Die Sterne über dem Taj Mahal - Timeri N. Murari - E-Book
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Die Sterne über dem Taj Mahal E-Book

Timeri N. Murari

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Beschreibung

Die sagenhafte Liebesgeschichte, die dem Taj Mahal zugrunde liegt … Indien im Jahr 1607: Als sich der junge Prinz Sha Jahan und die Adelstochter Ardschumand auf dem königlichen Basar begegnen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Es ist der zarte Beginn einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte, die tragisch enden wird … Um seiner geliebten Ehefrau ein Andenken zu setzen, ordnet Sha Jahan den Bau eines Palasts an, dessen Größe und Pracht alles in den Schatten stellen soll, was die Welt bislang gesehen hat: Den Taj Mahal. Zweiundzwanzig Jahre lang arbeiten zwanzigtausend Männer Tag und Nacht, um den Wunsch des Mannes, der als Großmogul die Geschicke von ganz Indien lenken wird, zu erfüllen – und schreiben im Schatten der prunkvollen Mauern ihre ganz eigene Geschichte über den Erbau des Weltwunders … »Exotisch und berauschend!« The Independent Ein historischer Roman voll sinnlicher Opulenz, in dem Liebe, Politik und Macht zu einem farbenprächtigen Panorama Indiens im 17. Jahrhundert verschmelzen; für alle Fans von Noah Gordon und des Weltbestsellers »Palast der Winde«.

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Seitenzahl: 615

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Über dieses Buch:

Indien im Jahr 1607: Als sich der junge Prinz Schahdschahan und die Adelstochter Ardschumand auf dem königlichen Basar begegnen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Es ist der zarte Beginn einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte, die tragisch enden wird … Um seiner geliebten Ehefrau ein Andenken zu setzen, ordnet Schahdschahan den Bau eines Palasts an, dessen Größe und Pracht alles in den Schatten stellen soll, was die Welt bislang gesehen hat: Den Taj Mahal. Zweiundzwanzig Jahre lang arbeiten zwanzigtausend Männer Tag und Nacht, um den Wunsch des Mannes, der als Großmogul die Geschicke von ganz Indien lenken wird, zu erfüllen – und schreiben im Schatten der prunkvollen Mauern ihre ganz eigene Geschichte über den Erbau des Weltwunders …

Über den Autor:

Timeri N. Murari, geboren in Madras, Indien, zog für ein Ingenieurstudium ins Ausland, doch seine Liebe zu Geschichten und Büchern führte ihn schließlich zu einer Karriere als Journalist und Schriftsteller. Er schrieb für renommierte Zeitschriften wie den Guardian und die New York Times und veröffentlichte 18 Bücher, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Heute lebt er mit seiner Frau in Indien.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine große Indien-Saga, bestehend aus »Sahib – Der Palast der Stürme« und »Ramayana – Das Mosaik des Schicksals« sowie die historischen Romane »Die Sterne über dem Taj Mahal« und »Die Gärten von Madras«.

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eBook-Neuausgabe Mai 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1984 unter dem Originaltitel »Taj« bei 1985 by New English Library. Die deutsche Erstausgabe erschien 1986 unter dem Titel »Ein Tempel unserer Liebe« bei Diana, Zürich

Copyright © der englischen Originalausgabe 1984 by V. A. S. U. Ltd.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1986 by Diana Verlag AG, Zürich

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Katika und AdobeStock/Sun

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 978-3-98952-312-8

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Timeri N. Murari

Die Sterne über dem Taj Mahal

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Antoinette Gittinger

dotbooks.

Widmung

Meiner wundervollen Frau Maureenin Liebe gewidmet

Zitat

Laßt nur diese eine Träne, den Tadsch Mahal, auf der Wange der Zeit für alle Ewigkeit makellos hell glitzern... O König! Ihr versuchtet, die Zeit mit dem Zauber der Schönheit zu betören und einen Kranz zu flechten, der formlosen Tod mit unsterblicher Form verknüpfen würde. Dennoch trägt der Kurier Eurer Liebe, unberührt von der Zeit, unermüdlich und unbewegt vom Aufstieg und Fall von Imperien, gleichgültig gegenüber der Ebbe und Flut des Todes, die zeitlose Botschaft Eurer Liebe von Zeitalter zu Zeitalter. Das Mausoleum steht ruhig und unberührt an seinem Platz. Hier, auf der staubigen Erde, hält es den Tod zärtlich umhüllt im Schrein der Erinnerung.

Rabindranath Tagore

Anmerkung des Autors

Die Vergangenheit ist Prolog der Gegenwart. Die tragischen Geschehnisse, die sich vor über dreihundert Jahren in Indien abspielten, finden auch heute noch ihren Widerhall. Der anhaltende Konflikt zwischen Hindus und Moslems – und die Gründung Pakistans – können auf die Taten Aurangzebs, des Sohnes von Schahdschahan und Ardschumand zurückgeführt werden.

Alle Personen dieses Romans, ausgenommen Murthi, Sita und deren Kinder, lebten vor dreihundert Jahren, aber ich bin davon überzeugt, daß es auch in Wirklichkeit einen Mann wie Murthi gegeben hatte, der – genau wie 22 000 andere – nur für den Bau des Tadsch Mahal lebte und starb.

Ein Mann namens Isa lebte im Schatten des Großen Mughal Schahdschahan. Nur sein Name erinnert noch an ihn.

Als das große Mausoleum in Agra errichtet wurde, nannte man es Mamtaz Mahal, doch im Laufe der Jahrhunderte, als sich Zeit und Erinnerung verflüchtigten, kannte man es nur noch als Tadsch Mahal. Die jali, die die Sarkophage von Ardschumand und Schahdschahan umgibt, gilt als eine der schönsten Bildhauerarbeiten Indiens.

Die Kapitel mit ungeraden Zahlen umfassen die Zeit von 1607 bis 1630 und handeln vom Leben Schahdschahans und Ardschumands: ihrer Liebe, Heirat und der Thronbesteigung Schahdschahans. Die Kapitel mit geraden Zahlen beinhalten die Geschichte von 1632 bis 1666 und beschreiben die späteren Jahre von Schahdschahans Regentschaft; die Errichtung des Tadsch Mahal, die Geschichte von Murthi und Aurangzebs Rebellion gegen seinen Vater. Außerdem werden die Daten der traditionellen islamischen Zeitrechnung, die bei der Hedschra beginnen, entsprechend angegeben.

Motto

Taktya taktha? (Thron oder Sarg?)

Mughal-Spruch

Prolog

1150 (a. D. 1740)

Die Welt war in Regen gehüllt, und man wußte nicht, war es Tag oder Nacht. Die Tageszeiten kamen und gingen übergangslos, als ob Mensch und Tier von Blindheit geschlagen wären. Man hörte nur die Geräusche des Flusses, sein Tosen und Brüllen. Er wand sich in seinem Bett wie Shiwas Riesenschlange. Die Erde brach unter seiner Gewalt und verschlang Menschen, Tiere, Bäume und Häuser, fast dankbar, als ob sie ihre Last nicht länger tragen könnte.

Unter dem großen Torbogen stand der alte Affe und starrte auf den Vorhang der fallenden Wasser. Noch nie in seinem Leben hatte er solche Gewalt gesehen, und sein zerfurchtes, spöttisches Gesicht drückte Ehrfurcht aus. Sein Fell lag glatt an, das dunkle Rostbraun war mit Grau gemischt. An einigen Stellen zeigten sich die Folgen von Kämpfen, dunkle Hautstellen ohne Fell; Bißspuren, die inzwischen verheilt waren, ließen die Haut faltig erscheinen. Dicht an die Wand gedrängt kauerte sein Stamm. Es waren fünfzehn Affen. Er gehörte nicht zu ihnen. Sie waren elegant, schlank und silberfarben; er war gedrungen und häßlich, doch er hatte ihren Anführer getötet, und jetzt huldigten sie ihm. Er schaute verächtlich auf sie herunter, und sie akzeptierten unterwürfig seine Autorität. Auf allen vieren schlich er sich heran. Der Regen prasselte auf ihn herunter, als ob er sich über seine Herausforderung ärgerte, aber statt sich zurückzuziehen, ging er die Treppe hinunter, in den verwahrlosten Garten. Sein Stamm, der sich vor dem Sturm fürchtete, aber noch mehr davor, im Stich gelassen zu werden, brüllte und folgte ihm dann widerwillig. Der alte Affe schien das Toben des Sturms nicht zu bemerken. Er musterte die überfluteten Springbrunnen und die Pflasterung, die unter dem dichten Gestrüpp lag. Er zerrte an einem abgesplitterten Teil und warf es in den Brunnen. Seine Gefährten reagierten mit mürrischer Gleichgültigkeit auf ihre Umgebung.

Unter der Mauer kauerte er sich auf seine Hinterbacken und sah auf zu der strahlend weißen Erhebung, die er in der Dunkelheit erblickt hatte. Sie erhob sich wie ein Felsen, trotz der allumhüllenden Nacht. Sie schien nicht nur die Dunkelheit zu durchdringen, sondern sie sogar zu verdrängen, so daß zwischen den Mauern und der Nacht eine Aura der Helligkeit erstrahlte. Er stieg nicht weiter die Treppe hinauf, sondern wanderte umher, argwöhnisch aus alter Gewohnheit. Schließlich war er beruhigt. Er fand einen Halt auf dem Marmorstein und schwang sich auf den Sockel hinauf.

Der Felsen hatte einen Spalt, durch den die Dunkelheit eingedrungen war, und er folgte ihm, wobei er graziös über die auf dem Boden verstreuten Marmorstücke hüpfte. Auch hier war der Regen durchgesickert und hatte Wasserpfützen hinterlassen. Der alte Affe schnupperte Feuchtigkeit und Trostlosigkeit, atmete die betäubende Süße des Weihrauchs ein – er mochte diesen Geruch nicht – und dann Menschengeruch, säuerlich und widerlich. Er war neugierig und furchtlos. Er ging weiter, trat auf raschelndes Laub, und nachdem er entdeckt hatte, daß die Mauer mit Griffen versehen war, kletterte er flink nach oben und umging die Spalten im Gestein.

»Wer ist da?« rief eine Stimme.

Der Affe erstarrte und lauschte dem Geräusch eines tappenden Stocks. Aus dem unteren Raum tauchte ein Mann auf – abgezehrt, alt und blind.

»Ah, du bist’s. Ich rieche dich. Komm, du brauchst keine Angst vor mir zu haben.«

Seine Stimme hallte wider. Der Regen konnte die Stille des Grabmals nicht durchdringen. Der Affe beobachtete den Mann. Er wußte, er war blind und ungefährlich. Seine Gefährten hüpften herum und schüttelten sich das Wasser aus ihrem durchnäßten Fell.

»Es gibt hier keine Nahrung. Nur Steine, und die kann man ja nicht essen. Ich habe alles untersucht, es ist kalt und glatt wie die Oberfläche von Eiswasser. Ich weiß nicht, was das hier für ein Bauwerk ist oder warum es errichtet wurde. Hanuman, kannst du es mir sagen?«

Der Affe kratzte sich an der Brust und würdigte den Mann keines Blickes.

»Du weißt es selbst nicht. Für dich und für mich bedeutet es lediglich Unterschlupf vor dem Regen.«

Kapitel 1Die Liebesgeschichte

1017 (a. D. 1607)

Ardschumand

Hatte mich der Donner geweckt? Ich schreckte hoch und lauschte. Es war noch nicht Monsunzeit, doch die Luft war genauso geladen vor Erwartung – die Ruhe vor dem Sturm. Ich hörte nichts, nur das erste Krächzen der Krähen, den bezaubernden Gesang des Bülbül und das schrille Schimpfen der Eichhörnchen. Der Himmel war blaß und hell, am Horizont lösten sich die letzten Schwaden der Nacht auf. Die Mango- und Feigenbäume vor dem Fenster schienen im zarten Morgenlicht durchsichtig.

Vielleicht wurde ich durch meinen Traum geweckt, auch wenn ich mich nicht deutlich daran erinnern konnte. Der Donner hatte mich durchzuckt, und mein Herz schlug immer noch schnell. War das eine Warnung? Ich empfand keine Furcht, wurde nicht niedergedrückt vom Bleigewicht der Ewigkeit, wie vielleicht der Verurteilte bei Anbruch seines letzten Erdentages. Statt dessen fühlte ich zu meiner Überraschung eine Art Leichtigkeit, Freude. Die Spannung lag nicht in der Luft, sondern in mir selbst, in den süßen Erinnerungsfetzen meines Traums.

Unter einem donnernden Himmel hatte ich eine silberne Fläche erblickt, und an der Stelle, wo sich Himmel und Erde trafen, war er mit zartem Rot überzogen. In der Ferne sah ich einen Gegenstand, konnte aber nicht erkennen, was es war. Ein Felsblock, ein Mensch? Er schimmerte im grellen Licht. Was würde mein Astrologe aus diesem Traum schließen? Reichtum? Glück? Liebe? Die übliche Habgier aller Menschen? Doch auch ohne seine Anleitung erkannte ich, daß der kommende Tag bedeutungsvoll sein würde. Ich war gespannt darauf, erwartete ihn ungeduldig.

Die zenana war noch in Dunkelheit gehüllt, doch draußen hatte bereits das geschäftige Treiben des Tages begonnen. Ich hörte die Anpreisungen eines Straßenhändlers, die knirschenden Räder von Ochsenkarren, die süße Stimme eines singenden Kindes. In der Ferne verkündete das Trommeln der dundhubi das Erscheinen des Großen Mughal Dschahangir am jharoka-i-darshan. Jeden Tag zeigte er sich eine Stunde vor Sonnenaufgang den Edlen und dem Volk oben auf dem Lal Quila. Der Anblick seiner Person beruhigte seine Untertanen. So wußten sie, daß er lebte, daß sein Reich gesichert war. Jeden Tag mußte er von neuem sein Dasein beweisen. Ich konnte mir vorstellen, wie er auf seinem silbernen Thron saß und nach Osten blickte, zu der Stelle, an der sein Reich endete. Eine Karawane benötigte zur Durchquerung seines Reiches von Osten nach Westen, dem Land zwischen Persien und Bengalen, sechzig Tage und weitere sechzig Tage vom Himalaya im Norden bis zur Dekkanfläche im Süden. Das Herz dieses Riesenreiches war der Große Mughal in Agra, aber wohin auch immer er in seinem Reich reiste, dort war der Mittelpunkt.

Das Trommeln der dundhubi war auch das Weckzeichen für unser Hauswesen. Es waren vertraute Geräusche, die ich von klein an kannte und unter denen ich mir die jeweilige Tätigkeit vorstellen konnte: das Anzünden des Küchenfeuers durch die Sklaven, das rhythmische Hin und Her der Besen und der Lärm der Männer unseres Haushaltes, der aus den unteren Räumen zu uns hochdrang.

Außerdem hörte ich das Flüstern meiner Mutter, Großmutter und Tante. Heute entdeckte ich in ihren Stimmen eine neue Nuance, einen erregten Unterton, als ob auch sie durch den Donner geweckt worden wären. Ich hatte angenommen, ich sei die einzige gewesen, und es enttäuschte mich, daß die ganze zenana von dieser Vorahnung gepackt war.

»Ardschumand, bist du wach?« rief meine Mutter.

Im allgemeinen vollzog sich das Erwachen des Harems sehr langsam, und die Frauen benötigten oft einen halben Tag, bis sie sich gebadet, gesalbt und angekleidet hatten, doch heute herrschte hektische Geschäftigkeit. Bedienstete und Sklaven rannten hin und her, holten irgend etwas, trugen es von einer Ecke zur anderen und ließen es fallen, während meine Tante Mehrunissa eine Anweisung gab, meine Mutter eine andere und meine Großmutter eine dritte und weitere weibliche Verwandte noch einige mehr. Juwelenbesetzte Schatullen, Stoffballen aus Seide und Schmuckkassetten aus Elfenbein, Silber und Jade wurden zusammengetragen, denn heute abend sollte der königliche Meenabasar stattfinden. Wie ein Komet tauchte er nur einmal pro Jahr auf, gegen Frühlingsende, und erregte unter den Damen des Herrscherhofs großes Aufsehen.

»Bist du denn noch nicht fertig?« fragte mich Mehrunissa.

»Soll ich auch mitgehen?«

»Warum nicht? Du bist jetzt alt genug dafür. Vielleicht gibt es einen Mann, der auf dich aufmerksam wird und dir einen Heiratsantrag macht.«

In diesem Jahr 1017 war ich zwölf und fast im heiratsfähigen Alter. Ich war das einzige Kind meiner Eltern und hatte bis jetzt ein streng behütetes, langweiliges Leben geführt. Meine Erziehung – Lesen, Schreiben, Malen, Musik, Geschichte, Beschäftigung mit dem Koran – war so ausgerichtet, daß sie den Anforderungen des begrenzten Lebens als Ehefrau eines hohen Adligen entsprach. Meine arrangierte Ehe würde unvermeidlich eine nüchterne Vereinigung von Körpern und Wohlstand sein. Es gab keine andere Möglichkeit. Natürlich hatte ich meine romantischen Träume, wie die anderen Mädchen auch.

»Vielleicht macht er dir was weiß ich für einen Antrag«, bemerkte eine meiner Verwandten hinterhältig und verursachte großes Gelächter.

»Ich habe nichts zu verkaufen«, sagte ich und tat, als ob ich nichts gehört hätte.

»Du kannst alles verkaufen – Obst, Gewürze, Schnitzarbeiten. Das ist ganz egal. Aber natürlich«, fügte Mehrunissa listig hinzu, »wenn dein Stand kostbare Ware anbietet, ziehst du hohe Herren an, vielleicht sogar den Herrscher.«

»Tante, was verkaufst du?«

»Goldschmuck und meine Seidenarbeiten.« Sie wühlte in einem ihrer Körbe und beförderte Smaragd- und Diamantarmreifen und -ketten zutage, Rubin- und Saphirringe, dann warf sie sie achtlos zurück und runzelte die Stirn.

»Glaubst du, das ist gut genug?«

»Es gibt nichts Besseres.«

Sie zuckte die Schultern, immer noch zweifelnd. Dann betrachtete sie mich forschend, geheimnistuerisch. Mehrunissa war eine sehr beherrschende, doch auch sehr schöne Frau. Wer sich ihren Wünschen nicht fügte, wurde von ihr umgarnt oder tyrannisiert, und sogar ihr Mann, General Sher Afkun, dessen Tapferkeit auf dem Schlachtfeld unbestritten war, verstummte in ihrer Gegenwart. Sie wollte blenden und bezaubern. Am liebsten hätte sie den Mond und die Sterne vom Himmel geholt und sie oben auf den großen Berg von Edelsteinen und Seidenstoffen gesetzt.

»Aber sie kommen doch nicht nur, um zu kaufen, sondern um uns anzustarren. Sie werden starren und starren, aber keinen Mut zeigen.«

»Was für eine Gelegenheit haben sie sonst, uns anzusehen? Die gewöhnlichen Marktfrauen können ihr Gesicht zeigen und gehen, wohin sie wollen, doch wir müssen unser ganzes Leben hinter dem Schleier verbringen.«

»Es ist besser, nicht gesehen zu werden, aber selbst alles zu sehen«, sagte Mehrunissa scharf. »Dadurch regen wir die Phantasie der Männer an und bringen sie zum Träumen.«

»Das ist auch alles, was sie tun können«, preßte ich verzweifelt hervor. »Wer, außer dem Herrscher, besucht den Basar?«

»Männer vom Hochadel.« Sie senkte ihre Stimme, flüsterte verschwörerisch: »Vielleicht sogar ein Prinz Schahdschahan. Man kann nicht wissen, was für wunderbare Dinge sich heute nacht abspielen.«

Sie seufzte erwartungsvoll. Alle Frauen waren wie umgewandelt vor Aufregung, doch Mehrunissa schien ganz besonders entzückt. Heute abend konnte sie ihre Ehe und ihre Tochter vergessen und so tun, als ob sie wieder ein junges Mädchen wäre, sich romantischen Träumen hingeben und Gedichte für einen unbekannten Geliebten ausdenken, der, wie durch Zauber, ihr Herz stehlen würde. Ich überlegte, ob sie dabei an jemand Bestimmten dachte.

»Was, glaubst du, wird sich heute abend ereignen?« fragte ich.

»Ich habe es gerade gesagt«, sagte sie fröhlich. »Wo ist Ladilli?«

»Sie schläft immer noch.« Ihre Tochter Ladilli war, genau wie ich, ein Einzelkind. Sie war eine enge Vertraute von mir, ein scheues, ruhiges Mädchen, ohne jegliche Koketterie.

Ich hatte an meinem Stand nicht soviel anzubieten wie Mehrunissa. Ich war jung und unverheiratet, und außer einer schweren Goldkette und ein paar Armreifen bestand mein Schmuck hauptsächlich aus Silber. Ich schichtete die Fußspangen, Ohrringe, Armreifen, Ketten und Ringe auf einen Haufen, doch dieser war sehr dürftig. Das Ganze besaß kaum einen Wert – vielleicht tausend Rupien, vielleicht auch weniger.

Als ich den Schmuck betrachtete, fühlte ich wieder dieses Donnern in mir, wie heute morgen. Es war, als ob meine Träume wiederkehrten, mich daran zu erinnern versuchten, daß dieser Tag nicht wie jeder andere wäre. Ich hatte die Farbe Rot gesehen, konnte aber nicht unterscheiden, ob es Blut oder Seide war – im Traum geht alles ineinander über –, und ich hörte eine Stimme, eine Männerstimme, voll sanfter Verwunderung, konnte aber nicht sagen, was sie gesprochen hatte. In meinem Traum konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, wußte nur, daß wir aufeinander gewartet hatten.

»Agachi, Ihr wirkt ganz abwesend«, unterbrach Isa meine Gedanken. »Ihr scheint die Aufregung der anderen Begums nicht zu teilen.«

Isa war ein chokra, den mein Großvater, Ghiyas Beg, vor drei Jahren gefunden und freigelassen hatte. Obwohl er ein paar Jahre älter war als ich, war er immer noch klein und mager. Isa erzählte uns, daß er schon als kleiner Junge von einem Magier aus einem kleinen Dorf südlich von Golconda geraubt worden war. Zusammen waren die beiden jahrelang umhergezogen. Er hatte versucht, seinem Meister zu entfliehen, wurde aber von diesem immer wieder eingefangen. Als mein Großvater auf ihn stieß, erhielt er gerade von dem Magier eine gehörige Tracht Prügel. Man gewährte ihm Zutritt zum Harem, da er behauptete, ein Eunuch zu sein, und das wurde von Mehrunissas eigenem Eunuchen Muneer bestätigt. Manchmal zweifelte ich an Isas Geschichte, doch er diente mir ergebener als jede Dienerin.

»Isa, ich hatte einen Traum und versuchte, mich daran zu erinnern.«

»Wenn Ihr schlaft, kehrt die Erinnerung wieder«, sagte er.

»Vielleicht. Da, das kannst du tragen.« Ich reichte ihm meinen Silberschmuck, den ich in ein Seidentuch gewickelt hatte. »Sind die anderen fertig?«

»Ja, Agachi.«

Der Basar wurde in den Gärten des kaiserlichen Palastes abgehalten. Dieser war tief im Innern des Lal Quila verborgen, der sich wie ein kleiner Felsen aus rotem Sandstein am Ufer des Jumna erhob. Er war vom Vater des Padishah, Akbar dem Großen, erbaut worden. Der gleiche Akbar war so großzügig gewesen, meinen Großvater in seine Dienste zu nehmen, als er von Persien nach Hindustan gekommen war. Sie hatten sich durch den Besitzer einer Kamelkarawane kennengelernt, der meinen Großvater Ghiyas Beg dem Großen Mughal vorstellte. Ohne diese Begegnung wären wir ohne Glück und arm geblieben, wie die vielen Menschen, die sich in den Straßen Agras drängten.

Die Laufbahn meines Großvaters gestaltete sich glänzend – doch enttäuschend kurz. Im Dienste Akbars war er schnell nach oben gekommen, doch in Fehleinschätzung des Herrschers war er bei der Entgegennahme von Bestechungsgeldern zu dreist gewesen. In Persien und Hindustan war es üblich, als Gegenleistung für Gefälligkeiten Geschenke zu empfangen, doch Akbar war der Meinung, seine Minister sollten über solche Praktiken erhaben sein, und entließ meinen Großvater. Seit Akbars Tod vor zwei Jahren bemühte sich mein Großvater, in die Dienste von Dschahangir, Akbars Sohn, zu treten. Es schien so, daß Dschahangir schließlich nachgegeben hatte, denn es bedeutete für uns eine große Gunst, daß wir zum königlichen Meenabasar eingeladen worden waren. Deshalb ist es verständlich, daß dieses Ereignis in unserem Haus soviel Wirbel verursachte.

Unsere Familienprozession von unserem Haus zum Fort – eine Entfernung von zwei Meilen – war klein; sie bestand nur aus drei Sänften. Muneer bahnte sich mit einem Knüppel, den er mit sadistischer Freude nach allen Seiten schwang, den Weg durch die Menge. Ich hatte bei Mehrunissa protestiert, doch auch ihr schien es Vergnügen zu bereiten, wenn der Knüppel auf Fleisch eindrosch.

Ich zog es vor, zu Fuß zu gehen mit Isa einen Schritt hinter mir. Der Staub, die Hitze und die erstaunlichen Eindrücke dieser riesigen Stadt waren mir lieber als die erdrückende Enge der Sänfte. Auf der ganzen Welt gab es keine so große und abwechslungsreiche Stadt. Ich sah hier Männer und Frauen aus Bengalen, Persien, Griechenland, Usbekistan und China, Fremde, die von den westlichen Meeren kamen, Afghanen und Menschen aus allen subas Hindustans. In den Basars am Straßenrand wurden alle Reichtümer der Welt verkauft: Porzellan, Gold, Silber, Elfenbein, Seide, Rubine, Diamanten, Gewürze, Sklaven, Pferde und Elefanten. Wir zogen eine eigene kleine Prozession von Bettlern nach uns. Isa gab jedem einen oder 25 dams, je nach seiner Bedürftigkeit. Hätte er nach eigenem Gutdünken handeln dürfen, hätte er sie mit Flüchen und Schlägen davongejagt. Die Armen zeigen untereinander kein Erbarmen.

Wir betraten das Lal-Quila-Fort durch das Amar-Singh-Tor. Das Delhi- und das Hathi-Pol-Tor waren der Armee des Mughal vorbehalten, die die halbe Festung mit Beschlag belegte. Wir gingen an den kaiserlichen Soldaten, die scharlachrote Uniformen und polierte Rüstungen trugen und mit Schwert und Schild bewaffnet waren, vorbei. Es eröffnete sich uns eine andere Welt. Das Fort selbst hat die Form eines großen Bogens, dessen »Sehne« sich zum Fluß zu spannt. Die Mauern sind siebzig Fuß hoch und zehn Fuß dick und enden an der Spitze in Zacken wie die Zähne einer Säge. An der Mauer, die eine Meile lange ist, befinden sich in regelmäßigen Abständen Türme, die von kaiserlichen Wachen besetzt sind. Wir warteten eine Zeitlang im Amar-Singh-Hof, zusammen mit zahllosen anderen, bevor man uns gestattete, den engen Tunnel zum Palast zu betreten. Der Befehlshaber der Wachen saß auf einer erhöhten Plattform und prüfte, ob wir wirklich eingeladen waren. Die Straße verlief jetzt schräg nach oben zwischen zwei hohen Mauern. Als der höchste Punkt erreicht war, ging es eben weiter. Vor uns lag der säulengeschmückte diwan-i-am mit seinem Holzdach und seiner gehämmerten Silberdecke. Der Palast selbst befand sich hinter dem Garten zu unserer Rechten, an der östlichen Mauer des Forts, mit Blick auf den Fluß. Es war ein exquisites Bauwerk aus rotem Sandstein, die Wände und Säulen bedeckt mit komplizierten Schnitzarbeiten. Trotz seiner Größe schien er zart und zerbrechlich.

Doch der Herrscher hielt sich nur selten hier auf. Er lebte und schlief in dem bargah, das im Garten aufgeschlagen wurde. Das ist ein kunstvoll gearbeitetes Riesenzelt, das aus vielen Räumen besteht und mit schönen Teppichen aus Persien und Kaschmir ausgelegt ist, die Wände bedeckt mit Gemälden und Seidentapeten, geschmückt mit Edelsteinen. Tamerlan, der erste mongolische Eroberer, hatte erlassen, daß keiner seiner Nachfahren unter dem Dach eines Gebäudes schlafe, und jeder Herrscher hatte seinem Befehl gehorcht. Der übrige Teil des Forts wurde vom Basar, den Verwaltungsräumen und zahlreichen Werkstätten eingenommen.

Seit den drei Jahren unseres Exils hatte sich wenig verändert, doch heute sah ich alles mit anderen Augen an: den Palast, die Springbrunnen, die Höflinge in ihrer prachtvollen Aufmachung, die Musiker, die Jongleure, die Elefanten und Pferde, sogar die Luft schien von Gesang erfüllt. Das lag weniger an dem Anlaß als an der Nähe der Macht.

Das Reich lebte von einem Herzschlag – Dschahangirs –, und wir befanden uns alle in seiner Nähe. Das geschäftige Treiben, das Durcheinander und die Hitze erregten Schwindel; eine Menge von Sänften, die die Harems der Prinzen und Adligen beförderten, drängte nach vorn, um ihre kostbare Fracht vor den Stufen des Palastes abzuladen. Der Harem des Herrschers nahm den größen Teil dieses Gebäudes ein, das an dieser Stelle nur sehr schwer zugänglich war, denn neben den Frauen beherbergte es auch den unschätzbaren Schatz des Großen Mughal.

Zuerst mußten wir an einer Gruppe kaiserlicher Wachen, die mit Lanzen und Gewehren ausgerüstet waren, vorbeigehen. Die Frauen wurden nicht durchsucht, doch die Bediensteten, die sich in unserer Begleitung befanden, wurden einer strengen Leibesvisitation unterzogen. Die nächste Gruppe bewachte die Gänge im Palast selber, Sklavinnen aus Usbekistan. Sie waren nicht weniger kriegerisch als die kaiserlichen Wachen und ebenfalls gut bewaffnet. Sie waren männlich gebaut, mit starken, breiten Schultern, kräftigen Armen und ohne jeglichen Humor. Sie untersuchten jede einzelne von uns Frauen, manchmal etwas zu intensiv, obwohl einige von uns diese energischen Hände auf ihrem Körper zu genießen schienen. Ich nicht. Der Harem selbst wurde von den Eunuchen bewacht. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, daß kein potenter Mann den Harem betrat. Aber es konnte auch vorkommen, daß sie so beeinflußt wurden, daß sie ihrer Pflicht nur nachlässig nachkamen.

Noch nie hatte ich so viele aufgeregte Frauen an einem Platz versammelt gesehen wie an diesem Tag. Ich wußte nicht, wie viele es waren, doch Isa, der die meisten Dinge zu wissen schien, erzählte mir, es seien mehr als achttausend. Das war möglich: Akbar hatte vierhundert Frauen und fünftausend Konkubinen gehabt, und viele von ihnen lebten noch im Palast. Die meisten seiner Ehen waren rein politische Verbindungen genau wie bei Dschahangir. Diese Mata-Ehen endeten nach einer vereinbarten Zeitspanne, und die Frauen kehrten in ihre Heimat zurück, beladen mit Gold, das ihnen der Große Mughal zum Geschenk gemacht hatte. Die Frauen, deren Heirat durch religiösen Ritus vollzogen wurde, blieben ihr Leben lang und erhielten stattliche Apanagen, Ländereien, und erwarben sich noch zusätzlichen Reichtum durch Handel. Hier versammelten sich Frauen vieler Nationen und Sprachen: Frauen aus Rajput, Kaschmir, Persien, Bengalen, der Tatarei, Mongolei, aus Tibet, Rußland und dem Kirgisengebirge.

Der Palast war eine riesige Honigwabe aus Räumen. Ihre Größe und der Luxus der Ausstattung entsprachen dem Rang der jeweiligen Bewohnerin. Die Luft war stickig und erfüllt von süßem Parfümduft, der den Wänden zu entströmen schien. Ich hatte das Gefühl, als wate ich durch weiches, schwefelhaltiges Fleisch. Wir kamen nur langsam voran, einerseits aufgrund der dichtgedrängten Menschenmenge, andrerseits deshalb, weil Mehrunissa viele der Damen kannte und jedesmal stehenblieb, um sie überschwenglich und liebevoll zu begrüßen, was sie allerdings nicht daran hinderte, später im Flüsterton ein paar abfällige Bemerkungen fallenzulassen. Viele der Damen musterten uns überrascht. Aber die Unaufrichtigkeit, die man Mehrunissa vorwerfen konnte, galt genauso für sie. Bei Hof entspricht der Grad der Zuneigung, die einem zuteil wird, dem Rang, den man beim Herrscher einnimmt. Ich stand in keiner Beziehung zu ihm, war also unbedeutend. Aber aus allen Blicken konnte ich lesen: Warum sind sie eingeladen worden? Hatte der Herrscher meinem Großvater vergeben? Bald hatte ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, weniger aufgrund der stickigen Luft – vom Jumna wehte eine kühle Brise – als wegen der geheuchelten Freundlichkeit.

Ich flüchtete auf den Balkon und sah auf den Palastgarten hinunter. Es war eine Eigenheit der Mughals, daß sie sich nach diesen Oasen voll blühender Schönheit sehnten. Die Gärten vermittelten ihnen nicht nur ein Gefühl der Beständigkeit, sondern eine Erinnerung an das Nomadenleben ihrer fernen Vorfahren. Damals waren Wasser, Bäume und Blumen ein seltenes Vergnügen. Inmitten dieses üppigen Grüns, durchsetzt mit allen nur vorstellbaren Blumen – Rosen, Jasmin, rote Jasminbäume, Cannas und Veilchen –, umrahmt von schattigen Bäumen, prangte ein Springbrunnen. Das Wasser sprudelte melodisch, da sechsunddreißig Ochsengespanne Tag und Nacht Wasser aus den Ziehbrunnen herbeischleppten. Allein dieser Anblick wirkte in der intensiven Frühlingshitze abkühlend und beruhigend. Die Männer hatten bereits damit begonnen, die Stände für den Basar aufzustellen. An einem würde ich sitzen und meinen nicht sehr üppigen Silberschmuck anbieten. Der Boden dazwischen würde bald unter Teppichen verschwinden.

»Da bist du ja. Ich habe dich überall gesucht.« Mehrunissa zog eine kleine, schüchterne Frau hinter sich her, die so zart und durchsichtig wie ihr Seidensari wirkte.

»Majestät, das ist meine Nichte Ardschumand.«

Ich verneigte mich vor Jodi Bai, Dschahangirs Kaiserin. Sie stand da und wirkte verlegen, ja unglücklich, als ob sie darauf wartete, daß ich redete. Ich wußte nicht, was ich zu dieser ruhigen, traurigen Frau sagen sollte, und beobachtete sie, während Mehrunissa wortreich über den Basar plapperte. Jodi Bai war eine Rajput und eine Hindu, die Mutter von Prinz Schahdschahan. Ich hatte nicht erwartet, daß meine Tante der Herrscherin gegenüber so freundlich wäre, und diese auffällige Gunstbezeugung ließ mich an der Aufrichtigkeit ihrer Gefühle zweifeln. Mehrunissa war in solchen Dingen berechnend wie ein Mathematiker.

»Oh, sie ist ja so strohdumm«, flüsterte Mehrunissa, als Jodi Bai wie ein kleines aufgeschrecktes Tier vor uns floh, das in dem hohen Gras in Deckung ging.

»Warum bist du dann so freundlich?«

»Weil ich zu Dschahangirs Frau nicht unhöflich sein kann.« Sie wandte sich um und betrachtete die Menge. »Außerdem wollte ich einfach herausfinden, was für eine Art Mensch sie ist. Mein Gott, was für eine Kaiserin! Da braucht man sich nicht zu wundern, daß sich Dschahangir zu Tode trinkt.«

»Man sagt, er habe schon vor der Ehe getrunken. Seine beiden Brüder tranken sich zu Tode.«

»Und wenn er bei ihr bleibt, macht er es auch nicht mehr lange.«

»Was willst du dagegen tun?«

»Das ist nicht dein Problem.«

Plötzlich war sie verschwunden, untergetaucht im Gedränge von Fleisch, Gelächter und Gesprächen, wie ein Vogel, der sich vom Wind davontragen läßt. Ich wußte, daß sich hinter der Schönheit meiner Tante eiskalter Ehrgeiz verbarg, doch ich konnte nicht sagen, worauf ihr Ehrgeiz zielte, er war verborgen hinter ihrem geheimnistuerischen Verhalten, das sie vor jedermann verschloß.

Zur festgelegten Zeit, drei Stunden vor Mitternacht, hörten wir die Frauen aus der Ferne rufen: »Zindabad Padishah, Zindabad Padishah!« Der Lärm nahm immer mehr zu, und als er näher kam, standen alle Frauen auf, um ihn zu grüßen.

Dschahangir schritt über den roten Teppich und unterhielt sich angeregt mit meinem Großvater Ghiyas Beg. Der Padishah trug einen Turban aus purpurroter Seide, der mit einem Busch aus langen Reiherfedern geschmückt war. Auf beiden Seiten dieses Busches wurden ein walnußgroßer Diamant und ein Rubin von massiven Goldklauen gehalten. Die Reiherfedern befestigte in der Mitte eine Brosche mit einem großen funkelnden Smaragd. Um die Taille trug er einen Goldgürtel, der mit Diamanten und Rubinen bestückt war. Auf der linken Seite hing das Humayunschwert, auf der rechten steckte in seiner Schärpe ein ziselierter Dolch mit einem Rubin am Griff. Eine dreireihige Perlenkette schmückte seinen Hals, und an jedem Arm trug er Goldarmbänder, die mit Diamanten verziert waren, einen breiten Armreif über dem Ellbogen und drei an jedem Handgelenk. Auch seine Finger waren überladen von Ringen mit kostbaren Steinen, und seine Füße steckten in gewebten Goldpantoffeln, die mit Perlen bestickt waren. Hinter ihm gingen zwei Männer. Der eine trug einen Köcher mit Pfeilen und einen großen Bogen, der andere ein Buch. Hinter dem Buchträger kam ein abessinischer Boy, der Feder und Tinte trug, denn Dschahangir war leidenschaftlich neugierig auf alles, was in der Welt vor sich ging, und notierte peinlich genau jeden Gedanken und Eindruck.

Mein kleiner Stand befand sich in einiger Entfernung vom Eingang, im Schatten eines Neem-Baumes. Mehrunissa hatte sich nahe dem hellsten Licht des Brunnens niedergelassen. Ich versuchte, meinen Schmuck immer wieder anders zu arrangieren, doch es half nichts, keine Anstrengung konnte eine üppigere Schau hervorbringen. Die Schmuckstücke nahmen sich auf dem kleinen blauen Teppich ganz verloren aus.

»Isa, wer wird so etwas kaufen?«

»Agachi, irgendein sehr glücklicher Mann. Ich fühle das.«

»Er müßte ja verrückt sein, er würde an jedem anderen Stand besser bedient.«

Die Höflinge schritten jetzt nicht mehr hinter dem Herrscher her, sondern verstreuten sich, um sich an den Ständen umzusehen. In Gegenwart von völlig Fremden fühlte ich mich ohne meinen Schleier etwas unbehaglich, obwohl ich mir insgeheim sehnlichst gewünscht hatte, ihn nicht tragen zu müssen. Doch es war nicht genug, dies nur für einen Abend bewilligt zu bekommen; der Geist schwang sich empor, wie ein Vogel, der sich traurig bewußt wird, daß sein Bein festgebunden ist.

Mein Großvater störte meine Träume.

»Ardschumand, man sieht dich ja gar nicht.«

»Mir wurde dieser Stand zugewiesen. Ich bin ja nur ein Mädchen.«

Er lachte. »Aber was für ein schönes.«

Ich lächelte. Er sagte immer das gleiche. Ich liebte ihn. Er war ein freundlicher, ruhiger Mann, hochgewachsen und schlank. Seine Augen hatten die Farbe des Abendhimmels, wie meine.

»Bitte, kauf mir etwas ab. Sonst kauft niemand etwas bei mir.«

»Nein, das gebührt anderen Männern. Es ist noch früh.«

Dann flüsterte er: »Doch wenn sie alle zu töricht dazu sind, komme ich wieder und kaufe dir alles ab. Denk daran, daß du mir einen guten Preis machst.«

»Ich sah dich mit dem Herrscher reden.«

»Ja. Er war so freundlich, meine bescheidene Gegenwart wahrzunehmen.«

»Worüber habt ihr geredet? Nimmt er dich in seine Dienste?«

»Das erzähle ich dir später.« Er kniff mich verschwörerisch in die Wange.

Dann ging er weiter, und andere Männer schlenderten an meinem Stand vorbei, starrten mich unverblümt an, flüsterten miteinander und lachten, besaßen aber nicht den Mut, sich zu nähern. Die anderen Damen flirteten mit ihnen wie die Damen im Basar und riefen ihnen zu, doch ich konnte mich nicht so dreist benehmen. Statt dessen beobachtete ich das Treiben auf dem Basar; ich sah, wie Dschahangir vor Mehrunissas Stand stehenblieb, etwas kaufte, ihr etwas zuflüsterte und dann weiterschlenderte. Sie sah glücklich und fröhlich aus, wandte dann aber bald wieder ihre Aufmerksamkeit den anderen Edelleuten zu.

Plötzlich fühlte ich Augen auf mich gerichtet. Sie waren beharrlich, wollten mich dazu bringen, ihren Blick zu erwidern. Ich spürte fast ihre Zärtlichkeit. Schwäche stieg in mir auf, und als ich mich umwandte, erblickte ich auf dem Weg hinter dem nächsten Stand den Prinz Schahdschahan.

Durch die enge Öffnung des Standes zwischen uns, wo das flackernde Kerzenlicht dunkle Schatten warf, hielten mich seine Augen fest. Dunkle, sehnsüchtige, einsame Augen, erleuchtet von einem inneren Feuer. Es fehlte ihnen die wilde Glut eines Prinzen, eines Herrschers, eines Mughal; diese Augen gehörten eher einem ängstlichen Jungen. Ich wußte, ich war der Grund seiner Angst, und konnte meinen Blick nicht von ihm wenden. Er war der Donner, der mich in der Nacht geweckt hatte. Er war der rote Traum, es war nicht Blut, sondern der purpurrote Turban des Kronprinzen. Im Traum hatte ich die Hand ausgestreckt, um ihn zu berühren, und er hatte sie ergriffen, da er wußte, daß ich in dem einsamen und glanzvollen Dasein eines Prinzen die einzige Gefährtin war. Er entschwand meinem Blick. Jetzt war ich mit Angst erfüllt, plötzlich eine Hoffnung zu verlieren, von der ich bis vor kurzem noch nichts wußte. Ich drehte mich nach allen Seiten und spähte durch die engen Gassen, in denen sich geschäftige, lachende Frauen und Edelleute drängten. Ich wünschte mir, der Boden verschlinge sie, ja, ich verfluchte sie. Und dann erblickte ich ihn, wie er sich grob durch die Menge drängte. Es sah aus, als laufe er. Hoffnung und friedvolle Ruhe erfaßten mich tief in meinem Inneren, und ich versank in einen sanften, warmen Traum.

Schahdschahan

Ich, Prinz Schahdschahan, bin nicht länger der Knabe namens Khurrum, sondern Herrscher der Welt und Erde Dschahangirs, Padishah von Hindustan. Obwohl ich erst fünfzehn bin, darf ich als der Lieblingssohn meines Vaters den Umhang tragen und wurde eingeladen, den königlichen Meenabasar zu besuchen.

Ich war außer mir vor Begeisterung über dieses Ereignis, denn meine Gegenwart hier war nicht nur ein Zeichen für die Gunst meines Vaters, sondern auch des Hofes. Sie alle gaben mir vor meinen drei Brüdern den Vorzug, Erbe dieses riesigen Reiches zu werden. Der einzige Ehrgeiz eines jungen Prinzen kann es sein, zu herrschen, das Zepter der Macht in den Händen zu halten. Ich spürte, daß dieser Abend ein besonderer sein würde.

Mein Urgroßvater Humayun hatte den königlichen Meenabasar ins Leben gerufen. Das war eine entzückende Idee, denn aufgrund kaiserlichen Erlasses konnten die Frauen vor einem erlesenen Kreis von Männern unverschleiert erscheinen. Einen einzigen Abend lang waren die seidenen Masken, die das ganze Jahr getragen wurden, abgeschafft, die enge Haremswelt für wenige Stunden, in denen wir die schleierlosen Gesichter edler Damen betrachten konnten, nicht mehr hermetisch abgeriegelt.

Trotz der Hitze und der drückenden Luft drängten sich die Menschen bei Einbruch der Nacht im Palast. Im Garten hatten die Arbeiter Stände errichtet, und die Frauen ordneten ihre Waren, die sie zum Kauf anbieten wollten. Man hatte mir berichtet, daß sie wie Marktfrauen feilschten, und daß der Käufer im Glücksfall nicht nur die Waren erwarb, sondern auch die Gunst der Dame. Ich hatte vernommen, wie sich einige begünstigte Hofleute mit ihren Eroberungen brüsteten und sehnsuchtsvoll von den herrlichen Nächten schwärmten, die sie mit einer Dame verbracht hatten. Ich war in diesen Dingen auch nicht unerfahren. Ich hatte bei meinen Sklavinnen gelegen und war manchmal zur Belustigung mit meinen Gefährten zu den Tänzerinnen in den Basars gegangen und hatte für ihren Körper bezahlt. Doch die Erfahrung lehrte mich, daß ich aufgrund meiner Stellung von den Frauen nur fleischliches Vergnügen erwarten konnte. Ich hörte nicht auf ihr Geflüster, denn sie flüsterten nur, um mir zu schmeicheln, Gunstbezeugungen und Reichtum zu erhalten. Die Dichter schrieben und sangen von Liebe, von Männern und Frauen, von dieser seltsamen Krankheit verwüstet und sterbend, doch für mich bedeutete Liebe eine Illusion, der Palast war für mich ein Ort ohne Liebe.

Als ich gebadet und angekleidet wurde, lächelte ich voller Vorfreude. Meine Sklavinnen neckten mich wegen des Abends: Ich würde einer Prinzessin begegnen, o ja. Der Astrologe hatte vorausgesagt, daß der Prinz glücklich sein würde. Er würde sich verlieben und für immer glücklich sein. Ich lachte über ihre Neckereien und glaubte ihnen nicht. Und doch fragte ich mich insgeheim: Warum war ich so aufgeregt? War es die Vorstellung, daß ich die Gesichter der Frauen sehen würde, auf die ich einen Blick geworfen hatte, von denen ich hatte reden hören, aber die kühn anzublicken ich nie gewagt hatte?

War es das vergnügliche Spiel, die Stimme dem Gesicht, die Hände dem Gesicht, die Augen dem Gesicht zuzuordnen? Worauf sonst konnte ich mich freuen – auf eine Nacht oder zwei des Vergnügens, vielleicht sogar eine Woche oder einen Monat? Ich fand diese Aussicht langweilig. Um meine Lust zu befriedigen, konnte ich mir jedes Mädchen in diesem Raum aussuchen. Doch die Luft vibrierte von Donnergrollen. Bedeutete das Gefahr?

Zwei Freunde begleiteten mich, der Nawab von Ajmer und der Edelmann Allami Sa’du-lla Khan. Sie waren genauso prachtvoll gekleidet wie ich und obwohl sie älter waren als ich, schienen sie genauso ängstlich und aufgeregt. Auch sie hatten noch nie einen königlichen Basar besucht. Sie begaben sich zum Balkon und blickten auf den Garten hinunter, der hell erleuchtet war. In jeder Ecke flackerten Kerzen, an den Bäumen und Ständen hingen Laternen, eingefangen und widergespiegelt im Wasser des Springbrunnens. Sie entdeckten die Schatten und lauschten dem Gelächter.

»Wir müssen uns beeilen, wir müssen hinuntergehen.«

»Wartet einen Augenblick«, befahl ich. »Trinkt etwas Wein, gönnt euch einen Augenblick der Ruhe und genießt die kommenden Freuden.«

Sie gehorchten, aber nur weil ich das sagte. Sie zogen sich nicht zurück, sondern blieben auf dem Balkon, starrten gierig hinunter, als ob diese Dummköpfe noch nie in ihrem Leben Frauen gesehen hätten. Ich suchte ihre Gesellschaft zum Zeitvertreib, um über Sport und die Jagd zu reden.

»Setzt euch!«

Sie nahmen Platz, widerwillig, auf dem Sprung, wie Geparden. Mir ging es wie ihnen, jedoch ein Prinz muß sich immer unter Kontrolle haben, sonst ist er machtlos. Sie entzogen mir aber ihre Aufmerksamkeit, als wir die dundhubi hörten, die ankündigte, daß sich mein Vater Dschahangir näherte. Vom Balkon aus sahen wir, wie er den Garten betrat, seine Höflinge im Schlepptau.

Einen Augenblick lang verstummten alle, huldigten ihm, und dann vernahm man erneut Musik und Stimmengewirr.

»Wartet noch einen Moment, bis mein Vater beschäftigt ist.«

Als ich fand, daß sich unten wieder alles beruhigt hatte, und der Herrscher meinen eigenen Auftritt nicht behindern würde, gingen wir hinunter.

Es war ein Basar im wahrsten Sinne des Wortes: Parfümierte Frauen standen hinter den Tischen ihrer Stände vor Seidenstickereien, Schmuckkästchen, die mit Gold und Silber eingefaßt waren, Spielzeug, Parfüms, Elfenbeinschnitzereien, kleinen Marmorstatuen. Die Luft war süß von ihren Stimmen und Gelächter und dem sanften Klang von Musik. Mein Erscheinen wurde sofort bemerkt, und die Frauen am Eingang lachten und klatschten mir zu. Ihre Augen blickten keck und einladend, jede rief mir zu, ich solle allein bei ihr kaufen, einige von ihnen zupften mich wie die Marktfrauen in einem echten Basar am Ärmel: Seht Euch meine Waren an, sie sind billig, besonders für Schahdschahan. Schaut auf diese Seide... hier ist eine bengalische Vase. Sie taten, als ob ihr Leben davon abhinge. Ich streifte durch die Gassen und studierte die Gesichter und Körper, schöne und weniger schöne, alte und junge, dünne und dicke. Sie waren alle ausgelassen, derb; wie aus ihren Käfigen befreite Vögel wirbelten und zwitscherten sie durch den Garten. Sie redeten unaufhörlich, eine Qual für mich, und wie zufällig wandte ich mich ab, um einer aufdringlichen Dame zu entkommen.

Wie kann ich die plötzliche Hilflosigkeit, das Aussetzen all meiner Sinne erklären? Sie kniete in einer Gasse auf der anderen Seite, ruhig und allein, abseits vom Trubel. Sicher, es war ihre Schönheit, ihr vollkommenes ovales Gesicht, ihre großen Augen, ihr rosenknospiger Mund und die Jasminblüte in ihrem glänzenden Haar, die meinen Blick fesselte, doch vor allem faszinierte mich ihre Gelassenheit. Sie beobachtete alles und amüsierte sich über die Dinge, die sie sah. Ein Lächeln breitete sich sanft auf ihrem Gesicht aus, kam von innen, ganz ungleich dem lauten Gelächter der anderen Frauen. Ich erblickte etwas, was die anderen nicht hatten: Ehrlichkeit. Ich fühlte, wenn ich spräche, würde sie mir zuhören und nicht dem Prinzen. Mein Herz schmerzte unter seinen Schlägen, und als sie sich umwandte und mich durch die Öffnung erblickte, blieb es stehen. Ich hatte wirklich Angst – und nicht einmal alle Macht dieser Welt, die mir zu Diensten stand, konnte mich vor dieser Angst bewahren –, daß sie sich von mir abwenden würde. Ich fühlte sofort, daß ihr mögliches Desinteresse kein Flirttrick wäre, sondern echte Gleichgültigkeit. Plötzlich verschwand diese Angst. Sie verhielt sich ruhig, betrachtete mich, neugierig, amüsiert und – was geschah da? – mir war, als berührten wir uns.

Ich kann mich nicht erinnern, wie ich zu ihr gelangte. Ich war da und sah, daß sie an ihrem Stand Silberschmuck verkaufte – ein bescheidenes Angebot – und daß ein chokra bei ihr war. Ich konnte mich nicht beherrschen; ich barst fast vor Worten und Gefühlen.

»Ich fühlte mich, als hätten wir uns berührt.« Ich sprach laut, schnell, unfähig, meine Zunge, die mehr gewöhnt war zu befehlen, als Gefühle zu enthüllen, unter Kontrolle zu halten. Ich versuchte es erneut. »Doch das war bei dieser Entfernung nicht möglich. Trotzdem fühlte ich die sanfte Berührung Eures Arms auf meinem. Sich auf Anhieb zu verlieben, ist eine Herausforderung an das Leben selber, ein spontanes Vertrauen, als ob man ohne den Schutz der Rüstung ein Schlachtfeld beträte, in dem festen Glauben, daß man nicht getötet werden kann. Doch selbst wenn man getötet würde, wäre das bloße Dasein ohne Euch nichts wert. Ihr müßt mir verraten, wer Ihr seid. Ich muß Eure Stimme hören und wissen, daß Ihr wirklich seid und nicht ein Traum, der verschwinden wird wie Wasser in der Hitze.«

»Hoheit, ich bin Ardschumand Banu.«

Ihre Stimme klang unwillig, sanft, erhob sich leicht in der Luft. Sie fühlte sich unter meinem intensiven Blick unbehaglich, senkte bescheiden den Blick und verneigte sich ehrerbietig. Das genügte, um mir Herzschmerzen zu bereiten, und ich griff schnell nach ihr, um ihr Einhalt zu gebieten, und berührte dabei ihre bloße Schulter. Ich erbebte.

»Eure Haut verbrennt mich, und mein Herz dröhnt wie die Kriegstrommel.«

»Eure Hoheit bestätigen nur das, was ich fühle.« Sie neigte den Kopf und streifte mit ihrer Wange meinen Handrücken. »Wahrscheinlich liegt es an der Hitze.«

»Nein, unmöglich. Sie berührt uns nur von außen, verursacht uns etwas Unbehagen. Doch dies dringt tief ins Fleisch, wühlt mein Herz und meinen Geist auf. Ich weiß nicht einmal, wovon ich spreche.«

»Eure Hoheit, die Worte klingen süß«, erwiderte sie sanft, und meine Hand fiel herab. Ich fühlte immer noch die verführerische Weichheit ihrer Wange wie ein Brandmal auf meiner Haut. »Eure Zunge ist zu gewandt, um beim Anblick eines Mädchens ins Stocken zu geraten.«

»Hier.« Ich streckte ihr meinen Dolch hin. »Wenn sie lügt, schneidet sie ab. Ich kann nichts für ihre süßen Worte, die nur wiedergeben, was mein Herz fühlt. Der einzige Laut, den ich in meinem Kopf vernehme, ist das Brausen meines Blutes, und ich höre nur noch: Ardschumand... Ardschumand. Habt Ihr nicht das gleiche empfunden, als wir uns das erste Mal in die Augen blickten?«

»Ja, Eure Hoheit. Doch es war, als ob ich wieder schliefe und träumte.«

»Was für einen Traum?«

»Ich kann ihn nicht ganz wiedergeben. Doch als ich heute morgen erwachte, durchströmte mich das gleiche Gefühl wie in dem Augenblick, als ich Euch das erste Mal sah.« Sie musterte mein Gesicht sorgfältig, durchdrang mit ihrem Blick Haut und Knochen, versuchte, durch meine Augen mein Innerstes zu erforschen. »Ihr seid wirklich. Das ist kein Traum mehr.«

Ich kniete vor ihr nieder, da auch sie vor ihrem Stand kniete, und streckte eifrig meine Hand aus, um sie zu berühren.

»Fühlt wieder das Fieber in meinem Körper. Ihr seid wach, wie ich.«

Scheu berührte sie meine Hand, und erneut fühlten wir, wie der andere erbebte. Es war, als ob der Blitz, der in der Monsunzeit den Himmel aufflammen ließ, zwischen uns eingeschlagen hätte. Ich wünschte mir, unsere Berührung würde nie enden, doch sie zog sich zurück. Sie war jetzt davon überzeugt, daß wir beisammen waren und nicht getrennt in verschiedenen Träumen.

»Ich werde für immer hier sitzenbleiben und Euch betrachten.«

Sie lachte, und dieser sanfte Laut gab mir das Gefühl, durch die Noten einer fremden und lieblichen Musik zu taumeln.

»Wenn wir uns weiterhin so anstarren, werden wir darüber alt.«

»Könnten wir uns etwas Besseres wünschen? Ich wünschte mir, es wäre Tag und Ihr im vollen Sonnenlicht. Diese Schatten täuschen mich. Sie krümmen Eure Nase, die doch vollkommen ist, sie verdunkeln Eure Augen, und ich weiß, sie sind hell und schön. Doch es gelingt ihnen nicht, die Form Eures Mundes oder die Wölbung Eurer Wangen zu verfälschen.«

»Seht Ihr nur so wenig von mir? In diesem Palast gibt es unzählige Frauen, deren Schönheit bei weitem meine übertrifft.«

»Nein. Keine kann es mit Euch aufnehmen. Was sie bieten, ist nur oberflächlich. Ich sehe hinter Eure Augen und Euer Gesicht. Ich habe das Gefühl, daß ich Euch schon ein Leben lang kenne, und doch weiß ich nichts von Euch. Ich kann dem Himmel nur danken, daß ich Euch heute abend begegnen durfte.«

»Ja«, erwiderte sie, und in ihrer Stimme klang Verwunderung.

»Ich hätte Tag um Tag, Jahr um Jahr auf Euch blicken können, und Ihr hättet keine Ahnung von meiner Existenz gehabt.«

»Doch bestimmt, das hätte ich«, warf ich eifrig ein, bemüht, sie zu überzeugen. »Nicht nur, daß wir uns gesehen haben, hat uns angezogen. Fühlt Ihr nicht auch, daß dies jenseits von Sehen, Berühren und Hören liegt? Aus der Ferne fühlte ich Eure Berührung in meinem Herzen, so wie Ihr meine fühltet. Sogar durch Euren Schleier hindurch hätte ich Eure Liebe erkannt. Es ist doch so, oder?«

»Hoheit, es kann nichts anderes sein.«

Ich wünschte mir, sie hätte diese Worte nicht gesagt. Ich fühlte ein Zittern, ein Vibrieren, das meine ganzen Gefühle durcheinanderbrachte.

»Wenn ich ein Prinz wäre...«, begann ich.

»Wenn Ihr weniger wärt, könnte ich doch nicht weniger empfinden.«

Ich blickte ihr in die Augen. Sie waren weit geöffnet, unerschrocken und ließen mich hinter die Worte, die sie sprach, blicken. Ich fühlte, wie das Zittern nachließ, und konnte meine Freude nicht verbergen. Ich lachte laut auf und hörte, wie sie flüsterte: »Doch wie soll ich Euch anreden?«

»Mein Liebster, meine Freude. Du bist mein Erwählter, mein Geliebter.«

»Mein Geliebter«, wiederholte sie flüsternd, erfüllte mein ganzes Sein mit Freude und erweckte meine Sehnsucht, sie im Arm zu halten.

Wir knieten immer noch und sahen uns in die Augen, um keinen Blick, kein Lächeln, keine Geste des anderen zu versäumen. Wir konnten den Blick nicht voneinander lösen. Ich weiß nicht, wie lange wir so verharrten. Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn es ein Leben lang gewesen wäre. Ich spürte eine Berührung an der Schulter, und die weiche Stille unserer Welt zerbrach. Ärgerlich schaute ich auf. Allami Sa’du-lla Khan verneigte sich entschuldigend. Als er meinem unwilligen Blick begegnete, machte er eine hilflose Geste. Die Menge, die sich angesammelt hatte, war verstummt und starrte uns an.

»Laß sie. Ich bin Schahdschahan. Geh jetzt!«

»Eure Hoheit, Ihr solltet Euch auch an den anderen Ständen zeigen. Die Frauen fragen, wo ist Schahdschahan, damit wir ihn segnen können. Ihr könnt ihre Wünsche nicht unberücksichtigt lassen.«

»Ich komme gleich. Nun geh!« Er zog sich zurück, und ich wandte mich wieder meiner Liebsten zu. »Ich werde mit meinem Vater über uns reden.«

Sie verneigte sich zustimmend. »Wenn es sein Wille ist...«

»Es ist meiner«, erwiderte ich fest und erhob mich. Sie verharrte kniend, hob jedoch ihr Gesicht zu mir hoch. Wie gerne hätte ich mich zu ihr hinuntergebeugt und ihren Mund geküßt, doch ich beherrschte mich. Sie wußte, was ich wollte, und lächelte schelmisch.

»Es wird andere Zeiten geben, wenn wir nicht so vielen beobachtenden Augen ausgesetzt sind.« Sie nahm ein silbernes Schmuckstück in die Hand und sagte zu mir: »Möchte mein Liebster nicht ein Erinnerungsstück kaufen? Nachdem du so lange hier verweilt hast, kannst du nicht mit leeren Händen von hier weggehen, und ich sollte zumindest eine Rupie oder zwei verdient haben.«

»Und was möchtest du mit einer Rupie machen?«

»Sie den Armen schenken. Sie brauchen sie nötiger als wir.«

»Die Armen.« Ich konnte mein Erstaunen nicht verbergen.

»Hat mein Liebster sie nicht gesehen? Sie leben außerhalb dieses Palastes.«

»Wenn ich bei dir bin, merke ich sonst kaum etwas. Die Welt hört auf zu existieren, und es gibt nur noch uns beide. Wenn es für die Armen ist, kaufe ich alles. Wieviel möchtest du?«

Sie runzelte die Stirn und studierte ihr Schmuckangebot. Dann blickte sie mich mit einem fröhlichen Lächeln an.

»Zehntausend Rupien.«

»Einverstanden.«

Sie fing an zu lachen und blinzelte mich durch die Fülle ihres Haares, das ihr Gesicht halb bedeckte, an. Soviel Glück schien mir unerträglich. Ich wünschte mir, ich könnte sie wie ein Dieb stehlen und mit ihr davonreiten. Statt dessen wandte ich mich an meinen Sklaven und legte den Beutel mit Geld, den er trug, auf ihren kleinen Stand.

»Wir werden uns bald wiedersehen.«

»Wenn du es möchtest.«

Ardschumand

Und dann war er fort. Ich wünschte mir, er hätte bleiben können, für immer, er hätte nicht einmal zu reden brauchen. Allein das Bewußtsein, ihn bei mir zu haben, ihn zu spüren, wäre tröstlich gewesen, Balsam für den Schmerz genug. Ich blickte ihm nach, wie er sich durch die Menge bewegte – und dann war er meinem Blick entschwunden. Er war verschwunden, als ob er nur in meinem Traum existiert hätte, und ich immer noch darauf wartete, daß dieser Traum wahr würde.

Isa räumte meinen kleinen Haufen Schmuck zusammen und sah sich nach einem Stück Tuch um, um ihn einzuwickeln.

»Hier, nehmen wir das.« Ich nahm einen hellgelben Seidenschal mit der Goldstickerei vom Hals und hüllte die Schmucksachen sorgfältig ein, machte vorsichtig einen Knoten und reichte das Bündel dem Sklaven.

»Zählt das Geld!« forderte mich Isa auf. »Agachi, was für ein gutes Geschäft für Euch! Zehntausend Rupien! Nur ein Prinz konnte so großzügig sein.«

Ich empfand ein plötzliches Unbehagen und reckte den Hals, um Schahdschahan ausfindig zu machen. Was, wenn noch einem Mädchen an einem anderen Stand dieselbe Gunst widerfuhr? Ich wußte, das konnte nicht sein, doch ich konnte meine Neugier nicht beherrschen.

»Isa, geh und sieh, ob der Prinz noch im Garten ist. Beeil dich!«

Sein Blick sagte mir, daß er wußte, was ich dachte. Meine Begeisterung und Qual konnten nicht verborgen werden. Mir fehlte der Schutz des Schleiers. Er tauchte in der Menge unter, und ich hielt den Beutel mit den Münzen als Symbol des Trostes. Allmählich gewahrte ich die anderen Frauen um mich, den Stand gegenüber, die Stände links und rechts von mir und hinter mir. Ich war umzingelt von ihren Blicken. Die Eifersucht darin war unübersehbar. Der bittere Neid stieg in ihre Augen, und obwohl sie lächelten, wenn sie mich anblickten, spürte ich die Kälte ihrer Herzen. Sie sahen nur den Prinzen Schahdschahan und ihr eigenes Spiegelbild in seinem goldenen Spiegel. Sie konnten nicht hinter die Dinge sehen, da die Habgier sie verzehrte. Er war der Beutel Gold in meiner Hand, die unendlichen Grenzen eines Reiches, er war Schahdschahan, der Herrscher der Welt. Ich fühlte mich durch ihre Blicke beschmutzt. Sie wollten glauben, daß ich wenig zurückhaltend und berechnend sei, wie sie den zuckersüßen Charme, den sie besaßen, eingesetzt und ihn mit einem Zaubertrank umgarnt hätten, um sein Herz zu gewinnen.

»Agachi, er ist gegangen, allein.«

»Warum ist er gegangen?«

»Agachi, niemand würde die Beweggründe Schahdschahans einem einfachen Sklaven anvertrauen. Ich weiß nur, daß er gegangen ist.« Er zögerte. »Alle wissen, daß er Euren Schmuck für zehntausend Rupien erworben hat. Einige glauben, es seien hunderttausend gewesen. Ich habe so einem Dummkopf weisgemacht, es sei eine Million gewesen.« Er lachte in sich hinein.

»Möchtet Ihr hierbleiben?«

»Wozu? Laß uns nach Hause gehen.«

Ich konnte nicht schlafen. Die Luft war immer noch drückend, erfüllt von Weihrauch und dem Summen der Stechmücken. Ich fühlte mich wie behext.

Die Liebe ist eine Qual, eine nicht erfüllte Sehnsucht. Die Welt schrumpft und vergeht, die Menschen verschwinden, und nur er bleibt übrig. Man fühlt sich, als ob man in zwei Sphären lebt: Der Körper bleibt begraben in der einen, geschüttelt, geschlagen und verletzt; Herz und Seele treiben fort in eine andere. Liebende führen ein Eigenleben, über das sie keine Kontrolle haben. Dieses Leben ist leicht, doch erfüllt von Angst; es schwebt nach oben, versinkt dann in Dunkelheit; es singt und löst sich dann in bittere Abschiedstränen auf. Hoffnung und noch mal Hoffnung tönt die Stimme des Herzschlags.

Als das Licht einen wassergrauen Schimmer bekam, hörte ich, wie Ladilli hereinkam. Sie schlüpfte in ihr Bett und lag still da. Ich tat so, als ob ich schliefe, spürte aber die Anwesenheit von jemandem an meinem Bett, hörte das leise Klirren eines Fußrings, Seide rascheln. Ich blinzelte kurz und sah, wie sich Mehrunissa über mich beugte und mich intensiv musterte. Es war nicht hell genug, um ihren Gesichtsausdruck deuten zu können, doch ich fühlte mich in ihrer Gegenwart und unter ihren prüfenden Augen unbehaglich. Sie warf Ladilli einen Blick zu, und dann verließ sie den Raum.

Kapitel 2Das Tadsch Mahal

1042 (a. D. 1632)

Als Murthi zum erstenmal einen Blick auf Agra warf, herrschte eine mondlose Nacht. Er verließ seine Frau, die gerade das Nachtmahl zubereitete, ihren drei Jahre alten Sohn und die anderen Reisenden und ging allein durch die undurchdringliche Nacht auf den hellen Schein aus der fernen Stadt zu. Dies war sehr mutig, und er freute sich, daß er soviel Tapferkeit in sich entdeckte. Die Nacht schüchterte ihn ein. Über ihm war das helle, weite Himmelsgewölbe, das jedesmal in ihm ein Gefühl der Ehrfurcht, tiefer Demut erweckte. Er fühlte sich weniger wert als eine Ameise, die durchs Leben taumelte, ohne Bewußtsein für das Tosen des Universums. Doch größere Gefahren lauerten in seiner nächsten Nähe: Banditen, die dem Reisenden wegen ein paar Münzen die Kehle durchschnitten, wilde Tiere, die schon alt oder verwundet waren und sich über eine leichte Beute freuten. Er wandte sich um und sah die Kochfeuer, klein und geschrumpft. Er überlegte, ob er umkehren solle, um bis morgen zu warten, doch er stolperte weiter, wie unter Zwang. Er kletterte eine kleine Steigung hinauf, rutschte im losen Schlamm und Schotter aus, klammerte sich haltsuchend an einem Lantanabusch fest und mühte sich so bis zur Spitze des Hügels weiter. Das Land erstreckte sich zum Jumna hinunter und dahinter breitete sich längs des Horizontes Agra aus.

Murthi seufzte ungläubig. Er ging in die Hocke und stützte die Ellbogen auf die Knie. So verharrte er wie gebannt.

Ich werde mich hier verlaufen, dachte er, wenn ich nur nicht hergekommen wäre.

Er sehnte sich nach Hause, und die fernen Lichter verschwammen, als sich seine Augen mit Tränen füllten. Er erlaubte ihnen, über seine eingefallenen Wangen in seine schmutzige jiba zu laufen. Geschickt schneuzte er sich nach einer Seite und putzte Augen und Nase mit dem Fransentuch, das über seiner Schulter hing. Sein Heim war genau wie der Nachthimmel weit entfernt und jetzt nur noch eine Erinnerung. Er wußte, daß es viele Jahre dauern würde, bis er es wieder sehen würde. Er konnte sich nicht vorstellen, daß er nie mehr nach Hause zurückkehren würde – dieser Gedanke erschreckte ihn. Er wußte, er würde in sein Dorf, zu seiner Familie, seinen Freunden zurückkehren. Er lächelte, wenn er sich vorstellte, was für Geschichten er ihnen über seine Reise zur Stadt des Großen Mughal erzählen würde.

Er hatte sein Dorf nicht aus eigenem Antrieb verlassen, sondern war in dieses harte Exil im Norden geschickt worden. Er war ein Acharya, der Götterfiguren meißelte, wie es in seiner Familie seit Generationen Brauch war. Dies gab ihm ein Gefühl der Unsterblichkeit, denn dies bedeutete nicht nur körperliche Kontinuität, sondern auch geistige.

Handwerker wie er hatten die großen Grabstätten in Madurai, in Kancheepuram, in Thirukullakundrum errichtet, und er wurde in seinem Dorf wegen seiner Kunst geehrt. Wie sein Vater und seine Vorfahren konnte er Stein in Seide verwandeln, Götter in Granit und Marmor erschauen und sie zum Erstaunen der Menschen herausarbeiten.

Doch eines Tages war sein Lebensfaden gerissen. Er dachte finster an den Verrat der Götter, die er so liebevoll geformt hatte.

Sein Vater war von ihrem Arbeitgeber, dem Radscha von Guntikul, herbeigerufen und auf herablassend freundliche Weise beauftragt worden, nach Agra zu reisen. Der Radscha hatte gehört, daß der Große Mughal, ein entfernter Vetter von ihm, ein Moslem, Handwerker aus allen Teilen des Landes herbeikommen ließ, um ein großes Monument für seine tote Kaiserin, Mumtaz-i-Mahal, zu errichten.

Es war ein moslemischer Brauch, Grabstätten für ihre Toten zu errichten, statt sie einfach in den ghats zu verbrennen. Doch würde dieses Monument keine Verehrungsstätte sein. Aus Großzügigkeit sandte der Radscha seine besten Handwerker, damit sie bei der Errichtung des Grabmals mitwirkten.

Murthis Vater hatte dem Radscha für diese Ehre gedankt, doch zu verstehen gegeben, daß er zu alt wäre, um eine so beschwerliche Reise zu unternehmen. Vielleicht könne er dafür einen seiner Söhne empfehlen. Der Radscha war damit einverstanden und hatte Reisegeld und einen Krishna aus Elfenbein als Geschenk für den Großen Mughal Schahdschahan übergeben lassen.

Murthi kniff die Augen zusammen, um die ehrfurchtgebietende Silhouette des Forts erkennen zu können. Es wirkte dunkel und düster; die Lichter auf den Türmen hoch über der Stadt flackerten – ein Hügel am Flußufer. Er war auf seinen Reisen an vielen Festungen vorbeigekommen, aber keine war so gewaltig wie diese.

Am nächsten Tag hob sich die Festung im hellen Sonnenlicht wuchtig gegen den Horizont ab. Ihre hohen roten Wälle, die Farbe des Flußwassers, erschreckten Murthi. Seine schwangere Frau Sita schmiegte sich schutzsuchend an ihn, und sein Sohn Gopi klammerte sich an seine Beine. Seine Reisegefährten, Händler, Handwerker wie er, die alle dazu aufgefordert worden waren, an diesem Monument zu arbeiten, blickten mit der gleichen Ehrfurcht und voller Verwunderung.

»Sogar bei Nacht«, sagte er, »sieht sie furchterregend aus. Hier lebt der Große Mughal.«

»Ist er ein Gott?« fragte Gopi.