gerade beobachtet habe. Hier herrschte ein regelrechter Betrieb, eine Unruhe und ein reges Treiben. Etwas schwankend und torkelnd aufgrund einer Verletzung an meinem linken Bein stand ich da und lehnte mit dem Rücken gegen einen alten, mir liebgewonnenen Baum und schaute mich um.

Der Norbu Linga Park war eine einzige Farbenpracht. Das leuchtende Grün der Weiden, das Scharlachrot und Gold des Inseltempels und das tiefe Blau des Himmels, das durch das reine Weiß der Schäfchenwolken, die von Indien her über die Berge zogen, noch mehr betont wurde. Das ruhige Wasser des Sees reflektierte und verstärkte die Farben noch und verlieh ihnen einen Hauch von Unwirklichkeit, als eine sanfte Brise das Wasser kräuselte und das Bild zum Schwanken brachte. Alles hier war friedlich und ruhig. Doch nur gerade auf der anderen Seite der Mauer, wie ich sehen konnte, waren die Bedingungen ganz anders.

Mönche in rotbraunen Roben schritten mit großen Stapeln Wäsche, die gewaschen werden musste, hin und her. Andere kauerten neben dem sprudelnden Fluss und drehten und wendeten die Wäsche, damit sie gut eingeweicht wurde. Rasierte Köpfe glänzten im Sonnenlicht, die im Laufe des Tages noch sonnengeröteter wurden. Kleine, im Lamakloster neu eingetretene Akoluthen sprangen aufgeregt umher, während sie mit großen glatten Steinen auf ihre Roben einschlugen, sodass sie älter und abgetragener aussahen und so den Eindruck erwecken sollten, dass der Träger schon länger ein Akoluth war!

Gelegentlich reflektierte die Sonne helle Lichtstrahlen von der goldenen Robe eines erhabenen Lamas, der zwischen dem Potala und dem Pargo Kaling unterwegs war. Die meisten von ihnen waren Männer von ruhiger Erscheinung. Männer, die in den Tempelandachten alt geworden waren. Andere, nur ein paar wenige, waren junge Männer in der Tat. Einige unter ihnen waren anerkannte Inkarnationen, während wieder andere sich durch ihren eigenen Verdienst weiterentwickelt und Fortschritte gemacht hatten.

Immer sehr wachsam und grimmig aussehend schritten die Aufsichtsbeamten umher. Großgewachsene Männer aus der Provinz Kham. Männer, die mit der Aufgabe betraut waren, die Disziplin aufrechtzuerhalten. Mit aufrechtem Gang und kräftiger Gestalt trugen sie als Zeichen ihres Amtes riesige Stäbe bei sich. Sie waren keine Intellektuellen, sondern Männer mit Muskelkraft, integer und einzig für diese Arbeit ausgewählt. Einer kam auf mich zu und blickte mich finster und fragend an. Etwas spät erkannte er mich und ging dann weiter und machte sich auf die Suche nach anderen Missetätern, die seiner Aufmerksamkeit mehr wert waren.

Hinter mir ragte der Potala auf, der Sitz des Gottes, und schwang sich himmelwärts. Eines der prächtigsten Bauwerke der Menschheit. Die vielfarbigen Felsen leuchteten sanft und sandten verschiedenfarbige Widerspiegelungen über das ruhige Wasser. Durch eine Täuschung des wechselnden Lichtes schienen die geschnitzten und bemalten Figuren an dessen Fuße wie zum Leben erweckt und verursachten, dass sie sich wiegten und bewegten wie eine Gruppe Menschen in einer angeregten Diskussion. Große gelbe Lichtstrahlen, die von den goldenen Grabmälern auf dem Dach des Potala reflektiert wurden, schossen davon und ließen leuchtende Lichtflecken in den dunkleren Bergeinschnitten entstehen.

Ein plötzliches «Tswack» und ein Knacken eines Astes, der sich nach unten bog, veranlasste mich, mich umzudrehen und mich nach dieser neuen Attraktionsquelle umzusehen. Ein alter Vogel, grau und in der Mauser, älter noch als der älteste Akoluth, war auf dem Baum hinter mir gelandet. Er beäugte mich mit seinen bemerkenswert runden und glänzenden Augen und krächzte «Kruaak!», dann drehte er sich plötzlich so herum, dass er mit dem Rücken zu mir stand. Er streckte sich in voller Länge und schlug heftig mit den Flügeln, während er mit erstaunlicher Kraft und Präzision ein unerwünschtes «Geschenk» in meine Richtung ausstieß. Nur dank eines beherzten Sprunges zur Seite entging ich ihm als Zielscheibe. Der Vogel drehte sich wieder zu mir um und krächzte «Kruaak! Kruaak!», bevor seine Aufmerksamkeit von mir abließ und er sich anderen interessanteren Dingen widmete.

Mit einer sanften Brise waren die ersten schwachen Laute einer sich nähernden Händlergruppe aus Indien zu vernehmen. Das Brüllen der Yaks, während sie gegen die Versuche ihrer Viehtreiber protestierten, sie zur Beeilung anzutreiben. Das asthmatische Knirschen und Keuchen des alten, trockenen Ledergeschirrs und das Schlurfen und Scharren vieler Füße sowie das musikalische Geklingel der kleinen an den Seiten der Yaks hängenden Bergkristalle. Bald konnte ich die schwerfälligen Tiere sehen, hochbeladen mit exotischen Bündeln. Große Hörner schwankten über den zotteligen Augenbrauen, sie wippten auf und ab, während die massigen Tiere mit ihrem langsamen und unermüdlichen Gang entlang stapften. Die Händler, einige mit Turbanen, andere mit alten und abgenutzten Pelzhüten, gingen nebenher und führten das Zaumzeug.

«Almosen, Almosen für die Liebe Gottes!», schrien die Bettler. «Ah!», riefen sie, wenn die Händler gefühllos an ihnen vorbeigingen, «deine Mutter ist eine Kuh, die sich mit einem Keiler gepaart hat. Dein Same ist der Same des Teufels und deine Schwestern werden auf dem Marktplatz verkauft!»

Fremde Gerüche erreichten mich und kitzelten meine Nase, die mich veranlassten, tief einzuatmen – und dann herzhaft zu niesen. Gerüche aus dem Herzen Indiens, Ziegeltee aus China, alter Staub, den es von den Yak getragenen Ballengütern schüttelte, alles wurde in meine Richtung geweht. Dann entschwanden in der Ferne die Yakglockenklänge wieder, ebenso die lauten Gespräche der Händler und die Verwünschungen der Bettler. Bald würden an den Haustüren der Damen von Lhasa reiche Krämer aufkreuzen. Bald würden die Ladenbesitzer ihre Augenbrauen und ihre Stimmen erheben angesichts der geforderten und unerklärlich hohen Preise. Bald müsste auch ich wieder in den Potala zurückkehren.

Meine Aufmerksamkeit wanderte. Ruhig schaute ich den Mönchen beim Waschen zu. Zwei von ihnen gerieten sich in die Haare aufgrund der Drohung des einen, den anderen mit Wasser vollzuspritzen. Schnell griffen die Aufsichtsbeamten ein. Eine blitzschnelle Bewegung und die zwei gezüchtigten Mönche wurden abgeführt, jeder im eisernen Griff der «Hüter des Friedens».

Doch was war das? Ich ließ meinen Blick die Büsche absuchen. Zwei winzige glänzende Äuglein schauten mich ängstlich von einer leichten Erhöhung an. Zwei kleine graue Öhrchen waren aufmerksam in meine Richtung geneigt. Ein kleiner Körper in Kauerstellung war bereit loszustürzen, sollte ich unverhofft eine falsche Bewegung machen. Eine kleine graue Maus dachte über die Möglichkeit nach, wie sie auf ihrem Heimweg am besten zwischen dem See und mir vorbeikam. Als ich sie beobachtete, rannte sie blitzschnell los und behielt mich ständig im Auge, aber ihre Vorsicht war völlig unverhältnismäßig. Sie sah nicht, wo sie hinlief, und schoss kopfvoran in einen gefallenen Ast. Mit einem schrillen Schreckensschrei sprang sie hoch in die Luft. Sie sprang äußerst ungünstig, denn sie sprang viel zu weit auf die eine Seite. Als sie landete, verpasste sie den sicheren Boden und fiel in den See. Die arme Maus kam nicht voran und war in Gefahr, von einem Fisch geschnappt zu werden, als ich knietief in das Wasser watete und sie herausfischte.

Vorsichtig trocknete ich sie mit dem Unterteil meiner Robe ab. Ich watete zum Ufer zurück und legte das zitternde, kleine Bündel auf den Boden. Ein undeutliches kurzes Huschen und schon war sie in ihrer kleinen Höhle verschwunden, zweifellos dankbar für ihre Rettung. Über mir krächzte der alte Vogel ein «Kruaak» des Gespötts und schwang sich schwerfällig in die Luft und flog geräuschvoll in Richtung Lhasa.

In Richtung Lhasa? Das erinnerte mich. Ich sollte mich in Richtung Potala aufmachen! Auf der anderen Seite der Norbu Linga Mauer nahmen die Mönche in gebückter Haltung die am Boden zum Trocknen ausgelegte Wäsche unter die Lupe. Alles musste sorgfältig geprüft werden, bevor sie aufgenommen werden konnte. Der kleine Bruder, der Käfer, könnte über die Wäsche spazieren und beim Einrollen der Wäschestücke erdrückt werden. Eine Handlung, die einen buddhistischen Priester völlig erschauern und erblassen lässt. Vielleicht hatte auch ein kleiner Wurm unter der Wäsche eines hohen Lamas Schutz vor der Sonne gesucht, dann musste der kleine Wurm entfernt und in Sicherheit gebracht werden, sodass seine Bestimmung nicht durch die Menschen verändert wurde. Überall gingen Mönche in gebückter Haltung umher und spähten und atmeten erleichtert auf, während ein kleines Geschöpf nach dem anderen vor dem sicheren Tod bewahrt wurde.

Nach und nach türmten sich die Wäscheberge auf, die nun für den Abtransport in den Potala bereit waren. Kleine Akoluthen wankten unter den frisch gewaschenen Wäschebündeln. Einige konnten nicht über das, was sie trugen, sehen. Dann folgte für gewöhnlich ein Aufschrei eines stolpernden, kleinen Kerls und die ganze Wäsche landete am Boden im Staub oder sogar im Schlamm am Flussufer.

Von hoch oben auf dem Dach ertönte das Pochen und das Dröhnen der Schneckenhörner und das Plärren der großen Trompeten. Klänge, die von den fernen Bergen widerhallten und nachhallten, sodass manchmal, wenn die Bedingungen günstig waren, deren Vibrationen rund um einen herumpulsierten und einem minutenlang auf die Brust schlugen. Dann plötzlich war alles still und ruhig, so ruhig, dass man sogar seinen eigenen Herzschlag hören konnte.

Ich verließ den Schatten des freundlichen Baumes und machte mich hinkend auf den Weg durch eine Lücke in der Hecke. Meine Beine waren etwas wackelig. Einige Zeit zuvor hatte ich an meinem linken Bein eine schwere und schlecht verheilende Brandverletzung erlitten, und dann hatte ich noch beide Beine gebrochen, als mich eine heftige Windböe vom Dach des Potala abhob und den Berg hinunterfegte. Deshalb humpelte ich und wurde für eine kurze Zeit von meinen Haushaltspflichten entbunden. Meine Freude darüber wurde jedoch dadurch ausgeglichen, dass ich mehr lernen musste, «damit die Schuld beglichen werden kann», wie man mir sagte. Heute am Waschtag hatte ich frei, um ein wenig herumzustreunen und im Norbu Linga Park auszuruhen.

Ich wollte nicht über den Haupteingang zurückkehren, mit all den hohen Lamas und Äbten, die einem ständig auf den Fersen sind. Auch die harten Stufen dort hinauf waren nichts für mich, wo ich gewöhnlich «… achtundneunzig, neunundneunzig, einhundert, einhunderteins … Stufen» zählte. Ich stand am Straßenrand, während Lamas, Mönche und Pilger an mir vorbeigingen. Dann folgte ein Unterbruch und ich humpelte über die Straße und tauchte gebückt unter den Büschen hindurch. Ich zog mich an den Büschen den steilen Berghang hinauf. Ich stieg über das Dorf Shö hinaus und erreichte einen Nebenpfad zwischen dem Gerichtshof und dem Potala.

Der Weg war holperig, aber wunderschön mit seiner ganzen Fülle an kleinen Steinpflanzen. Die Luft kühlte ab und meine übel zugerichteten Beine fingen an, unerträglich zu schmerzen. Ich schlug meine zerlumpte Robe um mich und setzte mich auf einen günstig gelegenen Stein, um wieder zu Kräften und zu Atem zu kommen. Drüben in Richtung Lhasa konnte ich kleine, lodernde Feuer sehen. Die Händler lagerten im Freien, so wie das die Inder oft taten, lieber als dass sie in einer der Herbergen übernachteten. Weiter zur Rechten konnte ich den glänzenden Fluss sehen, während er Lhasa verließ und sich auf die weite Reise zum Golf von Bengalen machte.

«Ur-rorr, ur-rorr!», sagte eine tiefe Bassstimme und ein pelziger Kopf stieß gegen meine Knie.

«Ur-rorr, ur-rorr!», antwortete ich freundschaftlich. Eine verschwommene Bewegung folgte und ein großer, schwarzer Kater stand auf meinen Beinen und stieß sein Gesicht gegen meins. «Ehrenwerter Miezekater», sagte ich durch sein dickes Fell hindurch, «du erstickst mich ja mit deiner Aufmerksamkeit!» Sachte fasste ich ihn mit den Händen an den Schultern und schob ihn ein wenig zurück, sodass ich ihn mir ansehen konnte. Große blaue Augen, leicht schielend, schauten mich an. Seine Zähne waren so weiß wie die Wolken darüber. Die Ohren waren spitz nach oben gerichtet und wachsam für jedes Geräusch.

Der ehrenwerte Miezekater war ein alter und geachteter Freund von mir. Oft schmiegten wir uns unter einem verborgenen Busch aneinander und unterhielten uns über unsere Ängste, Enttäuschungen und über all die Mühsale unseres harten, harten Lebens. Nun zeigte er mir seine Zuneigung, indem er sich auf mir krallte. Er öffnete und schloss seine großen Pfoten, während sein Schnurren immer lauter und lauter wurde. Eine Weile saßen wir beisammen, und dann beschlossen wir gemeinsam, dass es Zeit war, weiterzugehen.

Während ich mich immer weiter nach oben quälte und wegen den Schmerzen in meinen lädierten Beinen stolperte, jagte der ehrenwerte Miezekater vorneweg mit steif aufgerichtetem Schwanz. Er tauchte ins Unterholz und sprang dann, wenn ich auf gleicher Höhe war wie er, hervor und hielt sich spielerisch an meiner flatternden Robe fest. «Aber! Aber!», rief ich bei einem solchen Ansturm aus. «Das ist aber nicht gerade die feine Art, wie sich eine Juwelen-Wächterkatze aufführen sollte.» Als Antwort legte er die Ohren flach zurück, jagte vorne an meiner Robe hoch und sprang, sobald er meine Schultern erreicht hatte, wieder seitwärts in die Büsche.

Es war immer eine Freude für mich, unsere Katzen zu sehen. Wir setzten sie als Wachkatzen ein, denn eine gut abgerichtete «Siamkatze» ist weit schärfer als ein Hund. Sie pflegten, scheinbar schlafend, neben den heiligen Objekten zu liegen. Und sollten die Pilger in Versuchung geraten, die Objekte zu berühren oder gar zu stehlen, dann packten diese Katzen zu, immer zu zweit und hielten ihn drohend am Halse fest. Sie waren wild, ich jedoch konnte alles mit ihnen machen, und da sie telepathisch waren, konnten wir uns ohne Schwierigkeiten unterhalten.

Ich erreichte den Nebeneingang. Der ehrenwerte Kater war bereits dort und riss energiegeladen große Späne aus einem Holzpfosten neben der Türe. Als ich den Riegel hochhob, stieß er mit seinem starken Kopf die Türe auf und verschwand im düsteren Dunkeln. Ich folgte ihm, aber nur viel langsamer.

Dies war vorübergehend mein Zuhause. Meine Beinverletzungen waren so schlimm, dass ich vom Chakpori-Lamakloster in den Potala geschickt wurde. Und jetzt, als ich den Korridor betrat, rochen die Düfte so vertraut wie «Zuhause». Der immer allgegenwärtige Geruch des Weihrauchs in den verschiedensten Duftnoten, der je nach Zeit und Zweck abgebrannt wurde. Der saure, ranzige und beißende Geruch der Yakbutter, die wir für unsere Lampen und zum Erhitzen von kleineren Gefäßen so wie Teekessel verwendeten. Wir verwendeten sie auch, um Skulpturen während der kälteren Jahreszeit herzustellen. Die Erinnerung daran blieb immer, denn egal wie hart wir auch schrubbten (und wir schrubbten nicht zu hart!), der Geruch war immer da und durchdrang alles. Ein weniger guter Geruch war der von Yakdung, der getrocknet zum Heizen der Räume der Betagten und Gebrechlichen verwendet wurde. Doch nun humpelte ich weiter den Korridor hinunter an den flackernden Butterlampen vorbei, die den düsteren Gang noch düsterer erscheinen ließen.

Ein weiterer Duft war auch immer in allen Lamaklöstern allgegenwärtig. Ein Duft, der so vertraut war, dass man ihn gar nicht mehr wahrnahm, außer der Hunger hätte einem die Wahrnehmung dafür geschärft – Tsampa! Der Geruch von gerösteter Gerste, der Geruch von chinesischem Ziegeltee und der Geruch von heißer Butter. Zusammengemischt ist das Resultat zwangsläufig das ewige Tsampa. Manche Tibeter haben noch nie etwas anderes als Tsampa gegessen. Der Geschmack begleitet sie von Geburt an und es ist die letzte Nahrung, die sie zu sich nehmen. Es ist gleichzeitig Nahrung, Trinken und Trost. Es liefert den Nährwert für die härteste körperliche Arbeit und es liefert die Nahrung für den Geist. Doch, das war schon immer meine Überzeugung, dass es das sexuelle Interesse verkümmern lässt, und dementsprechend hat Tibet keine Schwierigkeiten ein zölibatärer Staat zu sein, ein Land von Mönchen und mit einer sinkenden Geburtenrate.

Der Hunger hatte meine Wahrnehmung geschärft, und so wusste ich den Geruch der gerösteten Gerste, der heißen Butter und des chinesischen Ziegeltees zu schätzen! Ich humpelte den Korridor hinunter und bog links ab, wo der Geruch am stärksten war. Hier bei den großen Kupferkesseln schöpften die Kochmönche gerade geröstete und gemahlene Gerste in den kochenden Tee. Einer zerhackte mehrere Pfund Yakbutter und warf sie hinein. Ein anderer richtete einen Ledersack mit Salz auf, das von den Nomadenstämmen der Hochlandseen hierhergebracht wurde. Ein vierter Mönch rührte und mischte mit einer langen Rührkelle alles um. Im Kessel brodelte und dampfte es und die verbliebenen Zweigstücke des Teeziegels stiegen an die Oberfläche, wo sie vom Kochmönch mit der Rührkelle herausgefischt wurden.

Der brennende Yakdung unter dem Kochkessel verströmte einen beißenden Gestank und hüllte die Umgebung in dichte Wolken aus schwarzem Ruß. Die ganze Küche war damit überzogen und die schwarzen vom Schweiß gestreiften Gesichter der Kochmönche hätten Wesen aus der Hölle sein können. Des Öfteren schöpfte der Mönch mit der Rührkelle die obenauf schwimmende Butter aus dem Kochkessel ab und warf sie ins Feuer. Es folgte ein Zischen und ein Auflodern der Flammen und es stank erneut!

«Ah, Lobsang!», rief ein Mönch aus all dem Geklapper und Lärm heraus. «Kommst wohl wieder, um etwas Essen zu holen? Bediene dich, Junge, bediene dich!» Ich holte aus meiner Robe den kleinen Lederbeutel hervor, in dem wir Mönche die Tagesration Gerste aufbewahrten. Ich schüttelte den Staub aus und füllte ihn mit frisch gerösteter und gemahlener Gerste wieder auf. Aus dem Vorderteil meiner Robe nahm ich meine Schale und begutachtete sie. Sie war von den Essensresten noch etwas verklebt und sah schmutzig aus. Aus einem großen Behälter, der hinten an der Wand stand, nahm ich eine Handvoll sehr feinen Sand und schrubbte sie damit gründlich sauber. Gleichzeitig half es mir auch, meine Hände zu reinigen! Endlich war ich mit dem Zustand der Schale zufrieden. Doch zuerst musste noch etwas anderes erledigt werden. Mein Teebeutel war auch leer oder eher, alles, was er noch enthielt waren kleine Zweige, ein wenig Sand und anderen Unrat, den man immer im Tee fand. Dieses Mal stülpte ich den Beutel von innen nach außen und zupfte die unbrauchbaren Teereste heraus. Ich drehte ihn wieder um und nahm einen Hammer und schlug ein passendes Stück vom nächstbesten Teeziegel ab.

Nun war ich an der Reihe. Einmal mehr nahm ich meine Schale, meine nun frisch gereinigte Schale und hielt sie hin. Ein Mönch nahm eine Schöpfkelle und füllte sie randvoll mit Tsampa. Dankbar zog ich mich in eine Ecke zurück, setzte mich auf einen Sack und aß meine Portion. Während ich aß, schaute ich mich um. Die Küche war voll von den üblichen Müssiggängern. Untätige Männer, die herumlungerten, tratschten und die neusten Skandalgeschichten erzählten und den erst vernommenen Gerüchten noch ein paar neue hinzufügten: «Ja, der Lama Tenching wird ins Rosenzaun-Lamakloster gehen. Tis hat gesagt, er hätte Streit mit dem Herrn Abt gehabt. Mein Freund hat alles gehört, er sagte …»

Die Menschen haben viele eigenartige Vorstellungen von Lamaklöstern oder Einsiedeleien. Es wird oft angenommen, dass Mönche den ganzen Tag mit Beten, Nachdenken oder Meditieren verbringen, und dazu noch «gut aussehen und nur Gutes sagen». Ein Lamakloster ist ein Ort, wo sich offiziell, Männer mit religiösen Absichten zum Zwecke der Verehrung und des Nachdenkens zusammenfinden, damit der Geist geläutert werden kann. Offiziell! Inoffiziell aber macht eine Robe noch lange keine Mönche aus ihnen. In einer Gemeinschaft von mehreren Tausend Menschen muss es auch diejenigen geben, die sich um den Haushalt, die Reparaturen und die Instandhaltung der Gebäude kümmern. Andere kümmern sich um die Buchhaltung, beaufsichtigen die Untergebenen, lehren und predigen und so weiter. Es gibt genug Arbeit! Ein Lamakloster kann eine große Stadt mit einer ausschließlich männlichen Bevölkerung sein. Die Arbeiter sind die unterste Klasse der Mönche. Sie haben kein Interesse am «religiösen» Aspekt des Lebens, sie legen nur Lippenbekenntnisse ab. Einige Mönche waren noch nie in einem Tempel, außer um den Boden zu wischen!

Ein großes Lamakloster verfügt über eine Andachtsstätte, über Schulen, Krankenhäuser, Läden, Küchen, Herbergen, Gefängnisse und beinahe alles, was man in einer «weltlichen» Stadt auch finden würde. Der Hauptunterschied ist nur, dass in einem Lamakloster jeder und alles männlich ist und sich alle, oberflächlich betrachtet, den «religiösen Weisungen und Handlungen» verschrieben haben. Die Lamaklöster haben ihre gewissenhaften Arbeiter als auch ihre wohlmeinenden kleinen «Nichtstuer». Die größeren Lamaklöster sind Städte, Siedlungen mit vielen Gebäuden und Parks, die sich über ein weites Gebiet erstrecken. Manchmal ist die ganze Gemeinschaft auch von einer hohen Mauer umgeben. Andere Lamaklöster sind klein und beherbergen vielleicht nur etwa hundert Mönche, die alle in einem Gebäude untergebracht sind. In einigen weit entlegenen Gegenden zählt ein sehr kleines Lamakloster vielleicht nicht mehr als zehn Mitglieder. So bewegt sich die Mitgliederzahl von zehn bis zu zehntausend Personen von großen und kleinen, von dicken und dünnen, von guten und schlechten und von faulen und tatkräftigen Mönchen. Das Gleiche also wie in einer Gemeinschaft außerhalb auch. Das heißt, nicht schlechter und oft nicht viel besser, außer dass die «lamaistische Disziplin» fast schon militärisch sein konnte. Es hing alles von dem verantwortlichen Abt ab. Er konnte ein netter, rücksichtsvoller Mann oder auch ein Tyrann sein.

Ich unterdrückte ein Gähnen und ging in den Korridor hinaus. Ein Rascheln in einem der Lagerräume erweckte meine Aufmerksamkeit. Ich sah gerade noch einen schwarzen Schwanz zwischen den Getreidesäcken verschwinden. Die Katzen bewachten das Getreide und fingen sich gleichzeitig ihr (Mäuse-)Abendbrot. Auf einem Sack sah ich einen zufrieden aussehenden Kater sitzen, der sich munter seine Schnurrhaare putzte.

Die Trompeten ertönten und hallten durch die Korridore und widerhallten immer wieder aufs Neue. Ich drehte mich um und machte mich auf den Weg zum inneren Tempel zu den Geräuschen von vielen schlurfenden Sandalen und dem Klatschen nackter Füße.

Im Inneren breitete sich die zunehmende Dunkelheit des frühen Abends aus. Die purpurnen Schatten stahlen sich über den Boden und ließen die Pfeiler wie Elfenbein erscheinen. Die Seiten der Fenster waren mit Gold eingefasst, als die Sonne ihre Strahlen aussandte und unser Zuhause ein letztes Mal sanft umarmte. Wirbelnde Weihrauchwolken trieben dahin und zeigten sich, wenn sie von einem Sonnenstrahl getroffen wurden, als Myriaden von Staubkörnern in lebendigen Farben, fast so, als wären sie von Leben durchdrungen.

Mönche, Lamas und einfache Akoluthen gingen hintereinander hinein und nahmen ihren Platz am Boden ein. Jeder fügte seinen eigenen Farbtupfer hinzu, der sich in der vibrierenden Luft zu widerspiegeln schien. Die goldenen Roben der Potala-Lamas, die safrangelben und roten Roben von anderen, die dunkelbraunen Roben der Mönche und die sonnengebleichten Gewänder jener, die ständig im Freien arbeiteten. Alle saßen in Reihen in der für sie gebilligten Haltung. Ich jedoch wurde, aufgrund meiner schweren Beinverletzung, die mir das Sitzen wie vorgeschrieben verunmöglichte, in die hinteren Reihen verwiesen, wo ich von einer weihrauchumhüllten Säule verdeckt war, sodass ich «das Muster» nicht zerstörte.

Ich schaute mich um, ich sah all die Knaben, die Männer und die sehr alten Weisen, die alle an der Andacht teilnahmen, jeder nach seinem Verständnis. Ich dachte an meine Mutter, an die Mutter, die mir nicht einmal auf Wiedersehen gesagt hatte, als ich mein Zuhause verließ, um dem Chakpori-Lamakloster beizutreten. Wie lange mochte das schon wieder her sein? Männer, alles Männer. Ich wusste nur über Männer Bescheid. Wie waren wohl die Frauen? Ich wusste, dass es in einigen Gebieten von Tibet Lamaklöster gab, wo Mönche und Nonnen gemeinsam lebten, verheiratet waren und Familien hatten.

Der Weihrauch wirbelte weiter. Die Andacht nahm ihren Lauf, und die Düsterkeit nahm zu, bis die Dunkelheit über uns hereinbrach, die kaum von den flackernden Butterlampen und dem schwachen Glühen des Weihrauches erhellt wurde. Männer! War es überhaupt richtig für Männer, wenn sie allein und ohne Umgang mit Frauen lebten? Wie mochten wohl die Frauen sein? Wie auch immer, dachten sie das gleiche wie wir? Soweit ich wusste, redeten sie nur über Mode, Haarfrisuren und so dummes Zeug wie das. Sie sahen außerdem schrecklich aus mit all dem Zeug, das sie sich ins Gesicht strichen.

Die Andacht endete. Ich erhob mich schmerzgequält und stand mit wackeligen Beinen da und lehnte mit dem Rücken gegen einen Pfeiler, damit ich nicht gleich beim ersten Ansturm der hinauseilenden Brüder zu Boden gerissen wurde. Schließlich ging auch ich in den Korridor und machte mich auf den Weg in den Schlafsaal.

Ein kalter Wind wehte durch das offene Fenster, der direkt vom Himalaya herabblies. Die Sterne schienen hell und kalt in der klaren Nachtluft. Aus einem Fenster unterhalb rezitierte eine zitternde Stimme:

«Wahrlich, dies ist die Edle Wahrheit über den Ursprung des Leidens: Es ist das begehrliche Verlangen, das die Wiederholung des Werdens verursacht.»

Morgen, das durfte ich nicht vergessen, und vielleicht noch ein paar Tage danach, würden wir spezielle Vorträge über den Buddhismus von einem angesehenen indischen Lehrer erhalten. Unser Buddhismus, der Lamaismus, hatte sich von der strikten orthodoxen Linie des «indischen Buddhismus» abgewandt, auf die gleiche Weise wie der christliche Glauben verschiedene Ausrichtungen hat, so zum Beispiel die Evangelisten oder die Katholiken. Nun aber waren die Nachtstunden schon weit fortgeschritten und ich wandte mich von dem frostigen Fenster ab.

Rund um mich herum schliefen die Akoluthen schon. Einige schnarchten. Ein paar wälzten sich unruhig hin und her, während sie vielleicht an Zuhause dachten, wie ich das neulich auch getan habe. Ein paar sehr verwegene Seelen versuchten bereits, die «korrekte» lamaistische Schlafhaltung zu praktizieren, das heißt, das Schlafen in aufrechter Lotosposition. Wir hatten natürlich keine Betten und auch keine Matratzen. Der Boden war unser Tisch und auch unser Bett.

Ich zog meine Robe aus und zitterte nackt in der kalten Nachtluft. Dann wickelte ich mich in meine Wolldecke ein, die alle tibetischen Mönche als Rolle über einer Schulter tragen und die bis zur Hüfte reichte. Vorsichtig ließ ich mich zu Boden gleiten, im Falle mich meine heimtückischen Beine hintergingen. Ich bündelte meine Robe unter den Kopf als Kissen und fiel in den Schlaf.

Kapitel 2

«Du, Junge! Du! Setz dich richtig hin! Setz dich so hin, wie es sich gehört!» Die Stimme dröhnte wie ein Donnergrollen. Dann verpassten mir zwei kräftige Hände links und rechts eine Ohrfeige. Einen Moment lang dachte ich, alle Tempelglocken hätten auf einmal geklingelt. Ich sah mehr Sterne, als in der klarsten Nacht zu sehen waren. Eine Hand packte mich am Kragen meiner Robe, hob mich auf die Füße und schüttelte mich wie ein Staubtuch, das man aus dem Fenster schüttelte.

«Antworte mir, antworte mir, Junge!», schrie die wütende Stimme. Doch, er gab mir keine Gelegenheit zu antworten. Er schüttelte mich einfach, bis meine Zähne klapperten und meine Schale herausfiel und über den Boden kullerte. Mein Beutel mit der Gerste fiel heraus. Die Schnur löste sich und dabei ergoss sich ein Getreideregen in die geschockte Luft. Schließlich zufrieden, warf mich der wütende Mann wie eine Stoffpuppe zur Seite.

Plötzlich kehrte Stille ein und in der Luft lag eine gespannte Erwartung. Vorsichtig befühlte ich meine Robe hinten an meinem linken Bein. Eine dünne Blutspur sickerte aus der aufgerissenen Narbe. Stille? Ich schaute auf. Ein Abt stand am Türeingang dem wütenden Mann gegenüber.

«Der Junge wurde schwer verletzt», sagte er. «Er hat eine Sondererlaubnis von Seiner Heiligkeit, so zu sitzen, wie es ihm am angenehmsten ist. Er hat außerdem die Erlaubnis, Fragen im Sitzen zu beantworten.»

Der Abt kam zu mir herüber, schaute auf meine vom Blut geröteten Finger und sagte: «Die Blutung sollte bald aufhören. Wenn nicht, dann geh zum Arzt.» Damit nickte er dem aufgebrachten Mann zu und verließ den Raum.

«Ich», sagte der wütende Mann, «bin eigens von Mutter Indien hierhergekommen, um euch die Wahrheit über den Buddhismus zu erzählen. Ihr in eurem Land habt euch von unserer Lehre losgesagt und einen eigenen Religionszweig, den Lamaismus, gegründet. Ich bin gekommen, um euch den Ursprung der Wahrheit wieder näherzubringen.»

Er starrte mich an, als wäre ich sein Todfeind. Dann wies er einen Jungen an, mir meine Schale und meinen nun leeren Gerstebeutel wieder zu geben. Einige Augenblicke, während dies ausgeführt und meine verschüttete Gerste aufgewischt wurde, schritt er im ganzen Raum umher, so als hielte er nach einem weiteren Opfer Ausschau. Er war ein großer, hagerer Mann mit einer sehr braunen Haut und einer großen, gebogenen Nase. Er trug die Robe eines alten indischen Ordens und er blickte uns an, als würde er uns alle verachten!

Der indische Lehrer stolzierte ans Ende des Raumes und stieg auf ein kleines erhöhtes Podest. Sorgfältig stellte er das Lesepult auf die für ihn exakte Höhe ein. Er kramte in einer Ledermappe herum, die steife Seiten hatte und rechteckig war und entnahm ihr einige bemerkenswerte Papierblätter. Dünnes Papier, eine Handbreite auf zwei Handbreiten, überhaupt nicht wie die langen und dicken Papierbögen, die wir hier verwendeten. Sie waren dünn, man sah hindurch und sie waren beinahe so biegsam wie Stoff. Seine eigentümliche Ledermappe faszinierte mich. Sie war hochpoliert und in der Mitte auf der schmalen Seite befand sich ein glänzendes Metallstück, das aufsprang, wenn der Knopf gedrückt wurde. Ein Stück geformtes Leder diente als praktischer Griff. Ich beschloss, dass ich mir eines Tages auch eine solche Ledermappe anschaffen würde.

Der Inder raschelte mit dem Papier. Drohend sah er uns an und erzählte uns die Geschichte, die wir schon längst kannten. Ich beobachtete mit großem Interesse, wie seine Nasenspitze während des Sprechens wackelte und seine Augenbrauen ausgeprägte Wülste bildeten, wenn er auf die Seiten schaute. Die Geschichte, die er uns erzählte, war die alte, uns wohlvertraute:

Vor zweitausendfünfhundert Jahren waren die Menschen in Indien von ihrer Religion enttäuscht. Die Hindupriester waren verkommen und dachten nur noch an die irdischen Freuden und an den persönlichen Gewinn. Die Menschen, denen sie hätten helfen sollen, wandten sich von ihrem alten Glauben ab und wandten sich allem zu, was ihnen irgendwie noch einen Funken Hoffnung gab. Propheten und Wahrsager durchquerten das Land. Sie sagten Unheil und Leiden voraus. Tierliebhaber kamen zu dem Schluss, dass die Tiere besser waren als die Menschen und so verehrten sie die Tiere als Götter.

Die kultivierteren Inder, tiefsinnige Menschen, die um ihr Land bangten, wandten sich von der Religion ihrer Ahnen ab und sannen tief über den traurigen Zustand der Menschenseele nach. Ein solcher Mann war ein hoher Hindufürst. Ein schwerreicher Kriegerfürst. Er war beunruhigt und machte sich Sorgen um die Zukunft seines einzigen Sohnes Gautama, der erst kürzlich in eine so sorgenvolle Welt hineingeboren wurde.

Der Vater und die Familie hatten den großen Wunsch, dass Gautama als großer Kriegerprinz aufwachsen und später das Fürstentum seines Vaters erben sollte. Ein alter Wahrsager, der zur Weissagung herangezogen wurde, hatte vorausgesagt, dass der junge Mann ein Prophet mit großem Ansehen werden würde. Für den schwer getroffenen Vater war dieses Schicksal noch schlimmer als der Tod. Um ihn herum gab es genug Beispiele von jungen Männern aus der Oberschicht, die sich von ihrem komfortablen Leben lossagten und sich als Pilger, barfuß und in Lumpen gekleidet, auf den Weg machten, um nach einem neuen spirituellen Leben zu suchen. Der Vater entschloss alles zu tun, um die Prophezeiung des Wahrsagers zu vereiteln und legte seinen Plan fest …

Gautama war ein künstlerisch begabter und sehr sensibler junger Mann mit einem ausgesprochen scharfen und wachen Verstand. Er war in der Lage, Vorwände zu durchschauen und ihnen auf den Grund zu gehen. Adelig in beidem, von Geburt und in der Erziehung, nahm er immer Rücksicht auf die ihm Untergebenen. Seine Wahrnehmung war so ausgeprägt, dass er erkannte, dass er sehr umsichtig behütet und abgeschirmt wurde und nur diejenigen treffen durfte, die ihm persönlich dienten oder der Kaste gleichgestellt waren.

Zur Zeit der Prophezeiung des Wahrsagers hatte der Vater die strikte Anweisung erteilt, dass sein Sohn zu allen Zeiten von allem Bösen und Leiden bewahrt werden sollte, die die Menschen jenseits der Palastmauern plagten. Dem Knaben wurde nie gestattet, allein nach draußen zu gehen. Seine Reisen wurden beaufsichtigt und ihm wurde nie erlaubt, jemanden zu treffen, der arm war oder litt. Luxus und nur Luxus sollte sein Los sein. Alles, was mit Geld gekauft werden konnte, war sein. Alles, was unerfreulich und unbarmherzig war, wurde rigoros von ihm ferngehalten.

Doch das Leben konnte so nicht weitergehen. Gautama war ein temperamentvoller und entschlossener junger Mann. Eines Tages, ohne Wissen seiner Eltern und seiner Lehrer, schlich er sich aus dem Palast und begab sich mit einem sehr sorgsam ausgewählten Bediensteten auf eine Ausfahrt jenseits der Palastanlage. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er, wie andere Kasten lebten. Vier Ereignisse führten zu den tiefgründigsten Gedanken und veränderten so den Lauf der Religionsgeschichte.

Zu Beginn seiner Ausfahrt sah er einen sehr, sehr alten Mann, der vor Alter und Krankheit zitterte. Er stützte sich schwer auf seine zwei Krücken, während er sich schmerzgeplagt entlangschleppte. Zahnlos und erblindet vom grauen Star und altersschwach drehte der alte Mann dem jungen Prinzen sein leeres und starr blickendes Gesicht zu. Zum ersten Mal in seinem Leben erkannte Gautama, dass das Altern jeden betraf und dass man mit zunehmenden Jahren nicht mehr so vital und beweglich war.

Völlig betroffen und voller seltsamer und düsterer Gedanken setzte der junge Prinz seine Fahrt fort. Doch ein weiterer Schock stand ihm noch bevor. Als die Pferde vor einer scharfen Biegung verlangsamten, fiel Gautamas entsetzter Blick auf eine beklagenswerte Gestalt, die jammernd und schaukelnd am Straßenrand saß. Ein Mann über und über mit eiternden Wunden bedeckt, ausgemergelt und von Krankheit gezeichnet, stöhnte und zupfte gelben Wundschorf von seinem Körper.

Der junge Gautama war zutiefst erschüttert. Krank vor Kummer – vielleicht war ihm auch sonst übel – sann er über die Frage nach: Muss man leiden? Betraf das Leiden alle Menschen? Ist Leiden unvermeidlich? Er schaute seinen Bediensteten an, der fuhr. Warum war er so ruhig, fragte sich der junge Prinz. Der Fahrer war unbekümmert, als ob solche Anblicke für ihn alltäglich wären. Dies musste also der Grund sein, warum sein Vater ihn so abgeschirmt hatte.

Sie fuhren weiter. Gautama war viel zu überwältigt, um eine andere Anweisung zu geben. Das Schicksal, oder die Bestimmung, war damit noch nicht besiegelt. Auf einen Ausruf Gautamas wurden die Pferde verlangsamt und kamen zum Stehen. Neben der Straße lag nackt und grotesk ein von der glühenden Hitze der Sonne aufgedunsener Körper. Der Fahrer zwickte mit der Geißel und ein dichter Schwarm Fliegen, die sich von dem Körper ernährten, schwärmte auf. Der Leichnam, verfärbt und übelriechend, wurde vollkommen vor den Augen des jungen Mannes offenbart. Und während er hinschaute, spazierte eine Fliege aus dem toten Mund, schwirrte herum und setzte sich wieder.

Zum ersten Mal in seinem Leben sah Gautama den Tod. Er wusste nun, dass es am Ende des Lebens den Tod gab. Der junge Mann wies den Fahrer wortlos an, zurückzukehren … Er saß da und dachte über die Unbeständigkeit des Lebens nach. Er saß da und sann über die Schönheit eines Körpers nach, der jetzt der Verwesung preisgegeben war. War Schönheit so vergänglich, fragte er sich?

Die Räder drehten sich und dahinter wirbelten die Staubwolken auf. Der junge Prinz saß freudlos, in sich gekehrt und in Gedanken versunken da. Der Zufall oder das Schicksal wollte es, dass er rechtzeitig aufschaute, um einen schlicht gekleideten und heiter daherschreitenden Mönch auf der Straße zu sehen. Der Mönch, ruhig und gelassen, strahlte eine Aura von innerem Frieden, Wohlergehen und eine Liebe für seine Mitmenschen aus. Der nachdenkliche Gautama, der bis in sein Innerstes zutiefst erschüttert war über das, was er gesehen hatte, schockierte das erneut. Waren Frieden, Zufriedenheit und Ruhe alles Tugenden, die man nur fand, wenn man sich vom alltäglichen Leben zurückzog und religiös wurde? Ein Mönch wurde? Ein Mitglied eines mystischen Ordens? Dann, so beschloss er, würde er wie dieser Mönch werden. Er würde dem Leben im Palast den Rücken kehren und sich aus dem einzigen Leben zurückziehen, das er kannte.

Sein Vater tobte und wütete und seine Mutter weinte und flehte. Der Bedienstete wurde aus dem Fürstentum verbannt. Gautama saß allein in seinem Gemach und dachte unentwegt nach. Endlos dachte er über das nach, was er gesehen hatte. Er dachte, dass wenn er so viel auf einer kurzen Ausfahrt – seiner einzigen Ausfahrt – gesehen hatte, wie viel mehr Leid und Not musste es wohl noch geben? Er verweigerte das Essen, grämte sich und war niedergeschlagen. Er saß nur da und überlegte, was er tun sollte und wie er aus dem Palast fliehen und Mönch werden konnte.