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Eine Schlagersängerin, Drohungen, und ein Mord – ein tödliches Rätsel am Wörthersee.
Der bevorstehende Auftritt der deutschen Schlagersängerin Saskia Frenzen bei der „Starnacht am Wörthersee“ begeistert offenbar nicht jeden: Ein anonymer Brief droht ihr mit dem Tod, sollte sie die Bühne betreten.
Der Klagenfurter Privatdetektiv Heinz Sablatnig erhält den Auftrag, den Schreiber des Drohbriefs ausfindig zu machen und so für Saskias Sicherheit zu sorgen. Heinz beginnt seine Ermittlungen in dem Hotel, in dem die Sängerin vor ihrem Auftritt residiert.
Die Hotelangestellten vermitteln ihm ein zwiespältiges Bild von dem Star. Wie es scheint, hat Saskia zwei Persönlichkeiten, eine freundliche und eine biestige. Ist dieses divenhafte Verhalten das Motiv für die Todesdrohung? Heinz kann einige Verdächtige isolieren, doch gerade als die Spur heißer wird, schnappt eine perfide Falle zu und es gibt eine Tote. Der mediale Rummel ist groß und schnell stellt sich heraus, dass nichts so ist, wie es scheint und Heinz dem Mörder eventuell näher ist als er denkt.
Dieser Roman ist eine Neuauflage von Starmord am Wörthersee.
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Roland Zingerle
Über den Autor:
Roland Zingerle, geboren 1973, lebt und arbeitet in Klagenfurt am Wörthersee. Er studierte Germanistik und Kommunikationswissenschaften und arbeitete als Journalist und Kulturmanager, ehe er sich als Schriftsteller selbstständig machte. Zingerle verfasst Romane und Sachbücher und unterrichtet deutsche Literatur und kreatives Schreiben.
rolandzingerle.at
Buchbeschreibung:
Der bevorstehende Auftritt der deutschen Schlagersängerin Saskia Frenzen bei der „Starnacht am Wörthersee“ begeistert offenbar nicht jeden. Denn ein anonymer Brief droht ihr mit dem Tod, sollte sie die Bühne betreten.
Der Klagenfurter Berufsdetektiv Heinz Sablatnig erhält den Auftrag, den Schreiber des Drohbriefs ausfindig zu machen und so für Saskias Sicherheit zu sorgen. Heinz beginnt seine Ermittlungen im Hotel, wo die Sängerin vor ihrem Auftritt residiert.
Die Hotelangestellten vermitteln ihm ein zwiespältiges Bild von dem Star: Wie es scheint, hat Saskia zwei Persönlichkeiten, eine respektvolle und freundliche, und eine biestige und rücksichtslose. Ist dieses divenhafte Verhalten das Motiv für die Todesdrohung? Heinz kann einige Verdächtige isolieren, doch gerade als die Spur heißer wird, schnappt eine perfide Falle zu und Heinz, Saskia, sowie deren Visagistin Anne werden betäubt und anschließend entführt.
Heinz und Saskia erwachen in einem dunklen, abgeschlossenen Raum – neben Annes Leiche. Diese Wendung der Ereignisse wirft für den Detektiv eine Reihe von Fragen auf: Wer hat die Entführung veranlasst? War Annes Tod ein Unfall oder war sie vielmehr das Ziel des Mörders und der anonyme Brief nur die Ablenkung? Oder dient Anne, nun die Tote im Rampenlicht, nur dazu, das wahre Motiv des Mörders zu verbergen?
Roland Zingerle
Der Berufsdetektiv 1
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Februar 2024 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Volker Neumann – https://www.krimi-lektorat.de/lektorat.html
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Liedtext »Fremde Gefühle«: Stefan Wrana
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
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Mittwoch, 22 Uhr
Ein kalter Windstoß wehte über den Parkplatz, als Heinz Sablatnig auf den Eingang zum Abflugbereich zuging. Dort sah er Direktor Oberhofer wie einen Tiger in seinem Käfig hin- und herlaufen.
»Na endlich, Sablatnig, wo bleiben Sie denn?«
Heinz drückte ihm stumm die Hand. Es hatte keinen Sinn, darauf hinzuweisen, dass er pünktlich gekommen war, Oberhofer brauchte offenbar das Gefühl, in der Offensive zu sein, egal ob er im Recht war.
»Kommen Sie«, sagte der Direktor, »wir müssen dorthin.« Er wandte sich nach rechts und ging voraus, der Außenfassade des Flughafens Klagenfurt entlang.
Als Landesdirektor der Fiducia Versicherungsgesellschaft für Kärnten und Osttirol war Oberhofer der beste Kunde von Heinz Sablatnigs Ein-Mann-Detektei. Nicht nur, dass er gut und pünktlich bezahlte, auch seine Aufträge waren immer interessant, oft auch außergewöhnlich. Das erleichterte es Heinz, über das anmaßende Verhalten des Direktors hinwegzusehen.
Dieser betrat nun das Flughafengebäude durch eine unscheinbare Tür, die zu einem engen Gang führte. Heinz folgte ihm bis zu einer schmalen Glasfront, hinter der ein Mann saß, dem der Landesdirektor grußlos seinen Ausweis hinhielt und erklärte: »Oberhofer und Sablatnig.«
Der Mann nickte und warf einen Kontrollblick auf den Monitor vor sich. »Ihre Maschine landet gleich«, sagte er.
Heinz stutzte – unsere Maschine?
Der Direktor musterte ihn mit einem verstohlenen Seitenblick. Er fand es wohl seltsam, dass Heinz ihm keine Fragen stellte. Dann ging er weiter voran zum Sicherheitskorridor, wo zwei Security-Leute auf sie warteten. Außer Heinz und Oberhofer waren keine weiteren Fluggäste zu sehen. Heinz empfand die Situation als eigenartig – aber nicht eigenartiger als die Tatsache, dass er mit Oberhofer nun irgendwohin fliegen sollte.
Als der Versicherungsmann ihn am Nachmittag angerufen hatte, hatte er nichts davon erwähnt, sondern nur gesagt, Heinz solle ihn um 22 Uhr vor dem Eingang zum Abflugbereich treffen. Aber Heinz war es gewohnt, dass sein Auftraggeber Informationen zurückhielt, das gab ihm Macht über andere – wie er offenbar glaubte. Heinz seufzte.
Nach dem Sicherheitscheck legte er seinen Gürtel wieder an und verstaute Brieftasche, Schlüssel und Mobiltelefon. Dann gingen er und der Direktor auf das Rollfeld hinaus. Obwohl es Mitte Juli war, trugen sie beide Windjacken, denn die Kaltwetterfront der vergangenen Woche hatte die Temperaturen empfindlich sinken lassen. Zwar war sie mittlerweile wieder abgezogen, doch der Sommer kehrte nur langsam zurück. Die Jacke erwies sich nun als gute Wahl, denn der böige, unangenehm kalte Wind wurde stärker. Heinz hörte das entfernte Aufbrüllen von Flugzeugturbinen, und schon im nächsten Augenblick zischte hinter den Hangars für die Sportflugzeuge ein Privatjet auf der Landebahn daher und verlor rasch an Geschwindigkeit.
Direktor Oberhofer deutete mit dem Kinn auf die kleine Passagiermaschine und brummte: »Das ist sie.«
In nunmehr langsamer Fahrt und mit blinkenden Lichtern verließ das Flugzeug die Landebahn und folgte dem Kleinwagen mit dem Follow Me-Schild, welcher auf das Flughafengebäude zusteuerte. Etwa dreißig Meter vor ihnen schwenkte das Flugzeug nach rechts und blieb stehen. Am Rumpf sah Heinz den Schriftzug eines deutschen Bioenergie-Unternehmens und am Seitenleitwerk das dazugehörige Logo. Das musste nichts bedeuten, denn wie Heinz wusste, vermieteten große Firmen ihre Jets, wenn sie sie selbst nicht brauchten. Damit finanzierten sie einen Teil der Erhaltungskosten.
Nach einigen Sekunden schwoll der Turbinenlärm ab, und schließlich klappte direkt hinter der Pilotenkanzel eine Tür nach unten, an deren Innenseite eine Stiege angebracht war. Ohne ein Wort zu sagen, ging der Landesdirektor auf den Jet zu. Heinz folgte ihm. Aus der Türöffnung lächelte ihnen eine Frau mit ostasiatischen Zügen entgegen. Die Stewardess war mit einer adretten, für Heinzʼ Geschmack etwas zu offiziellen Uniform bekleidet. Ihre streng nach hinten gebundenen Haare schimmerten im selben Schwarz wie ihre mandelförmigen Augen, als Kontrast dazu leuchteten ihre weißen Zähne zwischen dunkelroten Lippen hervor.
»Willkommen an Bord«, sagte sie mit norddeutschem Akzent, als Oberhofer und Heinz die Treppe hinaufstiegen.
Während der Versicherungsmann aufgrund seiner Körpergröße geduckt die Fluggastkabine betrat, las Heinz die Typenbezeichnung des Flugzeugs, die neben dem Einstieg am Rumpf angebracht war: Bombardier Learjet 85.
»Wenn Sie bitte Platz nehmen würden?« Die Stewardess deutete mit einer eleganten Handgeste in den Fluggastraum.
Rechts und links eines engen Mittelgangs waren je vier Sitze in zwei einander gegenüberliegenden Paaren montiert. Der ganze Innenraum war in cremeweißen Tönen gehalten und wirkte höchst elegant. Von den beiden in Flugrichtung positionierten Sitzpaaren erhoben sich zwei Männer – die einzigen Passagiere des Learjets. Der eine war schlank und ein paar Zentimeter kleiner als Heinz; er schätzte ihn auf einsfünfundsiebzig. Er trug eine Designerbrille und Freizeitkleidung, der Heinz auf den ersten Blick ansah, dass sie nie auf einem Wühltisch gelegen war. Dies und ein flotter Kurzhaarschnitt verliehen dem Mann ein jugendlich-agiles Aussehen, welches jedoch keinem zweiten Blick standhielt. Seine Bewegungen, vor allem aber seine Augen verrieten Heinz, dass der Mann eher Ende dreißig als Ende zwanzig war.
Den zweiten Fluggast konnte Heinz noch leichter einschätzen. Im Gegensatz zum ersten war er eindeutig Ende zwanzig und trug einen erkennbar billigen Anzug, in dem er wirkte, als fühlte er sich nicht wohl darin. Er war breit gebaut, sein Kurzhaarschnitt wirkte militärisch, und sein weißes Hemd war von Muskeln gewölbt. Seine Augen schnellten umher, als wollten sie möglichst rasch möglichst viele Details erfassen. Heinz nahm an, dass dieser Mann der Leibwächter des anderen war.
Oberhofer schüttelte beiden Männern die Hände, während er sich in weltmännischer Manier vorstellte. »Guten Abend, Magister Oberhofer, Landesdirektor der Fiducia Versicherungsgesellschaft. Schön, dass Sie es einrichten konnten.«
Dann setzte er sich dem Schlankeren gegenüber, der sowohl ihn als auch Heinz mit: »Frank Mertens, freut mich«, begrüßte.
Als Heinz dem Zweiten die Hand drückte, starrte dieser ihm in die Augen und sagte kurz und mit tiefer Stimme: »Müller.« Er war etwas größer als Heinz, und der Druck seiner Hand war wie der einer Schraubzwinge. Heinz ließ sich ihm gegenüber auf dem cremeweißen Ledersessel nieder.
»Was darf ich den Herren zu trinken anbieten?«
Heinz wandte den Kopf und blickte in das professionell-freundliche Gesicht der Stewardess über sich. »Tomatenjuice, bitte.«
Wenn er flog, trank Heinz immer Tomatensaft, sonst aber nie. Auf dem Tischchen zwischen ihm und Müller stand eine halb leergetrunkene Kaffeetasse, auf jenem zwischen Oberhofer und Mertens ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit und ein paar Eiswürfeln; Heinz tippte auf Gin Tonic.
Nachdem der Landesdirektor stilles Wasser bestellt hatte, kam Frank Mertens ohne Umschweife zur Sache: »Machen wir es kurz, ich muss heute noch nach Palma. Saskia soll auf Mallorca ein Konzert geben, und ich bin mit den Konditionen des Veranstalters dort noch nicht einverstanden.«
Heinz fiel auf, dass Mertensʼ Sprechweise zwischen Hochdeutsch und einem bayerischen Dialekt schwankte.
»Worum geht es hier. Wie Sie wissen, tritt Saskia am kommenden Freitag und Samstag beim Zwanzig-Jahr-Jubiläum der Starnacht am Wörthersee auf. Eine große Ehre, die sie zweifellos verdient hat.«
Heinz konnte mit Schlagermusik nichts anfangen, dennoch war selbst ihm der kometenhafte Aufstieg der deutschen Sängerin Saskia Frenzen in den vergangenen Jahren nicht entgangen. Frank Mertens war offenbar ihr Manager.
»Allerdings hat sie dieser Tage einen Drohbrief erhalten, den ich nicht auf die leichte Schulter nehme. Natürlich bekommen Stars wie Saskia merkwürdige Briefe am laufenden Meter, viele kommen von krankhaft verliebten Fans, und immer wieder mal machen sich auch Leute Luft, die es nicht ausstehen können, dass ihre Musik landauf landab zu jeder Stunde und auf jedem Sender gespielt wird.« Mertens verzog den Mund zu einem nachsichtigen Lächeln. »Das verstehen wir alles, sind aber trotzdem auf der Hut, wenn auch meistens unbegründet, Gott sei Dank. Aber bei einem Brief wie dem, um den es hier geht, traue ich mir eine seriöse Einschätzung nicht zu.« Er öffnete die Mappe, die auf dem Tischchen vor ihm lag, und entnahm ihr einen transparenten, wiederverschließbaren Gefrierbeutel, den er zu Oberhofer hinschob.
Der Beutel enthielt ein Blatt Papier und ein Kuvert. Die Schrift auf beiden Stücken war, soweit Heinz es sehen konnte, unregelmäßig und krakelig.
Die Stewardess servierte die Getränke. Heinz bekam ein kleines Tablett mit dem Glas, einem Teelöffel und einem Salz- sowie einem Pfeffer-Briefchen. Er öffnete Letztere und leerte ihre Inhalte in den Tomatensaft, der so dickflüssig war, dass die weißen und schwarzen Körnchen nur langsam versanken. Nachdem er den Saft umgerührt hatte, hob er das Glas an seine Lippen – und dabei traf sein Blick jenen von Müller, der ihn starr und forschend, beinahe drohend ansah. Heinz fragte sich, was mit dem Kerl los war.
Oberhofer überflog Brief und Kuvert, gab einen Zischlaut von sich und schüttelte den Kopf. Er wendete den Gefrierbeutel und kontrollierte kurz die Rückseite der Schriftstücke, dann gab er sie an Heinz weiter. »Klingt nach jemandem, der die Gegebenheiten vor Ort kennt«, meinte er zu Mertens. »Ich nehme an, Frau Frenzen ist während ihres Kärnten-Aufenthalts im Seepark Hotel untergebracht?«
»Ja, ist sie. Brief und Kuvert sind übrigens gleich nach dem Öffnen in diesen Beutel gesteckt worden, um etwaige Fingerabdrücke des Absenders zu schützen.«
Während sich der Landesdirektor anerkennend über die Umsicht des Managers äußerte und dieser erklärte, die für die Fanpost zuständige Dame sei für solche Fälle geschult, nahm Heinz den Brief in näheren Augenschein. Das weiße Blatt Papier hatte ein Eselsohr und war an zwei Stellen zerknittert, die Biegefalten verliefen asymmetrisch. Auch die Schrift war unregelmäßig und verzerrt, stellenweise gar nicht lesbar. Kleckse des verwendeten, offensichtlich schmierenden Kugelschreibers verunzierten das Blatt zusätzlich, es wirkte, als hätte der Briefschreiber sein Werk in einem Rauschzustand verrichtet. Vielleicht handelte es sich auch um einen psychisch Kranken unter Tabletteneinfluss; alles in allem keine beruhigenden Aussichten. Der Inhalt passte zur Form:
Wenn du willst das dir nix passiert, bleibst du, wo du bist! Aber machst du dein Maul auf bei der Starnacht bist du dran! Und in der rechten unteren Ecke stand in schräg angeführten Zeilen: Komm noch einmal ins Seepark und ich lösch dir das Licht, du S…!
Heinz konnte sich lebhaft vorstellen, was das letzte, unleserliche Wort bedeuten sollte.
»Wahrscheinlich ist das Ganze nur ein Sturm im Wasserglas«, meinte Frank Mertens nun. »Auf mich wirkt es, als hätte sich ein frustrierter Kritiker Mut angesoffen und den Brief abgeschickt, bevor er wieder nüchtern war. Aber selbstverständlich dürfen wir keinesfalls davon ausgehen.«
»Da gebe ich Ihnen zu einhundert Prozent Recht«, erwiderte Oberhofer.
Heinz versuchte, einen überraschten Blick zu verbergen. Der Landesdirektor wirkte wie ein Speichellecker, das passte so gar nicht zu ihm. »Wann war Frau Frenzen zum letzten Mal im Seepark Hotel?«, fragte Heinz den Manager.
Dieser musterte ihn mit einem anerkennenden Lächeln. »Ich sehe, Sie verstehen. Saskia und ihr Team waren im Vorjahr dort einquartiert, im Rahmen eines Konzerts in der Wörthersee-Arena. Das muss irgendwann im Frühjahr gewesen sein. Wenn Sie es genau wissen wollen, muss ich nachsehen, ich war damals noch nicht ihr Manager.«
Direktor Oberhofer blickte verständnislos zwischen Heinz und Mertens hin und her. »Ich fürchte, mir ist da etwas entgangen.«
»Im Drohbrief steht: Komm noch einmal ins Seepark, das bedeutet, dass sie schon einmal dort gewesen sein muss«, erklärte Heinz, und der Manager fügte hinzu: »Das ist auch der Grund, warum ich den Schrieb durchaus ernst nehme. Der Briefschreiber hat intime Kenntnisse über Saskias Pläne, so konkret werden die üblichen Verrückten selten.«
Heinz sah noch etwas anderes, das er aber für sich behielt. Während der Haupttext eher allgemein gehalten war, war der Hinweis auf das Seepark Hotel in eine Ecke des Briefes gekritzelt worden. Es hatte den Anschein, als hätte der Schreiber dies ursprünglich gar nicht zum Thema machen wollen, es sich dann aber nicht verkneifen können. »Ich nehme an, ich kann den Brief behalten?«, fragte er den Manager.
»Deshalb habe ich ihn mitgebracht.«
»Weiß Frau Frenzen von dem Brief?«, fragte Oberhofer und erntete dafür ein kurzes, abfälliges Lachen seines Gegenübers.
»Selbstverständlich nicht! Wie ich schon sagte, bekommt Saskia jeden Tag Briefe von Fanatikern und Verrückten, sie wäre kaum noch imstande, ihre Arbeit zu erledigen, wenn sie wüsste, was sich hinter ihrem Rücken alles abspielt.« Mertens warf Oberhofer und Heinz einen forschenden Blick zu, dann klappte er die Mappe zu und meinte: »Wenn das alles war, kann ich ja weiterfliegen. Ich darf doch davon ausgehen, die Fiducia wird dafür sorgen, dass der Drohbriefschreiber nicht zum Zuge kommt, sollte er seine Ankündigung denn ernst meinen?«
Direktor Oberhofer sah Heinz mit einem eigentümlichen Gesichtsausdruck an und antwortete: »Selbstverständlich.« Er stand auf und verabschiedete sich von Frank Mertens.
Heinz nahm noch einen letzten Schluck Tomatensaft und erhob sich dann ebenfalls, um sich zu verabschieden. Seit klar war, dass er heute doch nicht fliegen würde, schmeckte ihm der Saft plötzlich nicht mehr; ein seltsames Phänomen.
Wenige Minuten später standen er und der Versicherungsmann wieder auf dem Rollfeld und sahen zu, wie der Learjet von der Startbahn abhob und seine blinkenden Lichter am Nachthimmel rasch kleiner wurden. Als sie ausgestiegen waren, hatte Heinz zu seiner Überraschung festgestellt, dass die vermeintliche Stewardess auf dem Pilotensitz Platz genommen hatte, neben einem jungen Mann, mit dem sie eine Checkliste für die Startprozedur durchgegangen war. Einleuchtend – wer bezahlte schon eine Stewardess für zwei Passagiere?
»Frank Mertens ist erst seit Jahresbeginn der Manager von Saskia Frenzen«, begann Oberhofer unvermittelt. »Sein Vorgänger hat gesundheitliche Probleme gehabt, mit dem Herz, glaube ich. Saskia Frenzen arbeitet seit Jahren mit Best Heads zusammen, der größten Künstleragentur Deutschlands. Die haben ihr nicht nur Mertens und seinerzeit schon dessen Vorgänger vermittelt, sondern auch den Großteil ihres Teams, vom Bühnentechniker bis zur Visagistin.« Als Heinz nichts darauf erwiderte, wechselte der Landesdirektor, ohne seinen Blick vom Himmel zu wenden, das Thema. »Gestern hat mich der Geschäftsführer der Wörthersee-Events angerufen, das ist die Event-Agentur, die die Starnacht organisiert. Als er mich über den Drohbrief informiert hat, sind bei mir alle Alarmglocken angegangen, wie Sie sich vorstellen können.«
Heinz konnte es sich nicht vorstellen, er hatte keine Ahnung, was das alles hier sollte. Er glaubte nicht, dass die Wörthersee-Events bei der Fiducia eine Versicherung gegen Attentate auf die Stars der Starnacht abgeschlossen hatte – und alles Weitere ergab keinen Sinn.
Dass er auch diesmal schwieg, empörte Direktor Oberhofer offensichtlich. »Was ist mit Ihnen?«, fuhr er Heinz an. »Den ganzen Abend über reden Sie keine zwei Wörter! Außerdem, was soll das? Sie kommen unrasiert zu einer Arbeitsbesprechung?«
Heinz sah ihm in die Augen, verzichtete aber auch diesmal darauf, sich zu rechtfertigen; immerhin hatte Oberhofer vorher mit keiner Silbe erwähnt, was ihn bei ihrem nächtlichen Treffen am Flughafen erwarten würde.
»Sind Sie nicht in Form? Soll ich mich nach einem anderen Detektiv umsehen?«
»Was wollen Sie denn von mir hören?« Heinz musste sich keine Mühe geben, seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen.
»Na endlich! Mir fehlt ein bisserle Ihr Enthusiasmus, Sablatnig. Die Aufgabe, die vor Ihnen liegt, ist zwar keine Großtat, aber konzentrieren müssen Sie sich schon.«
»Dann kommen Sie doch endlich auf den Punkt. Was genau ist meine Aufgabe?«
Oberhofer zog die Augenbrauen hoch, Heinzʼ Direktheit schien ihn zu erstaunen. »Versteht sich das nicht von selbst?«, fragte er.
Heinz vertonte sein Kopfschütteln: »Nein.«
Der Landesdirektor forschte in den Augen des Detektivs und schien irritiert darüber, was er in ihnen sah. »Na gut, dann werde ich Ihnen das Einmaleins vorbeten, wenn es denn sein muss.«
Sein Versuch, Heinz als begriffsstutzig hinzustellen, beeindruckte diesen nicht im Geringsten.
»Frank Mertens hat die Wörthersee-Events über den Drohbrief informiert und deren Chef aufgefordert, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Dieser hat den Ball an mich weitergespielt. Warum? Weil er die Haftpflichtversicherung für die Starnacht bei der Fiducia abgeschlossen hat. Natürlich deckt die Haftpflicht nicht grundsätzlich irgendwelche Attentate auf die Stars ab – über einen blöden Umweg aber möglicherweise doch: Der Veranstalter eines öffentlichen Events haftet nämlich für alle Schäden, die aus eigenem Verschulden entstehen, aber auch aus Verschulden von Erfüllungsgehilfen, von Teilnehmern oder Gästen der Veranstaltung.« Er schnaubte verächtlich. »Wenn sich der Attentäter also unter die Mitarbeiter oder Gäste mischt und zum Zug kommt, kann es sein, dass die Haftpflichtversicherung schlagend wird. Freilich, das muss im Anlassfall ausjudiziert werden, aber Sie werden verstehen, dass es weder die Wörthersee-Events noch die Fiducia so weit kommen lassen wollen. Mit einem Wort: Ich habe dem Mann versprochen, mich um die Sache zu kümmern, und er hat mir dieses Treffen vorhin vermittelt. Ist Ihnen jetzt klar, was ich von Ihnen erwarte?«
Der Versicherungsmann starrte Heinz provokativ an, doch dieser antwortete ruhig: »Sie erwarten von mir, dass ich den Drohbriefschreiber ausforsche und dingfest mache. Bis übermorgen natürlich, weil Sie mir nicht so viel Druck geben könnten, wenn Sie mich gestern schon in die Sache eingeweiht hätten.«
Oberhofer riss überrascht die Augen auf und stammelte einige empörte Silben. Heinz hätte diesen Anblick genossen, wäre er ihm nicht so völlig egal gewesen.
»Jetzt einmal im Ernst, Sablatnig«, hob der Direktor an, als er sich wieder gefasst hatte, »was ist los mit Ihnen? So kenne ich Sie gar nicht.«
Anstelle einer Antwort fragte Heinz: »Ich nehme an, es gelten die üblichen Konditionen?«
Oberhofer nickte stumm.
»Dann mache ich mich besser sofort an die Arbeit. Sie hören von mir.« Er ging ohne ein weiteres Wort davon, auf das Flughafengebäude zu.
Donnerstag, 11.30 Uhr
Heinz’ Brust- und Oberarmmuskeln vibrierten, als er die Langhantel zitternd in ihre Halterung setzte. Er blieb noch für ein paar Sekunden auf der Trainingsbank liegen und schnappte nach Luft. Zweimal zehn Wiederholungen mit fünfundachtzig Kilogramm – das war sein neuer Rekord beim Bankdrücken. Damals, als er Anfang oder Mitte zwanzig gewesen war, hatte er mehrere Jahre lang regelmäßig intensiv trainiert, doch er konnte heute nicht mehr sagen, welches sein höchstes Trainingsgewicht auf der Langbank gewesen war. Er glaubte, sich an fünfundneunzig Kilogramm zu erinnern, hätte darauf aber keinen Eid geleistet.
Heinz hatte nicht vorgehabt, je wieder Krafttraining in so extremem Ausmaß zu betreiben, doch seit er aus Südamerika zurückgekehrt war, schien es ihm eine vernünftige Alternative zu Bier und Schnaps zu sein, und so hatte er sich in diesem Fitnesscenter in der Klagenfurter Innenstadt eingeschrieben. Trotzdem hatte er am Vorabend wieder mehr Bier in sich hineingeleert, als er vorgehabt hatte. Der spätabendliche Termin mit Direktor Oberhofer war ein willkommener Anlass gewesen, nicht schon beim Abendessen mit dem Trinken zu beginnen. Doch als er dann nachhause gekommen war, in seine einsamen vier Wände, und im Internet erste Recherchen zu Saskia Frenzen angestellt hatte, da schien ein Bier gut zu passen, sozusagen als Tagesabschluss. Es war nicht bei einem geblieben.
Ächzend erhob er sich von der Langbank und schleppte sich in den Cardio-Bereich, wo er ein Trainingsrad besteigen wollte. Vorher holte er sich von der Safttheke einige Illustrierte, die vorwiegend weibliches Publikum ansprachen. Während seine Beine in gleichmäßigem Rhythmus die Pedale traten, blätterte er in den Zeitschriften. Wie jedes Mal schüttelte er auch diesmal wieder innerlich den Kopf, wofür sich die Menschen interessierten. Welchen Wert hatte es, zu wissen, welche Schule die kleine Tochter einer schwedischen Adligen besuchen würde, deren Namen Heinz nicht einmal kannte? Und wen gingen die Beziehungsprobleme einer ehemals gefeierten Nachwuchssportlerin etwas an, die nach einer schweren Beinverletzung vor Jahren ihre Profikarriere hatte beenden müssen und seither nur noch in diesen Klatschblättern prominent war?
Aber so war es nun einmal, ob Heinz es verstand oder nicht. Er malte sich aus, dass viele Dinge, für die er sich brennend interessierte, bei anderen Menschen vielleicht ein ebensolches Kopfschütteln auslösten wie die Schulpflicht der kleinen Prinzessin Sowieso und der Herzschmerz der armen XY bei ihm.
In der dritten Illustrierten wurde er fündig. Saskia im Liebesglück?, lautete die Schlagzeile, und der Untertitel verhieß: Verwaltet ihr neuer Manager auch den Schlüssel zu ihrem Herzen?
Wie Heinz es erwartet hatte, lieferte der Artikel viele Vermutungen und wenige Informationen, jede Menge Emotionen und kaum Fakten. Einige Fotos, auf denen Saskia Frenzen und Frank Mertens gemeinsam abgebildet waren, sollten, für Heinz nicht nachvollziehbar, eine intime Beziehung belegen, und ansonsten wurden nur ein paar alte Klischees aufgewärmt und in Beziehung zur titelgebenden Behauptung gesetzt. Den Wahrheitsbeweis sollten Zeugen mit kryptischen Namenskürzeln wie Anne Sch. liefern.
Diese Klischees, über die Heinz schon bei seiner Recherche am Vortag mehrmals gestolpert war, bezogen sich vor allem auf Saskia Frenzens Single-Dasein, das zumeist ihrem exzentrischen Charakter zugeschrieben wurde. Von den meisten Klatschblättern wurde sie nämlich als wahre Furie dargestellt. Als Zeugen dafür wurden einfache Menschen aufgefahren, die irgendwie privat mit ihr zu tun bekommen hatten und erzählten, wie sehr sie von der Sängerin erniedrigt worden seien. Aber auch ihre ständige Rivalität mit dem spanischstämmigen, deutschen Schlagersänger Antonio Corazon war immer wieder ein Thema, wenn auch nur am Rande.
Abgesehen von Tratsch dieser Art hatte Heinz auch Saskia Frenzens Werdegang bereits recherchiert, der sie als frühberufene, hochbegabte und außergewöhnlich ehrgeizige Sängerin zeichnete. Sie stand seit Kindesbeinen auf der Bühne, sang in ihrer Jugend selbstkomponierte und -getextete Lieder und zog später mit ihrer Band als Vorgruppe von diversen Schlagerstars durch die Lande. Ihr endgültiger Durchbruch gelang ihr zwei Jahre zuvor mit dem Lied: Deine Liebe möcht ich sein. Seither stieg sie auf der Pyramide der erfolgreichsten deutschen Schlagerstars stetig Stufe für Stufe weiter nach oben.
Heinz hatte sich auch ein paar Videomitschnitte von Saskia Frenzens Bühnenauftritten angesehen sowie das offizielle Musikvideo ihres aktuellen Erfolgssongs: Fremde Gefühle. Er hatte zugeben müssen, dass die hübsche Sechsundzwanzigjährige mit ihren hüftlangen, braunen Haaren und der perfekt trainierten Figur eine erotische Wirkung auf ihn ausübte. Aber abgesehen davon, dass die Profis im Showgeschäft genau wussten, wie sie diesen Effekt erzielen konnten, hatte zu diesem Zeitpunkt der Alkohol auch schon einen gewissen Einfluss auf Heinzʼ Wahrnehmung gehabt.
Er warf das Klatschblatt zu den anderen auf den Boden und lehnte sich auf den Lenker. In knapp anderthalb Stunden würde er einen Termin mit Ortrud Anderwald haben, der Geschäftsführerin des Seepark Hotels. Sie war nicht sehr erbaut gewesen, als Heinz sich am Morgen so kurzfristig gemeldet hatte, hatte wegen der Brisanz der Angelegenheit aber ein Treffen mit ihm in ihren Terminkalender eingeschoben. Vor diesem Gespräch wollte er sich noch den Friedelstrand ansehen, wo die Starnacht am Wörthersee über die Bühne gehen würde.
Freilich konnte er sich irren, doch aufgrund seiner Erfahrung glaubte Heinz nicht, dass die Aufklärung des Falls viel Zeit in Anspruch nehmen würde. So, wie der Drohbrief geschrieben war, handelte es sich bei dem Verfasser um einen weiblichen oder männlichen Angestellten des Hotels, der schon beim letzten Besuch Saskia Frenzens in dem Hotel gearbeitet und einen Konflikt mit ihr gehabt hatte. Beim üblicherweise hohen Mitarbeiterwechsel im Hotelleriewesen konnten dafür nicht viele Personen infrage kommen, und Frau Anderwald hatte beim Telefonat am Morgen zugesagt, eine Liste dieser Angestellten vorzubereiten.
»Grüß dich Heinz, wie geht’s dir?«
Heinz brauchte gar nicht erst aufzusehen, um zu wissen, wer seine Kreise störte. Es war Wilfried Egger, ein Lokaljournalist der Tageszeitung Kärntner Beobachter. Er und Heinz hatten in der Vergangenheit immer wieder zusammengearbeitet, wenn es darum ging, Informationen auszutauschen. Der Vorteil ihrer Zusammenarbeit bestand darin, dass Egger als Journalist an Informationen herankam, die Heinz verschlossen waren. Im Gegenzug bekam Wilfried Egger die jeweilige Story, immerhin ging es bei dieser Zusammenarbeit immer um einen von Heinzʼ Aufträgen, die mitunter auch für die Medien berichtenswert waren.
Egger kratzte seinen, von einem schlabbrigen, schwarzen T-Shirt bedeckten Kugelbauch so heftig, dass auch sein Hintern wabbelte. Er hob eine der Illustrierten auf, blätterte darin und hielt Heinz eine Doppelseite mit Diättipps hin. »Gehört das zu deinem neuen Fall?«, fragte er amüsiert.
Nachdem Heinz von seinem Urlaub in Südamerika zurückgekommen war, war ihm Wilfried Egger zufällig über den Weg gelaufen und hatte nicht mehr aufgehört zu plappern. Bei dem Versuch, von ihm loszukommen, hatte Heinz den Fehler begangen, sein Training im Fitnesscenter als Vorwand zu benutzen, dass er es eilig habe. Zwei Tage später hatte er Egger hier angetroffen, wobei dieser sich »für den Tipp mit dem Fitnesscenter« bedankt hatte.
Seither begegnete er ihm hier mit ermüdender Regelmäßigkeit, was aber nicht bedeutete, dass Egger zum Trainieren kam. Heinz hatte ihn bislang noch kein anderes Gerät als den Barhocker an der Safttheke benutzen gesehen, und durch die Art der Fragen, die der Journalist ihm stellte, begriff er rasch, was da wirklich ablief: Wilfried Egger hatte seiner Zeitung schon lange keine gute Story mehr geliefert und wollte wohl nicht immer nur Schönwettergeschichten oder Unfallberichte tippen. Er hielt sich also in Heinzʼ Nähe auf, weil er auf einen Knüller hoffte.
»Kann es sein, dass ich dich gestern mit einem schwarzen, tiefergelegten VW von hier wegfahren gesehen habe?«, fragte Egger nun.
»Ja.«
»Was ist das für ein Typ? Der ist so getunt, da erkennt man nicht einmal mehr die Baureihe.«
»Es ist ein Corrado.«
»Ein Corrado?« Egger wirkte nachdenklich, was seinem Mausgesicht mit der Mecki-Frisur ein fast groteskes Aussehen gab. »Das sagt mir jetzt gar nichts.