Dr. Norden Bestseller 125 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 125 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Sagen Sie die Wahrheit, Dr. Wieland? Lenni, die unermüdliche Haushälterin der Nordens, stand in der Küche am Herd. Sie fühlte sich unbeobachtet, sonst hätte sie das leise Stöhnen, mit dem sie sich an die Hüfte fasste, bestimmt unterdrückt. Aber Fee Norden war gerade aus dem Wohnzimmer gekommen und sah durch die offene Tür diese Bewegung, und sie hörte auch das leise Stöhnen. »Was ist Ihnen, Lenni?«, fragte sie besorgt. »Ach, nichts weiter.« »Natürlich ist etwas, und ich möchte es wissen.« »Es kommt und geht, beim Stehen und auch beim Laufen«, gab Lenni schließlich zu. »Und die Füße brennen so leicht.« »Dann werde ich Sie mal zu Dr. Bardow bringen. Sicher brauchen Sie Einlagen.« An etwas Schlimmeres wollte Fee vorerst nicht denken. »Kann das nicht unser Doktor feststellen?«, fragte Lenni bestürzt. »Nein, das muss schon ein Orthopäde tun. Dr.

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Dr. Norden Bestseller – 125 –

Sagen Sie die Wahrheit, Dr. Wieland?

Patricia Vandenberg

Lenni, die unermüdliche Haushälterin der Nordens, stand in der Küche am Herd. Sie fühlte sich unbeobachtet, sonst hätte sie das leise Stöhnen, mit dem sie sich an die Hüfte fasste, bestimmt unterdrückt. Aber Fee Norden war gerade aus dem Wohnzimmer gekommen und sah durch die offene Tür diese Bewegung, und sie hörte auch das leise Stöhnen.

»Was ist Ihnen, Lenni?«, fragte sie besorgt.

»Ach, nichts weiter.«

»Natürlich ist etwas, und ich möchte es wissen.«

»Es kommt und geht, beim Stehen und auch beim Laufen«, gab Lenni schließlich zu. »Und die Füße brennen so leicht.«

»Dann werde ich Sie mal zu Dr. Bardow bringen. Sicher brauchen Sie Einlagen.« An etwas Schlimmeres wollte Fee vorerst nicht denken.

»Kann das nicht unser Doktor feststellen?«, fragte Lenni bestürzt.

»Nein, das muss schon ein Orthopäde tun. Dr. Bardow ist ein ausgezeichneter Arzt.«

»Aber er hat eine Klinik, und in der Klinik bleibe ich nicht«, erklärte Lenni entschlossen.

»Das wird wohl auch nicht nötig sein«, meinte Fee nachsichtig. »Er hat heute Nachmittag Sprechstunde, und da fahren wir gleich hin.«

Jetzt war Mittagszeit, da wollte sie nicht anrufen, aber sie wusste ohnehin, dass Dr. Bardow sie nicht warten lassen würde. Bei der Gelegenheit konnte sie sich auch gleich mal nach Victoria, Dr. Bardows reizende Tochter, erkundigen, die sich vor vier Wochen mit Stefan Groh verlobt hatte. Diese Verlobung hatte bei den Nordens allerdings einiges Befremden hervorgerufen, denn Stefan Groh war als Playboy bekannt, ja, berüchtigt. Man konnte sich kaum vorstellen, dass der bekannte Facharzt mit dieser Verlobung einverstanden war, und dennoch schien es so.

»Wir wissen, dass Liebe Wunder vollbringen kann«, hatte Daniel die Verlobungsanzeige kommentiert, »und Victoria ist ein so reizendes Mädchen, dass sich auch ein Playboy ändern kann.«

Sie hatten Blumen geschickt. Zu mehr konnte sich Fee nicht aufraffen, da sie felsenfest überzeugt war, dass diese Verlobung nicht von Dauer sein konnte.

Als Daniel Norden zum Mittagessen heimkam, raunte ihm Fee zu, dass sie nachmittags mit Lenni zu Dr. Bardow fahren würde. »Entweder sind es die Füße oder die Hüfte«, sagte sie leise. »Rede ihr zu, mach ihr Mut.«

Das tat er dann auch, und als er sagte, dass es nichts mit den Nieren zu tun haben könnte, da ihre Laborbefunde darüber etwas ausgesagt hätten, war Lenni einigermaßen beruhigt. Dr. Norden bestand darauf, dass sie, wie auch Fee, jedes Jahr gründlich untersucht wurden und seine »Weibsen« wie er sie scherzhaft nannte, fügten sich, wenn auch recht widerwillig.

Danny, Felix und Anneka, die Norden-Kinder, waren nicht erbaut, an so einem schönen Nachmittag zum Arzt zu fahren.

»Dann bringe ich euch zu Claudia«, sagte Fee schnell entschlossen. »Ihr könnt mit Hannes und Feechen spielen.«

»Feechen kann ja noch nicht mal richtig reden«, meinte Danny.

»Ihr habt es auch mal lernen müssen«, erklärte Fee.

»Sie ist aber nieklich«, sagte Anneka.

»Niedlich«, wurde sie von Danny berichtigt.

»Dann eben niedlich«, sagte sie.

Claudia, die liebenswerte Frau des Gynäkologen Dr. Leitner, freute sich immer, wenn Fee Norden kam, und sie hatte auch gar nichts dagegen, die drei kleinen Nordens zu betreuen. Hannes, Danny und Felix tobten dann auch gleich durch den Garten, und Anneka beschäftigte sich mit der knapp einjährigen Felicitas, die ihren Namen nach ihrer Patentante Felicitas Norden bekommen hatte, aber auch sie wurde schon Fee, Feechen oder Feelein genannt.

Sie war ein süßes Kind. Fee musste es Claudia mal wieder sagen.

»Papis Liebling«, meinte Claudia. »Da gerät Hannes ein bisschen ins Hintertreffen.«

»Mit Töchtern kann man eben besser schmusen, Claudi«, sagte Fee, »das ist bei uns auch so. Nur keine Panik. Buben fühlen sich erhaben.«

»Hoffentlich ist mit Lenni nichts Ernstes«, sagte Claudia.

»Sicher nicht. Vielleicht hat sie Senkfüße, das kann schwer zu schaffen machen. Wir werden es bald wissen.«

Aber sie konnte nicht wissen, welch dramatischen Verlauf dieser Nachmittag noch nehmen sollte.

*

Victoria Bardow öffnete ihnen die Tür. Im weißen Kittel wirkte sie noch ätherischer. Mondscheinprinzessin war sie in der Schule genannt worden. Fee Norden wusste das, denn sie kannte einige Klassenkameradinnen von Victoria.

»Frau Dr. Norden«, staunte Victoria, »was führt Sie zu uns?«

»Unsere Lenni. Ich möchte gern, dass Ihr Vater sich mal mit ihren Füßen beschäftigt.«

»Papa ist aber ein paar Tage verreist«, sagte Victoria. »In seine geliebten Berge, er brauchte ein bisschen Ablenkung.«

Plötzlich machte sie einen bedrückten Eindruck und fuhr sich mit der linken Hand über die Stirn, um eine Haarsträhne zurückzustreichen. Am Ringfinger blitzte ein Ring auf, ein Memory-Ring, rundherum mit Brillanten besetzt. So was bekam man jetzt als Verlobungsring.

»Dr. Wieland wird sich Ihre Lenni aber gern ansehen«, sagte Victoria rasch. »Er hat Papas volles Vertrauen, sonst könnte er sich ein paar Tage Urlaub auch gar nicht leisten. Wir sind voll belegt.«

Fee war neugierig auf diesen Dr. Wieland. Sie hatten erfahren, dass Dr. Bardow sich vor einem Vierteljahr einen ständigen Assistenten in die Klinik genommen hatte, und darüber waren sie erstaunt gewesen. Dr. Bardow war Mitte fünfzig, sehr vital und auch ein bisschen eigenwillig. Er musste den jungen Kollegen schon recht hoch einschätzen, wenn er bereit war, ihn ständig um sich zu haben.

Sie lernte ihn nun bald kennen. Victoria übernahm die Vorstellung und entfernte sich.

Dr. Günter Wieland war schätzungsweise Anfang dreißig, mittelgroß, schlank, mittelblond, und man konnte ihn als den typischen Intellektuellen bezeichnen mit dem schmalen klugen Gesicht, den wachsamen Augen, der hohen Stirn. Fee schätzte ihn als introvertiert ein, obgleich sein klar geschnittener Mund auch Humor verriet.

Lenni war es nur recht, dass Fee sich zuerst allein mit ihm unterhielt, und Fee gewann einen sehr guten Eindruck von diesem jungen Arzt. Sie konnten sich ja auch als Kollegen unterhalten, da Fee noch immer als approbierte Ärztin tätig sein könnte, wenn Daniel dies zugelassen hätte.

Dann wurde Lenni höflich hereingebeten, und zwanzig Minuten dauerte die sehr gründliche Untersuchung. Dr. Wieland stellte fest, dass Lenni dringend Einlagen brauchte, und Fee war erleichtert, dass sie doch richtig getippt hatte.

Die Abdrücke wurden auch gleich gemacht. »Am besten wäre es, wenn Ihnen danach auch gleich Schuhe angemessen würden«, sagte Dr. Wieland, und in diesem Augenblick sprang die Tür auf. Victoria lehnte fast kreidebleich mit weit ganz aufgerissenen Augen am Rahmen.

»Papa«, stammelte sie, »Papa ist tot, man hat es mir gerade telefonisch mitgeteilt.«

Fee erstarrte, aber auch Dr. Wieland richtete sich völlig fassungslos auf. »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte er. »Er war doch ganz gesund.«

Fee ging auf Victoria zu und legte den Arm um die bebende Gestalt.

»Er ist abgestürzt«, schluchzte Victoria auf. »Er war doch ein so routinierter Bergsteiger.«

Fee brachte kein Wort über die Lippen. Sie sah Dr. Bardow lebend vor sich, groß, breitschultrig, knorrig konnte man ihn nennen, ein durch und durch sportlicher, naturverbundener Mann. Ein Frösteln kroch durch ihren Körper.

»Ich muss nach Bozen fahren«, flüsterte Victoria.

»Doch nicht allein«, sagte Fee heiser.

»Mein Verlobter wird mich begleiten«, sagte Victoria tonlos.

Schnell wanderte Fees Blick zu Dr. Wieland, und sie sah, wie seine Lippen sich aufeinanderpressten.

»Entschuldigen Sie, Frau Norden, aber ich muss mich erst fangen«, sagte Victoria leise. »Sie müssen jetzt hier die Arbeit weitermachen, Dr. Wieland«, fügte sie tonlos hinzu.

Lennis Beine zitterten, als sie mit Fee die Klinik verließ. Sie wusste, was es bedeutete, geliebte Menschen zu verlieren. Sie hatte es selbst durchgemacht, denn an einem Tag war ihr der Mann und ihre Mutter durch einen tragischen Autounfall genommen worden, und sie war schwer darüber hinweggekommen.

»Man kann dieses junge Ding doch nicht allein lassen«, flüsterte sie. »Sie ist so zerbrechlich.«

»Ihr Verlobter wird ihr schon beistehen, Lenni«, sagte Fee. Hoffentlich, dachte sie, denn von Stefan Groh hatte sie noch immer keine bessere Meinung.

*

Victoria rief auch vergeblich bei ihm an. Er war nicht da, obgleich sie es mehrmals versuchte, zwischendurch immer wieder in verzweifelte Tränen ausbrechend. Ihr geliebter Vater, ihr Papa sollte nicht mehr leben. Sie konnte es nicht begreifen.

Dr. Wieland hatte die Sprechstunde beendet. Er kam herüber zu den Privaträumen.

»Verzeihen Sie, Victoria«, sagte er beklommen, »aber ich kann das einfach nicht verstehen.«

»Ich auch nicht.« Sie presste ihre geballten Hände an die Augen, die schon geschwollen waren und unter denen wieder Tränen herabrollten. »Und ich kann Stefan nicht erreichen.«

Dr. Wielands Augen verengten sich. Er hatte auch seine eigene Meinung über Stefan Groh, aber die behielt er für sich, und gerade jetzt hätte er sie nicht kundgetan.

»Ich fahre allein«, sagte Victoria. »Ich muss wissen, wie das passiert ist.«

»Ich würde Sie gern begleiten, Victoria«, sagte er, »aber die Patienten müssen versorgt werden. Würden Sie gestatten, dass meine Mutter Sie begleitet?«

»Ihre Mutter, aber das kann man ihr doch nicht zumuten.«

»Sie hat schon mehr mitgemacht«, sagte er leise. »Sie würde bestimmt nicht nein sagen. Und sie ist eine sehr gute Autofahrerin. Seit dreißig Jahren unfallfrei. Ich kann es nicht zulassen, dass Sie allein fahren.«

»Wenn Ihre Mutter einverstanden ist«, murmelte sie geistesabwesend.

»Ich rufe sie an«, erklärte er.

Barbara Wieland war zuerst auch völlig entsetzt, aber sie erklärte sich sofort bereit, Victoria zu begleiten.

Schon eine halbe Stunde später stand ihr Wagen, ein recht flottes Modell, vor der Tür.

Barbara war ihrem Sohn so ähnlich, dass Victoria schon beim ersten Kennenlernen verblüfft gewesen war, doch sie wirkte energischer als ihr Sohn. Sie war auch mit fünfzig Jahren noch immer eine attraktive Frau, Doktor der Philosophie und als Journalistin tätig.

»Es tut mir unendlich leid, Victoria«, sagte sie mit mütterlicher Wärme, und da hatte das Mädchen das Gefühl, dass es besser sei, mit ihr zu fahren als mit Stefan.

»Es gibt keine Erklärung«, murmelte sie.

»Die Berge haben ihre Tücken«, sagte Barbara nachdenklich. »Aber es wird wohl immer unbegreiflich bleiben, wenn ein gesunder Mensch so plötzlich aus dem Leben genommen wird. Es ist ganz anders, wenn ein geliebter Mensch langsam und schmerzhaft sterben muss.«

Das hatte sie mit ihrem Mann erlebt, der unendlich langsam an einem sehr schmerzhaften Leiden gestorben war, das man als die Geißel der Menschheit bezeichnete, das einfach Krebs genannt wurde.

»Papa kannte dort jeden Stein, jeden Weg. Er ist dort aufgewachsen«, flüsterte Victoria.

Und vielleicht wollte er dort sterben, dachte Barbara. Vielleicht war er gar nicht so gesund, wie er wirkte. Was ging ihr da nur durch den Sinn?

Sie steuerte den Wagen ruhig, schnell, aber umsichtig. Victoria saß mit gefalteten Händen und starrte vor sich hin. Barbara wusste nicht, was sie dachte, aber hätte sie es geahnt, wäre sie maßlos erschrocken gewesen.

Victoria sah ihren Vater vor sich, als er sich von ihr verabschiedete, und sie meinte zu hören, was er sagte, ruhig, freundlich und doch so eindringlich.

Überlege es dir noch einmal, Vicky, ob du die richtige Wahl getroffen hast, hatte er gesagt. Prüfe, wer sich ewig bindet, sagt man, und manchmal sieht man eine Fehlentscheidung zu spät ein. Sie kann ein ganzes Leben zerstören. Ich will dir nicht das Herz schwermachen, aber wir sollten doch einmal ernsthaft miteinander sprechen, wenn ich zurück bin.

»Sollen wir mal anhalten, Victoria?«, fragte Barbara.

»Nein, nein, ich möchte so schnell wie möglich in Bozen sein.«

»Wir werden heute Abend nicht mehr viel erreichen können«, meinte Barbara.

Wieder versank Victoria in Schweigen. »Es ist gut, dass Dr. Wieland die Patienten betreut«, sagte sie dann tonlos, »ich wüsste nicht, was ich sonst machen sollte.«

»Günter wird sich bemühen, Ihrem Vater gerecht zu werden«, sagte Barbara, »er hat ihn bewundert, und er hat in den wenigen Monaten schon viel von ihm gelernt.«

»Ich weiß, dass Papa ihn schätzt, ihn sehr geschätzt hat«, flüsterte Victoria mit einem trockenen Aufschluchzen. »Und Ihnen bin ich sehr dankbar, dass Sie mit mir kommen, Frau Dr. Wieland.«

»Lassen wir doch diese formelle Anrede, Vicky. Mich nennen alle Kollegen Babs. Obgleich ich schon fünfzig werde«, fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu.

»Sie sehen viel jünger aus«, sagte Victoria.

»Man wird in Schwung gehalten. Ich habe einen interessanten Beruf, ohne mich kommandieren lassen zu müssen. Ich kann arbeiten, wo und wann immer ich Lust dazu habe. Sie brauchen sich also keine Gedanken zu machen, dass ich etwas versäume.«

Und sie selbst war sehr interessiert, genau herauszubringen, wie Dr. Bardow ums Leben gekommen war, denn sie wusste, dass Victoria gar nicht fähig war, sich für Details zu interessieren.

Sie hatten schon den Brenner hinter sich gelassen. Die Dämmerung sank herab.

»Ich bin wirklich so dankbar, dass Sie bei mir sind«, flüsterte Victoria. »Ich hätte mich schrecklich gefürchtet allein.«

»Und das hat Günter gewusst. Er ist ein guter Psychologe«, sagte Barbara. »Ich war nicht erfreut, als er erklärte, Arzt werden zu wollen. Ich hatte eine maßlose Wut auf alle Ärzte, weil keiner meinem Mann helfen konnte. Er starb an Knochenkrebs, Victoria. So schmerzlich es für Sie sein mag, Ihren Vater verloren zu haben, aber Sie können sich nicht vorstellen, wie entsetzlich es ist, einen Menschen so elend dahinsterben zu sehen. Günter war elf Jahre alt. Seinetwegen habe ich durchgehalten.«

»Dazu gehört eine große Liebe«, sagte Victoria leise.

»Ja, das wohl, aber letztlich bleibt nur Mitleid und Mitleiden. Und dann das Gefühl, dass man nicht selbst auch so leiden müsste. Ich würde mich umbringen, wenn ich wüsste, dass ich so krank bin.«

Wieder folgte Schweigen. »Wollen Sie damit sagen, dass mein Vater krank gewesen sein könnte?«, fragte Victoria stockend.

»Nein, das will ich nicht, Vicky, aber wir werden herausbringen, warum er starb.«

*

Es war zehn Uhr, als sie die Hütte erreichten. Nun, eine Hütte hatte Dr. Bardow das Häuschen immer nur genannt. Es war im ländlichen Stil erbaut und hatte schon seinen Großeltern gehört. Es war immer seine Zuflucht gewesen, wenn er ausspannen und Kraft schöpfen wollte. Er war nirgendwoanders hingefahren. Es war ein gemütliches Haus, innen modernisiert, aber nicht mit allem Komfort ausgestattet, den man in Stadtwohnungen und Häusern gewohnt war. Hier standen noch Kachelöfen, die mit Holz geheizt wurden, aber es konnte noch nicht lange her sein, dass das Feuer ausgegangen war, denn die Räume waren noch nicht ausgekühlt.

»Ruhen Sie sich aus, Vicky, ich mache Feuer und bereite uns einen Tee«, sagte Barbara, und sie war schon am Kamin im Wohnraum, der mit bäuerlich-rustikalen Möbeln ausgestattet war. Sie hatte ein Papier entdeckt, das nur halb verkohlt war und war schon voller Spannung.

Erschöpft, die brennenden Augen geschlossen und im Augenblick völlig abwesend, war Victoria in einen Sessel gesunken.

Vorsichtig nahm Barbara das angekohlte Papier heraus, und nahe beim Abzug fand sie sogar noch eine zweite abgerissene Ecke. Dann zündete sie einen Span an, der trocken war und schnell brannte, und legte Holzscheite auf. Die Papierteile verwahrte sie mit aller Vorsicht in ihrer Brieftasche.

In der Küche fand sie alles, was zu einer deftigen Mahlzeit gehörte, auch Tee, Kaffee, Wein und Rum.

Und blitzsauber war die Küche, das ganze Haus, wie sie rasch feststellen konnte.

»Hatte Ihr Vater hier eine Hilfe, Vicky?«, fragte sie.

»Die Zenzi vom Hofbauern half ihm ab und zu, aber am liebsten war er allein hier«, erwiderte das Mädchen. »Papa brauchte das.«

»Mir geht es manchmal ebenso«, sagte Babs. »Ich ziehe mich dann ins Tessin zurück. Da habe ich ein kleines Häuschen bei Bellagio. Sie sollten mit mir dorthin fahren, Vicky.«

Victoria hörte die Worte gar nicht, sie vernahm nur diese dunkle, weiche, beruhigende Stimme. Und ihr fielen die Augen zu, bevor sie noch den ersten Schluck von dem duftenden Tee getrunken hatte, den Barbara auf den Tisch stellte.

Barbara hob die federleichte Gestalt empor und trug sie auf das Bett, das sie im Nebenraum gesehen hatte, dessen Tür halb offen stand. Da sah es allerdings ziemlich unordentlich aus, und das machte sie stutzig. Die Schubladen waren aufgezogen und durchwühlt, ebenso der Wandschrank, und manches lag einfach am Boden.

Victoria schlief, einer Bewusstlosigkeit vergleichbar, und Barbara machte sich an die Arbeit, alles wieder einzuordnen und dabei zu betrachten, was sie zwischen die Finger bekam. Und später widmete sie sich auch noch den angekohlten Papieren.

Sie war eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand und sich durch nichts mehr so schnell aus der Bahn werfen ließ, seit sie am Grab ihres Mannes gestanden hatte, neben sich Günter, der leise sagte: »Du darfst nicht sterben, Mutti, versprich es mir!«

Es hatte Situationen in ihrem Leben gegeben, in denen sie verzagen wollte, aber dann hatte sie immer diese Worte in ihren Ohren klingen hören, und es hatte ihr weitergeholfen. Sie hatte es geschafft. Sie hatte alles für ihren Sohn tun können, was sie sich vorgenommen hatte, aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe, und in dieser Nacht wurde ihr bewusst, dass es nun noch einen Menschen gab, der ihre Hilfe brauchte. Victoria Bardow. Doch jetzt war Barbara Wieland eine vermögende, unabhängige Frau, reif und erfahren, klug und manchmal auch wirklich sehr raffiniert, wenn sie etwas erreichen wollte. Sie schlief lange nicht ein, doch dann schlief sie tief und traumlos, bis ein gellender Schrei sie aufschreckte.

Sie eilte zu Victoria, zündete das Licht an. Mit aufgerissenen Augen, aber völlig benommen, saß Victoria im Bett.

»Papa, ich habe Papa gesehen«, stieß sie bebend hervor. »Jemand hat ihn gestoßen. Er ist gefallen. Oh, Babs …«

Ihre Stimme erstickte in jämmerlichem Schluchzen, aber Barbara hielt sie tröstend in den Armen und sagte: »Es war nur ein Traum, Vicky.«

»Ich habe Angst, Babs, schreckliche Angst.«

»Ich bin bei dir, Kleines«, sagte Barbara liebevoll. »Du brauchst keine Angst zu haben.«

Doch dann dachte sie an die Unordnung, die sie in diesem Raum vorgefunden hatte, die bestimmt nicht Walter Bardow verursacht hatte, und auch sie war nicht frei von Angst.

*

Fee hatte an diesem Abend lange mit ihrem Mann über Dr. Bardow gesprochen, auch über Dr. Wieland.

»Bei ihm wäre Victoria besser aufgehoben«, meinte Fee nachdenklich. »Aber jetzt wird sich wohl erweisen, auf welchem Fundament diese Verlobung steht.«

Daniel runzelte die Stirn. »Ein solcher Schicksalsschlag kann vieles ändern. Was wird aus der Klinik werden?«

»Ich denke, dass Dr. Wieland schon fähig wäre, sie weiterzuführen, aber es wird sich herausstellen, wie die Finanzen stehen. Claudia sagte mir, dass gemunkelt wird, dass es darum nicht allzu gut bestellt sein soll.«

»Bei Wieland?«

»Nein, bei Bardow.«

»Das kann doch nur Gerede sein, Fee. Das glaube ich nun doch nicht.«

»Eine Klinik, auch wenn sie nicht groß ist, erfordert viel Aufwand. Allerdings muss ich sagen, dass Stefan Groh sich sicher nicht mit Victoria verlobt hätte, wenn sie kein Geld hätte.«

»Er muss doch selbst einen Haufen Geld haben«, brummte Daniel.

»Ich weiß nicht, wie ein Mädchen wie Victoria an ihn geraten konnte.«

»Wo die Liebe hinfällt, und wenn sie auf einen Misthaufen fällt«, sagte Daniel ironisch. »Aber jetzt reden wir von was anderem, sonst träumst du wieder schlecht.«

Für Victoria war es mit dem Träumen vorbei. Sie konnte nicht mehr einschlafen, sie hatte nur so getan, um Barbara nicht auch die Nachtruhe zu rauben.