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Die neue historisch verbrämte, romantische Abenteuerserie um das spannende, ruhelose Leben des großen Piraten Klaus Störtebeker gründet auf einem geschichtlichen Fundament. Er war der berüchtigtste Pirat am Wendepunkt des 14. zum 15. Jahrhundert. Leben, Lieben und Abenteuer des sagenumwobenen Piraten werden hautnah geschildert. Gleich der erste Roman liefert eine Erklärung, wie es den attraktiven Jungbauern aus Wismar auf die Meere verschlagen konnte, wie er seinen Kumpan Goedeke Michel kennenlernte und erste atemberaubende romantische Augenblicke erlebte. Sein Leben ist eine wahre Fundgrube zur Legende gewordener abenteuerlicher Geschichten. Der »Rote Teufel« lauerte nun schon seit vielen Tagen bei Bornholm. Es war Spätsommer, drückende Hitze lastete auf dem Meer und der Ostseeinsel. Der Teer auf den Planken trieb Blasen, und manchmal herrschte tagelang Flaute, bei der das Segel schlaff niederhing. Störtebekers Mannschaft murrte. Die zwanzig handfesten Gesellen waren auf Beute und Kaperung aus, und ein Kapitän, der sie enttäuschte, konnte rasch abgewählt sein. So erforderten es die Sitten der rauen Vitalienbrüder, die der Hanse und der ganzen Welt den Krieg angesagt hatten. Gottes Freund und aller Welten Feind, dachte Klaus Störtebeker. Er lehnte an der Reling – zur Zeit war es wieder mal windstill. Glatt lag die Ostsee. Nur ab und zu sprang ein Fisch aus dem Wasser und unterbrach, wenn er wieder hineinklatschte, die im Sonnenlicht wie einen Spiegel schimmernde Oberfläche. Der hochgewachsene, blonde, bärtige Piratenkapitän blieb völlig ruhig, so als ob er durch die Hitze in Lethargie versetzt worden sei. Er schien die scheelen Blicke nicht zu bemerken, die ihm die Mannschaft zuwarf, die auf der Kogge herumlungerte, die seit einiger Zeit Störtebekers eigenes Schiff war. Allen voran unter den Murrern war Diederich Teuken, Störtebekers Bootsmann, ein rothaariger, aufmüpfiger Kerl. Ein trinkfester Geselle war er, bärenstark, mit keulenförmigen Unterarmen, schulterlangen Haaren und ziemlich niederer Stirn. Zahlreiche Sommersprossen bedeckten sein Gesicht und die Arme, und er mußte seine empfindliche Haut – wie bei vielen Rothaarigen – vor der brennenden Sonne schützen. Gerrit Wigbald, schiefschultrig, körperlich keineswegs sonderlich stark, Störtebekers Bursche, der für ihn durchs Feuer ging, hatte ihn mehrfach gewarnt. »Teuken ist ebenso ehrgeizig
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Der »Rote Teufel« lauerte nun schon seit vielen Tagen bei Bornholm. Es war Spätsommer, drückende Hitze lastete auf dem Meer und der Ostseeinsel. Der Teer auf den Planken trieb Blasen, und manchmal herrschte tagelang Flaute, bei der das Segel schlaff niederhing.
Störtebekers Mannschaft murrte. Die zwanzig handfesten Gesellen waren auf Beute und Kaperung aus, und ein Kapitän, der sie enttäuschte, konnte rasch abgewählt sein. So erforderten es die Sitten der rauen Vitalienbrüder, die der Hanse und der ganzen Welt den Krieg angesagt hatten.
Gottes Freund und aller Welten Feind, dachte Klaus Störtebeker. Er lehnte an der Reling – zur Zeit war es wieder mal windstill. Glatt lag die Ostsee. Nur ab und zu sprang ein Fisch aus dem Wasser und unterbrach, wenn er wieder hineinklatschte, die im Sonnenlicht wie einen Spiegel schimmernde Oberfläche.
Der hochgewachsene, blonde, bärtige Piratenkapitän blieb völlig ruhig, so als ob er durch die Hitze in Lethargie versetzt worden sei. Er schien die scheelen Blicke nicht zu bemerken, die ihm die Mannschaft zuwarf, die auf der Kogge herumlungerte, die seit einiger Zeit Störtebekers eigenes Schiff war.
Allen voran unter den Murrern war Diederich Teuken, Störtebekers Bootsmann, ein rothaariger, aufmüpfiger Kerl. Ein trinkfester Geselle war er, bärenstark, mit keulenförmigen Unterarmen, schulterlangen Haaren und ziemlich niederer Stirn.
Zahlreiche Sommersprossen bedeckten sein Gesicht und die Arme, und er mußte seine empfindliche Haut – wie bei vielen Rothaarigen – vor der brennenden Sonne schützen. Gerrit Wigbald, schiefschultrig, körperlich keineswegs sonderlich stark, Störtebekers Bursche, der für ihn durchs Feuer ging, hatte ihn mehrfach gewarnt.
»Teuken ist ebenso ehrgeizig wie hinterlistig«, hatte er zu seinem Käpten gesagt. »Er würde gern an eurer Stelle Kapitän sein und traut es sich zu.«
Da lachte Klaus Störtebeker nur.
»Teukens Gehirn könnte man leicht in eine Nußschale füllen, und da bliebe noch einiger Platz übrig«, sagte er. »Er wird nie Käpten sein, sondern immer Befehlsempfänger bleiben.«
»Er schürt die Unruhe unter der Mannschaft. Wir haben schon lange keinen fetten Fang mehr gemacht. Er sagt, es wäre ein krasser Fehler, daß wir uns hier herumdrücken, während anderswo die Hanseschiffe und die der Dänen verkehren und ihre Besatzungen sich ins Fäustchen lachen, weil wir sie ungeschoren lassen. – Goedecke Micheel, Hennig Wichmann, Magister Wigbold und die anderen Kaperkapitäne haben sich andere Jagdgründe gesucht – und taten gut daran.«
»Gut Ding will Weile haben«, antwortete Störtebeker dann. »Wo viele Jäger sind, bleibt nicht viel von der Beute für den einzelnen übrig.«
Daran dachte er jetzt, während die Sonne auf’s Meer niederbrannte. Sie stand jedoch bereits ziemlich tief im Westen. Störtebeker schaute auf’s Deck nieder
Und er hörte es murmeln: »Nicht einmal einen lausigen Heringsfischer haben wir kapern können. Einfach nichts.«
Da rief er von oben: »Was höre ich da? Wir vergreifen uns nicht an den Armen, zu denen die Fischer zählen. Sie stehen vielmehr unter unserem Schutz.«
»Ja, nobel ist der Herr mit der leeren Tasche«, höhnte ein Matrose.
Er winkte abschätzig ab. Störtebeker überlegte, ob er hinuntersteigen und den Kerl zu Boden schlagen sollte. Doch er entschied sich dagegen. Es hätte nur noch mehr böses Blut unter der Mannschaft erzeugt.
Störtebeker dachte nach, was ihn auf’s Meer getrieben hatte. Er hieß eigentlich Klaus von Althum und stammte aus einer Pächtersfamilie im Mecklenburgischen. Die Ungerechtigkeit und die Willkür der Mächtigen und ihrer willfährigen Diener und Werkzeuge sowie die Enge und Knechtschaft, in der das einfache Volk leben mußte, hatten ihn schon früh aufbegehren lassen.
Seine Jugendliebe Anna Lietzen war ihm genommen worden und gehörte längst einem anderen Mann an, mit dem sie ihr Vater vermählt hatte. Auch die Liebesaffäre mit Clara Wichmann, die er auf Rügen kennengelernt hatte, wo die Vitalienbrüder *1 oder Likedeeler *2 ihr Winterlager hatten, gehörte der Vergangenheit an.
Und auch von der schönen Schloßherrin Heloise von Ruden an der Nordseeküste hatte er sich trennen müssen, weil sie für sich und einen Piraten keine Zukunft sah. Meine Braut ist die See, dachte Klaus Störtebeker wehmütig. Nur ihr kann ich treu sein.
Er schaute den Möwen zu, die im Gleitflug über das Wasser segelten. Dann – endlich – kam eine Brise auf, wurde stärker. Rasch füllte sich das Segel der Kogge.
Störtebeker atmete auf, gleich wurde ihm besser. Flaute und drückende Hitze waren die Todfeinde einer erfolgreichen Kaperfahrt. Die Brise vertrieb ihm die trüben Gedanken, die auch ihn heimgesucht hatten. Er war ein Mann der Tat, rau, tapfer, aber mit einem goldenen Herzen.
Freund der Armen und Feind der Reichen und Unterdrücker. Er schaute nach vorn, nie zurück.
Dann, ehe die Nacht einbrach, ertönte der Ausruf des Schiffsjungen Hajo, eines Waisenjungen, der im Krähennest oben am Mast saß: »Schiff in Sicht!«
Sofort war die Mannschaft hellwach und voll Spannung. Man fragte den Ausguck im Mastkorb, was er denn sähe.
»Es ist ein Kauffahrer«, antwortete der gerade dreizehnjährige Schiffsjunge, den Störtebeker unter seine Fittiche genommen hatte und der den vollen Beuteanteil erhielt, was manchem mißfiel. »Er fährt mit nur einem Segler als Begleitschutz.«
Da lachten die Seeräuber rauh.
»Den fürchten wir nicht! Wir entern die Pfeffersäcke und berauben sie um ihr Gut und das Leben.«
Sie brachen in wildes Gejohle und Hochrufe aus. Sie hofften auf fette Beute, was anzunehmen war. Denn Ramsch und wertloses Zeug verschiffte man nicht auf dem teuren Seeweg, das brachte keinen Gewinn. Und das – Geld und Gewinn – war das, was die Pfeffersäcke der Hanse3 wollten.
Wo du nicht bist, Herr Jesu Christ…, lautete ihr Gebet. Dabei pflegten sie Daumen und Zeigefinger mit der Geste des Geldzählens zu reiben.
»Los geht’s!« rief Gerrit Wigbald, der seine Stellung als Störtebekers Bootsmann dem ihm körperlich weit überlegenen Diederich Teuken hatte räumen müssen. »Kapert die Pfeffersäcke! – Bald wird bei ihnen Heulen und Wehklagen herrschen. Ich höre sie schon laut mit den Zähnen klappern, und ihre vor Angst vollgeschissenen Hosen stinken gegen den Wind.«
Die Seeräuber lachten, aufgeweckt bis zum letzten Mann und in übermütiger Stimmung. Sie wußten, es konnte – und würde – bei ihnen Tote und Verwundete geben. Doch das störte sie nicht.
Flott gelebt und jung gestorben, das gibt eine schöne Leiche lautete ihr Devise. Ihrem eigenen Tod und dem anderer sowieso standen sie ziemlich gleichgültig gegenüber.
»Hißt die Segel!« brüllte Störtebeker mit Donnerstimme. »Da ist er, der Kauffahrer! Jetzt haben sie uns gesehen und suchen uns zu entkommen. Auf Bornholm wollen sie Zuflucht suchen, sich in einer Bucht verstecken, denn den Hafen werden sie nicht mehr erreichen. – Wir schneiden ihnen den Weg ab.«
So geschah es. Der »Rote Teufel« lag hart vor dem Wind, der noch stärker wurde und brauste. Er sang sein Lied in der Takelage.
Der Kauffahrer war eine Silhouette vor der im Meer rot versinkenden Sonne. Doch eine sternklare Nacht mit fast vollem Mond stand bevor. Im Schutz der Nacht würde der Kauffahrer nicht entkommen können.
*
Das Kauffahrerschiff hieß »Wappen von Lübeck« und kam von Riga, wo es eine Ladung aufgenommen hatte, die fast unglaublichen Gewinn versprach. Wertvolle Pelze, bis hin zu Nerzen und Edelmardern, außerdem Bernstein und Silbergerät, das aus der Hinterlassenschaft eines lettischen Edlen stammte. Die habgierige Witwe, ein noch junges Weib, die froh war, ihn zu überleben, hatte es in aller Eile beiseitegeschafft und verkauft, ehe sie wegen der Erbstreitigkeiten mit den Söhnen des Verstorbenen, die teils älter als sie waren, es nicht mehr konnte.
In Riga befand sich ein Handelskontor der Hanse, am Vorhafen Jümala an der Rigaischen Bucht gelegen. Agneta Gronacht, 19 Jahre jung, eine Patrizierstochter aus Lübeck, war dort gewesen, begleitet von ihrer Magd Rosina Hansen und einem Knecht, der auch als ihr Leibwächter diente.
Der Kaufherr Ludger, ihr Vater, hatte sie nicht zum Vergnügen geschickt, sondern in kühler Berechnung. Denn Cornelis Gronacht, sein weit älterer Halbbruder, war ihm schon seit Jahren nicht grün. Dann hieß es, daß es mit Cornelis’ Gesundheit nicht mehr zum Besten stünde.
Die Barmherzigen Schwestern in Riga pflegten ihn und gingen in seinem hohen, schmalbrüstigen Kontor, über dem sich seine Wohnung befand, ein und aus. Cornelis, ein Endfünfziger, was in jener Zeit Ende des 14. Jahrhunderts ein fortgeschrittenes Alter war, war ledig und kinderlos.
Mit einem Weib und Kindern hatte er sich nie beschweren wollen. Nun, da er hustend und elend und selbst im dicken Pelz frierend sein Ende erwartete, ging es um sein Vermögen. Ludger Gronacht, Ratsherr in der stolzen und mächtigen Hansestadt Lübeck, nahm nicht zu Unrecht an, daß die Barmherzigen Schwestern ihm die Hand führen könnten, sein Testament zu Gunsten der Mutter Kirche zu verfassen, die seit jeher einen sehr tiefen Säckel hatte.
Was darin landete, diente weniger dazu, die Armen zu nähren, den Witwen und Waisen zu geben und die Heiden zu missionieren, als vielmehr anderen Zwecken. Prächtige Kirchen zu bauen mit goldenem Gerät – zur Ehre Gottes und der Heiligen, die an sich noch nie gesagt hatten, daß sie es brauchten – und Bischöfe, fette Prälaten und Pröbste zu nähren, deren Lebenswandel nicht immer ein vorbildlicher war.
Und höhere Ränge – Gegenpäpste hatte es in den letzten Jahrzehnten schon gegeben, und oft bildeten kirchliche und weltliche Macht ein unheiliges Konglomerat. Auch waren die geistlichen Herren oft jüngere Söhne von Adligen, die man in diesen Stand abgeschoben hatte, und die es durchaus nach weltlicher Macht gelüstete.
Es gab kriegerische Bischöfe und Erzbischöfe, die es mit jedem Raubritter aufnehmen konnten und aufnahmen. Schwer waren die Zeiten, Gerechtigkeit eine Mangelware. Die Armen wurden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Irgendwann einmal würde sich der geschundene und ausgebeutete Bauernstand erheben, selbst wenn es noch lange dauerte, und würden Bauernkriege ausbrechen.
In den Städten hatten die Zünfte die Macht – Stadtluft macht frei, hieß es – da war es etwas besser, doch immer noch schwer genug. Der schlaue Ludger Gronacht überlegte sich also, wie er seinen ihm abweisend gegenüberstehenden Halbbruder dazu bringen könnte, sein Vermögen den Lübeckern – dem Lübeckschen Teil der Familie – zu geben.
Er selbst – Ludger – durfte sich nicht zu ihm wagen. Denn als sie zuletzt miteinander gesprochen hatten, es war etliche Jahre her, waren sie sich buchstäblich in die Haare geraten. Cornelis riß Ludger am Bart und schalt ihn einen Spitzbuben – sie hatten sich über die Abrechnung des Gewürzhandels nicht einig werden können.
Ludger wiederum ließ sich das nicht gefallen, zerrte ihn ebenfalls an den Haaren, und so boxten und zankten sie sich. Bald danach war Cornelis abgereist – er hatte Lübeck im Zorn verlassen, weil man ihn auch noch im Rat zurücksetzte und sich weigerte, den neu erbauten Pulverturm nach ihm zu benennen.
Er hatte später mit seinem Halbbruder geschäftlich zusammengearbeitet, doch kühl und ohne Begeisterung, und es in Riga sehr weit gebracht. Einen seiner Söhne mochte Ludger nicht zu ihm schicken. Sie würden ihn Cornelis zu sehr an ihn – Ludger – erinnern.
Doch da fiel ihm die liebreizende Tochter Agneta ein. Sie war eine Schönheit mit ihren kastanienbraunen Haaren, die sie zu Flechten geflochten hatte, dazu bescheiden und fromm. Mit ihren meergrünen Augen, der schlanken Figur, die jedoch durchaus ansprechende weibliche Rundungen hatte unterm Bordürenkleid, dem zarten Teint und der lieblichen Stimme war sie die Einzige von den Lübecker Gronachts, die das Herz des Griesgrams Cornelis erweichen konnte.
Und die als Gegengewicht zu den Barmherzigen Schwestern eingesetzt werden konnte. Schweren Herzens hatte Ludger Gronacht also seine Tochter auf dem Seeweg nach Riga geschickt, wo sie bei ihrem Onkel Cornelis bleiben und ihm den Haushalt führen sollte.
Das war ihr gelungen – wie sie es fertigbrachte, gegen die Barmherzigen Schwestern zu bestehen, war ein Kapitel für sich. Doch Agneta, über mittelgroß, war durchaus nüchtern in ihrer Denkweise und auch tatkräftig, keine Angsthäsin.
Mit ihrer liebenswerten, bescheidenen Art hatte sie tatsächlich das Herz ihres Onkels gewonnen. Sie pflegte ihn über den Winter und leistete ihm, in bescheidenem Maß, bei seinen Geschäften Beistand. Denn Cornelis Gronacht war Kaufmann mit Leib und Seele, er klammerte sich an seine Tätigkeit und schleppte sich selbst dann noch ins Kontor, als er vom Tode gezeichnet war.
Und da er seinen Halbbruder Ludger nach wie vor nicht mochte und seine Beweggründe, ihm Agneta zu schicken, wohl durchschaute, fiel ihm eine Intrige ein, dem Lübecker einen Streich zu spielen. Abgesehen von einem Salär, den er den Barmherzigen Schwestern gab, vermachte er sein gesamtes Vermögen Agneta.
Mit der Auflage freilich, sie müsse bis zu ihrem 21. Geburtstag verheiratet sein – das war für eine junge Frau der damaligen Zeit ein Alter, nach dem sie als alte Jungfer galt. Und das Vermögen müsse ungeschmälert in ihrem Besitz und dem ihres Gatten bleiben, doch möchte sie Ludger, ihr Vater, beraten, damit sie da keinen Fehlgriff tat.
Die letzte Entscheidung über die Ehe jedoch hätte sie, und sie dürfe zu keiner gezwungen werden.
Das, war einer von Cornelis’ letzten Gedanken, würde seinen Halbbruder mächtig fuchsen. Einerseits bekam er sein – Cornelis’ – Vermögen nicht in die Finger. Andererseits mußte er gar noch einen geeigneten, guten Gatten für seine Tochter wählen, der auch ihr genehm war.
Und er – Cornelis – stärkte Agnetas Stellung gegen Vater und den Rest der Familie, der er damit einen schönen Streich spielte. Beinahe froh war er dann gestorben. Sein letztes Geschäft war der Aufkauf des Silbergeräts von der lettischen Adelswitwe gewesen, wobei der sterbende schwerkranke Mann sie noch über den Tisch zog, so gut er das konnte.
Auch hatte er für buntes Glas aus Holland, Ware einer Glasbläserei aus Amsterdam, eine Menge Edelpelze erworben. Dann, da alles geregelt war, Cornelis Gronacht hatte die Augen geschlossen und war feierlich beigesetzt worden, kehrte die schöne Agneta auf der »Wappen von Lübeck« nach einem Dreivierteljahr Abwesenheit in die Heimat zurück.
Sie überschiffte die Ostsee – ihr Onkel hatte, nicht zuletzt durch ihre Anwesenheit und Pflege, den Winter überstanden und Frühjahr und einen Teil vom Sommer noch erlebt. Agneta betrauerte seinen Tod ehrlichen Herzens – das Testament hatte sie ihm nicht eingeredet.
Unrecht war es ihr jedoch auch nicht. Denn, wußte sie nun, würde ihr Vater sie nicht mit Jobst Swartekoop verheiraten können, wie er es vorgehabt hatte. Swartekoop war der Sohn eines Lübecker Ratsherrn, er war eitel und herrschsüchtig, eine Frau würde bei ihm kein gutes Leben haben.
Die Ehe war an sich schon abgesprochen gewesen. Doch weil er auf das Vermögen seines älteren Halbbruders schielte, hatte Ludger Cornelis seine schöne Tochter nach Riga geschickt. So war die Lage, als an diesem Spätsommertag Agneta auf dem Achterkastell der einmastigen Kogge saß und sich von ihrer Magd ihre Haare flechten ließ. Ihr schönes Haar mit dem leichten rötlichen Schimmer glänzte im Schein der untergehenden Sonne. Sie trug einen schöngewirkten Hüftgürtel unterhalb der Taille ihres grünen, glockenförmigen Kleides mit der schmalen Taille. Das Kleid war lang und in der Mitte durchgeknöpft, mit Schnüren und Verzierungen an den Ärmeln.
Wertvoller Bernsteinschmuck vervollständigte Agnetas Ausstattung. Ihre zierlichen Füße steckten in feingearbeitetem Brabanter Schuhwerk, wie es sich nur die Vornehmen leisten konnten. An ihrer zarten Hand funkelte ein wertvoller Ring.
Agneta lächelte, Bornholm war schon erreicht, bald würde sie – endlich! – wieder zu Hause sein. Mit einem großen Vermögen ausgestattet, reich und unabhängig – was konnte sie mehr begehren? Sie hatte schon einen jungen Mann im Sinn, einen anderen als den garstigen, eingebildeten Swartekoop, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte.
Was konnte sie mehr begehren?
Rosina Hansen, die Magd, schielte neidisch auf Agnetas Kleidung und Schmuck. Die Magd war viel einfacher gekleidet als die Herrin – sie trug ein einfaches Leinenkleid und hatte eine Haube am Kopf. Ihre rauen, rissigen Finger verrieten, daß sie öfter mit der Waschlauge in Berührung gerieten und mit dem Putz- und Spülwasser.
Rosina war auf eine derbe Art durchaus hübsch – die Matrosen der »Wappen von Lübeck« schauten sie begehrlich an und wären wohl geneigt gewesen, sie in eine unbeachtete Ecke zu ziehen. Aber da keiner von ihnen Rosina einem anderen gönnte, war da nichts möglich gewesen. Von ihr aus hätte schon etwas sein können.
In späteren Jahren, das sah man schon, würde Rosina auseinandergehen und, gelinde gesagt, kräftig sein. Doch jetzt war sie drall und prall, mit strohblonden Haaren, breiten Hüften und einem üppigen Busen. Ihre Augen waren immer weit aufgerissen – sie hatte einen leichten Basedow-Blick – als ob sie überrascht in die Welt schaute.
Warum bin ich nicht als Patrizierstochter geboren? dachte sie wieder einmal. Womit hat Agneta das verdient? Und jetzt hat sie auch noch das große Vermögen geerbt.
Der Neid nagte schon lange an Rosinas Seele. Um an die Stelle ihrer Herrin zu gelangen, hätte sie alles getan. Und, da sie ihr ihre Geburt und Stellung mißgönnte, hätte sie es gern gesehen, wenn es ihr schlechtgegangen wäre.
Das behielt sie jedoch tief in sich und verriet es keiner Menschenseele.
Die Wellen plätscherten, der Wind hatte nach der langen Flaute endlich aufgefrischt. Kühlung bringend wehte die Abendbrise. Möwen flogen kreischend. Ein Seeadler kreiste am Himmel.
Die Matrosen sangen ein romantisches Lied. Das Begleitschiff, das mit ein paar Kanonen bestückt war, segelte in einigem Abstand.