Die vermisste Tochter - Soraya Lane - E-Book
SONDERANGEBOT

Die vermisste Tochter E-Book

Soraya Lane

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Einladung zum Träumen und in-der-Ferne-schwelgen: Reisen Sie mit »Die vermisste Tochter«, dem 2. Teil der bewegenden Familiengeheimnis-Saga »Die verlorenen Töchter« von Soraya Lane, in das Kuba der 1950er Jahre. Kunstvoll verwebt die Autorin zwei emotionsgeladene Liebesgeschichten und das Schicksal zweier Frauen in Gegenwart und Vergangenheit. Kommen Sie mit auf ein gefühlvolles Leseabenteuer! Auf den Spuren eines Familiengeheimnisses ins glanzvolle Kuba der 1950er London in der Gegenwart. Es beginnt mit einer kleinen hölzernen Schachtel mit dem Namen ihrer Großmutter und der Zeichnung eines Familienwappens: Claudia fällt ein geheimnisvolles Erbstück in die Hände und ihre Neugier ist geweckt – ist das der Schlüssel, um endlich mehr über das Leben ihrer verstorbenen Großmutter zu erfahren? Ihre Nachforschungen stoßen sie auf die kubanische Familie Diaz, der in den 1950er-Jahren eine große Zuckerrohrplantage gehörte. Kurzentschlossen fliegt Claudia nach Havanna, um mehr über die Vergangenheit ihrer Familie zu erfahren. Kaum angekommen ist sie wie verzaubert von der quirligen, vor Lebensfreude sprudelnden Stadt und spürt eine ungekannte Verbundenheit mit dem Land und seinen Bewohnern. Als sie den Koch Mateo trifft, zeigt dieser ihr nicht nur das beste Street Food von Havanna, sondern hilft ihr auch dabei, dem Geheimnis um ihre Großmutter auf die Spur zu kommen. Gemeinsam machen sie sich auf eine emotionale Reise in die Vergangenheit, in das opulente und leidenschaftliche Kuba der 1950er Jahre. Mitreißend und wunderbar atmosphärisch erzählt der Familiengeheimnis-Roman von Soraya Lane eine dramatische Familiengeschichte und die Geschichte einer Liebe, die alle Grenzen überwindet. Entdecken Sie mehr Familienromane von Soraya Lane Im 1. Teil der Familiengeheimnis-Saga – »Die verlorene Tochter« – macht sich die junge Winzerin Lily in Italien auf die Suche nach der Geschichte ihrer Großmutter. Wenn Sie die Familiensagas von Lucinda Riley lieben, sollten Sie unbedingt die Romane von Soraya Lane entdecken!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 447

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Soraya Lane

Die vermisste Tochter

Roman

Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Auch Claudia hat aus dem Nachlass eines ehemaligen Frauenhauses eine kleine hölzerne Schachtel mit dem Namen ihrer Großmutter geerbt. In der Schachtel befinden sich eine alte Visitenkarte mit einer Adresse bei der Londoner Börse und die Zeichnung eines Familienwappens. Vor allem das Wappen lässt Claudia nicht los: Schließlich stößt sie auf die kubanische Familie Diaz, der in den 50er-Jahren eine große Zuckerrohrplantage gehört hat. Kurzentschlossen fliegt Claudia nach Havanna – und ist wie verzaubert von der quirligen, vor Lebensfreude sprudelnden Stadt. Als sie ihr Wappen an einem Foodtruck dem Koch Mateo zeigt, beginnt eine emotionale Reise in die Vergangenheit …

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

Epilog

An die Leser*innen

Danksagung

Leseprobe zu Band 2: Die verheimlichte Tochter

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

 

 

 

 

Für Richard King

Danke, dass du an diese Serie glaubst und der Welt davon erzählst.

Prolog

Privatresidenz von Zuckerbaron Julio DiazHavanna, Kuba, 1950

Esmeralda hatte sich bei ihrer Schwester María untergehakt, als sie gemeinsam in den Salon zu ihrem Vater gingen. Eines der Dienstmädchen war zuvor nach oben geeilt, um ihnen mitzuteilen, dass sie Besuch hätten und sofort herunterkommen sollten, doch das war nichts Ungewöhnliches. Ihr Vater führte seine Töchter gerne vor, sie waren sein ganzer Stolz. Früher, als ihre Mutter noch am Leben war, hätten ihre Eltern wahrscheinlich Gäste empfangen, ohne dass ihre Töchter mehr tun mussten, als einmal zur Schau in den Raum hinein- und wieder herauszugehen, doch jetzt zog ihr Vater es vor, seine Mädchen an seiner Seite zu haben. Er mochte nichts lieber, als sie lächeln und seine Geschäftspartner und Freunde unterhalten zu sehen. Seine Augen leuchteten, wenn sie den Raum betraten, und er war nie zufriedener als in Gesellschaft seiner Töchter.

Doch heute war alles anders. Heute verlor Esmeralda zum ersten Mal ihre perfekt einstudierte Gelassenheit, ihre Füße blieben wie von selbst stehen, obwohl María weiterging und versuchte, sie mitzuziehen, selbst als Gisèle hinter ihnen in den Raum schwebte und im Vorbeigehen gegen ihre Schulter stieß, begierig zu sehen, wer der unangekündigte Gast war.

Denn dort, auf dem opulenten, goldumrandeten Sofa saß Christopher, der sich erhob, als sie und ihre Schwestern den Raum betraten.

Mein Christopher ist hier. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und ihr Mund wurde trocken. Das darf nicht wahr sein. Wie kann Christopher hier sein, in Kuba?

»Esmeralda, du erinnerst dich an Mr. Dutton aus London?« Ihr Vater strahlte sie an, eine Zigarre in der Hand, als er sie heranwinkte. »Und das«, fuhr er an seinen Gast gewandt fort, »sind meine beiden nächstjüngeren Töchter, María und Gisèle.«

Esmeralda zwang sich, ihre Füße zu bewegen, denn sie wollte nicht, dass ihr Vater bemerkte, wie sehr Christophers Anwesenheit sie aufwühlte. Sie war dankbar dafür, dass sein Blick den ihren nur flüchtig traf, seine Manieren waren tadellos. Hatte sie sich nur eingebildet, was zwischen ihnen geschehen war? Wie er sie in London angesehen hatte, wie sich ihre Hände berührt hatten, ihre kleinen Finger, als sie das letzte Mal auseinandergegangen waren?

»Wie wunderschön, Sie wiederzusehen, Esmeralda«, sagte Christopher und nickte ihr zu, bevor er sanft erst Marías Hand und dann Gisèles nahm. Ihre Wangen wurden heiß, als sie ihn beobachtete, während María ihr über die Schulter hinweg mit hochgezogenen Augenbrauen einen fragenden Blick zuwarf, bevor er ihr einen Kuss auf den Handrücken hauchte. Natürlich hatte sie ihren Schwestern von dem gut aussehenden Engländer erzählt, schließlich kreisten ihre Gedanken um kaum etwas anderes, seit sie aus London zurückgekehrt war, aber niemals hätte sie sich vorstellen können, dass er nach Kuba kommen würde. Als sie an der Reihe war, hielt Christopher ihre Hand nur eine Sekunde zu lange fest, während seine Lippen ihre Haut berührten und sein Blick den ihren suchte.

»Was, äh, was«, stammelte Esmeralda und räusperte sich, als er ihre Hand losließ. »Was führt Sie denn den ganzen weiten Weg nach Havanna, Mr. Dutton?«

»Ihr Vater hat darauf bestanden, dass jemand von der Firma persönlich herkommt, um die Produktion aus erster Hand zu inspizieren«, sagte Christopher, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, und setzte sich wieder, während ihr Vater seinen Töchtern zu verstehen gab, dass auch sie Platz nehmen sollten. »Ich muss gestehen, dass man ihm nur schwerlich einen Wunsch abschlagen kann und ich der Gelegenheit nicht widerstehen konnte, selbst nach Kuba zu kommen, insbesondere nach allem, was Sie mir in London über Havanna erzählt haben. Sie haben ein wunderschönes Bild von Ihrem exotischen Land gezeichnet.«

In diesem Moment eilte eines der Dienstmädchen ins Zimmer, und da die Aufmerksamkeit ihres Vaters abgelenkt war, gönnte sie sich einen Moment, um Christopher wirklich anzusehen. Der Knoten in ihrem Magen löste sich auf, als er lächelte und ihr mit seinem Blick verriet, dass er genauso froh war, sie zu sehen, wie sie ihn.

Vielleicht habe ich mir seine Gefühle für mich ja doch nicht eingebildet.

»Eine Flasche unseres besten Champagners«, verkündete ihr Vater, zündete sich die Zigarre an und paffte den duftenden Rauch in den Raum, während das Dienstmädchen davonhuschte, um seiner Bitte nachzukommen.

Als Esmeralda an Christopher vorbeiging, dabei der Stoff ihres Kleides an seinem Knie entlangstrich und er ihren Finger mit seinem einfing, stockte ihr der Atem. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, in der ihre Finger sich ineinander verhakten, so kurz, dass es unmöglich jemand hätte bemerken können, aber es sagte ihr alles, was sie wissen musste.

Er ist nicht nur gekommen, um Kuba zu sehen.

Er ist den ganzen Weg hierhergereist, um mich zu sehen.

1

London, Gegenwart

Claudia hatte die Musik laut aufgedreht, den Pinsel in der Hand, während sie der weißen Fensterbank den letzten Anstrich verpasste. Sie hatte die letzten sechs Monate damit verbracht, der Wohnung neues Leben einzuhauchen, und jetzt würde es nur noch ein paar Tage dauern, bis sie mit den Renovierungsarbeiten fertig war.

Sie trat einen Schritt zurück und bewunderte ihr Werk. Es machte sie ein bisschen wehmütig, dass sie sich von der Wohnung trennen musste, obwohl sie nie vorgehabt hatte, sie zu behalten. Dies ist ein Geschäft, sagte sie sich. Man verliebt sich nicht in ein Projekt. Das ist kein Zuhause.

Es war die zweite Wohnung in Chelsea, die sie innerhalb des letzten Jahres renoviert hatte, und sie hatte jede Sekunde davon genossen. Das Design, die Malerarbeiten, das Styling – es war so weit von ihrem früheren Job entfernt, und doch verschaffte es ihr ein Maß an Zufriedenheit, das ihr in ihrer ersten Laufbahn immer gefehlt hatte.

Die Musik hörte auf und wurde vom Klingeln ihres Handys abgelöst. Sie legte den Pinsel weg und wischte sich die Hände an ihrem Overall ab, bevor sie den Anruf annahm. Wahrscheinlich war es ihre Mutter oder ihr Vater, das wusste sie, noch bevor sie auf das Display sah. Die einzigen Menschen, die sie in letzter Zeit anriefen, waren ihre Familie oder Telefonverkäufer.

Die Anrufer-ID sagte ihr, dass sie richtiglag. »Hallo, Mum.«

»Hi, Schatz, wie geht es dir?«

»Großartig. Ich streiche gerade noch etwas, aber ansonsten bin ich hier fast fertig.«

»Wunderbar, wir freuen uns schon sehr darauf, die Wohnung zu sehen, wenn wir das nächste Mal raufkommen.«

Claudia wusste, wie schwer die Umstellung für ihre Mutter gewesen war. Sie war so stolz auf ihre einzige Tochter gewesen, als diese an der Universität Wirtschaft studiert hatte, und noch stolzer, als sie einen beeindruckenden Job in der Finanzbranche bekommen hatte, genau wie ihr Vater. Ihr Bruder war Anwalt geworden, worüber sich ihre Eltern ebenso gefreut hatten, aber da ihre Mutter nie studiert oder selbst Karriere gemacht hatte, beschlich Claudia oft das Gefühl, dass sie durch ihre Tochter ein Leben nachholte, das sie selbst nie gehabt hatte. Zumindest bis besagte Tochter ihren schicken Job gekündigt und verkündet hatte, dass sie fortan ihren Lebensunterhalt mit der Renovierung und dem Verkauf von Immobilien verdienen wollte.

»Bleibt es dabei, dass ich am Wochenende zu euch komme?«, fragte Claudia.

»Aber natürlich! Wir freuen uns schon darauf, dich zu sehen, aber deshalb rufe ich nicht an.«

Claudia begann geistesabwesend, den Pinsel zu reinigen, während sie darauf wartete, dass ihre Mutter fortfuhr.

»Ich wollte dich fragen, ob du am Freitag für mich einen Termin wahrnehmen könntest.«

»Diesen Freitag? Klar. Was ist das für ein Termin?«

Ihre Mutter räusperte sich. »Hör zu, es mag seltsam klingen, aber wir haben vor Kurzem die Einladung zu einem Kanzleitermin erhalten, die an die Erben deiner Großmutter adressiert ist, und obwohl dein Vater glaubt, dass es sich dabei nur um einen Scherz handeln kann, denke ich, dass es sich dennoch lohnen würde, dorthin zu gehen, und sei es nur, um zu sehen, worum es geht.«

»O-kay«, sagte Claudia und ging in die Küche, um einen Kaffee aufzusetzen, während sie ihrer Mutter weiter zuhörte. Was für ein Termin sollte das sein, dem ihr Vater nicht traute?

»Ich schicke dir den Brief, sobald ich aufgelegt habe, aber es würde mir sehr viel bedeuten, wenn du hingehen könntest. Ich möchte nicht respektlos gegenüber deiner Großmutter sein, indem ich mir die Mühe spare.«

Claudia nickte. Ihre Mutter bat sie selten um etwas, also machte es ihr nichts aus, aber die Tatsache, dass ihr Vater dachte, es könnte ein Scherz sein, was auch immer es sein mochte, beunruhigte sie. Mit seinem Instinkt lag er normalerweise richtig.

»Mum, wenn du willst, dass ich gehe, dann gehe ich. Maile mir einfach die Einladung zu.«

»Danke, mein Schatz. Ich wusste, du würdest Ja sagen.«

Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten, bevor Claudia sich verabschiedete, und kurz nach dem Ende des Telefonats traf die versprochene E-Mail ein. Sie öffnete sie und überflog schnell die Nachricht.

 

Zum Nachlass »Catherine Black«

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten um Ihre Anwesenheit in der Kanzlei von Williamson, Clark & Duncan in Paddington, London, am Freitag, den 26. August, um 9 Uhr, um einen Gegenstand aus dem Nachlass entgegenzunehmen. Bitte setzen Sie sich mit unserem Büro in Verbindung, um den Erhalt dieses Schreibens zu bestätigen.

 

Claudia las den Text noch einmal durch und war verwirrt. Kein Wunder, dass ihr Vater befürchtete, es könnte sich um einen schlechten Scherz handeln. Aber wenn ihre Mutter wollte, dass sie herausfand, worum es ging, dann würde sie dort hingehen. Grandmas Tod war für sie alle schwer gewesen, vor allem, weil ihre Großmutter die große Köchin der Familie gewesen war und immer alle zum Sonntagsessen eingeladen hatte – eine Tradition, die nach ihrem Tod im letzten Jahr nur noch sporadisch fortgesetzt wurde und dann schließlich ausgelaufen war. Vielleicht war es für ihre Mutter noch zu früh, um sich mit dem Nachlass zu befassen. Vielleicht gab es noch ein paar Sachen, um die sie sich noch nicht gekümmert hatten, auch wenn ihr Vater normalerweise sehr pingelig war, was Papierkram und unerledigte Dinge anging.

Claudia machte die Musik wieder lauter und wandte sich der Wohnung zu, um nicht daran denken zu müssen, wie schwierig das vergangene Jahr gewesen war. Innerhalb weniger Monate hatte sie ihre Großmutter und ihre beste Freundin verloren, und dass ihr neuer Job keinerlei Verbindung zu ihrer Vergangenheit hatte, war einer der Gründe, warum sie ihn so liebte.

Sie sah sich um und lächelte, als sie ihre Arbeit bewunderte. Die Wände waren jetzt in einem sanften Weiß gehalten, die Küche war fast fertig, und der Holzboden, der noch unter den Abdeckplanen verborgen war, hatte den perfekten Farbton. Wenn erst einmal alles mit Möbeln ausgestattet war, würde es wunderschön aussehen.

Sie mochte den Businessanzug gegen einen Arbeitsoverall getauscht und ihr Haar zu einem unordentlichen Knoten zusammengenommen haben, anstatt es sorgfältig zu frisieren, aber in Wahrheit war sie nie glücklicher gewesen. In ihrem alten Job hätte sie nicht bleiben können, nicht nach allem, was passiert war, und diese Arbeit hier gab ihr ein gutes Gefühl, anstatt ihr jeden Tag aufs Neue Unmögliches abzuverlangen.

Jetzt muss ich die Wohnung nur noch verkaufen und versuchen, Gewinn damit zu machen.

2

Claudia führte die Immobilienmaklerin durch die Wohnung, zeigte ihr erst die frisch gefliesten Bäder und pries dann die neu gelieferten Möbel an, während sie zurück in die offene Küche und den Wohnbereich gingen. Die Sonne schien, und sie hatte die Türen zur Terrasse geöffnet – es war einer dieser Tage, an denen es unmöglich war, sich hier nicht wohlzufühlen.

»Es ist atemberaubend, absolut atemberaubend«, sagte die Maklerin und ließ die Hände über die marmorne Arbeitsfläche in der Küche gleiten. »Ich bin sicher, die verkaufen wir sehr schnell. Wann wollen Sie sie anbieten?«

»Ich werde mich noch diese Woche entscheiden«, sagte Claudia, blickte auf das Sofa im Freien und sah sich schon wieder dort sitzen. Aber wenn sie hierblieb, musste sie sich eine andere Arbeit suchen. Sie konnte sich das nächste Projekt auf keinen Fall leisten, solange sie nicht diese Wohnung verkauft hatte.

»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie sich entschieden haben«, bat die Maklerin. »Wir haben mit Sicherheit Kunden, die die Wohnung besichtigen wollen, bevor wir sie inserieren.«

Claudias Telefon brummte in ihrer Tasche, und sie nahm es heraus. Termin mit Anwaltskanzlei. »Es tut mir sehr leid, aber ich habe gerade gemerkt, dass ich zu spät zu einem Meeting komme«, sagte sie. »Ich melde mich sehr bald bei Ihnen. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!«

Schnell führte sie die Maklerin hinaus und lief in ihr Schlafzimmer, wo sie ihre Kleidung durchwühlte und einen Blazer herausholte, den sie über ihr weißes T-Shirt zog. Sie fand eine Jeans und ordentliche Turnschuhe und schlüpfte mit den Füßen hinein, schnappte sich bereits im Gehen ihre Tasche und eilte zur Tür. Sie schaute auf die Uhr.

Die U-Bahn vom Sloane Square nach Paddington fuhr alle zehn Minuten, was bedeutete, dass sie es schaffen sollte, rechtzeitig in die Kanzlei zu kommen. Falls nicht, würde ihre Mutter ziemlich sauer auf sie sein.

 

Claudia traf schließlich zehn Minuten zu früh in den verglasten Büros von Williamson, Clark & Duncan ein, und nachdem sie mit der Empfangsdame gesprochen hatte, setzte sie sich in den Wartebereich und atmete erst einmal tief durch. Sie hasste es, zu spät zu kommen, weshalb sie die Strecke vom U-Bahnhof zur Kanzlei im Laufschritt zurückgelegt hatte, was überhaupt nicht nötig gewesen war. Es warteten noch mehrere Leute hier, die überraschenderweise fast alle weiblich und in einem ähnlichen Alter waren wie sie. Ein paar blätterten in Zeitschriften, andere saßen wie sie mit der Tasche auf dem Schoß da und sahen sich im Raum um.

Sie hatte keine Zeit gehabt, viel über den Termin nachzudenken, aber jetzt, wo sie hier war, neigte sie dazu, ihrer Mutter zuzustimmen. Allein die Räumlichkeiten genügten, um sie zu überzeugen, es machte alles einen sehr gediegenen Eindruck.

Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, erhob sich die freundliche junge Empfangsdame hinter dem Tresen und rief gleich eine ganze Reihe von Namen auf, nicht nur ihren.

Einige der Frauen wechselten einen überraschten Blick mit ihr, und Claudia trat zurück, um zwei von ihnen vorgehen zu lassen. Sie bekam mit, wie eine von ihnen etwas von einer Erbschaft erwähnte, und wurde hellhörig.

Hmm, über eine Erbschaft habe ich noch gar nicht nachgedacht. Wie schön wäre das denn?

Die Gespräche um sie herum verstummten abrupt, als sie in einen großen Konferenzraum und zu ihren Plätzen an einem Tisch geführt wurden, an dessen Kopf sie ein gut gekleideter Mann erwartete. Zu seiner Linken saß eine Frau Mitte dreißig, die alle Hereinkommenden mit großen Augen ansah. Sie war tadellos gekleidet in eine Seidenbluse und eine schwarze Hose mit hoher Taille. Sie erinnerte Claudia tatsächlich an sich selbst, als sie noch in der Finanzbranche tätig gewesen war. Beinahe vermisste sie ihre alte Garderobe, wenn sie sie so ansah.

Claudia nahm ein Papier entgegen, das ihr gereicht wurde, lehnte sich zurück und ließ ihren Blick darüberschweifen, während der Mann zu sprechen begann. Sie war nicht überrascht, als er zugab, wie seltsam es war, sie alle als Gruppe zusammengerufen zu haben.

Sie schaute sich im Raum um, neugierig, ob eine der anderen Frauen wusste, warum sie hier waren, oder ob es ihnen allen so ging wie ihr und sie nicht die geringste Ahnung hatten. Claudia lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, als der Anwalt aufstand, ein paar Schritte nach vorne ging und eine Hand lässig in seine Tasche schob, während er lächelnd weitersprach.

»Ich bin John Williamson, und dies ist meine Klientin Mia Jones. Es war ihr Vorschlag, Sie alle heute hier zusammenzubringen, um dem Wunsch ihrer Tante Hope Berenson zu entsprechen. Unsere Kanzlei hat auch sie vor vielen Jahren vertreten.«

Claudia bediente sich an dem Mineralwasser, das in der Mitte des Tisches stand, nahm einen Schluck und fragte sich, wer in aller Welt Hope Berenson war.

»Mia, möchten Sie jetzt übernehmen?«, fragte er.

Mia nickte und stand auf, und Claudia lehnte sich wieder auf ihrem Stuhl zurück, um zuzuhören. Sie bemerkte, wie unbehaglich Mia plötzlich wirkte, aber vielleicht war sie einfach nur nervös, vor einer so großen Gruppe sprechen zu müssen. Ihre Wangen röteten sich ein wenig.

»Wie Sie gerade gehört haben, war meine Tante Hope Berenson. Sie hat lange Zeit ein privates Heim für unverheiratete Mütter und ihre Babys hier in London geführt, das Hope’s House. Sie war bekannt für ihre Diskretion, aber auch für ihre Güte, trotz der schwierigen Umstände in der damaligen Zeit.« Mia lachte auf und sah sich nervös im Raum um. »Sie fragen sich sicher, warum ich Ihnen das alles erzähle, aber glauben Sie mir, es wird bald einen Sinn ergeben.«

Hope’s House? Welche Verbindung konnte ihre Grandma zu einem Haus für unverheiratete Mütter haben? Wollte sie damit andeuten, dass ihre Großmutter ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hatte? War es das, worum es hier ging? Ihre Mutter würde sprachlos sein, wenn sie davon erfuhr!

»Das Haus steht schon seit vielen Jahren leer, aber nun soll es abgerissen werden, um Platz für eine neue Wohnsiedlung zu schaffen, also bin ich noch einmal dorthin zurückgegangen, um einen letzten Blick hineinzuwerfen und ein paar Sachen mitzunehmen.

»Und was hat dieses alte Haus nun mit uns zu tun?«, fragte Claudia.

»Tut mir leid, damit hätte ich anfangen sollen«, entschuldigte Mia sich verlegen, erhob sich und ging zu einem Tisch im hinteren Teil des Raums.

»Im Büro meiner Tante, wo sie auch die Akten und so etwas aufbewahrte, lag ein Teppich, von dem ich wusste, dass meine Mutter ihn sehr geliebt hatte. Also wollte ich zumindest den Teppich mitnehmen und sehen, ob ich ihn nicht irgendwo gebrauchen konnte, statt ihn den Entrümplern zu überlassen. Als ich den Teppich aufrollte, sah ich etwas zwischen den Bodendielen glitzern. Und da ich nun mal bin, wie ich bin, bin ich noch einmal mit Werkzeug zurückgekommen, um nachzusehen, was sich da unter den Dielen befand.«

Claudia schüttelte den Kopf. Unglaublich. Obwohl sie immer noch nicht ganz begriff, was ihre Großmutter damit zu tun haben sollte.

»Als ich die erste Diele losgehebelt hatte, sah ich zwei staubige kleine Schachteln, und als ich die zweite beiseitezog, waren da noch mehr, alle in einer Reihe und mit einheitlich per Hand beschrifteten Etiketten versehen. Erst konnte ich mir keinen Reim darauf machen, was ich da entdeckt hatte, aber als ich sah, dass auf jeder Schachtel ein Name stand, wusste ich, dass ich sie nicht öffnen durfte, wie neugierig ich auch sein mochte.« Mia lächelte, als sie aufblickte und jeder Einzelnen von ihnen in die Augen sah, bevor sie fortfuhr. »Ich habe diese Schachteln mitgebracht, um sie Ihnen zu zeigen. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass meine Neugier Sie alle heute hier zusammengebracht hat.«

Vorsichtig holte Mia eine Schachtel nach der anderen hervor und reihte sie vor sich auf. Claudia beugte sich vor, um die Schachteln besser sehen zu können. Und da sah sie den Namen ihrer Großmutter. Catherine Black. Warum steht der Name meiner Grandma auf einer dieser Schachteln? Sie konnte den Blick nicht von dem Etikett abwenden, als der Anwalt wieder zu sprechen begann, und fragte sich, wie lange diese Schachtel wohl versteckt gewesen war.

Claudia schaute auf. Sie wollte nichts lieber tun, als nachzusehen, was für ihre Großmutter zurückgelassen worden war, doch sie geduldete sich und hörte aufmerksam zu.

»Was wir nicht wissen«, sagte der Anwalt und stützte die Hände auf den Tisch, »ist, ob es noch weitere Schachteln gab, die im Lauf der Jahre verteilt wurden. Entweder hatte Hope einen Grund, warum sie diese sieben nicht herausgegeben hat, oder niemand hat Anspruch darauf erhoben.«

»Oder sie fand es aus irgendeinem Grund besser, sie versteckt zu halten«, fügte Mia hinzu. »In diesem Fall habe ich vielleicht etwas aufgedeckt, das eigentlich hätte verborgen bleiben sollen.«

Eine der Frauen stand auf, aber Claudia hörte nicht zu, was sie sagte, und achtete kaum darauf, als sie den Raum verließ. Grandma wurde adoptiert, und ich hatte keine Ahnung. Hatte sieselbst überhaupt davon gewusst? Aber dann hätte sie es doch sicher ihrer Tochter gesagt, die es dann wiederum Claudia erzählt hätte. War es vielleicht eines dieser Familiengeheimnisse, über die einfach nicht gesprochen wurde?

Bevor der Anwalt ihr ihre Schachtel aushändigte, unterschrieb Claudia die Papiere, um den Erhalt zu bestätigen, bevor sie eifrig danach griff. Claudia betrachtete den Namen ihrer Großmutter. Die Buchstaben waren in fein säuberlicher Handschrift aneinandergereiht und stammten eindeutig von derselben Person wie bei den anderen. Hope. Die Frau mit dem Namen Hope musste sie beschriftet haben, als ihre Großmutter geboren wurde.

»Danke«, sagte Claudia zu Mia, während sie aufstand und sich ihre Tasche über die Schulter schlang, die Schachtel immer noch in der Hand. »Vielen Dank, dass Sie sich so viel Mühe gemacht haben, diese Schachteln wieder mit ihren rechtmäßigen Besitzern zu vereinen.«

»Gern geschehen«, antwortet Mia mit einem warmen Lächeln und streckte die Hand aus, um Claudia kurz am Arm zu berühren. »Danke, dass Sie gekommen sind, um sie abzuholen.«

Als sie ging, bemerkte Claudia, dass eine Schachtel offensichtlich von niemandem abgeholt worden und auf dem Tisch stehen geblieben war. Doch sie war zu neugierig, um sich noch länger damit aufzuhalten. Sie eilte hinaus in den Sonnenschein und beschloss, das nächstgelegene Café aufzusuchen. Sie konnte auf keinen Fall warten, bis sie zu Hause war, um die Schnur zu lösen und herauszufinden, welche Hinweise auf die Vergangenheit sie in der kleinen Schachtel erwarteten.

3

Havanna, 1950

Esmeralda blieb mit ihren beiden Schwestern am Fuß der geschwungenen Treppe stehen und blickte durch die weit geöffneten Flügeltüren in den Ballsaal. Kellner hielten Silbertabletts bereit und boten jedem, der vorbeikam, Champagner an. In der hinteren Ecke spielte ein Streichquartett, und Paare tanzten über den Marmorboden.

Alle Frauen trugen ihre feinsten Kleider, ihre Hälse waren mit Juwelen geschmückt, ebenso wie ihre Ohrläppchen und Handgelenke – im Saal tummelten sich die reichsten Familien Havannas, aber dennoch richteten sich aller Augen auf die Diaz-Schwestern, als sie den Raum betraten.

»Wenn das nicht die schönsten Mädchen ganz Kubas sind!« Esmeralda versetzte ihrem Cousin Alejandro einen scherzhaften Klaps auf den Arm. Er schaffte es doch immer, sie zum Lachen zu bringen oder sich selbst zum Narren zu machen.

»Alejandro, geh weg«, beklagte sich ihre Schwester María. »Du vergraulst immer alle Jungs!«

Esmeralda hakte sich lachend bei ihm unter, froh, ihre Schwestern zu verlassen und mit ihm durch den Raum zu schlendern. Sie kannte alle der anwesenden jungen Männer und hatte an keinem von ihnen Interesse, also war sie dankbar dafür, ihren Cousin als Ablenkung zu haben. Sie würde sich sicher nicht darüber beschweren, dass er sie alle verscheuchte.

»Ich habe eben gelogen«, sagte er. »Du bist das schönste Mädchen Kubas, Es.«

Sie ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken. »Du brauchst mir nicht zu schmeicheln, Alejandro. Bleib einfach an meiner Seite, damit mich niemand zum Tanzen auffordern kann.«

»Das tue ich gerne, wie du weißt, denn es hält auch die Mütter davon ab, mit ihren Töchtern vor mir zu paradieren.« Er lachte. »Man könnte meinen, sie seien preisgekrönte Zuchthühner. Es ist eine Schande.«

Sie mussten beide kichern. Alejandro war derzeit in ein Mädchen verliebt, das in Santa Clara lebte, und Esmeralda wiederum war grundsätzlich nicht daran interessiert, einfach nur zu heiraten, weil man das in ihrem Alter so machte. Sie zog es vor, der Liebling ihres Vaters zu sein, alles über sein Zuckergeschäft zu lernen und auf Gesellschaften an seiner Seite zu stehen. Wäre ihre Mutter noch am Leben, wäre sie wie jede andere kubanische Mamá fest entschlossen gewesen, für alle ihre Töchter die perfekten Ehemänner zu finden, angefangen bei ihrer ältesten. Doch ihr Papá war viel mehr daran interessiert, seine Töchter um sich zu haben. Er wollte, dessen war sie sich sicher, sie so lange wie möglich unter seinem Dach behalten, um sein Haus mit ihrer Gegenwart und ihrem Lachen zu füllen.

»Du weißt, dass du eines Tages einen Mann auswählen musst, Esmeralda. Du kannst dich nicht für den Rest deines Lebens an meinen Arm klammern.«

Sie seufzte. »Ich weiß. Aber ich will einen Mann, der mich mitreißt. Ich will einen Mann, der mir zuhört und der nicht erwartet, dass ich nur still dasitze und lächle, ohne eigene Meinung.« Sie lachte. »Hier gibt es keinen, an dem ich interessiert bin.« Sie rückte näher an ihn heran. »Abgesehen von dir, natürlich. Du bist der Höhepunkt meines Abends.«

Alejandro lachte, als die Band ein Lied anstimmte, und drückte ihre Hand, als sie auf die Tanzfläche gingen und sich zu den anderen Paaren gesellten, die um sie herumwirbelten. Sie genoss es, mit ihrem Cousin zu tanzen. Ihre Schwestern hingegen konnten das nicht verstehen, weil sie sich unbedingt verlieben wollten, konnten ihre Zurückhaltung nicht nachvollziehen, aber Alejandros Gegenwart schreckte alle jungen Männer ab, die sie sonst zum Tanzen aufgefordert hätten. Wenn ein Mann mutig genug ist, sich mir zu nähern, wenn ich bei ihm bin, dann ist er es wert, dass ich Ja sage.

»Wer auch immer dein Herz einmal stiehlt, wird ein glücklicher Mann sein, Es. Vergiss das nicht.«

Sie lächelte nur. »So etwas könnte ich auch über das Mädchen sagen, das deines bereits gestohlen hat.«

 

Esmeralda frühstückte oft im Bett, die Speisen wurden ihr dabei auf einem Tablett serviert, damit sie gemütlich sitzen und sich verwöhnen lassen konnte, aber ihr Vater mochte es, wenn sie sonntags am späten Vormittag zusammen frühstückten. Es war der einzige Tag, an dem er nicht früh zu arbeiten begann – sein ganzes Leben drehte sich um sein Geschäft, jeder Gedanke galt seinem Zuckerimperium. Sie hatte Gerüchte gehört, dass er der reichste Mann Kubas sei, aber sie hatte sich nie getraut, ihn direkt nach den Finanzen der Familie zu fragen. Alles, was sie wusste, war, dass seine Großzügigkeit keine Grenzen kannte, wenn es um seine Töchter ging – er verwöhnte sie auf eine Art und Weise, die ihre Mutter niemals zugelassen hätte.

Marisol erschien zur gleichen Zeit wie Esmeralda im Flur, woraufhin jene ihre kleine Schwester an der Hand nahm, um mit ihr gemeinsam die geschwungene Treppe hinunterzugehen. Ein Kindermädchen folgte ihnen, aber Marisol zog es immer vor, sich ihrer großen Schwester anzuschließen.

»Komm schon, cariño«, flüsterte sie, als Marisol zu ihr aufblickte. »Du kannst heute Morgen bei mir sitzen.«

Marisol war erst drei Jahre alt und das süßeste Kind, das Esmeralda sich vorstellen konnte. Auch wenn sie nicht von ihrer Mutter großgezogen werden konnte, die bei ihrer Geburt gestorben war, hatte sie das Glück, dass ihre drei größeren Schwestern sich liebevoll um sie kümmerten.

Esmeralda betrat das Esszimmer und lächelte, als sie ihren Vater mit einer Zeitung am Tisch sitzen sah. »Guten Morgen, Papá«, sagte sie und drückte ihm im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. Marisol wollte es ihr nachtun und kletterte auf den Schoß ihres Vaters, was sein Lächeln nur noch breiter machte.

Das Frühstück war wie immer üppig, und Esmeralda ließ sich Mango und Papaya sowie das frisch gebackene Brot mit der berühmten Guavenmarmelade der Köchin schmecken. Sie bemerkte, dass Marisol sofort nach dem süßen Gebäck griff, und seufzte, ohne sie zu tadeln, und nahm sich selbst eines, während das Hausmädchen ihr eine Tasse des starken Kaffees einschenkte.

»Esmeralda, ich plane für den nächsten Monat eine Reise nach London«, sagte ihr Vater und winkte dem Hausmädchen zu, ihm ebenfalls eine weitere Tasse seines café cubano zu servieren, den er am liebsten trank.

»Wirst du rechtzeitig zu Marías quinceañera wieder zurück sein?«, fragte sie, nachdem sie einen verzweifelten Blick ihrer ebenfalls anwesenden Schwester aufgefangen hatte. Der Tag, an dem sie fünfzehn Jahre alt und damit zur Frau wurde, war das wichtigste Ereignis im Leben eines kubanischen Mädchens, und er wurde mit einer extravaganten Feier begangen, deren Vorbereitung oft Monate dauerte.

»Natürlich! Ich würde es um nichts in der Welt verpassen, meine kleine quinceañera zu sehen«, versicherte er und tupfte sich mit der Serviette den dicken Schnurrbart ab. »María, meinst du, du könntest deine Schwester für zwei Wochen entbehren? Ich nehme an, die Vorbereitungen für die Feier sind abgeschlossen?«

Esmeralda holte überrascht Luft und ließ das Stück Gebäck fallen, das sie in der Hand hielt. »Papá, ja! Nach London? Du lädst mich ein, zwei Wochen lang mit dir zu reisen?«

Er lächelte sie über den Tisch hinweg an. »Esmeralda, ich muss eine sehr wichtige britische Firma beeindrucken und sie davon überzeugen, dass unser Zucker der beste ist. Wenn das gelingt, werden wir das lukrativste Zuckergeschäft der Welt abschließen, und ich möchte meine schöne älteste Tochter an meiner Seite haben.«

Trotz ihrer Aufregung faltete Esmeralda die Hände in ihrem Schoß. Ihre drei Schwestern schwiegen, als sie sprach: »Es wäre mir eine Ehre, Papá«, sagte sie. »Ich weiß, dass Mamá mit dir reisen würde, wenn sie hier wäre, und so ist es ein Privileg, an ihrer Stelle mitzukommen. Vielen Dank.«

»Komm morgen ins Büro, dann kann ich dir mehr über meine Expansionspläne erzählen«, sagte er. »Du musst verstehen, wie wichtig diese Reise ist, und ich möchte, dass du gut über das Geschäft informiert bist, damit du kundige Gespräche führen kannst.«

»Ja, Papá, das werde ich.« Sie konnte ihre Aufregung kaum zügeln, lächelte ihn strahlend an.

Während ihre Schwestern anfingen, sich über den vergangenen Abend zu unterhalten und sich mehr für ihr eigenes Leben interessierten als für das, was gerade angekündigt worden war, schloss Esmeralda für einen Moment die Augen und malte sich aus, wie sie nach England reiste und welche Kleider sie einpacken wollte. Wen sie dort treffen und wo sie wohl wohnen würde? Dies war ein Traum, der für sie wahr wurde.

Sie war neunzehn Jahre alt, und das bedeutete, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, bis sie gezwungen sein würde, über ihre Zukunft nachzudenken, oder bis eine ihrer Tanten ihren Vater anflehen würde, sein Mädchen endlich zu verheiraten. Bisher hatte sie Glück gehabt, aber sie und ihr Vater konnten das Unvermeidliche nicht unendlich hinauszögern. Er wusste es genauso gut wie sie, obwohl sie nie offen darüber sprachen.

Die Reise nach London würde das Abenteuer ihres Lebens werden, und sie konnte es kaum erwarten.

Als sie die Augen öffnete, sah ihr Vater sie an, und sie bedankte sich noch einmal stumm bei ihm, indem sie mit den Lippen ein »Danke« formte. Er antwortete, indem er eine Hand an sein Herz legte.

4

London, Gegenwart

Claudia zog an der Schnur, und es überraschte sie nicht, als nichts geschah. Das Material war so alt, dass sich bereits die einzelnen Fasern zu lösen begannen. Also zupfte sie den Knoten mit dem Fingernagel auseinander. Bevor sie den Deckel der Schachtel abhob, holte sie tief Luft. Sie wusste nicht, was sie zu finden erwartete. Vielleicht, dachte sie, ein in Seidenpapier gewickeltes Schmuckstück oder ein Foto. Doch stattdessen fand sie eine alte Visitenkarte und etwas, das wie die handgezeichnete Skizze eines Wappens aussah.

Sie nahm die Karte in die Hand, drehte sie um und fand eine Adresse am Capel Court, die ihr vage bekannt vorkam, da sich dort früher die Londoner Börse befunden hatte. Sie holte ihr Handy heraus und googelte den Namen »Christopher Dutton«, der in goldenen Lettern auf der Karte aufgedruckt war. Sie fand nichts, was mit seinem Namen oder der Adresse in Zusammenhang stand. Allerdings war die Karte vermutlich auch über siebzig Jahre alt, da ihre Großmutter 1951 geboren war. Als Firma war Fisher, Lyall & Dutton angegeben. Auch die Suche nach diesem Namen ergab nichts. Claudia nahm die Skizze aus der Schachtel, hielt das Behältnis schräg und sah hinein, halb in der Erwartung, noch etwas anderes zu finden. Doch da war nichts.

Ihr Kaffee kam, und sie bedankte sich bei der Kellnerin und griff nach der Tasse, wobei sie darauf achtete, dass nichts auf die wertvollen Gegenstände schwappte. Wie sollte sie herausfinden, was das Wappen bedeutete? Oder zu wem es gehörte? Solch ein Rätsel hatte sie nicht erwartet.

Claudia drehte das Blatt Papier um, aber auch auf der Rückseite fand sich kein Hinweis.

Wie soll ich damit etwas über die Vergangenheit meiner Großmutter herausfinden? Sie legte das Papier auf den Tisch und trank einen weiteren Schluck Kaffee und betrachtete nachdenklich die beiden Papierstücke, ohne dass ihr etwas Besonderes auffiel.

Ratlos machte sie ein Foto von beiden Stücken und schickte es per E-Mail an ihren Vater. Er war ein begeisterter Hobbyhistoriker, und seit er in Pension war, las er gern über die Vergangenheit oder beschäftigte sich mit Gegenständen von historischem Wert. Wenn es jemanden gab, der sich einen Reim auf diese Hinweise machen konnte, dann war er es.

Sie trank ihren Kaffee aus, legte die Papiere zurück in die Schachtel und ließ diese in ihre Tasche fallen, bevor sie aufstand. Ich wünschte, du wärst hier und ich könnte mit dir sprechen, Grandma. Doch hätte ihre Großmutter überhaupt mit ihr darüber sprechen wollen? Was, wenn die Hinweise Fragen über ihre Vergangenheit aufwarfen, die ihr vielleicht unangenehm gewesen wären?

Das Einzige, was Claudia sicher wusste, war, dass sie den Dingen immer gern auf den Grund ging, Fakten und Informationen interessierten sie, und wenn es wirklich ein verborgenes Erbe gab, von dem die Familie mütterlicherseits nichts wusste, dann würde sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um es zu entdecken.

 

Claudia stieg aus dem Zug und lief durch den Bahnhof, winkte aufgeregt ihrem Vater zu, der in seinem Auto auf sie wartete. Jedes Mal, wenn sie nach Surrey zurückkehrte, fühlte sie sich wieder in ihre Kindheit und Jugend zurückversetzt, als käme sie voller Heimweh übers Wochenende von der Schule oder der Universität nach Hause.

»Hallo, meine Liebe«, begrüßte ihr Vater sie mit einer Umarmung und einem Kuss. »Wie geht es dir?«

»Großartig«, sagte sie und reichte ihm ihre Reisetasche. »Es ist so schön, dich zu sehen.«

Sie stiegen ins Auto, und sie hatte sich kaum angeschnallt, als er ihr auch schon aufgeregt von seinen Nachforschungen erzählte. »Ich bin vorangekommen«, sagte er. »Ein alter Freund von mir recherchiert für mich den Namen, aber das Wappen habe ich fast selbst entschlüsselt. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, seit du es mir gestern geschickt hast.«

»Im Ernst? Damit hatte ich nicht gerechnet.« Sie lachte. »Warst du nicht derjenige, der meinte, das alles sei nur ein schlechter Scherz?«

»Nun, sagen wir einfach, dass diese Hinweise mein Interesse geweckt haben«, antwortete er und warf ihr einen Blick zu. »Stell dir nur vor, das Wappen scheint aus Kuba zu stammen!«

»Aus Kuba?« Claudia schüttelte ungläubig den Kopf. »Unglaublich.«

»Genau mein Gedanke. Ich konnte es nicht glauben, und deine Mutter ebenfalls nicht. Um ehrlich zu sein, ich denke, es ist ein ziemlicher Schock für sie, das alles kam so vollkommen unerwartet.«

Claudia nickte und sah aus dem Fenster. Der Gedanke, dass es in ihrer Familie seit vielen Jahren ein Geheimnis gab, war auf jeden Fall beunruhigend – sie vermochte sich kaum auszumalen, wie ihre Mutter sich da fühlen musste.

Kurz darauf bogen sie in die Einfahrt ein, und Claudia überkam das vertraute Gefühl, das sie immer hatte, wenn sie nach Hause kam: absolute Zufriedenheit. Als Teenager war sie verzweifelt bemüht gewesen, ihre Flügel auszubreiten und davonzufliegen. Surrey war ihr viel zu ruhig erschienen für all die Dinge, die sie vorhatte, aber sobald sie in die Stadt gezogen war, hatte sie angefangen, die Gegend schrecklich zu vermissen. Das tue ich immer noch.

»Deine Mutter ist im Garten beschäftigt«, sagte ihr Vater, als er vor dem zweistöckigen Haus anhielt. Sie blickte hinauf zu den Gaubenfenstern und den grünen Fensterläden und lächelte, als sie die Glyzinie bemerkte, die jetzt noch mehr vom Haus zu bedecken schien als zu der Zeit, als sie noch darin gewohnt hatte. »Wie wäre es, wenn du sie suchen gehst, und ich bringe deine Tasche rein und mache mich wieder an die Arbeit. Ich will nachsehen, ob die E-Mail gekommen ist, die bestätigt, was ich über das Wappen herausgefunden habe.«

Sie beugte sich hinüber und küsste ihn auf die Wange, bevor sie in den Sonnenschein hinaustrat, um ihre Mutter zu suchen, die vermutlich im Garten hinter dem Haus im Blumenbeet kniete. Früher war der Garten eher wild als gepflegt gewesen, doch seit ihrer Pensionierung waren ihre beiden Eltern begeisterte Gärtner geworden.

»Hallo?«, rief sie, um ihre Mutter nicht zu erschrecken, als sie ohne Vorwarnung um die Ecke kam.

»Claudia!« Innerhalb von Sekunden wurde sie von ihrer Mutter in die Arme geschlossen, mit Gartenhandschuhen und allem. »Lass mich erst mal reingehen und mir die Hände waschen.«

»Nein, bleib«, sagte Claudia und setzte sich in der Nähe der Stelle, an der ihre Mutter gekniet hatte, ins Gras. »Es ist so schön an der frischen Luft, ich bleibe gerne noch ein Weilchen draußen.« Sie seufzte. »Ich glaube, das ist genau das, was ich jetzt brauche.«

Ihre Mutter lächelte, aber anstatt sich wieder der Gartenarbeit zu widmen, setzte sie sich neben sie, zog ihre Handschuhe aus und legte sie ins Gras. »Du hast recht, es ist schön, die Sonne zu genießen, wenn sie schon mal scheint.« Sie lehnte sich auf einen Ellbogen zurück. »Nun, was hältst du von dieser Geschichte mit Grandma? Ist da etwas dran? Glaubst du, dass es wahr ist, was man dir gesagt hat?«

Claudia nickte. »Es war ein Schock, aber es geht definitiv alles mit rechten Dingen zu. Im Grunde wollten sie gestern nur die zurückgelassenen Schachteln den Erben aushändigen, also sehe ich keinen Grund, es nicht zu glauben.«

»Meinst du, sie wusste es und hat es mir nie gesagt? Ich frage mich die ganze Zeit, ob es ein Geheimnis war, das sie all die Jahre für sich behalten hat und von dem sie nicht wollte, dass es jemand erfährt, oder ob sie selbst nie erfahren hat, dass sie adoptiert worden war. Haben meine Großeltern es geheim gehalten, aus Angst, dass jemand herausfinden könnte, dass sie nicht ihr leibliches Kind war?«

»Ich glaube nicht, dass sie es wusste, Mama, ehrlich nicht«, antwortete Claudia und hasste die Tränen, die sie in den Augen ihrer Mutter glitzern sah, weil sie wusste, wie sehr ihr der Tod der Mutter noch zu schaffen machte. »Wenn Grandma es gewusst hätte, hätte sie es dir gesagt. Sie hätte es auf keinen Fall geheim halten können. Ihr beide standet euch so nahe. Und warum hätte sie das auch tun sollen? Es ist ja keine Schande, adoptiert worden zu sein, jedenfalls nicht in dieser Generation, also denke ich, es wäre zur Sprache gekommen.«

»Ich nehme an, du hast recht.« Ihre Mutter wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Es ist nur so schwer, weil sie nicht mehr hier ist und ich sie nicht mehr danach fragen kann, und dadurch vermisse ich sie nur noch mehr.«

Claudia wollte gerade etwas erwidern, als ihr Vater um die Hausecke kam und triumphierend ein Stück Papier in die Luft hielt.

»Rätsel gelöst«, verkündete er.

Claudia lachte, er sah so lustig aus in seiner triumphierenden Haltung. »Was hast du herausgefunden, Papa?«, fragte sie. »War es tatsächlich kubanisch?«

»Dieses Wappen«, erklärte er und verschränkte mit einem selbstzufriedenen Lächeln die Arme vor der Brust, »stammt tatsächlich aus Kuba. Es gehörte einer Familie Diaz. Seht euch mal an, wie anders es in Farbe aussieht! Es ist ziemlich beeindruckend.«

Sie nahm das Papier und hielt es so, dass ihre Mutter es auch sehen konnte. Das Wappen war jetzt leuchtend blau und wirkte durch die gelben und weißen Details viel lebendiger als in der eher groben Schwarz-Weiß-Skizze.

»Kuba?«, fragte Claudias Mutter ungläubig. »Das stammt eigentlich aus Kuba? Bist du dir da absolut sicher?«

Ihr Vater nickte. »Es ist aus Kuba. Diaz ist dort ein ziemlich gebräuchlicher Nachname, aber nach allem, was ich bisher herausfinden konnte, stammt dieses Wappen von einer bekannten Familie aus Havanna, die ihr Vermögen mit Rohrzucker gemacht hat. Mehr als den Namen auf der Karte haben wir leider noch nicht, aber es ist ein Fortschritt.«

»In welcher Verbindung könnte eine Visitenkarte aus London mit einem Familienwappen aus Havanna stehen?«, sprach Claudia ihre Gedanken laut aus. »Ich meine, es wäre ja schon möglich, dass sie Geschäfte miteinander gemacht haben, diese Londoner Firma und die Zuckerfamilie, oder? Könnte darin die Verbindung bestehen?«

Ihr Vater zuckte die Achseln. »Schon möglich, auch wenn ich nicht glaube, dass es leicht zu belegen sein wird.«

»Ob wir einen Privatdetektiv hinzuziehen sollten?«

Ihre Mutter erbleichte, während ihr Vater nachdenklich auf das Wappen blickte. »Gib mir erst mal ein paar Wochen und lass uns mal sehen, was ich bis dahin herausfinde, Claudia«, sagte er. »Wenn ich nicht weiterkomme, können wir immer noch darüber nachdenken.«

»Mama?«, fragte Claudia, als ihr klar wurde, wie ungewöhnlich still ihre Mutter geworden war. »Wie denkst du darüber?

»Ich will es wissen«, sagte ihre Mutter, während sie nach ihren Gartenhandschuhen griff, aufstand und sich die Hosen abklopfte. »Wenn es da eine Geschichte zu Grandmas Vergangenheit gibt, dann sind wir es ihr schuldig, sie herauszufinden. Ich mag keine ungeklärten Sachen, und hier geht es um die Familiengeschichte. Wir sollten mehr herausfinden, schließlich ist das auch ein Teil unserer Vergangenheit.«

Claudia wechselte einen Blick mit ihrem Vater. »Dann sind wir uns einig«, sagte sie. »Wir lassen Dad machen und warten ab, was er herausfindet, und wenn das zu nichts führt, suchen wir einen Privatermittler, der uns hilft, diesen Christopher Dutton ausfindig zu machen. Der kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.

»Es muss doch irgendjemand hierüber Bescheid wissen«, sagte ihre Mutter. »Ich hoffe nur, dass die Hinweise zu dieser Geschichte nicht irgendwo in der Vergangenheit verloren gegangen sind. Immerhin ist das alles schon sehr lange her.«

Claudia half ihrer Mutter, ihre Gartensachen wegzuräumen, und folgte ihr dann ins Haus. Es war ihr ein Rätsel, was ihre Familie mit dem Wappen und der Visitenkarte zu tun haben sollte, doch je länger sie darüber nachdachte, desto neugieriger wurde sie. Aber Kuba? Sie war fast versucht zu vermuten, dass man ihr die falsche Schachtel ausgehändigt hatte. Wir wüssten es doch, wenn wir irgendwelche familiären Verbindungen nach Kuba hätten, oder? Wie konnte so etwas sonst so lange geheim gehalten worden sein?

5

Am Sonntagabend saß Claudia auf der Terrasse ihrer Wohnung auf dem Sofa, eine Decke über den untergeschlagenen Beinen. Es war fast zu kalt, um noch draußen zu sitzen, aber sie liebte den Ausblick und war noch nicht bereit, hineinzugehen.

Sie starrte auf den Diamantring, der vor ihr auf dem Tisch lag. Als wäre ich noch nicht bereit gewesen, meine Vergangenheit loszulassen. Ihre Mutter hatte sie während ihres Besuches nach Max gefragt, wie sie es immer tat, nur dieses Mal hatte Claudia ihre Frage nicht wie üblich gereizt abgetan. Es war an der Zeit gewesen, die Fragen ihrer Mutter zu beantworten, statt ihnen auszuweichen, denn so liebevoll und unterstützend ihre Mutter auch war, so hatte sie die Entscheidung ihrer Tochter doch nicht nachvollziehen können.

»Ihr saht immer so glücklich zusammen aus«, hatte sie gesagt. »Er war so ein netter junger Mann. Bist du sicher, dass du nichts überstürzt hast?«

»Mama, er war ein netter junger Mann, aber wir haben nicht gut zusammengepasst. Er hat nie verstanden, warum ich meinen Job aufgegeben habe, und er hat sich auch keine Mühe gegeben zu verstehen, was ich durchgemacht habe.« Sie schwieg kurz. »Unsere Ehe wäre zum Scheitern verurteilt gewesen.«

Ihre Mutter schwieg, und Claudia wusste, warum. Ihr Ex-Verlobter war nicht der Einzige, der nicht verstehen konnte, wie sie etwas hatte aufgeben können, wofür sie so hart gearbeitet hatte, trotz allem, was geschehen war, trotz allem, was sie verloren hatte. Sie hatte ihr Arbeitsverhältnis und ihre Verlobung in derselben Woche aufgelöst.

»Mama, ich bin jetzt glücklich, ehrlich. Ich lebe mein Leben endlich so, wie es mir gefällt. Bevor ich gekündigt habe, war ich so gestresst, dass mir schon die Haare ausgefallen sind.« Sie holte tief Luft, sie wollte sich eigentlich nicht daran erinnern, wie die letzten Monate gewesen waren, was sie durchgemacht hatte. »Manchmal war es, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Der Druck auf meiner Brust war so stark, dass es sich anfühlte wie ein Herzinfarkt. Ich konnte nicht anders, als ins Zweifeln zu kommen, immer darüber nachzudenken, wozu das alles gut sein sollte, mich zu fragen, warum ich ständig so tun musste, als sei mein Leben ganz wunderbar, wenn ich in Wirklichkeit kreuzunglücklich war. Du weißt, warum ich das getan habe, Mama, aber du musst es allmählich auch verstehen. Wie hätte ich weitermachen können nach dem, was mit Lisa passiert ist?«

Ihre Mutter hatte ihre Hand genommen. »Ich will ja gar nicht herunterspielen, was geschehen ist. Mir war nur nicht klar, dass es so schlimm für dich war. Ich dachte, wenn du nur ein bisschen länger durchhalten würdest, dann wäre es überstanden und du wärest auf der anderen Seite mit einem Beruf herausgekommen, den du wirklich geliebt hast. Ich hielt es nur für eine etwas zu impulsive Reaktion, nehme ich an.«

»Ich war ziemlich gut darin zu verbergen, wie es mir wirklich ging«, antwortete Claudia. »Ich wollte nicht, dass du oder sonst jemand mir anmerkte, wie schwer ich zurechtkam, aber du musst doch sehen, wie glücklich ich jetzt bin! Dass ich die richtige Entscheidung für mich getroffen habe.«

Sie saßen schweigend zusammen am Tisch, bis ihre Mutter sagte: »Es tut mir leid, dass ich nicht einfühlsamer war. Ich hätte es besser verstehen müssen. Ich meine, ich habe doch gesehen, wie dein Vater sich aufgerieben hat. Aber ich dachte, bei dir wäre es irgendwie anders, dachte, dass sich etwas verändert hätte in deiner Generation. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass du deine Entscheidung bereuen würdest, sobald du über die Trauer um deine Freundin hinweggekommen wärst.«

Claudia schüttelte den Kopf. »Es hat sich nichts geändert, Mama. Ja, ich denke, der Konkurrenzkampf ist sogar noch heftiger geworden, und es war fast, als müssten wir noch härter arbeiten als die Jungs, um zu beweisen, dass wir dem Job gewachsen waren, was heutzutage einfach lächerlich ist.« Doch Lisa war auch ein Grund gewesen. Claudia hatte das Gefühl gehabt, sie sei es ihrer Freundin schuldig, nun für sie beide zu leben, und das konnte ganz sicher nicht darin bestehen, in der Firma zu bleiben, die sie das Leben gekostet hatte.

Claudia griff nun nach dem Diamantring, während sie ihre Gedanken beiseiteschob, und steckte ihn an ihren Finger, um ein letztes Mal sein Gewicht zu spüren. Er war perfekt. Alles an Max schien perfekt gewesen zu sein. Zumindest, bis sie ehrlich mit ihm über ihre Gefühle gesprochen und er sie mit diesem entsetzten Blick angesehen hatte, den man bei der Bekanntgabe eines wirklich schrecklichen Geheimnisses beobachten kann. Er hatte sich eine perfekt funktionierende Frau gewünscht, die eine Sechzigstundenwoche absolvieren, dabei einen Haushalt führen sowie zwei Komma fünf perfekte Kinder zur Welt bringen konnte. Sobald sie versucht hatte, diese Vision zu ändern, sobald sie versucht hatte, ihm zu erklären, warum ihrer beider Leben für sie so nicht funktionierte, hatte er seine Sachen gepackt und ihr gesagt, sie solle mal darüber nachdenken, was sie wirklich vom Leben wollte. Und genau das hatte sie getan.

Sie nahm den Ring ab, legte ihn zurück in die Samtschachtel und blinzelte die Tränen weg. Morgen früh würde sie ihn Max per Kurier zurückschicken. Wenn sie diesem Leben wirklich den Rücken kehren wollte, brauchte sie kein Erinnerungsstück an die Vergangenheit, und sie hatte ganz gewiss nicht die Absicht, wieder mit Max zusammenzukommen oder den Ring zu verkaufen. Er hatte ihn für sie gekauft, und das bedeutete, dass er damit machen konnte, was er wollte. Sie hätte es schon vor Monaten tun sollen.

Claudia griff nach ihrem iPhone, das neben ihrem Weinglas lag. Wenn es nicht schon so spät gewesen wäre, hätte sie ihre Freundin Charlotte angerufen, aber ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es schon fast zehn war. Sie würde ihre schwangere Freundin nicht aufwecken, um über Max zu sprechen – das hatte sie seit der Trennung bereits zur Genüge getan. Sie ging auf Instagram, dann auf Facebook und scrollte abwesend ein paar Minuten, bevor sie sich dabei ertappte, wie sie nach British Airways suchte und ihre Gedanken zurück zu den Hinweisen in der Schachtel wanderten. Ihr Vater war so begeistert von seiner Entdeckung gewesen, und sie musste zugeben, dass sie auch ihre Neugierde geweckt hatte.

Was wohl ein Flug nach Kuba kostet?

Sie scrollte nach unten und wählte Havanna als Zielort aus, klickte sich durch, bevor sie ihre Daten eingab und ihr die nächsten verfügbaren Flüge angezeigt wurden.

Morgen? Sie lächelte leise. Stell dir mal vor, du tust das tatsächlich. Einfach einen Flug buchen und für eine Woche aus London verschwinden.

Claudia betrachtete die Wohnung, das Telefon in der Hand. Alles war fertig, die Möbel waren gekommen, und sie hatte beschlossen, die Maklerin nun zu beauftragen, mit der sie sich letzte Woche getroffen hatte. Ihre Arbeit war beendet, aber sie konnte keine neue Immobilie kaufen, bevor sie diese hier nicht verkauft hatte, was bedeutete, dass ihr Terminplaner für die nächsten Wochen, wenn nicht sogar Monate, leer war. Es gab eigentlich nichts, was sie derzeit in London hielt.

Sie wandte sich erneut dem Telefon zu und sah sich die Suchergebnisse für den Folgetag an. Es gab noch einen Flug nach Havanna, der am späten Vormittag abflog. Claudia griff nach ihrem Wein und nahm einen großen Schluck. Ich kann doch nicht einfach aus einer Laune heraus in die Karibik fliegen. Das kann ich nicht.

Ihr Finger schwebte über dem Display.

Oh, und wie ich das kann. Und dann, einfach so, klickte sie auf die Schaltfläche, um ein Ticket zu kaufen, und brach in schallendes Gelächter aus.

Ich fliege nach Havanna!

Sie hatte fast ihr ganzes Leben damit verbracht, alles genau zu planen, stets eine Pro-und-Kontra-Liste für jede Entscheidung anzulegen, jeden Schritt von der Schule bis zur Universität und darüber hinaus exakt zu befolgen, als wäre ihr das Leben mit einem festen Regelwerk vorgeschrieben worden. Doch jetzt lebte sie ihr Leben nach ihren eigenen Regeln, und von dem Moment an, in dem sie das Wappen in Farbe gesehen hatte, hatte sie gewusst, dass sie mehr erfahren wollte.

Wenn das der Ort ist, an dem deine Geschichte beginnt, Grandma, dann gehöre ich jetzt da hin. Und welcher Ort wäre besser geeignet, um mehr über das Diaz-Wappen herauszufinden, als Kuba selbst?

In London würde sie die Antworten, die sie brauchte, nicht bekommen, aber in Havanna konnte ihr vielleicht jemand zumindest die richtige Richtung zeigen. Vielleicht wusste dort jemand, wie sie mehr über die Familie herausfinden konnte, der das Wappen gehörte.

Sie trank ihren Wein aus und beschloss, dass es noch nicht zu spät war, um Charlotte zu schreiben. Ihre Freundin würde es nicht fassen können, was für eine spontane Entscheidung sie gerade getroffen hatte, auch wenn sie sich gegenseitig ein Versprechen gegeben hatten, als ihr Leben durch Lisas Tod auf den Kopf gestellt wurde. Carpe diem.

Ich nutze den Tag, Lisa, genau wie ich es dir versprochen habe.

Carpe verdammt noch mal diem.

6

Restaurant MirabelleLondon, 1950

Esmeralda ging am Arm ihres Vaters die Treppe zum Restaurant hinunter und hielt den Kopf hoch, trotz der Stille, die sich im Raum ausbreitete, als sie eintraten. Als sie durch den Speisesaal gingen, drehten sich die Köpfe aller in ihre Richtung, aber sie weigerte sich, sich davon verunsichern zu lassen. Zumindest bis ein junger Mann, der in der hintersten Ecke des Saales stand, ihren Blick auffing und sein Lächeln ihr einen Schauer durch den Körper jagte.

Sie wusste, warum sie hier war. Ihr Vater wollte seine Geschäftskontakte beeindrucken, und er tat dies, indem er ihnen seine älteste Tochter präsentierte, auf die er so stolz war. Esmeralda wünschte nur, sie hätte gewusst, wie sehr sie in London auffallen würde: Ihre besten Kleider waren tiefer ausgeschnitten, als sie es hier gesehen hatte, ihre Taille wurde von Tag zu Tag enger geschnürt, und ihr Schmuck war noch viel extravaganter als zu Hause. Sie wünschte, sie hätte eine Vorwarnung bekommen, was sie hier erwartete. Ganz zu schweigen von ihrem rabenschwarzen Haar, das ihr über den Rücken und die Schultern fiel und sie von den anderen Frauen im Raum unterschied, die alle entweder Hochsteckfrisuren oder wesentlich kürzer geschnittene Haare zu tragen schienen.

»Mr. Diaz, es ist mir eine Freude, Sie zu sehen«, sagte der junge Mann und streckte ihrem Vater die Hand hin. »Danke, dass Sie den weiten Weg hierher auf sich genommen haben.«

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits«, antwortete ihr Vater, bevor er einen Schritt zurücktrat und auf seine Tochter wies. »Und dies ist meine älteste Tochter, Esmeralda.«