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Studienarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Geschichte Deutschlands - 1848, Kaiserreich, Imperialismus, Note: 1,3, Universität Leipzig (Historisches Seminar), Veranstaltung: Universität und Stadt Leipzig am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Jahre 1914 schrieb H. F. Kitzing in einem Artikel: „...eine große und tiefe Kluft trennt den Studenten vom Arbeiter, die sich völlig teilnahmslos gegenüberstehen...“. Der Autor charakterisierte damit das Verhältnis zweier wichtiger großer gesellschaftlicher Gruppen aus zeitgenössischer Sicht. Doch standen sich Arbeiter und Studenten wirklich so teilnahmslos gegenüber? Waren Arbeitersöhne an den Universitäten präsent? Oder gab es andere Kontakte und Schnittstellen? Welche Auswirkungen auf das Verhältnis hatten Arbeiterbildungs- und Volkshochschulkurse? Welchen Einfluss hatten die Sozialdemokratie und die bürgerliche Herkunft der Studenten? Das sind die Fragen, die mich in dieser Hausarbeit mit dem Titel „Die soziale Zusammensetzung der Leipziger Studenten und das Verhältnis zwischen Studenten und Arbeitern um 1900“ beschäftigen.
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Veröffentlichungsjahr: 2003
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Universität Leipzig
Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften
Historisches Seminar
Lehrstuhl für Neuere und Neuste Geschichte
Seminar
Universität und Stadt Leipzig am Vorabend des Ersten Weltkrieges
Wintersemester 2002/03
Hausarbeit, Thema:
Die soziale Zusammensetzung der Leipziger Studenten und das Verhältnis zwischen Studenten und Arbeitern um 1900
Lars-Marten Nagel
Journalistik (Diplom, Mittlere und neuere Geschichte im ergänzenden Hauptfach)
5. Studiensemester
5. Fachsemester Journalistik
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Im Jahre 1914 schrieb H. F. Kitzing in einem Artikel:„...eine große und tiefe Kluft trennt den Studenten vom Arbeiter, die sich völlig teilnahmslos gegenüberstehen...“1. Der Autor charakterisierte damit das Verhältnis zweier wichtiger großer gesellschaftlicher Gruppen aus zeitgenössischer Sicht. Doch standen sich Arbeiter und Studenten wirklich so teilnahmslos gegenüber? Waren Arbeitersöhne an den Universitäten präsent? Oder gab es andere Kontakte und Schnittstellen? Welche Auswirkungen auf das Verhältnis hatten Arbeiterbildungs- und Volkshochschulkurse? Welchen Einfluss hatten die Sozialdemokratie und die bürgerliche Herkunft der Studenten? Das sind die Fragen, die mich in dieser Hausarbeit mit dem Titel „Die soziale Zusammensetzung der Leipziger Studenten und das Verhältnis zwischen Studenten und Arbeitern um 1900“ beschäftigen. Wie der Titel schon sagt, beinhaltet die Hausarbeit zwei miteinander verwobene Schwerpunkte, entsprechend werde ich in zwei Stufen vorgehen und zwei Untersuchungsansätze nutzen:
1.Der erste Ansatz betrifft die soziale Zusammensetzung der Studenten der Leipziger Universität zwischen 1859 und 19092. Anhand des zeitgenössischem Statistikwerkes von Franz Eulenburg3wird die Sozialstruktur erarbeitet. Veränderungen und Entwicklungstendenzen im Betrachtungszeitraum werden herausgestellt und interpretiert.
Grundlage hierfür sind Arbeiten der sozialgeschichtlichen Sekundärliteratur u. a. von Konrad Jarausch4, Hermann Mitgau5und Hans-Ulrich Wehler6. Diesem Teil ist eine grobe Übersicht der Frequenzentwicklung und der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft im Kaiserreich vorangestellt, außerdem mache ich auf die verschiedenen Fehlerquellen im Umgang mit statistischen Quellen zur Sozialstruktur aufmerksam.
Ein besonderes Augenmerk liegt bei den Leipziger Studenten, die aus Arbeiterkreisen stammten. Es soll die Frage beantwortet werden, ob und wie stark sie an der Universität präsent waren.2.Beim zweiten Ansatz werde ich das Verhältnis zwischen Studenten und Arbeitern in Leipzig am Vorabend des Ersten Weltkrieges untersuchen. Anhand der Ergebnisse des ersten Teils und mehrerer Quellen des Universitäts- (Matrikel, Karten der Quästurkartei, Akten des Universitätsgerichts) sowie des Stadtarchivs (Akten, Protokolle) in Leipzig und der Sekundärliteratur werden Thesen entwickelt, wie groß die soziale Distanz zwischen Arbeitern und Studenten war und ob sich Entwicklungstendenzen erkennen lassen. Zeitgenössischer Texte, wie den eingangs erwähnten Aufsatz von H. F. Kitzing, werde ich ebenfalls heranziehen. Als Leitfaden dient - schon aufgrund der Quellenlage - die Perspektive der Studenten, dennoch soll soweit möglich auch die Sichtweise der Arbeiter reflektiert werden.
1 Kitzing 1914, S. 6.
2 Die Rahmendaten habe ich nach dem vorhandenen Statistikmaterial festgelegt.
3Eulenburg 1909.
4Jarausch 1980, ders. 1984, ders. 1991.
5Mitgau 1970.
6Wehler 1995.
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2. Die soziale Zusammensetzung der Studenten
Bei der Betrachtung der deutschen Hochschulentwicklung während des 19. Jahrhunderts fallen zwei mit einander verbundene Problemkomplexe ins Auge. Erstens, es gab ein erhebliches Frequenzwachstum der Studentenzahlen ab der zweiten Jahrhunderthälfte bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges. Zweitens, es kam zu Verschiebungen in der Struktur der studentischen Herkunft. Die Selbstrekrutierung des Bildungsbürgertums wurde zunächst durch Plutokratisierung und dann durch Verkleinbürgerlichung abgelöst. Der zweite Problemkomplex wird in einem späteren Kapitel ausführlicher behandelt.7
Im Folgenden soll die Frequenzentwicklung in ihren drei wichtigen Bereichen (Verlauf, Ursachsen, Folgen) kurz dargestellt werden, den sie bildet den Hintergrund für die Betrachtung der sozialen Zusammensetzung der Studenten. Im Anschluss wird die Frequenzentwicklung im Kaiserreich mit derjenigen der Leipziger Universität verglichen.
Trotz mancher Vorbehalte gegenüber der Zuverlässigkeit der preußischen Universitätsstatistik kann von einem erheblichen Wachstum der Studentenzahlen während des 19. Jahrhunderts ausgegangen werden. Konrad Jarausch beschreibt den Anstieg als„unerhörtes Frequenzwachstum, welches einzelne Institutionen und das höhere Erziehungssystem als Ganzes grundlegend veränderte“8. Wie verlief das Frequenzwachstum im Detail? Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es einen Anstieg, der 1830 mit etwa 16000 Studenten9ein erstes Maximum erreichte. Danach fiel die Kurve wieder ab und stagnierte auf niedrigem Niveau (um die 12000 Studenten). Von 1859/60 an (etwa 11900) stieg die Frequenz langsam, nach 1870 schnell. 1889 erreicht sie ein neues Maximum und betrug zirka 29000. In der Folgezeit bis 1893/94 ging sie leicht (auf etwa 27000) zurück, um dann bis zum Ersten Weltkrieg steil auf über 60000 nach oben zu schnellen.10Karsten Bahnson geht sogar schon für das Wintersemester 1904/05 von 62000 Studenten aus. Verglichen mit dem anderen Statistikmaterial erscheint diese Zahl aber zu hoch angesetzt.11Diese statistischen Angaben gewinnen an Gewicht, wenn man sie zum damaligen starken Bevölkerungswachstum ins Verhältnis setzt. Die relative Zunahme bezeichnet Jarausch als„imposant“,er errechnet einen Anstieg„von 38,6 bis 96,2 auf je 100000 [Einwohner] oder von 8,33 auf 21,77 auf je 10000 Männer“12.
7Vgl. Jarausch 1980, S. 119.
8Jarausch 1991, S. 314.
9Die Zahlen habe ich auf Hunderter gerundet. Sie verlieren dadurch nicht ihre Aussagekraft.
10Vgl. Jarausch 1980 S. 122 ff.; vgl. Jarausch 1991, S. 314 f.; vgl. Titze 1987, S. 27 ff.
11Vgl. Bahnson 1975, S. 225.
12Jarausch 1980, S. 123.