Die Sternenbücher Band 15  Selbst Ich - Walter Gerten - E-Book

Die Sternenbücher Band 15 Selbst Ich E-Book

Walter Gerten

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Beschreibung

Ein gruppendynamisches Experiment; zwei Forschergruppen mit differierenden Zielen. Der Protagonist wird durch die Entwicklungen der Ereignisse zu einem einsamen Aufenthalt im Erdorbit gedrängt und gerät in eine unvorhergesehene, lebensgefährliche Situation.

Die Handlung und die Namen der Personen sind frei erfunden.
Dieses Buch erhebt keinerlei Anspruch auf Richtigkeit im physikalischen, biologischen, mathematischen, politischen, historischen, wissenschaftlichen, religiösen, philosophischen oder medizinischen Bereich.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Walter Gerten

Die Sternenbücher Band 15 Selbst Ich

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Einführung

I M P R E S S U M

 

Selbst Ich

Die Sternenbücher, Band 15

 

von Walter Gerten © 2017 Walter Gerten. Alle Rechte vorbehalten. Autor: Walter Gerten [email protected]

Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden. Text, Zeichnungen, Bilder und Fotos von Walter Gerten. © 2017 Walter Gerten

Der Autor:

Walter Gerten lebt seit vielen Jahren in der ländlichen Südeifel. Als Autor betätigt er sich seit dem Jahr 1999. In der Anfangsphase, ab 2000 bis 2003 nahm er an einer intensiven Schreibwerkstatt teil, es folgten Lesevorträge. Daneben betreibt er seit dem Studium Malerei und Grafik, die ebenfalls teilweise als Illustration Einzug in seine Schriftwerke findet.

 

 

Weitere Romane:

Manfred Wilt und der Tote am Fluss

Manfred Wilt und die Rocker

Der Bote des Zarathustra

Monte Nudo

Unterwegs mit Tom Kerouac

Ich bin ein Schiff

Die Sternenbücher 1   Professor Montagnola

Die Sternenbücher 2   Akba

Die Sternenbücher 3   Die dunkle Seite des Mondes

Die Sternenbücher 4   Der Sinn des Lebens

Die Sternenbücher 5   Planet der Phantome

Die Sternenbücher 6   Das Nichts

Die Sternenbücher 7   Tod eines Springers

Die Sternenbücher 8   Paradise2

Die Sternenbücher 9   Solitan

Die Sternenbücher 10 Das Symbol für Solitan

Die Sternenbücher 11 Das Ubewu

Die Sternenbücher 12 Ich und Es

Die Sternenbücher 13 Der dreizehnte Stern

Die Sternenbücher 14 Die Raumzeit

 

 

Das Buch

Ein gruppendynamisches Experiment; zwei Forschergruppen mit differierenden Zielen. Der Protagonist wird durch die Entwicklungen der Ereignisse zu einem einsamen Aufenthalt im Erd-Orbit gedrängt und gerät in eine unvorhergesehene, lebensgefährliche Situation.

Die Handlung und die Namen der Personen sind frei erfunden. Dieses Buch erhebt keinerlei Anspruch auf Richtigkeit im physikalischen, biologischen, mathematischen, politischen, historischen, wissenschaftlichen, religiösen, philosophischen oder medizinischen Bereich.

 

Inhalt

 

 

Einführung

Inhalt

1 Desintegration

2 Abfuhr

3 Karl

4 Kontrovers

5 Human

6 Kugelkern

7 Weltraummüll

8 Rollenspiele

9 Verständnis

10 Allianzen

11 Selbstbehauptung

12 Fibonacci

13 Parasiten

14 Entscheidung

15 Gleitflug

16 Goldener Schnitt

17 Ich

18 Traumhaube

19 Experiment

20 Akba

21 Epilog

 

1 Desintegration

 1 Desintegration

 

Rückblickend war es die letzte Mission, die infolge meiner Eignung für Einsamkeit auf mich als Raumpilot zukam. Ich wusste, ich war mittlerweile der letzte Pilot, den man alleine losschickte, um spezielle Forschungsprojekte, ich wählte bewusst nicht das Wort Forschungsziele, auf sich allein gestellt zu erledigen. Ich hatte einige solcher Missionen hinter mir; nicht immer waren sie erfolgreich verlaufen und nicht immer war ich völlig alleine gewesen. Oft hatte sich die wahre Fragestellung erst spät herausgestellt, weil man mich im Vorhinein aus gewissen Gründen, die oft nicht ganz redlich waren, nicht erschöpfend informiert hatte, was das Ziel denn sei.

 

Wenige wussten um die speziellen Verhaltensweisen, die Selbstmanipulationen, die ich anwendete, um solche Zeiten völliger Einsamkeit und Mitteilungsleere überhaupt zu überstehen und noch weniger würden es überhaupt wissen wollen. Denn niemand würde selbst solche Strategien benötigen, weil er niemals in solche Situationen zu geraten erwartete. Dabei war ich mir mittlerweile sicher, dass viele von diesen nicht wussten, dass sie längst in einer vergleichbaren Konstellation waren, ohne es zu wissen. Das Fehlen von Mitteilungsleere war kein Garant für funktionierende Mitteilungswege oder besser gesagt, für die befriedigende Erfüllung der Mitteilungswünsche.

 

Mitteilung, Kommunikation, Verständnis waren an diverse Faktoren geknüpft, die selten in ausreichendem Maße zur Verfügung standen:

Bereitschaft zum Verständnis, Aufmerksamkeit in genügend ausgeprägter Konzentration, Wissen um die Kommunikationsschwierigkeiten, also Aufnahmefähigkeit. Dann gehörte das persönliche Geschick zu einem glückenden Gespräch dazu, von beiden oder allen Seiten. Das war längst nicht selbstverständlich. Es gab bezüglich einer geschickten Gesprächsführung erheblich mehr Tölpel als Zauberer. Kurz, - die Chance, mit seinen geplanten Mitteilungen nicht landen zu können, war um einen sagenhaften Betrag höher als das Gegenteil, so dass sich unter dem Strich mehr unbewusste Einsamkeit ergab als geglückte Gemeinsamkeit.

 

Der geübte Einsiedler jedoch, und ich zählte mich bis dato zu diesen, hatte durch seine Übungen eine unschätzbare Qualität hinzugewonnen, die allerdings der sparsamen und sorgfältigen Benutzung bedurfte, um nicht zum Handicap zu werden: die Fähigkeit, auf die Befriedigung des Mitteilungsbedürfnisses verzichten zu können und dessen gewahr zu werden, was nur durch die Distanz zu diesem Bestreben möglich wurde. Es ergab sich beim Gewahrwerden dieser grundsätzlichen und verbreiteten Einsamkeit eine Tendenz zum Verzicht; es zeigte sich ein neuerlernter Blick auf die Strukturen der Situationen, der Personen, der Chancen und der Folgen. Dieses Gewahrwerden wurde zum Teil des Selbst, auch wenn es nicht immer und ständig aktiv war, so bot es doch potentiell die Position eines distanzierten Beobachters an, der sich abspaltete und sich selbst und alles um sich herum ansah, wahrnahm, nicht unbedingt verstand, aber doch registrierte, für späteres oder direktes Verständnis erlebte.

 

So spaltete sich ein agierender Teil von einem konstatierenden Teil und beriet sich mit diesem in schizophrener Weise, ergänzt durch die üblichen, jeden Akteur begleitenden  Teilaspekte seines Selbst. Es waren dies die Emotionen, die Wünsche, die Glaubensinhalte, die egoistischen Selbstbewertungen, die sich bestätigt sehen wollten, die Ängste, die Hoffnungen, die Bemühungen um das Wohl und Wehe aller Beteiligten einschließlich des Selbst, das so zentral in all diesem Gewoge auf eine gewisse Güte der verbrachten Zeit setzte. Es hatte immer lautere Absichten, denn es wollte sich selbst nur Gutes.

 

 

Es hatte in der Mannschaft während vieler Wochen und Monate Gerüchte gegeben bezüglich einer bevorstehenden Mission. Von Seiten des Raumfahrdezernates war so gut wie nichts zu hören. Wir alle fühlten uns sträflich uninformiert und das erzeugte eine unbefriedigende Schwebe. Das war absolut unüblich. Im Normalfall war die gesamte Belegschaft frühzeitig in die Vorbereitungen einbezogen; aber diesmal war es markant anders.

Wieso es überhaupt zu dem Gerede kam, konnte niemand mehr nachvollziehen. Eventuell hatte einer der Sekretäre des Chefs ein Wort verloren oder Rachel, seine rechte Hand, hatte einem ihrer Liebhaber eine Info gesteckt.

 

Rachel war ein Phänomen. Alle waren verrückt nach ihr. Sie wirkte auf den ersten Blick eher unscheinbar. Ich vermutete, dass ihre enorme Wirkung auf Männer von ihren Wangen erzeugt wurde, präziser formuliert von der Röte ihrer Wangen. Zwar betonte Rachel weder ihre Wimpern durch irgendwelche Maßnahmen, noch benutzte sie einen Lippenstift oder Rouge. Lediglich ihre rotbraunen Haare signalisierten eine gewisse Botschaft, indem Rachel sie mit dem Zeigefinger drehte und spiralig federn ließ, speziell über den Wangen, dort, wo sie ihr immer wieder ein wenig vor das Gesicht fielen. Diese ungebändigten Locken, die rechts und links neben ihren eindrucksvollen grünen Augen einen Hauch von Wildheit offen legten, versuchte sie durch Drehbewegungen mit den Fingern ihrem Willen zu unterwerfen, die ungestüme Macht der Natur hinter die Schicklichkeit zurück zu drängen.

Sobald sie im Gespräch, das immer auf rein beruflicher Ebene begann, selbst bemerkte, dass sie sich unbewusst mit diesen ungehorsamen Schlangen auf ihrem Haupte beschäftigte, erschrak sie ein ganz klein wenig und errötete. Die volle Wucht der Weiblichkeit, die in solchen, nicht eben seltenen Momenten auf dem Schauplatz ihres zierlichen Gesichtes ihre Schönheit entfaltete, traf den männlichen Gesprächspartner mit unwiderstehlicher Macht.

 

Zauberkräfte ließen imaginäre Handflächen, sensible Fingerkuppen über diese Wangen spielen, hinab zu den ebenso zarten Hautpartien an Po und Hüfte gleiten und die verborgenen Zonen unter der Kleidung erforschen. Heftiger Schluckreflex setzte ein und das Gespräch stockte regelmäßig, wenn Rachel sich errötend ihrer Fingertätigkeit gewahr wurde. Die Wildheit, die ansonsten niemand vermutet hätte, wurde sogar noch betont durch ihren Versuch, sie zu verstecken. Und die Schönheit dieser niemals bewusst eingesetzten Effekte steigerte sich durch ihre unbeabsichtigte Entlarvung, die in der Folge auch Rachel selbst nicht verborgen blieb. Es trug im Laufe der Jahre zum Erhalt dieses Zaubers bei, dass sie die Bewusstwerdung ihres „Fingerschraubticks“ nicht erlernte und weiterhin diesbezüglich von sich selbst überrascht wurde.

Sobald sie aber in solchen Situationen ihre erotischen Wirkung bemerkte, denn sie war durchaus aufmerksam und übersah keineswegs die Folgen ihres Zaubers, begann sie selbst, die Reaktionen des Mannes zu verfolgen. Und aus diesen ihren Beobachtungen ergaben sich die Chancen.

 

Selten genug erfuhr man von den weiteren Ereignissen. Rachel war kein „leichtes Mädchen“ und erweckte auf den erwähnten ersten Blick hin keineswegs den Eindruck, auf Partnersuche zu sein; auch nicht auf den zweiten, dritten und vierten Blick. Ganz im Gegenteil. Jeder vermutete zunächst, sie sei in festen Händen; Familie, Kinder, Schule, Beruf, etc.

Und es waren auch nicht viele oder gar unzählige Männer, denen sie die verborgenen Zonen zeigte; vermutlich sogar nur zwei, und das im Abstand von mehreren Jahren. Dennoch, wer diesen Zauber ihrer errötenden Wangen einmal erlebt hatte, wie auch ich, der rechnete fest damit, dass sie trotz ihrer Unscheinbarkeit Chancen in unbegrenztem Ausmaße hatte, weil in diesen glücklichen Momenten eine Ahnung von natürlicher Freigiebigkeit und Anmut erwuchs, die quasi unmittelbar auf die Libido einwirkte.

 

Es war bekannt, dass der Chef seit geraumer Zeit mit Professor Montagnola und einer dritten Person konferierte. Man munkelte, dieser Unbekannte sei dem Chef noch vermittelt worden, müsse also aus der Wirtschaft kommen; vermutlich sei es Georg Kaufmann.

Ich hatte den Chef direkt gefragt, als ich ihn wegen eines ungenau verfassten Schreibens aufsuchte. Rachel stand neben ihm und zwirbelte ihre Schläfenlocken, als ich die spontane Idee umsetzte und sagte:

„Sagen Sie, Chef, worum geht es denn in den Dreiertreffen, von denen ich gehört habe?“

„Ah, mein Lieber, gut dass Sie fragen. Um da keine Missverständnisse aufkommen zu lassen; es handelt sich derzeit noch um Sondierungen, von denen man nicht weiß, ob sie wirklich einmal zu einem Projekt für das Dezernat werden.“

 

Durch meine freundschaftlichen Beziehungen zu Professor Montagnola ergab sich für mich eine weitere Möglichkeit, eventuell Informationen über die Vorgänge zu erhalten. Allerdings sah ich mich keineswegs gedrängt, mich deswegen zu ihm in die Bruchgasse 8 in Berlin zu begeben. So wichtig war mir das Thema nicht. Vorrangig war mir damals noch das laufende Konzept einer gruppenbasierten Versuchsreihe zur Desintegration. Man hätte so etwas in früheren Zeiten „Thinktank“ genannt. Die Gruppen, in denen ich kybernetisch integriert war, unterschieden sich diametral voneinander. Die erste befasste sich mit der Herstellung von Gemeinsamkeit; die zweite setzte die Behauptung des „Selbst“ gegen die Gemeinschaft als Ziel.

Dazwischen gab es noch die üblichen Pilotentrainings; Sport, technische Schulung, wissenschaftliches Arbeiten, Psychowork, Erfahrungsaustausch, Konferenzen.

 

Als das Gemunkel zunahm, beschloss ich, den Professor aufzusuchen.

 

 

2 Abfuhr

 2 Abfuhr

 

Ich hatte von Anfang an das Gefühl einer merkwürdigen Befangenheit auf beiden Seiten. Zum ersten Mal, seit ich Montagnola kannte, fühlte ich mich nicht recht willkommen. Er war mit kompliziert aussehenden Berechnungen beschäftigt und signalisierte weder Freude, noch die Bereitschaft, seine Arbeit zu unterbrechen und sich mir, seinem Gast zu widmen. Also überwand ich meine Verwunderung und ging zum Angriff über.

„Ich sprach neulich mit dem Chef. Ähmm, es gibt gewisse Gerüchte. Man spricht von einer geplanten Mission, ohne genau zu wissen, wohin. Zudem beobachten einige Leute im Dezernat, dass es regelmäßige Treffen zwischen Ihnen, dem Chef und einer dritten Person gibt. Sie müssen mir natürlich keine Auskunft über diese Dinge geben, Professor. Ich dachte nur, in Anbetracht unserer langjährigen, ähmm, Freundschaft, dass ich zur Eindämmung der unterschwelligen Beunruhigung, weil, ähmm, na Sie wissen ja, wie die Spekulationen ins Kraut schießen können, wenn niemand etwas weiß.“

Der Schweiß trat mir auf die Stirn. Wie hatte ich nur auf diese blöde Idee kommen können? Natürlich ging das weit über meine Kompetenzen hinaus und mit Freundschaft ließ sich das auch nicht erklären; immerhin hatte ich übersehen, in welche Zwickmühle ich den Professor brachte.

Doch endlich schob er seine Arbeitsgerätschaften ein wenig zur Seite und drehte sich mir ganz zu. Seine verschmitzten Augen lächelten und die Fältchen um die Mundwinkel zitterten vor innerem Vergnügen. Er stand auf und legte mir die Hände auf die Arme.

„Mein lieber Freund. Entschuldigen Sie, dass ich im ersten Moment nicht so ganz erfreut über Ihren Besuch war, da ich doch Ihre Frage erwartete, als Sie herein kamen. Verstehen Sie mich nicht falsch; ich würde Sie durchaus gerne vollumfänglich in meine gesamten Überlegungen einbeziehen, wenn ich dürfte. Aber diesmal sind mir die Hände gebunden. Es würde das Projekt gefährden, wenn es zustande käme. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen und bitte Sie, Stillschweigen über diese Sätze zu bewahren, so banal sie auch sein mögen.“

Er fasste mich an der Hand und führte mich von seinem Arbeitszimmer durch den dunklen Flur zur Haustür, begleitete mich noch einen Moment zur Fahrkabine am Bürgersteig und verabschiedete sich mit bedauernder Körpersprache.

 

Konsterniert grübelte ich über das Erlebnis nach, während die Kabine zurück zum Dezernat fuhr, wo mir eine Stunde Integrationsgruppe bevorstand. Müdigkeit erfasste mich und mein Kopf sank nach hinten gegen die Lehne. Über mir ruhte der Himmel in seiner eigenen Blauheit. Gelassen zogen ein, zwei zerfaserte Schönwetterwolken dahin, die sich vor meinen Augen in zwei liegende Schönheiten verwandelten und sich nahtlos auflösten. Ein kurzer, blendender Strahl blitzte auf und lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine weit entfernte, kaum noch erkennbare silberne Kugel. Ein Satellit, eine Forschungsdrohne, eine Ortungsmodul, eine Raumstation, eine Überwachungskamera?

Hätte ich gewusst, dass ich ein halbes Jahr später in einem Stratosphärenballon in den Orbit unterwegs sein würde, ich hätte bereits damals den Professor verflucht.

Auch erkannte ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht, dass alles, was geschah, in einem engen Zusammenhang stand; die Gruppen, das Gerücht, Rachel, der Professor, die Desintegration, das Mitteilungsverhalten. Und niemand von uns ahnte, dass das Projekt längst angelaufen war und die Marionettenspieler längst über die Phase hinaus waren, in der sie noch hätten mit uns, den Figuren, sprechen können. Es mochte am Zeitgeist liegen, am Wechsel der Zeitalter, dass man  sich nicht mehr so vehement gegen die Verwendung der eigenen Person als kalkulierbares Element wehrte und von daher auch eine Hemmschwelle gefallen war, solche Verwendung ungefragt zu realisieren. Die Psyche der Individuen als Spekulationsobjekt war längst Realität; - war es immer gewesen. Nur der Umfang der Spekulation mit diesem Element hatte rapide zugenommen und bedrohte mittlerweile die Individuen.

Die Forschung, - und hier billigte ich dem Chef und Montagnola durchaus lautere Motivationen zu, die Forschung wollte den Status des Spekulativen hin zur fundierten und belastbaren Kenntnis verändern, also höhere Sicherheit bezüglich der Struktur der Psyche gewinnen. Wir, die Projektteilnehmer, waren in diesem Prozess bereits unterwegs, ohne es zu wissen.

Lange nach dem Ende dieser denkwürdigen Mission gestand mir der Professor, dass er sich von meiner Mithilfe einen Durchbruch in seinem eigenen Bild der geistigen Welt versprochen hatte, vor allem in Bezug auf die Notwendigkeit von Mitmenschlichkeit im weitesten Sinne. Der unverständliche, schwer verdauliche Inhalt dieser seiner Erklärung störte mich nicht mehr, als er sie quasi zur Entschuldigung für sein Verhalten formulierte. Ich wusste, was er meinte und wusste, dass ich vor dem Projekt rein gar nichts mit dem Begriff Mitmenschlichkeit in diesem Kontext hätte anfangen können. Mit Menschen sein.

 

Es hatte in der Gesellschaft einen radikalen Verlust von Mitmenschlichkeit gegeben. Die herkömmlichen Verhaltensweisen, was die Hilfsbereitschaft anging, waren rätselhafterweise in recht kurzer Zeit, also wenigen Jahrzehnten, aus bestimmten Schichten nahezu verschwunden. Ein Umstand, der irrsinnige Summen kostete und zum latenten Gefühl lähmender Unsicherheit führte.

Nun ging man wissenschaftlich vor und versuchte, die Wurzeln des Übels zu erkennen, die man in der Psyche vermutete. Das Selbst, dieses rätselhafte Halbwesen, dessen wahres Gesicht niemand kannte und dessen Existenz manche sogar als fragwürdig bezeichneten, sollte in seiner psychischen Konstitution noch tiefer erforscht werden.

 

 

Auf der Fahrt in der Kabine ahnte ich nicht, dass die Versuchsanordnung bereits perfekt funktionierte und sich in der Dezernatsbelegschaft ein halbes Duzend Personen mitten im Experiment befanden. So auch ich.

Ich schüttelte meine Müdigkeit ab und betrat das Gebäude, wählte die 16te Etage und ging zum gruppendynamischen Desintegrationsworkshop. Vor der gläsernen Tür stand Rachel in ihrer üblichen Arbeitskleidung, die sich niemals änderte. Vermutlich hatte sie einige dieser langweiligen Hosen und Blusen im exakt gleichen Design. Vermutlich stand ein Konzept dahinter; vermutlich wollte sie sich Blicke ersparen, die sie musterten.

Sie hatte ein Interkomm-Gerät für mich in der Hand und reichte es mir scheu lächelnd, als ich auf sie zu ging.

„Sie sind heute der Moderator der Gruppe. Ich habe Ihnen die von vorgestern noch anstehenden Diskussionsthemen farblich herausgehoben, damit Sie …“

Ihr Finger wanderte zum rechten Ohr, um die Haarlocke, die vor ihr Auge gefallen war, einzufangen und zu drehen. Ich versuchte, es zu vermeiden, darauf zu achten, weil ich vermutete, dass sie dann, wenn sie meinen abgelenkten Blick bemerkte, selbst erkennen würde, was sie unbewusst tat, - und dann erröten würde, was mich wiederum mit ihrer umwerfenden versteckten Weiblichkeit konfrontieren würde. Die daraus resultierende Erregung kannte ich bereits mehrfach und wollte sie mir zu diesem Zeitpunkt am Start der anstrengenden Gruppensitzung, ersparen.