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Allen Widerständen zum Trotz kämpft eine Frau für ihre Träume. Der historische Roman »Die Smaragdkönigin« von Elfie Ligensa als eBook bei dotbooks. Rheinland-Pfalz, Mitte des 19. Jahrhunderts. Von den Männern wird sie belächelt, von den Frauen missbilligend beäugt – und doch lässt sich die junge Andrea nicht beirren: Mutig sucht sie in den Achat-Minen nach dem wertvollen Quarz und schleift ihn zu kunstvollen Schalen und edlem Schmuck. Nur der Bergarbeiter Mathias hat Verständnis für ihre große Leidenschaft. Doch als er eine Andere heiraten soll, fliehen die beiden bei Nacht und Nebel aus ihrer Heimat. Werden sie im exotischen Brasilien ihr Glück finden? Als Andrea sich endlich am Ziel ihrer Träume wähnt, reißt ihr das Schicksal den Boden unter den Füßen weg – aber die junge Edelsteinschleiferin gibt die Hoffnung nicht auf ... Jetzt als eBook kaufen und genießen: Im opulenten historischen Roman »Die Smaragdkönigin« von Elfie Ligensa erfüllt sich eine mutige Frau ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben als Edelsteinschleiferin im exotischen Brasilien. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 373
Über dieses Buch:
Rheinland-Pfalz, Mitte des 19. Jahrhunderts. Von den Männern wird sie belächelt, von den Frauen missbilligend beäugt – und doch lässt sich die junge Andrea nicht beirren: Mutig sucht sie in den Achat-Minen nach dem wertvollen Quarz und schleift ihn zu kunstvollen Schalen und edlem Schmuck. Nur der Bergarbeiter Mathias hat Verständnis für ihre große Leidenschaft. Doch als er eine Andere heiraten soll, fliehen die beiden bei Nacht und Nebel aus ihrer Heimat. Werden sie im exotischen Brasilien ihr Glück finden? Als Andrea sich endlich am Ziel ihrer Träume wähnt, reißt ihr das Schicksal den Boden unter den Füßen weg – aber die junge Edelsteinschleiferin gibt die Hoffnung nicht auf ...
Über die Autorin:
Elfie Ligensa hat lange in einem großen deutschen Verlag als Redakteurin gearbeitet. Dort hat sie die Arztroman-Serie »Dr. Stefan Frank« erfunden und auch an der Fernsehserie mitgearbeitet. Im Lauf der Jahre hat sie mehr als 100 Heftromane, Kurzgeschichten und zahlreiche Romane geschrieben. Ihre Vorliebe beim Schreiben gehört aber den historischen Stoffen. Wenn Elfie Ligensa sich von ihrem Schreibtisch losreißen kann, zieht es sie in fremde Länder, wo sie Inspiration für neue Romane sammelt.
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Originalausgabe Dezember 2019
Copyright © der Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Susann Harring
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Dadal 3, KathySG, Eva Heaven2018, Matyas Rehak
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-96148-737-0
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Elfie Ligensa
Die Smaragdkönigin
Roman
dotbooks.
Idar, 1855
Früh senkte sich die Dämmerung an diesem regnerischen Februartag übers Land. Die drei Haselnusssträucher im Vorgarten des Pfarrhofes bogen sich im Wind, der Andrea das Tuch vom Kopf riss, kaum dass sich die Eichentür hinter dem schlanken jungen Mädchen geschlossen hatte. Instinktiv hob Andrea den Arm und zog das dunkelrote Wolltuch, das sie gegen die Kälte um die Schultern geschlungen hatte, fester um sich.
»Verflixt!« Mit zusammengepressten Lippen sah sie den drei, vier Blättern nach, die bei der spontanen Bewegung aus der Mappe gerutscht waren, die sie unter dem Arm trug. Die Papiere, vollgeschrieben mit französischen Vokabeln, wirbelten durch die Luft, und Andrea beeilte sich, alles wieder einzusammeln.
Seit dem letzten Winter ging sie zweimal in der Woche zum alten Pfarrer Schlegel, um bei ihm Französischunterricht zu nehmen. Sie mochte die elegante Sprache und lernte schnell, wenn sie auch bei ihrer Familie mit ihrem Lerneifer auf Unverständnis stieß.
»Wozu noch Französisch lernen?«, hatte der Vater gefragt, als sie ihn darum gebeten hatte, noch länger zum Herrn Pfarrer gehen zu dürfen. »Seit dem Wiener Kongress haben wir einen neuen Landesherrn, der mit den Franzosen keine Geschäfte mehr macht, da musst du diese komplizierte Sprache gar nicht erst lernen.« Ein tiefer Seufzer war den Worten gefolgt. »Wenn wir doch nur noch zu Preußen gehörten! Dann säh’ unsere Lage viel besser aus.«
»Vielleicht ändert sich alles bald wieder. Und dann kann Französisch mir von Nutzen sein. Außerdem macht mir das Lernen Spaß. Und wie du weißt …«
»… wie ich weiß, tust du ja sowieso, was du willst.« Bertram Kronheim hatte den Kopf seufzend in die von Arbeit gezeichneten Hände gestützt und sich wieder seiner Zeitung gewidmet.
Hilfesuchend hatte Andrea zur Mutter geschaut, die am Herd stand und in einer Suppe rührte. Doch Mathilde Kronheim schwieg – wie so oft.
Seit ihr einziger Sohn, der Hannes, vor vier Jahren an einem schweren Fieber gestorben war, sprach sie nur noch wenig. Andrea erinnerte sich, wie schön und fröhlich ihre Mutter früher gewesen war, doch das harte Leben hatte nicht nur in ihrem Gesicht Spuren hinterlassen. Das einst dichte blonde Haar war über Nacht grau geworden. Seit dem Tod des Sohnes trug sie es stramm nach hinten gekämmt und zu einem Knoten geschlungen. Nach einem Schlaganfall, den sie vor vierzehn Monaten erlitten hatte, war der linke Arm gelähmt, und auch mit dem Sprechen tat sie sich seither schwer. Oft fehlten ihr die richtigen Worte.
Mit dem Hannes ist auch ein Teil von der Mutter gestorben, dachte Andrea oft, wenn sie sah, wie traurig und verzweifelt die Mutter wirkte. Noch immer kümmerte sie sich um die Wirtschaft, sorgte für Mann und Tochter, doch die Arbeit fiel ihr immer schwerer, sodass Bertram Kronheim vor einem halben Jahr eine Magd hatte einstellen müssen, die die schwereren Hausarbeiten verrichtete. Meta war ein etwas grobschlächtiges, aber gutmütiges Mädchen aus einem Dorf im Hunsrück. Zu Hause gab es acht hungrige Geschwister, da waren ihre Eltern froh gewesen, Meta bei anständigen Leuten in Lohn und Brot zu wissen.
Lohn gab es allerdings nur wenige Groschen, doch Meta war’s zufrieden. Sie besaß eine eigene kleine Kammer gleich neben der von Andrea, der Haustochter, es gab immer satt zu essen, im Gegensatz zu daheim, und die Kronheims waren gut zu ihr.
Der Wind wurde noch heftiger, in der Ferne zuckten dicht hintereinander drei Blitze auf, gefolgt von dumpfem Donnergrollen.
»Grüß dich, Andrea. Bist noch arg spät unterwegs! Und das bei dem Hundswetter. Hier, das hat sich drüben im Dorngestrüpp verfangen.«
»Mathias! Hast du mich erschreckt!«
»Das wollt ich nicht.« Der junge Mann mit dem halblangen blonden Haar streckte ihr ein nasses Blatt entgegen. »Leider ist es eingerissen.«
»Dank dir.« Andrea steckte rasch das Blatt in die alte Mappe.
»Warum bist du denn noch unterwegs? Hast du noch gearbeitet?«
»Nein, wir haben heute früher Schluss gemacht. Das Wetter ist einfach zu schlecht. Aber ich wusste ja, dass du heute wieder zum Unterricht beim Herrn Pfarrer gehst. Und da dachte ich, ich hol dich ab.«
»Bei dem Regen wär das aber nicht notwendig gewesen.«
»Ich mach’s aber gern, das weißt du doch.« Er streckte den Arm aus und strich ihr zärtlich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Du stinkst nach Fisch!« Andrea drehte lachend den Kopf zur Seite. »Warst du wieder angeln?«
»Sicherlich. Bei Regen beißen sie gut. Und ein frischer Fisch in der Pfanne ist besser als tagtäglich Brotsuppe.« Für ein paar Sekunden wurde seine Miene ernst. »Du weißt doch, wie es bei uns daheim steht.«
»Ja, ich weiß.« Sie biss sich auf die Lippen. »Wenn ich dir doch nur helfen könnte! Aber bei uns daheim sieht es auch nicht rosig aus.«
»Du bist da, das ist Hilfe genug.« Er blieb stehen und griff nach ihren Schultern. »Andrea, ich wünsch mir so sehr, dass ich um deine Hand anhalten könnt’! Aber wir Fischbachers sind arm wie die Kirchenmäuse.« Mit einem Seufzer vergrub er das Gesicht in ihrem blonden Haar.
Zärtlich strich ihm Andrea über die Wange, die wie immer ein wenig stoppelig war. »Ich hab vorgestern eine recht große Amethystdruse gefunden. Wenn du willst, geb ich sie dir, sie ist allerdings nicht sehr dunkel, also auch nicht sehr wertvoll. Der Vater weiß noch nichts davon, ich hab sie an einer geheimen Stelle im Berg versteckt. Du könntest sie verkaufen oder selbst schleifen.«
»Auf keinen Fall! Untersteh dich, davon noch mal zu reden! Ich will keine Almosen, erst recht nicht von dir!« Mit einem Ruck riss Mathias sich von ihr los.
Andrea spürte einen leisen Schmerz im Nacken, und instinktiv griff sie sich an den Hals.
»Meine Kette!« Panik schwang in ihrer Stimme mit. »Meine Kette ist gerissen!«
»Gerade eben?« Mathias bückte sich sofort und suchte den nassen Boden ab. Er wusste, wie viel die Kette Andrea bedeutete. »Ich kann nichts sehen.« Mit beiden Händen tastete er über den matschigen nassen Boden. »Bist du dir sicher, dass du sie gerade erst verloren hast?«
»Ganz sicher! Die Kette ist eben gerissen, ich hab’s genau gespürt.« Auch sie bückte sich und suchte den Boden ab. Dass die Blätter mit den französischen Vokabeln jetzt alle auf dem nassen Boden lagen, war in dem Moment nicht von Belang.
Fünf, sechs Minuten lang suchten sie vergeblich nach dem Schmuckstück.
»Ich lauf zurück zum Pfarrhaus und frag nach einer Laterne.«
»Ich such derweil weiter.« Schon bückte sich Mathias wieder, tastete den Boden ab, doch das Schmuckstück fand er nicht.
Wenige Minuten später kam das Mädchen mit einer Laterne zurück, die jedoch nur schwaches Licht verbreitete. »Wir müssen die Kette finden!« Tränen schwangen in ihrer Stimme mit. An der feinen Silberkette hing eine kunstvoll gearbeitete Gemme, die ein Katzengesicht darstellte. Als Augen waren winzig kleine Smaragde eingelassen worden. Andrea hatte den makellosen Achat vor zehn Jahren mehr durch Zufall gefunden, und ihr Großvater, ein besonders geschickter, weit über die Grenzen des Landes bekannter Gemmenschneider, hatte ihr daraus die Katze gefertigt. Es war seine letzte Arbeit gewesen, bevor er kurz darauf gestorben war.
»Ich hab sie!« Mathias hielt die Kette, aus der kleine Schlammtropfen liefen, triumphierend in die Höhe.
»Bin ich froh! Danke!«
»Die Kette ist gerissen, ich reparier sie dir morgen«, bot er an.
»Ist recht.« Andrea lächelte ihm zu. Sie wusste, dass Mathias nicht nur ein guter Achatschleifer war, er war auch ein geschickter Silberschmied – eine Fertigkeit, die er allerdings im heimischen Betrieb nicht einbringen konnte, zu selten waren die entsprechenden Aufträge. »Ich bring die Lampe zurück. Bin gleich wieder da.«
Mathias hielt das Gesicht in den prasselnden Regen. Er war müde, gleich nach Sonnenaufgang waren sein Vater und seine Brüder zur Weiherschleife gegangen und hatten dort die kürzlich gefundenen Steine geschliffen. Es war mühselig, so lange in gebückter Haltung über dem Wasser zu hängen und dabei darauf zu achten, dass die kostbaren Steine korrekt geschliffen und poliert wurden. Jetzt, im Frühjahr, war es nicht ganz so beschwerlich wie im Winter, wenn der Fluss eisig kaltes Wasser führte, die Hände steif gefroren waren und die Steine kaum zu halten vermochten.
Doch weder die Fischbachers noch die anderen Familien der Gegend konnten sich Müßiggang leisten, jeder Fund musste bearbeitet und so rasch als möglich verkauft werden. Zudem mussten sich die Fischbachers in letzter Zeit immer neue Schleifen suchen, da sie kaum noch die fällige Pacht für den jeweiligen Besitzer der Schleifereien aufbringen konnten. Vor 20 Jahren hatten sie noch eine eigene Schleiferei besessen, am Oberlauf des Idarbaches hatte das kleine Haus mit dem Wasserrad und den zwei Schleifsteinen gestanden. Doch es war ihnen nicht mehr möglich gewesen, den Besitz zu erhalten. Seither arbeiteten sie als Pächter der verschiedensten Schleifereien, wie so viele von ihren Kollegen.
Die Zeiten waren hart geworden, die Funde von guten Achaten immer seltener. Es war kaum noch möglich, große Schalen, Vasen oder gar Zigarrendosen mit feinster Maserung herzustellen. Seit gut zehn Jahren mussten die Männer am Idarbach, am Fischbach und der Nahe erkennen, dass ihre Minen zum größten Teil ausgebeutet waren.
Elend und Not breiteten sich in der gesamten Gegend immer stärker aus. In den Zwanzigerjahren hatten einige Familien ihre Söhne über den großen Teich nach Südamerika schicken können – ein Abenteuer, das leider oft einen unglücklichen Ausgang genommen hatte. Nur von zwei, drei Männern wusste man, dass sie in Brasilien eine solide Existenz hatten gründen können.
Ans Auswandern dachte auch Mathias hin und wieder, doch laut aussprechen wollte er seine Gedanken nicht. Im Augenblick war das nicht wichtig. Wichtig waren nur Andrea und seine Liebe zu ihr. Ein Lächeln glitt über sein müdes Gesicht, als Andrea zu ihm zurückkehrte. Sie war sein einziges Glück, und dass sie ihm ihr Herz geschenkt hatte, ließ ihn alle Mühe für diesen Abend vergessen.
»Kommst du mit zu uns?« Andrea hakte sich bei ihm ein. »Es gibt sicher noch Suppe.«
»Lieber nicht. Dein Vater sieht’s nicht gern, dass wir zusammen sind. Und ich muss auch heim. Die Nacht wird kurz. Der Vater und ich wollen morgen früh in Richtung Osten gehen, er denkt, dass er dort eine neue Mine auftun kann.« Ein tiefer Seufzer begleitete seine Worte.
»Aber geh, das kann doch gar nicht sein!«
»Ich weiß. Aber der Vater klammert sich an jeden Strohhalm.«
»So wie wir alle.«
»Du könntest ganz was anderes machen als die harte Männerarbeit.« Mathias presste die Lippen für einen Moment zu einem schmalen Strich zusammen. »Bist so hübsch und klug noch dazu …«
»Jetzt fang du nicht auch noch damit an!« In Andreas Augen blitzte es auf. »Ich taug nicht zur Köchin oder Wäscherin. Und erst recht nicht zur Hausmagd bei einem feinen Herrn in der Stadt.«
»Aber die Schleifer sehen es nicht gern, dass du mit ihnen zusammen schaffst.«
»Ich weiß. Aber das kümmert mich nicht. Ich mach, was ich will.« Ein leichtes Schulterzucken begleitete ihre Worte. »Du weißt doch, dass ich wochenlang mit dem Vater gestritten hab, weil ich mit ihm in den Berg und zur Schleife gehen wollte. Er hat’s nicht erlauben wollen – bis zum Tod vom Hannes. Da war es ihm dann egal.«
»Das glaub ich nicht. Er musste sich so einiges von den anderen Männern anhören. Sie haben gar damit gedroht, ihm keinen Platz mehr am Schleifstein anzubieten.«
»Ich weiß. Aber ich hab’s ihnen allen gezeigt. Meine zwei schönsten Schalen hat sogar ein Händler für den Landesherrn gekauft. Das hat noch keiner von euch geschafft.«
»Ob das wirklich stimmt? So ein Händler kann viel erzählen.«
»Mathias! Red nicht so daher! Ich hab gedacht, du stehst zu mir, egal, was kommt.«
Rasch zog er sie wieder in die Arme. »Das tu ich auch, mein Schatz. Zumal du wirklich besser bist als mancher Mann. Und dein Vater braucht dich ja auch.« Er presste die Lippen zusammen. »Ich wünschte, mein Vater wär nur halb so tolerant wie der deine. Aber der geht lieber in die Wirtschaft als zur Arbeit.« Wieder ein schwerer Seufzer. »Und wenn er was schaffen will, dann wird das nix. Hirngespinsten glaubt er mehr als meinem Bruder und mir.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, der Elmar hat eine Stelle im Berg gefunden, wo noch ganz passable Steine zu finden wären. Glaubt er zumindest. Doch der Vater will dort nicht weiter schaffen. Er hält das für Unsinn. Und seit ihm einer seiner Saufkumpane vorige Woche was von einem versteckten Steinbruch erzählt hat, den von uns noch niemand betreten hat, ist er wie berauscht von der Vorstellung, dort eine neue, ertragreiche Mine zu entdecken. Dabei bin ich mir sicher, dass dieser Typ, von dem niemand weiß, woher er kommt und wer er ist, das alles nur erfunden hat.«
»Aber warum sollte er das tun?«
»Damit der Vater ihm noch zwei oder drei Gläser Branntwein mehr spendiert. Ist doch klar.« Mathias stieß schwer die Luft aus. »Aber er lässt sich diese verrückte Idee nicht mehr ausreden, will unbedingt rüber zum Oberlauf des Fischbachs und dort graben.«
»Und du musst mit ihm gehen.« Andrea blieb stehen, sie waren an der kleinen Straße angelangt, in der ihr Elternhaus stand. In der Parallelgasse, dort, wo es noch kein Kopfsteinpflaster gab und die Abwässer in stinkenden Rinnsalen über den Lehmboden rannen, befand sich das alte Haus der Fischbachers. »Mein armer Schatz. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.« Vergessen war ihr Zorn auf Mathias, der es so wie alle anderen Steinschleifer ablehnte, dass sie als Frau diesen Beruf ausübte. Aber er wagte seine Meinung nur ganz selten auszusprechen, da er wusste, wie Andrea darauf reagierte. Und insgeheim bewunderte er sie ja auch für ihren Ehrgeiz und ihr Können, das sie zweifellos besaß.
Mit einer heftigen Bewegung zog Mathias seine Liebste jetzt in die Arme. »Vielleicht kannst du das«, flüsterte er in ihr nasses Haar, ehe er sie küsste. »Vielleicht kannst du mir helfen – eines Tages.«
»Was meinst du damit?«
»Später. Noch ist es zu früh, darüber zu reden. Nur eins will ich jetzt und hier von dir wissen: Bist du mir gut, Andrea? Für heute und immer?«
»Das weißt du doch.« Heftige Röte stieg in ihre Wangen, und sie senkte den Blick.
»Dann ist es gut. Dann ist alles gut.« Noch ein letzter inniger Kuss.
»Mathias! Mathias, wo bist du? Hilfe!« Eine helle Jungenstimme schrillte laut durch die Dunkelheit.
Mathias löste sich von Andrea. »Hier bin ich, Jakob! Was ist denn passiert?«
»Mathias! Wo bist du?« Panik schwang in den wenigen Worten mit.
»Hier, kurz vorm Haus der Kronheims.« Mathias’ dunkle Stimme übertönte den Lärm, der aus einem Wirtshaus ganz in der Nähe kam.
»Jakob! Was ist denn passiert?« Andrea hielt den etwa Zwölfjährigen, der gerade an ihr vorbeirennen wollte, am Ärmel fest. Sein Gesicht war nass, sowohl vom Regen als auch von den Tränen, die ihm wie Sturzbäche aus den Augen rannen.
»Der Vater …« Schwer atmend stand der Bub vor ihnen. Er zitterte am ganzen Leib, denn er trug nur ein verwaschenes graues Hemd, das bereits völlig durchnässt war. Das etwas zu lange Haar, normalerweise blond und lockig, hing ihm in nassen Strähnen bis auf die schmalen Schultern.
»Was ist mit dem Vater? Nun red schon!«
»Der Vater ist verunglückt. Sein Bein ist hin.«
»O mein Gott.« Andrea schlug sich die Hände vors Gesicht.
»Was sagst du da?« Für einen kurzen Moment zog Mathias seinen kleinen Bruder in die Arme. Jakob war ein Nachzügler, die Mutter war schon fast 40 gewesen, als er geboren wurde. Schmächtig und kränklich war er seit jeher, und auch jetzt musste er mühsam nach Luft ringen. »Ruhig, Jakob, ganz ruhig. Erzähl, was los ist.«
»Eine Kutsche … der Vater … die Pferde haben ihn mitgeschleift.«
Fest presste Mathias die Lippen zusammen. »Dann war er wieder mal besoffen und hat nicht aufgepasst«, murmelte er und sah über den Kopf seines kleinen Bruders Andrea an. »Ich muss los.«
»Soll ich mitkommen?«
Er schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.« Ein letzter zärtlicher Blick, dann hasteten er und Jakob davon.
»Aber vielleicht kann ich helfen. Ich komme mit.« Entschlossen folgte Andrea ihnen.
Das Haus der Fischbachers stand in einer Reihe von sechs gleich aussehenden alten Häusern. Windschief und schmal alle. Hinter den Häusern erstreckte sich je ein kleiner Nutzgarten, in dem Trude Fischbacher Gemüse und Kartoffeln zog, so wie ihre Nachbarinnen. Die eigene Ernte half beim harten Überlebenskampf.
In der großen Stube brannte Licht, heller als normalerweise. Zusätzlich zur Öllampe hatte Trude noch zwei kleine Lichter entzündet.
Noch ehe Mathias die Tür zur Stube aufstoßen konnte, kam ihm sein Bruder Elmar entgegen. Er war drei Jahre jünger als Mathias, doch genauso groß wie er, nur ein wenig schlanker. Seine Miene war düster, als er leise sagte: »Warum hat’s ihn nicht richtig erwischt? Verdammt, er versäuft das bisschen Geld, das wir verdienen, immer öfter im Wirtshaus.«
Kurz legte ihm Mathias die Hand auf die Schulter, dann ging er in die Stube. Hier fand das tägliche Leben der Familie statt. Hier wurde gekocht und gegessen. Und in dem alten Lehnstuhl neben dem Fenster pflegte Johann Fischbacher des Sonntags seinen Mittagsschlaf zu halten. Neben dem Sessel stand ein kleiner runder Tisch, auf dem sich seine Ersatzpfeife und der stets gut gefüllte Tabakbeutel befanden. Niemand sonst wagte es, sich hierherzusetzen. So, wie es auch niemand wagte, Johann zu widersprechen.
Jetzt allerdings hing der hochgewachsene Mann mit dem eisgrauen Haar wie ein nasser Sack in seinem Sessel. Seine Augen waren halb geschlossen, aus dem linken Mundwinkel rann Speichel und sickerte in den gestutzten grauen Bart.
Das verletzte Bein lag auf einem Schemel, und ebenso verzweifelt wie vergeblich versuchte Trude, ihrem Mann den halbhohen Stiefel auszuziehen.
Blut tropfte auf den Holzboden, und Frieda, die jüngste Tochter der Fischbachers, die neben dem Sessel stand und eine Schüssel mit Wasser in den Händen hielt, schluchzte verzweifelt auf.
»Sei still. Mit Heulen ist ihm nicht geholfen«, sagte Mathias zu ihr, nahm dann behutsam seine Mutter bei den Schultern und zog sie hoch. »Lass mich mal.«
Doch sobald er den Fuß anfasste, brüllte Johann vor Schmerzen auf. »Hau ab! Lasst mich doch alle … Scheißbande, die ihr seid! Schmarotzer allemal.«
»Der Schuh muss aber runter.« Mathias ließ sich von dem Gezeter nicht beirren. Noch einmal versuchte er es, doch Johann trat mit aller Gewalt nach ihm.
Verzweifelt rang Trude Fischbacher die Hände. »Was machen wir denn jetzt? So kann er doch nicht liegen bleiben.«
Mathias biss sich kurz auf die Lippen. »Geht ihr Frauen raus«, bestimmte er dann. »Frieda, du läufst und holst den Doktor. Elmar und ich kümmern uns.« Während er sprach, sah er Andrea bittend an.
Sie nickte, legte den Arm um Trude und führte sie hinaus.
»Du gehst auch mit, Jakob.« Elmar schob den jüngeren Bruder aus der Stube. Dann wandte er sich an Mathias. »Und was machen wir mit ihm?« Angewidert sah er auf seinen betrunkenen Vater, der allerhand Unverständliches vor sich hin murmelte.
Sekundenlang zögerte Mathias, dann holte er aus und versetzte dem Vater einen so schweren Schwinger, dass Johann die Besinnung verlor.
»Jetzt runter mit dem Schuh«, kommandierte er. »Beeil dich, ehe er wieder zu sich kommt.«
»Du traust dich was.« Elmar beeilte sich, dem Vater den halbhohen Schuh und die gestrickte graue Socke abzustreifen. »Verdammt«, murmelte er, »da ist der Gaul aber mit aller Macht drauf getreten.«
»Da hat er auch noch was.« Mathias wies auf eine Stelle am unteren Schienbein. »Nur leider nicht an seinem verdammten Dickschädel«, fügte er leise hinzu.
Ehe Elmar antworten konnte, wurde die Tür geöffnet, und der Doktor trat ein, gefolgt von Trude, die einen leisen Schrei ausstieß, als sie die Wunde sah. Zwei Knochensplitter ragten aus dem blutigen Gewebe, und noch immer tropfte es aus der Wunde am Schienbein.
»Was hat er angestellt?« Dr. Hollmeier, schon weit über die 60, kannte Johann und seine fatale Neigung, zu tief ins Glas zu schauen. Kurz sah er sich in der spärlich möblierten Stube um. Eines der beiden Fenster, die gerade mal zwei Quadratfuß groß waren, war zersprungen. Um die Wohnung trotzdem vor Regen und Wind zu schützen, hatte Mathias ein paar Latten vor das Loch genagelt. Dennoch drang Feuchtigkeit ins Haus, davon zeugten die drei großen Schimmelflecken an der Decke.
»Er hatte wohl einen Zusammenstoß mit der Postkutsche. Genaues wissen wir nicht.« Mathias zuckte mit den Schultern.
»Zwei Männer haben ihn hergebracht«, warf Trude ein.
»Und seit wann ist er ohnmächtig?«, wollte der Arzt wissen.
»Grad mal seit vier, fünf Minuten.« Ein Grinsen flog über Mathias’ Gesicht. »Wir mussten ihm ja den Schuh ausziehen, und weil er keine Ruhe hielt, hab ich eben nachgeholfen.«
»Gut.« Der Arzt beugte sich über den Verletzten, untersuchte die Wunden und meinte dann: »Da ist nicht mehr viel zu retten. Der Fuß ist hin.«
Trude wurde in Sekundenschnelle leichenblass und begann zu zittern, sodass Elmar tröstend den Arm um ihre Schultern legte.
»Na ja, irgendwie krieg ich die Wunden schon versorgt, und die Brüche werden auch zusammenwachsen – mit der Zeit. Aber richtig laufen wird er mit dem Haxen nicht mehr.« Der Arzt sah kurz auf. »Ich brauche Wasser und jemanden, der mir hilft.«
»Das kann ich machen.« Andrea machte ein paar Schritte auf ihn zu. »Ich hab meiner Mutter schon oft geholfen, wenn der Vater oder unsere Arbeiter sich verletzt hatten. Vor Blut ekelt es mich nicht.«
»Dann komm und mach genau das, was ich dir sage.« Eilig säuberte er das Bein von Blut und Schmutz. »Gib mir das Fläschchen.« Er wies auf eine kleine braune Flasche, die in seiner Arzttasche steckte.
»Was ist das?«
»Chlor. Damit desinfiziere ich die Wunde.« Schon goss er etwas von der Flüssigkeit auf einen sauberen Lappen und tupfte damit über die Wunden.
»Aber wir haben doch schon genügend Wasser benutzt.«
»Das hier ist besser. Viel besser.« Geschickt befestigte er ein paar kleine Holzstäbchen, die er mit Watte umwickelt hatte, am verletzten Fuß. Als sich Johann zu regen begann, verlangte er barsch: »Halt still, Johann, sonst kann ich dich nicht versorgen.«
Ein gotteslästerlicher Fluch war die einzige Antwort, und Johann machte Anstalten, sich aus dem Sessel zu stemmen.
Hilfe suchend sah sich der Arzt nach Mathias um. Der zögerte nur kurz – und schickte den Betrunkenen mit einem weiteren Schlag in eine weitere gnädige Ohnmacht.
»Gut, dann können wir weitermachen.« Rasch und ungerührt versorgte Dr. Hollmeier die diversen Knochenbrüche und die große Risswunde am Schienbein.
»Gut hast du das gemacht.« Mit einem unterdrückten Seufzer richtete der Arzt sich auf und streckte seinen schmerzenden Rücken. »Könntest mir öfter zur Hand gehen, Andrea.«
»Das geht nicht. Ich muss dem Vater helfen.«
»Ach ja, stimmt. Du bist das Mädel, das besser sein will als die Männer.« Im Gegensatz zu allen anderen, die sich über Andreas Berufswahl mokiert hatten, die sogar versucht hatten, sie aus den verschiedenen Schleifen zu vertreiben, klang das weder herablassend noch ironisch.
»Richtig.« Andrea nickte ihm zu. »Und ich denke, dass ich mein Handwerk ganz gut beherrsche.«
»Davon bin ich überzeugt.« Der Arzt wischte sich die Hände trocken. »So, Burschen, legt den Vater in sein Bett und achtet drauf, dass er in den nächsten Tagen nicht aufsteht.«
»So lange kann er nicht arbeiten?« Trude schlug die Hände vor den Mund.
»Es dauert noch viel länger, bis die Brüche verheilt sind. Er darf mit dem Bein nicht auftreten, sagt ihm das.« Der Arzt ging zur Tür. »Morgen oder übermorgen schau ich noch mal vorbei.«
Trude nickte nur, sie wirkte noch gebrochener, noch verzweifelter als sonst. »Was wird denn jetzt aus uns«, flüsterte sie. »Wenn der Vater nicht arbeiten kann …«
»Wenn er hier liegen muss, kann er das bisschen Geld, das er verdient, wenigstens nicht versaufen.« Mathias brachte den Arzt zur Tür. »Danke fürs Kommen, Doktor.«
»Schon recht. Du weißt aber schon, dass ich das nicht umsonst machen kann.«
»Natürlich nicht. Nur …« Mathias biss sich auf die Lippe. »Im Moment ist kein Geld da.«
»Dann zahlt eben, wenn was übrig ist.« Der Arzt spannte seinen schwarzen Regenschirm auf und war im nächsten Moment in der Dunkelheit verschwunden. Er hatte es schon lange aufgegeben, bei seinen Patienten das vollständige Honorar einzutreiben. Die meisten der Achatschleifer waren in den letzten Jahren verarmt, doch sein Gewissen befahl ihm, auch dann zu helfen, wenn sie ihn nicht bezahlen konnten – so wie jetzt Johann Fischbacher, dessen Leben nach diesem neuen Unglück komplett aus den Fugen geraten würde.
Mathias sah dem Arzt mit brennenden Augen nach. Er war dem Doktor unendlich dankbar für seine Hilfe – der Arzt wusste genauso gut wie er, dass nie auch nur ein Pfennig übrig bleiben würde.
»Es wird schon weitergehen.« Unbemerkt war Andrea neben ihn getreten und legte ihm die Hand auf den Arm. »Irgendwie geht es doch immer weiter.«
»Aber wie?« Verzweifelt stöhnte er auf.
»Ich kann so nicht weiterleben«, murmelte er und wühlte das Gesicht in ihr helles Haar, das nun wieder trocken war und leicht nach Kamille duftete. »Es muss sich was ändern. Irgendwas.«
Der Ostersonntag versprach wunderschön zu werden. Nach langen Wochen voller Regen und unberechenbarer Sturmböen atmeten die Menschen in der Region erleichtert auf. Das Frühjahr begann für die meisten recht hoffnungsvoll. Vor allem für die Achatschleifer würde das Leben leichter zu meistern sein, wenn die Sonne schien und die Finger beim Bearbeiten oder Herausbrechen der Steine nicht halb steif vor Kälte waren.
Schon früh am Morgen war die Familie Kronheim zur Kirche gegangen. Bertram trug einen dunklen Anzug, dazu ein weißes Hemd, dessen Kragen Meta so gestärkt hatte, dass er zu ersticken glaubte. Immer wieder fuhr er sich mit den Fingern unter den Hemdkragen, doch lockern ließ sich der steife Stoff nicht.
Mathilde, seine Frau, hatte zum Festtag ein graues Seidenkleid mit weißem Spitzenkragen angezogen. Über den Schultern trug sie ein grau-weiß gemustertes Tuch. Seit dem Tod ihres einzigen Sohnes trug sie keine farbige Kleidung mehr, zu tief war sie immer noch in ihrer Trauer um Hannes gefangen.
Andrea hingegen sah in ihrem Kleid aus hellblauem Leinen, das an den Ärmeln und am Halsausschnitt eine weiße Spitzenbordüre besaß, wie der leibhaftige Frühling aus. Meta hatte ihr hellblaue Seidenbänder ins blonde Haar geflochten, das ihr in einem dicken Zopf über die Schulter fiel. Aus Seide war auch der breite Gürtel, der Andreas schlanke Taille betonte.
Davon, dass sie Tag für Tag schwere Männerarbeit verrichtete, merkte man ihr an diesem Morgen nichts an. Bezaubernd mädchenhaft sah sie aus.
Mathias, der ebenfalls mit seiner Mutter und den Geschwistern die Messe besucht hatte, schaute sie verliebt an, als er gleich nach dem Gottesdienst auf sie zuging.
»Ein frohes Osterfest wünsche ich dir.« Sein Blick verfing sich in ihren blauen Augen, die das Blau des Kleides widerspiegelten. »Wie schön du bist! Ich würde dich jetzt zu gern küssen.«
»Pst, sei leise. Wenn dich jemand hört …«
»Ist mir völlig egal!« Sein Blick war ein einziges Streicheln auf ihrer Haut, und Andrea spürte ihr Herz bis hoch zum Hals klopfen. »Wann kann ich dich allein sehen?« Ungeachtet der anderen Gottesdienstbesucher, griff er nach ihrer Hand.
Andrea sah sich um. Ihre Eltern unterhielten sich gerade mit Bekannten, nur Mathias’ Mutter und sein Bruder Elmar schauten zu ihnen herüber. »Später vielleicht. Nach dem Mittagessen kann ich mich vielleicht eine Stunde frei machen.«
»Ich warte an unserer Stelle am Idarbach auf dich.« Der Druck seiner Finger wurde stärker. »Du, ich hab solche Sehnsucht nach dir. Komm bestimmt, ja?«
Sie nickte nur, dann ging sie zu ihren Eltern, die sich soeben von den Bekannten verabschiedet hatten.
»Was findest du nur an dem Mathias? Ich versteh dich nicht, Kind.« Mathilde Kronheim schüttelte missbilligend den Kopf. »Er ist nichts und hat nichts. Und seit sein Vater diesen Unfall hatte, nagen die Fischbachers noch mehr am Hungertuch als zuvor schon.«
»Dafür kann doch der Mathias nichts! Er ist nett. Und ich mag ihn nun mal.«
»Aber an so einen bindet man sich nicht.«
»Und wen hast du für mich vorgesehen, Mutter?« In Andreas Augen blitzte es wütend auf. Sie hasste es, bevormundet zu werden. Und schon der Gedanke daran, dass die Eltern ihr eventuell einen Bräutigam ausgesucht haben könnten, machte sie zornig.
»Niemanden. Obwohl …« Die Kronheimerin zögerte. Vorige Woche war ein fahrender Händler in Idar gewesen. Töpfe, Scheren, Stoffe und sogar ein paar seltene Gewürze hatte er auf seinem altersschwachen Wagen mitgeführt.
Mathilde Kronheim kannte den Mann seit vielen Jahren und hatte früher, als sie noch gesund gewesen war, gern einen ausgiebigen Schwatz mit ihm gehalten. Er kam viel herum, kannte Landschaften, die sie nie im Leben gesehen hatte, und konnte viel erzählen.
Auch den Klatsch und Tratsch aus den umliegenden Dörfern gab er gern weiter. Seit einigen Jahren betätigte er sich gar als Heiratsvermittler, schließlich wusste er besser als die meisten Leute in der Umgebung, wer im heiratsfähigen Alter war, wer noch keinen Liebsten hatte – oder welcher junge Bursch von daheim wegziehen musste, weil der Erstgeborene den Hof oder das Geschäft übernommen hatte und für den Jüngeren kein Platz mehr war.
In der letzten Woche hatte er ihr von einem wohlhabenden Bauern erzählt, der seinen Hof unterhalb der Naheschleife betrieb und für seinen Zweitgeborenen eine Frau suchte – eine Frau, die dem jungen Mann zudem eine neue Heimat bieten konnte.
»Noch ist der Wilhelm Karlseder jung genug, euer Handwerk zu erlernen«, hatte der Händler gesagt. »Er ist ein friedfertiger Kerl, kräftig und willig. Und ihr könntet gewiss einen Helfer gebrauchen.« Kurz hatte er gezögert, dann aber hinzugefügt: »Die Arbeit in der Mine oder an der Bachschleife ist doch nichts für eine Frau. Ich weiß genau, dass ihr dadurch immer wieder Ärger mit den anderen Schleifern bekommt. Es taugt nichts, wenn eine Frau sich in die Arbeit der Männer einmischt.«
»Die Andrea ist fleißig und stark.« Mathilde hatte ihre Tochter spontan in Schutz genommen. »Außerdem schafft sie genauso viel und genauso gut wie ein Mann.«
»Freilich, das weiß ich«, hatte er ihr eilig versichert. »Und das wissen auch all die anderen Leut’ hier in der Gegend. Dennoch zerreißen sich viele die Mäuler darüber, dass deine Tochter sich wie ein Mann kleidet und Männerarbeit verrichtet.«
»Was soll sie denn machen? In weiten Röcken über dem Wasser liegen und die Achate polieren?« Mathilde hatte den Satz nur noch mit Mühe herausgebracht. Wie immer, wenn sie erregt war, rang sie krampfhaft um Atem und Worte.
»Ist ja schon gut.« Der Händler hatte die Stoffballen, die er ihr gezeigt hatte, an denen Mathilde allerdings kein Interesse mehr zeigte, eingerollt. »Wenn ihr wollt, schick ich euch den Wilhelm mal vorbei.«
»Tu das.« Mathilde gab ihm die wenigen Groschen, die er für die Knöpfe verlangte, die sie dringend benötigte, dann winkte sie Meta heran.
»Gib ihm was.«
Meta nickte nur. Sie kannte den Mann auch und wusste, dass er stets einen Krug Wein, einen Kanten Brot mit Speck und für sein Pferd etwas Heu bekam.
Rasch lief sie in den Stall, in dem Kaninchen und zwei Schafe gehalten wurden, und holte erst einmal dem Pferd etwas. Danach bereitete sie dem Händler seine Stärkung zu, die sie ihm schweigend auf die Bank vor dem Haus stellte.
Meta hatte genau gehört, was der Mann vorgetragen hatte, und noch am selben Abend hatte sie Andrea von seinem Besuch erzählt.
»Keine Sorge, Meta, so rasch heirate ich nicht. Und schon gar keinen Mann, dem ich nicht gut bin. Da können die Eltern sagen, was sie wollen.«
In der Erinnerung an die Warnung der jungen Magd legte Andrea der Mutter jetzt die Hand auf den Arm und sagte: »Mutter, denk gar nicht erst drüber nach, mir einen Bräutigam auszusuchen. Ich bestimme selbst über mein Leben.«
»Aber …«
»Hör auf damit, bitte. Es ist so ein schöner Tag, da wollen wir doch nicht streiten.« Andrea wandte sich ab und stellte sich zu zwei ehemaligen Schulkameradinnen, die ebenfalls mit ihren Familien den Gottesdienst besucht hatten.
»Heute siehst du ja mal aus wie eine Dame.« Anni, ein etwas dickliches Mädchen mit rotblondem Haar, das es unter einer Strohhaube halb verbarg, musterte Andrea von Kopf bis Fuß. »Bist du vielleicht auf Brautschau?« Sie warf einen langen Blick hinüber zu Mathias, der die drei jungen Frauen kaum aus den Augen ließ.
»Unsinn. Ich hab viel zu viel Arbeit, um ans Heiraten auch nur zu denken«, wehrte Andrea ab.
»Das lass aber nicht den Mathias hören.« Das andere Mädchen, recht hübsch anzusehen mit seinem dunklen naturkrausen Haar, das sich nur mit dicken Gummibändern im Nacken bändigen ließ, lachte leise auf. »Dem fallen gleich die Augen aus dem Kopf, so starrt er dich an.«
Andrea antwortete nichts mehr darauf. Sie erkundigte sich stattdessen bei der Anni: »Wollten deine Eltern nicht auswandern? Ich meine, der Vater hätte mal mit deinem darüber geredet.«
Prompt begann Anni zu weinen. »Das ist es ja, was mich so quält«, flüsterte sie. »Der Vater will auswandern, aber ich nicht. Bin doch seit dem letzten Weihnachtsfest heimlich verlobt.«
»Na, dann ist doch alles klar.« Andrea zuckte leicht mit den Schultern. »Wenn du heiratest, kannst du ja hierbleiben.«
»Du hast ja keine Ahnung! Der Friedel hat nix. Genau wie ich.« Anni biss sich auf die Lippen. »Er ist Geselle beim Schuster Kramer drüben in Fischbach und kommt grad mal so allein über den Monat. An eine Hochzeit ist gar nicht zu denken. Selbst dann nicht, wenn er sich hin und wieder was beim Musizieren dazuverdient.« Ein kleines Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Er spielt so gut wie kein anderer die Geige. Aber das ist nichts, womit man sein täglich Brot verdienen kann.«
»Das tut mir leid.« Andrea legte ihrer Schulkameradin tröstend die Hand auf den Arm. »Ich muss weiter«, sagte sie dann entschuldigend. »Die Mutter winkt schon.« Rasch ging sie zu ihren Eltern, die zusammen mit zwei Nachbarfamilien heimgingen.
Andrea konnte es kaum erwarten, dass das Mittagsmahl aufgetragen wurde. Sie aß nur wenig, dabei schmeckte das Kaninchenragout, das ihre Mutter schon am Vortag zubereitet hatte, ausgezeichnet. Doch Andrea sah im Geist immer noch das schwarz-weiß gescheckte Tierchen vor sich, das sie seit Monaten liebevoll gefüttert hatte und das ganz besonders zutraulich gewesen war.
Und jetzt sollte sie es essen … wieder einmal blieb ihr ein Bissen im Hals stecken.
Erleichtert atmete sie auf, als der Vater aufstand und sich die obligatorische Pfeife ansteckte, die er stets nach dem Essen zu rauchen pflegte. Während sich Frau Mathilde auf dem altersschwachen Sofa im Wohnzimmer ausruhte, spülte Meta das Geschirr.
Andrea half der Magd noch für zehn Minuten, dann ging sie rasch durch die Hoftür hinaus. Ihr Herz klopfte erwartungsvoll, als sie querfeldein hinunter zum Fluss lief.
Die Nahe führte in diesem Frühjahr besonders viel Wasser, was für die Steinschleifer der Region besonders harte Arbeit bedeutete.
Daran dachte Andrea an diesem sonnigen Ostertag allerdings nicht. Mit wehenden Röcken lief sie auf Mathias zu, der sich sofort von einem großen, flach geschliffenen Findling erhob, als er sie sah. Weit breitete er die Arme aus und fing Andrea auf.
Schier endlos dauerte ihr Kuss, und erst als sie beide atemlos waren, lösten sie sich voneinander.
»Ich hatte schon Angst, du dürftest nicht kommen.« Noch immer hielt Mathias seine Liebste fest.
»Ich hab gar nicht erst gefragt.« Andrea legte den Kopf in den Nacken, um ihm in die Augen sehen zu können. »Außerdem weiß der Vater, dass ich mir nichts verbieten lasse.«
»Du bist so stark … das klügste und tapferste Mädchen, das ich kenne.«
Andrea hob die Hand und strich ihm übers Haar. »Ich hoffe, du kennst nicht viele Mädchen.« Sie lachte. »Du, ich warne dich! Wenn ich nicht die Einzige bin, der du gut bist, dann ist es gleich wieder aus.«
Statt zu antworten, küsste Mathias sie erneut so leidenschaftlich, dass alle Zweifel schwanden.
»Komm mit, ich hab uns drüben unter der Trauerweide einen gemütlichen Platz hergerichtet.« Mathias wies auf den alten Baum, dessen Zweige bis zur Erde reichten. Dort hatte er eine karierte Decke ausgebreitet, ein Krug Wein stand ebenso bereit wie zwei Tonbecher.
»Mehr hatte ich nicht.« Bedauernd zuckte er mit den Schultern. »Du weißt ja, wie es steht.«
Andrea nickte nur. O ja, sie wusste genau, dass Schmalhans seit Langem bei den Fischbachers der Küchenmeister war.
»Ich wünschte, ich könnt dir helfen.« Sie setzte sich auf die alte Decke und schlang die Arme um die Knie. »Aber allzu üppig geht’s bei uns auch nicht mehr zu. Die Aufträge werden von Monat zu Monat weniger. Und gute Steine lassen sich auch nicht mehr finden.«
»Leider ist es so. Die Minen hier in der Gegend sind erschöpft. Aber der Vater will das nicht einsehen. Er glaubt, Elmar und ich wären nicht fleißig genug.« Für einen Moment barg er das Gesicht in den Händen. »Dabei schuften wir für ihn mit, seit er das Bein kaputt hat. Ein Glück nur, dass meine Schwestern aus dem Haus sind.«
»Ist die Frieda tatsächlich nach Köln gezogen? So weit weg von daheim … das ist mutig.«
Mathias nickte. »Ich hätt es ihr auch nie zugetraut, dass sie mal von hier weggeht. Aber der Paul ist ein gut situierter Bierbrauer, der sich sofort in sie verliebt hat. Es ist ein Glück für sie, dass sie ihn auf Erikas Hochzeit kennengelernt hat.« Er machte eine kleine Pause. »Egal, ob sie ihn auch liebt oder nicht, es geht ihr da, wo sie jetzt wohnt, auf jeden Fall besser als hier.« Er presste die Lippen zusammen, seufzte und gestand dann: »Ich wäre an ihrer Stelle auch gegangen.«
Tröstend legte ihm Andrea die Hand auf die Schulter. »Vergiss für heute mal die Sorgen«, bat sie. »Es ist so ein schöner Tag – und wir sind zusammen. Das zählt doch auch, oder nicht?«
»Hast recht, mein Schatz.« Mathias zog sie wieder in seine Arme. »Wir sollten heute nicht Trübsal blasen.« Er löste geschickt die Bänder aus ihrem Haar und vergrub die Finger in der goldenen Lockenfülle. »Wenn du bei mir bist, ist alles viel leichter«, murmelte er, »dann hab ich keine Angst mehr vor der Zukunft.«
Das hellgrüne Blätterwerk der Trauerweide schützte sie vor neugierigen Blicken, und Andrea ließ es zu, dass er langsam ihr Kleid aufknöpfte und ihre Halsbeuge und den Ansatz ihres Busens küsste. Süße Schauder durchliefen ihren Körper, und sie wehrte sich nicht, als Mathias ihr das Mieder ganz abstreifte.
»Du bist wunderschön«, flüsterte er, richtete sich kurz auf und sah sie aus brennenden Augen an. »Schöner als der kostbarste Stein, den es auf der Welt gibt.«
»Du weißt doch gar nicht, wie der aussieht.« Leise lachte sie auf, dabei umklammerte sie seine Schultern und zog ihn wieder über sich. Sein Blick machte sie verlegen, aber das Blut pulsierte rascher durch ihre Adern, als er seine Finger zärtlich über ihre Haut gleiten ließ, bevor er die zarten Knospen ihrer Brüste behutsam küsste.
Seine Lippen auf ihrer Haut schienen zu brennen, weckten die Sehnsucht nach mehr Zärtlichkeiten.
Noch immer hielt Andrea die Augen geschlossen, aber sie erwiderte Mathias’ Küsse und wehrte sich nicht, als er behutsam, doch zielstrebig mehr verlangte.
Der alte Baum hielt schützend sein Blätterdach über sie, und der Fluss schien sein ganz eigenes Lied für die zwei Liebenden zu singen.
So schön die Ostertage gewesen waren, so unwirtlich waren die folgenden drei Wochen. Fast ununterbrochen regnete es, die Straßen und Pfade, die aus dem Ort hinausführten, waren aufgeweicht, Lehm verkrustete Schuhwerk und die Säume der Frauenkleider.
Dennoch ging Andrea jeden Tag mit dem Vater hinüber zur Mine, so wie alle anderen Schleifer des Ortes auch. Und so karg die Ausbeute inzwischen auch war – ein paar halbwegs gute Achate ließen sich immer noch aus dem Gestein schlagen.
»Wir sollten mehr Steine schleifen, statt Achat aus dem Berg zu holen. Die Minen geben immer weniger her«, sagte Andrea an einem besonders trüben Tag zu ihrem Vater, als sie sich gerade auf den Heimweg machten.
»Ach ja? Was verstehst du Neunmalkluge denn von dem Handwerk, ha? Nur weil du im vorigen Jahr beim alten Rheinberger hast zuschauen dürfen, weißt du noch lange nicht Bescheid.«
»Ich hab vier Wochen da gearbeitet.« Andrea presste die Lippen zusammen. »Es war interessant zu sehen, was er alles aus den großen Steinen machen kann. Und die Amethyste verkaufen sich recht gut. Sie sind noch viel bessere Schmucksteine als die Achate.«
»Du hast doch keine Ahnung, Mädel. Hör auf, alles verändern zu wollen, hörst du? Noch haben wir satt zu essen, damit solltest du dich bescheiden.«
»Das kann ich aber nicht, Vater! Die Zeiten werden schlechter, und ich seh doch genau, dass viele von uns kaum noch genug zum Überleben haben. Es muss sich was ändern.« Müde schob sich Andrea das graue Tuch, das sie sich bei der Arbeit stets ums Haar schlang, in den Nacken. »Sieh es doch endlich ein!« Wieder machte sie eine kleine Pause und fuhr dann tapfer fort: »Frag doch die Erika Rheinberger! Ihr Mann schleift die schönsten Steine, er verkauft sie immer noch nach Frankreich, so wie sein Vater schon, als wir noch mit Paris die besten Geschäfte gemacht haben.«
»Soll sich nicht dabei erwischen lassen. Der Landesherr will das nicht. Seit wir nicht mehr zu Preußen gehören, ist alles anders geworden.«
»Das weiß ich auch. Aber unser Landesherr wird seiner Frau doch auch Juwelen schenken wollen, meinst du nicht? Und wenn wir, die Leute aus Idar und Umgebung, das nicht machen, besorgen sich die feinen Herrschaften es in anderen Fürstentümern, denkst du nicht?«
»Papperlapapp! Hör auf mit dem Weibergeschwätz! Die Fischbacher Erika hat einen Goldschmied aus dem Rheingau geheiratet. Was die treiben, geht uns nix an.«
»Aber der Erika geht es gut in der neuen Familie, das weiß ich vom Mathias.«
»Hör auf damit. Was Fremde treiben, soll uns nicht kümmern. Du wolltest im Steinbruch arbeiten wie ein Mann, also jammere jetzt nicht.«
Andrea blieb stehen. »Die Arbeit scheu ich immer noch nicht, Vater. Aber ich seh doch, dass die Erträge sich nicht mehr lohnen. Unsere Vasen, Schalen und Gemmen lassen sich nicht mehr gut verkaufen, das musst du doch einsehen.«
»Hör auf, ich will nichts mehr hören.« Mit langen Schritten ging Bertram Kronheim weiter.
Der Regen fiel wie ein dichter grauer Vorhang, der sich von Meter zu Meter zu verdichten schien. Die vielen Pfützen waren zu kleinen Teichen geworden, es war unmöglich, trockenen Fußes die Häuser zu erreichen.
Bertram zuckte zusammen, als vor ihm urplötzlich Meta auftauchte. Das Mädchen packte ihn am Arm und schrie gegen den Wind: »Die Hausfrau … kommt mit! Sie ist … sie ist …« Aufschluchzend schlug Meta die Hände vors nasse Gesicht.
Bertram und Andrea hörten nicht länger auf das Gestammel der jungen Magd, sondern rannten die letzten Meter bis zum Haus. Wasser spritzte unter den halbhohen Stiefeln auf, es kümmerte sie nicht.