Freitags Widerstand und die Unterwanderung von Crusoes Vorherrschaft - Wolfgang Streit - E-Book

Freitags Widerstand und die Unterwanderung von Crusoes Vorherrschaft E-Book

Wolfgang Streit

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Beschreibung

Abstract: Despite the general view of Robinson Crusoe as a manifesto for colonial empowerment this paper in the German language shows that the text in fact exposes the paradigmatic self-affirming colonial subject as inherently instable. It does so not only by the initial perforation of Crusoe’s name, but also by failing “pro-imperialist apology” – according to Edward Said’s idea of contrapuntal read¬ing – aimed at legitimiz¬ing Crusoe’s supremacy over “his” island, and his power over the main non-Western protagonists, Xury and Friday. Both these parallel cases of subjugation are ridden by almost absurd logical, or economic contradic¬tions exposing the futility at the heart of their mechanics. Also, the presentation of Crusoe’s superiority by means of the con¬struction of reli¬gious alterity is inconsistent as traces of hybridization within the Chris¬tian creed show. Moreover Crusoe’s will to establish his Western language usage as superior backfires when Creo¬lization enters the protagonist’s own discourse, and his self-aggrandizing declaration of being master of his island is subverted by antagonistic elements, which he – unsuccessfully – tries to exclude from the realm of hu¬mankind – by unconvincingly de¬picting their cannibal eating hab¬its. Further, “anti-imperialist resistance” according to Said becomes obvious within the text when the visual contrast between Crusoe and colonized peoples – one of the markers of alterity – collapses as Friday acquires phenotypical Western traits and Crusoe devel-ops non-Western features. But it is Friday who symbolically resists colonial power most potently. Far from being only the obedient servant desired by his master he stubbornly refuses to speak Eng-lish adequately, thus exposing Crusoe’s deficiency of authority. But most of all, after years of subjugation, he stages a revolt not only against Crusoe, but – in the name of all colonized peoples – against Western colonists.

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Eigennamen

Paradigma der Kolonisierung

Die Legitimation der Versklavung

Freitag: Die widersprüchliche Aneignung des anderen

Die symbolische Revolte Freitags

Die erste Fassung dieser Abhandlung erschien als Kapitel D ii in:

Streit, Wolfgang. 2014. Einführung in die Postkolonialismus-Forschung. Theorien, Methoden und Praxis in den Geisteswissenschaften. Norderstedt: BoD.

Inhaltsverzeichnis

Abstract

Eigennamen

Paradigma der Kolonisierung

Die Legitimation der Versklavung

Freitag: Die widersprüchliche Aneignung des anderen

Die symbolische Revolte Freitags

Literatur

Namensregister

Abstract:

Despite the general view of Robinson Crusoe as a manifesto for colonial empowerment this paper in the German language shows that the text in fact exposes the paradigmatic self-affirming colonial subject as inherently instable. It does so not only by the initial perforation of Crusoe’s name, but also by failing “pro-imperialist apology ” – according to Edward Said’s idea of contrapuntal reading – aimed at legitimizing Crusoe’s supremacy over “his” island, and his power over the main non-Western protagonists, Xury and Friday. Both these parallel cases of subjugation are ridden by almost absurd logical, or economic contradictions exposing the futility at the heart of their mechanics. Also, the presentation of Crusoe’s superiority by means of the construction of religious alterity is inconsistent as traces of hybridization within the Christian creed show. Moreover Crusoe’s will to establish his Western language usage as superior backfires when Creolization enters the protagonist’s own discourse, and his self-aggrandizing declaration of being master of his island is subverted by antagonistic elements, which he – unsuccessfully – tries to exclude from the realm of humankind – by unconvincingly depicting their cannibal eating habits.

Further, “anti-imperialist resistance ” according to Said becomes obvious within the text when the visual contrast between Crusoe and colonized peoples – one of the markers of alterity – collapses as Friday acquires phenotypical Western traits and Crusoe develops non- Western features. But it is Friday who symbolically resists colonial power most potently. Far from being only the obedient servant desired by his master he stubbornly refuses to speak English adequately, thus exposing Crusoe’s deficiency of authority. But most of all, after years of subjugation, he stages a revolt not only against Crusoe, but – in the name of all colonized peoples – against Western colonists.

Eigennamen

Im Zentrum von Robinson Crusoe (Defoe 1719 / 2001) liegt die Verhandlung der westlichen, abendländischen Identität. Die Hauptfigur des Romans hieß nicht immer Robinson Crusoe. Ihr ursprünglicher Name ist Robinson Kreutznaer (RC 5), und erst im Zuge eines Assimilierungsprozesses wird die Figur zum „Helden“ des mit mehr als eintausend von Robert Lovett (1991) gezählten Ausgaben vom Ersterscheinen bis 1979 nach der Bibel wohl „am meisten verbreitete[n] und am häufigsten gelesene[n] Werk[es] der Weltliteratur“ (Reinhold 1978: 61). Während Daniel Defoe die Namensgebung in Moll Flanders gezielt dazu einsetzt, die verschiedenen Identitäten der titelgebenden Figur auszugestalten (Blewett 1989: 8 f), treibt er das Spiel mit dem Namen in seinem ersten Roman bereits subtiler. Der aus Bremen eingewanderte Vater Crusoe übergibt noch seinen deutschen Nachnamen an den Sohn, der dann im englischen York zu der bekannten Namensform anglisiert wird. Dagegen stammt der Vorname Robinson vom Geburtsnamen der Yorker Gattin des Vaters. Damit ist der Name „Robinson Crusoe“ defizitär, weil er der Hauptfigur nur Merkmale der Sippschaft und keine der Individualität zuweist, wie es ein Vorname tun würde. Auch muss sich der Ich-Erzähler selbst ins Wort fallen und Zweifel an der Akzeptanz seines Namens einräumen, als er gerade behaupten möchte, dieser Familienname sei allgemein anerkannt: „wir werden jetzt Crusoe genannt; nein, wir heißen uns selbst so“ (ebd.). Erst anschließend stellt er fest, dass zumindest seine Gefährten seinen Namen akzeptieren, was aber bei dem notorischen Einzelgänger Crusoe noch nicht viel heißt.

Wer dies als Randaspekt des Romans ansieht, verkennt die mit der Namensforscherin Claire Culleton (1994: 31) grundsätzlich überragende Bedeutung des Namens für die Konstruktion der Identität. Zudem besitzt der Eigenname eine literaturhistorische Dimension: Ian Watt (1957: 18-21) zufolge individualisiert der im 18. Jahrhundert entstandene Roman das moderne Subjekt nicht zuletzt durch dies zentrale Attribut. Daher lesen sich die „onomastischen,“ also Namens-Perforierungen der Hauptfigur Robinson Crusoe als Signatur der Instabilität des Individuums und von dessen Identität. Sie sind Anzeichen eines Kampfes um Selbstbehauptung, den der Roman im Titel und am Textanfang ankündigt, um ihn in der Handlung auszutragen.

Nach seinem Schiffbruch will Crusoe seinen onomastischen Makel an den Indigenen weitergeben. Dessen Namen als Bezeichnung der ethnischen und familiären Verwurzelung erfragt er erst gar nicht. Stattdessen erweitert er die Praxis von Kolonisten, Inseln den Namen ihres Entdeckungstages zu geben (Liebs 1977: 24) in den zwischenmenschlichen Raum hinein. Der arbiträre Name des Tages der Begegnung zwischen Crusoe und dem späteren Träger des Namenssurrogats markiert die Strategie Crusoes, die Identität des durch die Benennung zum Ding „versachlicht[en]“ (ebd.) Indigenen auszublenden und durch die onomastische Neu-Einschreibung für seine eigenen Zwecke zu konstruieren: Mit Seamus Deane (1990: 18) ist „die Namengebung und Umbenennung eines Ortes, die Namengebung und Umbenennung einer Rasse, einer Region oder einer Person ebenso wie alle Handlungen von ursprünglicher Benennung eine Handlung der Besitzergreifung.“ Damit symbolisiert die nicht-christliche Taufe auf den nicht-christlichen Name „Freitag“ das für den Kolonialismus typische Wechselspiel aus Ausgrenzung und Aneignung. Diese dialektische Krücke dient – als „anderes“ Gegenbild – der Abstützung der eigenen, als defizitär ausgewiesenen Identität.

Doch es spielt auch eine Rolle, dass den genannten Defiziten von Crusoes Namen, die er nicht wettmachen kann, ein doppelter Überschuss an Bedeutung gegenübersteht: Der Name „Crusoe” artikuliert die Hybridität des Exilanten. Weil die metonymische Reihung von Familiennamen sich endlos über weitere Namensformen und Verortungen fortsetzen könnte, besitzt die im Titel genannte Hauptfigur eine überindividuelle, symbolische Reichweite. Mit der Deplatzierung und dem nicht zuletzt ökonomischen Mangel qualifiziert der Text Crusoe zum internationalen Archetypen des Kolonisten, dessen koloniale Mission an einem festen, in Besitz genommen Ort mit einem unterjochten anderen als Eigentum, die eigene Mangelhaftigkeit kompensieren soll. Konsequent bestimmen der Nobelpreisträger für Literatur, Derek Walcott (Thieme 1999: 76), und eine der bedeutendsten Postkolonialismus-Forscherinnen, Helen Tiffin (1989: 39), Robinson Crusoe – gemeinsam mit William Shakespeares Der Sturm – als einen für den Kolonialkontext paradigmatischen Text.

Paradigma der Kolonisierung