Dr. Norden Bestseller 113 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 113 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Fee Norden gestattete sich nicht oft einen Einkaufsbummel, aber wenn irgendwo eine Auktion lockte, bekam sie das große Kribbeln, denn die größte Freude konnte sie ihrem Vater und seiner Frau Anne bereiten, wenn sie ihnen eine Antiquität schenkte. Und Annes Geburtstag stand vor der Tür! Die Kinder, Danny, Felix und Anneka, maulten nicht, wenn sie in die Stadt fahren wollte. Da blieben sie lieber zu Hause, denn von der guten Lenni wurden sie bestens versorgt. Es lag so herrlicher Schnee. Da konnten sie im Garten herumtollen, einen Schneemann bauen oder gar ein Iglu, wenn die weiße Pracht nicht gar zu pulvrig war. Fee fuhr mit der S-Bahn, schnell und sicher, wie sie ihrem besorgten Mann versichert hatte. Da brauchte sie nicht aufzupassen und konnte auch noch ihre Studien treiben. Bei dieser Fahrt in die Stadt erregte jedoch nur ein junges Mädchen ihre besondere Aufmerksamkeit. Es saß ihr gegenüber, in einen Katalog vertieft, den sie sehr eifrig studierte. Das klare, reine Gesicht des Mäd­chens fesselte Fee Norden. Ein ovales Gesicht, das blonde Haar zu einer modernen Ponyfrisur geschnitten, ganz natürlich fallend, die Augenbrauen seidig und schön geschwungen, die Nase, klein und gerade, über einem vollen zartroten Mund. Plötzlich blickten violette Augen Fee an, bekamen einen verwunderten Ausdruck, und ein Lächeln setzte sich darin fest, das verriet, dass das Mäd­chen von Fee Norden genauso angetan war, wie sie von diesem jungen natürlichen Geschöpf. Dann hielt der Zug. »Liebe Güte, ich muss ja aussteigen«, murmelte das Mädchen, und Fee stellte fest, dass sie auch am Ziel war. Sie hätte die Station verpasst, weil sie das Mädchen so fasziniert hatte. Dann entschwand die grazile Gestalt im dunkelgrünen Lodenmantel ihren Augen. Fee hatte immer Beklemmungen, wenn sie auf einer Rolltreppe fuhr, seit sie einmal erlebt hatte, wie ein Kind zwischen den Stufen hängen blieb. Sie konnte diese seither nicht mehr so geschwind und leichtfüßig emporeilen.

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Dr. Norden Bestseller – 113 –

Ein Zufall brachte es zutage

Patricia Vandenberg

Fee Norden gestattete sich nicht oft einen Einkaufsbummel, aber wenn irgendwo eine Auktion lockte, bekam sie das große Kribbeln, denn die größte Freude konnte sie ihrem Vater und seiner Frau Anne bereiten, wenn sie ihnen eine Antiquität schenkte. Und Annes Geburtstag stand vor der Tür!

Die Kinder, Danny, Felix und Anneka, maulten nicht, wenn sie in die Stadt fahren wollte. Da blieben sie lieber zu Hause, denn von der guten Lenni wurden sie bestens versorgt.

Es lag so herrlicher Schnee. Da konnten sie im Garten herumtollen, einen Schneemann bauen oder gar ein Iglu, wenn die weiße Pracht nicht gar zu pulvrig war.

Fee fuhr mit der S-Bahn, schnell und sicher, wie sie ihrem besorgten Mann versichert hatte. Da brauchte sie nicht aufzupassen und konnte auch noch ihre Studien treiben.

Bei dieser Fahrt in die Stadt erregte jedoch nur ein junges Mädchen ihre besondere Aufmerksamkeit. Es saß ihr gegenüber, in einen Katalog vertieft, den sie sehr eifrig studierte.

Das klare, reine Gesicht des Mäd­chens fesselte Fee Norden. Ein ovales Gesicht, das blonde Haar zu einer modernen Ponyfrisur geschnitten, ganz natürlich fallend, die Augenbrauen seidig und schön geschwungen, die Nase, klein und gerade, über einem vollen zartroten Mund.

Plötzlich blickten violette Augen Fee an, bekamen einen verwunderten Ausdruck, und ein Lächeln setzte sich darin fest, das verriet, dass das Mäd­chen von Fee Norden genauso angetan war, wie sie von diesem jungen natürlichen Geschöpf.

Dann hielt der Zug. »Liebe Güte, ich muss ja aussteigen«, murmelte das Mädchen, und Fee stellte fest, dass sie auch am Ziel war. Sie hätte die Station verpasst, weil sie das Mädchen so fasziniert hatte.

Dann entschwand die grazile Gestalt im dunkelgrünen Lodenmantel ihren Augen. Fee hatte immer Beklemmungen, wenn sie auf einer Rolltreppe fuhr, seit sie einmal erlebt hatte, wie ein Kind zwischen den Stufen hängen blieb. Sie konnte diese seither nicht mehr so geschwind und leichtfüßig emporeilen.

Aber sie sollte das Mädchen wiedersehen, als sie das Auktionshaus betrat. Unwillkürlich mussten beide lä­cheln, als sie zusammenstießen.

»Wir hätten auch gemeinsam gehen können, wenn ich das gewusst hätte«, sagte Fee mit ihrem reizvollen, bezwingenden Lächeln.

Das Mädchen errötete. »Ich heiße Mareike Malsen«, sagte eine weiche, angenehme Stimme. »Ich war noch nie auf einer Auktion.«

»Ich heiße Fee Norden. Warum sind Sie heute hier?«

»Es interessiert mich. Ich kannte Frau Pongraz, deren Möbel hier versteigert werden. Ich bin einfach neugierig, ob sie wirklich so wertvoll sind.«

»Sie hegen also Zweifel«, sagte Fee lächelnd.

»Ja, sie neigte in allem zur Übertreibung. Mutschka hat gesagt, dass es reine Zeitvergeudung ist, wenn ich hergehe. Ich habe auch kein Geld, etwas zu ersteigern.«

Sie war herzerfrischend offen. Fee Norden mochte das. Und es bereitete ihr plötzlich umso mehr Spaß, eine so reizende Begleiterin zu haben. Es war noch eine gute Viertelstunde Zeit bis zum Beginn der Versteigerung, aber Fee benutzte diese Zeit nicht, um die angebotenen Stücke anzuschauen. Sie wollte diese Minuten lieber mit dem Mädchen verbringen.

Und Mareike erzählte munter. »Wir dachten nämlich, dass Frau Pongraz alles Herrn von Degenhard vermachen würde, aber sie hat kein Testament gemacht. Aber er scheint ganz froh zu sein.«

»Darf ich fragen, wer Herr von Degenhard ist?« Fee war recht neugierig geworden.

»Ein Gutsbesitzer. Meine Mutter ist seine Wirtschafterin. Ich arbeite als Gutssekretärin«, erwiderte Mareike ohne zu zögern. »Wollen Sie etwas kaufen?«

»Wenn mir etwas gefällt«, meinte Fee.

»Die Möbel von Frau Pongraz sind bestimmt sehr gepflegt«, sagte Mareike. »Sie hat ja nichts anderes im Sinn gehabt.«

»Sie hatte keine Erben?«, fragte Fee beiläufig.

»Nein, gar keine. Sie war eine alte verbitterte Jungfer. Furchtbar arrogant und ein richtiger Eisberg. Verzeihen Sie, gnädige Frau, Mutschka würde es überhaupt nicht gefallen, dass ich so rede.«

»Mir gefällt es«, sagte Fee herzlich. »Man kann ja seine eigene Meinung über die Menschen haben.«

»Aber Toten soll man nichts nachreden«, meinte Mareike. »Wie geht das bei einer solchen Auktion eigentlich vor sich?«

Fee erklärte es ihr, und sie lauschte aufmerksam. »Mitzubieten traue ich mich nicht«, sagte Mareike. »Herr von Degenhard hat nämlich gesagt, dass ich den Sekretär für ihn ersteigern soll, wenn es nicht zu teuer wird. Würden Sie mir bitte ein bisschen helfen? Aber wenn Sie den mögen, sollen Sie ihn auch haben.«

Die violetten Augen strahlten Fee an. Grübchen hatten sich in den Winkeln des frischen Mundes gebildet. Fee fand Mareike bezaubernd.

»Wenn ich auch nichts finde, was mir gefällt, es lohnt sich doch, dass ich hergekommen bin«, sagte sie.

»Warum?«

»Weil ich Ihre Bekanntschaft gemacht habe, Mareike.«

»Aber ich bin doch ein kleines Nichts«, sagte das Mädchen, heiß er­rö­tend.

»Keineswegs«, meinte Fee lä­chelnd.

»Sie sind wunderschön. Ich war ganz hin, als ich Sie vorhin angeschaut habe. Sind Sie eine Prinzessin?«

»Gott bewahre. Ich bin Ärztin und mit einem Arzt verheiratet. Wie alt sind Sie, Mareike?«

»Neunzehn. Benehme ich mich sehr töricht?«

»Nein, ich freue mich, dass wir uns begegnet sind«, sagte Fee.

Sie merkten gar nicht, wie schnell sich der Raum gefüllt hatte. Eine Glocke ertönte. Die Auktion begann.

»Machen Sie mich aufmerksam, wenn der Sekretär angeboten wird«, raunte Fee dem Mädchen zu.

*

Fee bemerkte dann mit Kennerblick, dass viele schöne Dinge angeboten wurden, aber ihr Interesse blieb mäßig. Immer wieder beobachtete sie das Mädchen.

»Das ist der Sekretär«, sagte Mareike plötzlich aufgeregt.

»Renaissance, wunderschön«, murmelte Fee. Ein Gebot von viertausend Euro war nicht zu hoch gegriffen. Aber Mareike riss die Augen ganz weit auf. Sie war verstummt.

»Viertausendachthundert zum Ersten, zum Zweiten«, rief der Auktionär.

»Fünftausend«, rief Fee. Sie wartete, dass Mareike bieten würde, aber das Mädchen blieb stumm. Fee bekam den Zuschlag.

»Jetzt gehört er Ihnen«, sagte Mareike. »So viel Geld, dafür könnten wir einige Kälber kaufen.«

Fee musste unwillkürlich lachen, obgleich ihr eben durch den Sinn gegangen war, was Daniel sagen würde, wenn sie fünftausend Euro für einen Sekretär ausgab. Aber er übte eine außergewöhnliche Anziehungskraft auf sie aus, und ihr ging es durch den Sinn, dass sie ihr Sparkonto im vergangenen Jahr nicht sehr strapaziert hatte.

Sie schrieb einen Scheck aus und sagte, wohin man den Sekretär schicken solle. Sie war bekannt, und es war schnell erledigt.

»Jetzt gehen wir essen, Mareike«, sagte sie fröhlich. »Ich lade Sie ein.«

»Ich muss mittags heimfahren«, erklärte Mareike kleinlaut.

»Ich auch«, sagte Fee, »aber ein Stündchen haben wir doch Zeit. Die Auktion ist noch lange nicht beendet. Wollen Sie den Sekretär haben?«

»Um Gottes willen. Herr von Degenhard hat mit nicht mehr als zweitausend Euro gerechnet. Sie hat also doch nicht übertrieben.«

»Erzählen Sie mir ein bisschen mehr von dieser Frau Pongraz. Es ist interessant, wenn man weiß, wem ein Stück gehörte, das man selbst erhalten will.«

Ich wollte doch was für Anne kaufen, dachte sie, aber sie wusste jetzt schon, dass sie sich von diesem Sekretär nicht trennen würde.

Mareike war verwirrt. Sie folgte Fee mechanisch zu einem Restaurant. Sie konnten sich einen Tisch aussuchen. Es war noch kein Betrieb, und warmes Essen gab es auch noch nicht. Auch das war Fee recht. Sie bestellte Räucherlachs und Toast, und Mareike nickte dazu verlegen. »Habe ich noch nie gegessen«, sagte sie.

»Schmeckt sehr gut«, meinte Fee. »Wie alt war die Dame Pongraz, als sie starb?«

»Noch nicht sehr alt. Vielleicht sechzig. Schwer zu schätzen. Sie hat aus ihrem Alter ein Geheimnis gemacht. Aber sie war ziemlich lange krank. Valerie hieß sie mit Vornamen. Mutschka kannte sie schon lange, aber sie redet nie darüber. Sie wird froh sein, wenn der Sekretär nicht ins Haus kommt.«

So manches, was Mareike sagte, stimmte Fee nachdenklich, aber sie ließ sich nichts anmerken.

»War sie vielleicht mit Frau von Degenhard befreundet?«, klopfte sie auf den Busch.

»Eine Frau von Degenhard gibt es schon lange nicht mehr«, erwiderte Mareike. »Sie ist schon vor achtundzwanzig Jahren gestorben. Herr von Degenhard ist ein rechter Eigenbrötler, aber zu uns ist er sehr nett.«

Dann aß sie mit Genuss den Lachs und versicherte immer wieder, wie gut er sei. »Und dass ich Sie kennengelernt habe, Frau Doktor, ist mein schönstes Erlebnis«, sagte sie.

Sie fuhren dann auch in der gleichen S-Bahn heim. Mareike musste vier Stationen weiterfahren, wie Fee erfuhr. Fee gab ihr eine Visitenkarte. »Rufen Sie mich mal an, und besuchen Sie uns doch mal, Mareike«, sagte sie. »Ich würde mich sehr freuen. Und sollte Ihnen Herr von Degenhard grollen, dass er den Sekretär nicht bekommt, sagen Sie mir Bescheid.«

»So viel Geld hätte er dafür bestimmt nicht ausgegeben«, sagte Mareike. »Ich möchte Sie sehr gern wiedersehen«, fügte sie mit einem strahlenden Lächeln hinzu.

Fee konnte nicht ahnen, welche Bedeutung diese Bekanntschaft noch für sie bekommen sollte.

*

Über den Sekretär konnte sie erst am Abend mit ihrem Mann sprechen. Ein bisschen kleinlaut nannte sie ihm den Preis.

»Fünftausend Euro?«, staunte Daniel nicht schlecht, »aber wenn es dir Spaß macht, mein Schatz, warum nicht?«

Dann erst erzählte sie von Mareike. Er lachte herzlich. »Meine Frau verliebt sich in ein Mädchen!«

»Sie ist goldig. Wann findet man heutzutage so was noch. Ich hoffe, du wirst sie kennenlernen und mich verstehen.«

»Und wo willst du den Sekretär hinstellen?«, fragte er später.

»Warte erst, bis er kommt. Er ist ein Schmuckstück. In der Diele würde er sich sehr dekorativ ausnehmen.«

»Eine kostbare Diele haben wir dann«, lächelte er.

»Das Preisschild hängen wir ja nicht an«, meinte sie neckend. »Neben dem Blumenfenster an der Ostseite macht er sich gut.«

»Ganz wie du meinst, mein Schatz. Hauptsache, dich freut es.« Drei Tage später konnte auch er den Sekretär bewundern. Er betrachtete ihn nachdenklich.

»Durch wie viel Hände mag er wohl gegangen sein?«, überlegte er.

»Ich glaube, er könnte uns viel erzählen«, sagte Fee nachdenklich.

*

Mareike dachte mehr an Fee Norden, als an den Sekretär. Sie hatte Herrn von Degenhard erzählt, dass eine Dame ihn für fünftausend Euro erstanden hätte, und er hatte darauf nur gesagt, was die Leute für Geld hätten, dass sie es so leicht ausgeben könnten.

Mit ihrer Mutter hatte Mareike allerdings mehr über Fee Norden gesprochen.

Teresa Malsen war kein Freund von vielen Worten. »Du bist sehr beeindruckt, Mareike«, sagte sie. »Aber Schönheit allein macht’s nicht. Die Pongraz war auch mal eine schöne Frau. In mancher schönen Schale wohnt ein fauler Kern.«

»Aber nicht bei Frau Norden. Sie ist auch gut«, beharrte Mareike. »Sie würde dir auch gefallen, Mutschka.«

»Wenn du es sagst!« Teresa liebte ihre Tochter über alles. Sie hatte auch ihren Mann geliebt, der Verwalter auf Gut Degenhard gewesen war. Er war von einem Blitz getötet worden, unbegreiflich für seine junge Frau. Da war Mareike gerade drei Jahre gewesen. Sie hatte auf dem Gut ihr Auskommen gehabt und sich nicht zu beklagen brauchen. Sie konnte schalten und walten, wie sie wollte, und Frederic von Degenhard hatte auch alles getan, damit Mareike eine gute Schulbildung bekommen konnte.

Und das, was lange bevor Mareike geboren wurde, auf Gut Degenhard geschah, bewahrte Teresa auch als ihr Geheimnis. So erfuhr Mareike auch nicht, dass der Sekretär, den Fee Norden ersteigert hatte, einmal der jungen Frau von Degenhard gehörte. Sie hatte insgeheim nur gehofft, dass der Gutsherr ihn nach all den Jahren wieder in seinen Besitz bringen würde.

»Denk nicht zu viel an die schöne Frau Doktor, Kindchen«, sagte sie nachsichtig. »Sie wird dich bald vergessen haben.«

Doch Fee Norden vergaß Mareike nicht, und bald sollte sie den ganz heißen Wunsch haben, das Mädchen wiederzusehen.

Fee meinte, dass der Sekretär nicht nur sehr schön, sondern auch ganz dafür geschaffen sei, mal Ordnung in ihren ganzen Schreibkram zu bringen. Und so machte sie sich an die Arbeit, ihn einzuräumen. Dabei wollten natürlich auch ihre drei Trabanten helfen, obgleich das für Fee ziemlich aufregend wurde. Vor allem deshalb, weil Danny alles untersuchen musste.

Jedes Fach inspizierte er. Und plötzlich tat sich da ein Fach auf, das man von außen nicht wahrnehmen konnte.

Danny war ganz erschrocken. »Habe ich was kaputt gemacht, Mami?«, fragte er kleinlaut.

Fee erwiderte nichts. Sie starrte das offene Fach an, denn es war nicht leer. Es lag ein Briefumschlag darin. Ein Geheimfach, das anscheinend über Jahre hinaus auch ein Geheimnis bewahrt hatte!

»Du bist ein Genie, Danny«, sagte sie atemlos. »Was is’n das, ein Genie?«, fragte der Junge.

»Wenn jemand was ganz Besonderes fertigbringt.«

»Das ging aber ganz von selbst«, erklärte er bescheiden.

Fee sah den Brief. Für Frederic stand darauf in klarer Schrift, und außer Papier musste der Umschlag auch noch einen festen Gegenstand enthalten. Jedenfalls hatte er seinen Empfänger nie erreicht, denn das Kuvert war verschlossen und versiegelt, was jedoch auch ein Beweis war, dass es nicht in Hände gelangte, für die es nicht bestimmt war.

Fee dachte nach. Sie legte den Brief in ein Schubfach, aber nicht in das Geheimfach, weil sie fürchtete, dass sie den Mechanismus nicht finden würde. Danny war es durch Zufall gelungen. Vor wie langer Zeit mochte dieser Brief wohl dort hineingelegt worden sein? Von wem? Von Valerie Pongraz? Doch wohl kaum. Und für wen war er bestimmt?

Fee wusste noch nicht, dass Herr von Degenhard mit Vornamen Frederic hieß.

»Bist du gar nicht neugierig, was in dem Brief drinsteht, Mami?«, fragte Danny.

Neugierig war sie schon, aber nicht bereit, das auch zuzugeben. Sie wollte erst mit Daniel über ihren Fund sprechen.

Danny fand das Geheimfach nicht so interessant, da es nichts enthalten hatte, was ihn interessierte. Er begab sich zu seinen Geschwistern und spielte mit ihnen Verstecken. Für ihn war der Sekretär ein Möbelstück wie jedes andere. Fee dachte wieder an Mareike. Sie fühlte sich versucht, das Mädchen anzurufen, um von der Entdeckung zu berichten, doch dann ließ sie es sein. Wenn man sich wiedersah, konnte man darüber vielleicht persönlich sprechen.

Mit Daniel sprach sie dann am Abend über den Brief.

»Befriedige doch deine Neugierde«, meinte er neckend. »Die Rechtslage ist so, dass, wenn man einen Gegenstand käuflich erwirbt, auch der etwaige Inhalt zum Eigentum wird.«

»Aber einen Brief zu öffnen ist doch eine Indiskretion«, meinte Fee.

»Wahrscheinlich sind der Schreiber und auch der Adressat längst tot«, meinte er. »Und vielleicht ist der Inhalt des Briefes völlig bedeutungslos.«

Doch darin sollte er sich gewaltig getäuscht haben. Der Inhalt sollte ihnen noch viele Rätsel aufgeben.

Vorsichtig löste Fee das Siegel, damit man gegebenenfalls später noch feststellen könnte, wer es aufgedrückt hatte.

In Seidenpapier, von Watte umhüllt, kam dann ein Ehering zutage. Fee und Daniel sahen sich betroffen an, aber noch mehr bestürzt sollten sie sein, als sie den Brief gelesen hatten.

Frederic, ich werde Dein Haus verlassen, wie Du es verlangt hast. Du hast keine Erklärung von mir angenommen. Du hast mich einfach schuldig gesprochen, unbarmherzig und demütigend. Ich trage ein Kind unter meinem Herzen, aber es ist Dein Kind. Mich hat mit Hans-Joachim nichts verbunden als Freundschaft. Mir ist es unbegreiflich, was dich bewegen konnte, mich des Ehebruchs zu bezichtigen. So ist unsere Ehe unerträglich geworden. Mein Kind wird ohne Vater aufwachsen, doch meine Schuld ist das nicht. Ich werde niemals wieder einen Versuch machen, Dich zu treffen, und es gibt keinen Weg der Verständigung mehr für uns, falls Du solche doch suchen solltest. Vielleicht bist Du doch zu der Überzeugung gekommen, dass Valerie die richtige Frau für dich gewesen wäre. Eine wahre Freundin war sie mir jedenfalls nicht. Das ist die zweite bittere Erkenntnis. Adieu. Annegret.

»Guter Gott«, seufzte Daniel, »das will mir nicht gefallen. Schau dir mal das Datum an.«

Der Brief war an einem Tag vor mehr als sechsundzwanzig Jahren geschrieben worden. Fee versank in Nachdenken. Blitzartig kam ihr jetzt der Gedanke, dass Mareike in aller Unbefangenheit erzählt hatte, dass Frau von Degenhard vor sechsundzwanzig Jahren gestorben war und dass der Sekretär ihr gehört hätte. Und dann konnte der Brief von ihr stammen und für ihren Ehemann bestimmt gewesen sein. Ein Ehedrama schien sich da abgespielt zu haben.

»Nun hast du wieder mal was, was dich nicht zur Ruhe kommen lässt«, meinte Daniel nachsichtig. »Aber meinst du nicht, dass man so etwas nach den langen Jahren lieber ruhen lassen sollte?«

»Du magst recht haben«, meinte Fee sinnend. Doch sie wusste schon, dass es ihr keine Ruhe lassen würde, bis sie nicht Licht in dieses Geheimnis gebracht hatte.

Das Schicksal schien nachhelfen zu wollen, denn am nächsten Tag kam ein Brief von Mareike.

Liebe, verehrte Frau Dr. Norden, ich wage es, Ihnen zu schreiben. Vielleicht erinnern Sie sich doch meiner, wenn Mutschka auch meint, dass Sie mehr zu tun hätten, als an ein schwärmerisches Mädchen zu denken. Ich denke sehr viel an Sie, aber hier gibt es jetzt so viel zu tun, dass ich nicht weg kann, denn Herr von Degenhard ist verreist. Aber vielleicht machen Sie mit Ihren Kindern mal einen Ausflug. Dann würde ich mich sehr freuen, wenn Sie uns besuchen würden. Zu weit ist es ja nicht. Wir sind immer daheim.

Und da, auf Gut Degenhard, konnte der Schlüssel zu dem Geheimnis sein, das der Sekretär über so viele Jahre bewahrt hatte.

Da das Wetter an diesem Tage verlockend schön war, überlegte Fee nicht lange. Daniel kam zum Mittagessen nicht heim, weil er in der Stadt mit einem Herzspezialisten wegen eines besonders schwierigen Falles eine Unterredung hatte, der ihn sehr beschäftigte. Nach dem Mittagessen fuhr sie gleich mit den Kindern los, die hocherfreut waren, dass sie wieder mal einen Ausflug machen konnten.

Sie hatte ihnen auch erklärt, dass sie ein sehr liebes junges Mädchen besuchen wollten, das auf einem Gut beschäftigt war, wo es Kühe und Kälber geben würde.

Dort gab es allerdings noch viel mehr zu sehen. Zuerst einmal ein wunderschönes Gutshaus, lang gestreckt, mit hohen Fenstern, umgeben von einem Park, der vorbildlich gepflegt war.

»Wie ein Schloss«, stellte Danny fest.

»Hat aber keine Türme«, sagte Felix.

»Ist aber schön«, meinte Anneka.

Ja, es war schön hier, und die Freude war groß, als Mareike kam.

»Da sind wir schon, Mareike«, sagte Fee, »vielen Dank für Ihren lieben Brief.«

»Ich hätte es nicht zu hoffen gewagt, dass Sie wirklich kommen«, strahlte das Mädchen. »Mutschka wird staunen.«

Teresa Malsen war eine hübsche Frau, die ältere Ausgabe von Mareike. Sie war verblüfft, aber dann gleichfalls hocherfreut.

»Die Mareike hat doch nicht übertrieben«, meinte sie zufrieden. »Und die lieben Kinderchen sind auch mitgekommen.«

Die fühlten sich sehr wohl, weil sie gleich herrlichen Kuchen vorgesetzt bekamen, und sich danach alles anschauen durften.