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Deutschland in den Goldenen Zwanzigern ... Friederike von Wellhagen will Jura studieren. Die Vorstellung, geduldig abzuwarten, bis man sie mit irgendeinem Prinzen verheiratet, ist ihr unerträglich. Sie möchte die Fesseln sprengen, die sie an eine Welt von Vorurteilen binden. Für ihren Vater, den Fürsten, ist das ein solcher Schock, dass er seine rebellische Tochter verstößt.
Doch Friederike ist durch nichts einzuschüchtern und taucht im wilden Berlin unter. Dort beweist sie, die bislang hinter schützenden Schlossmauern gelebt hat, einen Mut, der an Leichtsinn grenzt ...
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Seitenzahl: 136
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Verloren in Berlin
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Impressum
Verloren in Berlin
Eine Prinzessin sucht ihr Glück
Deutschland in den Goldenen Zwanzigern ... Friederike von Wellhagen will Jura studieren. Die Vorstellung, geduldig abzuwarten, bis man sie mit irgendeinem Prinzen verheiratet, ist ihr unerträglich. Sie möchte die Fesseln sprengen, die sie an eine Welt von Vorurteilen binden. Für ihren Vater, den Fürsten, ist das ein solcher Schock, dass er seine rebellische Tochter verstößt.
Doch Friederike ist durch nichts einzuschüchtern und taucht im wilden Berlin unter. Dort beweist sie, die bislang hinter schützenden Schlossmauern gelebt hat, einen Mut, der an Leichtsinn grenzt ...
Fürst von Wellhagen runzelte die Stirn, als seine Tochter Friederike schwungvoll den riesigen Wohnraum betrat.
Seine Tochter allerdings lächelte nur über die Missbilligung, die so deutlich sichtbar auf seinen Zügen stand. Sie legte die Reitpeitsche auf den niedrigen, mit kostbarer Einlegearbeit verzierten Tisch, ließ sich in den bequemen Sessel fallen und streckte die Beine weit von sich.
»Es ziemt sich nicht für eine Dame, in Reithosen herumzulaufen, liebe Friederike«, sagte Lothar von Wellhagen.
»Was hast du gegen Reithosen, Vater?«, fragte sie. »Man sitzt mit Hosen viel sicherer im Sattel als im Damensitz.«
»Eine Dame kleidet sich auch wie eine Dame, Friederike. Ich muss doch sehr bitten, in Zukunft meine Wünsche zu berücksichtigen. Nimm dir ein Beispiel an Stefanie. Deiner Schwester würde es niemals einfallen, so herumzulaufen wie du.«
»Ich weiß, Stefanie ist ein braves Kind.« Es klang ein wenig ironisch, denn Friederike nahm ihre um ein Jahr jüngere Schwester nicht ganz ernst. »Wo ist Mutter?«, erkundigte sie sich.
»In einer Komiteesitzung. Wie du weißt, hat sie den Vorsitz in vielen Ausschüssen.«
»Ja, ich weiß, wenn ich auch nicht verstehe, warum Mutter sich so abrackert.«
»Weil sie besser weiß als du, was sie ihrer hohen Stellung schuldig ist. Eines Tages wird man uns wieder in unsere angestammten Rechte einsetzen.«
»Das werden wir nicht erleben, Vater. Sag mal ehrlich, sehnst du dich nach der Zeit zurück, in der du Landesfürst warst?«
»Selbstverständlich tue ich das«, stellte Lothar von Wellhagen klar. »Die Pflichten waren manchmal erdrückend, aber ich habe sie gern erfüllt. Heute fehlen dem Volk Vorbilder, wie wir sie gegeben haben. Ich hoffe sehr, dass eines Tages wieder alles so sein wird wie früher, als wir noch einen Kaiser hatten.«
»Der es sich jetzt in Holland gut gehen lässt. Auf solch einen Kaiser können wir verzichten, Vater.«
»Wie redest du von Seiner Majestät, Friederike!« Fürst von Wellhagen zitterte förmlich vor Empörung.
Seine Tochter störte sich nicht daran. Sie fand die Ansichten ihres Vaters hoffnungslos rückständig. Er konnte sich einfach nicht damit abfinden, all seiner Vorrechte beraubt worden zu sein. Er träumte von der sogenannten guten alten Zeit, in der das Volk vor Ehrfurcht erstarrt war, wenn Seine Durchlaucht geruht hatte, sich ihm gnädigst zu zeigen.
»Du, Vater, ich habe noch eine Bitte.« Friederike holte tief Luft, bevor sie weitersprach. »Ich möchte studieren.«
Fürst von Wellhagen richtete sich im Sessel steif auf.
»Wie bitte?«, fragte er schockiert. »Ich hoffe, dich missverstanden zu haben, liebe Friederike.«
»Nein, ich habe mir alles gründlich überlegt. Mein jetziges Leben füllt mich nicht aus. Ich vertrödele meine Tage.«
»Du hast Pflichten genug. Und dann kannst du lesen, musizieren und Handarbeiten machen.«
»Das reicht mir nicht. Es gibt heutzutage viele Frauen, die an den Universitäten studieren.«
»Frauen?«, wiederholte Lothar von Wellhagen verächtlich. »Frauenzimmer meinst du wohl. Kein anständiges Mädchen aus gutem Haus wird studieren. Außerdem haben Frauen gar nicht den Kopf dafür. Ein Studium ist Männersache.«
»Ich bin nicht dümmer als ein Mann!«, widersprach Friederike empört. »Du mit deinen ewigen Vorurteilen.«
»Ich betrachte diese Unterhaltung als beendet, Friederike. Ich erwarte, dass du dich für deine Maßlosigkeit entschuldigst.«
»Tut mir leid, falls ich mich im Ton vergriffen haben sollte, aber in der Sache nehme ich kein Wort zurück«, erklärte Friederike trotzig. »Wir Frauen sind gleichberechtigt.«
»Das werdet ihr niemals sein. Es ist blanker Unsinn, was die Blaustrümpfe propagieren.«
»Die Zeiten haben sich gewandelt, Vater.«
Der Fürst stand auf.
»Eine Prinzessin von Wellhagen studiert nicht. Das ist mein letztes Wort. Es wird Zeit, dass ich dir einen passenden Mann aussuche.«
»Ich lasse mir keinen Mann aussuchen.«
»Was soll das heißen?«, fuhr der Fürst sie an. »Willst du etwa selbst ...?«
»Jawohl, ich will mir meinen Mann selbst aussuchen. Und mir ist es gleichgültig, woher er kommt. Wichtig ist nur, was er ist.«
»Wie redest du denn, Kind!«, empörte sich der Fürst.
»Ich möchte übrigens Jura studieren, Vater.«
»Niemals! Und dann auch noch Jura! Mit lauter jungen Männern zusammen in einem Hörsaal. Völlig ausgeschlossen, Friederike.«
»Das Semester beginnt am Ersten, Vater. Ich werde mir ein Zimmer suchen.«
Lothar von Wellhagen legte die Hand flach über die Augen. Revolution in seiner eigenen Familie! Unvorstellbar.
»Geh auf dein Zimmer und warte, bis ich dich rufen lasse. Das Essen werde ich dir hinaufschicken lassen. Ich möchte dich vorerst nicht an unserer Tafel sehen, bis du dich bei mir für dein unerhörtes Benehmen entschuldigt hast.«
»Sehr wohl, Durchlaucht.« Friederike machte einen tiefen Hofknicks, der in ihrem Reitanzug sehr komisch wirkte.
♥♥♥
»Er ist angekommen!« Zwei Tage später stürmte Stefanie in Friederikes Zimmer. Noch immer wünschte Fürst von Wellhagen seine Tochter nicht zu sehen.
Friederike zog die Brauen fragend in die Höhe.
»Siegmar Prinz von Sandloff!«, sprudelte Stefanie hervor. »Vater hat ihn für mich eingeladen. Er sieht fantastisch aus.«
»Liebe auf den ersten Blick, wie?«, spottete ihre Schwester. »Du bist geboren, um deine Eltern glücklich zu machen.«
»Du brauchst gar nicht ironisch zu werden. Siegmar wird dir auch gefallen. Vater gibt einen großen Ball für uns.«
»Auf dem Ball habe ich doch nichts zu suchen. Eine missratene Tochter wie ich.«
»Du musst daran teilnehmen. Bitte, entschuldige dich bei Vater. Er wartet darauf. Und du weißt, dass er nicht nachtragend ist. Er hat deine bösen Worte bestimmt schon vergessen.«
»Aber ich nicht. Tut mir leid, Kleines, doch ich habe nicht die Absicht, meine Verbannung hier freiwillig zu beenden. Wenn Vater Wert darauf legt, dass ich deinen Prinzen kennenlerne, muss er sich schon zu mir bemühen.«
»Das wird er nie tun.«
»Und ich mache nicht von mir aus den ersten Schritt. Erzähle mir von deinem Prinzen.«
»Er ist sehr charmant und hat mir die hübschesten Komplimente gemacht.«
»Wie schön!«, äußerte Friederike mit mildem Spott.
»Das verstehst du nicht. Aber als er mich anschaute mit seinen dunklen Augen ...«
»Da ist meine kleine Schwester vor Glück geschmolzen. Wie lange hast du mit ihm gesprochen?«
»Er ist doch eben erst gekommen. Er sitzt unten bei den Eltern. Ich wollte nur fragen, ob du ...«
»Nein, ich gehe nicht nach unten.«
»Das finde ich gemein von dir. Du wirst schon merken, wohin du mit deinem Starrsinn kommst.«
»Ich hoffe schon, dass ich das merke. Geh wieder nach unten, dein Prinz wird dich vermissen. So schnell findet er ja wohl keine andere, die unter seinen Blicken dahinschmilzt.«
»Mir gefällt er sehr gut!« Trotzig stampfte Stefanie mit dem rechten Fuß auf den Boden. »Du bist nur neidisch, weil Vater dir noch keinen Mann ausgesucht hat.«
»Ich weine Tag und Nacht darüber«, behauptete Friederike.
»Du wirst noch einmal als alte Jungfer enden, warte nur ab. Männer mögen keine intellektuellen Frauen.« Mit diesen Worten wirbelte die Schwester hinaus.
Friederike griff wieder nach dem Buch, das sie bei Stefanies Eintritt aus der Hand gelegt hatte.
Zehn Minuten später wurde die Tür geöffnet, und diesmal war es Fürst von Wellhagen persönlich, der eintrat. In seinem gut geschnittenen grauen Anzug sah er sehr vornehm aus.
Friederike hob den Kopf und schaute ihn erwartungsvoll an. Sie dachte nicht daran, sich zu entschuldigen.
Fast eine Minute verging, und in dieser Zeit fochten die beiden ein stummes Duell mit Blicken aus. Schließlich war es Fürst Lothar, der sich räusperte und als Erster zu sprechen begann.
»Ich wünsche, dass du nach unten kommst und unseren Gast begrüßt, Friederike.«
»Gern, Vater, wenn du mich so reizend darum bittest.«
Fürst von Wellhagen holte tief Luft, aber er verkniff sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lag.
»Du kannst so bleiben, wie du bist«, sagte er. »Wenn dein Kleid auch nicht mehr ganz modern ist. Prinz Siegmar wird es kaum auffallen. Er hat nur Augen für Stefanie.«
»Schön für sie.«
»Noch eins, Friederike.« Die Falten auf der Stirn des Fürsten vervielfachten sich. »Es ist nicht nötig, dass du Prinz Siegmar deine merkwürdigen Ansichten vorträgst. Ich hoffe sehr, dass er um Stefanies Hand anhalten wird, und deshalb darfst du ihn nicht vor den Kopf stoßen.«
»Verstehe, er ist ein Mann der alten Schule. Ich werde ganz brav sein, Vater, nur sprechen, wenn ich gefragt werde, und erröten, wenn er mich anschaut. Oder ist das nicht nötig?«
♥♥♥
Prinz Siegmar beugte sich tief über ihre Hand. Er sieht tatsächlich gut aus, stellte Friederike fest, die ihn ungeniert musterte. Allerdings war er nicht ihr Geschmack. Der blasierte Zug um seinen Mund störte sie. Wahrscheinlich war er ein Mann, dem alle Frauen nachliefen und der deshalb leichte Eroberungen gewohnt war. Er machte ihr ein paar Komplimente, die Friederike recht abgegriffen fand.
Stefanies Wangen glühten. Ihr Blick hing verliebt an seinem Gesicht, doch Friederike stellte fest, dass er sich Stefanie gegenüber ein wenig herablassend gab.
Immer mehr wandte sich der Prinz während der Unterhaltung Friederike zu. Er bemühte sich offenbar, ihr zu gefallen.
Fürst und Fürstin von Wellhagen wurden recht einsilbig. Was sie sahen, gefiel ihnen nicht. Siegmar von Sandloff war für Stefanie bestimmt. Sie fanden, dass Friederike sich mehr zurückhalten müsste.
Mehrfach widersprach sie dem Prinzen sogar. Dabei hatten die Erzieherinnen ihr beigebracht, dass eine Dame einem Herrn der Gesellschaft niemals widersprach.
Irgendwann fiel Friederikes Blick auf Stefanies Gesicht. Sie erschrak. Die Kleine sah aus, als wolle sie gleich zu weinen anfangen. Ich hätte mich mehr zurückhalten müssen, dachte Friederike.
»Fühlen Hoheit sich nicht wohl?«, fragte Siegmar, als Friederike die Fingerspitzen gegen die Stirn presste und das Gesicht verzog.
»Ich habe einen Migräneanfall«, gab sie vor. »Ich möchte mich zurückziehen. Bitte, entschuldigen Sie mich.«
Friederike nickte allen freundlich zu und ging auf ihr Zimmer.
Sie hatte kaum nach ihrem Buch gegriffen, da stürmte Stefanie herein.
»Du bist gemein«, überfiel sie Friederike. »Ich hasse dich!«
»Nun setz dich erst einmal und sag mir, was los ist.«
»Die Augen könnte ich dir auskratzen! Prinz Siegmar war so von mir eingenommen, und dann kamst du, und plötzlich war ich für ihn einfach nicht mehr da.«
»Tut mir leid, Stefanie, aber das liegt nicht an mir. Vielleicht ist Siegmar nicht so gut erzogen, wie er sein sollte? Immerhin habe ich mich sofort zurückgezogen, als ich merkte, dass er ....«
»Du hast ihm schöne Augen gemacht, du schamloses Geschöpf! Aber ich habe mir schon gedacht, dass du dich in ihn verlieben würdest.«
»In den? Um Himmels willen! Sei unbesorgt Stefanie, meine Migräne wird andauern. Ich verspreche dir, solange er hier ist, werde ich mich nicht mehr aus dem Zimmer rühren.«
»Als du weg warst, hat er sich ganz besorgt nach deinem Befinden erkundigt. Ob du oft unter Migräne leidest, ob du krank warst, ob man auch die besten Ärzte bemüht hätte ...«
Friederike stand auf und nahm ihre vor Erregung zitternde Schwester in den Arm.
»Du bist ein kleines Schaf«, sagte sie liebevoll. »Ich wirke nun einmal ein bisschen beunruhigend auf Männer. Aber du weißt doch, dass sie mich nicht anziehend finden. Heiraten wollen alle nur die anschmiegsamen Mädchen, die ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Also, Mädchen wie dich.«
»Dann willst du ihn mir nicht wegnehmen?«, fragte Stefanie schluchzend.
»Ich schwöre es dir«, gelobte Friederike. »Du bist so hübsch, Stefanie, du brauchst keine Konkurrenz zu fürchten. Ich habe den guten Siegmar schockiert. Du hast seine Liebe geweckt.«
»Am besten wäre es, du würdest bald nach Berlin fahren. Weißt du, Friederike, Prinz Siegmar will nämlich ein paar Wochen bleiben, und immer kannst du ja keine Migräne haben. Nachher denkt er noch, er heiratet eine Prinzessin aus einer kranken Familie.«
»Ich werde sofort das Mädchen rufen lassen, damit es meine Koffer packt.«
»Und du bist mir nicht böse, Friederike?«
»Überhaupt nicht. Ich fahre dann morgen im Laufe des Vormittags. Es ist ganz gut, wenn ich noch ein paar Tage Zeit habe, um mir Berlin in Ruhe anschauen zu können.«
»Du bist ein Engel!« Stefanie gab ihr einen Kuss und lief hinaus.
♥♥♥
Vor den Schlossbediensteten ließ Fürst von Wellhagen sich nicht anmerken, wie ungern er seine Tochter nach Berlin reisen ließ. Im Gegenteil, er gab ihr vor allen Leuten einen Kuss auf die Stirn und drückte sie danach noch einen Moment an die Brust.
Gräfin von Remberg, die mit Friederike reisen würde, stand ein paar Schritte seitlich neben ihnen und hielt ihr Täschchen mit beiden Händen fest umklammert. Sie fürchtete sich vor all dem Neuen, das in dieser schrecklichen Stadt Berlin auf sie zukommen würde.
»Mach uns keine Schande, Friederike.« Auch Fürstin Julie gab ihrer Tochter einen Kuss. »Schreib uns bald, und wenn es dir in Berlin nicht gefällt, komm zurück. Du wirst uns sehr fehlen, besonders, da Stefanie uns auch bald verlassen wird.«
Friederike atmete auf, als sie sich von allen verabschiedet hatte und sie endlich in dem Wagen saßen, der sie zum Bahnhof bringen würde.
Das große Gepäck war schon gestern zum Bahnhof gefahren worden, sie hatten nur leichte Taschen bei sich.
Ein Abteil erster Klasse war für sie reserviert worden. Der Bahnhofsvorsteher höchst persönlich bemühte sich um sie, und die anderen Reisenden, die auf dem Bahnsteig herumstanden, starrten die beiden vornehm gekleideten Damen neidisch oder bewundernd an.
Selbstverständlich kannte hier jeder die ehemalige Erbprinzessin von Wellhagen, und so manche Frau bedauerte in diesem Augenblick, dass sie den Thron nicht mehr besteigen würde. Sie sah so reizend aus in ihrer jugendlichen Frische und mit ihren strahlenden Augen.
»Zweimal müssen wir umsteigen, Hoheit.« Gräfin von Remberg zog nervös einen Zettel aus ihrer Reisetasche. »Wo habe ich nur mein Lorgnon?«
»Geben Sie schon her, ich kann ohne Brille lesen.« Friederike hatte sich selbst nach den Anschlüssen erkundigt. Sie trat ans Fenster, das einen Spalt geöffnet war, und plötzlich wehte der Zettel hinaus. »So ein Pech«, murmelte die Prinzessin.
»Zuerst müssen wir in Leipzig umsteigen. Oder war es Dresden? Mein Gedächtnis ist nicht mehr so wie früher ...«, stammelte Gräfin von Remberg verwirrt. »Ich werde den Zugführer fragen.«
»Nicht nötig, ich habe mir die Anschlüsse gemerkt. Seien Sie nicht immer gleich so aufgeregt, Rembergchen.«
»Es wäre entsetzlich, wenn wir einen falschen Zug nehmen würden. Da man uns in Berlin doch pünktlich ...«
»Erwartet?«, fragte Friederike ahnungsvoll. »Wollen Sie etwa sagen, dass irgendjemand uns in Berlin vom Zug abholen wird?«
Die alte Hofdame zog den Kopf ängstlich zwischen die Schultern. Seine Durchlaucht hatte ihr eingeschärft, seiner Tochter nichts davon zu verraten, es sollte eine Überraschung sein. Ihr war die Bemerkung so herausgerutscht.
»Er hat telegrafiert. Oder telefoniert. Ich bringe beides immer durcheinander. Fürst Lothar ist sehr besorgt um das Wohl Ihrer Hoheit. Sicherlich hat man ein geeignetes Apartment für uns gemietet. In einer Großstadt muss man vorsichtig sein.«
Ich soll weiterhin wie in einem Gefängnis leben, dachte Friederike. Das kommt überhaupt nicht infrage.
»Ja, mein Vater ist sehr fürsorglich.«
»Ein wundervoller Mann«, schwärmte Gräfin von Remberg und verdrehte die Augen. »Wenn ich zurückdenke, wie Seine Durchlaucht in Galauniform die Feste eröffnete. Und Ihre Durchlaucht in den wunderschönen Roben ... Ach, was waren das noch Zeiten.«
Friederike hörte nur mit halbem Ohr zu und warf heimlich einen Blick auf die Uhr. In zehn Minuten würden sie den ersten Umsteigebahnhof erreicht haben. Wie komme ich hier heraus?, fragte sie sich. Ach, irgendetwas wird mir schon einfallen.
»Was für ein riesiger Bahnhof!« Gräfin von Remberg machte große Augen, als sie das Gewühl draußen sah. »Und so viele Züge überall. Wie gut, dass wir hier nicht umzusteigen brauchen.«
In acht Minuten fährt mein Zug, dachte Friederike. Ich warte noch vier Minuten, dann gehe ich hinaus und steige in den Zug ein. Bis die Remberg mich vermisst, wird er abgefahren sein. Das arme Geschöpf, dachte sie. Hoffentlich hat sie ihr Riechwasser nicht vergessen. Sie wird es brauchen, wenn sie merkt, dass ich durchgebrannt bin.
»Dort hinten gibt es Zeitungen. Ich hole mir rasch eine, Gräfin.«
»Das ist meine Aufgabe, Hoheit. Wenn Hoheit mir sagen würden, was für eine Zeitung Hoheit haben möchten ...«
»Ich hole sie mir selbst. Wir haben noch zwanzig Minuten Aufenthalt, Gräfin. Ich brauche mich also nicht zu beeilen. Vielleicht bringe ich noch etwas Obst mit.«