Die Transparenz der Folter - Wolfgang Streit - E-Book

Die Transparenz der Folter E-Book

Wolfgang Streit

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Beschreibung

Franz Kafka was strongly affected by questions of and writings about colonialism. Against this background this paper in the Ger-man language analyzes the way in which, as an author, he negoti-ates colonial matters in his novella In the Penal Colony. This text reverses the typical visual interaction in the contact zone of the colony, between the colonial context and the visitor to the colony. Also, the text sharpens the destabilizing impact of mimicry as the subaltern convict temporarily presents an inversion, or carnival of power, targeting not the colonial master, but the traveler responsi-ble for interpretation and, ultimately, the reader. This role is fur-ther underpinned by the motif of cannibalism. The subaltern is also a vehicle for the text to not only depict but also uncannily expose as constructed, the way in which the “other” is mobilized to provide the colonial apparatus with identity. Most of all, however, on several levels the text epistemologically questions the fundamental fantasy of the colonial order of unequi-vocal meaning, as the “contrapuntal reading“ of In the Penal Co-lony – according to Edward Said – reveals. Kafka’s text depicts the futile dream of a unitary power system, primarily by means of the angst-ridden officer seeking to provide a spectacle of pretended transparency around the con¬struction plans for the machine, the death sentence, the machine’s mechanics and the execution, with¬out allowing for any interpreta¬tion. All these textual strategies converge in the goal of exposing the untenable nature of the doomed colonial order depicted, even though Kafka as a person was far from criticizing Habsburg’s colonial empire.

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Inhaltsverzeichnis

Rezeption

Postkolonialer Kafka?

Sprache; „Kleine Literatur“

In der Strafkolonie:

Kolonialer Kontext; Handlung

Der Reisende

Kannibalismus, Mimikry

Transparenz, Polysemie, Körperlichkeit

Die erste Fassung dieser Abhandlung erschien als Kapitel D iii in:

Streit, Wolfgang. 2014. Einführung in die Postkolonialismus-Forschung. Theorien, Methoden und Praxis in den Geisteswissenschaften. Norderstedt: BoD.

Abstract:

Franz Kafka was strongly affected by questions of and writings about colonialism. Against this background this paper in the German language analyzes the way in which, as an author, he negotiates colonial matters in his novella In the Penal Colony. This text reverses the typical visual interaction in the contact zone of the colony, between the colonial context and the visitor to the colony. Also, the text sharpens the destabilizing impact of mimicry as the subaltern convict temporarily presents an inversion, or carnival of power, targeting not the colonial master, but the traveler responsible for interpretation and, ultimately, the reader. This role is further underpinned by the motif of cannibalism. The subaltern is also a vehicle for the text to not only depict but also uncannily expose as constructed, the way in which the “other” is mobilized to provide the colonial apparatus with identity.

Most of all, however, on several levels the text epistemologically questions the fundamental fantasy of the colonial order of unequivocal meaning, as the “ contrapuntal reading“ of In the Penal Colony – according to Edward Said – reveals. Kafka’s text depicts the futile dream of a unitary power system, primarily by means of the angst-ridden officer seeking to provide a spectacle of pretended transparency around the construction plans for the machine, the death sentence, the machine’s mechanics and the execution, without allowing for any interpretation. All these textual strategies converge in the goal of exposing the untenable nature of the doomed colonial order depicted, even though Kafka as a person was far from criticizing Habsburg’s colonial empire.

Rezeption

Wie wird Franz Kafka gelesen? Wie jeder Klassiker auf die verschiedensten denkbaren Weisen. Das Schreiben Franz Kafkas verführt so sehr dazu, sie als Parabeln etwa mit dem Blick auf die Bürokratie oder auf moralische Fragen zu verstehen, dass die Versuche der Forschung, Kafka aus dem allgemein Symbolischen in die konkrete Lebenswelt zurückzuführen oftmals im Individualpsychologischen steckenbleiben: Immer wieder „Kafka und der Vater,“ „Kafka und die Frauen.“ Dazu trägt die Überfülle an Material in umfangreichen Konvoluten von Briefen und Tagebüchern bei.

Nach dem frühen Tod des Autors 1924 betont zunächst der ehemalige Freund und Nachlassverwalter Max Brod die religiöse Dimension des Autors. Seine Empfehlung, das Judentum als Schlüssel zu Kafkas Werk einzusetzen, bestimmt die Rezeption des Werkes bis in die dreißiger Jahre (Rolleston 2002: 1) und ist bis heute nicht überholt (Anderson, M. 2001). Mit den geistesgeschichtlichen Strömungen des 20. Jahrhunderts nutzt die Forschung alle wichtigen Interpretationsansätze, um die Bedeutung des Oeuvres zu erhellen, seien es existentialistische, psychologische, strukturalistische oder post-, bzw. neostrukturalistische.

Das Projekt der Edition von Kafkas Manuskripten, das einer breiteren Leserschaft seit geraumer Zeit die Arbeitsweise des Modernisten nahebringt, bedeutet nicht, dass sich der Blick auf die Textstufen, die der Publikation vorgelagert sind, mit der Kenntnis von Kafkas materiellen und ideologischen Schreibbedingungen verbindet. Tatsächlich verweigern sich Vertreter und Vertreterinnen der deutschsprachigen Kafka-Forschung – wie etwa Imke Meyer in ihrer Studie von 2001 – auch noch im 21. Jahrhundert Kafkas so-zio-historischem Kontext. Und selbst eine der wenigen jüngeren Arbeiten zu Kafka, die das Politische im Titel führt, untersucht nicht Kafkas Verhandlung der Donaumonarchie, sondern beruft sich auf Hannah Arendts Diktum zur „Konzentration auf allgemeinst Menschliches“ (Neuhäuser 1998: 10). Doch bereits zur Mitte des 20. Jahrhunderts beginnen Forscher wie Paul Reimann (1957) Kafkas Oeuvre mit politischen Interpretationen im engeren Sinn zu „erden.“ Bei solchen Ansätzen stehen allgemeiner Kapitalismuskritik, wie der von Chris Bezzels Kafka-Chronik (1975), konkretere Situierungen gegenüber. Diese erstrecken sich auf die Fragen nach Kafkas kolonialer Dimension.

Postkolonialer Kafka?

Während die bundesdeutsche Forschung zur Donaumonarchie damit noch zögert, das Instrumentarium der Postkolonialismus-Forschung einzusetzen, wenden es die US-amerikanischen (z.B. Goebel 2002) und kanadischen (z.B. Zilcosky 2002a) „German Studies“ und, wie Immler beschreibt (2002), österreichische Forscher wohlüberlegt an. Daran arbeitet unter anderem das kulturwissenschaftliche Projektteam „Herrschaft, ethnische Differenzierung und Literarizität in Österreich-Ungarn (1867-1918).“ Wenn dabei aber Clemens Ruthner (2002) mit Andrea Allerkamps (1991: 1) Begrifflichkeit lediglich von einer Situation „Innerer Kolonisierung“ spricht, besteht die Gefahr des analytischen Verlassens des kolonialen Raumes. Allerkamp nimmt mit ihrem individualpsychologischen Begriff Prozesse in den Blick, „die sich innerhalb eines Subjekts ereignen, das sich – wie ein Territorium – als entdeckt, erforscht und kolonisiert beschreibt.“ Es ist zu hoffen, dass in der Postkolonialismus-Forschung zum Habsburgerreich die begriffliche Trennschärfe zwischen realem Kolonialismus und psychischer Metaphorik nicht ebenso leidet wie bei Allerkamp, wo der Begriff der Kolonialisierung auch Vergewaltigung außerhalb kolonialer Kontexte umfassen soll.

Wie lassen sich nun die kulturellen Phänomene in der Donaumonarchie, die nominell keine Kolonien besaß, sehr wohl aber Bosnien und Herzegowina 1908 annektierte, begrifflich fassen? Russell Berman (1998: 10) stellt die Frage, inwieweit die für den anglofranzösischen Kulturkreis entwickelten Konzepte der Postkolonialismus-Forschung im austro-germanischen Bereich analytische Kraft entfalten können und vergibt damit einen Forschungsauftrag, der unterschiedlich angenommen wird. So weist etwa Ursula Reber (2002) die für Kolonialsituationen typische Konstruktion eines „anderen“ für die – auch Kakanien genannte – k.u.k.-Monarchie zurück, um an dessen Stelle den Begriff des „Aberranten“ in Anschlag zu bringen. Doch der Grund dafür erschließt sich nicht. Zwar kann man der deutschen Kultur unterstellen, im Kontext der Aufklärung flexiblere Konzepte des Umgangs mit dem „anderen“ entwickelt zu haben als die großen Kolonialmächte, und es ist auch nicht falsch, davon auszugehen, dass die Methoden der Postkolonialismus-Forschung dynamisch und veränderbar sind und ein eklektischer Einsatz der Begrifflichkeit (Goebel 2002: 188) naheliegt; doch ein essentialisiertes anderes, das von einem Selbstbild abweicht, ist nicht kategorial von etwas Aberrantem zu trennen, sondern fällt mit diesem logisch zusammen.