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Götter, die beim Wasser des Unterweltflusses Styx geschworen hatten, den Eid aber nicht gehalten, verfielen dem Verdikt der Moiren und wurden zu einem zehnjährigen Aufenthalt in der Welt der Nur Sterblichen verbannt. Dieses Buch, eines aus der Reihe "Hekaton" (griechisch für: hundert; die Stücke zu diesem Buch wurden jedes auf je 100 Seiten begrenzt, in der Formatierung - Word Ariel 12 - wie ich sie kompilierte), das ich schrieb nach meinem 1600-Seiten-Panoptikum "Is ja wahr... " und hatte noch reichlich intellektuelle und schriftfertige Lebendigkeit in mir, die auf das da fertige Buch nicht mehr zu verwenden waren. Also nahm ich mir vor, ein Buch zu 9 x 100 Seiten zu schreiben, neun features zu je 100 Seiten. Obenhin arbiträr dachte ich mir einfach Titelworte aus und elaborierte dann, mit einer Produktionsrate von 5 - 10 Seiten pro Abend am Computer, was mir zu dem Titelvorhalt einfallen wollte. Das ging, da kam immer was. Und dieser Text hier ist eines der Kapitel (ich wählte die Seitenzahl nach 900, weil 1000, 10 x 100, einen Dimensionssprung darstellt, die bis dahin 1 - 3stellige Seitenzahl im Buch je wäre auf 4 verstärkt worden - aber nur für eine, die letzte Seite - das schien mir etwas unharmonisch; zudem ist die Neun sowohl bei alten Germanen und gar älteren Chinesen die Zahl der Vollkommenheit, eine harmonische, Gutes heißende Menge eher als nur Zahl). Dieses Buch also handelt davon, wie ich mir den großen Blick der Flüsse-Wassertafel Westeuropas, besonders in Deutschland, durch sonst meinungsloses Reisen erwarb, was das mit dem Totenfluß Styx in der Unterwelt zu tun haben mag, und eine etwas voluminösere Erörterung, was zu meinen bleibt, wenn ein bei den Göttern Verbannter sich in meinbarer Menschenwelt findet - dies weniger, um den Gott selber schlau zu machen - der wird alles in genialster Weise ohne das realisieren - sondern für die Menschheiten, die dazu das Beibild halten. Die Sprache ist da notwendig etwas mythisch, weil beispielsweise Menschenarten und Sinnbünde in solcher oder anderer Weise in genügend verschiedenen Stämmen, Völkern, Konstitutionen sich wiederfinden. Die supertypische Form, all das zu erfassen zugleich, ist eben das Mythische, das "Urbild" der Platonischen. Da dies hier kein Schul-Besinnungsaufsatz ist mit streng verordneten logischen Strukturen, sondern frei und für ausbeutbare Assoziationsfelder sympathetisch aufgeschlossen...
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Seitenzahl: 192
Die Schläge begannen, als ich schon meine Zähne hatte,
bekam Fleisch zu essen, konnte aus eigenem Sinn sprechen
und man kam mir mit ethischen Begriffen
wie wahr und falsch, Wahrheit und Lüge.
Das war da ein deutliches Thema.
Mein wunderbar feinseiden lockiger,
weißblonder Schopf war mir geschoren worden,
und nun, wo der Schädel hervorschaute,
hielt man sich schlagend an ihn.
Die Schläge erfolgten systematisch oder erratisch.
Hatte ich über den Tag eine prinzipielle Sache falsch,
sodenunzierte meine Mutter mich beim heimkehrenden Vater,
der dann Strafgericht machte und mich übers Knie legte,
schlug mir mit fester Hand auf den Hintern,
bis daß er meinen konnte,
genug Energie auf mich abgelassen zu haben.
Anfangs schrie und weinteich sehr, bettelte,
doch das verschlimmerte die Strafe nur.
Ich besann mich, gab keinen Laut mehr,
und das schien zu wirken.
Über eine Zeit gewöhnte sich mein Vater ab,
mich so zu traktieren.
Zudem mußte ich aber immer mit Ohrfeigen rechnen,
plötzlichen,unerklärlichen,
oder über Argumenten,
die an den Haaren herbeigezogen waren.
Einmal bekam ich eine geknallt, daß mir die Nase blutete.
Ich beklagte das abends bei meinem Vater,
doch meine Mutter sagte, ich sei gegen eine Tür gelaufen.
Mein Vater wußte, daß meine Mutter log,
doch für mich gab es keine Berufung.
Man ging über mich hinweg.
An einem Waschtag hatte meine Mutter an der Zinkwanne zu tun.
Ich stand neben ihr, schaute müßig über die Waschbrühe.
Unversehens knallte sie mir hart eine,
ich verlor das Gleichgewicht und fiel kopfüber ins Wasser,
bekam die Brühe in die Nase und verschluckte mich.
Es wurde viel kategorisch befohlen und gesagt,
doch nie etwas erklärt.
Ich war erkennbar bei nur sittlichen-unsittlichen Leuten,
wo keine Feinheitenzu erwarten waren.
Das wußte ich von frühester Kindheit an,
sobald ich erkennen konnte,
daß andere Leute im Dorf nicht so zu ihren Kindern sind.
Wenn ich aus dem Fenster im ersten Stock hinausschaute,
sah ich auf die Auenwiesen des Baches,
der darin ungesehen vorbeifloß.
Gegenüber stieg sacht der Ackerhang auf Horizonthöhe.
Es roch öfter nach Zink in der Luft,
nicht nur, wenn die Zinkwanne
wassergefüllt zum Baden in der Sonne stand.
Am nahen Horizont stand damals die Zinkfabrik,
und je mit dem Windwehten ihre Schwaden übers Dorf.
Es kam Wasserleitung ins Haus.
Zuvor waren die Leute alle
zu der Schwengelpumpe
an einer Wegtiefe mitten im Dorf gegangen,
holten sich das Naß eimerweise in ihre Häuser.
Ich trank gern von diesem Wasser.
Manschwengelte,
bis daß ein faustdicker Wasserstrahl aus dem Spund kam,
ließ den Schwengel los,
lief um die Pumpe und trank von dem nachlassenden Nachlauf.
Die Leute rieten, nicht direkt davon zu trinken,
weil man nicht wissen könne, wie sauber das sei.
Es war aber heiter und klar,
immer gleich kühl in jeder Saison.
Von der Pumpe abwärts
verlief eine Straße über eine Bachbrücke hinab,
zu der alten Kapelle aus karolingischer Zeit.
Die Gegend da umher war beliebter Spazierweg,
mit Kinderwagen oder schonälteren, laufenden Kindern.
Ein Mädchen aus dem Dorf namens Gertie ging da öfter
mit mir und meiner etwas kleineren Schwester umher.
Eines sonnigen Tages standen wir auf der Stegbrücke,
schauten nur so dem schnell fortfließenden Bachwasser hinterher.
Das Geländer war ein Kanteisenband
in Hüfthöhe erwachsener Menschen.
Wir Kinder paßten da leicht drunter hindurch.
Aus einem Moment heraus
verlor meine Schwester den Stand,
kippte und fiel ins fließende Wasser.
Ich sah sie untergehen, das Gesicht nachoben,
bis daß nichts mehr von ihr aus der Oberfläche schaute,
sie erschien momentan
wie eine Puppe hinter braunfarbenem Glas.
Gertie hatte erschreckt aufgeschrien, als es passierte,
eine Nachbarin im Haus gleich nebenan hörte das,
kam herbei und angelte behende
meine Schwester aus dem Bach.
Da hatten wir etwas Wahres erlebt.
Schnell ging’s nachhause,
wo meine Schwester ausgezogen und abgetrocknet wurde.
Dabei lief ihr Wasser aus der Nase und sie greinte etwas.
Direkt hinter dem Horizont,
jenseits der Zinkfabrik und der Halde,
die damals nur halbhoch war und noch angelegt wurde,
in etwa sieben Kilometer Entfernung,
lag der Tagebau Frimmersdorf,
wo die Grube beständig ausgebaut wurde.
Man begann, Wasser im weiten Umfeld dazu wegzupumpen,
wodurchauf die Dauer
der Grundwasserpegel unter den Dörfern abgesenkt wurde
auf zwölf bis fünfzehn Meter
(solche Dinge erfuhr ich zur Zeit meines Volksschulbesuchs).
Damit kam die Schwengelpumpe im Dorf an nichts mehr heran.
Man gab aber das weggepumpte Wasser
den Bächen und Flüssen umher hinzu,
lud das Wasserwerk
auf einem Hügelzug links der Zinkfabrik damit auf
und legte Wasserleitungen in alle Dörfer umher.
Im Effekt erhält man also dort nun
Wasser, das aus 200 m Tiefe kommt.
Es ist etwas hart, aber kristallklar und erfrischend.
Oh ja, ich habe zu trinken gelernt.
Mein Durst nach Wasser, nur Wasser,
war manchmal ungeheuer.
Ich merkte bis in die Schultern, die Waden,
wenn frisches Wasser mich erquickte.
_________
Ich gewöhnte mir zeitig an,von Wasserhähnen zu trinken:
Hahn aufgedreht, den offenen Mund unter den Strahl gehalten
und getrunken, was ich abbekam.
Ich lernte zeitig, so zu trinken,
daß ich nicht zu naß ums Maul wurde.
Später in der Oberschule der benachbarten Stadt
wurde das regelrecht Gewohnheit.
Nach jeder Stunde,
die meinen Wissensgeist beansprucht hatte,
lief ich zum Wasserhahn,
drehte auf und füllte mir den Magen mit Wasser.
Ich war der einzige in der Klasse, der das so unbedingt tat.
Das Naß dort stammte aus den Ufersänden des Rheins.
Es schmeckte laffer und weicher als das zuhause.
_________
Die erste Wohnung war nicht beheizt,
es wurde nur zeitweise
ein Braunkohlebrikett-Ofen angezündet.
Gekocht wurde mit Herdfeuer.
Die Atemfeuchte einer ganzen schlafenden Familie
schlug sich in Frostnächten
als Eissterne an den Fenstern nieder.
Ich führte Register, sobald ich sah,
daß dieser Effekt in verschiedenen Dichten auftrat.
Wenn die Fenster besonders dicht vereist waren,
dann war das wie ein Festtag.
Manchmal brachte ich Zeiten damit zu,
zu schauen, wie die Sonne im Südfenster die Eissterne zerschmolz.
Sie wurden glasig, verloren ihre Form, die Scheibe wurde naß,
das Wasser rinnsalte tropfenweise hinab
und sickerte über den Rahmen
in die schmale Tropfrinne auf dem Fensterbord.
In dieser lagen sonst öfter tote Fliegen und deren Einzelteile
(ich hatte zeitweise Vergnügen daran, Fliegen zu zerpflücken),
und davon mochte
auf dem bißchen Wasser in der Rinne schwimmen.
Erinnerungen an herzstille Zeiten,
wodas Tropfen des Wasserhahns war zu hören.
Später wurde berichtet,
man könne einen Menschen zum Wahnsinn treiben,
indem man ihn schor
und ihm dann mit absoluter Regelmäßigkeit
Tropfenwasser an immer dieselbe
Stelle auf dem Haupt tropfen ließ.
Vergleichbare Legenden gab es einige.
_________
Wir zogen dann in ein eigenes, neuerbautes Haus:
Duschen, Wasserklosetts,
fünf Wasserhähne und eine Wasser-Zentralheizung.
An dieser lernte ich, mich um Feuer zu kümmern.
Als das Haus stand, wurde noch ein Pool dazugebaut,
aus Beton, mit Hydraulikfarbe bemalt.
Nicht viel, so ca. 35 Kubikmeter,
nicht mehr als ein Wasserloch.
Aber dort konnte man das Wasser fühlen.
Eine Jungenbande machte das Dorf unsicher
und kam gelegentlich vor das neue Haus,
mich herauszufordern.
Direkt helfen wollte mein Vater mir nicht,
doch riet er mir,
einige der Rabauken zum Baden einzuladen.
Das tat ich, und die ließen sich das gefallen.
So waren wir nun öfter kleine Gesellschaft,
meine Schwester, ich,
drei oder vier Jungen und Mädchen aus dem Dorf.
Wir sonnten uns, balgten mit dem Wasser
und sprangen Arschbomben dort hinein.
Das Wasser zeigte eine angenehme Festigkeit,
quirlte schön, schwang wogend umher.
Man war sichtlich im Element.
Die Sonne erschien von daher als einer der Sterne,
vielleicht, weil die Füllung des Pools
aus jenen Grundwasserpumpungen kam.
Wenn niemand badete, war doch immer etwas los.
Manchmal fielen neugierige
Spitzmäuse oder Mäuse ins Wasser,
konnten nicht wieder heraus und ertranken.
Einmal ertränkte ich selber eine,
die noch umherschwamm,
indem ich ein Glas darüberstülpte
und die Luft darausließ.
Die kleine Agonie des Tiers erschreckte mich aber sehr -
das war eine wirkliche Sünde,
dem Tier sein Leben extra wegzunehmen.
Irgendwie fanden immer wieder Gelbrandkäfer in den Pool,
paddelten da umher und fanden’s lebenswert.
Schlauchalgen, grüngesprenkelt und so zwei Zentimeter lang,
wogten und waberten in den Wasserrändern.
Das Wasser war immer ein wenig grünlich,
gab aber auch das Blau des Himmels wieder
und wirkte wie ein solides Schattendepot
(vom Sonnenstand her
fiel immer Schatten in das Wasser,
in den hineinzutauchen
ein interessant schauderndes Vergnügen war,
wie, eine Gänsehaut zu bekommen).
Der Wasserkörper im Pool wirkte sehr solide,
wie Schmiedeeisen so dicht.
Gelegentlich wurde das Becken abgelassen.
Wir nahmen einen Schlauch, füllten ihn ganz mit Wasser,
hingen sein eines Ende auf den Boden des Pools,
das andere draußen
Stück unterhalb dessen in den abschüssigen Garten,
und durch archimedische Hydraulik
sog so das unten auslaufende Wasser
aus dem anderen Ende nach.
Das wurde einfach so laufen gelassen,
und nach anderthalb bis zwei Tagen war das Bassin leer.
Dann wurden vielleicht
mit Salzsäure die Algen weggeschrubbt,
blättrige Farbe weggespachtelt, alles weggespült,
der Pool ganz trockengelegt, neu gestrichen, gewartet,
und dann wieder diamantklares Leitungswasser eingelassen.
Das mußte dann einige Tage
in guter Sonne durchwärmen,
bevor man wieder badengehen konnte.
_________
Ach, aus der Kindheit, geheimnisvolle Wasser:
wir fuhren des öfteren sonntags zum Schloß Dyck,
einem Wasserschloß
mit weitläufigen Grabenanlagen in einem Park.
Nach einigen Wegecken und Brücken
verlor ich dort regelmäßig die Orientation.
Die Wege führten, zwischen alten Bäumen,
an den Wassergräben entlang,
die, von unbestimmbarer Tiefe,
ein paar Spannen weit waren.
Ich bekam immer
ein sonderbar sattes Gefühl in den Wangen
von der warmen Ausdünstung dieses Wassers.
Dyck ist, oder war zu jenerZeit jedenfalls,
ein Zaubergarten,
sehr vergleichbar dem Nordfriedhof in Düsseldorf,
wo ich die sonderbarsten Erscheinungen zu sehen bekam.
Wenige Menschen waren umher,
die Erscheinungen blieben,
vielleicht hörbar wurden doch nicht nahekamen.
Es war deutlich still dort, wie das Wasser.
Vielleicht waren da Schwäne und Enten,
doch nie geschah irgendetwas Lebhaftes.
Das Wasser wurde mir besonders geheimnisvoll,
weil es partienweise mit Entengrütze bedeckt war.
Das Wasser selbst war wie tannengrün,
undan manchen Stellen war zu sehen,
wie der Rand eines Grützeplackens
Schatten in die ungefähre Tiefe warf.
Dyck scheint ein Wald-Sonnentempel zu sein.
Der Himmel da ist ganz sonderbar schön,
wie feierlich blühende Wiesen,
auch in der Gegend weiter umhergesehen.
_________
Der Pool aber:
Hans-Jürgen, einer von der Bande,
den ich eingeladen hatte,
ließ sich den Badespaß
mit geradezu neronischem Vergnügen gefallen.
Seine Eltern fanden daher,
sie könnten sich ja auch so bewassern,
legten oben,in ihrem ebenen Garten,
eine Grube an mit schrägen Wänden,
kleideten sie mit Folie aus
und hatten nun auch einen Pool.
Dorthin luden ihre Kinder andere ein,
die zu uns einzuladen wohl keinen Sinn gehabt hätte.
Einer davon war ein Seeger-Junge,
damals vielleicht 19 Jahre alt,
einziges Kind seiner schon älteren Erzeuger.
Der war ein wenig sportlich, gerade gewachsen,
auf dörfliche Weise voller Selbstvertrauen.
Der wollte dort nun besonders forsch sein,
sprang einen steilen Köpfer in das Wasser,
stießauf den Grund und brach sich das Genick.
Man hat uns Kindern nämlich immer gesagt -
doch der war kein Kind mehr.
Es war recht schade.
Seine Eltern mußten nun alleine altern...
_________
Noch eine famose Wasserstelle gab’s im Dorf.
Auch nur ein flacherTümpel,
der aber so undurchsichtig war,
daß keiner auch nur einen Finger da hineingetan hätte
(besuchende Enten später fanden durchaus etwas daran).
Das Wasser lag hinter dem Haupthof vor der Schule.
An dieser Stelle hatte in frühen Zeiten des Jahrtausends
eine viertürmige Wasserburg gestanden.
Deren Eigner müssen bekannte Leute gewesen sein.
Von einem berichtet man,
er sei Gesandter und Botschafter des Kaisers gewesen.
Die Burg ist aber längst fort.
Statt ihrer steht nun in der weiten Grube,
die der Wassergraben -
aus dem nahe vorbeifließenden Bach gefüllt -
gewesen ist,
ein Bauernhof, der damals noch Kälber und Kühe hielt,
die auch in der Grube weideten.
Hinter der Hofwand zum Bach hin, in der Tiefe der Grube,
also dieser Tümpel, fünf mal achtlange Schritte groß.
Sommers gehörte der Platz den Kühen,
doch winters, wenn’s Eis gab und Schnee lag,
kamen die Schulkinder aus der nahen Umgebung,
dort an der recht steilen Grubenwand zu schlittern.
Zwei oder drei hatten auch Schlittschuhe
und gingen damit auf dem dick vereisten Tümpel umher.
Mich erwartete dort öfter
mein persönlicher Feind,
ein Junge aus dem nahen Dorf.
Dessen kleiner Bruder war, als ich wohl neun war,
auf der Straße direkt über der Grube
unversehens gestorben,
beim Schulweg unter den Hochspannungsleitungen hindurch,
die darüber hinwegführen
vom unfernen Frimmersdorf
zu den Orten und Städten im Rheintal.
Der war also, sagten sie,
plötzlich blau angelaufen,
fiel hin und starb auf der Stelle.
Dessen älterer Bruder war mein persönlicher Feind.
Der hatte eine Sache, nur mit mir.
Wenn ich den am Platz anfand, wurd’s spät.
Er ließ mich nämlich nicht fortgehen,
wartete, bis daß alle anderen wegwaren,
dann zwang er mich, ihm standzuhalten,
indem er mich knuffte
und mir aufdie Nase raunte,
was er mir alles antun würde.
Das mußte ich aushalten, er ließ mich nicht weg,
und erst, wenn er es genug sein ließ, kam ich davon.
_________
Weitere Wässer meiner Kindheit und Jugend:
natürlich der Rhein.
Mein Vater kam aus der Hauptstadt,
ich und meine Schwester waren dort geboren,
die Eltern meines Vaters waren dort begraben.
Öfter des Sonntagmorgens
fuhren wir vom linksrheinischen Landort dorthin,
den Rhein querend über eine der damaligen Brücken.
Auf die Schnelle der Überfahrt
war dem Strom niemals anzusehen,
in welche Richtung er floß,
das war nur eine ebene, wellenmatte Oberfläche.
Allenfalls die Bewegung der Schiffe war erkennbar.
Nach den Besuchen am Grab
nahmen wir vielleicht einen anderen Weg,
zu einer der Fähren etwa,
die einem das Wasser
in seiner Körperlichkeit merkbar machten.
Auf dem Rheinwasser spürt sich,
ein wie zügiger Lauf der Strom
durch sein Stück Kontinent ist.
Am linken Ufer wieder angekommen,
gab’s vielleicht noch eine Zeit im Strandkies,
wir vertraten uns die Beine,
sahen drei oder vier Schiffen zu,
wie sie passierten und Wellen warfen,
nahmen flache Steine auf und versuchten,
sie ditschend möglichst weit über das flache Wasser zu treiben.
Rheinwasser empfindet sich mir immer so
wie das Feuchte unterder Zunge, bis an die Lippen.
Der Strom hat eine Selbstverständlichkeit und Deutlichkeit,
die einen einfach überzeugt.
Man rührt an ihn, doch geht nicht an seine Tiefen.
Da ist eine wirkliche Kraft, die sich fühlen macht,
als bebten einem die Kiesel des Strombodens in den Knien.
_________
Zeitig genug wurde ich von meinen Eltern
in Sommerfrischen geschickt.
Einer der ersten Aufenthalte war in Bingerbrück.
Dort gingen wir gelegentlich
in einer kleinen Bucht am Stromrand baden.
Ich stieg in kurzen Lederhosen ins Wasser,
da ich keine Badehose hatte.
Das Wasser war durchsichtig humusbraun,
tendierte zu anthrazitner Dichte in die Tiefen hin.
Nördlich der Moselmündung, sah ich später,
wird es schieferfarben gelblichgrau-grünlich.
Das Baden im Rheinufer war sonst nicht viel,
wir machten uns ein wenig naß
und die Sonne schien steil,
warm und blinkend auf unsere Leiber,
in das braunklare Wasser. Römischer Rhein!
Gleich neben der Badebucht
fand sich ein Altwasser, das vor Stille wie leuchtete.
Man riet uns ab,
in dem dort tiefen Wasser zu schwimmen:
da seien Unterwasserpflanzen,
die sich vielleicht um die Fußgelenke wickelten
und zögen einen hinab.
Ich mied das stille Wasser, sah es aber gern.
Heinzi, mein Schulkamerad aus dem Bachdorf,
der mit dort war,
badete einst im Altwasser,
und es geschah ihm irgendwas,
es hieß danach, er sei beinah ertrunken.
Ich selber wußte nicht, ihn nach Genauerem zu fragen,
denn da zwischen den Dorfkindern
ist manchmal eine Scheu,
die sie nicht leicht miteinander reden läßt.
_________
Ein anderer Aufenthalt
führte mich nach Weißenbrunn,
einem Ort in der Alb bei Nürnberg.
Das war solch ein Wald-Sonnenwinkel,
wo es viele Schnaken gab.
Wasser war in der Nähe,
ein trübklarer, quirlig schnell fließender Bach,
streckenweise in einer Betonrinne.
In dem erfrischten wir uns manchmal die Füße.
In einer Wiese neben ihm
war ein Schwimmbecken eingerichtet,
ungewiß tief mit schrägen Wänden.
Das Wasser dortdrin kam durch ein Gitter aus dem Bach,
war sehr kalt und grün.
Es hieß,
in dem Becken fänden sich Forellen aus dem Bach.
Ich schaute danach, sah aber nie eine.
Immerhin: das Licht im Wasser
war schon so, wie Forellen blicken.
Auf der Wiese bekam ich einst Streit
mit einem Germanenjungen
aus dem Rechtsrheinischen, imGebirge.
Wir schrien einander für eine Weile an,
sagten uns die Meinung.
Er nannte mich ein Mondkalb,
griff unversehens und unerwartet heftig an,
unter dem Gegenlicht der Sonne hervor,
schmiß mich an die Erde und warf mir Sand ins Gesicht.
Das sind daso die Sitten. Sonst war nichts damit.
Mit manchen Leuten hat man’s eben komisch.
_________
Dann, zwei Jahre später, nach Überlingen am Bodensee.
Die Herberge liegt in mittlerer Höhe auf der Bergseite,
von ihr aus hat man den See
wirklich als große Fläche vor-unter sich,
so weit, daß bei Regenwetter etwa zu sehen ist,
wie die Schwaden über ihn hin ziehen.
Dort in der Stadt ist ein kleiner Hafen,
darin lag, neben kleineren Schaluppen,
ein richtig schmuckes, großes, weißes Segelschiff.
Darauf lerntensie das Navigieren.
Ich schaute mir das oft an und träumte...
Der Hafen also umschloß auch eine süße Wasserecke
(Bodenseewasser ist so zartgrün,
daß man’s schmecken kann),
hoch ummauert, damals ohne Geländer,
wo man also kam von oben heran,
konnte sich auf den Mauerrand (Kalksteine) setzen
und die Füße baumeln lassen über dem Wasser
zwei, drei Körperlängen tiefer.
Überlingen hat auch einen richtigen Badestrand,
leichter, nachgiebiger Sand.
Von da ging es eine kleine Strecke in den See hinaus.
Den Rand zum Tiefwasser
markierte ein dort verankertes Floß,
das periodisch belagert (beschwommen),
von etlichen Leuten zugleich bestiegen wurde.
Das waren aber meist zuviele,
sie begannen, zu rangeln,
einander hinabzuwerfen ins Wasser,
worin aus derTiefe schon Schwälle stiegen,
die stark abkühlten.
Ich rangelte gerne mit,
schaffte es, immer als Letzter hinabgeworfen zu werden,
und übrig blieb danach ein ansehnlicher Typ
mit seiner vielleicht vierzehnjährigen Flamme, schöne Figur,
und die beiden beteten einander dann
auf dem privat gewordenen Floß ein wenig an.
Auch hier fand sich ein schlimmer,
sehr lügnerischer Germanenjunge,
einer von denen, welchen nie etwas guttun wird.
Auch mit dem bekam ich Streit,
das ist mit denen vielleicht nicht zu vermeiden...
_________
Ich verbrachte also meine Jugend
zwischen diversen Quellen und Wasserlöchern im Land,
den Taufstein in der Kirche nicht zu vergessen,
der meist nur zugedeckt war,
worin aber das heilige Wasser allemal weilte, still...
_________
Irgendwann begann das Jahrzehnt des Biers.
Das kommt so, in dieser Gegend, das findet sich einfach.
Sein deutlichster Beginn war wohl ein Sonntag im Dorf.
Ich ging umher, betrat eine Wirtschaft,
da saßen einige meiner Lebenszeitkameraden
und waren im Beginn eines Gezechs.
Wir waren vierzehn oder fünfzehn.
Der Tag war rein sonnig.
Ich lebte da rechts vom Bach.
Die Wirtschaft lag links von ihm, aufs Ganze gesehen.
Also - ich wurde eingeladen,
in allem waren wir sieben oder acht.
Es war ein Kartenspiel da,jede Menge Alkohol, gratis.
Es wurde Bauernlegen gespielt,
wer verlor, mußte auf ex austrinken.
Das wurde bald lustig,
und nach vielleicht einer guten Stunde
waren wir herrlich zu.
Weswegen wir das Spielen sein ließen,
gingen erst im Hof der Wirtschaft umher,
dann machten wir uns, labernd, lachend, torkelnd,
auf einen Weg durch die Bachgefielde.
Ich war bester Laune, johlte und sang,
verlor irgendwann in der Sonne
das Zeitgefühl und Teil des Bewußtseins.
Ganz sicher aber war das
der schönste und totalste Rausch,
den ich mit Alkohol erlebt habe.
Ich kam wohl irgendwann nachhause,
keiner tat mir was,
schließlich tranken meine Eltern selber.
Am nächsten Tag im Schulbus
war die Geschichte gute Unterhaltung,
alle hatten Spaß gehabt. Wundern mußte ich michnur,
als Mani, der mit dabeigewesen war,
von dem Ausflug über die Feldwege berichtete
und konnte dabei etwas über mich
nur tuschelnd weitersagen.
Keine Ahnung, was das war.
Mehr, als daß ich im Gehen gepißt habe,
kann es nicht gewesen sein.
_________
Das Bier also hat seine eigene Gesellschaft,
plus den Untäternaturen der härteren Getränke.
Du gehst, aus Langeweile vielleicht,
da etwas trinken, wo’s Bier gibt,
und schon hast Du Leute im Spiel,
die anscheinend nicht einfach so
wieder weggehen aus Deinem Leben.
Kannst ja auch gern selber mit Bier
Dir ein wenig die Birne wärmen.
Ist nicht schlimm,
und Du magst gewissermaßen auch das Gefühl,
die Welt in ihren gewußten Weiten und Strukturen
nicht mehr wahrnehmen zu müssen,
nur das Unmittelbarste wahrhaben zu brauchen.
An sich haben immer die Anderen
mehr und entschiedener getrunken,
denn für sein Bier zahlte jeder selbst,
und ich hatte nie viel Geld.
Doch ich fühlte mit dem Hirn
in diese schäumende Pseudosinnlichkeit,
und manchmal war es ja auch lustvoll süß,
den Rausch bis in die Finger und Zehen zu spüren.
Das Bier war mir eigentlich
die Leitspur zu anderen Drogen,
die ich wirklich haben und erproben wollte,
namentlich Kif und, schließlich, LSD.
Das fand ich da, wo sie trinken,
und hatte ich das, war der Alkohol egal,
obgleich er öfter dabeiblieb,
ganz wie gewisse dionysische Straßentypen,
die Dich eben kannten, und trafst Du sie auf der Straße,
wurdest sie nicht so ohne weiteres wieder los.
So ist ja die Hefe, haftet erst oberflächlich,
doch beginnt sofort zu wirken, wo sie ihre Nahrung sieht.
Und ich war ein Süßer (sagte man mir öfter),
ich hatte Pneuma, ich hatte Seele!
In dieser aber
konnte der Alkohol nur ein Grundtümpel sein,
dessen Miasmen mir gelegentlich das Hirn umnebelten,
dabeibestimmte Dinge,
das, woran man die Bierstadt wiederkennt,
sehr im Klaren lassend.
Denn im Bier ist ja auch immer bestes Wasser!
Die Zeit nahe dem Alkohol
kann ich also nur
pauschal als das Jahrzehnt des Biers vermerken.
Vielleicht dauertedieses auch zwanzig Jahre,
doch es hielt mich nicht
(so wie in der Bierszene die Jonges sich
nicht unbedingt von den Mädchen halten lassen),
die Hefeinsel schwamm mir irgendwann davon,
die Kirmes geht weiter, doch anderswo.
Das ist sicher fern außermir,
und wie ich die Welt nun kenne,
sehe nur, wie es allenthalben rabid am Land frißt,
damit das Elend der Betrunkenen
zumindest warme Füße habe.
Das sehe ich, und trinke Wasser darüber: ewige Rache!
_________
Wo immer eine Wasserfläche ist,
bricht sich das Licht, wie im Auge.
_________
Wir fuhren des öfteren nach Aachen,
über Jülich, auf dem Hellweg.
Jülich liegt an der Rur,
welche da von der Straße überquert wird.
Die Brückenanlage ist unter Napoléon
festungsartig bewehrt worden, in Ziegeln.
Die Festungsreste sind von weitem, stillem Wasser umgeben,
auf das ich im Vorüberfahren immer fasziniert schaute.
Manchmal, selten, waren Schwäne darauf zu sehen.
Die Ränder des Wassers verschwanden
in schwarzem Gezweig von allerhand Bäumen und Büschen.
Ausdem Dorfland wäre noch ein Gewässer zu nennen.
Draußen vor dem Hügel liegt ein einzelner, alter Hof.
Den führten damals die Linzbachs,
deren Kinder in etwa
meinem Alter und dem meiner Schwester waren.
Unsere Mutter war sehr dafür,
daß wir uns mit denen anfreundeten,
und also taten wir das,
wanderten an schönen Tagen den Kilometer zum Hof,
über einen Feldweg,
dann einen Fußpfad im Ackerrand,
der nie untergepflügt wurde -
von der Gartenseite her in das Anwesen.
Dort wachte ein wilder Kettenhund.
Wirtrafen uns mit den dreien,
zwei Brüder und eine Schwester,
und trieben irgendwas,
im Garten meist, wo ein Bunker stand.
An der Seite des Hofes, von wo wir immer herkamen,
fand sich ein Weiher,
ein vielleicht 40 m durchmessendes Wasserloch
mit schlammig schwarzen Rändern,
in denen Weiden und Pappeln wurzelten.
Das Wasser wirkte immer sehr unlebendig,
völlig stagnativ, farblos anthrazit-trüb.
Es gab nichts her,
doch gehörte es wohl so sicher zum Hof