Dr. Norden Bestseller 123 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 123 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Hanno Schwaiger sah Dr. Norden aus müden Augen an. »Wäre es nicht doch besser, Vater in die Klinik zu bringen?«, fragte er heiser. Dr. Norden atmete tief durch. »Es hätte nicht mehr viel Sinn, Herr Schwaiger. Lassen Sie ihn zu Hause sterben, wie er es wünscht, in seinem Bett, in diesem Zimmer. Es wird nicht mehr lange dauern.« Er konnte nichts anderes sagen. Karl Schwaiger war fünfundsiebzig. Sein Herz machte ihm schon lange zu ­schaffen. Vor einem Jahr hatte er sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen, von dem er sich nie mehr ganz erholt hatte, und mit Einbruch des Winters hatte er nun auch noch eine Grippe bekommen. Jetzt lag er schon im Koma. »Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll«, sagte Hanno müde. »Er hat kein Testament gemacht, und meine Geschwister, von Till abgesehen, lauern schon auf ihr Erbteil. Ich kann keine Nacht mehr schlafen, Herr Dr. Norden. Es wird alles auseinanderbrechen.«

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Dr. Norden Bestseller – 123 –

Er besiegte das Schicksal

Patricia Vandenberg

Hanno Schwaiger sah Dr. Norden aus müden Augen an. »Wäre es nicht doch besser, Vater in die Klinik zu bringen?«, fragte er heiser.

Dr. Norden atmete tief durch. »Es hätte nicht mehr viel Sinn, Herr Schwaiger. Lassen Sie ihn zu Hause sterben, wie er es wünscht, in seinem Bett, in diesem Zimmer. Es wird nicht mehr lange dauern.«

Er konnte nichts anderes sagen. Karl Schwaiger war fünfundsiebzig. Sein Herz machte ihm schon lange zu ­schaffen. Vor einem Jahr hatte er sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen, von dem er sich nie mehr ganz erholt hatte, und mit Einbruch des Winters hatte er nun auch noch eine Grippe bekommen. Jetzt lag er schon im Koma.

»Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll«, sagte Hanno müde. »Er hat kein Testament gemacht, und meine Geschwister, von Till abgesehen, lauern schon auf ihr Erbteil. Ich kann keine Nacht mehr schlafen, Herr Dr. Norden. Es wird alles auseinanderbrechen.«

Auch das verstand Dr. Norden. In diesem Fall konnte er sein Verständnis nicht versagen, wenn es schon um das Erbe ging, bevor der Patient seinen letzten Atemzug getan hatte. Er hatte in den drei Wochen, in denen er nun Karl Schwaiger betreute, so manches erfahren.

Das Sägewerk Schwaiger und Söhne war ein angesehenes, gesundes Unternehmen, solange der alte Schwaiger lebte. Seine ältesten Söhne Hanno und Tilman hatten es in seinem Sinne fortgeführt, als er sich endlich zur Ruhe setzte, aber er hatte das Heft nicht aus der Hand gegeben. Er hatte sechs Kinder, und alle hätten die gleichen Rechte, hatte Karl Schwaiger immer gesagt. Hanno und Till hätten ja ein auskömmliches Gehalt bekommen.

Karl Schwaiger hatte immer nur die beste Meinung von seinen Kindern. Auf den Cent genau hatte jedes seiner Kinder bekommen, was er für richtig hielt, bis sie mündig waren. Dann wurde aufgerechnet.

Hanno hatte studiert, also musste er dann abarbeiten, was dieses Studium gekostet hatte. Till mit mittlerer Reife von der Schule gegangen, hatte dann eine Lehre als Holzkaufmann gemacht. Also bekam er das Geld, was Hannos Studium gekostet hatte. Elke hatte geheiratet und ihre Mitgift bekommen. Auch das war auf Heller und Cent niedergeschrieben. Jochen hatte sich lange nicht für einen Beruf entscheiden können, mal dies und das versucht, um nichts Rechtes zustande zu bringen. Er bekam von seinem Vater monatlich fünfhundert Euro, und auch das schlug sich langsam zu Buche nieder. Dann war da Markus, der Musiker geworden war, immer in Geldnöten und großzügig in seiner Lebensweise. Von Zeit zu Zeit musste er Schulden bezahlen, und sein Vater bezahlte sie, wenn auch mürrisch. Aber der Name Schwaiger musste sauber bleiben. Und dann war da Heike, die Jüngste, der Nachkömmling, jetzt gerade erst zwanzig Jahre und daran krankend, dass sie von ihrem Freund im Stich gelassen wurde. Irgendwann hatte Dr. Norden mit allen zu tun gehabt. Nicht alle dieser sechs Kinder Karl Schwaigers wusste er richtig einzuschätzen, aber Hanno und Till kannte er am besten, und er schätzte beide als ehrlich, zuverlässig und verantwortungsbewusst ein.

»Warum macht ein solcher Mann kein Testament?«, fragte er gedankenverloren.

Hanno zuckte die Schultern. »Seine Kinder einigen sich, das war immer sein Standpunkt. Alle werden sie interessiert sein, dass dieses Familienunternehmen weiterbesteht. Er war immer ein guter Vater, Herr Dr. Norden, aber kein weitsichtiger Unternehmer. Die Wirtschaftslage ist derzeit so, dass wir sehr viel investieren mussten. Wir können schließen, wenn unsere Geschwister ausgezahlt werden wollen.«

»Vielleicht sind sie vernünftig«, sagte Dr. Norden. Was sollte er auch sagen, er hatte ja keinen Überblick und wusste nicht, was auf dem Spiel stand.

*

Lore Schwaiger, Hannos Frau, wusste es. Und sie war eine vernünftige Frau.

»Mach dich nicht verrückt, Hanno«, sagte sie. »Du bekommst überall eine Stellung.«

»Ich bin zweiundvierzig«, sagte er. »Till ist vierzig. Wir haben drei Kinder, Till hat zwei und Annelie ist nicht so tapfer wie du, Lore.«

Ihre Älteste, Sandra, stand in der Tür. »Großvater lebt doch noch«, sagte sie. »Es ist nicht gut, wenn ihr so redet.«

»Wir müssen weiterdenken, Sandra«, sagte Hanno. »Und wenn nur Jochen und Markus ihr Erbteil sofort haben wollen, kommen wir in Schwierigkeiten. Und allzu gut geht das Geschäft ohnehin nicht.«

»Ich bin mit der Schule fertig und suche mir eine Stellung«, sagte Sandra. »Aber ich finde, dass man sich nicht in etwas hineinsteigern soll. Macht Kai nicht kopfscheu, er steht vor dem Abi, und Susi ist gerade in einer kritischen Phase.«

Sandra war neunzehn, sehr apart und schon eine Persönlichkeit. Blau-schwarzes Haar umrahmte ein schmales, ausdrucksvolles Gesicht, das von großen violetten Augen beherrscht wurde. Ihr Profil konnte man klassisch nennen, ihr schöngeschwungener Mund hatte immer einen etwas trotzigen Zug.

Man konnte durchaus verstehen, wenn ein Mann von ihr träumte, und es gab einen solchen, obgleich Sandra nicht bereit war, Notiz von ihm zu nehmen. Allerdings war Fabian Berneck auch kein Mann, für den sich ein junges Mädchen auf Anhieb begeistern konnte.

Er war der Sohn eines sehr reichen Vaters, doch das sah man ihm auch nicht an, und Dietrich Berneck saß auf seinem Geld. Niemand ahnte, wie reich er war. Er lebte bescheiden, sehr zurückgezogen, und wo er überall

mitmischte, wusste nicht mal sein Sohn.

Fabian war außerordentlich streng erzogen worden, aber er hatte dagegen nicht aufbegehrt. Er war nach dem Tode seiner Mutter in ein Internat gegeben worden, das er entgegen aller Vorurteile spielend absolviert hatte. Er hatte sein Abitur gemacht und dann in kürzester Zeit auch sein Wirtschaftsstudium hinter sich gebracht. Auf Titel legte er keinen Wert, sonst hätte er auch die Doktorarbeit aus dem Handgelenk geschüttelt.

Erst als er einen bereits gehobenen Posten in einer Bank bekam, erfuhr er, dass sein Vater der große Macher war, und da war es zum Streit zwischen Vater und Sohn gekommen. Fabian wollte sich nämlich sofort eine andere Stellung suchen.

»Das wirst du nicht«, sagte sein Vater streng. »Ich habe dich vernünftig erzogen. Jetzt bist du fünfundzwanzig Jahre und weißt, was Geld bedeutet. Es kann ein Segen, kann aber auch ein Fluch sein. Keiner lebt für sich allein. Wir haben eine Verantwortung zu tragen für viele andere Menschen, die dazu nicht selbst in der Lage sind, und dieser Verantwortung wirst du dich nicht entziehen, nur weil du besser dran bist als die meisten. Darauf brauchst du dir nichts einzubilden, und weil ich das nicht wollte, hast du es nicht erfahren, dass wir zu den sogenannten Privilegierten gehören. Und wenn du klug bist, mein Sohn, dann lebst du auch so wie ich. Dann nämlich wirst du nicht in die Gefahr geraten, dass dir die Weiber des Geldes wegen nachlaufen. Von denen kommt die größte Gefahr für junge Männer. Aber jetzt bist du ja trocken hinter den Ohren und rennst nicht mit Scheuklappen herum.

Solange ich lebe, wirst du ein angemessenes Gehalt bekommen und weiter nichts. Ich hoffe, dass ich sehr lange leben werde, denn ich bin mit dem Leben zufrieden.«

Irgendwie war Dietrich Berneck dem jetzt todkranken Karl Schwaiger ähnlich, ohne ihn zu kennen, nur hatte er eben nur einen Sohn und nicht sechs Kinder, und Dietrich Berneck hatte bereits vor Jahren seinen Sohn zu seinem Alleinerben bestimmt, obgleich es niemanden gab, der Fabian das Erbe hätte streitig machen können.

Aber Karl Schwaiger war mit seinem Leben auch zufrieden gewesen, und er hatte nie schlecht von einem seiner Kinder gedacht, obgleich sie sehr verschieden waren. Es waren seine Kinder. Sie hatten den gleichen Vater und die gleiche Mutter, also mussten sie auch gleich denken und fühlen. Das war sein Standpunkt gewesen. Und als Karl Schwaiger die Augen für immer schloss, konnte er gar nichts mehr denken und wusste nichts davon, was er zurücklassen würde.

*

»Der Schwaiger ist gestorben«, sagte Dietrich Berneck beim Frühstück, als er die Zeitung aufschlug. Die Todesanzeigen las er immer zuerst.

»Welcher Schwaiger?«, fragte Fabian aufhorchend.

»Der Sägewerksbesitzer. Ein guter Kunde, hat nie Schwierigkeiten gehabt.«

»Kennst du ihn persönlich, Vater?«, fragte Fabian.

»Ich kenne niemanden persönlich, der mit meinem Geld gearbeitet hat, mein Sohn. Das schafft nur Probleme. Halt du dich auch daran.«

Fabians Augen verengten sich. »Ich komme um einen persönlichen Kontakt mit unseren Kunden nicht herum«, sagte er kühl. »Ich kenne beispielsweise Sandra Schwaiger persönlich.«

Sein Vater blinzelte über seine Brille hinweg. »Da steht es an erster Stelle: Hanno und Lore Schwaiger mit Sandra, Kai und Susanne. Aber der alte Schwaiger hatte noch fünf weitere Kinder. Ich bin gespannt auf die Erbauseinandersetzungen.«

»Du denkst wirklich immer nur an Geld, Vater«, sagte Fabian.

»Aber nein, ich denke daran, was kommt, wenn ein Patriarch stirbt, und Schwaiger war einer. Mein Vater übrigens auch. Ich hatte ja auch vier Geschwister. Jeder bekam seinen Teil. In meinem Fall waren es zehntausend Euro, und ich war der Einzige, der etwas daraus gemacht hat. Verstehst du mich jetzt? Die anderen hätten geklebt an mir wie die Zecken, wenn sie gewusst hätten, was ich aufgebaut habe, aber sie hatten die gleiche Chance, Fabian, die gleiche Ausgangsposition. Und ich war der Jüngste. Damals waren zehntausend Euro viel Geld, und ein Stück Land bekam auch noch jeder. Die anderen haben ihres verkauft, ich habe mir dieses Haus gebaut. Weißt du nun, warum es mir so viel bedeutet?«

»Warum hast du nie mit mir dar­über gesprochen, Vater?«

»Es war noch nicht die Zeit. Jetzt ist sie wohl gekommen. Was interessiert dich an den Schwaigers?«

»Sandra«, erwiderte Fabian ruhig. »Und jetzt schimpf nicht gleich wieder auf die Weiber, Vater. Du kennst sie nicht.«

Aber ich werde sie kennenlernen, dachte Dietrich Berneck. Aber nicht ein einziges Wort verlor er darüber. Nicht eine Frage stellte er.

Erst am Abend sagte er: »Es waren Bankkunden. Wir werden einen Kranz schicken und zur Beerdigung gehen. Und ich werde mir die Sippe anschauen.«

»Du willst zu der Beerdigung gehen, Vater?«, staunte Fabian.

»Warum nicht? Wer kennt mich schon. Willst du etwa nicht gehen?«

»Doch, natürlich werde ich gehen«, erwiderte Fabian.

»Ist es dir unangenehm, dich mit mir zu zeigen?«, fragte der Ältere sarkastisch.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Ja, wie komme ich darauf?«, überlegte Dietrich Berneck. »Wahrscheinlich kommt es daher, dass wir nie nirgendwo zusammen in der Öffentlichkeit aufgetreten sind. Vielleicht ist es in diesem Fall sogar besser, wenn wir getrennt auftreten.«

»Wie du es für richtig hältst«, sagte Fabian, und in solchem Ton sprachen sie schon immer miteinander, seit Fabian erwachsen war und erklärt hatte, er könne seinen Weg auch ohne seinen Vater gehen.

»Ist sie hübsch, diese Sandra?«, fragte der Ältere.

»Das ist Ansichtssache. Vielleicht gefällt sie dir nicht. Mir gefällt sie, Vater, und wenn ich einmal heiraten sollte, dann nur Sandra Schwaiger, damit du gleich Bescheid weißt.«

»Okay, ich weiß Bescheid«, sagte Dietrich gelassen. »Wie weit seid ihr?«

»Du hast Nerven, ich habe sie bisher nur dreimal in der Bank gesehen und gesprochen.«

»Interessant, das ist wirklich interessant«, murmelte Dietrich Berneck.

»Sie ist kein Mädchen, das sich einfach anquatschen lässt. Und dazu habe ich auch nicht das geringste Talent.«

»Wie willst du sie dann näher kennenlernen?«

»Ich überlasse es der Vorsehung, Vater.«

Unverbesserlicher Romantiker, obgleich er in Mathematik immer so gut war, dachte Dietrich Berneck, aber er sagte es nicht.

*

Im Hause Schwaiger hatte sich die ganze Verwandtschaft vor der Beerdigung versammelt. Zum Sterbebett des Seniors war von den Geschwistern nur Heike gekommen. Die anderen entschuldigten sich mit der weiten Anreise.

Aber nun waren auch entfernte Verwandte da, und es wurden viele Krokodilstränen vergossen. Hanno wusste genau, dass es echte Trauer kaum gab.

Till war noch schmaler, noch blasser, und er hatte noch mehr Sorgenfalten bekommen. Annelie gab sich Mühe, Haltung zu wahren. Die Söhne Andreas und Stefan, fünfzehn und zwölf, standen verlegen herum und waren froh, als sich Susi und Kai zu ihnen gesellten.

Elke Hochleitner, geborene Schwaiger, und ihr Mann, der Regierungsdirektor Robert Hochleitner, hatten ihre Kinder nicht mitgebracht. Tobias und Tamara waren erst acht und sechs Jahre alt.

Jochen, der gerade dreißig war, erschien wieder sehr salopp, aber auch das nahm ihm Hanno nicht übel. Ärgerlich wurde er nur, als Jochen sofort fragte, wann denn die Testamentseröffnung sei. So eilig hatte es sonst keiner. Markus, achtundzwanzig, betrachtete schwärmerisch seine nur neun Jahre jüngere Nichte Sandra. Und Heike, die erst geboren worden war, als Hanno schon heiratete, hüllte sich in tiefstes Schweigen. Sie war hübsch, Sandra in gewisser Weise sogar ähnlich, aber ihr fehlte es an der Ausstrahlung, die Sandra besaß. Karl Schwaiger war immer besonders nachsichtig mit ihr gewesen, weil seine Frau bei ihrer Geburt gestorben war, damals schon dreiundvierzig, aber ihr wäre es als Frevel erschienen, etwas dagegen zu tun, auch in diesem Alter noch ein Kind zu bekommen.

Karl Schwaiger war ein harter Mann gewesen. Er war nicht gebrochen nach dem Tode seiner Frau. Für ihn zählten die sechs Kinder, die sie ihm geboren hatte, immerhin sechs gesunde Kinder. Er war nicht sentimental und verlor sich nicht in Trauer. Er sorgte dafür, dass alles weiterging und nahm Meta ins Haus, ein Mauerblümchen, das keinen Mann gefunden hatte und nun um das Wohlergehen der großen Familie besorgt war.

Verhutzelt, sehr alt und vergrämt stand sie da, und außer Lore kümmerte sich niemand um sie.

Dann fuhren sie auf den Friedhof. Unzählige Trauergäste hatten sich eingefunden, unzählige Kränze waren um das Grab dekoriert, als man nach den diversen Ansprachen dort Aufstellung nahm. Und nochmals wurde das Leben des Karl Schwaiger gewürdigt, bevor seine leibliche Hülle in das Grab gesenkt wurde, im schönsten Eichensarg, den man hatte bekommen können. Jochen bemerkte später, dass es eigentlich doch wurst sei, in welcher Kiste man liegen würde, wenn dieses leidige Erdendasein beendet sei. Man war solche Bemerkungen von ihm gewohnt und überhörte sie diskret.

So recht gesehen hatte man eigentlich die Leute nicht, die da gekommen waren. Man hatte ja auch eine Kondolenzliste ausgelegt, um dem Händedrücken zu entgehen. Aber Sandra hatte Fabian Berneck gesehen. Er hatte den Kopf geneigt, als ihre Blicke sich trafen, und es war seltsam, gerade erst in dieser Stunde nahm Sandra Kenntnis von diesem ernsten, schmalen, sonst so unauffälligen jungen Mann, den sie bei ihren Bankbesuchen nur flüchtig gesehen hatte.

»Tot kann ich mir Großvater überhaupt nicht vorstellen«, sagte Susi, die hinter Sandra ging, als sie den Friedhof verließen.

Ob die Seele doch weiterlebt, ging es Sandra durch den Sinn, aber ein paar Stunden später war sie überzeugt, dass dies nicht sein konnte, denn Karl Schwaigers Geist war aus der Villa, in der alle seine Kinder aufgewachsen waren, verbannt. Im Stillen hatte zwar auch Hanno gehofft, dass dieser Geist bleiben würde, aber diese Hoffnung hatte mit ihm nur Till gehegt. Nach dem Essen, bei dem es noch still zugegangen war, wurde es offenbar, dass alles auseinanderbrechen würde, wenn es nach den übrigen vier Geschwistern ging.

Allesamt schienen sie erleichtert, dass kein Testament existierte.

»Das bedeutet also, alles durch sechs«, sagte Jochen.

»Und das würde bedeuten, dass wir die Firma liquidieren müssen«, sagte Till düster.

»Wieso denn das?«, fragte Elke einfältig.

»Es ist ein gutfundiertes Unternehmen«, warf ihr Mann Robert ein.

»Du wirst ja wohl wissen, dass wir mit Krediten arbeiten«, warf Hanno mit erzwungener Ruhe ein. »Selbstverständlich könnt ihr Einblick in die Bücher nehmen.«

»Und ihr habt eure Schäfchen schon vorher ins Trockene gebracht«, meinte Jochen anzüglich.

Sandra warf ihm einen flammenden Blick zu. »Paps und Onkel Till haben gearbeitet, damit alles läuft, und dafür haben sie ein Gehalt bekommen. Ihr hättet es auch bekommen, wenn ihr mit dazu beigetragen hättet, dass alles läuft.«

»Hat sich der Grünschnabel auch schon einzumischen?«, fragte Robert Hochleitner gereizt.

Sandra ging das Temperament durch. »Du bist nur angeheiratet«, sagte sie heftig. »Aber ich finde es sowieso widerlich, wie jetzt schon geredet wird, kaum dass Großvater beerdigt ist. Ich kümmere mich um die Kinder!«

Heftig zog sie die Tür hinter sich ins Schloss. Andreas und Stefan hatten ein bisschen gelauscht. »Dicke Luft?«, fragte Andreas. »Papi hat es ja gleich gesagt, dass es Krach geben wird.«

Krach gab es noch nicht. »Kommen wir zur Sache«, sagte Hanno kühl. »Vater hat da eine schriftliche Aufstellung gemacht, was jeder bisher bekommen hat, sei es zur Ausbildung, sei es für die Mitgift oder für den Lebensunterhalt derjenigen, die er unterstützen musste.«

»Werde bloß nicht anzüglich«, sagte Jochen wütend.

»Es sind nüchterne Zahlen. Vater hat es uns insofern erleichtert, als er es in sechsfacher Ausfertigung handschriftlich niederlegte. Er war wirklich sehr korrekt und wollte wohl auch jeglichen Zweifel bei dem einen oder andern ausschließen. Niemand kann Vater nachsagen, dass er Unterschiede gemacht hätte. Und er war wohl überzeugt, dass der Fortbestand des Unternehmens für alle seine Kinder Ehrensache sein würde. Nun, ich habe mich bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass dem nicht so sein wird.«

Drei Stunden ging es hin und her, und manches böse Wort fiel. Schließlich sagte Markus: »Ich verstehe nichts von Geschäften, aber ich brauche Geld.«

»Und ich lasse mir die Chance nicht nehmen, mir selbst eine Existenz aufzubauen«, warf Jochen ein.

»Woran denkst du?«, fragte Hanno.

»An eine Werbeagentur«, sagte Jochen herablassend. »Ich habe gute Verbindungen. Ich will großzügig sein. Dreihunderttausend genügen mir für den Anfang.«

»Einigen wir uns alle auf eine Vorauszahlung in dieser Höhe«, sagte Robert Hochleitner rasch.

Heike, die bisher nichts gesagt hatte, hob den Kopf. »Ich finde das alles irgendwie mies«, sagte sie leise. »Viermal dreihunderttausend sind 1,2 Millionen. Und wer zahlt die Zinsen, wenn Hanno und Till dafür einen Kredit aufnehmen würden?«

Elke kniff die Augen zusammen. »Die Villa und das Grundstück sind jetzt ein Mehrfaches wert«, sagte sie. »Wir haben für unser Häuschen vor zehn Jahren schon fünfhunderttausend bezahlt.«

Das Häuschen war ein Zweihundert-Quadratmeter-Bungalow. »Vater hat es bezahlt«, sagte Hanno. »Und wie ihr ja alle gelesen habt, wird das, was er bereits an uns alle gezahlt hat, von dem verbleibenden Nachlass abgezogen, beziehungsweise aufgerechnet. Wenn ihr jedoch an euren Forderungen festhaltet, wird es zur Versteigerung kommen.«

»Wieso zur Versteigerung?«, fragte Robert. »Wenn ihr euch auf die Hinterbeine stellt, werden wir einen Käufer finden für das Sägewerk und für die Villa ganz bestimmt.«

Nun blickte Markus auf. »Dass du dich einmischst, gefällt mir gar nicht. Elke hat bisher das meiste bekommen«, sagte er.

»Sucht einen Käufer«, sagte Hanno eisig. »Setzt Geschäftsführer ein. Till und ich werden dafür nicht mehr verfügbar sein. Wir werden uns anderweitig um Stellungen bemühen.«

»Das ist unfair«, begehrte Elke auf.