Frecher Spatz - Gloria von Felseneck - E-Book

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Gloria von Felseneck

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Der Neujahrsempfang auf Schloss Hubertusholm war in der ehemaligen Residenzstadt gleichen Namens stets das größte gesellschaftliche Ereignis des ganzen Jahres, zu dem die Verwandten und die Geschäftspartner der fürstlichen Familie geladen worden waren. Für diese Herrschaften war der Ball nichts Neues mehr. Diejenigen aber, die zum ersten Mal eine Einladung bekommen hatten, fühlten sich ganz besonders geehrt, die prunkvolle Empfangshalle und den Silbernen Saal betreten zu dürfen. O ja, es war schon eine Auszeichnung, über das wundervolle Parkett zu gehen und die Kostbarkeiten zu bestaunen, die im Laufe der Jahrhunderte von den Fürsten Tharingen zusammengetragen worden waren. Umgeben vom festlichen Glanz der Kronleuchter, von vergoldeten Ornamenten, wertvollen Wandgemälden und zahlreichen Blumenarrangements schien man plötzlich in eine Märchenwelt versetzt worden zu sein. In eine Welt, in der die feenhafte Prinzessin und der romantische Prinz selbstverständlich nicht fehlten. »Prinzessin Angelina und Prinz Wieland Alexander sind so ein schönes Paar und offensichtlich sehr verliebt ineinander«, flüsterte eben eine ältere Dame ihrer Freundin zu. »Ich kann kaum glauben, dass sie eine heftige Ehekrise hinter sich haben.« »Es soll so gewesen sein, aber etwas Genaues weiß man nicht«, erwiderte die andere leise. »Doch ich denke, dass nach der Geburt von Prinz Markus alles wieder in Ordnung gekommen ist.« »Bei den beiden schon. Aber Prinzessin Alicia scheint ihr Glück immer noch nicht gefunden zu haben. Sie ist inzwischen schon über dreißig, immer noch unverheiratet und verlobt auch nicht. Das verstehe ich nicht, sie ist so eine hübsche und intelligente Frau. Und mutig ist sie auch. Sie soll sogar den kleinen Prinzen gerettet haben, als man ihn entführen wollte. Die Männer müssen blind und dumm sein …« Leise miteinander plaudernd, gingen die beiden Damen weiter.

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Fürstenkinder – 70 –

Frecher Spatz

Hannas unglaublicher Aufstieg

Gloria von Felseneck

Der Neujahrsempfang auf Schloss Hubertusholm war in der ehemaligen Residenzstadt gleichen Namens stets das größte gesellschaftliche Ereignis des ganzen Jahres, zu dem die Verwandten und die Geschäftspartner der fürstlichen Familie geladen worden waren.

Für diese Herrschaften war der Ball nichts Neues mehr. Diejenigen aber, die zum ersten Mal eine Einladung bekommen hatten, fühlten sich ganz besonders geehrt, die prunkvolle Empfangshalle und den Silbernen Saal betreten zu dürfen. O ja, es war schon eine Auszeichnung, über das wundervolle Parkett zu gehen und die Kostbarkeiten zu bestaunen, die im Laufe der Jahrhunderte von den Fürsten Tharingen zusammengetragen worden waren. Umgeben vom festlichen Glanz der Kronleuchter, von vergoldeten Ornamenten, wertvollen Wandgemälden und zahlreichen Blumenarrangements schien man plötzlich in eine Märchenwelt versetzt worden zu sein. In eine Welt, in der die feenhafte Prinzessin und der romantische Prinz selbstverständlich nicht fehlten.

»Prinzessin Angelina und Prinz Wieland Alexander sind so ein schönes Paar und offensichtlich sehr verliebt ineinander«, flüsterte eben eine ältere Dame ihrer Freundin zu. »Ich kann kaum glauben, dass sie eine heftige Ehekrise hinter sich haben.«

»Es soll so gewesen sein, aber etwas Genaues weiß man nicht«, erwiderte die andere leise.

»Doch ich denke, dass nach der Geburt von Prinz Markus alles wieder in Ordnung gekommen ist.«

»Bei den beiden schon. Aber Prinzessin Alicia scheint ihr Glück immer noch nicht gefunden zu haben. Sie ist inzwischen schon über dreißig, immer noch unverheiratet und verlobt auch nicht. Das verstehe ich nicht, sie ist so eine hübsche und intelligente Frau. Und mutig ist sie auch. Sie soll sogar den kleinen Prinzen gerettet haben, als man ihn entführen wollte. Die Männer müssen blind und dumm sein …«

Leise miteinander plaudernd, gingen die beiden Damen weiter. Sie hatten die Frau im rubinroten Abendkleid gar nicht bemerkt, die für einige Augenblicke hinter ihnen gestanden und das Gespräch gehört hatte.

Die alten Tanten haben recht, dachte Alicia von Tharingen miss­mutig. Die Männer sind blind und dumm, einer ganz besonders. Ich sollte verreisen, damit ich ihn vergesse.

Doch dann lächelte sie traurig. Sie wusste ganz genau, dass sie ihn so schnell nicht vergessen würde. Und manchmal träumte sie von ihm wie ein junges Mädchen, träumte, dass aus dem arroganten und reservierten Verwalter von Buchenau ein zärtlicher und umgänglicher Mann werden würde, ein Mann, der sie liebte und heiraten wollte.

»Darf ich um den nächsten Tanz bitten, liebe Cousine?« Frederic von Berlitz, ein großer, stattlicher Mann Ende der Dreißig, verneigte sich vor ihr.

»Natürlich, Freddy.« Sie lächelte ihm zu und ließ sich anschließend von ihm in einem schwungvollen Walzer über das Parkett führen.

»Die beiden sind ein schönes Paar«, stellte auch Erbprinzessin Angelina fest, die neben ihrem Mann stand und an einem Glas Champagner nippte.

»Ja, äußerlich schon«, gab Wieland Alexander ihr recht. »Aber charakterlich passen sie gar nicht zusammen. Alicia würde mit dem guten Frederic machen, was sie will. Und dabei würden weder sie noch er glücklich werden. Er braucht eine sanfte Frau und sie einen Mann, der ihr Temperament in die richtigen Bahnen lenkt.«

»Das wird schwierig. Ich kenne keinen Mann, der standesgemäß ist und …« Die Prinzessin verstummte verlegen. Dafür sprach ihr Mann das aus, was sie eigentlich hatte sagen wollen: »… der sie übers Knie legt, wenn sie mal wieder zu frech wird. Das meinst du doch, oder nicht?«

»Ja, so ungefähr. Aber so einen Mann findet man nicht so leicht. Wahrscheinlich gibt es so einen auch gar nicht.«

»Nein, aber Papa und Mama sind mittlerweile so weit, dass sie sogar einen bürgerlichen Schwiegersohn akzeptieren würden, wenn er nur ein ordentlicher Kerl ist und in guten Verhältnissen lebt. Und möglichst weit weg soll er auch wohnen. Alicia ist mitunter recht anstrengend, wie wir beide aus Erfahrung wissen.«

Angelina von Tharingen seufzte leise. Sie hatte die Intrige noch nicht vergessen, die ihre Schwägerin seinerzeit gesponnen hatte, um sie und Wieland zu trennen. Aber sie hatte ihr verziehen, weil sie Markus gerettet hatte. Und sie wünschte ihr, dass sie glücklich wurde.

»Aber sie hat Markus sehr gern«, antwortete sie schließlich. »Es wäre gut, wenn sie ein eigenes Kind hätte.«

»Na, ich weiß nicht …« Der Erbprinz konnte sich seine Schwes­ter nicht als Mutter vorstellen. Und es interessierte ihn auch nicht sehr, was sich Alicia für die Zukunft vorgenommen hatte. Ihm genügte es, wenn sie ihn und seine kleine Familie in Ruhe ließ.

»Komm, lass uns tanzen, mein Schatz«, schlug er nun seiner Liebs­ten vor. »Um Alicia brauchen wir uns nicht zu sorgen. Die weiß genau, was sie will.«

Angelina nickte nur, lächelte ihm innig zu und legte dann ihre Hand auf seinen Arm.

Fürstin Isolde bemerkte diesen Blick. Und sie, die anfangs von der Schwiegertochter gar nicht begeis­tert gewesen war, freute sich nun doch und sagte leise zu ihrem Mann: »Ich glaube, Angelina und Wieland sind sehr glücklich miteinander.«

»Das sind sie«, bestätigte er zufrieden. »Aber Alicia gefällt mir nicht so recht. Sie ist so unstet, so fahrig und hat sich irgendwie verändert.«

»Das liegt an Markus. Sie hat den Kleinen gern und befürchtet wahrscheinlich, dass du sie bald wieder nach Buchenau schickst.«

»Aber nicht doch«, wehrte er ab. »Ich finde, sie hat aus ihren Fehlern gelernt und kann daher hierbleiben, so lange sie will. Sie wird sicher Spaß dran haben, die Karnevalssaison mitzumachen. Sie kann auch zum Skilaufen nach St. Moritz fahren. Schau mal, jetzt tanzt sie schon wieder mit Frederic. Was meinst du, ob aus den beiden was wird?«

Fürstin Isolde schüttelte den Kopf. »Schön wäre es ja, aber ich glaube es nicht. Ich würde mich auch freuen, wenn sie Gerfried heiraten würde. Den kennt sie schließlich schon lange.«

»Kein schlechter Gedanke«, versetzte er und überlegte bereits, wann man den späteren Herzog von Seveningen einladen könnte.

*

Warum bin ich eigentlich noch hier?, dachte Alicia missmutig, als sie an diesem Abend allein in ihrem Salon vor dem Fernsehapparat saß. Hier ist es langweilig, weil ich keine wirkliche Aufgabe habe. Und ich habe auch keine Lust mehr, mit Mama zu irgendwelchen Ausstellungen und Veranstaltungen zu fahren und mich dort zu zeigen. Mehr wird ja von mir nicht verlangt. Ich sollte nach Buchenau zurückkehren. Außerdem war ich lange genug hier – mehr als vier Monate. Das reicht vollkommen.

Durch diesen spontanen Entschluss besserte sich ihre Stimmung augenblicklich. Sie schaltete den Fernseher aus und eilte zu ihrem Vater, der wie meist um diese Zeit noch in seinem Arbeitszimmer weilte.

»Nanu, was willst du denn hier?«, erkundigte er sich verblüfft und legte den Kugelschreiber zur Seite. »Ich habe angenommen, du bist auf der Party von Graf Liebendorf.«

»Ach, das ist doch immer dasselbe«, winkte Alicia ab, während sie sich auf einen der Polsterstühle setzte. »Laute Musik, dumme Sprüche, Häppchen und Alkohol. Echt, Papa, ich mag das nicht mehr. Hast du was dagegen, wenn ich wieder nach Buchenau zurückfahre?«

Der Fürst lehnte sich zurück und musterte seine Tochter mit schmalen Augen.

»Nach Buchenau?«, wiederholte er gedehnt und musterte sie mit schmalen Augen. »Da wolltest du doch nie hin – in dieses Nest am Ende der Welt, das von allen guten Geistern verlassen und vom Fortschritt noch nie erreicht worden ist. Aber erzähle mir jetzt nicht das Märchen von der schönen Landschaft und den netten Leuten. Dir spukt der Verwalter im Kopf he­rum. Streite es nicht ab!«

»Und wenn es so wäre?«, erwiderte sie trotzig. »Wenn er mir gefallen würde wie noch kein anderer zuvor? Dann hältst du mir wahrscheinlich gleich einen Vortrag über gutes Benehmen und erklärst mir, dass man mit dem Personal keine Liebschaft anfangen soll.«

Der Fürst antwortete nicht sofort. Er starrte grübelnd vor sich hin und entgegnete schließlich: »Ich werde dich nicht belehren, ich warne dich nur. Derrick von Vehlan ist kein Mann, mit dem du spielen kannst. Den kannst du auch nicht manipulieren.«

»Das weiß ich doch längst, aber es geht mir wirklich nicht nur um den Verwalter. Auf dem Gut und im Dorf gibt es so viel zu tun. Ich könnte helfen und käme mir nicht so nutzlos vor – wie hier.«

»Arbeiten? Helfen?« Fürst Leonhard war einige Sekunden fassungslos, worauf Alicia spöttisch fragte: »Ach, du nimmst wohl an, dass ich während meiner Verbannung den ganzen Tag auf dem Sofa gelegen habe? Das ist auf dem Gut gar nicht möglich. Da hat man nicht so viele Angestellte wie hier und muss sich fast alles allein machen.«

»Und das gefällt dir?«

»Na ja … am Anfang fand ich es sehr unbequem«, gab sie kleinlaut zu. »Aber inzwischen macht es mir Spaß, die Frau vom Gut zu sein. Und Mamsell Mareike ist wirklich nett. Die sagt zwar nie ›Durchlaucht‹ zu mir, sondern bloß Prinzessin, aber sie versteht mich besser als Mama.«

»Nun, wenn du meinst, dort gebraucht zu werden, dann kannst du selbstverständlich dort wohnen. Du kannst meinetwegen auch den Verwalter heiraten, wenn er dich haben will.«

»Du hast schon mal bessere Witze gemacht, Papa.« Alicia erhob sich und zwang sich zu einem unbekümmerten Lachen. Danach eilte sie hinaus.

In dieser Nacht schlief sie so gut wie schon lange nicht mehr. Und als sie sich zwei Tage später von ihrer Familie verabschiedete, tat sie es gern. Sie streichelte nur Baby Markus über die blonden Locken. Der Kleine war der Einzige, der ihr wirklich fehlen würde.

*

Das Haus von Hans Joachim Kampers sah von außen recht ordentlich aus, es war ja auch noch nicht alt, sondern erst vor sechs Jahren gebaut worden, als er Gerlind Messner geheiratet hatte, eine hübsche, junge Frau, die ein kleines Mädchen mit in die Ehe brachte. Im Garten jedoch, der vor drei Jahren noch der schönste im ganzen Dorf gewesen war, wurden inzwischen die Bäume und Sträucher nicht mehr beschnitten, das Unkraut wurde nicht gejätet und zum Mähen des Rasens kam der Hausbesitzer auch nur sehr selten. Man bemitleidete Kampers allgemein, weil er seine Frau so früh verloren hatte. Nun musste der Arme sich um Haus und Hof und um seine Stieftochter selbst kümmern, um dieses freche Ding, das ihm das Leben schwer machte. Und arbeiten musste er natürlich auch noch.

So redeten die Leute von Buchenau, die meisten jedenfalls, denn ein Witwer wurde stets bedauert, und es hatten sich schon einige Damen gefunden, die ihm hilfreich zur Seite stehen wollten. Erfolg hatten sie nicht gehabt, so dass man im Dorf annahm, er würde noch um seine Frau trauern.

Er trauerte schon lange nicht mehr. Aber das wusste tatsächlich niemand, denn seine neue Liebe war verheiratet. Und da diese ihren gut verdienenden, alten (und krankhaft eifersüchtigen) Mann nicht verlassen konnte und wollte, trafen sie sich heimlich in der nahegelegenen Stadt, in der Hans Joachim Kampers in einem Ingenieurbüro arbeitete. Und dort hatte er angeblich immer so viel zu tun, hatte Dienstreisen, Konferenzen und Eilaufträge, so dass er sich um Tochter und Haushalt beim besten Willen nicht ausreichend kümmern konnte. Aber die Hanna ging ja schon in die zweite Klasse, die half sich allein. Und manchmal kamen ja auch die Großeltern zu Besuch und halfen, wo sie konnten.

Ja, der geplagte Witwer hatte mehr oder weniger das Mitgefühl des ganzen Ortes, das seiner Eltern hatte er jedoch bald nicht mehr. Die hatten ihm mehr als einmal Vorwürfe gemacht und ihn dras­tisch an Pflichten erinnert, denen er ja leider nicht nachkommen konnte. Und als er die schrille Stimme seiner Mutter und das Gepolter seines Vaters nicht mehr hatte ertragen können, hatte er die beiden Alten hinausgeworfen. Sie waren bis zum heutigen Tag nicht wiedergekommen – Gott sei Dank.

Seine kleine Stieftochter hingegen war ein bisschen traurig. Die Großeltern waren wenigstens ab und zu gekommen und hatten ihr so manches im Haushalt erklärt und auch Schokolade und Gummibärchen mitgebracht.

*

Hanna grinste schadenfroh, als sie den dicken Robby heimlich beobachtete. Der blöde Kerl suchte nun schon wer weiß wie lange und jetzt sogar auf dem Schulhof nach seiner Lunchbox. Er würde sie sicher bald finden und feststellen, dass sie leer war. Alles hatte sie, Hanna Kampers, natürlich nicht aufessen können und hatte daher eine Wurstschnitte und die Banane in ihrem Rucksack versteckt, ganz unten, wo niemand das Diebesgut finden würde.

Diebesgut? Ach, was! Bei Bürgermeister Steinke und seiner Frau gab es immer genug zum Essen. Und dem Robby würde es ganz gewiss nicht schaden, wenn er mal eine Mahlzeit ausließ. Jetzt blieb ihm sowieso nichts anderes übrig, als sich mit seinem knurrenden Magen abzufinden. Die große Pause war nämlich zu Ende.

Satt und sich immer noch über ihren Streich freuend, eilte Hanna mit den anderen Kindern zu ihrem Klassenzimmer. Robert Steinke war allerdings nicht dabei.

»Dem hat jemand die Brotbüchse geklaut«, flüsterte ein Mädchen einem anderen zu. »Ist das nicht gemein?«

Hanna fand das nicht. Sie hatte Hunger gehabt, und da sich bei ihr zu Hause heute Morgen weder Brot noch Aufschnitt finden ließen, hatte sie diesen eben gestillt, indem sie jemandem etwas wegnahm, der ohnehin mehr als genug hatte.

Robby kam nun aufgeregt ins Klassenzimmer, setzte sich auf seinen Platz und berichtete den anderen lautstark, dass er die rote Schachtel, in die seine Mama immer ein reichhaltiges Frühstück legte, endlich gefunden hatte. Im Gestrüpp hinter der Schule hatte sie gelegen. Und dort hatte sie jemand versteckt, der ihm seine Pausenbrote nicht gönnte. Aber er würde den Dieb erwischen … zusammen mit seinen Eltern. Und dann konnte sich dieser auf etwas gefasst machen, was er nie mehr vergessen würde.

Hanna Kampers beachtete ihn nicht. Und als sie einige Stunden später zu Hause angekommen war, verputzte sie die letzte Schnitte und die Banane. Sie hätte nun noch gern Milch oder Kakao getrunken, aber der Vater hatte mal wieder vergessen einzukaufen. Außer Bier war kein Getränk vorhanden. Wenn sie wenigstens Taschengeld bekommen würde, dann würde sie jetzt zum Supermarkt laufen und sich Milch und außerdem noch eine große Flasche Limonade kaufen. Nun, Wasser löschte den Durst auch.

Die Kleine gähnte, nachdem sie einen Becher mit Leitungswasser getrunken hatte. Ihr Bauch tat nicht mehr weh, und sie war müde. So müde, dass sie zu ihrem Zimmer lief, sich ins Bett legte und sofort einschlief. Nach dem Mittagsschlaf machte sie ihre Hausaufgaben und lief dann zu ihrer Freundin Steffi. Mit der spielte sie eine Weile und freute sich, als deren Mutter ihr einen Schokoriegel schenkte.

*

Hans Joachim Kampers oder Hanjo, wie ihn seine Freunde nannten, kam erst gegen 20.00 Uhr nach Hause. Er war noch mit seiner Freundin in einem Lokal gewesen, wo sie zu Abend gegessen hatten. Und er wäre gern noch länger geblieben, wenn Monika ihn nicht mehrmals ermahnt hätte, sich um seine Tochter zu kümmern.