Die Wahrheit kannte nur sie - Patricia Vandenberg - E-Book

Die Wahrheit kannte nur sie E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Daniel Norden hatte arbeitsreiche Wochen hinter sich gebracht. Der nach seinen eigenen Worten verrückteste Winter seit langer Zeit, war selbst den sonst Gesunden nicht bekommen, und den Kränkelnden erst recht nicht. Ein Winter war es bisher ja nicht gewesen, von ein paar naßkalten Tagen abgesehen. Wenn es mal schneite, blies am nächsten Tag ein Föhnsturm das bißchen Schnee gleich wieder weg. Die Skifahrer jammerten, die Weihnachtsferien waren für die Urlauber und ebenso auch für die Gastwirte zu einem Fiasko geworden, und ein noch unbekannter Grippevirus war so manchem zum Verhängnis geworden. Alice Presten, eine langjährige Patientin von Dr. Norden, war allerdings nicht an der Grippe gestorben, sondern an Multiple Skle­rose. Aber es hatte noch mehr Todesfälle unter Dr. Nordens Patienten gegeben, und ihm, der gern alles tat, um zu helfen, war das schon sehr nahe gegangen. Tröstlich war es nur für ihn, daß seine Frau und seine Kinder einigermaßen gut über die Zeit gekommen waren, wenngleich es ohne Erkältungen auch bei ihnen nicht abgegangen war. Drei Wochen waren vergangen, seit Alice Presten beerdigt worden war, als ihre Tochter Eva in Dr. Nordens Praxis erschien. Sie war ein ganz besonders reizendes Mädchen, und Dr. Norden war froh, daß sie sich halbwegs wieder gefangen hatte, denn Eva hatte neben dem Tod ihrer Mutter auch noch andere Sorgen bewältigen müssen. Sie war stark erkältet, wie er auch gleich an ihrer rauhen Stimme hörte, und außerdem waren auch die Augen entzündet. »Und das ausgerechnet jetzt, da Lars in ein paar Tagen aus der Klinik entlassen wird«, seufzte sie bekümmert. »Ich kann ihm doch nicht eine Erkältung anhängen, da er sowieso noch geschwächt ist.« »In ein paar Tagen geht es Ihnen schon wieder bedeutend besser, Eva«

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Leseprobe: Gefühle preiswert abzugeben

Sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser! Stellen Sie sich vor: Ihnen begegnet sie, die Liebe auf den ersten Blick. Da haben Sie den Salat! Ohne Ankündigung betreten Sie sein oder ihr Haus. Sie merken – hoppla! Da wohnt ja noch jemand? Eine Frau? Ist der Herr gebunden? Und wenn ja: Warum hat er nichts gesagt? Warum gibt er vor, auch in Sie verliebt zu sein? Dabei denke ich, dass er doch wirklich einen guten Eindruck gemacht hat, der Kilian, oder? Seriös, wenigstens. Was ist da los?

Haben Sie auch schon mal davon geträumt – was wäre, wenn … ja, wenn ausgerechnet Sie den Jackpot abräumten? 7,5 Millionen! Was könnte man damit alles machen? Also, ich hätte da die eine oder andere Idee, das können Sie glauben! Was ich überraschend finde, ist, dass Ludwig nur den geringsten Teil der Kohle für sich ausgeben will. Er verteilt ja schon kräftig. Aber wer weiß? Vielleicht macht ihn das glücklicher, als sich selbst ›mein Haus, mein Boot, mein Pferd‹ zu leisten. Ich könnte mir vorstellen, dass Geld so vielleicht doch glücklich machen kann. Du kannst nichts mitnehmen, sagte meine Oma immer. Und ›Das letzte Hemd hat keine Taschen‹. Recht hatte sie.

Am wichtigsten ist allerdings die Frage: Was ist den nun mit unserem Chefarzt? Ist er inzwischen doch wieder gesund geworden? Oder muss er den Beruf an den Nagel hängen? Haben Sie nachgesehen? Steht irgendwas von ›letzte Folge› auf dem Einband? Nicht? Aha! Dann ist es wohl wie bei Ihnen und bei mir. Wie im wahren Leben, eben. Es geht immer irgendwie weiter. Wie meinen Sie? Ja, Sie haben recht. Auch ein Spruch meiner Oma!

So, wo sind wir gerade? Ein schönes Haus, bayrischer Stil. Wir befinden uns mit Frau Fürstenrieder und Herrn Kreuzeder auf dem Flur im Eingangsbereich. Erinnern wir uns: Oben ging gerade das Licht an, und eine Frauenstimme rief nach Kilian …

Enttäuschungen

Der Blick, den Frau Fürstenrieder Kilian zuwarf, kombinierte Entsetzen und Enttäuschung. Sie verharrte in Erstarrung wie weiland Lots Weib, als könnte Sie durch völlige Bewegungslosigkeit die Katastrophe, den Untergang ihrer Träume und Hoffnungen, verhindern.

Wortlos öffnete Kilian eine Tür und griff hinein, um den Lichtschalter zu drücken.

Dr. Norden Bestseller – 325 –

Die Wahrheit kannte nur sie

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden hatte arbeitsreiche Wochen hinter sich gebracht. Der nach seinen eigenen Worten verrückteste Winter seit langer Zeit, war selbst den sonst Gesunden nicht bekommen, und den Kränkelnden erst recht nicht. Ein Winter war es bisher ja nicht gewesen, von ein paar naßkalten Tagen abgesehen. Wenn es mal schneite, blies am nächsten Tag ein Föhnsturm das bißchen Schnee gleich wieder weg. Die Skifahrer jammerten, die Weihnachtsferien waren für die Urlauber und ebenso auch für die Gastwirte zu einem Fiasko geworden, und ein noch unbekannter Grippevirus war so manchem zum Verhängnis geworden.

Alice Presten, eine langjährige Patientin von Dr. Norden, war allerdings nicht an der Grippe gestorben, sondern an Multiple Skle­rose. Aber es hatte noch mehr Todesfälle unter Dr. Nordens Patienten gegeben, und ihm, der gern alles tat, um zu helfen, war das schon sehr nahe gegangen.

Tröstlich war es nur für ihn, daß seine Frau und seine Kinder einigermaßen gut über die Zeit gekommen waren, wenngleich es ohne Erkältungen auch bei ihnen nicht abgegangen war.

Drei Wochen waren vergangen, seit Alice Presten beerdigt worden war, als ihre Tochter Eva in Dr. Nordens Praxis erschien. Sie war ein ganz besonders reizendes Mädchen, und Dr. Norden war froh, daß sie sich halbwegs wieder gefangen hatte, denn Eva hatte neben dem Tod ihrer Mutter auch noch andere Sorgen bewältigen müssen.

Sie war stark erkältet, wie er auch gleich an ihrer rauhen Stimme hörte, und außerdem waren auch die Augen entzündet.

»Und das ausgerechnet jetzt, da Lars in ein paar Tagen aus der Klinik entlassen wird«, seufzte sie bekümmert. »Ich kann ihm doch nicht eine Erkältung anhängen, da er sowieso noch geschwächt ist.«

»In ein paar Tagen geht es Ihnen schon wieder bedeutend besser, Eva«, sagte Dr. Norden aufmunternd. »Und ich denke, daß Dr. Jonasson jetzt durch die Antibiotika, die er bekommen hat, ziemlich immun sein wird. Es soll wohl bald geheiratet werden?« fragte er mit einem Augenzwinkern.

»Das schon, aber deshalb brauchen Sie nicht gleich Sie zu mir zu sagen, Dr. Norden«, erwiderte Eva schelmisch. »Jetzt kennen Sie mich doch schon lange genug.«

Er nickte. »Aus Kindern werden Leute, aus Mädchen werden Bräute«, sagte er lächelnd. »Mich freut es sehr, daß es so gut ausgegangen ist, Eva.«

»Für uns schon«, sagte sie, »aber was ist mit Frau Böckler?«

»Sie ist jetzt in einem Sanatorium. Ihr Zustand bessert sich.«

Eva sah ihn nachdenklich an »Aber Margit hat gesagt, daß sie ihres Vaters Alleinerbin sei, was bleibt dann für ihre Mutter?«

»Margit Böckler hat schon viel gesagt, was nicht stimmt, das weißt du doch am besten, Eva. Jetzt haben da erst mal die Gerichte das Sagen, denn es scheint so, daß Heinz Böckler auch noch andere Nachkommen hat, zumindest einen.«

»Wie denn das?« fragte Eva bestürzt.

»Es wird sich bald herausstellen. Jedenfalls wird Margit Böckler noch so manche Niederlage erleben. Es ist gut, daß du geheilt bist von dieser Freundschaft, Eva.«

»Ich war wohl ganz schön dumm«, sagte sie leise.

»Nur zu anständig für diese sogenannte Freundin. Du ahnst ja nicht, wie beruhigend es für uns ist, daß dein Lars dich nicht enttäuscht hat.«

»Es wäre schlimm gewesen, wenn Margit recht behalten hätte«, sagte Eva. »Es war für ihn ja alles schlimm genug. Aber Colin ist ein guter Freund, er hat sich bewährt in dieser Situation. Da wollte ich Sie noch fragen, ob Sie mal für seine Mutter Zeit hätten. Allerdings würde das wohl ziemlich viel Zeit kosten, denn sie befindet sich in einer depressiven Phase. Lady Flynn ist seit ein paar Tagen in München, und Paps möchte ihr unser Berghaus zur Verfügung stellen, damit sie sich erholen kann. Aber Colin meint auch, daß sie erst einen guten Arzt braucht. Colins Schwester ist an einer Überdosis Heroin gestorben. Eine sehr tragische Geschichte, über die eine Mutter nicht so schnell hinwegkommt, während Colin ja meint, daß es so besser ist.«

»Ich werde mir Zeit für Lady Flynn nehmen«, versprach er. »Aber nun werden wir mal was für Evas Erkältung tun.«

»Aber Sie wissen, wie ich auf manche Mittel reagiere. Als Vogelscheuche möchte ich Lars auch nicht zu Hause empfangen.«

Dr. Norden lachte leise. »Da passe ich schon auf. Wenn aber ein gewisses Fräulein Presten Sachen einnimmt, die der Onkel Doktor nicht verschrieben hat, kann man ihn nicht verantwortlich machen.«

»Da habe ich auch auf Margit vertraut, auf eines ihrer Wundermittel, aber jetzt bin ich sicher, daß sie es darauf anlegte, mich auszuschalten, als im vorigen Jahr der große Ball stattfand. Warum, weiß ich allerdings nicht, aber sicher hatte sie sich dafür was vorgenommen. Sehen Sie, jetzt denke ich nach. Aber eigentlich ist es doch schlimm, wenn man so mißtrauisch wird.«

»Wenn man sich Menschenkenntnis erworben hat und auch die Spielregeln unter gewissen Leuten kennt, weicht das Mißtrauen. Man ist wachsam und der jeweiligen Situation gewachsen.«

»Da fehlt es bei mir aber anscheinend noch weit.«

»I wo, du bist einfach zu tolerant, Eva, um nicht zu sagen zu gutmütig. Du suchst immer noch nach Entschuldigungen, auch für Margit Böckler.«

»Sie wird auch noch dazulernen«, sagte Eva nachdenklich. Aber sie wollte Dr. Norden nun nicht mehr aufhalten. Er hatte ihr ein Rezept geschrieben, und er sagte ihr, wie oft sie die Tabletten und Tropfen einnehmen sollte.

»Und dann sagen Sie mir Bescheid, ob und wann Lady Flynn einen Termin haben will. Wir würden ihn dann auf den Nachmittag legen. Vielleicht könnte sich ihr Sohn vorher mit mir absprechen. Mittwochs ist am besten, weil ich da nur ein paar Dauerpatienten bestelle.«

»Ich werde es mit Colin verabreden. Er setzt sich dann mit Ihnen in Verbindung. Inzwischen vielen Dank, Dr. Norden.«

»Wie geht es Frau Rethy, wenn ich fragen darf?«

»Sehr gut. Es wird bald geheiratet, damit jeder Klatsch vermieden wird. Ich bin sehr froh für Paps. Sie ist eine liebenswerte Frau. Wir verstehen uns sehr gut. Und ich werde mit Lars ja von hier weggehen. So ist es beruhigend für mich, daß Paps mich nicht zu sehr vermissen wird.«

Sie schenkte ihm ihr zauberhaftes Lächeln. »Sie haben sehr viel für uns getan, Dr. Norden, das werden wir Ihnen immer zu danken wissen.«

*

Der Bankdirektor Leopold Presten, Evas Vater, hatte an diesem Vormittag auch einen Besuch bekommen, der ihn noch lange beschäftigen sollte. Es handelte sich nämlich um Jörg Böckler, den Neffen des verstorbenen Heinz Böckler. Jörg hatte sich lange und sehr ernsthaft um Eva beworben, aber ohne Erfolg. Er war aber anders als seine Kusine Margit.

Er fand sich mit unabänderlichen Tatsachen ab, und außerdem war er derzeit der einzige, der sich um seine noch immer desolate Tante kümmerte, während Margit vergessen zu haben schien, daß sie eine kranke Mutter hatte.

Jörg Böckler kam in einer diffizilen Angelegenheit zu Leopold Presten, da er wußte, daß sein Onkel mehrere Konten auf dieser Bank hatte, denn er war ja mit der weiteren Geschäftsführung der Firma Böckler betraut worden. Viele Aufträge waren noch zu erfüllen. Die Geschäftslage war hervorragend zu bezeichnen, und warum sollte nicht ein Nachfolger gefunden werden, der die gut ­eingeführte Firma weiterführen konnte.

Jörg hatte jedoch die Sorge, daß Margit andere Vorstellungen hätte, da sie nur an ihrem Erbe interessiert war.

»Ich will Sie ja nicht zur Indiskretion verleiten, Herr Presten«, begann Jörg Böckler stockend. »Aber kann Margit eigentlich an das Geld schon heran?«

»Das kann ich klar mit einem Nein beantworten. Das Kapital ist eingefroren, und es wird nur so viel freigegeben, um den Betrieb aufrecht zu erhalten und die Angestellten zu bezahlen. Und ich bin auch kein Schwätzer, wenn ich sage, daß die Kapitallage gut ist, aber da kein gültiges Testament vorliegt, forscht das Nachlaßgericht noch nach möglichen Erben. Auf jeden Fall ist Frau Renate Böckler, die Witwe, die Haupterbin, wenn nichts gegenteiliges bewiesen werden kann.«

»Aber Margit behauptet doch, Haupterbin zu sein.«

»Dann muß sie ein Testament vorweisen. Ich begehe keine Indiskretion, wenn ich Ihnen diese Tatsachen mitteile. Sie sind ja jetzt der Geschäftsführer.«

»Nur vorübergehend. Ich bin für Hoch- und Tiefbau zuständig, und ich muß mal unseren Betrieb übernehmen. Ich will jetzt nur Tante Renates Interessen vertreten, da sie ja sonst niemanden hat. Alles in allem ist es sehr traurig, wie sich Margit benimmt. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, daß mein Onkel ohne Testament gestorben sein soll. Er war eigentlich in geschäftlichen Dingen immer sehr korrekt.«

»Nun, vielleicht findet sich doch noch eines an. Jedenfalls kann Ihre Kusine nicht über das Geld verfügen.«

»Dann wird sie über kurz oder lang wohl auch heimkehren«, sagte Jörg Böckler. »Sie mißverstehen mich doch bitte nicht, Herr Presten. Ich habe wahrhaftig keine eigenen finanziellen Interessen.«

»Das weiß ich, Herr Böckler. Frau Böckler kann von Glück sagen, daß Sie ihre Interessen vertreten.«

»Sie ist bedauernswert, und ich fürchte, es wird noch manches auf sie zukommen. Mein Vater machte da mal solche Andeutungen, und deshalb will er sich auch ganz heraushalten.«

Leopold Presten stellte keine Fragen. Er hatte auch schon einiges mitgeteilt bekommen, und er bedauerte Renate Böckler auch sehr, denn schließlich hatte sie bei ihrer Heirat nicht nur eine Menge Geld in die Zukunft investiert, sondern sie hatte auch sehr fleißig mitgearbeitet, um den Erfolg zu sichern.

Ja, so war das manchmal im Leben. Da kam so manches nach dem Tod eines Menschen auf, was große Probleme mit sich brachte. Leopold Presten hatte mit solchen Problemen in seinem Beruf oft genug zu tun, denn er war Direktor einer Großbank.

Er wußte, daß Jörg Böckler ein grundsolider junger Mann war, und wenn nicht Lars in Evas Leben getreten wäre, hätte er auch nichts gegen ihn als möglichen Schwiegersohn einzuwenden gehabt. Aber er wußte nun auch, daß es bei dieser Nachlaßregelung Schwierigkeiten geben würde.

Mit Sibylle und Eva sprach er darüber freilich nicht. Es gehörte zwar nicht direkt zum Bankgeheimnis, aber der Name Böckler hatte durch ihre Feindin Margit für Eva einen bitteren Nachgeschmack bekommen.

Eva war auch noch nicht zu Hause, als er dort eintraf. Aber Sibylle hatte schon alles für seine Ruhepause hergerichtet.

Er bekam stets ein gutes Essen vorgesetzt, und sie schien ihm tatsächlich jeden Wunsch von den Augen abzulesen, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Für Leopold Presten war Sibylle ein Glücksfall, wie man ihn selten geschenkt bekam, und diesen hatte er Dr. Norden zu verdanken, der ihm die junge Witwe, die vom Leben auch schon arg gebeutelt worden war, als Krankenpflegerin für seine Frau Alice vermittelt hatte, die schon Jahre leidend gewesen war. Alice war eine liebe, geduldige Patientin gewesen, und für Leopold war es bedrückend gewesen, seine Frau so leiden zu sehen, aber er hatte die schweren Jahre auch mit unendlicher Geduld ertragen, und er war dankbar gewesen, daß Sibylle die schwerste Zeit mit ihm getragen und ihm die Gewißheit gegeben hatte, daß er in ihr eine verständnisvolle Gefährtin behalten würde.

Es stimmte ihn auch dankbar, daß Eva überhaupt nichts dagegen hatte, daß er Sibylle heiraten wollte. Im Gegenteil, denn sie hatte ihm zugeredet und ihm auch ausgeredet, Sibylle erst einmal für eine Zeit in das Berghaus zu schicken oder gar als Verwalterin in das vermietete Wohnhaus.

Für Sibylle war es ein Glück gewesen, daß Eva dann so mit Lars beschäftigt war, als er verletzt aus Venezuela hergebracht wurde, und sie nicht sagen konnte, daß Eva ja nun für ihren Paps da wäre.

Nein, Eva hätte niemals all das bewältigt, was Sibylle so lautlos und perfekt tat. Der Haushalt lief wie am Schnürchen. Selbst im Kochen war Sibylle für Leopolds Begriffe unübertroffen. Daß sie ihn schon einige Zeit Poldi nannte, wußte nur Eva, und wenn jemand sie neugierig und anzüglich fragte, ob Sibylle Rethy denn bei ihnen bleiben würde, erwiderte sie ironisch: »Natürlich, solch ein Juwel findet man ja nicht wieder.«

Eva war es egal, wenn hinter ihren Rücken geklatscht wurde. Diesbezüglich hatte sie auch Sibylles Rückgrat gestärkt, denn Sibylle hatte schon böse Erfahrungen in ihrem Leben machen müssen, seit ihr Mann tödlich verunglückt war.

Sie war eine anmutige und sympathische Frau, Mitte Dreißig, gebildet und nach Leopolds und Evas Meinung durchaus in der Lage, auch bei den Empfängen des Bankdirektors repräsentieren zu können. Das wollte Sibylle allerdings noch vor sich her schieben, wenn sie nun auch schon bereit war, bald Poldis Frau zu werden. Sie hatten sich in schwerer Zeit gefunden, und es war Liebe, die die Grundlage zu dieser Ehe bildete, nicht seitens Poldi eine Vernunftlösung, um nicht eine teuer zu bezahlende Haushälterin ins Haus nehmen zu müssen. Er hatte ganz offen mit Sibylle gesprochen, und sie konnte es letztlich auch nicht leugnen, daß Poldi längst ihr Herz gewonnen hatte.