Dr. Norden Bestseller 116 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 116 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Dr. Daniel Norden hatte sich den Besuch bei dem alten Professor Böck bis zuletzt aufgehoben, da er ja wusste, dass dieser Patient an Schlaflosigkeit litt und nicht zu den Akutkranken gehörte. Professor Böcks Leiden waren altersbedingt, doch geistig war er noch sehr rege. Er unterhielt sich auch gern mal mit Dr. Norden. Doch an diesem Abend wurde es nichts mit einer längeren Unterhaltung, denn Fee Norden wusste, dass ihr Mann bei dem Professor zu erreichen war, und sie benachrichtigte ihn, dass Sandra Dongen dringend um seinen Besuch gebeten hätte. »Ja, lieber Professor Böck, da werde ich gebraucht«, erklärte Dr. Norden, als er den Hörer aufgelegt hatte. »Dann will Sie der alte Invalide nicht aufhalten«, sagte der Professor. »Ich schaue morgen wieder vorbei«, versprach Dr. Norden, da ihm auffiel, dass Professor Böck recht müde wirkte. »Nehmen Sie heute ruhig mal zwanzig Tropfen«, sagte er noch. »Es ist ja ein rein pflanzliches Präparat.« Der Professor nickte, aber Dr. Norden glaubte nicht so recht daran, dass er dem Rat folgen würde. Zu den Dongens hatte er es nicht weit.

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Dr. Norden Bestseller – 116 –

Das gewagte Spiel der Lilly Dongen

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden hatte sich den Besuch bei dem alten Professor Böck bis zuletzt aufgehoben, da er ja wusste, dass dieser Patient an Schlaflosigkeit litt und nicht zu den Akutkranken gehörte. Professor Böcks Leiden waren altersbedingt, doch geistig war er noch sehr rege. Er unterhielt sich auch gern mal mit Dr. Norden.

Doch an diesem Abend wurde es nichts mit einer längeren Unterhaltung, denn Fee Norden wusste, dass ihr Mann bei dem Professor zu erreichen war, und sie benachrichtigte ihn, dass Sandra Dongen dringend um seinen Besuch gebeten hätte.

»Ja, lieber Professor Böck, da werde ich gebraucht«, erklärte Dr. Norden, als er den Hörer aufgelegt hatte.

»Dann will Sie der alte Invalide nicht aufhalten«, sagte der Professor.

»Ich schaue morgen wieder vorbei«, versprach Dr. Norden, da ihm auffiel, dass Professor Böck recht müde wirkte. »Nehmen Sie heute ruhig mal zwanzig Tropfen«, sagte er noch. »Es ist ja ein rein pflanzliches Präparat.«

Der Professor nickte, aber Dr. Norden glaubte nicht so recht daran, dass er dem Rat folgen würde.

Zu den Dongens hatte er es nicht weit. Das Haus war schon an die vierzig Jahre alt, aber es gefiel Dr. Norden besser als die modernen Bauten drum herum, die alle serienmäßig gebaut waren. Aber vielleicht wurde es nun, nachdem ein Jahr seit dem Tod Rudolf Dongens verstrichen war, auch verkauft, und es konnte durchaus sein, dass auf dem großen Grundstück dann auch Reihenhäuser gebaut wurden.

Mit gemischten Gefühlen drückte Dr. Norden auf die Glocke, denn er mochte Lilly Dongen, die zweite Frau der verstorbenen Juweliers nicht. Dafür gab es mehrere Gründe, aber der stichhaltigste für Dr. Norden war, dass Lilly Dongen recht hemmungslos um seine Aufmerksamkeit bemüht war.

Zu seiner Erleichterung öffnete Sandra Dongen die Tür, Rudolf Dongens Tochter aus erster Ehe, die nur zwölf Jahre jünger war als ihre Stiefmutter. Ein schmächtiges Mädchen war sie noch, trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre, aber keineswegs unscheinbar. Man musste sie nur genau anschauen, um das zu erkennen, was sie anziehend machte. Das waren zuerst ihre großen ausdrucksvollen Augen, die wie Opale die Farbe nach Stimmung wechseln konnten. Wenn Sandra lächelte, war sie sogar ungemein anmutig, aber sie lächelte leider viel zu selten.

Jetzt war sie sehr erregt. »Nico hat hohes Fieber«, flüsterte sie. »Es tut mir leid, dass ich Sie so spät noch holen musste, Herr Dr. Norden, aber ich habe Angst.«

»Sind Sie allein?«, fragte er.

»Ja, sie ist verreist«, erwiderte Sandra tonlos.

Sie nannte die zweite Frau ihres Vaters nie bei ihrem Namen. Dr. Norden wusste das schon, und er gehörte zu denen, die Sandra sehr gut verstehen konnten, denn ihr hatte Lilly die Hölle bereitet. Ein wahres Wunder schien es nur, dass Sandra dennoch den Jungen liebte, den Lilly vor sechs Jahren zur Welt gebracht hatte.

Der kleine Nicolas hatte so hohes Fieber, dass Dr. Norden schon nach einer kurzen Untersuchung den schlimmen Verdacht auf Gehirnhautentzündung hegte.

»Seit wann geht es ihm denn so schlecht?«, fragte er.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Sandra. »Ich bin um sieben Uhr heimgekommen. Erst war ich auf der Uni, dann habe ich doch einen Job bis sechs Uhr. Er stand vor der Tür, völlig durchnässt. Er sagte mir, dass sie gegen drei Uhr ihre Reise angetreten hätte. Er solle im Garten spielen, bis ich heimkomme. Es hat sehr stark geregnet danach, aber Nico konnte nicht ins Haus.« Sie machte eine kleine Pause und starrte Dr. Norden an. »Manchmal könnte ich sie umbringen«, stieß sie hervor. »Aber diesmal kenne ich keine Nachsicht. Sie hat genau gewusst, dass ich vor sieben Uhr nicht zu Hause sein kann.«

»Ich muss Nicolas in die Klinik bringen, Sandra«, sagte Dr. Norden. »Ich kann es Ihnen nicht verheimlichen, dass sein Zustand ernst ist.«

Ein Zittern durchlief Sandras schmalen Körper. »Oh, dieses Weib, dieses entsetzliche Weib«, flüsterte sie, »wie konnte Papa sie nur heiraten. Aber ihn hat sie ja auch schnell genug ins Grab gebracht. – Ich bringe sie vor Gericht, wenn Nico stirbt, ich tue es, Dr. Norden!«, schluchzte sie.

Er legte seine Hände um ihre zuckenden Schultern. »Ruhig, Sandra, wir werden ihm schon helfen können«, sagte er. »Ich bringe ihn gleich selbst in die Behnisch-Klinik. Dr. Behnisch hat Erfahrung mit dieser Krankheit. Vielleicht ist Nico auch gestürzt. Er hat eine Beule am Kopf.«

»Sie wird ihn wieder geschlagen haben«, murmelte Sandra. »Oh, Dr. Norden, warum lässt Gott das zu. Wo ist er denn, wenn man ihn braucht. Dieses unschuldige Kind …«, ihre Stimme erstickte ihr Schluchzen, und Dr. Nordens Mitgefühl mit ihr wurde noch größer, weil sie nicht daran dachte, dass die Mutter dieses Kindes, um das Sandra bangte, Lilly Dongen hieß.

Sandra fuhr mit in die Klinik. Sie hielt Nicolas, der in eine warme Decke gehüllt worden war und gar nicht zu sich kam, in ihren Armen. Und sie blieb auch die ganze Nacht in der Klinik.

Die Diagnose lautete: Leichte Schädelfraktur, schwerste Erkältung mit folgender Lungenentzündung. Dr. Dieter Behnisch meinte, dass der Junge gestürzt sein müsse und einige Zeit bewusstlos gewesen sei. Glücklicherweise sprach er auf die medikamentöse Behandlung gut an, sodass eine Gehirnhautentzündung gebannt werden konnte, was allerdings nicht besagte, dass sein Zustand auch weiterhin schnell zu bessern sei.

Sandra konnte wenigstens das Gefühl haben, dass jetzt alles für den kleinen Nicolas getan werden würde, als man sie heimschickte, damit sie sich ausschlafen könne.

Dr. Dieter Behnisch, seine Frau Jenny, und Dr. Marschall, der neue, so sehr gewissenhafte Mitarbeiter des Ärztehepaares, erfuhren von Dr. Norden Einzelheiten über die Verhältnisse im Hause Dongen.

Rudolf Dongen, ein bekannter Juwelier, hatte vor sieben Jahren die um fünfundzwanzig Jahre jüngere Lilly geheiratet, die als Verkäuferin in seinem Geschäft tätig gewesen war. Vier Jahre vorher war Sandras Mutter nach langer schwerer Krankheit gestorben. Sie hatte eine beträchtliche Mitgift mit in die Ehe gebracht. Mochte Rudolf Dongen wohl auch eine Zeit verblendet und der so viel jüngeren und sehr attraktiven Lilly hörig gewesen sein, testamentarisch hatte er Sandra abgesichert und ein Jahr vor seinem Tod auch Nicolas, den Sohn aus dieser zweiten Ehe. Lilly war ziemlich kurz gekommen, wohl auch deshalb, weil der schon länger kränkelnde Rudolf Dongen dahintergekommen war, dass sie allerhand beiseitegeschafft hatte. Dass er aber Sandra eine Last aufbürdete, die sie auf ihren schmalen Schultern kaum zu tragen vermochte, hatte er wohl doch nicht mehr durchschaut.

Doch Sandra liebte den kleinen Halbbruder so sehr, wie sie Lilly hasste. Und Nicolas liebte Sandra. Dass Lilly sich nach Rudolf Dongens Tod noch hemmungsloser in das Leben stürzte, das sie sich mit Geld ihres Mannes hatte erkaufen wollen, war Dr. Norden auch bekannt.

»Eine ziemlich scheußliche Geschichte«, sagte Dr. Jenny Behnisch. »Eigentlich müssten wir das Gericht einschalten, Daniel.«

»Warten wir ab, bis Lilly Dongen zurückkommt. Man kann Sandra nicht zu viel zumuten. Sie hängt an dem Jungen, was man von seiner Mutter nicht sagen kann. Ihr würde es nämlich nichts ausmachen, wenn sie der Sorge um ihn ledig wäre.«

»Das klingt sehr hart, Daniel«, sagte Jenny leise.

»Es entspricht den Tatsachen. Lernt sie erst mal kennen.«

*

Lilly Dongen verschwendete tatsächlich keinen Gedanken an den kleinen Nicolas. Das Kind war ihr nur Mittel zum Zweck gewesen. Nämlich dazu, die Ehe mit Rudolf Dongen zu erzwingen. Als sie zu ihm als Verkäuferin kam, war sie einundzwanzig und völlig mittellos gewesen. Als Verkäuferin hatte sie sich bewährt, aber einen vermögenden Mann hatte sie sich in all den Jahren nicht angeln können. Als sie dann wusste, dass Renate Dongen eine todkranke Frau war, hatte sie sich mitfühlend gezeigt und sich mehr und mehr bei ihrem Chef eingeschmeichelt. Sandra war im Internat gewesen, Renate die meiste Zeit im Krankenhaus. Und so war das Verhältnis zwischen ihr und Rudolf Dongen immer intimer geworden. Aber auch nach dem Tod Renates hatte er gezögert, sie zu heiraten. Sandras wegen, wie er gesagt hatte. Lilly wusste, dass sie die Heirat nur mit einem Kind erzwingen konnte, und auch das hatte sie geschafft.

Als sie dann erreicht hatte, was sie wünschte, brachte sie ihr Schäfchen ins trockene. Geschäftstüchtig war sie. Dass sie mehr und mehr in die eigene Tasche wirtschaftete, merkte Rudolf Dongen erst spät. Ein gutes Leben hatte er wahrhaftig nicht, und am dritten Herzinfarkt war er schließlich gestorben. Für Lilly gerade noch zur rechten Zeit, um ihre besten Jahre, wie sie meinte, genießen zu können.

Das Testament ihres Mannes hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber Lilly bekam immerhin so viel, dass sie für die Zukunft planen konnte, und diesmal hielt sie Ausschau nach einem Mann, der dafür eine Garantie bot, dass ihren Ansprüchen genüge getan würde.

Den glaubte sie in dem Amerikaner Gary Batten gefunden zu haben, den sie schon am ersten Abend ihres Aufenthaltes in Paris kennenlernte. Eigentlich hatte sie sich mit einem anderen Mann treffen wollen, einem sehr charmanten Franzosen, den sie während des Faschings in München kennengelernt hatte, aber der hatte ihr in einem Telegramm mitgeteilt, dass er wegen eines Todesfalles in seiner Familie nicht kommen könne. Dieses Telegramm war Lilly überreicht worden, als sie abends in Paris ankam.

Sie war verärgert gewesen. Sie nahm einen Drink an der Hotelbar, und dort hatte sie Gary Batten vorgefunden, einen großen, gut aussehenden jungen Mann, ein bisschen schwerfällig und der französischen Sprache nicht mächtig, wie Lilly schnell herausgefunden hatte. Aber er roch buchstäblich nach Geld. Sie hatte ein Gespür dafür, und sie merkte es daran, wie man ihn bediente. Lilly konnte bezaubernd sein, wenn sie wollte, und sie sprach ganz gut Englisch und auch Französisch. Sie war immer darauf bedacht gewesen, das Beste aus ihrem Leben zu machen.

Ihr Ehrgeiz war auch deshalb angespornt worden, weil Sandra ein sehr intelligentes und vielseitig gebildetes Mädchen war, und solange Rudolf Dongen noch lebte, war sie auch darauf bedacht gewesen, sich möglichst gut mit ihr zu stellen.

Zu ihrer Zufriedenheit konnte sie feststellen, dass Gary Batten sich leicht erobern ließ. Und bald hatte sie auch herausgefunden, dass er ein reicher Konservenfabrikant aus Texas war und große Baumwollplantagen besaß. Und zu allem sah er auch noch gut aus und war jung.

Lilly hatte keine Scheu, sich gleich ein paar Jahre jünger zu machen. Sie gab sich ganz als unabhängige, vermögende Erbin, die nur nach Paris gekommen war, um ihre Garderobe aufzufrischen.

Gary war kein Playboy. An ihn waren schon früh große Anforderungen gestellt worden. Er hatte seine Eltern früh verloren, und sein Onkel, der ein hoher Offizier gewesen war, hatte ihn erzogen. Da war ihm nichts erspart geblieben. Schon im Alter von fünfundzwanzig Jahren hatte er die Leitung der Konservenfabrik seines Großvaters übernehmen müssen. Dies war sein erster Europaurlaub, sein erster Urlaub überhaupt.

Bisher hatte er sich höchstens mal ein verlängertes Wochenende gestatten dürfen. Von Paris hatte er viel gehört. Seine Erwartungen hatte es bisher nicht erfüllt, aber Lilly war eine Frau, wie ihm noch keine begegnet war. Und sie kannte Paris!

Lilly kannte auch die Männer, und sie wusste, wie man ihr Vertrauen am besten gewinnen konnte. Der nette, arglose Gary Batten wusste nicht, in welchen Schlingen er sich da verfing.

*

Während Lilly nun ihr Netz immer enger um ihn spann, mühten sich die Ärzte, das Leben des kleinen Nicolas’ zu retten. Sandra wurde immer stiller, immer blasser, immer dünner. Ihr Studium wollte sie nicht vernachlässigen. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, Psychotherapeutin zu werden, und dieses Ziel wollte sie so schnell wie nur möglich erreichen. Ihren Job in einem Heim für behinderte Kinder hatte sie allerdings nun aufgegeben, denn Nicolas brauchte sie nötiger. Ab und zu wurde er wach, und wenn sie dann nicht bei ihm war, verschlechterte sich sein Zustand gleich wieder.

Schon eine Woche war vergangen, ohne dass man eine positive Prognose stellen konnte, und noch immer hatte Lilly nichts von sich hören lassen. Sandra wusste gar nicht, wo sie zu erreichen gewesen wäre, aber ihr war das auch ziemlich egal.

Sie wusste nur, dass es so nicht weitergehen konnte, wenn das Leben von Nicolas in einigermaßen geregelten Bahnen verlaufen sollte. Falls er überhaupt wieder gesund werden würde.

Dahinter musste man ein großes Fragezeichen stellen, denn der Junge war ohnehin nicht in seinem Alter entsprechend entwickelt, zumindest körperlich nicht.

Für Lilly hatte diese Woche allerdings einen sehr erfreulichen Verlauf genommen. Sie glaubte jetzt schon, sich Garys sicher sein zu können.

Bis sie ihm erzählt hatte, dass sie in München wohne, war er ganz begeistert gewesen. München sei ja die Endstation seiner Reise, hatte er gemeint, und man hätte ihm so viel von dieser Stadt erzählt, dass er dort auch länger bleiben wollte. Vor allem das berühmte Oktoberfest wollte er kennenlernen.

So sehr gelegen kam das Lilly zwar nicht, aber sie wollte es ihm nicht ausreden. Sie überlegte nur krampfhaft, wie sie es abbiegen könne, dass er auch in ihre Wohnung käme.

Aber sie dachte sich eine Geschichte aus, die den gutmütigen Gary überzeugte. Sollte es zur Heirat kommen, und darauf spekulierte sie ja, konnte sie ohnehin nicht verheimlichen, dass sie schon einmal verheiratet gewesen war. Dass Gary ein bisschen sentimental war, hatte sie auch schon herausgefunden. So erzählte sie ihm denn, dass ihr Vater und Rudolf Dongen Geschäftsfreunde gewesen wären. Und da sie ja in einem so konservativen Elternhaus aufgewachsen wäre, hätte ihr dann so kranker Vater gemeint, sie wäre am besten bei Rudolf Dongen aufgehoben, wenn er die Augen schließen würde.

»Er war wirklich wie ein Vater zu mir«, erzählte sie mit melancholischem Augenaufschlag. »Und er hatte ja eine Tochter, die fast in meinem Alter war. Sandra und ich wurden Freundinnen.«

Und als sie sich darauf hinausgelogen hatte, ging sie noch weiter, denn da kam ihr eine prächtige Idee, Gary gegenüber ihren Sohn zu verleugnen, der ihren Plänen hätte im Wege stehen können.

»Rudolf war natürlich doppelt froh, dass ich in diese Heirat einwilligte, denn er wusste, dass er nicht mehr lange leben würde und Sandra, die leider an einen recht unzuverlässigen Mann geraten war, erwartete ein Kind. Rudolf war außer sich, aber ich konnte ihn dazu bringen, Sandra nicht zu verstoßen. Wir adoptierten das Kind, als es geboren war. Es ist ein reizender Junge. Ich möchte nur nicht, dass darüber gesprochen wird, Gary. Ich möchte, dass Sandra doch noch einen netten, zuverlässigen Mann findet, der Verständnis für sie hat.«

Und da sagte Gary etwas, was sie nicht so schnell schlucken konnte.

»Ich mag Kinder, Lilly. Wenn wir uns wirklich verstehen, habe ich gar nichts dagegen, wenn wir den Jungen mitnehmen.«

»Willst du damit sagen, dass du mich heiraten willst?«, fragte sie.

»Wir kennen uns noch zu wenig, aber ich finde es großartig, wie du dich verhalten hast. Das imponiert mir sehr. Das ist ungewöhnlich. Wie alt ist der Junge?«

»Sechs«, erwiderte Lilly konsterniert. »Er heißt Nicolas. Aber eigentlich will ihn Sandra ja behalten.«

»Ich meine nicht, dass sie das Recht dazu hat«, sagte Gary. »Du hast Mutterstelle an ihm vertreten. Du hast mehr Rechte. Wir werden noch darüber sprechen, wenn wir in München sind und ich den Jungen kennengelernt habe.«

Diese Entwicklung hatte Lilly nun wirklich nicht vorausgesehen, aber inzwischen wusste sie, wie reich Gary Batten war, und dafür lohnte es sich schon, alles auf eine Karte zu setzen, meinte sie.

Gary brannte nun darauf, schnellstens nach München zu kommen. Für Brüssel und Straßburg zeigte er schon nicht mehr das Interesse, das ihn anfangs bewegt hatte, und die rheinischen Großstädte wollte er gar nicht besuchen. Er erwies sich als texanischer Dickschädel, als Lilly ihn diplomatisch bewegen wollte, noch einige Zeit herumzureisen.

Lilly wusste, dass sie sich nun wieder einiges einfallen lassen musste. Aber sie war überzeugt, dass ihr schon das Richtige einfallen würde, denn seit sie von dem Kind gesprochen hatte, schien es Gary ganz ernst zu meinen.

*

Sandra konnte indessen Hoffnung schöpfen, denn zum ersten Mal seit zehn Tagen war Nicolas bei vollem Bewusstsein, als sie in die Klinik kam. Sie musste nur feststellen, dass er den Zeitbegriff völlig verloren hatte. Er meinte nämlich, dass Lilly erst gestern weggefahren sei.

»Wenn sie bloß nicht sobald wiederkommt, Sandra«, flüsterte er. »Wenn wir doch immer allein bleiben könnten. Du würdest mir schon den Schlüssel geben, dass ich ins Haus gehen kann, wenn es regnet.«

»Natürlich würde ich dir den Schlüssel geben, Nico«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Hat es bald geregnet, nachdem sie weggefahren ist?«

»Ich weiß nicht. Sie war so grob. Ich wollte doch den Schlüssel haben, aber sie hat mich weggestoßen, und dann bin ich gefallen. Das weiß ich noch. Dann weiß ich eine ganze Weile nichts mehr, aber als ich aufstehen wollte, hat es geregnet, und dann tat mein Kopf so weh. Aber dann bist du ja gekommen.«

Sandra hielt den Atem an. Wenn das genau stimmte, was Nicolas sagte, hatte er mehrere Stunden bewusstlos im Garten gelegen. Sie wusste genau, dass es zehn Minuten vor sieben Uhr gewesen war, als sie heimkam, und da hatte der Junge an der Haustür gesessen, unter dem Vordach. Nur sehr müde war er ihr vorgekommen, aber vom Fieber hatte sie da noch nichts gespürt. Und als er sich dann, schon im Bett, so heiß anfühlte, hatte sie gleich Dr. Norden gerufen.

»Du musst jetzt gesund werden, Nico«, sagte sie. »Dann fahren wir zwei weg.«

Er umklammerte ihre Hand. »Ich will sie nicht mehr sehen, Sandra. Sie ist immer so böse, auch zu dir. Ich habe bloß dich lieb, sonst niemanden.«

»Sei nur ruhig, mein Kleiner«, sagte sie zärtlich. »Wir gehen weg, weit weg, du wirst sie nicht mehr sehen. Ich will sie auch nicht mehr sehen. Wenn du gesund bist, fahren wir gleich weg.«

»Dann will ich ganz schnell gesund werden, Sandra, bevor sie wiederkommt«, flüsterte er.

Wenigstens das war erreicht. Sein Lebenswille regte sich. Und Sandra überlegte schon, wohin sie mit dem Jungen gehen könne.

Einen Menschen gab es, dem sie völlig vertraute. Es war Dr. Norden. Ihn suchte sie in seiner Praxis auf. Ihm erzählte sie alles, was sie bewegte. Sehr viel wusste er ja schon.