Im Herzen der Feuersonne - Elfie Ligensa - E-Book

Im Herzen der Feuersonne E-Book

Elfie Ligensa

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Beschreibung

Voller Hoffnung wandert der Winzersohn Ben Ruhland 1795 aus dem beschaulichen Rheingau nach Südafrika aus. Seit er denken kann, träumt er von einem eigenen Weingut. Zunächst will es nicht gelingen, die Reben in der trockenen Erde zu ziehen. Jemand legt ihm Steine in den Weg. Erst als er sich in die schöne Charlotte de Havelbeer verliebt, beginnt er zu glauben, dass alles gut wird. Doch ihr Vater hat für seine Tochter andere größere Pläne ...

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Das Buch

Nach einer großen Enttäuschung wandert der Winzersohn Ben Ruhland 1795 aus dem beschaulichen Rheingau nach Südafrika aus. Im Gepäck hat er Rebstöcke, denn seit er denken kann, träumt er davon, dort ein eigenes Gut aufzubauen. Noch am Hafen von Kapstadt rettet er die Sklavin Sina und kauft sie frei. Zum Dank hilft sie ihm dabei, seinen Traum zu verwirklichen – zunächst scheint es eine schier unlösbare Aufgabe zu sein, die Reben in der trockenen Erde zu ziehen. Ben findet heraus, dass ihm dabei jemand Steine in den Weg legt und den Aufbau des Weingutes Hopeland zu verhindern sucht. Doch er ist fest entschlossen, sein Glück zu machen. Als er sich Hals über Kopf in die reizende Charlotte de Havelbeer verliebt, beginnt er daran zu glauben, dass alles gut wird. Eine aussichtslose Leidenschaft, denn Charlottes Vater hat für seine Tochter andere, größere Pläne …

Die Autorin

Elfie Ligensa erfand einen der bekanntesten Serienhelden – Dr. Stefan Frank. Lange Jahre arbeitete sie als Chefredakteurin für Liebes- und Spannungsromane, hat selbst über 200

Elfie Ligensa

Im Herzen der Feuersonne

Roman

Ullstein

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www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage April 2011

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2011

Umschlagkonzept: HildenDesign, München

Umschlaggestaltung: bürosüd˚ GmbH, München

Titelabbildung: Landschaft/Haus: getty images, RM, Mark van Aardt,

Frau: getty images, RM, Reggie Casagrande

Satz und eBook: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Gesetzt aus der Sabon

Printed in Germany

ISBN978-3-8437-0042-9

Lieb-, Lied- und Weines Trunkenheit, Ob’s nachtet oder tagt,

Die göttlichste Betrunkenheit, Die mich entzückt und plagt.

Na, hast du es dir so vorgestellt?« Mit weit ausholender Geste wies Olivier Garnier hinüber zur Bucht, einem eher beschaulich wirkenden Ort, hinter dem sich das beeindruckende Massiv des Tafelbergs in der flimmernden Luft und hinter einem von glitzernden Wellen übersäten Meer erhob wie eine Erscheinung. Obwohl es noch früh am Morgen war und leichter Seewind aufkam, spürte Ben bereits die Kraft der Sonnenstrahlen. Es versprach ein heißer Tag zu werden. Er musste die Augen zusammenkneifen, um an Land etwas erkennen zu können. Die Häuser erschienen winzig vor dem Hintergrund des Bergs, sie boten den gewöhnlichen Anblick eines Hafens, wie ihn die Parisienne in den vergangenen zwei Jahren unzählige Male angelaufen hatte.

»Voilà, das ist das legendäre Kap der Guten Hoffnung – armselig, was?« Olivier klopfte seinem Nebenmann auf die Schulter, ganz so, als wären sie in Wahrheit Freunde, und Ben wich beinahe unmerklich zurück. Ein Blick auf die Gestalt an seiner Seite weckte seinen ganzen Abscheu, wie immer, wenn Olivier ihm unter die Augen kam. Das fleckige Hemd des anderen Matrosen war weit geöffnet und entblößte die dichte Brustbehaarung. Ben konnte deutlich erkennen, wie sich Oliviers Schmerbauch über die ausgewaschene Leinenhose wölbte, die mit einer roten Kordel gehalten wurde, und er roch einen Hauch des muffigen Geruchs, den das letzte Saufgelage unter Deck in dessen Kleidern hinterlassen hatte. Ein rotes Tuch, das er sich um den Hals gebunden hatte, schützte den feisten Nacken vor der sengenden Sonne. Das dicke schwarze Haar des Südfranzosen aus dem kleinen Küstenort Collioure im Roussillon war stumpf, und seine Augen standen eng zusammen. Ein leichter Schauder überlief Ben. Der Mann war ihm widerwärtig, das hatte er gleich gespürt, als er ihm vor zwei Jahren das erste Mal an Bord begegnet war. So lange war das her, er konnte es kaum fassen.

Der junge Deutsche wandte den Blick ab und atmete die würzige Seeluft ein. Egal, was Olivier sagte, es konnte sein Glück nicht trüben, konnte ihm nichts von seinem aufgeregten Herzklopfen nehmen. Selbst wenn das, von dem er annahm, dass es Cape Town oder Kapstadt war, nicht gerade so aussah, als wenn es eine glückliche Zukunft für ihn bereithalten würde. Drüben in dem Hafen an der Südspitze Afrikas herrschte reges Treiben, das konnte man selbst aus der Entfernung erkennen. Zwischen einfachen Holzhäusern, Lagerschuppen, Pferdekutschen und Ochsengeschirren war ein emsiges Gewirr von Menschen zu erahnen, und er spürte Unruhe in sich aufsteigen, weil er nun kurz vor dem Ende seiner langen Reise stand.

Afrika! Endlich war er angekommen, und sein Traum würde wahr werden, der Traum, der ihn aus seinem beschaulichen Heimatort im Rheingau in diesen entlegenen Winkel der Welt geführt hatte. Sein Leben würde hier endlich beginnen. Welches Schicksal erwartet mich hier?, fragte er sich bang. Würde er die Lebensprüfung, die ihm ohne Zweifel bevorstand, zum Guten wenden können – oder würde er seinen Traum begraben müssen, so wie sein Ahne vor vielen Jahren?

Er wusste, dass er sich Olivier gegenüber nichts anmerken lassen durfte von seinen Träumen und Hoffnungen, wenn er diese nicht der unverhohlenen Häme des Franzosen preisgeben wollte.

»Ein Städtchen wie viele andere auch, dieses Kapstadt«, antwortete Ben daher nur knapp und strich sich eine Strähne seiner im Nacken zusammengebundenen dunklen Haare zurück, die ihm der raue Küstenwind ins Gesicht geweht hatte. Der dreißig Lenze zählende Ben galt mit seinem muskulösen Körperbau und seinem markanten Gesicht mit den dunklen Augen als gutaussehender Bursche, und er wusste, dass ihm nicht wenige Männer auf dem Schiff seinen Schlag beim anderen Geschlecht neideten. Ben hätte viele Frauen haben können, und nicht nur gegen bare Münze, wie einige der anderen Besatzungsmitglieder. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte es nicht nur eine Frau gegeben, die seiner Wortgewandtheit und seinem rauen Charme erlegen war und deren Reizen auch er nicht hatte widerstehen können. Sie hatten ihm oft geschworen, sie würden auf ihn warten, bis er wiederkäme von hoher See, doch keiner war es gelungen, ihm so sehr den Kopf zu verdrehen, dass er auch nur flüchtig daran gedacht hätte, seinen Traum von Afrika aufzugeben. Und dann war da noch Katrin, wegen der er den Rheingau überhaupt erst verlassen hatte …

Oliviers spöttisches Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. »Dummkopf, das ist nicht Kapstadt, sondern False Bay!«, rief er grob. »Man sagt, hier liegen die Schiffe sicherer. Als ich jung war, sind wir noch am Castle of Good Hope gelandet. Mit Ruderbooten mussten wir alles an Land bringen, so flach war das Hafenbecken.« Olivier lachte wieder. »Nichts für Schwächlinge, sag ich dir.« Er legte Ben die riesige Pranke auf die Schulter. »Eh, copain, gibst gleich eine Abschiedsrunde, nicht wahr?« Sein gieriger Blick, in der Erwartung eines Schlucks Branntwein, berührte Ben unangenehm.

»Mal sehen.« Er hatte nicht die Absicht, die Schiffsbesatzung mit Schnaps zu versorgen, doch das würde er dem Trunkenbold nicht verraten. Sollte der doch an Land gehen und seine sauer verdiente Heuer in der Gosse mit den Huren vertrinken. Ben hatte Besseres im Sinn mit seinen Talern. Er wand sich aus Oliviers Griff und blickte erneut hinüber zum weit ausladenden Tafelberg, der sich über der Stadt erhob, die seit Jahren sein Ziel war. Sanfte weiße Wolken hingen über dem Gipfel wie eine weiche Decke, der Berg schimmerte blaugrün, unwirklich, so als ob er einem Traum entsprungen wäre. An seinem Fuße breitete sich die Stadt aus, die für Ben eines Tages mit ein wenig Glück zu einer zweiten Heimat werden sollte …

Plötzlich schallte die Stimme des Kapitäns übers Deck.

»Alles antreten! Keiner geht von Bord, bis die Ladung komplett gelöscht ist. Lasst euch bloß nicht einfallen, einfach abzuhauen, ihr Halunken! Jeden, den ich dabei erwische, wie er sich aus dem Staub macht, werde ich eigenhändig kielholen, bis der Teufel ihn sich schnappt!«

»Leuteschinder«, knurrte Olivier und fuhr sich durch das struppige schwarze Haar. Er schob die Ärmel seines zerschlissenen Hemdes hoch. »Dann will ich mal, bevor der alte Knauser noch die Heuer einbehält.«

Ben atmete auf. Er warf einen letzten Blick auf den Küstenstreifen, der in der Hitze des Tages flirrte. Unwillkürlich tastete er mit der Rechten nach den Briefen seines Großvaters, die er in seinem Wams immer bei sich trug. Sie hatten ihm den Weg zum südlichsten Ende Afrikas gewiesen. Inzwischen waren sie alt und drohten zu zerfallen, so oft hatte er sie auseinandergefaltet und Wort für Wort gelesen. Sie schienen ihm wie ein Talisman, der ihm Glück bringen sollte, und er achtete sorgsam darauf, sie nicht zu verlieren.

Vom Vorderschiff her klangen knappe Kommandos, Flüche, hin und wieder auch ein heiseres Lachen zu ihm herüber. Er musste sich beeilen, beim Anlegen und beim Löschen der Ladung zu helfen, sonst würde der Kapitän der Parisienne ihn womöglich um das Kostbarste bringen, was er besaß.

Noch wenige hundert Meter, dann hatte das Handelsschiff den Kai erreicht. In der Hafenanlage sammelten sich die ersten Männer mit ihren Lastkarren. Fremd klingende Wortfetzen, Gelächter und Geschrei hallten zwischen den Hafenmauern wider.

»Dammit, Ben, fass endlich mit an! Zum Kai rüberstarren kannst du später noch. Die Ladys laufen schon nicht weg!« Der Zweite Offizier der Parisienne, Henry Gardener, ein kleiner und drahtiger Mann in einer blauen Uniformjacke mit rot gesäumtem Kragen und mit Messingknöpfen, der schütteres aschblondes Haar hatte, winkte ihn zu sich heran. Ben hätte es sich nicht erlauben können, Mr Gardeners Befehl nicht Folge zu leisten. Und er wollte es auch nicht, denn er hatte ihm viel zu verdanken. Also lief er mit bloßen Füßen eilig über die knarzenden Planken und mischte sich unter die anderen Matrosen, die bereits die schweren Taue und den Anker bereitmachten, damit das Schiff anlegen konnte. Vielen von ihnen lief von der anstrengenden Arbeit schon der Schweiß herunter, einige hielten zwischendurch inne, um die Augen mit der Hand gegen die Sonne zu schützen. Sie blickten zum Hafen hinüber, um zu sehen, ob sich dort schon irgendwelche Dirnen versammelt hatten, wie immer, wenn ein Schiff anlegte.

Nicht einmal eine halbe Stunde später lag das stolze Handelsschiff vor Anker, die Segel waren gerafft, alles war sicher vertäut. Das Entladen konnte beginnen. Eile war geboten, denn allzu lange sollte das Schiff nicht im Hafen bleiben. Zwei, höchstens drei Tage mussten genügen, dass die Mannschaft sich in den Hafenkneipen ein wenig vergnügen und dass Proviant aufgenommen werden konnte. Der Kapitän hoffte auch auf neue Ladung, aber noch hatte der Schoner keine neue Fracht in Aussicht. Falls das Schiff länger im Hafen liegen musste, war dies kostspielig, aber in Südafrika bestand eine gute Chance auf einen raschen und lukrativen Auftrag, zu vielfältig waren die Güter, zu rege der Handel und der Bedarf an den exotischen Waren in der Heimat.

Die Parisienne, deren Heimathafen Marseille war, hatte für False Bay in erster Linie Saatgetreide geladen, außerdem Salz aus der Camargue, getrockneten Oregano, Rosmarin, Majoran und Lorbeer aus der Provence, Zimt, Koriander und schwarzen Pfeffer aus Sri Lanka sowie etliche Fässer Branntwein und Stockfisch aus Norwegen – letztere Güter waren meist für italienische Auswanderer bestimmt. Darüber hinaus gehörten zur Fracht etliche Ballen feinsten Brokats und Damasts aus Lyon, sorgfältig verpackt und vom Ersten Offizier gehütet wie der Kronschatz.

Oft hatte Ben die anderen Matrosen über ebendiesen Teil der Fracht munkeln hören, dass es sich dabei um Schmuggelware handele, auch kannte er die derben Scherze über die reichen Damen, deren Körper der teure Stoff in Südafrika umhüllen würde, aber er hatte keinen Sinn für solcherlei Geschwätz. Was scherte es ihn, ob der Kapitän ein falsches Spiel spielte, um sich an den Stoffen zu bereichern? Er hatte Wichtigeres vor. Obwohl er nur ein einfacher Matrose war, hatte er selbst einen kleinen Teil der Ladefläche für sich beanspruchen können, den ihm der Kapitän für ein paar Heller abgetreten hatte.

»Du bist verrückt, Ben«, hatte er gesagt und sich über den schmalen Oberlippenbart gestrichen, »aber ich kann dich gut leiden. Vielleicht weil du aus Deutschland kommst, so wie meine Großmutter. Und du bist nicht so ein roher Kerl wie die meisten anderen Matrosen, du hast große Pläne … daran habe ich Gefallen. Und wer weiß, vielleicht wird ja tatsächlich etwas aus deinem Vorhaben.« Er spuckte einen Brocken Kautabak über die Reling. »Dann erwarte ich ein Fass von der ersten Ernte als zusätzliches Entgelt.« Als er seine Hand ausgestreckt hatte, war Ben ein Stein vom Herzen gefallen, und er hatte erleichtert eingeschlagen.

Dort, an dem verborgenen Platz unter Deck, wo das Licht durch eine Luke in der Bordwand gerade ausreichte, damit die Pflanzen nicht eingingen, hatte Ben sich nach der harten körperlichen Arbeit an Bord stets Zeit genommen, die Rebstöcke zu pflegen, die seinen ganzen Besitz darstellten. Sie brauchten Wasser, mussten gegen Fäulnis und gegen Ungeziefer geschützt werden, und sie mussten immer ein wenig frische Luft bekommen. Etwa ein Dutzend der kostbaren Pflanzen hatte er dennoch verloren – und das, obwohl er fast jede freie Minute bei seinen Reben verbracht hatte.

Unter den anderen Matrosen hatte sich sein »Hirngespinst«, wie sie es nannten, schnell herumgesprochen. Für viele war er ein Traumtänzer oder jemand, der zu tief ins Glas geschaut hatte. Jemand, über den man spottete, eine traurige Figur. Ob auch nur einer von ihnen ahnte, was diese Pflanzen für Ben bedeuteten? Mit den Händen über die ein wenig knorrigen Stöcke zu streichen bedeutete, seine Zukunft zu spüren. Es bedeutete ein besseres Leben und neue Hoffnung.

Wieder strich Ben sich eine dunkle Strähne aus dem von der Arbeit erhitzten Gesicht. Es war viel zu lang, deswegen musste er es im Nacken mit einem Band zusammenhalten. Marty, ein Matrose, der auch als Barbier gearbeitet hatte, war vor vier Wochen gestorben. Seither hatte kaum jemand von der Mannschaft der Parisienne einen Kamm oder gar ein Rasiermesser gesehen. Daher war Ben Ruhlands Gesicht zum Teil von einem struppigen Bart verdeckt, der ihn älter erscheinen ließ als seine dreißig Jahre. Von weitem hätte jeder ihn für einen groben Seemann gehalten, aber seine warmen dunklen Augen verrieten sein freundliches Wesen.

Als er sich kurz an einem der Polder ausruhte, nachdem er wie alle anderen sorgfältig verschnürte Pakete auf Karren gewuchtet, Rollen über die Planken getragen und Fässer gerollt hatte, wanderten seine Gedanken zurück zu seinem Großvater, dessen Briefe ihn an ebendiesen Ort geführt hatten. Die Hafengeräusche nahm Ben auf einmal nur noch wie von ferne wahr, genau wie das gegen die Kaimauer schwappende Wasser, in dem allerlei Unrat trieb. Johannes Ruhland hatte vor mehr als siebzig Jahren bei dem Winzer Simon van der Stel als Kellermeister gearbeitet und war dann in den Rheingau zurückgekehrt, um dort seinen Lebensabend zu beschließen. Bis zu seinem Tod hatte Johannes Ruhland von Afrika geträumt, von den weiten Hängen unterhalb des Tafelbergs, die grün waren von Reben. »Der Duft des Bodens ist erdig und kraftvoll, und die Farben dort sind tausendmal leuchtender als hier«, hatte er voller Inbrunst gesagt. »Wenn ich die Augen schließe, sehe ich den Morgentau auf den Weinreben in der Sonne glitzern, Ben.« Ein sehnsüchtiger Seufzer hatte die Worte begleitet. »Es wird mir immer auf der Seele liegen, dass ich Ruhlands Hoffnung nicht halten konnte. Vielleicht bringst du eines Tages das zu Ende, was ich nicht schaffen konnte.« Er hatte dem Buben kurz übers Haar gestreichelt. »Du bist wie ich, Benjamin – voller Träume, voller Sehnsucht nach der Fremde.«

An diese Worte des alten Mannes, der die letzten Lebensmonate krank und kraftlos auf dem heimatlichen Weingut verbracht hatte, musste Ben oft denken. Dank der Erzählungen seines Großvaters wusste er auch, dass es hierzulande sowohl sandigen Grund wie auch Granitböden und Schiefer gab und dass man daher die verschiedensten Rebsorten anbauen konnte. Er wusste um die Tücken des Wetters und um die Magie des ersten Schlucks Wein aus jedem neuen Jahrgang. Fast konnte er schon spüren, wie ein fruchtiger Tropfen seine Kehle hinunterrann. Wie lange war es her, dass er einen Wein wirklich geschmeckt hatte, dass er sich von dem Aroma die Sinne hatte rauben lassen?

Simon van der Stel, bei dem sein Großvater in Lohn und Brot gestanden hatte, bevor er etwas Eigenes kaufte, war der Gründer des großen Weinguts Stellenbosch gewesen, das noch heute bestand. Für den jungen Winzer Johannes war dieser Mann einst ein großes Vorbild, ja fast ein Gott gewesen, für den er um die halbe Welt gefahren war, um bei ihm die Kunst des Weinanbaus zu vervollkommnen. Ben hoffte nur, dass er mehr Erfolg haben würde als Simon van der Stels Nachkommen. Dessen großer Besitz, der unter seiner Hand im Schatten des Tafelbergs zu großem Ansehen erblüht war, war nun, im Jahr 1795, nicht mehr so bedeutend wie einst, das wusste Ben aus Erzählungen der Schiffer und von anderen Winzern. Misswirtschaft trug daran offenbar die Schuld ebenso wie ungünstige Witterung, die vor Jahren einen großen Teil der kostbaren Weinstöcke vernichtet hatte.

Den Traum jedoch, den Simon zu seiner Zeit verwirklicht hatte, träumte auch Ben. Ein eigenes Weingut, ein Haus inmitten grüner Reben, ein blühender Handel mit dem guten Tropfen, den nur seine eigene Erde hervorbrachte – all das hatte er sich wieder und wieder ausgemalt, wenn er auf seiner Pritsche unter Deck keinen Schlaf fand. Er hatte inständig gebetet, dass er klügere Entscheidungen treffen und eine länger währende Glückssträhne haben möge als Simon van der Stel. Er hatte sich sogar schon einen Namen ausgesucht – Hopeland wollte er seinen Besitz nennen, in Anlehnung an den Namen, den der Großvater seinem Land einst gegeben hatte. Jetzt, da die Engländer immer mehr die Herrschaft über die Welt übernahmen, klang ihm ein englischer Name allerdings passender als das deutsche Ruhlands Hoffnung.

Als er sich erhob und zum Schiff zurücklief, um seine Heuer einzufordern, knisterten die Briefe des Großvaters in der Innentasche seines Wamses, ganz so, als wollten sie verheißungsvoll verkünden: Auf zu neuen Ufern, auf zum größten Wagnis deines Lebens!

Johlend und unter großem Gelächter gingen in diesem Moment alle Matrosen an ihm vorbei von Bord. Allen voran Olivier, der lauthals damit prahlte, dass er die Bierstube mit den schönsten Mädchen förmlich riechen könnte. »Das ist Begabung und langjährige Erfahrung in einem!«, rief er. »Allez, die Schönsten der Schönen können es kaum erwarten, dass wir sie beglücken.«

Die Männer waren ausgehungert – nicht nur nach einem Wirtshausbesuch, sondern auch nach willigen Mädchen, die sie die raue Zeit an Bord für eine Zeitlang vergessen ließen und die ihnen im Tausch gegen einige Münzen Leidenschaft vorspielten. Ben wusste, es würde genügend Spelunken im Hafen geben, dass alle auf ihre Kosten kamen. Schlechter Wein floss dort in Strömen, doch auf den Geschmack kam es den Matrosen selten an, nur auf den Rausch, mit dem sie sich einige sorgenfreie Augenblicke erkauften und sich fühlen konnten wie große Herren.

Ben schritt schneller die Planke hinauf, lief schon fast. Seine Sorge galt allein den Pflanzen im Bauch der Parisienne, die nun sacht im Hafen dümpelte. Die Brigantine zählte zu den schnellsten Schiffen der französischen Handelsmarine. Als Ben angeheuert hatte, war ihm dies besonders wichtig gewesen. Für die Ladung, die er von Europa nach Afrika zu bringen gedachte, zählte jeder Tag. Wenn die Rebstöcke, die er in Frankreich und in Italien erwerben wollte, eingehen sollten, wäre er mittellos. Um sie bezahlen zu können, hatte er zwei Jahre lang als Matrose auf dem Zweimaster geschuftet und alles für seine letzte große Reise gespart.

Ein Winzer als Seefahrer – er wusste selbst, dass das eigentlich widersinnig war. Aber sollten sie ruhig über ihn lachen, er hatte nichts mehr zu verlieren. Was war ihm auch anderes übriggeblieben? Daheim hatte er nicht bleiben können. Es hätte ihn seinen Lebensmut und seinen ganzen Willen gekostet. Damals zumindest. Heute, nach zwei harten Jahren auf See, die ihn an den äußersten Rand seiner Kräfte getrieben hatten und in denen er Einsamkeit und Schwermut ertragen, in denen er der Hitze und der Kälte getrotzt hatte, aber auch neue Länder und Menschen kennengelernt hatte, war die unglückliche Liebe, die ihn aus der Heimat fortgetrieben hatte, kaum mehr als eine flüchtige Erinnerung.

»He, Ben! Fass mal mit an! Die Stoffballen müssen noch von Bord.« Die heisere Stimme des Ersten Offiziers ließ Ben zusammenfahren. Er folgte der Aufforderung sofort, denn mit diesem Mann, das wusste er, war nicht gut Kirschen essen. Die Stoffe wurden auf ein Pferdefuhrwerk verladen, das sich deutlich von den anderen unterschied: Die Tiere waren gut genährt, ihr Fell glänzte in der Sonne, der Wagen war massiv gebaut und sogar mit einer festen Abdeckung versehen.

Die Stoffe müssen noch wertvoller sein, als ich zuerst vermutet habe, schoss es Ben durch den Kopf, sonst würde man deswegen nicht so ein Aufhebens machen. Bei dieser besonderen Fracht schienen der Kapitän und der Erste Offizier gemeinsame Sache zu machen. Ben rieb einem der Pferde über die Blesse, und es schnappte leicht nach seiner Hand, so als erwarte es einen Leckerbissen. Nur aus dem Augenwinkel nahm der junge Deutsche wahr, wie der Kapitän etwas in seinen Lederbeutel steckte und diesen zurück unter sein Hemd schob. Na, ihm konnte es egal sein!

»Und jetzt deine Reben«, befahl der Kapitän, als das Pferdefuhrwerk sich mit der Ware in Bewegung setzte, und deutete mit einem Rucken des Kopfes zum Schiff hinüber.

Ben schüttelte den Kopf. »Ich bitte Euch, gebt mir noch etwas Zeit. Ich muss erst die Gegend erkunden und nach dem Platz suchen, wo ich sie anpflanzen kann.« Er senkte den Blick. Er wusste, dass der Kapitän nun über sein Schicksal entschied.

Der Kapitän verzog keine Miene. »Gut, ein Tag sei dir gewährt.«

»Habt ein Einsehen, ich bitte Euch. Es könnte sein, dass ich länger brauche, um diesen Platz ausfindig zu machen.« Ben mühte sich, damit seine Stimme keinen allzu flehentlichen Klang annahm, er wollte trotz aller Dringlichkeit seines Anliegens seinen Stolz nicht verlieren.

Der Kapitän spuckte ein wenig Kautabak ins Hafenbecken und fuhr sich mit der Hand über seinen schmalen Bart. Dann wandte er sich zum Gehen. »Nicht mehr als zwei Tage. Auf die Stunde genau. Wenn ich bis dahin keine Nachricht von dir habe, landet alles im Hafenbecken. Verstanden?«

***

Als er raschen Schrittes das Hafengebiet hinter sich ließ und zwischen den ärmlichen Häusern durch die Hauptstraße in ein kleines Städtchen kam, schien die afrikanische Erde zu schwanken. So ging es allen Seeleuten, wenn sie nach Wochen an Land kamen. Ben war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ich bin eben doch eine Landratte, dachte er und musste schmunzeln. Er genoss die sanfte Hitze des Morgens, den Anblick der vielen fremden Gesichter, das lebhafte Stimmengewirr, der Geruch nach Gedünstetem und Gebratenem, was bedeutete, dass es bereits auf Mittag zuging, und die Schreie der Händler, die ihre Waren anpriesen.

Aus einer der Spelunken, an denen er vorbeikam, dröhnte Oliviers Stimme, nur unterbrochen von dem albernen Kreischen und Kichern einiger Mädchen. Das Haus trug den großspurigen Namen Ye Golden Whale Tavern, doch es wirkte so trist wie ein Armenhaus am Rheinufer. Adieu Seemannsleben und auf Nimmerwiedersehen, du Prahlhans, dachte Ben und verspürte große Genugtuung bei dem Gedanken, dass er diesen Taugenichts nun wohl nie mehr in seiner Nähe ertragen musste.

Nur weiter, schließlich hatte er keine Lust, die Ausschweifungen der anderen Matrosen mitanzusehen. Die nächste Gaststätte wirkte nicht ganz so verkommen, aber fast noch ärmlicher. Die Buchstaben, die jemand vor langer Zeit sorgfältig auf ein hölzernes Schild über der Eingangstür gepinselt hatte, waren von Sonne, Wind und Regen ausgeblichen, aber noch gut zu entziffern: Zum Rheinfels, las er, und ein angenehmer Schauer überlief ihn. Das klang verheißungsvoll nach Heimat. Vielleicht hatte er Glück und traf auf einen Landsmann? Sein Herz pochte aufgeregt, als er die Tür aufdrückte, die dabei ein unwilliges Knirschen von sich gab.

»Grüß Gott!«, rief er, als er das schummrige Innere betrat. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, und er sah, dass nur wenige Gäste im Schankraum saßen.

»Gott zum Gruße, Seemann.« Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus, als er seine Muttersprache vernahm. Zugegeben, die Stimme war hoch, ein wenig schrill – aber in Bens Ohren klang sie wunderbar. Hinter dem Tresen trat eine kleine Frau hervor. Die gebeugten Schultern und die dünnen, sehnigen Arme ließen darauf schließen, dass sie Entbehrungen und harte Arbeit gewohnt war. Ihr strähniges graues Haar und die tief in den Höhlen liegenden Augen in dem hageren Gesicht zeugten davon, dass sie schon einiges erlebt hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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