Duell mit dem Teufel - Gloria von Felseneck - E-Book

Duell mit dem Teufel E-Book

Gloria von Felseneck

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Beschreibung

Die neue historisch verbrämte, romantische Abenteuerserie um das spannende, ruhelose Leben des großen Piraten Klaus Störtebeker gründet auf einem geschichtlichen Fundament. Er war der berüchtigtste Pirat am Wendepunkt des 14. zum 15. Jahrhundert. Leben, Lieben und Abenteuer des sagenumwobenen Piraten werden hautnah geschildert. Gleich der erste Roman liefert eine Erklärung, wie es den attraktiven Jungbauern aus Wismar auf die Meere verschlagen konnte, wie er seinen Kumpan Goedeke Michel kennenlernte und erste atemberaubende romantische Augenblicke erlebte. Sein Leben ist eine wahre Fundgrube zur Legende gewordener abenteuerlicher Geschichten. Der Sturm hatte sich ausgetobt, als der »Rote Teufel« die Schärenbucht an der jütländischen Küste verließ. Dort hatten Klaus Störtebeker und seine Mannschaft in sicherer Hut abgewartet, bis sich das Unwetter legte. Haushoch waren die Wellen gegangen, hatten als Brecher krachend gegen die felsige Küste geschlagen. Die Gischt war bis hoch in den Himmel geschäumt, von einem rauhen und heulenden Wind getragen, der an Wotans wilde Jagd erinnerte. Es war ein schweres und grauenvolles Unwetter gewesen. Nun lag die vorher tobende See wieder ruhig, und jeder wußte, daß sie oft ihr Gesicht wandelte. Nordsee, Mordsee wurde sie nicht von ungefähr genannt. »Schönes Wetter, Gerrit«, sagte Störtebeker zu seinem Bootsmann Gerrit Wigbald, der für ihn durchs Feuer ging. »Und ein günstiger Wind. Wir werden das Skagerrak bald erreichen, wo Goedecke Micheel und die anderen auf uns warten. Dann suchen wir uns ein bequemes Winterquartier.« »Ich dachte, du willst rasch wieder zurück nach Strand, wo Beret auf dich wartet?« fragte der Bootsmann, der wie Störtebeker einen wetterfesten Wams trug und enge Kniehosen und hohe Stiefel anhatte. Das Schwert, das Wahrzeichen des freien und wehrhaften Mannes, hing ihnen an der Seite. Störtebeker steuerte die Kogge mit dem hohen Mast, den das Krähennest, der Ausguck, krönte. Am Mast oben flatterte ein neutraler Wimpel, der einen Adlerkopf zeigte. Den Totenkopf mit den zwei gekreuzten Knochen, die Piratenflagge, mußte man nicht unbedingt gleich vorweisen. »Ja«, antwortete Störtebeker auf Wigbalds Frage, »es zieht mich zurück zu Beret und ihrer Sippe. Ich kann sie nicht ohne Schutz lassen. Aber zuerst muß ich mit Goedecke und

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Klaus Störtebeker – 10 –

Duell mit dem Teufel

Gloria von Felseneck

Der Sturm hatte sich ausgetobt, als der »Rote Teufel« die Schärenbucht an der jütländischen Küste verließ. Dort hatten Klaus Störtebeker und seine Mannschaft in sicherer Hut abgewartet, bis sich das Unwetter legte. Haushoch waren die Wellen gegangen, hatten als Brecher krachend gegen die felsige Küste geschlagen. Die Gischt war bis hoch in den Himmel geschäumt, von einem rauhen und heulenden Wind getragen, der an Wotans wilde Jagd erinnerte.

Es war ein schweres und grauenvolles Unwetter gewesen.

Nun lag die vorher tobende See wieder ruhig, und jeder wußte, daß sie oft ihr Gesicht wandelte. Nordsee, Mordsee wurde sie nicht von ungefähr genannt.

»Schönes Wetter, Gerrit«, sagte Störtebeker zu seinem Bootsmann Gerrit Wigbald, der für ihn durchs Feuer ging. »Und ein günstiger Wind. Wir werden das Skagerrak bald erreichen, wo Goedecke Micheel und die anderen auf uns warten. Dann suchen wir uns ein bequemes Winterquartier.«

»Ich dachte, du willst rasch wieder zurück nach Strand, wo Beret auf dich wartet?« fragte der Bootsmann, der wie Störtebeker einen wetterfesten Wams trug und enge Kniehosen und hohe Stiefel anhatte.

Das Schwert, das Wahrzeichen des freien und wehrhaften Mannes, hing ihnen an der Seite. Störtebeker steuerte die Kogge mit dem hohen Mast, den das Krähennest, der Ausguck, krönte.

Am Mast oben flatterte ein neutraler Wimpel, der einen Adlerkopf zeigte. Den Totenkopf mit den zwei gekreuzten Knochen, die Piratenflagge, mußte man nicht unbedingt gleich vorweisen.

»Ja«, antwortete Störtebeker auf Wigbalds Frage, »es zieht mich zurück zu Beret und ihrer Sippe. Ich kann sie nicht ohne Schutz lassen. Aber zuerst muß ich mit Goedecke und den anderen Kapitänen besprechen, was es im nächsten Frühjahr zu tun gibt und wie wir die Zeit bis dahin verbringen wollen. – Für mich ist es klar.«

»Ist der Schutz, den du der schönen Beret angedeihen lassen willst, der einzige Grund, weshalb du zurück zu der Insel Strand willst?« neckte Gerrit Wigbald den Kapitän.

Störtebeker lächelte in seinen blonden Bart. Er sehnte sich sehr nach Beret, die er nach altem friesischem Ritus geheiratet hatte. Es hatte sich so ergeben, und außerdem war er ihr zugetan. Doch bei ihr bleiben und auf den friesischen Inseln leben konnte er nicht.

Es zog ihn auf See, und er würde ruhelos sein solange er lebte.

Er beantwortete die Frage des Bootsmanns diesmal nicht, er lächelte nur. Er dachte an Berets Liebe, an ihre Leidenschaft. An ihre Wärme und Zärtlichkeit. Wie sich ihre Augen verschleierten, wenn sie sich ihm hingab. An den Klang ihrer Stimme, ihr Lachen, die Art, wie sie sich bewegte oder mit einem Schwung das blonde Haar zurückwarf.

Zuletzt hatte er sie gesehen, als das Schwarze Schiff der tom Brokes, jenes mächtigen friesischen Clans, am Hafen von Strand ablegte. Störtebeker und der Schiffsjunge Hajo, den es mit ihm nach Strand verschlagen hatte, waren an Bord gewesen. Und Beißer, der Bastardhund, mit dem sich Störtebeker auf Strand anfreundete.

Beret hatte ihm nachgeschaut, die Häuser des Dorfs Brokebüll und den Himmel mit den ziehenden Wolken hinter sich. Stolz und einsam war sie ihm erschienen, doch er konnte sich denken, wie sie die Trennung schmerzte. Das Schwarze Schiff, das geheime Piratenschiff der tom Brokes, brachte Störtebeker nach Jütland, wo ihn der »Rote Teufel«, sein Schiff, erwartete.

Eigentlich war alles anders geplant gewesen, hatte er einen Hamburger Kauffahrer den Likedeelern in die Hände spielen wollen. Doch nun war es anders gekommen. Der Abschied von Keno tom Broke, dem rauhen Friesenhäuptling, seinem wenn auch nicht nach kirchlicher und Reichssitte Schwiegervater, war rauh und herzlich gewesen.

»Laß dich bald wieder sehen, Klaus«, hatte ihm der Hüne Keno gesagt und seine derbe Faust auf seine Schulter krachen lassen. »Bei uns hast du immer einen Platz.«

»Genau wie am Galgen.«

Mit rauhem Gelächter trennten sie sich. Acht Tage war das nun her. Nach dem Treffen mit seinen Gefährten im Skagerrak wollte Störtebeker zurück auf die Insel Strand, um dort bei Beret und seinen Verwandten den Winter zuzubringen. Wer ihm von seiner Mannschaft dabei Gesellschaft leisten wollte, konnte das.

Die meisten würden jedoch in eins der Seeräubernester an der schwedischen Küste wollen oder an der deutschen, um dort in Saus und Braus mit Marketenderware und käuflichen Frauen ihr Beutegut zu verprassen. Bei den Friesen auf Strand ging es weniger ausschweifend zu.

Störtebeker rechnete also damit, den »Roten Teufel«, sein Stammschiff, nur notdürftig besetzen zu können. Im Frühjahr konnte er seine Mannschaft dann wieder aufstocken oder die alten Kameraden an Bord nehmen. Während des Winters war es zu kalt und stürmisch für die Seeräuberei, zudem lohnte es nicht, weil die Hanse allgemein ihre Schiffe im Winter nicht segeln ließ.

Zuviele wären zugrunde gegangen.

Das also waren Störtebekers Gedanken, als er dem Skagerrak entgegensegelte, dem Meeresarm der Nordsee zwischen Jütland und Norwegen. Der hochgewachsene, breitschultrige Mann mit dem kühnen, wettergegerbten Gesicht war noch jung, doch er hatte schon mehr hinter sich und erlebt wie drei achtzigjährige Männer.

Er spürte die Decksplanken unter sich, das Schaukeln des Schiffes, den kalten Wind, der sein halblanges Haar wehen ließ. Und er fühlte sich stark und lebendig. Möwen flogen kreischend über ihm.

Störtebeker hielt das Steuerruder, was bei dem Wetter und Seegang keine Mühe war. Ich habe es weit gebracht, dachte er, seit ich als Sohn eines Gutsbesitzers im Mecklenburgischen die Heimat habe verlassen müssen. Der Landesherr, der Graf von Brackmühlen, und andere waren ihm feindlich gesinnt gewesen.

Zudem waren ihm die heimischen Verhältnisse zu eng. Er konnte den Nacken nicht beugen, sein Starrsinn, sein Stolz und seine Gerechtigkeits- und Freiheitsliebe hätten ihm einen schändlichen frühen Tod gebracht. So war er auf See gegangen. Dort bewährte er sich rasch und stieg in den Reihen der Likedeeler oder Vitalienbrüder, wie sich die Seeräuber um Goedecke Micheel, Magister Wigbald und Hennig Wichmann nannten, rasch aufgestiegen.

Trinkfest, obwohl er kein Säufer war, aus überschäumender Lebensfreude, mit gewaltigen Körperkräften, kühn, großherzig, den Frauen zugetan, ein Helfer der Armen, Schwachen und Unterdrückten, so war Klaus Störtebeker. Den Kaufleuten und Schacherern von der Hanse verhaßt, den Mächtigen und Tyrannen ein Feind.

Geliebt und vergöttert vom einfachen Volk, obwohl es auch da Neider und Verräter gab. Gottes Freund und aller Welten Feind, lautete sein Motto, und alle Welten, das waren für ihn die Unterdrückung, Ausbeutung und Tyrannei.

Seinen Freunden ein treuer Freund, seinen Feinden ein mörderischer Feind und ein Schrecken. Seefahrer und Pirat.

Er pfiff vor sich hin, als aus dem Ausguck der Ruf erschallte: »Schiffstrümmer backbord.«

Die Küste war außer Sicht. Die See erstreckte sich bis zum Horizont und verschmolz mit ihm. Tief stand schon die Sonne.

Störtebeker spähte empor zum Krähennest, in dem Hajo, der Schiffsjunge, hockte.

»Was für Wrackteile sind es?«

»Paar Planken und Trümmer!« rief Hajo zurück. »Nichts von Bedeutung. Aber halt, da schwimmt eine große Truhe. Sie hat Beschläge und ist mit Schnitzereien verziert. Sie könnte aus Edelholz sein.«

Hajo hatte scharfe Augen. Es wurde gemunkelt, weit, weit weg in Arabien und China würde es Fernrohre geben, durch die man, wenn man hindurchschaute, alles vergrößert sah. Aber hierzulande war ein paar Jahre vor Ende des 14. Jahrhunderts noch keines vorhanden.

»Vielleicht enthält die Truhe etwas Wertvolles, Klaus«, sagte Gerrit Wigbald. »Einen Schatz.«

Störtebeker schaute ihn belustigt an.

»Bettwäsche halte ich für wahrscheinlicher. Oder Kleider. Frauenwäsche vielleicht.«

Wigbald, der fast einen Kopf kleiner als er war und eine schiefe Schulter hatte, empörte sich.

»Du machst dich über mich lustig, Klaus!« rief er. »Ich bin noch immer der Ansicht, es ist ein Schatz in der Truhe. Wertsachen auf jeden Fall. Laß das Boot aussetzen, wenn wir nicht nachschauen, werden wir es nie wissen. – So viel Mühe ist es nun nicht.«

Ein paar Matrosen, die sich an Deck befanden, stimmten ihm zu. Rasch wurde das Boot zu Wasser gelassen. Groß war es nicht, im Fall eines Schiffbruchs hätten nicht alle Besatzungsmitglieder darin Platz gefunden. Störtebeker ließ das Segel reffen, damit sich der »Rote Teufel« nicht zu rasch von der Stelle des Schiffsunglücks entfernte.

Störtebeker bedauerte diejenigen, die hier ihr Ende gefunden hatten. Allerdings vergoß er keine Tränen über ihr Los, dafür hatte er schon zuviel erlebt und gesehen. Das war Seemannslos.

Sechs starke Matrosen, angeführt von Gerrit Wigbald, ruderten zu der Truhe, die auf den Wellen schaukelte. Als sie sie erreichten, zog einer sie mit dem Bootshaken heran. Wigbald beugte sich aus dem Boot und brach mit seinem Dolch die Schlösser auf, die die Truhe verschlossen.

Er setzte die Klinge als Hebel an, weil der Truhendeckel immer noch sperrte, und brach ihn krachend auf.

Dann schaute er in die Truhe.

»Na, was ist drinnen?« fragten die Matrosen, die den Inhalt noch nicht sehen konnten, neugierig. »Hat es sich gelohnt, sie zu bergen?«

Wigbald setzte sich auf die Ruderbank nieder. Er war erschüttert.

»Was ist?« wurde er stürmisch gefragt.

»Es ist ein Kind in der Truhe, ein kleines Mädchen«, sagte der Bootsmann. »Nehmt sie an Bord.«

*

Klaus Störtebeker schaute zum Boot, konnte jedoch nicht genau sehen, was aus der Truhe herausgeholt wurde, die man mit wieder zugeklapptem Deckel im Wasser treiben ließ. Der blondbärtige Piratenkapitän schaute nach vorn.

Erst als ein Matrose rief: »Sie haben ein Kind an Bord!« wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf das Boot gelenkt.

Er rief einen Matrosen, das Steuer zu übernehmen, stieg vom Achterdeck herunter und trat an die Reling. Das Boot näherte sich, die sinkende Sonne im Hintergrund.

Ein blondes Kind in einem nassen blauen Kleid war im Boot. Gerrit Wigbald hatte es auf dem Schoß und preßte es an sich.

»Heiliger Gott!« sagte Bratspieß, wie er allgemein genannt wurde, der einbeinige Koch. Seinen richtigen Namen kannte er angeblich selbst nicht mehr, dem Akzent nach mußte er aber ein Däne sein. »Das Kind ist in der Truhe gewesen. Wie es aussieht, ist es ein Mädchen. Ich hatte Töchter in diesem Alter…«

Er verstummte. Er sprach nie über seine Vergangenheit.

Man ließ das Fallreep hinunter. Die Matrosen stiegen an Bord, das Boot wurde hochgehievt. Wigbald trug das Kind, das drei Jahre alt sein mochte, mit sich an der Bordwand hoch. Er reichte es Störtebeker über die Reling.

»Da, Klaus.«

Der Pirat sah das wachsbleiche Gesicht. Kalt und leblos lag das Kind in seinen Armen, ein zierliches kleines Mädchen mit dunklem Haar. Es trug ein schön besticktes Leinenkleid mit einem weißen Kragen, in den Blumen gestickt waren, und hatte eine Gemme am Kleid.

An den Füßen trug es Pantoffeln. Der Kleidung und dem Aussehen nach konnte es kein Kind armer Leute sein. Wigbald griff nun in seine Tasche, die sich ausbauschte, und hielt Störtebeker eine Puppe hin, ein wertvolles, schönes Stück, wenn auch etwas abgenutzt.

»Das war noch in der Truhe.«

Störtebeker starrte ihn an, das Kind in den Armen.

»Was soll das? Hast du noch mehr Spielzeug gefunden? Bist du neuerdings kindisch geworden, daß du mir Leichen an Bord bringst, die auf dem Meer treiben? Was ist in dich gefahren?«

Der dunkelhaarige, spitzbärtige Bootsmann schaute ihn an. Ebenso die anderen Matrosen, die an der Exkursion mit dem Boot teilgenommen hatten.

Störtebeker tastete gewohnheitsmäßig nach der Halsschlagader des kalten, starren Kindes, das er in seinen Armen hielt. Die Truhe war mehrere Handbreit voll Wasser gewesen, das durch Luftlöcher in ihrem Deckel eindrang.

Der Piratenkapitän spürte etwas. Er legte nochmals die Fingerspitzen an die Schlagader des Mädchens.

Dann rief er: »Heiliger Gott, sie lebt! Das Kind ist am Leben. – Rasch, bringt sie in meine Kabine, sie muß erwärmt werden, alles getan, um ihr Leben zu retten. – Beeilt euch, eilt, eilt! Das Kind hat den Schiffbruch in der Truhe überlebt. Es ist kaum zu fassen.«

Die Matrosen starrten ihn an wie gestochene Kälber. Sie hatten das Kind, die vermeintliche Leiche, einem Aberglauben zufolge geborgen, da sie nun schon einmal zu der Truhe gerudert waren. Sie hatten gewollt, daß dieses arme kleine Mädchen dem seemännischen Brauch folgend in Segeltuch eingenäht ein christliches Begräbnis erhielt, worauf die meisten von ihnen Wert legten.

Sonst hätten sie es sich nicht verziehen. Jetzt waren sie wie vom Blitz getroffen. Der Schiffsjunge Hajo – Deich-Hajo – rannte in Störtebekers Kabine voraus, die er vorbereitete. Störtebeker folgte kurz darauf, er hatte dem Steuermann Anweisungen gegeben, welchen Kurs er halten sollte.

In der Kabine brannte die Öllampe. Störtebeker scheuchte alle unnützen Gaffer weg.

»Fort, an eure Arbeit, und wenn ihr nichts zu tun habt, tut es woanders. Was ist mit dem Kind?«

Ausgerechnet Bratspieß, der bärbeißige Koch, hatte sich des Kindes angenommen und erwies sich als guter Heilkundiger. Umsichtig gab er seine Anordnungen.

»Wir müssen sie aufwärmen, sie ist stark unterkühlt. Sicher wird sie Fieber bekommen, aber das kann sie überleben. Zuallererst müssen wir sie massieren, mit Branntwein, dann wird sie in warme Decken gehüllt und bekommt einen heißen Ziegelstein an die Füße. Gut wäre es, wenn sie einer mit seinem Körper wärmte. – Menschliche Wärme und Nähe erweckt die Lebensgeister.«

Wigbald schaute erst ratlos drein, dann sah er auf den Koch.

»Das mußt du machen, Bratspieß, du bist auch der Sanitäter an Bord.«

»Ich? Mit meinem einen Bein? Du bist wohl verrückt geworden. Außerdem muß ich die Mannschaft bekochen und zurück in meine Kombüse. Ab und zu werde ich nach dem Mädchen sehen, unserer kleinen Seejungfrau, die wir da aufgefischt haben. Wenn man ihr erst etwas Warmes einflößen kann und sie es bei sich behält, heißen Tee oder Fleischsuppe, dann hat sie gute Aussichten, es zu überstehen.«

»Heißen Grog«, sagte Wigbald, der von Kindern sehr wenig Ahnung hatte.

Der Koch nannte ihn daraufhin einen Hornochsen. Der Bootsmann verstummte beleidigt.

»Du kannst sie wärmen, Klaus«, sagte der Koch zu Störtebeker. »Es ist deine Kabine.«

»Ich bin hier der Käpten, kein Kindermädchen. Das soll Hajo tun. – Deich-Hajo, du bist für das Wohlergehen der Kleinen und für ihre Rettung verantwortlich. Bewahre ihr Leben, und ich will es dir hoch vergelten.«

Hajo versprach zu tun, was er konnte. Das leblose Mädchen lag dann bei ihm in der Koje. Eiskalt war ihr Körperchen, aber in dieser Dreijährigen verbarg sich eine starke Lebenskraft. Die nassen Kleider hatte man ihr ausgezogen. Ihr unbekleideter kleiner Körper war unter den warmen Decken an Hajos gepreßt.

Die Öllampe gab einen düsteren Schein, sie war schwach gestellt worden. Es knarrte im Schiff, man spürte den Seegang. Schwach, ganz schwach spürte Hajo den Herzschlag des Kindes. Eine brüderliche Zärtlichkeit, wie er sie noch nie gespürt hatte, kam in dem Waisenjungen auf, den seine Mutter als neugeborenes Baby am Deich abgelegt hatte.

Davon hatte er seinen Namen. Als Mündel einer Gemeinde, lieblos, Schlägen und Repressalien ausgesetzt, hatte er von klein auf hart arbeiten müssen. Um den unerträglichen Zuständen und auch Mißhandlungen zu entfliehen, war er dann ausgerissen. Ein Krämer, eine echte Krämerseele, hatte ihn vorher als billige Arbeitskraft zu sich genommen. Die Krämersfrau gönnte ihm kaum die Wassersuppe und einen Kanten Brot.

Ein Kind der Schande und einen Wechselbalg hatte man ihn in diesem »frommen« Haus genannt, wo es sonntags jeweils zur Kirche ging, der Name des Herrn gepriesen wurde und wo werktags die Leute, die Kunden, betrogen wurden. Um die Sünde seiner Mutter, die niemand kannte, abzubüßen, war er geschlagen worden, damit aus ihm ein besserer Mensch werden sollte.

Wahrscheinlich wäre er ein jung sterbender oder völlig deformierter geworden, hätte er sich nicht ein Herz gefaßt, wäre ausgerissen und hätte sich nach Emden durchgeschlagen. Dort hatte ihn Störtebeker aus Gnade und Barmherzigkeit an Bord genommen.

Denn Deich-Hajo, der arme Teufel, hatte von dem großen Piratenkapitän gehört, der den Reichen nahm und den Armen gab und ein Herz für die Armen und Unterdrückten hatte. In Emden, Niedersachsen, halb verhungert, unterwegs von Hunden gehetzt und gebissen, hatte er tatsächlich Glück gehabt – eine Sternstunde: Störtebeker war dort mit seinem Schiff eingelaufen.

Als er an Land ging, stürzte Hajo zu ihm, ein verhungertes Bündel von einem Jungen, warf sich ihm zu Füßen und klammerte sich an ihn: »Klaus, nimm mich an Bord!«

Die Umstehenden hatten gelacht und gemeint, mit dem verlausten Balg, dem die Rippen unter der Kleidung hervorstachen, und der klein und zurückgeblieben war, würde es nie etwas. Störtebeker jedoch hatte ihn aufgehoben und emporgehoben.

»Wenn wir ihn herausfüttern, wird er sich schon berappeln«, hatte er gesagt. »Einen flinken und anstelligen Schiffsjungen kann ich immer gebrauchen.«

Damit hatte er Hajo auf die Füße gestellt und ihm die schmutzstarrenden Haare zerstrubbelt.

»Setzt ihn in eine Badebütte, wascht ihn, dann kann er an Bord.«

Deich-Hajo vergaß das seinem Wohltäter nie. Als Schiffsjunge Störtebekers an Bord des »Roten Teufels« begann ein neues Leben für ihn. Er erholte und bewährte sich. Die Mannschaft trieb erst ihre rauhen Späße mit ihm, unterließ das jedoch bald, denn er war ein netter, anstelliger, tüchtiger Junge.

Nur der einbeinige Koch Bratspieß murrte, er müßte wohl mit dem Teufel im Bund sein.

»Der kleine Bankert frißt mehr als drei Vollmatrosen«, brummte er, um seine Zuneigung zu Hajo zu verbergen. »Ich weiß, daß er im Wachstum ist, aber so, wie er frißt, scheint er drei Meter groß werden zu wollen.«

Er gab aber Hajo Leckerbissen. Gerrit Wigbald brachte ihm Schreiben und Lesen bei, obwohl Hajo meinte, das müßte für einen Matrosen, der er werden wollte, nicht sein. Störtebeker redete ihm jedoch zu, und für den tat er alles, das ABC und das Rechnen zu lernen.

Daran dachte Hajo, und es wurde ihm warm ums Herz, als er sich erinnerte, wie sich sein Leben gewandelt hatte. Das Dasein an Bord des Piratenschiffs war rauh, doch er wurde als Mensch behandelt, und er war frei, soweit ein Mensch dieses sein konnte. Sogar seinen Beuteanteil erhielt er, wie alle anderen, dafür sorgte Klaus Störtebeker.