… doch die Wahrheit kommt ans Licht - Patricia Vandenberg - E-Book

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Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. In der Praxis Dr. Norden herrschte Hochbetrieb, obgleich Schulferien waren, aber sicher war daran auch das schwüle, ja, fast tropische Wetter schuld, das schon seit Tagen auf der Stadt lastete. Kein Lüftchen bewegte sich, und die Abgase des Urlauberverkehrs belasteten die Luft. Da litten besonders die Herzkranken und Kreislaufgeschädigten, und es gab viele Unfälle. Auch an diesem Vormittag wurde Dr. Norden aus der Praxis weggerufen, weil es auf der Autobahnzufahrt zu einer Massenkarambolage ge­kom­men war. Ein Notfall hatte Vorrang, und da gab es kaum einen Patienten, der dafür nicht Verständnis hatte, wenigstens nicht in Dr. Nordens Praxis. Seine Patienten wußten ja, daß er immer zur Stelle war, wenn er gebraucht wurde. Die Verletzten an der Unfallstelle brauchten rasch Hilfe. Zwei Schwerverletzte wurden schon im Notarztwagen zum Klinikum gebracht. Ein zweiter Notarztwagen kam gleichzeitig mit Dr. Norden an, aber für ihn gab es trotzdem noch etwas zu tun. Zuerst half er einer jungen Frau mit ihrem kleinen Sohn aus einem demolierten Wagen. Der Ehemann hatte zu den Schwerverletzten gehört. Die beiden sollten aber nun ebenfalls in die Klinik gebracht werden, um festzustellen, ob sie innere Verletzungen davongetragen hatten, denn bei Patienten in einem Schocktrauma konnte man das nicht gleich beurteilen. Dann sah Dr. Norden eine dunkelhaarige junge Frau neben einem ebenfalls stark beschädigten Wagen stehen, der französische Kennzeichen hatte. Er bemerkte, daß sie sich an der heraushängenden Autotür festklammerte und eilte zu ihr. Anscheinend hatte sich bisher noch niemand um sie gekümmert.

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Dr. Norden Bestseller – 286–

… doch die Wahrheit kommt ans Licht

Patricia Vandenberg

In der Praxis Dr. Norden herrschte Hochbetrieb, obgleich Schulferien waren, aber sicher war daran auch das schwüle, ja, fast tropische Wetter schuld, das schon seit Tagen auf der Stadt lastete. Kein Lüftchen bewegte sich, und die Abgase des Urlauberverkehrs belasteten die Luft. Da litten besonders die Herzkranken und Kreislaufgeschädigten, und es gab viele Unfälle.

Auch an diesem Vormittag wurde Dr. Norden aus der Praxis weggerufen, weil es auf der Autobahnzufahrt zu einer Massenkarambolage ge­kom­men war.

Ein Notfall hatte Vorrang, und da gab es kaum einen Patienten, der dafür nicht Verständnis hatte, wenigstens nicht in Dr. Nordens Praxis. Seine Patienten wußten ja, daß er immer zur Stelle war, wenn er gebraucht wurde.

Die Verletzten an der Unfallstelle brauchten rasch Hilfe. Zwei Schwerverletzte wurden schon im Notarztwagen zum Klinikum gebracht. Ein zweiter Notarztwagen kam gleichzeitig mit Dr. Norden an, aber für ihn gab es trotzdem noch etwas zu tun. Zuerst half er einer jungen Frau mit ihrem kleinen Sohn aus einem demolierten Wagen. Der Ehemann hatte zu den Schwerverletzten gehört. Die beiden sollten aber nun ebenfalls in die Klinik gebracht werden, um festzustellen, ob sie innere Verletzungen davongetragen hatten, denn bei Patienten in einem Schocktrauma konnte man das nicht gleich beurteilen.

Dann sah Dr. Norden eine dunkelhaarige junge Frau neben einem ebenfalls stark beschädigten Wagen stehen, der französische Kennzeichen hatte. Er bemerkte, daß sie sich an der heraushängenden Autotür festklammerte und eilte zu ihr. Anscheinend hatte sich bisher noch niemand um sie gekümmert.

Schnell erinnerte sich Daniel Norden an seine französischen Sprachkenntnisse und fragte, ob sie Schmerzen hätte. Allerdings schien er nicht die richtigen Vokabeln gefunden zu haben, denn sie versuchte ein klägliches Lächeln und sagte, daß er ruhig deutsch mit ihr reden könne, da sie Deutsche sei.

Ja, sie hatte Schmerzen und eine Platzwunde an der Stirn, die ziemlich stark blutete. Sie hatte ein Taschentuch dagegen gedrückt, aber Dr. Norden hatte ihre Hand mit dem Tuch behutsam weggezogen.

»Das sollten Sie lieber nicht machen wegen der möglichen Infektion«, sagte er.

»Ganz unbewußt«, murmelte sie. »Ich weiß überhaupt nicht, wie das passiert ist.«

Aber da kam schon ein Polizist und wollte sie befragen. »Die junge Dame muß versorgt werden«, sagte Dr. Norden. »Notieren Sie die Personalien. Ich nehme die Patientin mit.«

Ihr Name war Martina Heiberg, vierundzwanzig Jahre, Modezeichnerin und zur Zeit wohnhaft in Paris.

Sie gab an, in welchem Hotel sie hier wohnen wollte, es war eines in dieser Gegend, nämlich das Hotel zur Sonne, klein aber fein, wie man sagte.

Der Wagen mußte abgeschleppt werden. Der Beamte hatte zu bemängeln, daß sie ihren Paß nicht fand, und Dr. Norden merkte, daß sie dies in Verwirrung stürzte.

Den Führerschein und die Wagenpapiere konnte sie vorweisen, und Dr. Norden konnte sie mit in die Praxis nehmen. In eine Klinik wollte sie nicht, weil sie am Nachmittag eine wichtige Besprechung hätte, wie sie sagte.

Sie wurde in das Behandlungszimmer gelegt und bekam Beruhigungstropfen. Mit Injektionen war Dr. Norden vorsichtig, wenn er die Patienten nicht kannte, und es schien auch so, als wäre es vor allem der Schock, der sich nun auswirkte.

Franzi, die noch lernende Arzthelferin, kümmerte sich um Martina Heiberg, nachdem Dr. Norden die Platzwunde an der Stirn sorgfältig desinfiziert und versorgt hatte.

Martina konnte sich entspannen und erinnerte sich nun auch wieder, wie das passiert war. Sie konnte es Dr. Norden erzählen, der sich ihr widmen konnte, nachdem er die noch wartenden Patienten versorgt hatte.

»Ich hielt einen ziemlichen Abstand zu den vorausfahrenden Wagen, weil ich nicht genau wußte, wo ich abbiegen mußte«, berichtete sie. »Ich wurde schon ein paarmal angehupt, und dann raste ein Sportwagen an mir vorbei, beachtete den Gegenverkehr nicht, geriet ins Schleudern und fuhr auf einen Transporter auf. Was dann noch alles für Wagen darin verwickelt wurden, weiß ich nicht. Jedenfalls fuhr noch einer auf meinen Wagen auf, und deshalb wurde ich noch nach vorn gedrückt. Es ging alles wahnsinnig schnell. Es ist aber schrecklich, daß so viele Leute verletzt sind. Ich bin ja von Paris allerhand gewohnt, aber solchen Unfall habe ich noch nicht erlebt.«

Sie konnte jedoch reden, sich erinnern, und sie war auch nicht so schwer verletzt, daß sie noch in die Klinik gebracht werden mußte.

Die Spannung hatte sich gelöst, und Dr. Norden stellte fest, daß sie eine sehr aparte junge Dame war. Große topasfarbene Augen blickten ihn dankbar an.

»Ich verstehe nicht, wo mein Paß geblieben ist«, sagte sie geistesabwesend. »Ich hatte ihn an der Grenze noch. Das beschäftigt mich wirklich. Ich kann ihn doch nicht an der Unfallstelle verloren haben. Da habe ich nichts aus der Tasche genommen.«

»Doch, sicher das Taschentuch«, sagte Dr. Norden.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe die Papiere immer in der Seitentasche, damit ich nicht lange suchen muß. Merkwürdig.«

»Es wird sich schon herausstellen«, sagte Dr. Norden beruhigend. »Ruhen Sie sich gründlich aus, und wenn Sie wieder Beschwerden bekommen, stehe ich gern zur Verfügung.«

»Sie sind sehr nett«, sagte Martina. »Was bin ich Ihnen schuldig?«

»Lassen wir das, es war ein Samariterdienst«, erwiderte er lächelnd. »Gute Besserung, und hoffentlich geht das mit den Versicherungen alles klar.«

Sie seufzte. »Das wird wohl noch dauern, und ich würde den Wagen so dringend brauchen.«

»Wollten Sie bald wieder nach Paris zurück?«

»Ich habe hier eine Stellung angeboten bekommen. Wenn es klappt, bleibe ich, sonst mache ich nur ein paar Wochen Urlaub.«

Sie ließ ein Taxi rufen und sagte beim Abschied, daß sie bestimmt nochmals kommen würde.

»Das ist schon ein Pech, wenn einem so was passiert«, meinte Franzi.

»Jedenfalls lebt sie, das ist wohl am wichtigsten«, meinte Dorthe.

*

Trotz aller Aufregung sah Martina Heiberg dem Treffen mit Roger Pertain mit großer Spannung entgegen. Noch niemals hatte sie ein so großes Interesse an einem Mann gehabt wie an ihm.

Es machte sie glücklich, daß er ihr, obgleich sie sich noch gar nicht lange kannten, ein so großes Vertrauen entgegenbrachte, daß er sie gebeten hatte, für ihn sehr wichtige Papiere von einem Geschäftsfreund in Karlsruhe abzuholen und mit nach München zu bringen.

Das hatte sie auch getan. Sie hatte diesen Herrn Lambert in Karlsruhe getroffen, und sie hatte dann auch die Nacht dort verbracht, weil es ihr ohnehin zuviel geworden wäre, die ganze Strecke von Paris durchzufahren.

Freilich hätte sie auch fliegen können, aber da Roger vorgeschlagen hatte, doch ein paar Tage Urlaub mit ihm in Bayern zu machen, hatte sie gemeint, es wäre besser, mit dem Wagen zu kommen, da Roger geflogen war.

Es stimmte auch, daß sie ein sehr gutes Angebot von einem Münchener Modeschöpfer bekommen hatte, aber wenn sich alles erfüllte, was sie von Roger erhoffte, wollte sie in Paris bleiben.

Obwohl aber Roger eine solche Faszination auf sie ausübte, war sie nicht unkritisch. Sie war eine selbstbewußte junge Frau, hatte Erfolg im Beruf und sehr konkrete Vorstellungen von einer Partnerschaft. Gewisse Rätsel gab ihr Roger nämlich schon auf, und sie war nicht bereit, mit blindverliebten Augen in die Irre zu gehen.

Die Zimmer im Hotel zur Sonne hatte Roger bestellt. Wenn Martina in München war, wohnte sie sonst stets bei ihrer Tante Melanie Gormann, die auch eine hübsche Pension besaß, aber Roger hatte gemeint, daß sie dann zu viel Familienrücksicht nehmen müsse, und damit hätte er es gar nicht.

Martina vermochte nicht, ihm zu widersprechen. Wenn er sie ansah, war sie dazu nicht fähig, ja, sie war fast willenlos.

Als sie nun das Hotel zur Sonne erreichte, die Fahrt hatte nicht lange gedauert, wurde sie mit einem recht merkwürdigen Blick von einer Frau mittleren Alters empfangen. Als sie ihren Namen nannte, wurde die Miene der anderen freundlicher.

»Bitte, Madame, Monsieur Pertain ist noch nicht zurück. Er mußte nach Wien fliegen. Sie sind ohne Gepäck?«

»Ich hatte einen Unfall, und in der Aufregung habe ich die Koffer im Wagen gelassen. Ich bin noch ziemlich verwirrt.«

»Oh, das tut mir leid. Sie möchten sicher ruhen.«

»Ich müßte mich eigentlich um mein Gepäck kümmern«, sagte Martina nachdenklich.

»Es wird sichergestellt worden sein. Unsere Polizei ist sehr korrekt«, erklärte Frau Baumer. So hatte sie sich vorgestellt.

»Ich kann mich bei der Dienststelle erkundigen, wenn Sie mir die Kennzeichen Ihres Wagens sagen.«

»Sie sind sehr freundlich. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das tun würden. Sie haben sicher mehr Erfahrung als ich.«

»Ja, sicher, und wir sind ja auch als seriös bekannt.«

»Dann würde ich mich gern hinlegen«, sagte Martina.

»Ich bringe Ihnen gern noch einen Imbiß.«

»Danke, aber das ist nicht nötig, nur etwas zu trinken hätte ich gern. Mineralwasser bitte.«

Sie fühlte sich wacklig, nachdem sie geduscht hatte. Es war wirklich ein feines kleines Hotel, sogar ein Bademantel hing im Bad. In den hüllte sie sich ein und legte sich ins Bett. Frau Baumer hatte ihr eine Flasche Mineralwasser gebracht und Salzgebäck. Aber Martina trank nur ein Glas durstig leer, und dann überkam sie schon der Schlaf. Auch Dr. Nordens Beruhigungstropfen schienen jetzt erst zu wirken.

Es waren jedoch keine schönen Träume, die sie bewegten, sondern quälende, und was dann geschah, war kein Traum mehr. Da standen plötzlich zwei fremde Männer an ihrem Bett, einer in einem grauen Anzug, der andere in Polizeiuniform.

Martina war emporgeschreckt, als sie mit einem Namen angesprochen wurde, den sie nicht kannte.

»Frau du Mont, stehen Sie bitte auf«, sagte der Mann in Zivil.

»Ich verstehe Sie nicht«, stammelte Martina, »ich heiße Martina Heiberg.«

»Wir wissen bereits, daß Sie sich zeitweise so zu nennen pflegen, aber Sie werden doch nicht bestreiten wollen, daß Sie in Wirklichkeit Giselle du Mont sind.«

Martina schnappte nach Luft. »Natürlich bestreite ich das. Wie kommen Sie denn überhaupt darauf?«

»Sie haben doch Ihr Gepäck vermißt. Nun, hier sind Ihre Koffer, und in einem fanden wir auch Ihren Paß.«

»Aber dann wissen Sie doch, daß ich Martina Heiberg bin. Ich habe den Paß vorhin, nach dem Unfall, vermißt.«

»Der Paß lautet auf den Namen Giselle du Mont. Und schauen Sie sich doch das Bild an. Sie wollen doch nicht bestreiten, daß Sie das sind?«

Martina glaubte, wirklich zu träumen, denn die Fotografie stellte sie dar, wenigstens hätte sie das auf den ersten Blick selbst behauptet, wenn ihr nicht der Pullover unbekannt gewesen wäre, den diese Frau auf dem Foto trug.

»Ich verstehe das nicht«, murmelte sie.

Er lehnte sich zurück. »Wie kommen Sie darauf?«

Er sah sie scharf an, aber sie wich seinem Blick nicht aus. »Ich überlege. Meinen Verstand habe ich ja noch nicht verloren, wenn man mir auch einen anderen Namen unterschieben will. Mein richtiger Paß ist irgendwo abhanden gekommen, und ich überlege jetzt, wo das gewesen sein könnte. Meine Koffer sind auch nicht da, dafür sind andere in meinem Wagen gefunden worden. Und in diesen war der Paß auf den Namen Giselle du Mont. Und dieser Monsieur Roger Pertain, der sich mit mir treffen wollte in München, ist verschwunden. Wo ist eigentlich das Päckchen aus meiner Handtasche, das ich ihm überbringen sollte?«

»Da war kein Päckchen.«

»Das gibt es doch nicht«, murmelte Martina. »Dieser Lambert hat es mir übergeben. Sollte ich es bei Dr. Norden vergessen haben? Da habe ich in der Handtasche nach meinem Paß gesucht.«

Jetzt schien der Kommissar doch verblüfft zu sein. »Was haben Sie bei Dr. Norden gemacht? Ich kenne ihn zufällig recht gut.«

Martina legte den Kopf zurück. »Wie Sie ja wissen werden, wurde ich schuldlos in diesen Autounfall verwickelt, und Dr. Norden hat sich meiner angenommen. Er nahm mich mit in seine Praxis und hat mich dort ärztlich versorgt. Sie werden jetzt hoffentlich nicht die Vermutung äußern, daß er mit einer Giselle du Mont unter einer Decke steckt.«

»Dr. Norden ist ein Ehrenmann«, sagte der Kommissar. »Wir werden ihn befragen. Und morgen wird hier ein Opfer von Giselle du Mont erscheinen, dem Sie gegenübergestellt werden. Sie werden die Nacht hier verbringen. Sie bleiben in Untersuchungshaft. Inspektor Jäger wird Ihnen noch einige Fragen stellen. Ich muß jetzt weg.«

Er sagte nicht, daß sie ihn auf eine Idee gebracht hatte, der er nachgehen wollte.

Martina hatte jeden Widerstand aufgegeben. Sie resignierte. Und sie sagte sich, daß sie schon dafür gestraft werden müßte, daß sie Roger Pertain auf den Leim gegangen war. Sie wollte nun endlich in Ruhe nachdenken können, aber das wurde noch nicht zugelassen. Inspektor Jäger war zwar etwas höflicher, aber er stellte ihr unzählige Fragen. Und sie erzählte, wie sie Roger Pertain kennengelernt hatte. Ein Tonband lief mit, aber das störte sie nicht. Sie hatte ein gutes Gewissen.

»Ich lernte Roger Pertain kennen anläßlich einer Modenschau von Guy Colbert. Ich bin Modezeichnerin und habe für zehn Kleider die Entwürfe gemacht. Pertain war als Käufer erschienen, aber er wurde mit unserer Geschäftsführerin wohl nicht einig. Ich hatte ihn an diesem Tag nur flüchtig gesehen, aber er zeigte sofort ein überraschendes Interesse, mich wiederzutreffen.«

»Wann war das?« fragte der Inspektor.

»Vor genau sechs Wochen, ja, auf den Tag genau. Pertain sagte auch, daß wir in München diesen Tag feiern müßten.«

»Es wurde eine enge Verbindung?«

»Nicht eigentlich eng. Wir trafen uns hin und wieder. Ich falle nicht gleich jedem Mann in die Arme, den ich kennenlerne, aber ich gebe zu, daß Pertain irgendwie faszinierend war.«

»Er hat als Heiratsschwindler schon beträchtliche Erfolge zu verzeichnen.«

Martina zuckte zusammen. »Er ist polizeibekannt?« fragte sie heiser.

»Wir haben kürzlich einen guten Bekannten von ihm verhaftet. Durch den ist manches ins Rollen gekommen. Ist Ihnen der Name Gino Camero bekannt?«

»Nie gehört.«

»Erzählen Sie weiter, wir wollen nicht abschweifen, sonst vergessen Sie womöglich noch Ihre Geschichte«, sagte er anzüglich.

»Es ist keine Geschichte, es sind Tatsachen. Aber am besten sage ich gar nichts mehr«, erklärte Martina.

»Wie Sie wollen, dann reden wir morgen weiter.«

»Ich will aber nicht ewig hierbleiben«, sagte Martina empört.

»Dann reden Sie jetzt weiter«, sagte Jäger gemächlich.

Martina rang sich dazu durch, dieser Situation das Beste abzugewinnen. Es war abenteuerlich, und dafür hatte sie eigentlich etwas übrig. Vielleicht hatte sie sich auch deshalb für Roger interessiert, weil ihm etwas Abenteuerliches anhaftete. Das sagte sie nun auch, und der Inspektor blickte sie erstaunt an.

»Nun ja, er war kein langweiliger Mann, der einem nur Komplimente machen und herumschmusen wollte«, fuhr sie spöttisch fort. »Er ist mir nicht zu nahe getreten. Aber wenn ich nachdenke, komme ich darauf, daß diese Giselle du Mont, die mir ja anscheinend sehr ähnlich sieht, seine Favoritin war und ich nur ein Abklatsch, den er für etwas benutzen konnte.«

Den Inspektor riß es fast vom Stuhl. »Wozu benutzen?« fragte er hastig.

»Nun, zuerst mal, um von diesem Lambert in Karlsruhe ein Päckchen abzuholen. Das war übrigens ein überaus höflicher und zuvorkommender Mann, der mir sogar die Koffer ins Auto packte.« Sie klatschte sich hörbar an die Stirn. »Und er könnte mir auch meinen Paß geklaut haben. Vielleicht schnappen Sie ihn noch, guter Mann, anstatt mich hier schmoren zu lassen. René Lambert.«

Da wurde Inspektor Jäger herausgerufen. »Und die Adresse von dem Herrn Lambert?« fragte er. Martina sagte sie ihm. Er eilte hinaus.

Kommissar Beck wollte ihn sprechen. »Wie weit sind Sie?« fragte er.

»Sie erzählt sehr anschaulich. Entweder sagt sie die Wahrheit, oder sie ist die raffinierteste Lügnerin, die mir je vor die Augen gekommen ist.«

»Das dachte ich auch, aber das Päckchen war tatsächlich bei Dr. Norden. Er hatte schon im Hotel zur Sonne angerufen und war bestürzt, als er die Auskunft bekam, daß die Dame nicht mehr da sei. Er wird herkommen. Aber er hat sie ja auch erst heute kennengelernt. Und wie es scheint, kann sie die allerbesten Menschenkenner bluffen. Herrn Berkin kann man doch nicht als einen Dummkopf bezeichnen. Auf die Gegenüberstellung müssen wir bestehen.«

Aber dann setzte er auch gleich alle Hebel in Bewegung, um etwas über René Lambert in Erfahrung zu bringen.

*

Daniel Norden war konsterniert gewesen, als Kommissar Beck ihn wegen Martina befragt hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß diese besonders sympathische junge Frau etwas auf dem Kerbholz haben sollte, schon gar nicht Delikte, die man schon als hochgradig kriminell bezeichnen konnte. Beck hatte ihn zu Hause erreicht, bevor Daniel jedoch seiner Frau etwas über die Massenkarambolage erzählen konnte, und so auch nicht über Martina Heiberg.

Ganz knapp erklärte er es Fee, bevor er zum Präsidium fahren wollte.

»Meinst du nicht, daß du dich auch mal täuschen kannst, Daniel?« fragte Fee. »Wie könnten Gaunerinnen so viel Erfolg haben, wenn sie nicht so harmlos wirken würden?«

»Sie wirkt nicht harmlos, sondern sehr selbstbewußt, und sie hat nicht den geringsten Versuch gemacht, mit mir anzubandeln, falls du das vermuten solltest. Sie ist eine Frau, die schon fest im Leben steht, das ist meine Überzeugung, und ich würde um jede Summe wetten, daß sie ­fälschlich verdächtigt wird.«

»Du wirst doch nicht Haus und Hof verspielen wollen«, scherzte Fee. »Ich bin jetzt wirklich gespannt, was sich herausstellt.«

Der Inhalt des Päckchens trug jedenfalls nicht dazu bei, Martina zu entlasten, denn es befanden sich neben zwei Armbanduhren von gro­ßem Wert auch zwei Päckchen Kokain darin, die ungefähr je fünfzig Gramm wiegen mochten.