Die Stunde des Fremden - Morris L. West - E-Book

Die Stunde des Fremden E-Book

Morris L. West

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Beschreibung

Der amerikanische Reporter Ashley steht im Begriff, die Reportage seines Lebens zu schreiben - seine "Big Story". Es ist ihm gelungen, einen riesigen Korruptionsskandal aufzudecken : Amerikanische Gelder, die für den Wiederaufbau verarmter und zerstörter Gebiete Süditaliens bestimmt waren, sind verschwunden – veruntreut oder in falsche Kanäle geraten. Aber gegen die Korruption der einheimischen Polizei und die zu einem gefährlichen Netz gesponnenen Intrigen seines mächtigen Gegenspielers, des Herzogs von Orgagna, der hier im Süden alle Fäden in der Hand hält, ist der Fremde machtlos. Sein hartnäckiger Optimismus ist den abgründigen Machenschaften dieses Landes nicht gewachsen. Muss Ashley das Spiel verloren geben?

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Morris L. West

Die Stunde des Fremden

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ernst Laue

Edel eBooks

Man muß sich nämlich darüber

im klaren sein, daß es kein schwierigeres

Wagnis, keinen zweifelhafteren Erfolg

und keinen gefährlicheren Versuch gibt,

als sich zum Leiter eines Staates

aufzuwerfen und eine neue Ordnung

einzuführen; denn jeder Neuerer

hat alle die zu Feinden, die von der alten

Ordnung Vorteile hatten, und er hat

an denen nur laue Verteidiger, die sich

von der neuen Ordnung Vorteile erhoffen.

Machiavelli: Der Fürst

Inhalt

Über das Buch

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

I

Es war die Reportage seines Lebens. Er saß in der Halle des Hotels «Caravino» und genoß sie Seite für Seite – so wie ein General die Planung seines kommenden Triumphes genießen mag, oder eine Frau die Briefe ihres Geliebten. In einem einfachen Bürohefter lag sie vor ihm, präzise und unanfechtbar – die Reportage, von der jeder Reporter träumt. Es fehlte nichts mehr als der Beweis, und den würde er in einer Stunde in der Hand haben, wenn Enzo Garofano, sein Informant, die Photokopien der Orgagnabriefe bringen würde.

Dann konnte er Sorrent und dieses lichte Touristenparadies mit seinen verhängten Glaswänden, seinen blendenden Wandmalereien, seinen sonnenüberfluteten Terrassen und seiner Aussicht auf Klippen, Meer und sonnengebräunte Körper verlassen. Er würde packen und abfahren – zurück nach Rom. In das Büro, wo die Mädchen an den Fernschreibern schon darauf warteten, seinen Bericht nach Paris, London und New York durchzugeben. Zweifellos würde er dort die Schlagzeilen der Morgenzeitungen beherrschen!

Unter diesen Schlagzeilen würde sein Name stehen: «Von unserem Sonderkorrespondenten Richard Ashley.»

Ashley war hochgewachsen, breitschultrig und schlank, mit kurzgeschnittenem Haar und einem schmalen, sonnengebräunten Gesicht, um dessen Mund und Augen vielerlei Erfahrungen ihre Linien gezogen hatten. Er trug ein überhängendes, buntes Hemd, blaue Leinenhosen und Ledersandalen, die er von einem hiesigen Schuhmacher hatte anfertigen lassen.

Heute war er vierzig geworden. Selbst dieser Gedanke war ihm angenehm. Es ist schön für einen Mann, bewußt den Gipfel seiner Karriere erreicht zu haben

Er schloß den Hefter und legte ihn auf den Tisch neben seinem Stuhl. Dann warf er einen Blick auf die Uhr. Drei Uhr dreißig. Um vier Uhr dreißig würde Garofano kommen. Bis dahin mußte er noch von Rom die Bestätigung einholen, daß das Büro sein Zweitausend-Dollar-Angebot für die Photokopien genehmigt hatte und daß der Betrag beim American Express in Sorrent zum Abholen bereitlag. Er runzelte ungeduldig die Stirn. Hansen ließ sich ein bißchen viel Zeit.

Hinter der Bar räusperte sich Roberto leise. Ashley sah auf. Roberto deutete grinsend auf die Terrasse: Ashley entdeckte ein Paar höchst anziehender, sonnengebräunter Beine, die sich auf den leuchtend bunten Kissen eines Liegestuhles ausstreckten. Den übrigen Teil ihrer Eigentümerin verbargen die Vorhänge neben der Tür.

Ashley schüttelte lächelnd den Kopf. Es war ein höchst herausfordernder Anblick, doch ohne jedes Interesse für einen Mann, der im Augenblick seinen größten Triumph feiert. «Denken Sie nur hübsch an Ihren Dienst, Roberto!» sagte Ashley. «Machen Sie mir einen Martini. Und wenn der auch wieder nicht trocken ist, kippe ich ihn hinter Ihren Kragen.» Roberto lachte leise.

«Da wüßte ich etwas Besseres: geben Sie ihn der Dame, und ich mache Ihnen einen anderen.»

Ashley hob die Schultern.

«Dafür habe ich weder Zeit noch Geld. Außerdem bin ich im Dienst.»

Roberto stellte die Flasche aus der Hand und gestikulierte theatralisch.

«Im Dienst! Bei dem Wetter? Um diese Tageszeit? Angesichts einer so schönen Frau? Verrückt!»

Er seufzte tief und widmete sich hinter seiner gekachelten Bar der Herstellung des Martinis. Roberto war ein dunkler, untersetzter Bursche mit glatt zurückgekämmtem Haar, einem kleinen Bärtchen und einem bereitwilligen Lächeln. Er war ein guter Barkeeper. Sein Benehmen war eine angenehme Kombination von Ehrerbietung und neapolitanischer Unverschämtheit. Die Ehrerbietung brachte ihm Trinkgelder von den Männern ein, und die Frauen zahlten ihm in anderer Münze für seine schmeichelhaften Kühnheiten.

Ashley sah schon wieder auf seine Uhr.

«Wann macht die Post auf?»

«Um drei, Signore.»

«Ich erwarte ein Telegramm. Müßte längst hier sein.»

Roberto spreizte die Arme.

«Geduld, mein Freund! Geduld! Das Telegramm muß erst mal bei der Post ankommen, dann muß man es abschreiben, dann muß man einen Boten ...»

Er verstummte und beobachtete mit offenem Mund, wie sich die braunen Beine von dem Liegestuhl schwangen und ihre Eigentümerin in Sicht kam: eine bildschöne Blondine in einem Bikini, die sich mit vollendeter Grazie an die Balustrade lehnte. Sie lächelte die beiden Männer aufreizend an und schritt mit wiegenden Hüften zum anderen Ende der Terrasse.

«Na?»

Roberto schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. «Es ist zuviel, Signore! Es ist einfach zuviel! Ich bin ein verheirateter Mann mit drei Kindern. Meine Frau erwartet das vierte. Ich habe meinen Beruf, den ich behalten muß, und meine Ehre, die ich nur zu freudig verlieren würde. Und ausgerechnet ich muß solchen Versuchungen ausgesetzt werden!»

«Ich habe Durst», sagte Ashley.

«Sofort, Signore!» Roberto wußte, wann ein Scherz zu Ende war. Er hob die Klappe zur Bar und brachte Ashley seinen Martini auf einem kleinen silbernen Tablett. Er wischte den Tisch ab, stellte den Martini sorgfältig auf einen Untersatz und wartete.

«Das macht?»

«Sechshundert Lire, Signore.»

Ashley sah ihn scharf an.

«Sechshundert? Heute mittag waren es noch vierhundertfünfzig.»

«Ein Irrtum, Signore», sagte Roberto schlicht. «Ich wollte natürlich vierhundertfünfzig sagen.»

«Sie sind ein Schwindler, Roberto.»

Roberto hob die Schultern und lächelte.

«Ich muß gestehen, Signore, ich bin ein sehr großer Schwindler.»

«Warum beschwindeln Sie mich? Ich gebe Ihnen doch gute Trinkgelder?»

«Sehr wohl, Signore.»

«Also – warum beschwindeln Sie mich dann?»

«Macht der Gewohnheit, Signore.»

«Eine schlechte Gewohnheit, Roberto.»

«Lassen Sie es uns eine Berufskrankheit nennen.» Roberto musterte Ashley kritisch. «Schwindeln Sie niemals, Signore?» Die Frage überraschte ihn. Roberto lächelte noch immer, aber es war ein anderer Ton in seiner Stimme und ein seltsamer, gehetzter Ausdruck in seinen Augen. Es war, als wollte er sagen: Wir sollten uns doch verstehen, Sie und ich. Wir haben doch schließlich gleiche Interessen und könnten einander nützlich sein.

Ashley antwortete mit einiger Vorsicht.

«Zugegeben, ich schwindle auch manchmal, aber ohne jemand dabei übers Ohr zu hauen.»

«Weil Sie sich finanziell keine Sorgen zu machen brauchen. Ich dagegen muß das dauernd. Jeder von uns schwindelt da, wo es für ihn wichtig ist.»

Damit war das Spiel eröffnet. In echt neapolitanischer Manier. Mit Lächeln und Drum-Herum-Gerede. Roberto hatte ihm etwas zu sagen, doch war er nicht gesonnen, das ohne Bezahlung zu tun. Jetzt war Ashley am Zuge.

«Was glauben Sie, ist für mich wichtig, Roberto?»

Roberto legte den Kopf auf die Seite.

«Das Telegramm, das Sie erwarten, zum Beispiel. Der Inhalt dieses Hefters», er deutete darauf, «und der Mann, der heute um vier Uhr dreißig herkommen soll.»

Ashley erschrak, als hätte man ihm einen Eimer Wasser ins Gesicht gegossen. Er beugte sich so rasch vor, daß beinahe das Glas auf dem Tisch umkippte. Doch beherrschte er sich schnell und lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück. Er musterte Roberto, dessen dunkle Augen ausdruckslos waren. Ausdruckslos wie die eines Vogels. Die nächste Frage formulierte Ashley mit großer Sorgfalt.

«Der Hefter, das verstehe ich – Sie haben mich daran arbeiten sehen. Das Telegramm – ich habe es selbst erwähnt. Aber das dritte – der Besucher, den ich erwarte. Wieso wissen Sie von ihm?»

«Der Martini», sagte Roberto bedeutungsvoll. «Signore haben den Martini noch nicht bezahlt.»

Ashley zog seine Brieftasche und legte eine Fünftausend-Lire-Note auf das Tablett. Robertos Augen leuchteten. Er nahm den Schein, faltete ihn langsam und steckte ihn in die Tasche.

«Es handelt sich um eine Nachricht, Signore», sagte er leise. «Der Mann, der Sie besuchen wird, ist ein Lügner und Betrüger. Sie sollten nehmen, was er Ihnen bringt, aber ihm im übrigen nicht über den Weg trauen.»

«Sonst noch was?»

«Weiter nichts», antwortete der Italiener, nahm das Tablett und ging zur Bar. In seinen Stuhl zurückgelegt, beobachtete ihn Ashley. Er sagte kein Wort und stellte auch keine weiteren Fragen. Er wußte, daß er diesem Burschen kein weiteres Wort würde entlocken können.

Der Journalist war nicht weiter beunruhigt. Er hatte sich zu lange und zu ausführlich mit dieser Untersuchung befaßt, um nicht zu wissen, daß gewisse Leute von Klatsch und theatralischen Intrigen leben. Die ganze Zeit hatten ihn Kontaktleute und Hausierer mit nutzlosen Informationen förmlich belagert. Sie pflegten sich auf ihn zu stürzen, wo immer sie ihn trafen: in Bars, Presseklubs und Hotelhallen. Sie kamen auf Empfehlungen von Freunden oder einfach, weil sie gehört hatten, daß der Scrittore Americano – der amerikanische Reporter – gutes Geld für Informationen zahlte. Sie pflegten umständlich und vage von finsteren Machenschaften und gefährlichen Einflüssen zu reden und unfehlbar mit einer Bitte um Vorschuß zu enden. Mitunter enthielt ihr Gerede sogar ein Gran Wahrheit. Doch meist war es nichts als leeres Gewäsch.

Auch andere Dinge versuchten sie ihm anzudrehen: Warnungen vor Attentaten auf sein Leben, Namen und Adressen von Leuten, die ihn schützen könnten. Er verübelte es ihnen nicht allzusehr. In Italien mußte jeder sehen, wie er zurechtkommen konnte, sei es nun, daß er bei Presseleuten mit Nachrichten hausieren ging oder bei reichen Witwen mit seinem männlichen Charme.

Ashley regte das nicht allzusehr auf. Seine Geschichte war so fest und sicher aufgebaut, daß nur eine Katastrophe sie erschüttern konnte.

Das sagte er sich, während er in seinem Stuhl saß, seinen Martini schlürfte und noch einmal das Manuskript durchblätterte. Dennoch konnte er sich eines leichten Unbehagens nicht erwehren.

Noch einmal wog er die Bedeutung von Robertos Nachricht ab: «Der Mann, der Sie besuchen wird, ist ein Lügner und Betrüger.»

Das war nichts Neues. Garofano war eine billige Krämerseele: Er handelte mit gestohlenen Dokumenten. Er mußte ein Lügner und Betrüger sein. Aber die Dokumente waren echt genug. Ashley hatte sie gesehen und genau studiert. Sie paßten wie Mosaiksteine in den Rahmen seiner Beweisführung.

«Nehmen Sie, was er Ihnen anbietet, aber trauen Sie ihm nicht über den Weg ...»

Was Garofano zu bieten hatte, war ein durchaus kompakter Gegenstand: Photokopien von Dokumenten, die Ashley bereits untersucht und für echt befunden hatte. Die Möglichkeit einer Fälschung war ausgeschlossen. Die Frage des persönlichen Vertrauens stand hier gar nicht zur Debatte.

Es blieben überhaupt nur zwei Fragen von einiger Bedeutung offen: die Identität des Boten und der Grund für die Warnung. Aber auch auf sie gab es eine offenkundige Antwort – die Sucht nach Profit! Fünftausend Lire ließen sich bequem in zwei Teile teilen: die eine Hälfte für den Barkeeper, die andere für irgendeinen schmierigen Patron, der irgendwo irgendwelchen Klatsch aufgeschnappt hatte: Der «Scrittore Americano» kauft etwas von Enzo Garofano. Laß ihm eine freundschaftliche Warnung zukommen, und wir teilen uns die Belohnung. Eine einfache Form des Spieles, das die Neapolitaner la combinazione nennen.

Ashley grinste. Er fühlte sich schon wieder besser. Dann kam ein Page mit dem Telegramm.

Ashley gab ihm ein Trinkgeld und riß den gelben Umschlag auf. Der Text war kurz und sachlich: ZWEITAUSEND DOLLAR FÜR INFORMATION GENEHMIGT STOP BETRAG BEI AMERICAN EXPRESS VERFÜGBAR STOP RATE GESCHÄFT ABZUSCHLIESSEN STOP HANSEN.

Gut! Lächelnd zerknüllte er das Telegrammformular und schob es in die Tasche. Rom hatte das Geld bewilligt. Nun brauchte er nichts zu tun, als auf Enzo Garofano zu warten. Er kippte den Rest seines Martinis hinunter und trat hinaus auf die Terrasse ins grelle Sonnenlicht.

Roberto beobachtete ihn mit kühler Nachdenklichkeit.

Auch das Mädchen beobachtete ihn.

Die Blondine sah seine harten, schmalen Züge, seine kraftvolle Erscheinung, seine nervigen Hände und seinen lockeren Gang. Sie sah, wie er sich über die Balustrade beugte und den Blick über die leuchtend bunten Badehütten gleiten ließ, über die in der Sonne schmorenden Körper, weit hinaus über das blaue Meer bis zu den dunstigen Umrissen von Neapel, Ischia und Procida. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der mit sich und der Welt einig war, eines Mannes, der Herr über seine Zeit sein mußte.

Es gab gute Gründe dafür, meinte die Blonde, daß er etwas von dieser Zeit mit ihr verbringen sollte. Die Ellbogen aufgestützt, lehnte sie sich gegen die Balustrade, als stünde sie einem Photographen Modell. Dann warf sie sich ihre grellbunte Badejacke über die Schultern, um so seine Aufmerksamkeit zu erregen. Als er sich ihr zuwandte, begegnete er ihrem Lächeln.

«Hallo – guten Tag!» sagte er auf englisch.

«Buon giorno. Va bene cosi nel sole!»

Die italienische Antwort überraschte ihn. Wegen ihrer Blondheit und der honigfarbenen Sonnenbräune hatte er sie für eine Ausländerin gehalten – für eine Amerikanerin vielleicht, oder eine Schwedin, oder eine Deutsche vom Rheinland.

«Italiana?»

«Si, Italiana. Da Roma.»

Sie lächelte und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu ihr ans Ende der Terrasse zu kommen. Aus Rom? Das konnte alles mögliche bedeuten: Venedig, Trient, Florenz, Pisa. Die blonden Lombarden hatten sich über die ganze italienische Halbinsel ausgebreitet.

Italienisch zu sprechen war kein Problem für ihn, und so unterhielten sie sich in der Ecke der Terrasse, während das Geräusch von Stimmen und Musik leise von dem siebzig Meter unter ihnen gelegenen Strand heraufdrang. Sie fanden Gefallen aneinander – es reizte sie, sich näher kennenzulernen. Der Anfang war leicht und selbstverständlich. Eine Frage ergab sich aus der anderen.

«Sind Sie grad angekommen?» fragte Ashley. «Ich hab’ Sie noch gar nicht gesehen.»

«Letzte Nacht. Und Sie?»

«Oh, ich bin schon eine Woche hier – zehn Tage.»

«Ferien?»

«Nicht direkt. Ich habe hier zu tun.»

«Hübscher Platz zum Arbeiten. Was machen Sie denn?»

«Ich bin Korrespondent. Journalist.»

«Interessant. Das heißt, Sie reisen viel, schreiben Geschichten, lernen viele Leute kennen. Ein schönes Leben.»

«Mitunter schon.» Zum Beispiel jetzt war es ein schönes Leben. An seinem vierzigsten Geburtstag. Kurz vor Vollendung seines Meisterwerks. Mit einer blonden Schönheit, die ihn im strahlenden Sonnenschein anlächelte, während er eine leise Beunruhigung ins Unterbewußtsein verbannte.

«Übrigens, mein Name ist Ashley – Richard Ashley.»

«Elena Carrese.»

Die Art, wie sie das sagte, gefiel ihm. Schlicht und selbstverständlich, mit keiner Spur des kichernden Errötens der Mädchen von Neapel.

«Machen Sie auch Ferien?»

«Nur heute. Mein Chef kommt morgen.»

«Oh!»

Das war keine angenehme Überraschung. Mädchen, denen ihre Chefs Appartements im «Caravino» mieteten, waren in der Tat eine sehr besondere Art Mädchen.

«Im Winter arbeiten wir in Rom, und im Sommer kommen wir hier herunter.» Sie sagte das ganz selbstverständlich, ohne Zögern oder Verlegenheit.

«Sie haben’s gut», entgegnete Ashley trocken. «Was tun Sie denn – das heißt, was tut Ihr Chef?»

Sie zog die Schultern hoch und breitete die Arme aus, so daß die Badejacke herunterglitt und Ashley sich zu ihr hinüberbeugen mußte, um sie ihr wieder umzulegen.

«Was tut er? Oh ... Vielerlei Sachen. Politik, Finanzen, Bankgeschäfte. Er reist sehr viel. Und so reise ich natürlich auch viel.»

«Natürlich. Übrigens: wahrscheinlich kenne ich ihn.»

«Wahrscheinlich.» In ihrem Blick war keine Bosheit und in ihrem Lächeln auch nicht die Andeutung von Ironie. «Wenn Sie Journalist sind, dürften Sie ihm gewiß schon begegnet sein. Er ist ziemlich bekannt in Italien.»

«Wie heißt er?»

«Vittorio, Herzog von Orgagna.»

Hier zeigte sich, wie gut es war, wenn man in seinen jungen Jahren Pokern gelernt hatte. Und wie wichtig, daß man der Sekretärin des Botschafters Geschichten zu entlocken gelernt hat, während die Kollegen den Sherry des Botschafters tranken. Wie wichtig, daß man mit vierzig Jahren gelernt hat, seinen Gesichtsausdruck zu beherrschen, während sich der Magen vor Schreck zusammenkrampft. Richard Ashley führte eine kleine Komödie auf. Eine Komödie, gemischt aus Staunen und Ehrerbietung.

«Orgagna?» sagte er, «aber selbstverständlich kenn ich ihn! Ich habe ihn schon ein paarmal interviewt.»

Er hätte auch sagen können: ‹Ich kenne diesen Orgagna besser, als Sie ihn jemals kennenlernen werden, mein Herzchen. Sie arbeiten für ihn, vielleicht schlafen Sie sogar mit ihm. Aber ich habe mit ihm gelebt. Ich kenne seine Vergangenheit und seine Gegenwart. Ich bin der Richter seiner zweifelhaften Zukunft. Ich weiß, wieviel Geld er hat und woher er’s hat. Ich kenne seine Macht und die Grenzen seines Einflusses. Ich kenne die Männer, die er gekauft hat, und bin mit denen ins Geschäft gekommen, die wiederum ihn verkaufen. Ich kenne die Frau, die er geheiratet hat, und die anderen – alle anderen, ausgenommen Sie, mein Herz. Sie sind eine Art Überraschung für mich. Ich habe seine Triumphe vermerkt und werde midi heute seines endgültigen Untergangs erfreuen. Morgen werde ich die Welt von seiner Verdammung in Kenntnis setzen.›

Das hätte er sagen können. Aber er sagte es nicht. Statt dessen grinste er, ein verbindliches, verlogenes Grinsen, und legte die Badejacke um die Schultern von Elena Carrese. «Morgen gehören Sie Orgagna», sagte er dann. «Heute gehören Sie mir. Es ist mein Geburtstag, und ich habe gute Nachrichten bekommen. Ich möchte gern feiern. Würden Sie ein Glas mit mir trinken?»

«Gewiß, Signore! Gern!» antwortete Elena Carrese und schritt ihm mit wiegenden Hüften voraus in die Halle. Das Radio spielte leise A’nnamurata Mia. Roberto polierte Gläser und stellte sie in das schwarze Glasregal hinter der Bar. Als sie eintraten, sah er auf, und beim Anblick des Mädchens breitete sich ein albernes Lächeln über seine Züge. Sie setzten sich auf hohe Barhocker und bestellten Drinks. Ashley machte Elena ausgefallene neapolitanische Komplimente; sie schob schmollend die Lippen vor und sagte «Sie Schmeichler» und ließ ihre Hand einen Augenblick auf seiner ruhen. Alles war offen und herzlich und charmant und natürlich – eine Ferienbegegnung im Land der ewigen Sonne. Oder war alles nur eine kunstvolle Lüge?

Sechs Monate lang hatte Ashley seine Netze in den undurchsichtigen Gewässern italienischer Politik ausgeworfen. Unmöglich, so etwas geheimzuhalten. Unvorstellbar, daß Orgagna nichts von der Untersuchung merken sollte, die gegen ihn im Gange war. Ebenso unvorstellbar, daß dieser Tag, gleichsam der Krönungstag, vergehen konnte, ohne daß er irgend etwas unternahm, um die Veröffentlichung der Anklage gegen sich zu verhindern. Vielleicht war diese Begegnung Ashleys mit Elena Carrese der Anfang seines Gegenangriffs?

Doch sie lächelte noch immer und plauderte noch immer und machte noch immer ihre hübschen kleinen Mannequin-Gesten: «Sie sagten, Sie hätten gute Nachrichten?»

«Nachrichten ...?» Sein Geist war weit fort. «Oh – o ja, natürlich.»

«Sie haben mir noch gar nicht gesagt, was es ist.»

‹Na endlich›, dachte er, ‹endlich kommen wir zur Sache. Hübsch langsam, wie das in Italien so üblich ist. Erzählen Sie mir Ihre Nachrichten, mein lieber Herr, damit ich sie meinem Chef weitersagen kann. Meinem Chef, Vittorio, Herzog von Orgagna.›

Betrübt zuckte er die Schultern.

«Ach – nur so eine berufliche Geschichte. Ich hab’ da eine Reportage gemacht, und es hat sich herausgestellt, daß es eine recht gute Reportage ist. Mein Blatt hat mich eben autorisiert, gewisse Dokumente zu kaufen. Und jetzt habe ich eine ganz ausgezeichnete Reportage.»

«Was für eine Art Reportage ist es denn?» Sie sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an.

«Politisch.»

«Oh.» Der kleine Ausruf hing in der Luft wie der Ton einer angerissenen Saite.

«Wenn wir uns erstmal besser kennen, werde ich’s Ihnen erzählen.»

«Eine einmalige Indiskretion», sagte eine nüchterne englische Stimme.

Ashley fuhr mit einem ärgerlichen Ausruf herum. Sein Drink kippte halb über. Auch das Mädchen wandte sich um, und sie sahen vor sich einen kleinen, feingliedrigen Burschen mit einem braven, jungenhaften Gesicht und sanften Augen. Er war wie ein Engländer angezogen, mit blauer Klubjacke, grauen Flanellhosen, seidenem Hemd und sorgfältig gebundenem Schal. Er hatte das unangemessen jugendliche Äußere der Menschen aus kalten Breiten. Ohne Ashleys offenbares Mißvergnügen zur Kenntnis zu nehmen, trat er an die Bar. Elena Carrese beobachtete ihn vorsichtig. Er streckte seine Hand aus.

«Ashley, alter Junge, nett, Sie hier zu treffen!»

«Hm ... wirklich sehr nett.» Ashley gab ihm flüchtig die Hand und stellte ihn vor. «Elena Carrese – George Harlequin.» Harlequin nickte dem Mädchen beiläufig zu und wandte sich wieder an Ashley.

«Wir scheinen uns aber auch überall zu treffen, was? Presseklub Venedig, Frühlingsfestspiele Florenz, Jos Bar, Rom, Stampa Neapel. Und jetzt hier. Wirklich seltsam.»

«Sehr seltsam.»

George Harlequin ging unvermittelt zu Italienisch über. Er verbeugte sich spöttisch vor dem Mädchen.

«Sie sehen wunderschön aus, Lena», sagte er.

«Danke vielmals», erwiderte das Mädchen ohne Begeisterung.

«Sie kennen sich schon?» Ashley war überrascht und vorsichtig.

«Jawohl», sagte Elena steif. Sie glitt rasch von ihrem Barhocker und wandte sich ab. «Entschuldigen Sie mich, ich muß gehen.»

«Aber hören Sie mal, Sie können doch nicht ...»

«Bitte entschuldigen Sie mich.» Sie war schon beinahe an der Tür.

«Werden Sie heute mit mir zu Abend essen?»

«Tut mir leid, das ist unmöglich.»

«Dann vielleicht nach dem Essen einen Kaffee?»

Jetzt hatte sie die Tür erreicht. Ein Augenblick, und sie würde verschwunden sein. Da blieb sie stehen und drehte sich um.

«Nun gut, nach dem Essen – auf einen Kaffee.»

Dann war sie fort, und George Harlequin hockte auf ihrem Barstuhl, wie ein mißgünstiger Kobold kichernd. Ashley tobte vor Wut.

«Also los, Harlequin, kommen Sie zur Sache. Seit Monaten rennen Sie mir nach. Jetzt ist es soweit. Was wollen Sie?»

«Zuallererst mal was zu trinken», sagte George Harlequin kühl.

«Was?»

«Scotch mit Soda.»

«Sofort, Signore», dienerte Roberto.

«Wir setzen uns an einen Tisch.»

Ashley ging voraus zu dem kleinen Kaffee-Tischchen, auf dem noch sein Manuskript in dem Hefter lag. Harlequin folgte ihm, Roberto beobachtete sie verstohlen, während er die Drinks eingoß. Der Engländer steckte sich eine Zigarette an und rauchte schweigend, bis Roberto die Drinks serviert und sich diskret hinter seine Bar zurückgezogen hatte. Dann hob Harlequin sein Glas.

«Viel Glück, Ashley!» sagte er grinsend.

«Ihnen ein kurzes Leben und einen miserablen Tod!» Ashley kippte sein Glas in einem Ruck hinunter und stellte es auf den Tisch. «Also, Harlequin, schießen Sie los. Wer sind Sie? Was wollen Sie?»

Harlequins Augen waren milde und undurchdringlich. Er verzog den Mund.

«Die Antworten dürften Sie wohl schon wissen.»

«Ich würde sie gern von Ihnen hören.»

Der kleine Mann zuckte die Schultern und legte seine Zigarette sorgsam auf den Rand des Aschenbechers.

«Bitte sehr.» Mit einer ausholenden Geste stützte er die Ellbogen auf den Tisch und preßte die Fingerspitzen einzeln gegeneinander.

«Sie haben sechs Monate lang eine Anklage vorbereitet.»

«Ich habe eine Reportage gemacht ...»

«... die in ihrer Wirkung eine Anklage gegen gewisse italienische Politiker ist. Eine Anklage wegen Betrug, Schiebungen und Fehlleitung von Beträgen aus dem Dollarfonds.»

«Genau.»

«Ein bemerkenswertes Stück Arbeit, Ashley.»

«Sie haben’s selbstverständlich gelesen?» fragte Ashley höhnisch.

«Das hab’ ich in der Tat», antwortete George Harlequin liebenswürdig. «Jede Zeile, sogar die Fußnoten.»

Ashley starrte ihn voll feindseliger Überraschung an. «Einen Dreck haben Sie!»

«Für einen erfahrenen Journalisten sind Sie ziemlich sorglos mit Ihren Papieren umgegangen.»

Ashley beugte sich weit über den Tisch. Er kniff die Augen zusammen. Sein Mund wurde hart. «Was sind Sie eigentlich, verdammt noch mal?»

«Berufstätig.»

«Was heißt hier berufstätig?»

Harlequin machte eine großzügige Handbewegung.

«Nun ... Kontaktmann, Kurier, Unterhändler ...»

«Agent?»

«Nennen Sie’s, wie Sie wollen.»

«Wen vertreten Sie?»

«Die Regierung Ihrer britischen Majestät. Äh – inoffiziell selbstverständlich.»

«Aha.» Ashley lehnte sich in seinen Stuhl zurück und lachte. «Sie machen mich stolz, Harlequin. Sollte sich wirklich die britische Regierung für mich interessieren?»

«Sie wollen die Orgagna-Photokopien kaufen, nicht wahr?» Ashleys Augen wurden hart. Schon wieder fühlte er sich unsicher. «Das wissen Sie also auch?»

«Natürlich.»

«Also gut. Ich werde sie kaufen. Und zwar in rund zwanzig Minuten. Hier in diesem Raum, an diesem Tisch.»

«Und damit wird Ihre Anklageschrift komplett sein?»

«Bis auf den letzten i-Punkt. Der Große und die Kleinen werden auf der Anklagebank der öffentlichen Meinung sitzen. Die Photokopien sind der abschließende schlüssige Beweis eines der größten politischen Finanzskandale des zwanzigsten Jahrhunderts. Geplant und ausgeführt von Seiner Exzellenz, dem Herzog von Orgagna.»

«Was für ein Jammer», sagte George Harlequin. «Was für ein großer Jammer! Wann wollen Sie die Story drucken?»

«Ich könnte mir denken, daß sie übermorgen kommt. Zeitlich liegt sie ausgezeichnet. Zehn Tage vor den italienischen Wahlen.»

«Ihr Amerikaner habt wirklich einen ausgeprägten Sinn für Theatercoups», meinte Harlequin bekümmert. Er stand auf, ging zur Terrassentür und blieb stehen, den Blick auf das sonnenübergossene Meer gerichtet. Dann wandte er sich um. «Würde es Ihnen was ausmachen, wenn wir hier draußen weiterreden?»

«Wie Sie wünschen.»

Ashley klemmte sein Manuskript unter den Arm und ging auf die Terrasse. Harlequin begann langsam auf und ab zu schreiten. Ashley ging neben ihm. Der kleine Engländer lächelte nicht mehr.

«Ich nehme an, Ashley», sagte er, «daß Sie die politische Situation dieses Landes kennen. Es gibt eine starke, wohlorganisierte Linke und eine kleine, immens reiche reaktionäre Rechte. Dazwischen steht eine schwache Koalition der Mitte: die Gemäßigten beider Flügel, die die Regierung stützen.»

«Stimmt genau.»

«Es liegt im Interesse Europas, im Interesse Großbritanniens und Amerikas, diese Koalition der Mitte beizubehalten und zu stärken.»

«Stimmt auch.»

«Der Mann, der sie bisher zusammengehalten hat, ist Orgagna.»

«Da bin ich anderer Ansicht», erwiderte Ashley.

Harlequin rührte sich nicht. Es schien, als wolle er um jeden Preis einen offenen Streit vermeiden.

«Also, dann lassen Sie uns sagen, nach Ansicht einiger Leute, beispielsweise nach Ansicht meiner Regierung, ist Orgagna der Schlüssel zur Einigkeit. Er hat Verbindungen nach rechts und nach links, er ist ein geübter Unterhändler. Er hat das gewisse Etwas, das die Wähler beeindruckt. Nehmen Sie ihn weg – dann bleibt nichts als Mittelmaß. Verstehen Sie, was ich meine?»

Ashley brauste auf. «Das verstehe ich nur zu gut! Sie wollen, daß ich meine Reportage unter den Tisch fallen lasse, damit ein Meisterdieb einen Ministerposten in der italienischen Regierung bekommen kann.» Er lachte bitter auf. «Das ist eine verdammt krasse Zumutung.»

Das sanfte, knabenhafte Gesicht lächelte entwaffnend. «Ich habe keine Wahl, Ashley. Wenn ich Sie bestechen könnte, täte ich’s. Wenn ich Sie erpressen könnte, täte ich’s auch. Aber unter den gegebenen Umständen ist die Wahrheit meine einzige Waffe. Ich gebrauche sie, so gut ich kann.»

Ashley blieb stehen und wandte sich ihm zu.

«Sehr schön! Ich gestehe Ihnen zu, daß Sie das ernst meinen. Aber jetzt will ich Ihnen mal sagen, was Sie wirklich von mir verlangen. Sie verlangen von mir, daß ich ein Verbrechen decke – eine ganze Serie von Verbrechen. Und das aus politischen Gründen.»

«Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich möchte allerdings etwas hinzufügen: aus politischen Gründen, von denen die europäische Sicherheit abhängen kann.»

Ashley starrte ihn einen Augenblick mit halboffenem Mund an, dann platzte er heraus.

«Gott – wie ich die Engländer liebe! Sie sind wahrhaftig die moralischste Nation der Welt – die königliche Familie, die Hochkirche und das geheiligte Ritual des Crickettspiels! Dabei ist eure ganze Geschichte nichts als eine Kette wirtschaftlicher Unmoral und politischer Mätzchen. Eure Helden sind Seeräuber und Schwätzer. Eure Heiligen Exzentriker und Anarchisten. Im Parlament predigt ihr Moral, und im konservativen Klub plant ihr eure Kriege. Ihr ereifert euch über Wallstreet und den amerikanischen Expansionismus, während eure eigenen Geschäftsleute Piraten in gestreiften Hosen sind.»

Harlequin zuckte mit keiner Wimper.

«Ein recht extremer Standpunkt», sagte er. «Und jetzt ist eigentlich kaum die Zeit, sich darüber zu streiten. Mir scheint, wir reden aneinander vorbei.»

«Durchaus nicht.»

«Sie sprechen von Moral, ich spreche von Politik. Das schließt einander aus.»

«Da irren Sie sich sehr, und Sie wissen es auch.»

«Aber keineswegs. Politik ist die Kunst, unvollkommene Menschen mit unvollkommenen Systemen zu regieren.»

«Es ist jedenfalls schlechte Politik, falsche, käufliche Männer in Machtpositionen zu manövrieren.»

«Nicht unbedingt. Falsche Männer kann man dirigieren, käufliche Männer kann man kaufen. Es ist die Aufgabe des Diplomaten, sich die Furcht des Lügners und die Gier des Diebes nutzbar zu machen.»

«Und wo bleibt die Wahrheit?»

«Die Wahrheit?» George Harlequin hob die Schultern. «Die Wahrheit, mein lieber Ashley, ist ein Luxus, den sich nur leisten kann, wer nichts mit ihren Folgen zu tun hat.»

«Was soll das heißen?»

«Das soll heißen, daß Sie persönlich kein Interesse an Italien oder, wenn Sie so wollen, an Europa haben. Ihre Reportage kann die wankende Regierung zu Fall bringen, kann das Land in wirtschaftliches und politisches Chaos stürzen und jahrelange Arbeit für die europäische Verteidigung und die Mittelmeer-Strategie zunichte machen. Und Sie können nächste Woche nach Indien, Australien oder Java fliegen, an Leib und Seele unberührt von all dem.»

«Ihnen hingegen geht alles sehr zu Herzen?» Ashley grinste ihn höhnisch an.

Der kleine Mann überlegte seine Antwort genau.

«Zumindest dienstlich, jawohl. Ich bin nicht nur ein Beobachter wie Sie. Ich bin Mitwirkender. Ich bin in die Sache verwickelt, weil mein Land darin verwickelt ist, weil ich fünfzig Kilometer von der Küste Europas entfernt lebe, und weil es von der europäischen Politik abhängt, ob ich trocken Brot oder Schinken mit Eiern zum Frühstück habe. Sie sind die Presse, und Sie können sich’s leisten, mit der Wahrheit hausieren zu gehen. Ich bin der Mann, der mit Lügen leben, sich mit Ungerechtigkeiten abfinden und mit der Korruption Kompromisse machen muß, weil das nun mal Faktoren des menschlichen Gemeinschaftslebens sind.»

«Sie und Leute Ihresgleichen machen die Ungerechtigkeiten erst möglich dadurch, daß Sie sich damit abfinden.»

«Und Sie?»