Doch die Liebe ist kein Spiel - Patricia Vandenberg - E-Book

Doch die Liebe ist kein Spiel E-Book

Patricia Vandenberg

0,0

Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Es war noch früh am Morgen, und in der Lottoannahmestelle ging es ruhig zu. Ein paar Leute hatten sich auf dem Weg zur S-Bahn Zeitungen und Zigaretten gekauft, und Hedi Fröhlich füllte nun die Regale auf. Fröhlich war ihr allerdings nicht zumute, denn zum Jahreswechsel wurde das Tabak- und Papierwarengeschäft von neuen Besitzern übernommen, und sie hatte ihre Kündigung schon in der Tasche. Der guten Frau Naumann hatte es leidgetan, aber sie war nun schon zu alt geworden, um das Geschäft noch zu halten, und die jungen Leute, die es übernommen hatten, brauchten keine Verkäuferin. Für Hedi stand ein recht trauriges Weihnachten vor der Tür. Sie ließ es sich nicht anmerken, als nun ein Mann den kleinen Laden betrat und freundlich sagte: »Grüß Gott, Frau Hedi.« Sie kannte ihn. Er kam jede Woche einmal und gab Lottoscheine ab. Er kaufte dann auch ein paar Illustrierte, manchmal auch Süßigkeiten. Sein Name war Wolfgang Rauecker, aber das wusste sie nur vom Lottoschein her. Sie wurde von vielen »Frau Hedi« angesprochen. Diesmal legte er ihr auch wieder einen Dauerschein hin. »Meine Mutter kann es nicht lassen«, bemerkte er dazu. »Lässt sich Glück eigentlich auch mit Ausdauer erzwingen?« Er redete diesmal mehr, vielleicht deshalb, weil sonst niemand anwesend war. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Hedi leise. »Übrigens übernehmen neue Besitzer ab 1. Januar das Geschäft.« Hatte er überhaupt zugehört? Er legte ihr ein Los von der Glückslotterie hin. »Das schenke ich Ihnen zu Weihnachten, mit den besten Wünschen und toi, toi, toi«, sagte er hastig, denn nun betraten andere Kunden

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 138

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Norden Bestseller –219–

Doch die Liebe ist kein Spiel

Patricia Vandenberg

Es war noch früh am Morgen, und in der Lottoannahmestelle ging es ruhig zu. Ein paar Leute hatten sich auf dem Weg zur S-Bahn Zeitungen und Zigaretten gekauft, und Hedi Fröhlich füllte nun die Regale auf. Fröhlich war ihr allerdings nicht zumute, denn zum Jahreswechsel wurde das Tabak- und Papierwarengeschäft von neuen Besitzern übernommen, und sie hatte ihre Kündigung schon in der Tasche. Der guten Frau Naumann hatte es leidgetan, aber sie war nun schon zu alt geworden, um das Geschäft noch zu halten, und die jungen Leute, die es übernommen hatten, brauchten keine Verkäuferin. Für Hedi stand ein recht trauriges Weihnachten vor der Tür.

Sie ließ es sich nicht anmerken, als nun ein Mann den kleinen Laden betrat und freundlich sagte: »Grüß Gott, Frau Hedi.«

Sie kannte ihn. Er kam jede Woche einmal und gab Lottoscheine ab. Er kaufte dann auch ein paar Illustrierte, manchmal auch Süßigkeiten. Sein Name war Wolfgang Rauecker, aber das wusste sie nur vom Lottoschein her. Sie wurde von vielen »Frau Hedi« angesprochen.

Diesmal legte er ihr auch wieder einen Dauerschein hin. »Meine Mutter kann es nicht lassen«, bemerkte er dazu. »Lässt sich Glück eigentlich auch mit Ausdauer erzwingen?«

Er redete diesmal mehr, vielleicht deshalb, weil sonst niemand anwesend war.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Hedi leise. »Übrigens übernehmen neue Besitzer ab 1. Januar das Geschäft.«

Hatte er überhaupt zugehört? Er legte ihr ein Los von der Glückslotterie hin. »Das schenke ich Ihnen zu Weihnachten, mit den besten Wünschen und toi, toi, toi«, sagte er hastig, denn nun betraten andere Kunden den Laden.

Er bezahlte und lächelte. »Vielen Dank«, stammelte Hedi, aber mehr vermochte sie auch nicht zu sagen, und schon eilte er von dannen.

Als wieder eine Ruhepause eingetreten war, füllte sie ganz bedächtig ihren Namen und ihre Adresse aus, richtig andächtig war ihr dabei zumute.

Auf diese Freude folgte bald ein Schrecken. Dr. Norden rief an und sagte ihr, dass Frau Naumann schwer gestürzt sei und in die Behnisch-Klinik gebracht werden musste. Nach Geschäftsschluss möge sie doch einmal nach ihr sehen.

Es fiel Hedi jetzt doppelt schwer, sich zu konzentrieren, aber gerade in Bezug auf die Lottoscheine durfte ihr kein Fehler unterlaufen, und fast hätte sie dann noch vergessen, ihren Schein abzustempeln. Dass sie mal Glück haben könnte, daran glaubte sie nicht, aber dieses Los war für sie ein Geschenk, über das sie sich sehr gefreut hatte.

Ein Fehler war ihr noch nie unterlaufen, selbst gespielt hatte sie allerdings auch nie. Sie musste mit jedem Euro geizen. Die Miete für ihre kleine Wohnung, die Kosten für den Lebensunterhalt zehrten das meiste auf, und für Kleidung blieb selten etwas übrig. Ab und zu steckte ihr Frau Naumann dafür schon einen Schein extra zu, aber so viel warf das Geschäft auch nicht ab, dass die alte Frau großzügig sein konnte. Hedi konnte sie vertrauen, und das wiederum hatte Hedi veranlasst, bis zuletzt auszuharren, obgleich sie nun schon einige Wochen wusste, dass sie sich nach einer neuen Stellung umsehen musste. So einfach war das jedoch nicht. Die Angebote waren dünn gesät.

Im Lebensmittelmarkt wurden Verkäuferinnen gesucht, aber wenn Hedi an den Geschäftsführer dachte, lief es ihr gleich eiskalt über den Rücken. Ihr hatte es schon gereicht, als er sie mit einem süffisanten Lächeln gefragt hatte, ob sie nicht bei ihm arbeiten wolle.

Hedi war ein hübsches Mädchen und auch mit bescheidenen Mitteln immer adrett gekleidet. Manchmal hatte sie auch schon ein Mann einladen wollen, aber so nett und höflich wie Herr Rauecker war selten ein Kunde gewesen. Er hatte sie ja auch nie so anzüglich gemustert.

Als sie zur Behnisch-Klinik ging, überlegte sie, warum er ihr das Los geschenkt hatte, einfach so nebenbei. Nun, gerade arm schien er ja nicht zu sein. Er kam ja auch mit einem Auto, das nicht gerade billig war. Sie hatte das wohl bemerkt. So viel wie an diesem Tag hatte sie jedoch über ihn noch nicht nachgedacht.

Bisher hatte sie ja auch gedacht, dass Inge Rauecker, die immer die Dauerscheine ausfüllte, seine Frau sei. Erst heute hatte er erwähnt, dass seine Mutter es nicht lassen könne zu spielen.

Nun aber musste sie an die arme Frau Naumann denken, die auch nicht viel Glück in ihrem Leben gehabt hatte und die nun in der Behnisch-Klinik lag. Und wie jämmerlich sah sie aus. Hedi kamen fast die Tränen, als die müden Augen sie so hilflos anblickten.

»Das muss mir auch noch passieren, Hedi«, murmelte Alma Naumann. »Jetzt müssen Sie die Inventur doch noch allein machen.«

»Ich werde es schon schaffen, Frau Naumann. Darüber machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe ja immer genau Buch geführt.«

Frau Naumann war auf einem Eisbrocken ausgerutscht, hatte sich den rechten Arm gebrochen und beide Beine gestaucht. Kieselsteine waren in die Knie eingedrungen und hatten herausoperiert werden müssen. Ein rechtes Häufchen Elend bot sie dar.

»Aber die Unfallversicherung muss zahlen, Hedi«, sagte sie, »und Sie bekommen einen Tausender extra. Und dann wollt’ ich Sie noch bitten, nach meinen Blumen zu sehen, und wenn Sie Weihnachten nichts Besseres vorhaben, dann können Sie auch in meiner Wohnung den Fernseher benutzen. Eigentlich wollte ich Sie ja einladen, damit wir uns noch einmal aussprechen können, bevor ich dann ins Seniorenheim gehe. Aber es kommt immer anders als man denkt.«

Ein paar Tränen flossen, aber viel weinen konnte auch Frau Naumann nicht mehr. Vor zwanzig Jahren hatte sie ihren Mann verloren. Der einzige Sohn war schon als Schüler tödlich verunglückt. Das kleine Geschäft war ihr Lebensinhalt gewesen, bis sie es nicht mehr allein schaffen konnte.

»Drei Jahre haben Sie mir so redlich geholfen, Hedi«, murmelte sie. »Dass ich Ihnen nicht mehr hab’ zahlen können, hat mir immer leidgetan, aber wenn es Gott will, dass ich jetzt gehen muss, soll Ihnen wenigstens das bleiben, was ich hinterlasse.«

»Sagen Sie das nicht, Frau Naumann, Sie werden schon wieder gesund«, erwiderte Hedi tröstend.

»Es tut mir ja so leid, dass ich keinen gefunden habe, der Sie auch übernommen hätte, aber es bleibt ja nicht viel übrig, das wissen Sie ja. Ich kann nur wünschen, dass Sie einen netten Mann finden, damit Sie nicht mehr so allein sind.«

»Ich werde schon zurechtkommen, Frau Naumann«, erwiderte Hedi. »Um das Geschäft brauchen Sie sich jetzt keine Gedanken zu machen. Das Geschenkpapier ist schon fast verkauft, auch die Servietten, Zigarren und Zigaretten gehen nach wie vor. Wir werden schon noch einen ganz guten Abschluss machen.«

»Mit dem Lotto wäre ich ja eh nicht mehr zurechtgekommen, wenn ich Sie nicht gehabt hätte«, sagte Frau Naumann, »aber das hat doch manche Kunden in den Laden gelockt. Am liebsten wäre es mir schon gewesen, Sie hätten ihn übernehmen können.«

Ja, wenn ich Geld gehabt hätte, dachte Hedi.

»Aber es wird nicht lange dauern, dann wird das Haus auch verkauft werden«, fuhr Frau Naumann fort. »Dann wird alles modernisiert, und die Mieten steigen ins Unermessliche. Mit all den Schwierigkeiten müssen sich Jüngere auseinandersetzen, und man ist ja angehängt, wenn man ganz allein dasteht. Wissen S’, Hedi, ich hab’ immer gehofft, Sie stellen mir mal einen netten, tüchtigen, jungen Mann vor, der sagen tät, dass er das Geschäft übernehmen würde. Nichts für ungut, wenn ich das sage, aber einer alten Frau muss man das nachsehen.«

»Ich habe daran nicht gedacht, Frau Naumann«, meinte Hedi. »Man kann nichts erzwingen. Das ist wie mit dem Lotto, auch mit Ausdauer lässt es sich nicht erzwingen. Wir haben so viel Kunden gehabt, die viel eingesetzt haben, aber einen großen Gewinn hat noch keiner gehabt.«

»Davon erfahren wir ja nichts, wenn es so wäre, Hedi. Ich habe mal dreitausend Euro gewonnen, das kam grad recht. Und Sie?«

»Ich habe nie gespielt.«

»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, aber die meisten verspielen ja viel mehr, als sie sich leisten könnten. Da kommt man schon in einen Zwiespalt.«

»Ich habe nie darüber nachgedacht«, sagte Hedi, »aber ein Fehler ist mir auch nie unterlaufen. Darüber bin ich froh.«

»Und eigentlich sollten Sie so fröhlich sein wie Ihr Name.«

Reden konnte Frau Naumann immer noch, und das konnte Hedi dann auch Dr. Behnisch sagen. Aber da kam Dr. Norden. »Hallo, Frau Hedi, immer noch hier?«, begrüßte er sie.

»Es gab ja manches zu bereden. Ich muss Inventur machen, aber es freut mich schon, dass Frau Naumann trotz der Verletzungen geistig so rege ist.«

»Haben Sie schon eine neue Stellung?«, erkundigte sich Dr. Norden.

»Noch nicht. Es wird sich schon etwas finden.«

»Ich werde mich umhören«, sagte er.

»Bis zur Übernahme werde ich noch genug zu tun haben«, erklärte Hedi. »Und um Frau Naumanns Blumen muss ich mich jetzt auch kümmern. Wie lange wird sie in der Klinik bleiben müssen?«

»Sechs Wochen sicherlich«, warf Dr. Behnisch ein.

Sechs Wochen, dachte Hedi, als sie heimwärts ging. Was wird in sechs Wochen sein? Sie blickte zum Himmel empor. Sternenklar war er, und ihr war es, als blinke ein Stern ganz besonders hell, als wolle er ihr Mut machen.

Wie hatte ihre Mutter immer gesagt, die dennoch so früh sterben musste: »Immer, wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.«

Ich gebe nicht auf, dachte Hedi, aber ich schaffe es schon allein.

*

Der Heilige Abend war gekommen. Um zwölf Uhr hatte Hedi das Geschäft schließen können, dann hatte sie noch ein paar Stunden dagesessen und gerechnet. Sie konnte zufrieden sein, alles war in Ordnung.

Oft war sie gefragt worden, was denn nun mit dem Geschäft werden würde, und von manch einem hatte sie einen Händedruck bekommen, wenn sie sagte, dass sie im neuen Jahr nicht mehr da wäre. Und über hundert Euro waren in der Kasse geblieben von denen, die sich das Wechselgeld nicht herausgeben ließen. Aber die größte Freude war für sie doch gewesen, als Fee Norden ihr ein Päckchen brachte.

»Wenn Sie Hilfe brauchen, Hedi«, hatte sie gesagt, »wir kennen uns ja lange genug, und Sie wissen, wo wir wohnen.«

Zehn Lose hatte Fee Norden noch gekauft. »Die verschenken wir«, sagte sie. »Sie sind ja für einen guten Zweck, auch wenn sie nicht gewinnen.«

»Ich habe auch eins geschenkt bekommen«, erwiderte Hedi.

»Dann bekommen Sie das zweite«, sagte Fee Norden. »Schade, dass es keine Überraschung mehr ist. Aber man weiß ja nie, wen Fortuna bevorzugt.«

»Auf jeden Fall dienen sie einem guten Zweck«, sagte Hedi, »tausend Dank.«

Schneeflocken fielen herab, als Hedi zur Behnisch-Klinik ging, um Frau Naumann ihr Geschenk zu bringen. Sie hatte Plätzchen gebacken. Sie wusste, welche Frau Naumann am liebsten mochte und war glücklich, dass sie ihr so gut gelungen waren, aber dazu konnte sie ihr auch eine sehr korrekte Buchführung unterbreiten.

Dafür hatte Alma Naumann weniger Sinn als für die Plätzchen. »So viel Arbeit haben Sie sich für mich auch noch gemacht, Hedi«, sagte sie gerührt. »Der Gewinn dieses Monats ist mein Geschenk für Sie. Meinen Aufenthalt hier zahlt die Krankenkasse. Ich konnte Ihnen ja nichts kaufen, aber nach Weihnachten ist dann sowieso alles billiger. Da kleiden Sie sich mal so hübsch ein, wie es einem so hübschen jungen Mädchen zusteht. Und freuen würde ich mich, wenn ich es noch erleben könnte, dass Sie eine neue Stellung finden, die Ihnen gefällt.«

Bis sieben Uhr blieb Hedi bei ihr in der Klinik, dann ging sie heim. Die Straßen waren still, der Schnee war in einen Nieselregen übergegangen, und ein Sturm kam auf. In ihrem bescheidenen Zimmer hatte sie schon am gestrigen Abend einen kleinen Baum geschmückt. Bescheiden war es immer, auch an Weihnachten, bei ihr zugegangen. Einen Vater hatte sie nie kennengelernt, ihre Mutter hatte ihr stets nur kleine Geschenke unter den Tannenbaum legen können. Das Geld muss gespart werden, damit es dir einmal besser geht, hatte sie dann immer gesagt bekommen. Und was war ihr geblieben? Doch nur die Angst, dass es ihr auch einmal so ergehen könne wie ihrer Mutter. Verlassen von einem Mann, dem sie ihre Liebe geschenkt hatte, verstoßen von einer unbarmherzigen Gesellschaft, in der nur der zählte, der mithalten konnte.

Nein, ich lasse mich nicht unterkriegen. Lieber lebe ich allein, als so vergrämt wie Mutter, ging es ihr durch den Sinn.

Sie aß ihre Wiener Würstl und Salat dazu. Für sie war das schon ein Festessen, aber für die Feiertage hatte sie sich ein Schnitzel und eine Roulade gekauft. Dann dachte sie daran, dass Frau Naumann ihr angeboten hatte, bei ihr fernzusehen. Nur zwei Häuser weiter musste sie gehen. In der Straße herrschte keine weihnachtliche Stimmung. Es regnete, und der Sturm war noch stärker geworden. Und warm war es in Frau Naumanns Wohnung auch nicht. Aber sie hatte Gasheizung, und Hedi meinte, dass es nicht schaden könne, wenn auch mal durchgeheizt würde. Sie goss zuerst die Blumen, die noch nicht gelitten hatten, dann stellte sie den Fernsehapparat an. Manchmal hatte sie hier mit Frau Naumann gesessen und einen Film angeschaut. Auch an diesem Abend lief ein Heimatfilm, aber als der zu Ende war, sollten die Lottozahlen kommen. Ob sie auch die Zahl des Glücksloses durchgeben würden? So ein bisschen aufgeregt war Hedi doch. Doch von einem großen Glück wagte sie ja nicht zu träumen, aber vielleicht gewann sie mal tausend Euro oder dreitausend, wie Frau Naumann. In der Annahmestelle hatte sie es ja manchmal erleben können, wie sich die Kunden auch über ein paar hundert Euro freuten. Und damit wäre sie auch schon zufrieden.

Und dann kamen die Zahlen. Hedi notierte sie, aber dann fiel ihr ein, dass sie den Schein in ihrer Wohnung gelassen hatte. War da nicht zum Schluss auch eine Sieben und eine Fünf gewesen?

Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Schnell zog sie den Mantel an, drehte die Heizung wieder zurück, schloss die Wohnung sorgfältig ab, nachdem sie das Licht gelöscht hatte und eilte durch Sturm und Regen zurück. Sie zog den Mantel aus und hing ihn auf einen Bügel, damit er nicht knittern sollte. Das vergaß sie nicht. Sie strich sich das feuchte Haar aus der Stirn und wusch sich die Hände. Und dann verglich sie die Zahlen, und es wurde ihr schwarz vor den Augen. Nein, das konnte doch nicht stimmen. Bestimmt hatte sie sich verhört oder nicht richtig gesehen. Alle Zahlen stimmten, sieben an der Zahl. Ihr stockte der Atem. Aber sie wollte es nicht glauben. Sie musste das erst noch mal schwarz auf weiß sehen, und bloß nicht zu früh freuen, redete sie sich immer wieder ein. Es brauchte ja nur eine Zahl falsch zu sein, und der Traum war dahin.

Sie konnte kaum schlafen in dieser Nacht, aber als der Morgen kam, schaltete sie gleich das Radio an. Doch sie musste bis neun Uhr warten, dann wurden die Zahlen wieder durchgesagt. Ihre Hand zitterte, als sie diese notierte, und sie verglich sie nochmals, als sie wiederholt wurden. Nein, es war kein Irrtum, aber der Sprecher sagte, dass diese Ansage ohne Gewähr sei.

Einen langen Tag, eine Nacht und noch einen Tag musste sie warten, bis sie in der Zeitung vergleichen konnte, ob auch wirklich nicht ein Irrtum vorlag und bis sie dann genau erfuhr, was sie gewonnen haben könnte.

Aber wenn das stimmt, sagte Hedi laut, dann werde ich mit Herrn Rauecker teilen. Da war ja auch noch der Schein von Frau Dr. Norden. Und wieder konnte es Hedi nicht begreifen, denn die letzten vier Zahlen waren die gleichen.

Das gibt es nicht, dachte sie, das kann es nicht geben, und es kann ja auch sein, dass gerade die Scheine verloren gegangen sind. Bei ihnen war so was zwar noch nie passiert, aber in anderen Annahmestellen schon. Jedenfalls war so viel Glück für sie so unfassbar, dass die Zweifel stärker waren als das Glücksgefühl.

Der Sturm hatte sich gelegt, aber kälter war es nicht geworden. Frühlingshaft warm war die Luft, als sie dann hinausging, hinüber zum Wald und dort stundenlang herumlief, bis ihre Füße schmerzten. Sie kehrte in einen Waldgasthof ein. Das würde sie sich schon leisten können, meinte sie. Und dort war auch jeder Gast willkommen, der sich trotz des schlechten Wetters so weit hinausgewagt hatte.

Gar so teuer war auch der gute Gänsebraten nicht, den Hedi vorgesetzt bekam. Immer hatte sie sich mal gewünscht, einen Gänsebraten zu essen, dies war nun der erste in ihrem Leben. Und wie der schmeckte!

Ich träume das ja alles nur, dachte Hedi, als sie wieder zurückging. Ich werde aufwachen, und alles ist wie früher. Aber es war nicht wie früher. Sie hatte Frau Naumann besucht, aber ihr nichts gesagt von den Losen, obgleich sie auch davon träumte, dieser lieben alten Frau eine große Freude bereiten zu wollen, wenn sie Gewissheit hatte. Und die hatte sie dann, als die Festtage vorbei waren.